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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.08.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980817015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898081701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898081701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-08
- Tag1898-08-17
- Monat1898-08
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Größere Schriften laut unserem Preis- ve-zeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbefürderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigkn: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. —— Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Mittwoch den 17. August 1898. 92. Jahrgang. Die Erhöhung der Zinsfüße der preußischen Genossenschaftscasse. K Eine um ihrer selbst willen und als Symptom der allgemeinen wirtbsckaftlichen Lage beachtenSwerlhe Maßregel ist von der preußischen Central-GenossenschaftScasse ergriffen worden. Dies halbstaatliche Institut, welches die Aufgabe hat, der Landwirthschaft und dem Handwerk durch Vermitte lung von Gcnossenschastsverbäiiden unter möglichst günstigen Bedingungen Gelddarlehen zu gewähren, hat für die Zeit von l. Oktober d. I. bis 1. April 1899 den seit seinem dreijäbrigen Bestehen 3 Proc. für Vorschüsse und 2>/r Proc. für Einlagen betragenden Zinsfuß auf 4 bezw. auf 3 Proc. binausgesetzt. Officiös wird der Schritt mit den gänzlich veränderten Verhältnissen deS Geldmarktes, einer „ganz allgemeinen Hebung des landesüblichen Zinsfußniveaus in Deutschland", die als eine dauernde anzusehen sei, begründet. Es mag Herrn v. Miquel nicht leicht geworden sein, seine Presse mit dieser Erklärung der Zinserhöhung hervortreten zu lassen, denn die im vorigen Jahre bewirkte ZinS- herabsctzung sür 3500 Millionen preußischer StaatS- papiere war ihrerseits mit der Ueberzeuguug motivirt, daß der damalige allgemeine Zinsfuß ein stabiler bleiben, wenigstens nach oben hin sich nicht verändern werde, und die schon früher erfolgte Ausgabe von Zprocentiger Reichs- und Staatsanleihe gründet sich gleichfalls auf diese Voraus sicht. Die 3procentigen Consols nun, die schon den Paristand erreicht hatten, notiren jetzt 95'/r und der DiScont der Neichsbank, der im Jahre 1895 durchschnittlich 8 Procent betrug, wird im Durchschnitt des lausenden Jahres Wahrscheinlich über 4 Procent hinauSgehen. Man siebt, es ist nicht leicht, dem Geldpreis aucb nur im weiten Rahmen das Horoskop zu stellen. Indessen ist anzu erkennen, daß der Irrthum, wie er ein verzeihlicher war, auch ein unschädlicher geblieben ist. Die Ver steifung des Geldstandes in Deutschland hat eine erfreu liche Ursache, einen im Großen und Ganzen soliden Auf schwung von Industrie und Handel, der die Nachfrage nach Geld dermaßen steigert, daß englisches, französisches und amerika nisches Capital es vortheilhaft fand, Anlage bei uns zu suchen. Die Höbe des Geldpreise» übt auch keine der Landwirthschaft nacktheiligcn Wirkungen aus. Diese erzielt vielmehr bessere Preise für ihre Erzeugnisse, als seit Jahren, für manche bei nahe schon sür den Verbraucher empfindliche Preise. Daß freilich Herr von Miquel jetzt, wo er den gesteigerten Zins fuß als einen dauernden ansieht, ebenso Unrecht bebält, wie früher, wo er einen erheblich niedrigeren für stabil kielt, ist eine Erwartung, deren Anhaltspunkte mindestens schwankende genannt werden müssen. Es wäre das erste Mal in der neueren Wirtschaftsgeschichte, daß einer industriellen Hochfluth, wie wir sie jetzt beobachten, nicht die Ebbe folgte, und geschieht daS, dann wird ein, vielleicht recht > beträchtlicher, Rückgang des Geldpreises nicht ausbleiben. Die , Hinaufsetzung