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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.09.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980905029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898090502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898090502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-05
- Monat1898-09
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Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr, di« Lbeud-AuSgabr Wochentag- um b Uhr. . Filialen: Ltt» Klemm'« Tortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Pauliauw), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, pari, und AvnigSplatz 7. LeLaction und Lrpe-itioa: IohanueSgaffe 8. Dir Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet voo früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Bezugs-Preis I» der Hauptrxprditton oder de» tu» Ctabt- bezirk und den Vororten errichteten Au«» aavestellen abgrholt: vierteljährlich ^l4.üO. bei jtvrimaligrr täglicher Zustellung in« Hau« 5.Ü0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliäbrlich ^l 6.—. Direkte tägliche Arruzbandsenduag tu« Ausland: monatlich 7.b0. Abend-Ausgabe. MpMcr Tageblatt Anzeiger. Amtsölatt -es Königlichen Land- im- Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Notizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. AnzeigenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter demRedactionSstrich (4ue- spalten) üO/g, vor den Familieonachrichlen (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis» verzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Vellage« (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbefvrderung ^l 60.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Auuahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. vet den Filialen und Annahmestellen je etue halbe Stund« früher. Anzeige« sind stet» an die Expedition zu richten. » » Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. M. Montag den 5. September 1898. 82. Jahrgang. Vie Demission Cavaignac's. —p. Wieder ist die DreyfuS-Angelegenheit, die noch fort gesetzt da« allgemeine Interesse in hohem Grade beschäftigt, einen Schritt weiter vorwärts gekommen. Nachdem der Chef des Generalstabes BoiSdeffre die Consequenz seiner unglaublichen „Vertrauensseligkeit" gezogen bat und gegangen ist und nachdem der Chef des geheimen Nachrichtendienstes, Oberstlieutenant Henry, sich die Kehle durchschnitten bat, um nicht noch Schwerere« al« die Fälschung eines Briefes be kennen zu müssen, ist al- drittes Opfer der DreyfuS-Zola- HochfluthderKriegSMinister Cavaignacvon seinem Posten verschwunden und eS gehen schon seit einigen Tagen Gerückte, daß er nicht der einzige Mann „über Bord" bleiben werde. Cavaignac's Verhalten ist durchaus loyal und man kann ihm eine gewiss« Sympathie nicht versagen. Er hat sich zwar auch in der unverantwortlichsten Weise von dem Fälscher Henry dupiren lassen, aber er war doch ehrlich genug, die Untersuchung über den Zola - Proceß wieder aufzunehmen. Ihm ist eS zu danken, daß eS Licht zu werden beginnt. Wenn Cavaignac jetzt geht, so geschieht eS nicht auS Motiven, die BoiSdeffre bestimmten, sondern weil er trotz der Aufdeckung deö Henry-Schwindels noch immer an die Schuld DreyfuS' glaubt und er sich mit dieser Ansicht allein unter seinen Ministercollegen sieht. Cavaignac's Schritt könnte imponiren, denn man ist geneigt sich zu sagen: ein Mann, der als DreyfuSgegner eben emen der ersten Belastungs zeugen gegen DreyfuS entlarvt hat und nun doch DreyfuS fallen