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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.07.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189807178
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980717
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980717
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-17
- Monat1898-07
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.07.1898
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Die Morgen-Ao-gabe erscheint um Uhr, di« Abeud-AuSgabe Wochentag- um b Uhr. Ne-action und Erpe-ition: JohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von ftüh 8 bis Abends 7 Uhr. - Filialen: ktt» Klemm'» Tortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Kathorinenstr. 14, pari, und Königsplatz 7. Bezugs-Preis Kl bet Haoptrxpedttiou oder deu im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus- aavrstrllen abgrholt: vtrrtrljLhrltch 4.SO, bet zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» S.ÜO. Durch di« Post bezöge» für Deutschland uud Oesterreich: vierteliäbrlich S.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung tu» Ausland: monatlich 7.SO. MMrIaMM Anzeiger. Mtslikatt des Königlichen Land- nnd Ämtsgerichles Leipzig, des Rathes nnd Nolizei-Ämles der Ltadt Leipzig. 357. Sonntag den 17. Juli 1898. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (»ge spalten) 5OH, vor den Familiennachrichtrn (6gespalteu) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Vrtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbeförderung ./i 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Srpedttton zu richte». Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. Aus -er Woche. Angesicht» gewisser tarif-politischer Differenzen mit Rußland, wie sie jetzt wieder entstanden zu sein scheinen, wird man sich in Deutschland vor allen Dingen zu vergegenwärtigen haben, daß die östlichen Nachbarn kein geringere» Interesse an einem ungestörten deutsch-russischen Handelsverkehr haben, als wir. In Wahrheit ein größeres. Denn während da» Reich die Russen auf vollkommen gleichem Fuße wie die übrigen Böller behandelt, findet im Zaren reiche eine thatsächliche Benachtheiligung deutschen Capitals und deutscher Arbeitskraft zu Gunsten anderer Ausländer, wie Belgier, Engländer und Franzosen, statt. Rußland hätte also durch den Ausbruch wirthschafts-politischer Feind seligkeiten noch mehr zu verlieren als Deutschland. Daß wir dennoch Ursache haben, die Aufrechterhaltung des Friedens zu wünschen, braucht nicht erst gesagt zu werden. Hat man im Nachbarreiche das gleiche Bedürfniß, so sollte man dort einen Ton vermeiden, wie ihn die „Deutsche St. Petersburger Ztg." in ihrem Alarmartikel „Tarifkrieg in Sicht?" angeschlagen hat. DaS Blatt bemerkt u. A.: „Auf russischer Seite glaubte man annehmen zu dürfen, daß die deutsche Negierung stets stark genug sein werde, ungesetz liche Wühlereien seitens einer unbedeutenden Minorität des deutschen Volkes gegen den von der Regierung und der Volksvertretung des deutschen Reiches angenommenen Handels vertrag für die Zeit, wo dieser noch in Kraft ist, nachdrücklich zurückzuweisen." Dies ist eine Sprache, wie sie einem aus ländischen Blatte, sofern es nicht einen Streit vom Zaune brechen belfen will, durchaus nicht zukommt. Was Minderheiten oder Mehrheiten in Deutschland thun, geht, mit Verlaub, das Ausland nichts an und am allerwenigsten hat man dort zu befinden, ob das Thun ein „gesetzliches" ist. Es muß entschieden zurück gewiesen werden, wenn das Petersburger Blatt es so dar stellt, als ob die deutsche Regierung Rußland gegenüber unter dem Zwange