des Zinsfußes bei der preußischen Centralgenossen- schaftScafle ist auch nicht für die Ewigkeit, sondern nur für ein halbes Jahr verfügt, und Freunde wie Gegner der Maßregel scheinen den Eindruck zu haben, daß das Vorhaben bestehe, sie am 1. April k. I. wieder ganz oder teilweise rückgängig zu machen. In einer zweiten officiösen Begründung, oder man könnte auch sagen: Entschuldigung der ZinSerhöhung wird schon gesagt, daS Winterhalbjahr sei nicht das des großen CreditbedarfS sür die Landwirthschaft, im Gegenteil würden in diesem Zeiträume die für di« Bestellung und die Ernte gebrauchten, zu 3 Proc. gewährten Darlehen zurückgezablt, und soweit die Landwirthschaft über die entnommenen Beträge hinaus Einlagen bei der Central- gcnoffenschastScafse mache, habe sie an der Erhöhung deS Zinsfußes für Einlagen sogar einen Vorteil von einem halben Procent. Wenn sich daS Organ des Bundes der Land wirte über diese Ausführungen lustig macht und meint, dann hätte die Casse von der Erhöhung ja keinen Vorteil, so vergißt sie, daß das Institut nicht nur für die Landwirt schaft, sondern auch für das auch im Winter capital- bedürftige Kleingewerbe da ist, und daß die Centralcasse sehr beträchtlichen Nachtheil haben müßte, wenn sie sortsübre, an dieses Geld, daS ihr mehr als drei Procent kostet, zu drei Procent ausznleihen. Die weitere Behauptung, daß die Anstalt nunmehr werthloS werde, da die Genossenschaften verkünden, bei der von der Centralcasse verlangten Sicherheit überall anderwärts Geld bekommen zu können, ist eine ungeheuerliche Uebertreibung. Das Genossen schaftswesen in Preußen hat seit der Begründung der Casse eine vordem nie geahnte Ausdehnung erlangt, eine Er scheinung, die nicht allein aus die Gewährung von be sonders billigem Geld, sondern auf der Gewährung von Geld überhaupt — zu nicht übermäßig theurem Preise — zurückjuführen ist. Die Schulze-Delitz'ichen Cassen waren bekanntlich der Begründung von Genossenschaften, wie sie in den letzten Iabren in Massen entstanden sind, nicht geneigt, und ihre Zurückhaltung würde nachträglich gerechtfertigt werden, wenn Landwirthschaft und Handwerk so gesonnen waren, wie die „Deutsche TageSztg." thut, die eS dem Directorium der Centralgenossenschaft übel nimmt, daß es die Gewährung eine- billigeren Zinsfußes als deS allgemein üblichen u. A. deswegen für unstatthaft erklärt, weil nicht zu einer „treib- bauSartigen Entwickelung" deS Genossenschaftswesens der Anreiz gegeben werden dürfe. Unter „treibhausartiger Ent wickelung" versteht man eine ungesunde Entwickelung, und eine solche darf ein dem Staat unterstehendes Institut selbstverständlich nicht bewußter Weise fördern. Wenn die übrigens schon vor geraumer Zeit in Aussicht ge- l stellte ZinSerhöhung bei der Centralcasse die Wirkung haben s sollte, daß man in Preußen die Genossenschaften zwar mit ungeminderter Werthschätzung dieser Form wirthschaftlicher Vereinigung, aber doch auch mit etwas größerer Nüchternheit als bisher betrachten wird, so wäre daS nicht von Uebel. Herr v. Miquel bat eine vielleicht etwas zu große Begeisterung für daS in dem führenden Bundes staat allerdings zurückgebliebene Genossenschaftswesen zu erwecken verstanden und sich selbst schon über das Entstehen von „Punipgenossenschasten" beklagen müssen. Möglich, daß die Erhöhung des Capital» der Central ¬ genossenschaft etwas rascher erfolgt ist, als gut war; e» betrug bei der Gründung im Jahre 1895 10 und beträgt heute mindestens 40, vielleicht schon bis zu fünfzig Millionen Mark. Es gab verständige und wohlwollende Leute, die statt von Einbürgerung von einer Ueberfluthung mit Genossenschaften sprachen. Deutsches Reich. n. Berlin, 16. August. Die Arbeiten an dem in Wilhelms