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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.08.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980809019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898080901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898080901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-08
- Tag1898-08-09
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Zm Jahre 1895 hieß eS: „Bismarck ist ein Privatmann, der den Reichstag nichts angeht", heute wird gesagt: „Der Alt reichskanzler gehörte noch im Tode der Nation und seine Hinter bliebenen haben ihr ihn unberechtigterweise vorenthalten." Manches von diesem Geschwätz entspringt auch dem privaten Aerger industriöser Reporter, deren Zudringlichkeit an der Pietät des Fürsten Herbert Bismarck eine unübersteigliche Schranke gefunden hat. Zum größer« Theile aber ist die Preßtreiberei gegen das HauS Bismarck auf Abneigung gegen dessen verstorbenes großes Oberhaupt, sowie auf die Ber- muthung zurückzuführrn, abfällige Kritik an den Friedrichsruher Borgängen der vergangenen Woche fände in „oberen Regionen" Beifall. Das Letztere ist nicht glaublich, vielmehr sind wir überzeugt, die wuchernde Byzantinerei, die sich, wie zu furchten steht, nach dem Tode Bismarck'S noch mehr als bisher breit machen wird, hat hier über das Ziel hinauS- geschossen. Der ganzen raisonnircnden Gesellschaft ohne Unterschied der Triebfeder sei bemerkt, daß Fürst Bismarck allerdings im Leben wie im Tode der Nation an- gehört, daß aber Diejenigen, die ihn aufrichtig ver ehrten, durchaus zufrieden sind mit den Anordnungen, die in Friedricksruh getroffen wurden. Diese konnten gar nicht anders sein, als sie waren, da der letzte Wille des Verewigten zu achten War, sie wären aber auch ohne dieses zwingende Gebot sympathisch gewesen. Wer hinter den Be stimmungen deS Altreichskanzlers mehr sucht als das der Natur des großen ManneS entsprechende Bedürfniß nach Einfachheit, der thut sehr gut, das Thema nicht weiter fort zuspinnen. Denn die Betrachtung führt alsbald zu dem Er- aebniß, daß der neue CurS verzweifelt wenig Antheil an BiSmarck hat. Derselben Kategorie von Kritikern wäre auch daS Abbrechen der Erörterung hinsichtlich der Veröffentlichung des Entlassungsgesnchs deS Fürsten BiSmarck und diese« Aktenstücke« selbst dringend zu empfehlen. Es hätte der (an anderer Stelle von uns erwähnten) ausdrücklichen Versicherung nicht bedurft, daß die bekannt gegebene Abschrift in keinem irgendwie er heblichen Punkte vom Original abweicht. Die Erregung eines Zweifels an der Echtheit hätte als das denkbar Ungeschickteste, waS diensteifrige Federn thun konnten, gelten dürfen, wenn nicht der „Reichsbote" uns be lehrte, daß man noch — unpolitischer sein kann. DaS Blatt weist, in den Spuren der „Zukunft" wandelnd, auf die Inkonsequenzen tatsächlicher Angaben deS Entlassungs gesuches und der dieses „genehmigenden" CabinetSordre hin und verlangt „die volle Wahrheit in einer amtlichen Dar stellung". Dieser absonderlichen Forderung läßt der „Reichsbote" seinerseits „Enthüllungen" folgen, an deren Richtigkeit zu glauben er sich das Ansehen giebt. Ein inzwischen verstorbener hervorragender Abgeordneter soll erzählt haben, infolge der häufigen und langen Abwesenheit des Fürsten Bismarck von Berlin habe sich der Kaiser dort ganz isolirt gefühlt, zumal da auch kein Minister zu ihm ge kommen sei, um ihm Vorträge zu halten. Auf eine dahin gehende Klage deS Monarchen habe ein Minister erwidert, er