läßt, wird von Leidenschaft weder für noch gegen bewegt, er urtheilt lediglich sachgemäß, objectiv, unbeeinflußt. Allein die gesammte öffentliche Meinung in Frankreich ist bis auf zwei oder drei Blätter jetzt fü/ die Revision des Dreyfus- ProcesseS und daS Gesammtministerium außer Cavaignac hat sich der Ueberzeugung nicht verschließen können, daß zwingende Revisionsgründe gegeben sind. Gegenüber dem Verhalten des Kriegsministers trifft die „Liberty" das Richtige, wenn sie schreibt: „Die Frage, ob Dreyfus schuldig ist oder nicht, ist nicht mehr angebracht; die einzige Frage ist noch, »b der Gefangene der Teufelsinsel gesetzlich und regelmäßig abgeurtheilt wurde mit allen Garantien, auf welche der Angeklagte Anspruch hat, und die allein die Autorität der edoso jugös begründen. Das ist die einzige Frage und darin gerade giebtS kaum mehr Raum zu Meinungsverschiedenheiten." Cavaignac richtete folgendes Schreiben an Brisson: „Ich habe die Ehre, mich an Sie zu wenden und ich bitte Sie, dein Präsidenten der Republik mein Entlassungsgesuch zu über- Mitteln. Es besteht zwischen uns eine Meinungsverschieden- heit, durch deren Fortdauer die Regierung in einem Augenblicke lahmgelegt würde, wo es besonder« ihrer Entscheidung bedarf. Ich bleibe von der Schuld de« Dreyfus überzeugt und nach wie vor entschlossen, mich einer Revision seines Processe» zu widersetzen. Zwar war e« nicht meine Absicht, mich den Verantwortlichkeiten der gegenwärtigen Lage zu entziehen, aber es würde mir nicht möglich sein, dieselben auf mich zu nehmen, ohne mit dem Ehef der Regierung, welcher ich anzugehören die Ehre habe, einer Meinung zu sein. Genehmigen Sie rc." Von der Schuld de- ExcapitainS konnte der KriegSminister wohl überzeugt sein, aber der Revision durfte er sich nicht widersetzen! Der Revision steht nun Wohl nach dem Ausscheiden Cavaignac's schwerlich noch etwas im Wege. Fraul Dreyfus, welche vor einiger Zeit einen Antrag auf! Annullirung des UrtheilS eingereicht hatte, der bis jetzt gar I nicht beantwortet worden ist, hat nunmehr auf Grund des z tz 3 des Artikels 443 der Strafprocchordnung an den Justiz minister Sarrien ein Gesuch um Revision deS ProcesseS gerichtet und als Revisionsgründe außer der Verwendung geheimer Aktenstücke im Proceß gegen ihren Gatten als „kalt nouveau" die Fälschung Henry's angegeben. Die Verhandlungen im Schooße des Ministeriums über die Revision sind im vollen Zuge. Gestern setzte, wie uns gemeldet wird, Ministerpräsident Brisson den ganzen Tag die Unterredungen mit den Ministern Sarrien, Bourgeois und Delcassö fort; es wurden die verschiedenen Fälle in Er wägung gezogen, in denen eine Revision durch daS Gesetz bestimmt wird. In dem heutigen Ministerrath werden die genannten Minister ihren College» daS Ergebniß ihrer Berathungen mittheilen. Es geht, wie wir schon andeuteten, das Gerücht von einer größeren Ministerkrise und es heißt, der Ackerbauminister Viger und der Minister der öffentlichen Arbeiten Tillaye würden ebenfalls drmissioniren, für welchen Fall mehrere Blätter den Zusammentritt der Kammer fordern. Nach den letzten unS vorliegenden Meldungen soll indessen von den Ministern keiner gesonnen sein, Cavaignac zu folgen und die Annahme, die Kammern würden einberufen werden, wird als unbegründet bezeichnet. Der Präsident der Republik ist in Begleitung seines Cabinetchefs Le Gall und zweier Officiere seines Militairstaates gestern Vormittag in Paris auf dem Bahn hose St. Lazare eingetroffen. Er wurde empfangen von dem Minister des Aeußeren DelcaM, dem Unterrichtsminister Bourgeois, dem