haven auf der kaiserl. Werft im Bau begriffenen Linienschiff „Kaiser Friedrich III." werden so eifrig gefördert, daß die Fertigstellung desselben mit Sicherheit am 1. Oktober er wartet werden darf. Man hat bei diesem neuesten deutschen Panzerschiff die Lehren, die bezüglich der Armirung von Schlachtschiffen aus den letzten Seekriegen sich ergaben bereits in die Wirklichkeit übersetzt. Unsere junge Marine ist darauf angewiesen, aus den Seekriegn anderer Nationen zu lernen. Zu diesem Zweck werden besonders befähigte jüngere Sceofficiere den kriegführenden Marinen zugetheilt. Diese Officiere folgen genau dem Gang der Ereignisse und berichten dann ausführlich an das Obercommando. Die Ergebnisse der Schlacht am Aalufluß waren nach diesen Berichten folgende Forderungen: die Vermeidung des Holzes beim Bau von Kriegsschiffen und die vermehrte Einstellung von Schnellfeuertanonen bei Schlacht schiffen. In welcher Weise diese Erfahrungen für die Be waffnung der Schlachtschiffe verwerthet worden sind, lehrt ein Vergleich der Armirung auf dem neuen Linienschiff „Kaiser Friedrich III." mit den bisherigen Panzerschiffen I. El. des „Brandenburg-Typ". Die letzteren hatten bisher folgende Ar mirung: 6 Stück 28-om-Geschütze, 6 Schnellfeuerkanonen von 10,5- und 8 von 8,8-oin-Kaliber, dazu 8 Maschinengewehre. „Kaiser Friedrich III." wird dagegen wie folgt armirt werden: 4 Stück 24-cm-Geschütze, 18 Stück 15-om, 12 Schnellfeuer kanonen von 8,8-cnn-, 8 Maschinengewehre und 12 Maschinen kanonen von 3,7 ein Kaliber. Die Anzahl der Geschütze hat sich also nahezu verdoppelt, indem sic von 28 auf 54 anwuchs. Die Erhöhung der Stückzahl ist im Wesentlichen bedingt durch die Vermehrung der Schnellladegeschütze. Ihre Zahl ist von insgesammt 20 auf 32 gestiegen, während an Maschinen gewehren hier wie dort 8 vorhanden sind. Das Mehr von 12 entfällt auf die Maschinenkanonen von 3,7 om. Die schwere Artillerie hat eine der Verstärkung der Mittelartillerie ent sprechende Verminderung erfahren. Die 6 schweren 28-<-n>- Geschütze, die man zum ersten Mal auf Panzerschiffen cinfgestellt hatte, haben anscheinend den in sie gesetzten Erwartungen nicht völlig entsprochen und sind infolgedessen durch 4 Stück 24-c-m- Geschütze ersetzt worden. Dafür sind nicht weniger als 18 15- om-Geschütze aufgestellt worden, die mit genügender Durch schlagskraft bedeutende Rasanz verbinden. Damit haben unscr- neuesten Hochseepanzerschiffe eine durchaus moderne und kräftige Artillerie erhalten, die von keiner anderen Marine übertroffen wird. Berlin, 16. August. Die Ankündigung, daß dem Reichstage in der kommenden Tagung eine Novelle zur Invalidität s- und Altersversicherung zugehen werde, ist von verschiedenen Seiten mit der Bemerkung be gleitet worden, der Reichstag werde sich schwerlich geneigt zeigen, den in der vorletzten Session von Seiten der verbündeten Re gierungen gemachten Vorschlag bezüglich der Vertheilung der Rentenlast, zur Hälfte auf die Gesammtheit der Versicherungs anstalten, zur Hälfte auf die einzelnen Anstalten, zu genehmigen. Daraufhin wurde in Aussicht gestellt, daß für diesen Fall wenigstens in Preußen auf administrativem Wege sür Abhilfe der Uebelstände gesorgt werden werde, die sich aus der ungleichen Vermögenslage der Versicherungsanstalten ergeben. Näheres über die Art und Weise, wie diese administrative Regelung der Angelegenheit erfolgen soll, hat nicht verlautet, und einzelne Blätter fassen entweder die Erhöhung der Beiträge für einzelne Anstalten oder die Herabminderung der gesetzlichen Forderung, betreffend die Höhe des Vermögens der einzelnen Anstalten, ins Auge. Wir würden beide Wege für gleich be denklich halten und erinnern daran, daß das bestehende Gesetz