und seine College« seien zu Zmmediatvorträgen nicht be rechtigt. Daraufhin hätte der Kaiser bemerkt, bei solchem unhaltbaren Zustande sei er vollkommen bei Seite gestellt; das Weitere wäre dann daS Verlangen nach der — bekanntlich bis heute nicht erfolgten — Aushebung der CabinetSordre von 1852 gewesen. Wer diese« Geschichtchen liest, kann sich der Erinnerung nicht er wehren, daß der fromme „Reichsbote" ein guter Freund des Scheiterhaufen-Mannes Stöcker gewesen ist und für diesen beute noch Vieles übrig hat, wie er andererseits dem Fürsten BiSmarck, an dessen Kirchlichkeit die Frommen im Lande ja immer viel auSzusetzen batten, niemals so recht hold war. Auch der oberflächlichste Kenner der Geschichte der Jahre 1888/90 weiß, daß die damalige häufige und lange Abwesenheit de-Kanzlers die Folge des kaiserlichen Wunsche«, in Wichtigen Angelegenheiten nicht von Bismarck berathen zu werden, und nicht die Ursache deS Bruches mit der von Wilhelm I. überkommenen Politik gewesen ist. Der „Reichsbote" glaubt übrigen- selbst nicht an den unge schmälerten Fortbestand de- kaiserlichen Vertrauen« in Bismarck'S Wirksamkeit der damaligen Zeit und an die Abwesenheit als einen Grund der Entfremdung. Er schreibt nämlich, nachdem er von den socialpolitischen Meinungsverschiedenheiten gesprochen: „Auch in der äußeren Politik wurde damals als Niederschlag einer Stimmung in hohen Kreisen die Redensart colportirt: „ES geräth nichts mehr." Wir wollen nicht glauben, daß der Verfasser der berüchtigten „Germania"-Artikel „Es gelingt nichts mehr" in hohen Kreisen Geistesverwandte gehabt hat, jedenfalls aber ist die Andeutung des „Reichsboten" durchaus unver einbar mit jener Erzählung von der Zsolirung deS Kaisers. Ein Freund deS Fürsten Bismarck, der den nun Ent schlafenen am 5. September 1897 besucht hat, berichtet darüber in den „Dresdner Nachrichten" u. A.: „Der Altreichskanzler habe geäußert, es sei ihm nicht bekannt, wie seine, deS Fürsten, seiner Zeit viel beachteten Aus lastungen über die konservativen Führer in die „Neue Freie Presse" gelangt seien. Er spreche keine staatsverbrecherischen Gedanken aus, aber es sei traurig, wenn er sich in seinem eigenen Hanse über politische Dinge nicht mehr äußern könne, ohne deshalb in der Oeffent- lichkeit sich verantworten zu müssen. Die jetzt ge äußerte Meinung über die Conservativen habe er bereits als Staatsminister öffentlich bekannt. Auch Harden sei indiScret gewesen. Aeußerungen wie die über die KaiserinAugusta seien doch rein privater Natur und eS sei ungeschickt, ihm mit solchen Veröffentlichungen Unbequemlichkeiten zu bereiten. Hier gaben namentlich die Damen des Hause-BiSmarck ihrem Ungehaltensein über die Indiskretionen Ausdruck." Das Ende -es Lärmer Aerztestreikes. Die „Franks. Ztg." hat sich der verdienstvollen Arbeit unterzogen, den Barmer Aerztestreik an Ort und Stelle unter suchen zu lasten; sie schreibt: „Das Verhalten der Barmer Ortskrankenkasse, die etwa 22000 Mitglieder und einen günstigen Finanzbestand aufweist, war seit Jahren schon danach angethan, den 30—40 Kassenärzten, die vertragsmäßig die Praxis für die Castenmitglieder ausübten, die Verbindung mit der Cafse zu verleiden. Die social demokratischen Arbeitervertreter haben in der Cassen Verwaltung die Mehrheit, und wie anders wo, so hält cs auch in Barmen die Socialdemokratie für eine Partei- und Ehrensache, möglichst billig zu wirthschaften, auf allen Gebieten des Caffenbetriebes in die Augen springende Er sparnisse zu machen, die Rücklagen