Militairgouverneur von Paris, General Zurliaden, und anderen Persönlichkeiten. Im AnkunstSsalon batte der Präsident eine ziemlich lange Unterredung mit den Ministern Delcasss und Bourgeois und später mit dem General Zurlinden. Darauf begab er sich ins Elyssee. Auf dem Wege wurde er von der Bevölkerung ehrerbietig begrüßt. Ein Zwischenfall ereignete sich nicht. Wie cs beißt, wird Bourgeois das Kriegsministerium interimistisch übernehmen. Man fügt hinzu, lLavaignac'^ Nachfolger werde der General Saussier sein und daß, für den Fall der Ablehnung deS Generals Saussier, das KriegS- portefeuille dem General Zurlinden angeboten werden solle, die beide als der Revision geneigt bezeichnet werden. Die „Patrie" droht, die beteiligten Officiere würden im Falle der Revision alle Schleier zerreißen, alle Geheimnisse der Dreyfus-Affaire enthüllen, obwohl das unbedingt den Krieg bedeute, und die „Libre Parole" behauptet, die Consequenz einer Revision sei der Krieg, ob nian wolle oder nicht. Dies soll Eindruck auf die öffentliche Meinung machen, aber solche Phrasen, die bis vor Kurzem noch ganz Frankreich erregten, verfangen heute nicht mehr. Wir stehen am Vorabend der Revision. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. September. Die Ansprachen, die der Kaiser in jüngster Zeit gehalten hat, zeugen erneut von seinem tiefgehenden Verständnis für die wirtschaftlichen Interessen des modernen Deutschland. Zu der Rede in Main; gesellen sich als erfreuliche Kund gebungen in dieser Hinsicht die Reden, die der Kaiser dieser Tage in Hannover gehalten bat. Zweimal hat der Kaiser mit den deutlichsten Worten zu er kennen gegeben, daß er von der Ueberzeugung durchdrungen ist, die Durchführung deS Baues deS Rhein - Weser - Elbe- SanalS liege im Interesse deS ganzen Landes und werde sich zu einem segenbringenden Werk gestalten. Der Kaiser bezeichnete den Mittelland-Canal als eine „große, wichtige Culturaufgabe", als ein Werk „von grundlegender, einschneidender Bedeutung", als eine „große nationale Unternebmung", die lange und eingehend bearbeitet worden sei. Diese Charakterisirung eines Verkehrsunternehmens, das dazu bestimmt ist, die seit mehr als einem Menschen alter ventilirte Frage einer ausreichenden Wasserverbindung zwischen dem Westen und dem Osten der Monarchie zu einem gedeihlichen Austrag zu bringen, wird im ganzen Lande Widerhall finden. Der agrarischen Opposition gegen diese „große nationale Unternehmung" ist die Meinungs äußerung des Kaisers natürlich ein bitterer Kelch. Die „Deutsche Tageszeitung" giebt denn auch ihrer Stimmung in folgender Kritik der hannoverschen Kaiserrede Ausdruck: „Se Majestät der Kaiser bat gestern in Hannover gesagt, daß eine Vorlage über den Mittelland-Canal dem Landtage zugehen werde, und daß er auf ihre Annahme hoffe und rechne. Daß der Kaiser der Canalsrage lebhaftes Interesse entgegenbringt und die Vollendung des Mittelland-Canals wünscht, war längst bekannt. Es entspricht seiner Eigenart, seine Wünsche bei gegebener Gelegen heit zu äußern, und so war diese Aeußerung hier und da in der Presse schon als bevorstehend angekündigt worden. Deswegen hat sie uns nicht überrascht, obwohl die Stellungnahme des Fürsten für eine künftige, dem Landtage zu unterbreitende Vorlage an sich etwas Ungewöhnliches ist. Was den Mittelland-Canal anlangt, so sind wir bekanntlich anderer Meinung als Se. Majestät. Diese Meinung jetzt nochmals polemisch auseinanderzusetzen, ent spricht nicht unserer Gepflogenheit. Sobald die Vorlage dem Land tage unterbreitet ist, werden wir sie der