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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.09.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980907023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898090702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898090702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-07
- Monat1898-09
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Neelameu unter demRedactionSstrich spalten) SO>4, vor den Familtrunachrichk» (6 gespalten) 40^. Gröbere Schristen laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz uach höherem Tarif. Optra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen. Ausgabe, ohne Postbefördrrung ^l VO.—, mrt Postbrsörderong >ll 70.—. Älmahmeschiuß für Tiuzeigen: Ab end »Ausgabe: BormittazS 10 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« frnher. Anzeigen sind stet« an die Expedition z» richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig 82. Jahrgang. Der Schutz der Arbeitswilligen. Der Kaiser hat, wie uns telegraphisch gemeldet wird gestern, Dienstag, bei der im Curhause zu Oeynhausen stattgehabten Galatafel für die Provinz Westfalen fol genden hochpolitischen Trinkspruch ausgebracht: „Umgeben von Erinnerungen Meiner Jugend, noch unter dem Eindrücke des Jubel- des schönen Festes an der Porta, freue Ich Mich, Meine treuen Westfalen am heutigen Tage an Meiner Tasel zu begrüßen. Bei den nahen Beziehungen der Provinz zu Meinem Hause ist es stet- sür Mich eine Freude, wenn Ich mit de» West» falen zusammenkommen kann, und doppelt freudig begrüße Ich Sie am heutigen Tage, der in das 2L0. Jahr fällt, da dieses schöne Land an das Haus Brandenburg und Hohenzollern fiel. Die Geschichte hat gezeigt, daß eine hervorragende Tugend der Westfalen die eiserne, unentwegt festhaltende Treue ist, die sie bewiesen haben und ihre Regimenter aus dem Schlachtfeld?, die sie bewiesen haben io guten und in bösen Tagen sür Mein HauS. Ich begrüße Sie daher von ganzem Herzen. Bon Len Arbeiten, denen Ich als König und Landesherr in Meinem schweren Berufe obliegen muß, ist derjenige Theil, der die Provinz Westfalen be trifft, immer für Mich eine Freude. Denn in ihren Grenzen sind in gleicher Weise gleich mächtig, gleichwerthig und gleich arbeitsam vertreten eine blühende Landwirthschaft und eine auswärts strebende Industrie, und, wie Ich eben schon dank» erfüllt die Vertreter Ihrer Bauern habe empfangen können und von Neuem Grüße und Versprechungen und Treue um Treue habe aus tauschen können, so begrüße Ich auch die Gelegenheit von Neuem, der westfälischen Industrie Meine volle Theiluahmc und An- erkennung aussprechen zu könne». Wie Alle, die de» industriellen Betrieben obliegen, so haben auch Sie ein wachsames Ange auf die Entwickelung unserer socialen Verhältnisse, und Ich habe Schritte gethan, soweit eS in Meiner Macht steht, Ihnen zu Helse», um Sie vor wirthschaftlich schweren Stunde» zu bewahren. Der Schutz der deutschen Arbeit, der Schutz Desjenigen, der arbeiten will, ist von Mir im vorigen Jahre in der Stadt Bielefeld feierlich ver sprochen woroen. Das Gesetz naht sich seiner Voll» endung und wird den Volksvertretern in diesem Jahre zugehen, worin Jeder — er möge sein, wer er will, und heißen, wie er will — der einen deutschen Arbeiter, der willig ist, seine Arbeit zu vollsühren, daran zu hindern versucht oder gar zu einem Streik anreizt, mit Zuchthaus bestraft werde» soll. Die Strafe habe Ich damals versprochen, und Ich hoffe, daß das Volk in seinen Ver- tretern zu Mir stehen wird, um unsere nationale Arbeit in dieser Weise, soweit es möglich ist, zu schützen. Recht und Gesetz müssen und sollen geschützt werden, uud soweit werde Ich dafür sorgen, Laß sie aufrecht erhalten werden. Sie aber, meine Herren, fordere Ich auf, mit Mir auf das Wohl dieser blühenden und