einer deutschen Partei handle. In Rußland hat man in der deutschen Regierung nicht Anderes als die Ver treterin der Gesammtinteressen GesammtdeutschlandS zu seben und von ihr nichts weiter zu verlangen, als die Erfüllung der richtig interpretirten Verträge. Deutsche Angriffe gegen die Verträge sind eine deutsche Angelegenheit. Der Satz der „D. P. Ztg." beruht überdies aus Unkenntniß. Den mit der Erfüllung der Verträge unvereinbaren Antrag Kanitz hat die deutsche Regierung mit allem Nachdruck zurück gewiesen, allerdings nicht nur, weil dies zur Vertrags pflicht gehörte, sondern auch im Hinblick auf deutsche Zustände. Was die Sache selbst anlangt, so sind tarifpolitische Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland und Ruß land nichts Neues. Sie beruhen aus gewissen, unklar und vielleicht etwas zu hastig stipulirten Bestimmungen des Handelsvertrags von 1894. Da heißt es sich vertragen, bis die Zeit gekommen ist, einem neuen Vertrage die gemachten Erfahrungen zu Grunde zu legen. Deutschland wird dann aber viel mehr Sünden gegen das eigene Fleisch gut zu machen haben, als Rußland. Nach einer für officiös angesehenen Mittheilung des „Hamb. Corr." soll Rußland nur wegen eines Artikels, Gänse, reclamirt haben. Das Blatt durfte sich aber ungenau ausdrücken, wenn es von der „Gänseeinfuhr" als dem Gegenstände spricht, der in Frage käme. So viel wir wissen, handelt es sich nur um neuere Bestimmungen über den Dransport von Geflügel, Vorschriften, die auch für das einheimische Product gelten und auS diesem Grunde und weil sie einen sanitären Charakter haben, dem Handelsverträge entsprechen. Freilich, wenn sich die russische Negierung an die Inter pretation in unseren freisinnigen Zeitungen als an RechtS- gutachten halten wollte, würde sie nicht zu dieser Ansicht ge langen können. Diese Presse hat auf die erste Meldung von obwaltenden Differenzen unter klingendem Spiele die russtiche Fahne gehißt, gleichwie sie sofort nach dem Bekanntwerden einer Verfügung gegen die amerikanische San-Joss-Schild- laus diesem Thierchen das Zeugniß eines absolut harmlosen, von den deutschen Agrariern aus Profitsucht schmählich ver leumdeten Geschöpfes ausslellte — bis der amerikanische Staatssecretair aus Grund der in seiner Heimath gemachten Erfahrungen von der großen Schädlichkeit des Insektes die Berechtigung der deutschen Regierungsmaßregel anerkannte. Tas absolutistische Rußland soll es eben bei unseren Demo kraten nicht schlechter haben, als das freie Amerika. An gesichts der begeisterten Verzichtleistnng auf jegliche patriotische Rücksichtnahme, in denen sich die freisinnigen Blätter Ruß land gegenüber überbieten, bereut vielleicht Mancher in der Provinz Hannover die parteipolitische Tngendboldcn- bastigkeit, die dort vor den Stichwahlen über einen den Freisinn mit den Augen eines Realisten betrachtenden und aus seinen Wahrnehmungen kein Hehl machenden General zu Gericht zu sitzen gedrängt hat. Die demokratische Presse stattet dafür ihren Dank dadurch ab, daß sie über das neuer dings angebahnte energischere Vorgehen gegen die Social demokraten in den Kriegervereinen ihr „rechtsstaatliches" Wehe ruft. Wie es aber mit der Ernsthaftigkeit der rechtlichen Bedenken beschaffen ist, verräth soeben der in Nürnberg erscheinende „Fränk. Kur", der ausschließlich die Auffassung und die Taktik des Herrn Richter vertritt. Dieses Blatt hat, wie mitgetheilt, die bayerische Justizverwaltung zum Einschreiten gegen bestimmte Richter aufgefordert und zwar, weil diese — nationalliberale Anschauung bekunden. Dem bayerischen Richter ist die Freiheit der politischen Meinungsäuße runggesetzlich