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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.08.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980806011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898080601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898080601
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- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-08
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Will man aber nicht den Kopf in den Sand stecken, so muß man zugeben, daß die Meinung, Fürst Bismarck habe einen unversöhnlichen Haß gegen Gegner besessen, weit verbreitet ist; dies ist auch der Grund, weshalb im Auslande so vielfach unfreundliche und irrige Anschauungen über die menschlichen Eigenschaften des großen Kanzlers herrschen. Es ist deshalb eine Ehrenpflicht gegen den großen Todten, einmal eingehend festzu stellen, daß erstens Fürst Bismarck nicht unversöhnlich gehaßt hat, und daß zweitens, wenn er gehaßt bat, dieser Haß nicht auf persönlichen Gründen beruht hat. Es sei zunächst an Beispielen, die auf Aussprüchen des Fürsten und auf historischen Thatsachen beruhen, dargelban, daß der Fürst durchaus nicht unversöhnlich war. Fürst Bismarck hat mit der katholischen Kirche und der politischen katholischen Partei die schwersten Kämpfe auszufechten gehabt, er hat der gegen ibn gerichteten klerikalen Hetze einen gefährlichen Angriff auf sein Leben zu verdanken gehabt — und trotzdem hat er, so bald es anging, wieder ein erträgliches und friedliches Verhältniß mit der katholischen Kirche herbeigeführt. Es ist falsch — und eS ist von Wichtigkeit auch dies einmal fest zu stellen —, wenn man aunimmt, daß er diesen Frieden nur gemacht hat, weil er der Hilfe deS Centrums bedurft habe. Vielmehr hat er mitten im Kampfe dem Wunsche Ausdruck gegeben, zu einem Frieden mit der katholischen Kirche zu gelangen und er hat angedeutet, wann dieser Frieden geschlossen werden könnte. Bereits im Jahre 1873 hat er in einer Rede bei Besprechung der Frage einer Gesandtschaft des Reiches beim Papste erklärt: „Es ist ja nicht nothwendig, daß die Sache des Friedens und der Demuth stets mit stolzen und zornigen Worten vertreten mxrde; es kann ja auch darin eine Aenderung eintreten, so daß auch diese Verhältnisse behandelt werden in Form der üblichen Ge bräuche der europäischen Mächte. In dieser Hoffnung möchte ich gerne einen Faden, der sich wieder anknüvfen läßt, nicht abschneiden. Die verbündeten Regierungen, so fest sie auch entschlossen sind, die Unabhängigkeit des Reiches vor einer jeden ausländischen Gewalt zu wahren, so bereitwillig sind sie Loch, dahin zu wirken, daß nicht nur die Mehrheit der katholischen Deutschen, sondern womöglich sämmtliche katholische Deutschen mit ihren Regierungen und ihren evangelischen Mitbürgern in Frieden leben mögen. Und ich möchte keines der Mittel missen, die mir für die Zukunft eine Anknüpfung in dieser Beziehung bieten können." Ebenso hat er seinem Friedenswunsche in einer Rede vom 16. April 1875 Ausdruck gegeben. Damals sagte er: „Wie uns di« Geschichte kriegerische Päpste und friedliche, fechtende und geistliche zeigt, so hoffe ich, wird doch auch wieder ein mal demnächst dir Reihe an «iaen friedliebeuden Papst kommrn, der nicht lediglich da- Product der Wahl des italienischen Klerus znr Weltherrschaft erheben will, sondern der bereit ist, auch andere Leute leben zu lassen nach ihrer Art, und