schon eine gewisse Fürsorge für den Fall trifft, daß das Vermögen einer Anstalt nicht zur Deckung ihrer Ver bindlichkeiten ausreicht. Zunächst kommt der 8 66 in Betracht, der eine Aenderung der Bezirke der einzelnen Anstalten aus drücklich vorbehält, und zwar, wie sich aus den Motiven und den Verhandlungen über das Gesetz ergiebt, wesentlich auch zur Vorbeugung etwaiger finanzieller Schwierigkeiten. Eine ander- weite Abgrenzung der Bezirke, welche die Zusammenlegung zweier Versicherungsanstalten unseres Erachtens nicht ausschließt, wäre eine administrative Maßregel zur Behebung der ein getretenen Schwierigkeiten, die freilich der Zustimmung des Bundesrathes benöthigen würde. Weiterhin würde aber auch auf den § 44 zurückgegriffen werden können, welcher im Sinne der Solidarität der sämmtlichen Versicherungsanstalten, die das Gesetz trotz aller Decentralisation aufrecht erhalten hat, einen Rückgriff auf die Communalverbände und den Staat gestattet, falls die einzelne Anstalt außer Stande ist, ihren Verbindlich keiten nachzukommen. Daß auch diese Maßnahmen ihr Mißliches haben, ist sicher; sie würden in dem einen Falle die vorhandenen Mißstände nur theilweise beseitigen, in dem anderen zu einer bedenklichen Erschwerung der Durchführung des Gesetzes führen. Ob angesichts dieser Sachlage nicht doch ein besserer und passen derer Ausgleich auf der Basis der früheren vielleicht zu modifi- Feuilleton« Verhandlungendes^Gesehgebendenkörpers" in Frankreich ans -em Fahre 1867. Aus den zuverlässigen Kammerberichten, w.ie sie der officielle „Moniteur Universell' (jetzt „Journal Universel") aus den Märztagen des Jahres 1867 enthält, geht deutlich hervor, wie die Zukunft Preußens resp. Deutschlands den ersten Männern Frankreichs schwere Sorge bereitet. Man fühlt, ohne es sich zu gestehen, daß Frankreich die Vormacht von Europa nicht mehr sei, die es früher zum einen Theil wirklich gewesen war, zum anderen zu sein geglaubt hatte. DaS Königreich Italien jen seits und Preußen mit dem Norddeutschen Bunde diesseits der Alpen: das waren die beiden Machtgebilde, deren Entstehen und Wachsthum die Vertheilung der Bedeutung in der Staatenwelt verändert hatte. Während man die Gründe dieses Umschwunges in dem Naturgesetz und Naturrecht zweier reif gewordenen Nationali täten suchen müßte, wollen die Einen diese Veränderungen au» den willkürlichen Handlungen und Unterlassungen einzelner Menschen herleiten, Andere wieder, und vor Allem die Re gierungspartei, versuchen, trotz aller „patriotischen Beklemmun gen", die der Tag von Sadowa auch ihnen verursacht habe, nach zuweisen, daß bei unbefangener Betrachtung der neuen Lage für Frankreich kein Schaden, sondern sogar ein großer Vortheil ent standen sei, indem man vorher in dem von Oesterreich beherrschten Deutschen Bunde ein 75-Millionen-Reich zu fürchten gehabt habe, jetzt statt dessen nur drei verstümmelte Stücke (trois trouyous): Norddeutschland, Süddeutschland und Oesterreich als drei ge trennte Machtkörper. Aber die Frage Jule» Favre's: Warum dann der Plan eines neuen Wchrgesetze», welche» Frankreich 1200 000 geschulte Streiter geben soll, ^venn seine Lage nicht schlechter, sondern besser geworden sei? traf die Regierung buch stäblich ins Herz. Denn der Gesetzentwurf über die Reorgani sation der Armee, wonach der Dienst im Heere auf 9 Jahre, 5 in der activen Armee, 4 in der Reserve festgesetzt worden war, entsprach nicht den Erwartungen der öffentlichen Meinung, welche die dem Lande auferlegte Last zu schwer fand. Und wenn auch die Kammer mit großer Majorität (215 gegen 44 Stim men) die von der Regierung beobachtet» Politik genehmigte, so waren doch die Angriffe der Opposition, mit Thier» und Favre an der