Kritik unterziehen, in den Formen und den Instanzen gegenüber, die verfassungsmäßig gegeben sind." DaS ist wieder der echte, rechte, trotzige Bündlerton. Die „versassungszemäße Kritik" verspricht recht interessant zu werden. Ob sie wieder über den verfassungSgemäßen Kugel fang hinaus an die „ungewöhnliche" Stelle gehen wird? Jedenfalls gilt es, bei den preußischen Landtagswahlen mit dem Nahen eines agrarischen Wirbelwindes zu rechnen. , Als kürzlich in einer gelegentlich gefälligen Zeitung von der Absicht, die Thronfolge tu Lippe durch Landesgesetz zu ordnen, als von einem geplanten „Gewaltstreich" gesprochen wurde, mußte man annehmen, daß wieder mächtig für die schaumburgische Linie gearbeitet werde. Die Erwartung hat sich erfüllt. Jetzt schreiben, wie bereits mitgetheilt, die immer gefälligen „Berl. Pol. Nachr.": „Durch die Zeitungen ging kürzlich die Nachricht, die fürstlich lippische Regierung beabsichtige, gegenüber dem Einspruch der fürst- lich schaumburgischen Regierung die Thronfolge der gräflich lippe- biesterfeldischen Linie durch ein Landesgesetz festzulegen, ehe sich der in jenem Streite angrrufene Bundesrath über seine formelle Zu ständigkeit schlüssig gemacht habe. Wir bestreiten die Richtigkeit dieser Nachricht; die fürstlich lippische Regierung wird selbstverständ lich schon aus Gründen der Bundessreundtichkeit nicht die dem Bundesrathe gebührende Rücksichtnahme außer Acht lassen." Die Mehrzahl der Zeitungen, die sich zu dieser „Note" äußern, erblicken in ihr kein Dementi, sondern eine nack Lippe gerichtete Drohung. .Dieser Eindruck läßt sich denn auch nicht abweisen. Nur darf man nicht glauben, daß sie vom BundeSrath auSgeht, oder auch nur, diese Körperschaft würde in einer landesgesetzlichen Regelung der lippiscken Erb- schaflsfrage eine Verletzung der ihr schuldigen Rücksicht er blicken. Im Gegentheile ist die vorherrschende Meinung die, daß die Mehrheit des BundeSraths nicht diesen, sondern eben die lippische Gesetzgebung für zuständig hält, die Angelegenheit zu ordnen. Jedenfalls aber ist cs ein taktischer Fehler, wenn man in dieser Sache in Berlin das Wort „Bundesfreundlichkeit" in den Mund nimmt. Die socialdemokratische Presse folgt nur der an ihr gewohnten Wahrheitsliebe, wenn sie den Anhängern erzählt, das Bürger- tbum und die bürgerlich- Presse wollen und predigen einen völligen Stillstand in der Tocialpolttik. Neuerdings hat sich erst wieder gegenüber der Anregung, zur Bildung der Auf sicht über die Betriebssicherheit in den Bergwerken Arbeiter heranzuziehen, das Gegentheil erwiesen. Dieser Vorschlag ist in der bürgerlichen Presse wohlwollender Prüfung be gegnet und nicht zum Wenigsten dort, wo man Acte der „Socialpolitik", die nicht um ihrer selbst, sondern um der Versöhnung willen geschehen, wie z. B. die Gestaltung der Disciplin in den Spandauer Staalswerkstätten, entschieden vcrurtheilt. Der Vorschlag, Arbeitern einen gewissen Antheil an der Controle im BcrgwerkSbetrieb einznräumen, ist noch Gegenstand lebhafter Erörterung. Unseres Erachtens spricht ein Vorkommniß der neuesten Zeit eher für als gegen die Maßregel. Am 20. August ist, wie gemeldet, ein Schacht der Zeche „Victoria Matthias" eingestürzt und hat sechs Arbeiter unter seinen Trümmern begraben. Das Oberbergamt erklärte, daß dem Unglück kein Verschulden zu Grunde liege. Dem gegenüber veröffentlicht ein Steiger Namens Kuhlmann ein Schreiben, welches er schon im Mai an den zuständigen Bcrginspector gerichtet haben will und in dem er sagt, er habe bereits im September vorigen Jahres „den Schacht in einer Verfassung, die aller Beschreibung spottet", gefunden. Insbesondere seien Hölzer darin gewesen, „die man mit der bloßen Hand zerdrücken konnte, wo von sich die königliche Bergbehörde noch beute an der ersten Sohle überzeugen kann." Die „Deutsche Berg- und Hütten- arbeiterztg." fügt zu diesem Schreiben u. A. hinzu: „Wir machen die Bergbehörde und die Staatsanwaltschaft noch auf Eins aufmerksam: Auf der Zeche sind Schachthötzer versiegelt worden und zum Gericht geschafft, um als eorpus äolieti zu dienen. Nun behaupten aber die Bergleute von Zeche „Gustav", daß die versiegelten Hölzer niemals im Schacht gewesen sein könnten. Ein Arbeiter soll sich erboten haben, wirkliche Schachthölzer auS der Tiefe zu holen; es soll ihm aber nicht gestattet worden sein." Kuhlmann scheint wegen Trunkenheit entlassen worden zu sein. Da er die Zeche verklagt bat, wird seine Glaub würdigkeit und die der genannten Zeitung ja wohl gerichtlich festgestellt werden. Sind die unglaublich klingenden An schuldigungen falsch, so hätte man es mit einer Verleumdung zu thun, die bei einer geordneten Theilnahme von Arbeitern an der BcrgwerkSaufsicht sich nicht so leicht hervorwagen, jedenfalls aber einen schwächeren Eindruck machen würde, als er jetzt festgestellt werden muß. Von Interesse sind die Aus führungen, die die „Nordd. Allg. Ztg." augenfcheinlich officiös zu dieser Angelegenheit macht. Es heißt da: „Die Verstärkung der Grubenconlrole durch Einfügung eines - localen unteren Aufsichtsapparats ist bekanntlich von der Regierung ins Fenilleton. Henny Hurrah! 4) Roman von Ernst Clausen. Nachdruck vrrbotkn. Ms die Lustbarkeit der Anderen einen ziemlich hohen Grad erreicht hatte, hört« Uexhus, wie Seefried die Aeußerung machte, daß Mr. Brown nicht nur der Tapetenfabrik wegen als Kom pagnon seines Vaters so lange hier bleibe, und daß die Lieute nants nahe daran waren, ein Complot zu machen, um Henny Tressing vor den Bewerbungen dieses Herrn zu schützen, sowie, daß man Seefried, der auf den letzten Bällen Henny den Hof gemacht hatte, etwas mit diesem Nebenbuhler arrfzog. „Na", rief er, „was daS anbetrifft, so ist Alfred Seefried mindesten« ebenso hoffnungsreich, wie ein Mr. Brown." Der Doppelsinn in dem Wort« „hoffnungsreich" — vielleicht war er nicht einmal so gemeint — ärgerte den langen Premier- lieutenant. Er sagte trocken in einer Gesprächspause: „Sie thäten besser, mein Verehrtester, Ihre Unwiderstehlich keit nicht so genau in Courant auszudrücken!" „Wie meinen Sie das, Herr Graf?" „Genau, wie ich es sage, lieber Herr! DaS Casino unseres Regiments ist doch kein HeirathSbureau uckd kein Ort, um Handelsstatistik zu treiben!" Er stand schnell auf, ehe Derjenige, an welchen diese Worte gerichtet waren, Zeit fand, sich den Sinn derselben ganz klar zu machen, und am anderen Morgen hatte dieser nur noch eine unklare Empfindung, daß ihn der Graf am Tage vorher hatte ärgern wollen. Er brachte aber mit dem besten Willen den Sinn d«r Worte Nicht mehr zusammen. Ein anderer Officier machte UexhuS später Vorwürfe wegen seiner scharfen Worte. — Dieser lächelte nur ironisch und meinte: Er hat sie gar nicht verstanden. Wissen Sie, mein Lieber, e« giebt eine instinct- artige Empfindlichkeit für Beleidigungen, die durch Generationen al« erbliche Feinfühligkeit angeboren wird. Man kann da« von Seefried'« noch nicht verlangen!" Graf Uexhu« war der TypuS seiner Rasse und rin fanatischer Anhänger hereditärer Belastung und Autstattung, in Gutem und Bösem, doch fand er dir Schwächen der Aristokraten gerade so scharf herau« und scheute sich