mit dem sich Friede schließen lassen wird; darauf ist meine Hoff nung gerichtet,uud dann hoffe ich wiederum einen Antonelli zu finden, der einsichtsvoll genug ist, um dem Frieden mit der welt lichen Macht entgegen zu kommen." Kann man den Wunsch nach Frieden lebhafter aus drücken? Und dabei ist noch zu berücksichtigen, daß Fürst Bismarck diesem herzlichen Friedenswunsche wenige Monate nach dem Kullmann'schen Attentat und nachdem ihm aus dem Centrum jenes berüchtigte «Pfui" entgegengeschleudert war, Ausdruck gab. Ist dies die Haltung eines unversöhnlichen Hassers? Wie mit dem KlerikaliSmus, so batte Fürst Bismarck und zwar insbesondere am Beginne seiner politischen Thätigkeit mit dem politischen Radikalismus heftige Kämpfe zu führen. Bismarck hat selbst einmal scherzhaft zugegeben, daß er in der Zeit der Revolution von 1848 ein ganz fanatischer Junker gewesen sei, und damit stimmt ja auch die freundliche Zu sicherung überein, die er mit dem radikalen Abgeordneten d'ErtröeS im Jahre 1848 austauschte, daß Jeder von ihnen, wenn er zur Macht gelangen sollte, diese Macht zunächst dazu benutzen würde, den Andern hängen zu lassen. Aber auch mit der Revolution von 1848 bat er sich in seinem Gerechtigkeitssinne ausgesöhnt. Beweis dafür ist aus einer Rede vom 14. Juni 1882 eine Stelle, an der er sagte: „Ich will Niemand Unrecht thun, ich weiß Solche, die wirklich für den nationalen Gedanken gelitten haben, die in irrthüm- licher Auffassung der Mittel, weil ihnen das Ver- ständniß für die politische Situation fehlte, anstatt zu suchen, eine hinreichende Armee in Deutschland zu schaffen, dieses Mittel in ihrer schwachen Faust und auf der Barrikade suchten. Das kann Jedem passiren, und für die habe ich keine Rancune, ich bedaure, daß ihnen das Unglück passirt ist." Er hat aber nicht nur theoretisch Ve.ständniß und Versöhnlichkeit für die Revo lution gehabt, sondern auch praktisch. Er hätte sonst wohl nicht den alten Revolutionair Lothar Bucher zu seiner rechten Hand und zu seinem Vertrauten gemacht. Eines der Argumente, das von denen, die dem Fürsten Bismarck unversöhnlichen Haß gegen seine Gegner vorwerfen, mit Vorliebe angeführt wird, ist der Umstand, daß er während seiner Amtsthätigkeit unnachsichtlich Jeden verfolgen ließ, der ibn beleidigte. Aber auch hier liegt der Grund nicht in einer Empfindung deS persönlichen Hasses. Den Schlüssel zu dieser Handlungsweise bat Fürst Bismarck selbst im vergangenen Jahre gegeben. Man weiß, daß der große Staatsmann nach seiner Entlassung in Hunderten von Fällen mit den un flätigsten Beschimpfungen überhäuft wurde, aber er hat in keinem einzigen Falle die strafrechtliche Verfolgung deS Beleidigers ver anlaßt. Da wandten sich im vorigen Jahre in einem Falle einer besonders unerhörten Beleidigung Mannheimer Verehrer deS Fürsten mit der Bitte an ihn, doch wenigstens in diesem Falle die Bestrafung zu veranlassen. Der Fürst aber weigerte sich, indem er erklärte, er habe wohl während seiner Amts thätigkeit Strafanträge gestellt, weil daSAmt geschützt werden mußte, jetzt aber, wo er Privatmann sei, siele dieser Grund weg, und er persönlich fühle sich durch die Beleidigungen nicht getroffen. In diesen Worten hat man den Schlüssel zu der Verfolgungssucht, die die Gegner des Fürsten ihm unzählige Male vorgeworfen haben. Er haßte und verfolgte nicht um seiner Person willen, sondern um einer Sache willen, die entweder geschützt werden mußte oder die