herrlichen Provinz zu trinken, die ausgebreitet liegt in ihrer landschaftlichen Schönheit, mit ihrem treuen Volke unter der segnenden Hand des großen Kaisers. Ich wünsche Ihnen von Herzen, daß Sie Ihre hohen Eigenschaften bewahren mögen. Vor allen Dingen wünsche Ich dem westfälischen Bauer, daß er sich seine Arbeitsamkeit, seine alte Tracht und seinen alten westfälischen Bauernstolz bewahren möge. Die Provinz Westfalen hurrah, hurrah, hurrah!" Der Kaiser hat vor einigen Tagen in Hannover für den preußischen Landtag eine Borlage angekündigt, deren Behand lung die wirthschaflApolitischen Gegensätze in voller Schärfe bloslegen dürften. Mit der Ankündigung eines Gesetz entwurfes zum Schutze der Arbeitswilligen ist dem neuen Reichstage eine Aufgabe zugewiesen, deren Lösung die Parteien nötbigen wird, idealpolitisch wieder mehr Farbe zu bekennen. Die neuen Volksvertreter werden gleich im Beginn ihrer Thätigkeit vor eine ungemein schwierige Aufgabe gestellt werden. AuS den Worten des Kaisers geht unzweffelbaft hervor, daß mit dem neuen Gesetze die Slreikagitatoren sowohl, wie - die Streikposten getroffen werden sollen. Darüber werden sich wohl alle bürgerlichen Parteien einig sein, das; Ausschreitungen oder sogar körperliche Gcwaltthätigkeiten beim Lohnkampfe strenger als bisher geahndet werden müssen und daß dem Staate die Handhabe gegeben werden muß, gegen die bodenlose Verhetzung der Arbeiterbevölkerung durch gewerbsmäßige Agitatoren vor zugehen. Hat der Staat dieses Mittel in der Hand, dann ist andererseits auch die Führung der sogenannten schwarzen Listen, durch die die Arbeitgeber jetzt auf eigene Faust gegen die Slreikagitatoren ankämpfen muffen, überflüssig, sie müßten denn ebenfalls verboten werden. Die Schwierigkeit dieser ganzen Frage liegt in der redactionellen Fassung deö Gesetzes. Aus ver Handhabung deS „Groben-Unfugparagraphen" wissen wir, wie schwer eS ist, einer guten Absicht auch die ent sprechende gesetzgeberische Form zu geben, so daß mit dem Unkraut nicht zugleich die berechtigten Lebens formen ausgerottet werden. Daß der Streik an sich eine berechtigte Form des modernen Lohnkampfes ist, die Ueberzeugung bricht sich auch in Arbeitgeber kreisen immer mehr Bahn. Aber eS giebt auch gewissenlose Streiks, angcstiftet von gewerbsmäßigen Hetzern im Dienste politischer Bestrebungen. Diese Hetzer und ihr terroristisches Vorgehen zu treffen, kann allein Zweck der Gesetzgebung sein, und eS ist daS zugleich die Pflicht deS Staates, der ja die Störung im wirthsckaftlichen Betriebe selbst unmittelbar empfindet. Die Rede deS Kaisers ist ein hochpolitischer Act, dessen ganze Bedeutung aber sich erst wird ermessen lassen, wenn der Wort laut des Gesetze« vorliegt. Denn aaf den Wort laut kommt eS bei einer so heiklen, schwierigen Sache ganz außerordentlich an. Die gemäßigten Par teien stehen jedenfalls vor einer ganz besonders ernsten Legislaturperiode. Sie werden wieder einmal ihre schwierige und verantwortliche Aufgabe zu erfüllen haben, den rechten Weg zu weisen zwischen dem berechtigte Bestrebungen ertödtenden „Alles" von rechts und dem nach Lage der Dinge ebenso ver derblichen „Nichts" von links, eine schwere Aufgabe, aber eine, die des Schweißes des Edlen werth ist. Beschießung Landins. —L>. Auf Kreta ist eS zu einem blutigen Zu sammenstoß zwischen Türken und Engländern ge kommen. Daß nach der Niederwerfung Griechenlands durch die Pforte die Ruhe auf der unglücklichen Insel nur äußerlich hergeslellt worden sei, war kein Geheimniß. Die Kraft der aufständischen Christen war zwar gebrochen, I aber sofort nach dem Abzug der Griechen begannen I die Versuche von türkischer Seite, den Status guo I auts wieder herzustellen, muhamedanische Truppen zu landen, die Insel vollständig zu „pacisiciren", d. h. an den Christen furchtbare Rache zu nehmen und schließlich die