der Cafse möglichst anzuhäufen, um dann darauf Hinweisen zu können, wie viel wirthschaftlicher die Partei das Castenwesen leite als die frühere „bürgerliche" Verwaltung. Sie stützt sich dabei auf einen Arzt, der als Fach mann und als eifriger „Genosse" ihr vollstes Vertrauen genießt. Es ist dies vr. F. Landmann, früher praktischer Arzt und Castenarzt eines Sanitätsvereins in Elberfeld-Barmen, dann Gründer eines „Bureaus für die Medicinalangelegenheiten der Krankenkassen" in Boppard und gegenwärtig in dieser Eigen schaft als ärztlicher Beirath von Krankencassenvorständen wieder in Elberfeld ansässig. Er revidirt die Recepte der Cassenärzte im Auftrage des Vorstandes und entwickelt hierin großen Eifer. Er dringt auf Verschreibung möglich st wenigerundbilligerArzneien, fordert von den Aerzten, daß sie die Patienten ermahnen, Arzneigefäße, Gläser und Schachteln aufzuheben und den Apotheken zu neuer licher Verwendung zu übergeben u. s. w. Die sachliche Miß stimmung verschärfte sich noch durch die Formen der Cassen- kcitik an der ärztlichen Wirksamkeit. Die Cafse führte eine Statistik ein, die u. A. den Durchschnitt des Auf-, wandes festlegt, den jeder Arzt bei der Behandlung der Mitglieder erreichte. Ueberstieg irgend ein Arzt diesen Durchschnitt, so wurde er schriftlich in oft recht schroffer Tonart aufgefordert, „Rechenschaft abzulegen" über das Warum der Ueberschreitung, und wie er „derlei fernerhin abzustellen gedenke, widrigenfalls er sich der Kündigung des Vertrages zu versehen habe." Die Apotheker waren von dem Vorgehen der Caste selbst verständlich auch nicht erbaut. Ihr Gewinn aus den Orts krankenkassen ist ohnehin nur geringfügig. Aber obwohl sie 10 Proc. den Cassen als Rabatt bewilligen, forderte die Barmer Cafse auf Landmann's Betreiben eine weitere Ermäßigung der Arzneipreise. Hierüber kam es nun zum öffentlichen Ausstand. Die „Franks. Ztg." erzählt: „Um die Apotheker mürbe zu machen, sollten die Aerzte nicht nur kleine Hausapotheken mit den gebräuchlichsten Mitteln in ihren Sprechzimmern einrichten, sondern auch eine bestimmte Summe Geldes von der Caste entgegennehmen, um daraus jedem Kranken die Beträge für einzelne Recepte baar mitzugeben. Als sich die Aerzte einmüthig besten weigerten, weil ihnen diese „Vermittelung" über die ärztliche Pflicht erheblich hinauszugehen schien, kündigte ihnen die Cafse glatt den Vertrag. Die Ärzte schaft erwiderte durch den Hinweis, daß mündliche Abmachungen vorlägen, die dem Vertrag eine mindestens einjährige Dauer gewährleisteten. Die Kündigung könnte folglich erst vom 1. Juli ab eintreten. Das Vorhandensein derartiger Verabredungen wurde cassenseitig auch zugegeben, und da mit den Apothekern ein neuer Vertrag zustande kam, so konnte man den Zwist für abgethan halten. Die Aerzte indessen hatten sich, gestärkt durch das bewiesene Zusammenhalten, entschlossen, den für sie un erträglichen Zuständen nunmehr ein Ende zu bereiten. Die Caste hatte die Kündigung gegen die Aerzte nicht zurückgenommen, und somit erklärten diese ihrerseits am 17. Juni, sie würden in 14 Tagen, am 1. Juli, den Dienst für die Caste einstellen, falls nicht bis dahin ein neuer Vertrag unter Berücksichtigung ihrer Wünsche zu Stande gekommen sei. Diese Wünsche for derten: 3 jährige Vertragsdauer, Erhöhung der Besoldung von 2,75 auf 3 pro Kopf der Mitgliederschaft und vermehrten Einfluß des Aerzteausschustes, der in der letzten Zeit niemals mehr einberufen worden war, gegenüber den Receptkritiken. Die Cafse suchte den ihr