zu seinem Schmerze durch einen andern gehemmt wurde. Darum war der Haß deS Fürsten Bismarck hoch erhaben über den persönlichen Haß kleiner Naturen, denn eS war ein patriotischer und nationaler Haß, ein Haß, der sich gegen Diejenigen richtete, die das Werk des großen Staatsmannes gefäbrdeten oder hemmten. Ein paffendes Beispiel dafür ist auch Lasker» auch hier sind dem Fürsten unzählige Vorwürfe gemacht worden, weil er diesen Mann, der zweifellos manche Ver dienste und einen guten Willen hatte, gehaßt habe. Nun, eine unverdächtige Quelle ist dock gewiß LaSker'S Freund und Gesinnungsgenosse Bamberger. Dieser aber erzählt, daß schon im Jahre 1870 Bismarck wüthend aus Lasker gewesen sei und zwar, wie Bamberger zugeben muß, aus einem sachlich sehr berechtigten Grunde. Lasker hatte nämlich, ohne dazu eine besondere Mission zu baden, mit den Süddeutschen über ihren Eintritt in den Bund verhandelt und dabei allerlei Versprechungen gemacht, was dann Bismarck bei seine« Verhandlungen mit Süddeutschland erhebliche Schwierigkeiten machte. Bis marcks Haß war also auch in diesem Falle ein rein sachlicher; er richtete sich gegen einen Mann, der ihm, wenn auch ohne böse Absicht, sein Lebenswerk erschwerte. Dieser Haß, der nationale, der sachliche Haß, der sich gegen Jeden wendet, der die deutsche Sache erschwert oder gefäbrdet, ist eine Eigenschaft, die das deutsche Volk seinem Bismarck danken muß, eine Eigenschaft, die auf das Lebhafteste Jedem zu wünschen ist, der sein Leben dem Vaterlande widmet. Es ist eine Eigenschaft, die auch heute noch nicht überflüssig ist, die aber vollends eine absolute Nothwendigkeit war, als Einer allein gegen eine Welt voll Feinden zu kämpfen hatte. Die wirthschaftlichen Folgen des spanisch amerikanischen Krieges. Der „Correo" in Madrid veröffentlicht unter der Auf schrift: „Die Liquidation des Krieges" einen Artikel, der auch im Auslande lebhaftes Interesse erwecken dürfte. Unter Anderm heißt es darin: „ES wird »ach Beendigung deS Kriege- »»möglich sein, wie bisher für 160 oder mehr Millionen Pesetas Maaren nach den Colonien zu senden. Auf Cuba und Puerto Rico setzt Spanien an Textilwaaren, Mehl, Hülsenfrüchten, Schuh- waaren, Conserven und Papier allein für 100 Millionen Pesetas jährlich ab. Diese Maaren werden von nun an die Vereinigten Staaten dorthin verkaufen. Es wird uns auf den Antillen nur der Oel- und Wrinhandel bleiben, der sich auf IS Millionen beläuft. Abgesehen von der Schädigung unseres Handels an sich, wird die Schifffahrt sich in einer kritischen Lage befinden. Sehr trüb gestalten sich die Aussichten für die arbeitenden Claffen. In Catalonien sind in Betrieb: 1325 Baumwollstoff-Fabriken, 304 Webereien, 22 Schuh-, 509 Leder-, 83 Seifen-, 136 Papierfabriken und viele Betriebe, die Wachs verarbeiten, außerdem eine große Anzahl bedeutender Käsereien, Mühlen uud Conservefabriken. Unter den 65 365 Fabrikanten Spaniens befinden sich in Catalonien allein 12 457, die von den 5 Millionen Pesetas Fabriksteuern 3 Millionen aufbringen. In Castilien und Aragon ist die Textilindustrie ebenfalls bedeutend. In ersterer giebt eS 955 und in letzterer 555 Fabriken dieser Art. Weiter kommen noch in Betracht in Malaga die Baumwollstoff- Industrie, in Santander die Webereien, Papierfabriken, Mühlen, Conserve- und Sandalenfabriken, in Vizcaya die Papierfabrikation, auf den Balearen-Inseln die Schuhwaaren- industrie und in Asturien und Galicien die