gewährleistet, den Kriegervereinsmitgliedern ist die Theilnahme an socialdemokratischeu Bestrebungen ausdrücklich verboten. Dennoch tritt der Freisinn hier als Verthcidiger, dort als Denunciant auf. Dahin ist die Partei Waldeck's gekommen. Die Weißenfelser Erklärungen des Generals v. Spitz gegen die Socialdemokraten (wie auch gegen Polen und Welfen) in den Kriegervereinen verdienen vollen Beifall. Es ist klar, daß die Socialdemokratie Mitglieder in diese Vereine nur delegirt, um ihr entweder als Spione oder um als Sprengstoff zu dienen. Elemente, die sich so zu ihr verhallen, hält sich jede auf Freiwilligkeit beruhende Vereinigung fern. Hoffentlich verfahren die Kriegervereine hierin mit aller Energie, aber auch mit dem Tacte, der das Aufkommen einer Socialisteuriecherei ausschließt. Der „Vorwärts" hat dieser Tage mit den üblichen renommistischen Uebertreibungen von der Eroberung der jungen Generation durch die Social demokratie, aber doch nicht völlig ohne Grund, behauptet, der Um stand, daß viele junge Leute während ihrer militairiscben Dienst zeit in den Städten eine höhere Lebenshaltung als die gewohnte wenigstens vom Ansehen kennen lernen, gereiche der Umsturz partei zum Vortheile. Ueber die Verthcilung der Garnisonen, die Existenz deS GardecorpS in Berlin und ähnliche Dispositionen haben sich unter diesem Gesichtspunkte schon andere Leute als Socialdemokraten Gedanken gemacht. Vielleicht bringt die Zukunft hierin einen Wandel. Bis dahin sollen die Krieger vereine bedenken, daß der der Verführung nicht überhaupt un zugänglich gebliebene junge Mann in der Regel doch nur mit einem leichten socialdemokratischen Firniß überzogen in das bürgerliche Leben zurücklreten wird. Diesen sogleich wieder abzukratzen, ist eine Aufgabe der Kriegervereine, deren Er füllung sie sich durch unnöthigeS schroffes Ab- und Hinaus weisen unmöglich machen würden. Zur Kritik der Zweimillionenstimmen-Rechnung der Presse deS Bundes der Landwirthe hat auch der Vorsitzende der LandwirthschaftSkammer für die Provinz Schleswig-Holstein, Graf Rantzau, einen Beitrag geliefert, indem er eS bestritt, daß im neuen Reichstag eine Mehrheit ur eine bessere Ausgestaltung der Handelsverträge zum Schutze der Landwirthschaft zu haben sein werde. Graf Rantzau ist entschiedener Agrarier und Mitglied des Bundes der Landwirthe, er hat es aber freilich nicht nöthig, zur Bemäntelung einerseits der Nutzlosigkeit, andererseits der Schädlichkeit einer höchst kostspieligen Agitation daS Gcgentheil von dem zu behaupten, was die Wahlergebnisse besagen. Ultramontaue und freisinnige Blätter streiten sich aus einem bekannten Anlaß mit Heftigkeit und Zähigkeit Uber die Giltigkeit oder Ungiltigkeit einer nicht vor dem katho lischen Priester geschlossenen Mischehe. Diese Rechtsfrage ist aher keine solche, da wir in Deutschland die für Jedermann ohne Unterschied des Standes obligatorische bürgerliche Trau ung haben. Kaum nichtiger als diese „Frage" ist die aus dem gleichen Anlaß in Fluß gerathene Erörterung der von Friedrich Wilhelm IV. erlassenen und von Kaiser Wilhelm I. erneuerten Cabinetsordre, wonach ein evangelischer Officier, der eine Mischehe eingeht und, um die Trauung durch einen katholischen Geistlichen zu erlangen, katbolische Kindererziehunz verspricht, aus der Armee auszuschließen ist. Im vorliegenden Falle handelt es sich um eine Persönlichkeit, die keine Neigung zum Kriegshandwerk besitzt, für die also die in der Cabinetsordre ««gedrohte Folge nicht härter sein würde, als für die preußische Armee. Eine die Oesfentlichkeit interessirendc Angelegenheit läge erst vor, wenn gegebenen Falles die Cabinetsordre nicht