Spitze, nicht ohne Eindruck auf da» Publicum geblieben. Machen Sie Beide doch die Regierung de» Kaiser» verantwortlich für Alle», wa» in Italien und Deutschland sich ereignet hatte. So sah Thier» sei 1859 nicht» al» Fehler, begangen durch die Schaffung Italien», die PreiSgebung Polen» und Dänemark» und di» Zu lassung de» Kriege» von 1866, der so leicht zu hindern gewesen wäre durch die ganz bestimmte Erklärung an Italien, an Oester reich und Preußen: Wir leiden'» nicht! Lassen wir ste selbst reden: ThierS: Wenn ich neulich die Fehler der Regierung ge tadelt habe, so geschah dies keineswegs in dem eitlen Wunsche, zu tadeln, sondern, weil ich denke, daß daS Tadeln begangener Fehler nicht nur mein Recht, sondern auch eine Gewähr für die Zukunft sei. Denn der wirkliche Fortschritt der Freiheit besteht darin, die Zukunft zu verbürgen und die Gegenwart zu be ruhigen durch Aufklärung der Vergangenheit. Unsere Politik wirkt beunruhigend und ist bedrohlich sür die Zukunft, ja, sie ist durch ihre Folgeerscheinungen, die sie hervor bringen kann, außerordentlich gefährlich. Ich würde an ihrer Stelle eine möglichst freie Politik im Innern und eine erhaltende (oou86rvutrie6)im Aeußern einführen. Aber davon findet man bei uns keine Spur. Man hat mir gesagt, daß ich fremd geworden wäre in der Politik unserer Tage,'in Folge meines Alters, meiner Sinnes- richtung. Aber es giebt keine alte und neue Politik. Denn die äußere Politik, das ist die Klugheit zu allen Zeiten. Ein Land ist eine Person, und mag die Regierung sein, wie sie will, ihr Benehmen nach außen darf nicht wechseln, und die innere darf niemals die äußere Politik bestimmen. Wenn ich sagte, die äußere Politik darf nicht wechseln, so muß man doch den Fort schritten der Gesittung Rechnung tragen. Sie muß immer das Interesse des Staates zum Zwecke haben. Man sieht Familien väter, welche Handel treiben, und zwar nicht aus Zerstreuung, sondern um für ihre Familie zu sorgen. Sie können das nun auf streng ehrenhafte Weise thun oder nicht. Ein Volk muß stets ein Ehrenmann sein, der sein Interesse al» solcher zu wahren weiß. Die französische Revolution ist ein Beispiel für meine Behauptung. Ich will Niemand bedrohen, wünscht« vielmehr, daß meine Worte dazu beitrügen, daß wieder Sicherheit Platz griffe. Aber das hochmüthige Preußen, welches das Annectiren von jeher so gut verstand, hatte auch bewirkt, daß die französische Revolution den Kopf verlor, indem sie damals den Krieg an so viele Mächte zugleich erklärte. DaS war eben ein Augenblick des Wahnsinnes. Hat denn die Republik von 1848 den Krieg an ganz Europa er klärt? Nein. Sie hat den Frieden verkündet, und danach ge handelt. Sie stand dem Frankfurter Parlament gegenüber und hat, da sie dasselbe nicht anerkannt», zur Entstehung der deutschen Einheit beigetragen. Al» Italien im Jahre 1866 seinen Bund mit Preußen schloß, wußte e» wohl, daß es uns beträchtlichen Schaden zufügen würde, denn daß die Absichten Preußen» immer, wenn auch nicht unheilvoll, so doch ärgerlich für un» waren, weiß Jedermann. Indem Sie die Einheit Italien» zugelassen haben, haben Sie Frankreich «inen Feind geschaffen. Ja, noch mehr! Die Ein heit Italiens ist ein großes Unheil, den sie ist e», welche die Einheit Deutschlands hervorgebracht hat. Frankreich hat leider den Vertrag von 1852 (Londoner Traktat) preiSgegeben und dadurch zur Verurtheilung Däne marks beigetragen, welchrs unser und Europa» ganzes Interesse wegen seines Heldenmuthes und seines Unglücks verdient. Sie sagen, daß in dem deutschen Conflict die dänische Frage nur ein Zwischenfall gewesen sei, daß die deutsche Frage doch wieder aufgetaucht wäre. Aber Herr v. Bismarck, so geschickt und kühn wie er ist, würde