Conservefabriken." „Wie sehr der Handel gelähmt sein wird, ersieht man aus den statistischen AuSfuhrzahlen. Jährlich wurde nach den Antillen ausgeführt: An Webstoffen für 7 V» Millionen, au Baumwollwaaren für 45 Millionen, Seife 5, Wachs 3, Papier, Bücher u. s. w. 7, Fässer u. s. w. 3, Conserven 5Vr, Oel 8, Wein 10, Sandalen 1 und für Lederschuhwaaren sür mehr als 25 Millionen Pesetas. Dagegen führten wir au- Cuba für 34 Millionen und aus Puerto Nico für 22V, Millionen ein. Von den Philippinen wurden für 20 V» Millionen Pesetas nach Spanien ausgeführt, dagegen von Spanien nach den Philippinen für 26, nach Puerto Rico für 27 und nach Cuba sür 120 Millionen Peseta- ein geführt." „Das unbenutzte spanische Capital würde eine vortheil- hafte Verwendung zur Ausbeutung unserer sehr reichen und ergiebigen Gruben finden können, und so ließe sich auch den arbeitenden Claffen eine Beschäftigung bieten. Es giebt in Spanien 1814 Bergwerke im Betriebe, sie nehmen 249 318 Im ein. Dagegen befinden sich noch nicht im Betrieb 13 446 Bergwerke mit 314 779 Im. Die betriebenen Bergwerke fördern jährlich 29 Millionen Tonnen Erz. In jenen 1814 Bergwerken sind zur Zeit 75 503 Männer, 448 Frauen und 1798 Knaben beschäftigt. Die ergiebigsten Bergwerke fördern Eisen, iBlei, darunter silberhaltiges, Kupfer, Steinkohle und Zink. Durchschnittlich ergeben sie 90 Millionen Pesetas für Len Schacht. Unsere Zukunft beruht zweifelsohne auf diesem Reich- tbum, der dis jetzt noch brach liegt, da die Capitalisten eine sicher« und leichtere Rente suchen. Den Beweis dafür liefert die Bank von Spanien mit ihren Einlagen und laufenden Rechnungen, Feirrlletoir. Am die Erde. Reisebriefe von Paul Lindenberg. Nachdruck verboten. Auf der Slld-Pacific-Bahn. — Ueber die Sierra Nevada. — 7000 Fuß über dem Meere. — In die Eiswelt hinein. — Begegnung mit einem Landsmann. — Von den amerikanischen Freiwilligencorps. — Im Pullmann-Wagen. — „Alles für die Wohlhaben de n". — Durch Ne vada. — Inden Indianer-Gebieten. — Im fruchtbaren Utah. Zwischen San Francisco und der S a l z s e e st ad t, 12. Juni. Es „stuckert" zwar etwas, wie man in Berlin sagt, und die Feder macht zuweilen einen unerwartet-vergnügten Hopsa, aber man muß schon die Zeit in der Bahn zum Schreiben benutzen, sonst kommt man bei diesem Hasten überhaupt nicht mehr dazu, und die theuren Leser, die so liebenswürdig dem Ruhelosen bis hierher gefolgt sind, glauben gar, man wäre von den Aankees ausgeplündert, oder von den Indianern gefangen genommen worden, welch' letzteres mir, nach meinen bisherigen ameri kanischen Erfahrungen, lieber wäre — das erstere geschieht ja allmählich ganz von selbst, nach bewährtem System! Seit dem gestrigen frühen Morgen rutsche ich aus der Süd- Pacific-Bahn dahin, heute Abend soll ich in der Salzseestadt an kommen — nur sechsunddreißig Stunden im Ganzen, und blos eine Entfernung von ca. 900 englischen Meilen. Was will das in Amerika bedeuten! Auf den Linien im flacheren Lande wird eine solche Strecke weit rascher zurückgelegt, diese Bahn hier aber hat ungeheure Schwierigkeiten zu überwinden; überkletterte sie doch gestern eine Gebirgsstelle der Sierra Nevada in einer Höhe von 7000 Fuß über dem Meere und beläuft sich die Zahl ihrer Eurven auf über 1000, die zusammengelegt 125 Kreise bilden würden. Zwei kolossal« Maschinen fauchten vor uns her, und oft, bei den zahlreichen engen Biegungen, sah man sie auS den Fenstern unseres Wagens die