nicht, Jedem, der zuhören wollte, e« auch zu sagen. „Ich sehe absolut nicht ein, Mutter, was dieser Herr Brown am Sylvesterabend bei uns soll? Wir sind bis jetzt jedes Jahr unter uns gewesen, das heißt im engen Verwandtenkreis, und nun soll plötzlich dieser Wildfremde dabei sein; die ganze Sache wird ungemüthlich werden!" — Dabei zog Henny den Kamm so heftig durch ihre starken blonden Haare, daß es knisterte, während ihre Mutter in einem Haufen alter Spitzen herumkramte, um die besten herauszu suchen. — Es waren noch viele alte kostbare Gewebe darunter, aber auch viel neuer Schund, der wenig Geld gekostet, aber dafür nach der ersten Wäsche Löcher bekommen hatte. Die beiden Damen befanden sich im Schlafzimmer und machten Toilette vor dem Essen. Es war ein einfach einge richteter Raum; den beiden hölzernen Bettstellen sah man es.an, daß sie viele Umzüge Mitgemacht hatten; vor jedem derselben lag ein alter Teppichrest als Läufer. In diesem Raum pflegten die Kinder der Mutter, Menn diese zwischen zwölf und ein Uhr sich umzog, ihre Leiden und Freuden zu berichten. Die Jungen klagten über die Gemeinheit der Klassenlehrer und die Mädchen bettelten um die Erlaubniß, den Sonntagshut auch an Wochen tagen zu tragen. In diesem Zimmer zerbrach sich Frau von Tressing Abends den Kopf, wie sie mit dem Haushaltsgeld auskommen sollte, und der Oberst grübelte darüber nach, ob eS billiger sei, Stein- oder Braunkohlen zu brennen, zuweilen in ganz trüben Stunden auch, ob er noch lange genug leben würde! Henny's Mutter legte sorgsam eine Spitzengarnitur aus Großmutters Zeiten zusammen. Sie war eine vornehme alte Dame, besonders beim Sortiren alter Spitzenreste. Das volle, graue, gut frisirte Haar paßte hübsch zu der kleinen Morgen mütze und zu dem feinen, zarten und doch energischen Gesicht, welches eine Intelligenz verrieth, di« nach jahrelangem Druck und in Folge jahrelanger Uebung sich nur der realistischen Seite des Lebens zuwenden wollte und mußte. — „Mein liebes Kind, wenn ich den Wunsch äußerte, diesen Mr. Brown am Sylvesterabend bei uns zu haben, so-hatte ich meine Gründe dazu, — welche zu verstehen Du alt genug bist. Dein Bruder lernte ihn in Berlin kennen und veranlaßte ihn, bei uns Besuch zu machen. — Herr Brown zeigt zu deutlich den Wunsch, in unserem Hause freundschaftliH und zwanglos zu verkehren, und ich finde, daß er ein verständiger Mann ist mit soliden Grundsätzen und guten Manieren. Außerdem weiß der arme Mensch doch nicht, wo er den Abend zubringen soll!" Die letzten Worte sollten ohne Frage ihren verständigen Argu menten «inen sanften Zuckerguß von Gemüth geben. Henny zog die noch etwas eckigen Schultern unter dem Frisirmantel in die Höhe. „Na, meinetwegen, Mama! Ob er sich bei uns wohl fühlen wird, bezweifle ich, aber das ist ja seine Sache! Eine Frage, Mutter —", sie sah ihr eigenes Gesicht erwartungsvoll im Spiegel an — „meinst Du eigentlich, daß ich Herrn Brown heirathen soll?" Sie hatte einen Theil ihrer Haare in Strähne getheilt und flocht daraus einen dicken Zopf. „Henny, wie kannst Du so fragen? Du bist ja noch ein halbes Kind! Heirathen? Du lieber Gott, so weit sind wir noch nicht!" „Er will mich schon", antwortete Henny und zog den Zopf so fest zusammen, als wolle sie einen Strick daraus drehen. Die Mutter warf ihr einen scharfen Blick zu. — Henny's Worte klangen fast herausfordernd. „Kind, das klingt beinahe arrogant! Hat er sich Dir gegen über irgend eine Anspielung gestattet? Du weißt genau, daß ich nie eine meiner Töchter in diesen Dingen beeinflussen möchte. Ich erziehe Euch