drohenden Schlag abzuwchren, aber in einer Form, die hier festgenagelt werden muß. Alle die heftigen Worte, angewendet auf Streikende, die doch nur ihr gutes Recht wahrnahmen, gerade so wie die Arbeiterschaft es dem Unternehmerthum gegenüber so und so oft unter dem Beifall der Socialdemokratie wahrnimmt, alle die starken Dinge sollen de: Socialdemokratie noch eher verziehen sein als das zwei- deutigeSpielmitfalschenAngaben, das sie nach weislich mehrmals getrieben hat. Erstens erschien eines Tages eine Anzeige der Ortskrankenkasse, die „zwanzig Wohnungen für Aerzte per sofort" suchte. Niemand wird ernsthaft bestreiten wollen, daß dadurch der Anschein hervorgerufen werden sollte, die Caste habe für den 1. Juli bereits zwanzig Ersatzleute in ihrem Dienst und brauche nur noch die Wohnungen. Diese Auf fassung wurde auch außerhalb der Presse in Versammlungen und Unterredungen geflissentlich verbreitet, so daß die streikenden Aerzte eine Zeit lang bedauerten, nicht ihrerseits ganz nach be rühmten Mustern inserirt zu haben: „In Barmen streiken die Aerzte. Vor Zuzug wird gewarnt!" Wir meinen, daß die Cafse hier versucht hat, nicht nur die Gegenpartei, vielmehr auch die eigenen Mitglieder in dreister Weise über den wahren Thatbestand irre zu führen. Zwanzig Aerzte — die Zahl stimmt zufällig mit der, die von der Aufsichtsbehörde als der ungefähr nöthige Bedarf angegeben wurde, vr. Landmann aber glaubte hinterher, mit sieben Aerzten das Bedürfniß vollauf zu decken. Warum sucht man dann zwanzig Wohnungen? Der Auswahl wegen? Die hat man auch bei einem Gesuch um drei Wohnungen hinlänglich. Und weiter hat die Ortskrankenkasse sich beifallen lassen, eine Reihe von Namen solcher Aerzte zu veröffent lich: n, die sich ihr angeblich zur Verfügung gestellt hätten. Die Folge war, daß die Caste von den meisten dieser Aerzte sich öffentlich Lügen st rasen lassen mußte. Die betreffenden Aerzte hatten sich der Caste keineswegs verpflichtet, sie hielten fest zu ihrem Stande. Ein dritter Fall: Kurz vor der Ent scheidung versuchte die Cafse, mit einzelnen der streikenden Aerzte Sonderverträge abzuschließen, unter dem Vorgeben, es hätten schon die meisten anderen Aerzte unterschrieben. Einige der Hintergangenen fielen in der That auf das Manöver herein, sie zogen freilich ihre Zusage alsbald wieder zurück, als sie erfuhren, daß man ihnen eine falsche Voraussetzung vorgespiegelt habe. Man wollte also die sonst so verpönten „Streikbrecher" schaffen. Das sind denn doch ganz unverantwortliche Machen schaften im socialdemokratischen Lager, und wenn dergleichen bei einem Arbeiterausstand seitens der Unternehmer angestellt würde, so möchten wir die Entrüstung mit erleben, in der sich dann die Socialdemokratie gefiele! Der Erfolg dieser Bemühungen war jedoch nur gering. Am 1. Juli gab es statt de: bisherigen 30—40 Cassenärzte nur noch 7, darunter 3 von auswärts herbeigezogene. Die Kranken thaten sich zu EingabenandieRegierungzusammen, es spielten sich im Ortskrankencastenhaus lebhafte Scenen ab, und die Cafse begann einzusehen, daß sie dem Druck von oben und unten nicht widerstehen könne. Sie verstand sich daher in einer Sitzung, die ein Vertreter der Düsseldorfer Regierung leitete, dazu, die Forde rung der Aerzte in fast allen Stücken zu bewilligen. Das war das Ende des Barmer Aerzte- ausstandes. Die socialdemokratischen Großprahlereien blieben in diesem Fall gründlich erschlagen auf der Wahlstatt. Trägt der Barmer Aerztestreik dazu bei, das Machtbewußtsein mancher Arbeiterführer