Höhen hinaufkriechen und oberhalb der schroffen Abgründe sich entlang winden, und es wurde Einem zuerst ganz frostig dabei zu Muthe. Aber der Mensch, der in seiner Zähigkeit w«it mehr erträgt wie jedes andere ledende Wesen, gewöhnt sich bald an Alle-, ich glaube, auch Daniel hätte sich so nach und nach in seiner Löwengrube ganz häuilich einge richtet, wenn man ihm Zeit dazu gelassen hätte, und die be kannten Männer im feurigen Ofen hätten eS allmählich in dem selben gar nicht so fatal gefunden! Als unser Zug über die erst« schmale Eisenbrücke rasselte, unter der sich eine Schlucht öffnete, in welcher man bequem die Thürme de» Kölner Doms zweimal hätte übereinander aufrichten können, da schauerte man doch «in wenig zusammen, spater stellte man sich bei ähnlichen gefährlichen Uebergängen draußen auf die Plattform und zündete sich höchst vergnügt eine neu« Cigarette an. An großartigen Eindrücken reich ist diese Fahrt über die Sierra Nevada. Zunächst, hinter Sacramento, geht's durch die fruchtbaren Gebiete Californnns, dann durch dessen unendliche Waldungen; zu stolzer Höh« recken sich die Baumriesen empor, die hier und da, von wuchtigen Hieben gefällt, einen breiten Thaleinschnitt überbrücken; andere brachte das Feuer zum Sturz, ganze Stellen sind durch einen Waldbrand vernichtet worden. Alles schwarz und öde, zuweilen sah man noch die Funken glimmen und schwelenden Rauch emporsteigen. Dann plötzlich ein klaffender Thaleinschnitt, von den Felsenwänden brausen Wasserstllrze in die Tiefe, weit, weit unten ein schäumender Fluß, und von Neuem das endlose grüne Meer der Tannen und Fichten. Aber je höher man kommt, desto kleiner werden sie, desto mehr lichten sich die Wälder, nur Gestrüpp wächst schließlich auf dem felsigen Boden, bis auch dieses fast ganz ver schwindet. Dann ist's mit dem Ausschauhalten vorbei; erst fahren wir durch einzelne Holztunnel, die sich in viereckiger Form über d«n Schienen wölben; immer mehr reihen sich die selben zusammen, schließlich bilden sie eine stundenlange, hölzerne, dunkle Straße, nur selten durch schmale Oeffnungen getrennt, die uns dann einen Blick auf die großartigen Felsen gebilde ermöglichen; gegen die winterlichen Schneestürme sind diese sich vierzig Meilen erstreckenden Bauten errichtet, und daß sie etwas auszuhalten haben, beweisen die schweren Planken, aus denen sie bestehen. Endlich aber gelangen wir wieder ins Freie — ah, wie herrlich! Unmittelbar vor unS die hier ganz niedrig er scheinenden Gipfel der Sierra, über ihre Schneefelder und Gletscher haucht in lila-röthlichem Schein die Abendsonne ihre letzten Gluthen aus, und hinein fahren wir nun in diese wunder bare EiSwelt, auf die sich allmählich die nächtlichen Schatten herniedersenken Mit einem Landsmann« saß ich noch lange bei einigen Gläsern Bier und den glimmenden Cigarren im Rauchsalon des Pullmann-Wagens zusammen, von der Heimath plaudernd and von Amerika und von tausenderlei anderen Sachen. Mein neuer Bekannter trug die CapitainS-Uniform der Freiwilligen, sein intelligentes Gesicht mit der goldenen Brille und sein mili- tairisches Auftreten waren mir gleich schon deutsch erschienen und gar nicht verwundert war ich, als er mich deutsch ansprach, sich als Hauptmann Kilian vorstellend; aus dem Badenschen stammend, lebt er schon seit siebzehn Jahren in den Vereinigten Staaten und war bis jetzt als Friedensrichter in Columbus (Nebraska) thätig. Der Ruf zu den Waffen ließ ihn sein« Stellung niederlegen und er trat in derselben Charge, die er schon bei den Milizen gehabt, in das Freiwilligen-CorpS ein, hoffend, bald zum Major befördert zu werden. Mit Stolz er zählte er mir, daß seine Compagnie, die zum überwiegenden Lheil aus Deutschen gebildet, wie auch drei seiner Officiere Deutsche sind, bei der Besichtigung die beste gewesen wäre und wie seine Leute mit Ungeduld darauf warteten, nach den Philippinen gebracht zu werden. Drei Wochen hatt« der Haupt mann schon das Lagerleben bei San Francisco kennen gelernt, jetzt kehrte er auf kurze Zeit nach Columbus zurück, um seine Compagnie zu vervollständigen, es fehlte ihm noch ein Viertel der Leute; über das Commando war er äußerst vergnügt, wollte er doch seine junge Gattin, eine Deutsch-Amerikanerin, und seine beiden Sprößlinge durch seine unvermuthete Ankunft über raschen. Was die Beschaffenheit der Truppen anbelangt, meinte mein Gewährsmann, daß die Freiwilligen-Regimenter sich im Felde und vor Allem in einem Guerilla-Kriege, wie er sich wahrschein lich auf den Philippinen und Cuba entwickeln dürfte, sehr tüchtig bewähren würden. Die Leute sind fast ausnahmslos ab gehärtet, an das Leben in Wald und Feld gewöhnt, treffliche Schützen und „der Krieg macht ihnen Vergnügen". Die Dis- ciplin ist natürlich nicht mit der eines stehenden Heeres zu ver gleichen, der einzelne Mann ist viel zu sehr in Unabhängigkeit ausgewachsen, als daß er sich einer scharfen Beaufsichtigung und gar zu strammen Befehlen fügen würde, es kommt hier recht auf den Tuet der Officiere an, die in vielen Fällen ja ihre Unter gebenen aus den gemeinsamen Wohnorten her kennen. Wie diese Regimenter in einer richtigen Schlacht vor einem wohl- organisirtcn, gut bewaffneten Feinde bestehen und wie sie den Dienst während einer längeren Feldzugs- resp. Belagerungszeit aushalten würden, das ist eine andere Sache; dann würde ihnen wohl der Krieg kein „Vergnügen" mehr bereiten! Spät war »s, als wir uns trennten und Jeder von uns sein Bett aufsuchte, das der bedienende Neger schon seit Langem zurechtgemacht. Ganz vortrefflich fährt es sich in diesen Pull- mann-Wagen, von denen gegenwärtig in den Vereinigten Staaten etwa viertausend laufen; sie verbinden großen Luxus mit behaglicher Bequemlichkeit und machen das langwierige Reisen ertragbar. Auf vielen Linien fährt in den Schnellzügen noch ein Speise- und ein Lesewagen, letzterer mit einer Biblio thek, mit Schreibtischen, mit den neuesten illustrirten Journalen und einer „Bar", dem Ausschank von Bier, Wein, Spiri tuosen u. s. w., versehen. Die Benutzung dieser Pullmann-Wagen ist selbstverständlich nur gegen einen besonderen Fahrschein ge stattet, dessen Betrag sich nach dey betreffenden Entfernungen richtet; für die Linie San Francisco-Chicago, also für vier Tag« und drei Nächte, kostet er 65 Mark, zu denen sich noch Trinkgelder u. s. w. gesellen. Wer es nur irdgendwie ermög lichen kann, sichert sich einen Platz in diesen Waggons, von denen sich oft sechs bis acht in einem Zuge befinden. Die ge wöhnlichen amerikanischen Wagen erster und zweiter Claffe sind nach deutschen Begriffen ganz jammervoll eingerichtet und müssen das Verbringen einer Nacht in denselben zur wahren Qual machen; Alles ist eng und schnudelig, Kopflehnen schien gänzlich und die Füße lassen sich kaum in gerader Haltung ausstrecken. Es scheint, daß die Verwaltungen aller Eisenbahnlinien, die ja in den Bereinigten