gehandhabt würde. Ein Artheil von competenter Seite. Wie beim Hamburger Hafenarbeiter-Streik (1896/97), so nimmt auch gegenwärtig beim Hamburger Bäcker- Streik oder -Boykott die breite Masse der Bevölkerung in ganz Deutschland den lebhaftesten Antheil an diesem wirthschaftlichen Kampfe. Da die Garde-Exercirschule der Socialdemokratie, daS Hamburger Gewerkschasts- cartell, die Sache des Streiks zu der seinigen machte und außerdem durch Proclamirung des Boykotts die Bewegung zu einer Machtfrage stempelte, so fielen die wirthschaftlichen Parteien bald völlig mit den politischen zusammen, insofern wenigstens, als es sich um bürgerliche oder um socialdemokratische Elemente handelte. Sofort begann denn auch die socialdemokratische Partei nach dem alten berüchtigten Reccpte loszuschimpfen und in Zeitungs artikeln und Flugblättern die Bäckermeister als eine Horde von Blutsaugern und Schmutzfinken darzustellen. Wenn nun auch gerade durch das Uebermaß der Schmähungen dem Einen und dem Anderen die Augen über den Werth solcher Expektorationen geöffnet wurden, so war doch bei der großen Zahl der Leichtgläubigen zu befürchten, daß immer noch etwas hängen bliebe. Jedenfalls war die öffentliche Meinung beunruhigt, und wer weiß, was hätte eintretcn können, wenn nicht von einer über den Parteien stehenden, über allen Zweifel erhabenen Stelle, von der Gewerbekammer zu Hamburg, im richtigen Augenblicke folgende amtliche Erklärung veröffent licht wäre: „Um den vielfachen, nicht zutreffenden Angaben über die Zustände in den hiesigen Bäckereien entgegenzutreten, giebt die unterzeichnete Gewerbckammer von folgendem Bericht des Fabrik-Inspectors Kenntniß: Seit Ausbruch des Streiks der Bäckerei-Arbeiter sind diesseits 106 Bäckereien rcvidirt. In 66 Fällen dieser Anlagen waren 283 Arbeiter beschäftigt, von diesen waren 81 ausständig und demnach l durch andere Arbeiter, meistens auS Bremen, Berlin, Breslau und SUddeutschland ersetzt. Diese fremden Bäcker erklärten wiederholt, daß ihnen bislang Bäckereien nicht bekannt geworden seien, die hinsichtlich der Wascheinrichtungen, der Bedürfnißanlagen sowie der Sauberkeit im Allgemeinen sich mit den hiesigen Bäckereien vergleichen könnten. Hierbei ist gleichzeitig zu bemerken, daß dem Anscheine nach die so genannten „Streikbrecher" sämmtlich das Bäcker-Gewerbe erlernt hatten; allerdings sind darüber besondere Erhebungen, weil dazu bislang keine Veranlassung vorlag, nicht angestellt. In den allerersten Tagen nach dem Ausbruch des Streiks sollen allerdings in ganz vereinzelten Fällen auch fremde, dem Bäckergewerbe nicht angehörende Arbeiter aushilfsweise beschäftigt worden sein. Seit Erlaß der Verordnung Eines Hohen Senats vom 10. December d. I., betreffend die Ein richtung und den Betrieb von Bäckereien und Conditoreien, sind abseiten der Fabrik-Jnspection 297 Bäckerei-Anlagen mit 917 Arbeilsräumen revidirt, und wurden zur Durch führung dieser Bestimmungen in 290 Anlagen Vorschriften in verschiedener Hinsicht gegeben. Durch 305 Nachrevisionen wurde festgestellt, daß die Bestimmungen der Verordnung bis auf einige, den Vorschriften nach nicht genügende Closetanlagen, durchgefübrt sind. Darnach sind also in säninillichen hiesigen Bäckereien ausreichende, den gesetz lichen Bestimmungen genügende Wascheinrichtungen hergestellt. In einer nicht unerheblichen Zahl der hiesigen Bäckereien sind sogar sehr gut eingerichtete Brausebäder vorhanden, die den Arbeitern zur freiesten Verfügung stehen. Soweit bis jetzt festgestellt ist, liegen die Bedürfnißaustalten, mit den oben bemeiklen, zum Theil noch in der Aenderung begriffenen Ausnahmen, sämmtlich am direkten