nach dem normalen Stande der Thatsachen zu reguliren, so wird nicht nur die Orts- krankencassenbewcgung wieder auf den Weg der gesunden und zweckentsprechenden Entwickelung gewiesen, nicht nur die deutsche Aerzteschaft in der Verbesserung ihrer socialen Lage bestärkt, sondern auch unsere gesammte Arbeiterpolitik nützlich beeinflußt werden. Deutsches Reich. O. H. Berlin, 8. August. Die deutschen socialdemo- kratischenGewerkschaften sollen nach einer socialdemo- kratischcn Zusammenstellung 1897 419 162 Mitglieder zählen gegen 335 088 im Vorjahre; das wäre die höchste Mitgliederzahl, welche sie je besessen. „Organisirt" sind kaum 15 000 Arbeite rinnen, man sieht also, daß die focialdemotratische Frauen bewegung immer noch nicht Fortschritte gemacht hat. Die Agi tatoren behaupten bekanntlich, daß die Arbeiter, welche einmal Mitglieder einer „Organisation" geworden, selten fahnenflüchtig werden, und daß deshalb die 419162 Mitglieder eine „fest geschlossene kampfesfrohe" Masse bilden. Nun liegt uns aber zufällig der Jahresbericht des Deutschen Holzarbeiter verbandes vor; er wies am Schlüsse des Jahres 1897 42 576 Mitglieder auf, darunter 313 weibliche; in dem Bericht wird darüber Klage erhoben, daß von den ca. 30 000 im Laufe des Jahres in Folge der vielen Lohnbewegungen Neueingetretenen die M e i st e n dem Verband wieder den Rücken gekehrt haben. Aehnlich liegen die Dinge bei den anderen Special verbänden ;dergroßeStreikderSchneider undder Schneiderinnen in Berlin im Frühjahr vor 2 Jahren führten dem Verbände Tausende von Mitgliedern zu, jetzt sind sie sämmtlich wieder verschwunden. In den socialdemokratischen Wahlvereinen sind etwa 200 000 „Genossen" organisirt, in den Geselligkeitsvereinen (Gesangvereinen, Rauchclubs, Turnver einen, Ruderclubs) noch nicht 80 000, so daß also die gesammte organisirte socialdemokratische Heeresmacht sich auf 700 000 Menschen stellt. Da nun eine große Anzahl „strebsamer" Ge nossen sowohl den Wahlvereinen, als den Gewerkschaftsverbän- dcn angchört, vielleicht auch in den Gesangvereinen oder Rauch clubs thätig ist, so wird man die Zahl der „organisirten" Ge nossen mit 500 000 richtig taxiren; zieht man ferner in Betracht, daß mindestens ein Drittel der „organisirten" Genossen das wahlfähige Alter noch nicht erreicht hat, so haben wir rund 333 000 organisirte wahlberechtigte Genossen — und 1750 000 Mitläufer der Socialdemo kratie bei den Wahlen; es kommt nun darauf an, die verärgerten mißgestimmten Mitbürger zu überzeugen, daß sie mit der Abgabe eines socialdemokratischen Stimmzettels ihre Situation in keiner Weise verbessern, freilich, wenn am grünen Tische weiter solche Fehler gemacht werden, wie bisher, dann wird die Bekehrung der 1750 000 Mitläufer immer schwieriger. * Berlin, 8. August. Bekannt ist der Vorschlag, den Con- sum von Zucker, der von großem Nährwerthe ist, in Deutschland dadurch zu heben, daß man Zucker zu einem dauernden Be- standtheil der Soldatenkost macht und dadurch indirekt die Bevölkerung in höherem Grade, als es bisher geschehen ist, an den Zuckergenuß gewöhnt. Vorbedingung für eine erhebliche Steigerung des Zuckerconsums der unbemittelten Elasten wird zwar immer ein niedrigerer Preis sein, als er jetzt gezahlt wer den muß, aber das Heer kann auch beim heutigen Stande der Dinge schon zum Zuckerconsumenten gemacht werden. In teressant sind nach dieser Richtung praktische Versuche, die der Oberstabsarzt Leitenstorfer bei den letzten Kaisermanövern ver anstaltet hat. Er berichtet in