di« deutsche Frage nicht aufgeworfen haben, wenn er nicht diese bequeme dänische Frage in seiner Hand gehabt hätte! Glauben Sie etwa, daß er den Einwand erheben konnte, Preußen wäre im Norden ungenügend begrenzt, und daß er darum vor der Nothwendigkeit stand, dem deutschen Bund« und Oesterreich den Krieg zu erklären? Gegen den, der daS gewagt hätte, würde ein allgemeiner Sturm der Entrüstung lotgebrochen sein. Daher brauchte Herr v. Bitmarck die dänische Frage, um den Krieg gegen Oesterreich zu führen. Wie nun die Elbherzogthllmer in den Händen der beiden gemeinsamen kämpfenden Mächte waren, da war für ihn eine Gelegenheit zum Streite gegeben, welche Herr v. Bismarck in einer Weise ergriff (ich möchte nichts sagen, was ihn verletzte), die wohl seiner Ge schicklichkeit und Kühnheit, nicht aber seiner diplomatischen Ge wissenhaftigkeit Ehre machte. Diese Art, davon Gebrauch zu machen, wird gewiß nicht dazu beitragen, daß das Völkerrecht in Europa Fortschritte macht (Beifall). Sie behaupten, daß die deutsche Einheit in den Geistern schon vorhanden war; aber Jedermann kennt die Deutschen. Sie sind chneller im Ersinnen als im Ausführen. Es fehlte am Ein- verständniß. Die Einen wollten die Einheit durch Preußen, die Anderen mittels eines Parlaments, Andere endlich durch Oester reich. Es gab eben keinen gemeinsamen Weg bei den Anhängern der deutschen Einheit. Nach der Auflösung des Frankfurter Parlaments waren die Einheitsbestrebungen verschollen. Ich sage nicht, daß sie nicht hätten wieder aufleben können, aber sobald wäre dies nicht geschehen, wenn sie Italien nicht von Neuem angefacht hätte. Denn ohne die Ereignisse des letzten Jahres würde wohl die deutsche Einheit lange Zeit gebraucht haben, um sich zu verwirklichen. Da sagt man mir, der Zollverein wäre doch schon ein An fang der Einheit gewesen. Nun, ich habe seiner Zeit Reisen durch Deutschland gemacht. Man mußt^manchen Tag 8 bis 10 Zoll-Linien überschreiten, und das war unerträglich. Ich habe die ausgezeichnete Person gekannt, welche der Vater des Zoll vereins war. Sie hieß Cotta, ein Buchhändler, der auf ehren volle Weise ein beträchtliches Vermögen erworben hat, und nicht an die Einheit Deutschlands dachte. Preußen, welches doch zuerst diese Einrichtung hätte begünstigen müssen, hat sich anfangs gar nicht damit befaßt. Vielmehr ist der Gedanke des Zollvereins in den kleinen Staaten entstanden, und wir konntm ihm nicht hinderlich sein. Sie konnten wohl die deutsche Einheit, nicht aber den Zollverein verhindern. Als der Kaiser Franz Joseph die deutschen Fürsten nach Frankfurt berief, waren dieselben sicher nicht gewillt, die deutsche Einheit zu schaffen und ihre Kronen niederzulegen. Frankreich flößte vielmehr Deutschland B«- sorgniß ein, und weil dieses fürchtete, angegriffen zu werden, darum schloß es sich zusammen. Eine bessere Politik unsererseits Würde Reformen erzeugt haben, die Europa nicht die geringste Unruhe verursacht hätten; davon bin ich durchaus überzeugt. Da nun die Einheitsbestrebungen so mächtig waren, war es für Sie unverzeihlich, so sehr an der italienischen Einheit mit geholfen zu haben. Wenn Deutschland so begeistert war, wenn das Pulver sich leicht entzünden konnte, warum haben Sie das Feuer so nahe daran gelegt? Das war mindestens eine Un klugheit. Es war ein unqebeurer Fehler, die Einheit Italiens gefördert zu haben, weil sie denselben Bestrebungen in Deutsch land Aufschwung verleihen mußte. So haben sich nun die Dinge zugetragen, wie ich es schon 10 Monate früher vorhergesagt habe, und das war wahrlich nicht schwer. Ich sage es dem Herrn Staatsminister ganz offen, daß seine Art zu urtheilen, nicht immer richtig ist. Wenn es auch nicht leicht war, aber