Licht und sind mit direkter Luftzufuhr versehen. Bezüglich der Schlafräume, deren Anlage und Einrichtungen allerdings bisher einer gesetzlichen Regelung nicht unterzogen sind, ist zu bemerken, daß dieselben mit wenigen Ausnahmen einen befriedigenden Eindruck machen. Seit dem Erlaß der Verordnung vom 10. December v. I. ist in einem Falle bekannt geworden, daß ein Arbeiter, der mit einer ansteckenden Krankheit behaftet war, beschäftigt wurde. In diesem Falle wurde sofort Abhilfe geschaffen. Auf Grund der seit sechs Monaten durch die Beamten der Fabrik-Jnspection in den Bäckereien vorgenommenen Revisionen kann also behauptet werden, daß die Arbeits räume, die Bedürfnißaustalten und die Wascheinrichtungen in den hiesigen Bäckereien den gesetzlichen Anforderungen hin sichtlich der Reinlichkeit und der Gesundheitspflege durchaus entsprechen, und ebenso haben die in letzterer Zeit vor genommenen Revisionen nicht ergeben, daß der Culturzustand der zur Zeit beschäftigten Arbeiter ein niedrigerer geworden wäre." Damit ist daS Urtheil über den Zustand in den Bäckereien gefällt, aber zu gleicher Zeit auch über die Schmähschriften der socialdemokratischen Hetzer und die jeder Orientirung entbehrenden Artikelchen eines Frankfurter Demokratenblattes. Deutsches Reich. Leipzig, 16. Juli. Das sächsische Ministerium des Innern hat bekanntlich das Gesuch des sächsischen Gastwirthsve rb andes, die Bestimmungen über die Ein schränkung der öffentlichen Tanzlustbarkciten möchten aus gehoben oder dock milder gehandhabt werden, abgelehnt. Man braucht kein Freund deS „englischen" Sonntags zu sein, kann vielmehr zugeben, daß die fröhliche deutsche Art, den Sonntag zu begehen, berechtigt und heilsam ist, und wird doch den ablehnenden Bescheid Les sächsischen Ministeriums billigen müssen. Mit Recht kann sich daS Ministerium darauf berufen, daß es Feuilleton. Am die Erde. Reisebriefe von Paul Lindenberg. Nachdruck verboten. NachMiyanoshita. — NastimTheehause. — Im Hotel. — DieKiga-Schlucht. — AmHakone- See. — Der Fujiyama. — Die Schwefelquellen. Miyanoshita,I2. Mai. Miyanoshita wie das schon anmuthig-lockend klingt, wie freundlich und einschmeichelnd, und ganz so ist auch der Ort, friedlich hingebettet inmitten gewaltiger Berge, die kühn ihre bewaldeten Häupter in die Wolken recken. Rauschen der Blätter und Rauschen des Wassers, das ist die Musik, welche den kleinen Flecken immerwährend umgiebt, eine Musik, ewig schön und stets aufs Neue uns erhebend und erfrischend! Wenn man, nach längerer Nachtfahrt, von der früheren trutzigen Daimio-Residenz Nagoya kommend, zu früher Morgen stunde den Eisenbahnzug in Kodzu verläßt, so ist schnell alle Müdigkeit verschwunden: grüßend sendet uns links der Stille Ocean seine brandenden Wellen entgegen und vor uns erheben sich stolz die machtvollen Berge, die das Ziel unserer weiteren Fahrt, zunächst in einer Pferdebahn, dann in Rikshas unter nommen, bilden. Immer höher und höher geht's, immer enger werden die Gebirgspässe, immer schäumender hasten die Bergwässer dem Meere zu, das, wenn wir bei einem Halt rückwärts schauen, unten in sonnendurchleuchtetem Glanze aufblaut. Ueber uns wölben sich Bambusgebüsche und Laub- wie Nadelholzbäume zu einem dichten Dache, zur linken Seite ragen hohe Felsen enPor, durch deren Moosteppich das Wasser sickert, rechts geht eS jäh in die Tiefe hinunter, aus der das Brausen der Wellen her- auftönt; nahe uns der schmelzende Sang der japanischen Nach tigallen, große schwarze Falter flattern umher und schillernde Eidechsen huschen über den schmalen Weg, der mit jeder neuen Biegung rin neues entzückende» Bild in die Alpenthäler und