Staaten sämmtlich in privatem Besitz sind, dahin streben, die Pullmann-Gesellschaft immer noch mehr zu bereichern, sie werden schon wissen, warum, — eine Hand wäscht eben die andere! Schlimm ist es aber, daß darunter wieder die weniger bemittelten Claffen leidcn: „Allel für di« Wohlhabenden, nichts für die Aermeren", wo zeigt sich dies brutaler als im freien Amerika, in welchem einzig der Dollar regiert und Alles, was über die bescheidensten Lebensbedingungen hinausgeht, mit Geld, und zwar mit Silber und Gold, aus gewogen werden muß! Wie viel besser ist's da in dem „ver alteten", dem lieben, trauten Deutschland bestellt! Heute Vormittag ging's durch die endlos weiten Gebiete Nevadas, in denen sich noch ausgedehnte Indianer-Reservationen befinden; natürlich, denn diese Ländereien sind für die weißen Menschen zu schlecht, da hat man die rothen, die einstigen Alleinherrscher hier, für welche die Freiheit kein leerer Wahn war, herg«trieben! Prairien sind es, Hunderte von Meilen sich erstreckend, auf trockenem Boden dürres Gras, hier und da ein kleiner Hügelzug, dann wieder die ununterbrochene Steppe. An verschiedenen Stellen sieht man die Zelte der Rothhäute und letztere sich auf ungesattelten, kleinen Pferden tummeln; an den meist nur aus einigen Bretterbuden bestebenden Plätzen der Bahn, an denen die Maschine Wasser nimmt, stehen die Indianer in einzelnen Gruppen zusammen, in buntgefärbte Decken sind sie gehüllt und mit Perlen verzierte Mokassins bekleiden Beine und Füße, breit« Stroh- und Filzhüte bedecken die mit struppig schwarzen Haaren versehenen Köpfe, aber mit den stolzen Ge stalten der Cooper'schen Romane Haber, sie nur noch geringe Aehnlichkeit, und zumal die Frauen, stumpfsinnig dahuckend und ununterbrochen aus den kleinen Thonpfeifen rauchend, sino von abschreckender Häßlichkeit. Man muß den dunklen Gesellen doch nicht allzu sehr trauen, denn, ohne daß Bodenschwierigkeiten zu überwinden wären, fährt hier die Bahn verhältnißmäßig langsam, auch ist den Indianern gestattet, unentgeltlich auf den Plattformen der Züge zu fahren — damit sie nicht aus Rache die Schienen auf reißen! Zur Mittagszeit verläßt man die unwirthlichen Gefilde Nevadas und dringt mehr und mehr in eine fruchtbare und anmuthige Gegend ein — wir sind im Staate Utah, dessen Gebiete einst ebenso öde und ertraglos waren wie die Nevadas, welche heute aber zu den bestbestellten und «rt.-agreichsten der Vereinigten Staaten gehören. Der unermüdliche Fleiß und die zähe Ausdauer der Mormonen haben dies in erster Linie zu Stande gebracht; mit Wasseradern, die man von den Gebirgen ableitete oder auch künstlich schuf, wurden die ausgrtrockneten Felder durchzogen, kleinere Waldungen entstanden und große Obstpflanzungen wurdrn angelegt, mit frischem Grün bedeckten sich die Weideplätzte, auf denen sich heute Tausende von Rinder-, Schaf- und Pferdeheerben tummeln; an blühenden Ortschaften, die in ihrer Sauberkeit und Wohlhabenheit viel Deutsche» an sich haben, fährt man vorbei, und nut, rtigen hinter dem in ganz eigenthümlichrm starren Silbcrglanze schimmernden Salzsee, den die Bahn theilweise umkreist, die mit wenigem Schnee bedeckten Kuppen des Waschath-GebirgeS auf, da» schützend die Mor monenstadt umgiebt. Im blendenden Scheine zuckender Blitze und bei grollendem Donnergetöse konnte ich um die achte Abend stunde dir heilige Stadt der Mormonen begrüßen.
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