der „Deutschen Militairärztlichen Zeitschrift": In je einer Compagnie der drei Bataillone wur den zehn Mann zur Zuckerernährung und zehn Mann als Con- trolleute bestimmt; bei der Auswahl der Zuckerleute wurden pauptsächlich mittellose und schwächliche Leute der Compagnie berücksichtigt. Es wurde mit sieben Stückchen Würfelzucker am Tage begonnen, und bis auf durchschnittlich zehn bis zwölf Würfel gestiegen. Die Ergebnisse dieses Versuches waren nun folgende: Zunächst stieg das Körpergewicht der Zuckerleute während der Manöver mehr als das der Eontrolmänner. So dann ergab sich, daß durch Zuckergenuß das Hungergefühl Georg Ebers. Nachdruck vnsvtni. Die Trauerkunde vom Tod« de- allbekannten Gelehrten und beliebten Romandichter- wird überall die wärmste Theilnahme erwecken, besonder- aber hier in unserer Stadt, wo er so lange Zeit gelebt und gewirkt hat, wo so viele Kreis« „seiner Sitten Freundlichkeit" kennen gelernt und Zeuge waren von einem so geduldig ertragenen Märtyrerthum, da feine schöpferische Kraft und feine- Geiste- frei« Regungen nicht zu verkümmern vermochte. Georg Eber- ist am 1. März 1839 zu Berlin geboren, wollte sich zuerst 1856 dem Studium der Recht« widmen, doch studirte er feit 1858 klassische und orientalische Philologie, seit 1859 »»«schließlich Egyptologie unter Anleitung seine- anregenden Lehrer«, Richard Lepsiu-, dem er seinen Dank noch im Jahre 1885 durch da« treff liche Lebensbild, da- er vou dem Gelehrten entwarf, bezeugte. Eber- verfiel damal- in eine schwere Krankheit und besuchte nach seiner Genesung die berühmtesten Museen Europa-, um archäologisch« Stndien zu machen. Im Jahre 1885 habilitirte er sich iu Jena für da- Fach der altegyptischen Grammatik und Geschichte, wurde 1868 außer ordentlicher Professor und machte da- Jahr darauf eine Reise nach Egypten, Nubien und Syrien. Seit 187V gehörte er al- ordentlicher Professor der rgyptischen Sprache und AltrrthumSkunde der Universität Leipzig an. Eine zweite Reist nach Egypten unternahm er im Winter 1872—73 uud verlebte denselben meistens unter den Trümmern Thebens, wo er neue Inschriften entdeckte und vor allen einen dem 16. Jahrhundert entstammenden Papyro« fand, welcher jetzt seine« Namen trägt und sein Hauptwerk veranlaßte, daS ihm auf dem Gebiete altegyptischer Wissenschaft einen dauernden Namen verschaffte: „PapyroS Eber-, da« herme tische Buch über die Arzneimittel der alten Eqypter in hieratischer Schrift (2 Bde. 1875); eine deutsche Ueber- setzung erschien 1876—90. Im Iayre 1889 mußte Eber seine akademische Lehrtätigkeit aufgeben, genöthigt durch seine Krankheit, die ihm seit Jahren nur in seinem eibenen Heim Vorlesung«» zu halten erlaubt hatte. Er lebte seitdem im Sommer in einer Billa in Tutzing, im Winter in München. Seine schriftstellerische Thatigkeit war durch seine körperlich« Lähmung nicht ebenfalls gelähmt worden. Er veröffentlichte noch zahlreiche gelehrt« Arbeiten: „Ueb«r die hieroglyphischen Schriftzeichen der Egypter" (1890) über „die koptisch« Kunst" (1892), über „eme Galerie autiker Portrait«" (1889), wie er schon früher einen sachlichen EommeutarzurGenest«und dem Exodu- berau-gegebeu. An da- große Publicum wendete sich sein Wauderbuch durch Gosen zum Sinai, sowie die Texte, dir er zu mehreren illustrirteu Prachtwerken über Egypten schrieb. Doch während seine streng wissenschaftlichen Arbeite« nur einem enaerrn Kreise von Fachgelehrten zugänglich waren, während die populärere« Schriften über Egypten Vorzug«, weise buchhändlerischen Interessen