für das praktische Leben, daS ist Alle«!" „Für Anspielungen, Mutter, ist der Amerikaner gar nicht zu haben, glaube ich. Auf jeden Fall starrt er mich oft eine Viertel stunde lang stumm cm. Vielleicht sind daS amerikanisch« An spielungen! Papa würde sagen: Ich wollt?, er hätte meine alten Stiefel und ich sein Geld! Und ich — nun, ich gäbe viel darum, wenn ich ihm einmal die Zunge herauSstrecken könnte!" „Henny!" „Mama?" „Gewöhne Dir vor allen Dingen den Studentenjargon ab! — Keinesfalls aber solltest Du die Sach« von diesem kindischen Standpunkt aus betrachten! Ein Mädchen mit Deinem Musteren und Temperament hat immer ihre Zukunft in der Hand. Bedenke das! Du weißt, Wie erbärmlich aussichtslos heutzutage di« Zukunft eines jungen Mädchens ist, welches kein Vermögen besitzt und dessen ganze Familie auf die Pension deS Vaters angewiesen ist. Es ist unser« Pflicht, daran zu denken, was aus Euch werden soll, wenn der Vater und ich die Augen zumachen." Henny ließ die Unterlippe hängen. „Ihr hättet uns etwas Ordentliches lernen lassen sollen, so wir Hedwig Sternfeld." Frau von Tressing zog die Augenbrauen zusammen. „Ganz abgesehen von meinen Ansichten über diesen Punct, mein liebes Kind, möchte ich wirklich wissen, ob Du dafür be sonderen Beruf in Dir fühlen würdest! Nebenbei ist cs das sicherste Mittel, einem jungen Mädchen unserer Stände jeden Weg zu einer passenden Partie abzuschneiden." Daran war etwas Richtiges, was Henny verstehen mußte. Was sie hätte erwidern können, war zu viel, saß ihr zu tief, als daß sie es so rasch hätte herausbringen können, aber sie dachte mit einer gewissen Erbitterung daran, daß sie als verschämte Arme für ein Weißwaarengeschäft in Berlin hier und da Stickereien anfertigte und den elenden Erlös dieser Arbeit zwangsweise in die nie zulangende Haushaltskasse fließen ließ. Sie hatte das seit einem Jahre aus eigenem Antriebe begonnen. Die Mutter ahnte es, hielt es aber für angemessen, es zu ignoriren. So war Henny froh, als ihr ältester Bruder an die Thür klopfte und um Einlaß bat. — Er war in voller Uniform, «in schlanker, gut aussehender Mensch mit etwas weichlichen Gesichtszügen. „Na, Henny, bist Du bald fertig? Wir müssen uns be eilen, wenn wir den Besuch bei Seefrieds noch vor Tisch machen wollen. Der Alte wartet schon und schilt Mord und Brand auf unpünktliche Frauenzimmer." „Also soll dieser Besuch wirklich gleich erwidert werden?" fragte Henny, den Frisirmantel ablegend und rasch in die Taille fahrend. „Er läßt sich nicht gut umgehen, da Seefrieds bei uns Besuch gemacht haben. Seine zweite Frau ist aus guter Familie; so lange die erste lebte, war ein Verkehr nicht gut möglich; sie war wirklich kaum präsentabel." „Nun", meinte Henny — „der dicke Commerzienrath ist aber doch derselbe geblieben." „Nein, liebes Kind, über den Geist eines Hause- entscheidet vor allen Dingen die Persönlichkeit einer Frau!" Dabei drückte Frau von Tressing den Visitenhut auf di« grauen Haare. „Wollen wir Seefrieds sammt dem Herrn Lieutenant nicht auch zu Sylvester einladen, ebenso wie Karl'« Amerikaner?" spottete Henny. „Unsinn!" Damit rauschte die Mutter hinaus. „Du, Henny!" sagte Karl und bohrte eine auf dem Tisch liegende lange Hutnadel durch die gestickte Tischdecke. „Du sprichst so gewissermaßen wegwerfend von Mr. Brown! Ick wollte Dir nur sagen, daß er ein kolossal anständiger Mensch ist und ich mich ihm verpflichtet fühle!" „Wieso? Hat er Dir das Leben gerettet, Karl? Oder einen neuen Schneider für Civilanzüge empfohlen?"
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