auf die Bergkuppen eröffnet. Gelegentlich ein kleine» Theehau» mit überdachter Veranda, von deren Holzgerüst die langen blauen Blüthendokden ver Syringen hrrabhängen, tn den auf orn Matten stehenden Vasen und Bambusgefäßen aber wunderbare Rosen- und Azaleensträuße. Da wir zu Fuß bergan gehen, denn unsere „Pferdemenschen" die in den Deichseln der Riksha-Wagen gehen, haben schon genug an unserem Gepäck zu ziehen, nehmen wir gern eine kurze Rast; flugs sind von den zierlichen Händen der Theefräulein die Kissen zurecht gerückt und sogleich wird uns in winzigen Schälchen der würzige Thee gereicht, der sehr erfrischend wirkt. Wie auf gescheuchte Vögelchen flattern die niedlichen Dämchen durchein ander, sie wissen gar nicht, was sie uns Angenehmes zuerst er weisen sollen: diese setzt uns Süßigkeiten hin, jene reicht uns Feuer für die Cigarette, eine dritte bringt ein Tuch zum Ab wischen der perlenden Schweißtropfen, die vierte fächelt uns Kühlung zu, nnd Alles geschieht mit fröhlicher Anmuth und ohne jedwelche Aufdringlichkeit. Kein Wunder, daß man mehr fach der Ruhe bedürftig ist, und daß der Weg länger wird, als er im Reisehandbuch« angegeben . . .! Aber endlich haben wir doch Miyanoshita, ein kleines Dorf, erreicht und damit bald das Hotel, luftig aus Holz errichtet, von freundlichem und elegantem Eindruck. Wunderhübsch die Einrichtung des Speisesaals mit den gediegenen japanischen Goldlacktapeten, den meisterhaften bunten großen Photographien, dem elektrischen Licht und den allerliebsten Dienerinnen, die ge räuschlos wie die Mäuschen umherhuschen und uns im Um sehen die gewünschten Speisen bringen; in seidene bunte Kimonos gehüllt, den Obi, den Gürtel mit dem Rückenpolster, aus schönem Brokatstoff gefertigt, in den dunklen Augen ein schelmisch-fröh liches Lächeln, die vaar eingelernten englischen Brocken drollig hervorbringend, über jede anerkennende Bemerkung vergnügt in sich hineinkichernd, man kann sich nichts Lustigeres und Hübscheres als diese zierlichen Geschöpfchen denken, die in ihrem Aussehen und ihren Bewegungen soviel Puppenhaftes an sich haben.— Herrlich der Blick von der Terrasse de» Hotels in die Ge birgsschluchten hinein und über sie hinweg auf das weit, weit unten liegende Meer. Ueberall um uns rauscht und braust es, denn unmittelbar neben und hinter dem Gasthause ergießen sich Wasserstürze und sprudeln in übermüthigen Sprüngen in dir Tiefe. Bon überwältigendem Eindruck aber sind die Spazier gänge durch die hinter dem Hotel sich au»dehnende Kiga-Schlucht: in den Abgründen, über welche schmale Brücken führen, dunkle» Blättergewirr, undurchdringlich dicht, daneben senkrechte F.l»- wände mit weißem Flieder und rothen Azaleenbllschcn, überall sprudelt Wasser herab, sich da unten mit den schäumenden Fluthen des Wildbaches vereinend. Letzterer bleibt auch auf der ferneren Wanderung unser Begleiter, oft stürzen seine gischtge krönten Wellen in Kaskaden herab, der mächtigen dunklen Fels blöcke spottend, die ihnen den Weg versperren wollen; und wo dies an einzelnen Stellen zu gelingen scheint, da bekommen die Fluthen hurtige Hilfstruppen in Gestalt zahiloser Wasscrstürze, die über die Felsen rechts und links herniederbrausen und sich ihre Pfade durch das schattige Tannendickicht bahnen, mit ihrem flockigen Gischt die Steintrümmer unten umhüllend. Hier und da steigen aus den Schluchten Dampfwolken auf, von den heißen Quellen herrührend, an denen diese Gegend reich ist, deren eigent liches Gebiet aber mehr nach dem Hakone-See zu liegt. Ein Ausflug zu diesrm bei klarem Wetter gehört zu den schönsten Partien Japans. Tüchtig geht es auf schmalen Wegen bergan, je