dienten, hat sich Georg Eber- durch eia freie« dichterische- Schaffe», durch Romane, denen er durch seine reichen wissenschaftlichen Kenntnisse einen lebensvollen und werthvollen Hintergrund gab, einen Platz in unserer deutschen Nationalliteratur gesichert. Den Uebergang zu dieser dichterischen Tbätigkeit bildete seine Schrift: Eine ägyptische Königstochter (3 Bde. 1864), welche von dem Wunsche dictirt worden war, die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung dem großen Lese- publicum in anziehender Weise zu vermitteln, ähnlich wie der Altertbum-forscher Barthrlsmy die« in seiner Schrift: „Die Reise de« jungen Anacharsi« in Griechenland" mit Bezug auf die griechischen Altertbümer gethan. Die „egyptische Königs tochter" erlebte zahlreiche Auflagen; einige Biographen des Dichter- find geneigt, sie für seinen besten Roman zu halten; er ist vielleicht der lehrreichste, doch da« Zwitter haft«, da« zwischen lehrhafter Tendenz und fesselnder freier Erfindung schwankt, konnte er nicht überwinden, da sein ursprünglicher Zweck doch für die Anlage de« Ganzen bestimmend blieb. Da trug der nächste Roman: „Uarda" (3 Bde. 1876) doch mehr die Signatur freier Erfindung, so daß er auf den Namen eine« selbst ständigen Dichtwerke« Anspruch machen konnte. Zwar verleugnet sich auch hier der Archäologe Eber« durchaus nicht; er verweilt mit Behagen bei Sittenschilderuugen, welch« in ihrer Breite mehr di« Resultate des Forscher« in- Licht zu fetzen suchen, al- durch die Nöthiaung de- dichterischen Schaffen- geboten find. Wa« wir über das Schul- und Tempelwesen der Egypter erfahren, über die Einbalsamirung der Todten, über Zaubrrwesen und LiebeStränke, über die geächteten Classen, über die Kamvkwris« der alten Eqypter — da- ist zwar hier und dort mit Geschick in die Handlung verwebt, aber c« wächst auch vielfach über dieselbe hinaus, so daß ihr spannender Gang dadurch unterbrochen wird. Immerhin ist diese Spannung vorhanden, sie wird durch manche Roman mittel wach gehalten und dadurch unterscheidet sich „Uarda" vortheilhaft von der rgyptischen Königstochter; man mag den modernen Firniß tadeln, durch den sich die Hauptgestalten wie der Pentan mit seiner Faustnatur, der materialistische Arzt und andere unserer Denk- und Empfindungsweise nähern, die dem Anschein nach steifen Linien der rgyptischen Kunst gebilde, welche Ebers iudeß durchaus nicht als maßgebend ansah für egyptische- Leben und Denken, durchbrechen — der Roman dichter gewinnt dabei, waS der Culturhistoriker zu verlieren scheint. Und der Roman ist reich an dichterischen Schön heiten; wir rechnen dazu da« Charkaterbild der Uarda, de- MävchenS au« dem Norden, der jungen Märtyrerin, die Schilderung der Begegnung Pentaur'S mit der eigentlichen Heldin im Hriligthum der Hator, die prächtige Naturlyrik von hymnenbaftem Schwung in Pentaur'S Gedankenergllssen auf der Sinaihalbinsel, die Beschreibung der Schlacht und de- Schloßbrande». „Uarda" ist der größte der altegyptischen Romane, welche da« Nilland ohne seine Beziehungen zu den anderen Cultnr- Völkern schildern; nur einmal kehrte er in „Josua" (1890) in da« graue egyptische Altertbum zurück; er schilderte in diesem Romane glänzend der Auswanderung der Juden und den Zug durch da« rothe Meer, wobei da- biblische Wunder durch eine naturwabre Schilderung erklärt wird. Di« übrigen Romane durchbrechen da« abgeschlossene alte Egypterthum, indem sie meistru« den Einbruch der Griechen uud Römer in
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