wir konnten damals die Bewegung aufhalten. Wußte doch Jedermann, daß der General Govone wegen eines Bündnisses zwischen Preußen und Italien unter handelte, und in ganz Europa meint man heute noch, daß Frankreich damals nur ein Wort zu sagen gebraucht hätte, um dem Kriege vorzubeugen. Sagen doch die Italiener selbst, um sich wegen des Vorwurfs der Undankbarkeit zu rechtfertigen, daß sie niemals das Bündniß mit Preußen eingegangen wären, wenn sie gewußt hätten, daß es Frankreich nicht gewollt hätte. Warum sind in dem Gelb-Buche die diplomatischen Akten stücke erst vom 8. Mai an veröffentlicht, und nicht eine einzige Depesche aus den zwei vorhergehenden Monaten, da der Krieg entschieden wurde? Was bedeutet diese GeheimtPicrei vor dem Lande, welches Alles wissen muß? Man lege uns doch die Depeschen vor, in denen die Regierung Preußen und Italien zuruft: Haltet ein mit euren Rüstungen! Freilich vom 8. Mai an war es zu spät, was in den vorhergehenden Wochen ein Leichtes gewesen wäre. Ich fordere jeden einsichtsvollen Menschen in Europa auf, mir zu sagen, ob ich nicht Recht habe, wenn ich behaupte, daß damals Frankreich mit einem Worte Alles aufhalten konntz, was es jetzt nicht mehr vermag. Wie ist nun jetzt die Lage? Der Zustand Deutschlands ist für uns besser geworden, meinen Sie, weil das Deutschland von ehemals unter Oesterreich mit 75 Millionen Seelen zu einem Deutschland mit 40 Millionen Einwohnern (die Süd staaten eingerechnet) zusammengeschrumpft ist. Aber wir haben an unseren Thoren den berühmten (illu-Nro) und gefürchteten Herrn von Bismarck, der über 40 Millionen Menschen verfügt und den Rhein entlang über eine ganze Reihe gut be festigter Plätze. Das europäische Gleichgewicht ist also ver ändert und die Lage augenblicklich so ernst, wie nie zuvor. Daher komme ich nun zu der Politik, die wir befolgen müssen. Diese ist aber keineswegs die der Regierung, welche ich für gefährlich halte, weil Europa glauben muß, wir strebten nach Vergrößerung. Daher bekämpfe ich sie. Eine andere Art Politik ist die, welche sagt: Entweder sofort den Krieg oder den Beweis, daß wir auf Preußen nicht eifersüchtig sind. Ich bin nicht für den Krieg, welcher die Ereignisse beschleunigt, anstatt sie auf zuschieben. Andererseits glaub« ich nicht, daß Preußen für uns ein so guter Nachbar sein wird, daß wir zu ihm volles Ver trauen haben können. Daher bin ich für eine wachsame Politik, welche die ernste Lage für uns anerkennt. Wenn Sie immer wiederholen, daß die gegenwärtigen Verhältnisse für Frankreich günstig liegen und Sie nicht einen einzigen Fehler begangen haben, dann begehen Sie den schwersten Fehler. Man be queme sich zu einer Politik, die für die Staaten Europas Ver trauen erweckend ist, welche die Vertheidigung aller Interessen betont und das Princip, an keine Erweiterung des Machtgebietes zu denken, offen ausspricht! So werden die Geister beruhigt und Sie werden es erleben, wie Glück und Gedeihen im Lande einkehren, Handel und Verkehr erstarken. Daher noch einmal: Beachten Sie den Wunsch der Kammer, der sich deckt mit dem des Landes, und brechen Sie mit einer Politik, welche so wenig Erfolg gehabt hat, und nehmen Sie eine Politik an, die im Innern Freiheit gewährt, nach außen Beruhigung und Stetig keit erkennen läßt! Darauf erwidert Staatsminister Rouher: Ich werde die Einwände des angesehenen Herrn Thiers nach einander zu wider legen versuchen. . , , , Wenn wir unsere Artillerie, unsere Jnfanteriegewehre und Schiffe j«ht einer Umwandelung unterziehen wollen, wie die selbe durch den Fortschritt der Wissenschaft und Technik auf diesen Gebieten bedingt ist, heißt da», zu einem Kriege drängen?
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