höher man kommt, desto weiter werden die Blicke auf die grünen Thäler zu beiden Seiten, man könnte sich auf die Almen der Schweiz versetzt glauben, nur fehlt das Glockenklingen der Heerden und der Jodlerruf der Berliner. Dafür tauchen aus dem Dickicht verwitterte Gcbetsäulen auf, und in der höchsten Felsen-Einsamkeit, die wir nach beschwerlichem Klettern erklom men, begrüßt uns ein aus einer mächtigen Felswand gehauener kolossaler Buddha, zu dessen Füßen fromme Beter duftige Blu mengaben gestreut. Nach kurzer Wegstrecke eröffnet sich plötzlich der Blick auf den unten liegenden Hakone-See mit dem Sommer schloß des Mikado auf einer parkbepflanzten Landzunge, und schnell gewinnen wir den Abstieg, der uns in seinem letzten Weg ende ein Stück durch den Tokaido führt, jene uralte Heerstraße der Daimios, von hohen Cedern eingesäumt, einst belebt von den langen, lärmenden Troßzügen der Fürsten und Großen. Da plötzlich ein Ausruf und eine Handbewegung unseres Führers, und wie gebannt hemmen wir unsere Schritte; dor» durch die Stämme der Riesenbäume fallen unsere Blicke zum ersten Male aus den jenseits des Sees sich erhebenden Fujiyama, der in gewaltigem Dreieck seinen schneebedeckten Gipfel zum Himmel erhebt. Und noch eine Stunde fast, die wir auf der zum See gehenden Veranda eines Theehauses verbrachten, gönnte uns der heilige Berg die bewundernde Betrachtung seines majestäti schen Hauptes, dann, dem Beispiele der Großen dieser Erde fol gend, zog er sich in die Abgeschlossenheit zurück und umhüllte sth mit einem undurchdringlichen Wolkenschleier. Ein Nachen führte uns später über den See, dessen Wasser von durchsichtig grünlich-blauer Färbung ist und in ganz Böcklin'jcher Stimmung schillert; am Ufer beugen sich blühende Gebüsche zu den Fluthen herab und lichte Bambushecken wie ernste Pinien spiegeln sich in ihnen wider. Nach einer Stunde hatten wir den jenseitigen Strand erreicht, steil ging es alsbald bergan, dann durch ein kleines Alpendorf und vorüber an dessen öffentlichen Bade, in welchem Männlein und Weiblein lustig durcheinander plätscherten, darauf mußten wir neue Klctterwege erklimmen, die von beiden Seiten von dichtestem Bambusgestrüpp eingesäumt sind. Aber immer kahler und kahler wirb es allmählich, jedes Grün verschwindet, abgestorbenes Gras und wie von einem Bra.d ver sengte Tannen bedecken den felsigen Boden, dessen Gestein eine gelbliche Färbung annimmt. Starker Schwefelgeruch erfüllt die Luft, und jetzt vor uns steigen dichte Dämpfe auf, von den Schwefelquellen herriihrend, deren kochend heiß: Wasseradern überall entlang rinnen. Im Gegensatz zu dieser starren Oede hier oben dort unten der lachende See mit seinen klaren Wellen und dem frischen Grün an seinem Gestade! Ueber das verlassene Felsplateau schreiten wir hinweg und klettern auf wahren Gcmsenwegen zur anderen Seite herunter. Ueber dampfende Quellen geht's wieder fort, sie schießen an ein zelnen Stellen direct aus den Felsen hervor, und da drinnen läßt sich ein unheimliches Poltern und Rumoren vernehmen, ungefüge Geister mögen hinter jenen starren, gelblich-rothen Wänden ihr Wesen treiben, und wenn sie plötzlich ihren steingefügten Kerker zersprengen, so wehe dem Wanderer, dessen Weg gerade hier vor überführt, er wird in die gähnende Tiefe gerissen, und manch' frischer Felssturz kündet von der stürmischen Kraft der brodcln- dcn Gewässer! So groß und gewaltig diese Einsamkeit hier wirkt, man atbmet doch befreit auf, wenn man wieder in das Gebiet der Almen gelangt und neubelebten Schrittes Miyanoshita zustrebt, das man mit sinkender Sonne erreicht.
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