Ver waltung Kretas wieder in türkische Hände zu spielen. Die Bemühungen der fremden Admirale, die Neuorganisation unab hängig von der Pforte durchzuführen, wurden mit wachsender Eifersucht verfolgt. Der jetzige ernste Zusammenstoß ist nur die Explosion deS lange angebäuften Zündstoffes. Ueber die Ursache dcS ConflictcS und den Verlauf deö Kampfe« wird uns Folgendes berichtet: * Candia, 6. September. Tie englische Militairbchörde begab sich auf Befehl der Admirale der Mächte zum Zehnten-Bureau, um dort christliche Beamte einzusctzen, und stellten vor dem Bureau und am HanSthore eine Soldatenabtheilung auf. Ein Haufe unbewaffneter Muhame dauer wollte sich durch die Reihe der Soldaten hindurch den Durchgang erzwingen, waS die Soldaten veranlaßte, Feuer zu geben. Mehrere der An greifer wurden verwundet. Jetzt eilten die Muhame- daner nach allen Richtungen auseinander, holte» sich Waffen und griffen die englische Soldatenabtheilung an. Dann zogen sie zu den christlichen Vierteln, gaben Schüsse auf die Fenster ab und steckten eine große Anzahl von Häusern und Magazinen in Brand. Wie es heißt, sind mehrere Christen ermordet worden. Auch einige englische Soldaten und der englische Consul sollen getödtet worden sein. Ein Kriegsschiff beschoß die Stadt, die zumTheil in Flammen steht. Man hegt die Befürchtung, daß in der Nacht Zerstörung und Plünderung herrschen wird. * Canea, 6. September. Die „Agence Havas" erfährt über die Vorgänge in Candia folgende Einzelheiten: Als die Engländer die Zehnte n-Bureaus besetzten, sammelten sich Muhamedaner an, die der Untergouverneur von Candia, Edhem Pascha, ausein» anderbringcn ließ. Dann wurden Christen und Muhamedaner hand gemein. Von den Fenstern der Christenhäuser aus fielen Schüsse. Auch die Engländer feuerten. Zwei Muhamedaner erlitten Verwundungen. Jetzt eilte die gesammte muhamedanische Bevökerung zu den Waffen. Edhem Pascha ließ die englischen Soldaten und die Christen unter türkischem Geleite sich ein schiffen, und nun gab ein englisches Kriegsschiff mehrere Kanonen schüsse ab, um die Ruhestörer zu erschrecken. Man hat ermittelt, daß drei Engländer getödtet und vier verwundet worden sind. Von den Muhamedancrn sind sechs gefallen. Djevad Pascha stellte ein Bataillon von Canea den Admiralen zur Verfügung. Der Gouverneur machte den Admiralen den Vorschlag, sich nach Candia zu begeben, waS diese jedoch für den Augenblick dankend ablehnten. In Canea und Netymno werde» Sicherheitsmaßregeln getroffen, Truppen bereit gehalten und die Patrouillen verdoppelt. Vier Kriegsschiffe haben Suda in der Richtung auf Candia verlassen, wo der Kampf auf gehört hat, die Feuersbrunst jedoch fortdauert. Man gebt nicht fehl mit der Annahme, daß der Conflict von der muhamedanischen Bevölkerung nicht nur mit Wissen, sondern auf Anstiftung türkischer Beamten herbeigesührt worven ist. Wie die Zustände jetzt auf Kreta liegen, sind sie unhaltbar und eine definitive Regelung derselben wird zur dringenden Nothwendigkeit. Das „Concert der Mächte" hat sich bis jetzt leider als ohnmächtig erwiesen, vielleicht ge lingt eS, Ordnung zu schaffen, wenn eS sich von Neuem als „FriedenSconferenz" etablirt. Das müßte aber rasch ge schehen, denn im Orient gehen die Büchsen von selber los ehe man sich'S versieht, und die Vorgänge in Candia können leicht zu weiteren Verwickelungen Anlaß geben. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. September. In einer Meinungsäußerung über die Reformbedürftiakcir deS RcichStagSwahlrechtS theilt Graf v. Mirbach-Sor- quitten mit, daß Fürst Bismarck sich ihm gegenüber nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienste wiederholt und fast immer gleichlautend in folgender Weise über das Reichstagswahlsystem ausgesprochen hat: „Mir erschien eS nothwendig, um daS deutsche Reich eia sehr starkes demokratisches Band zu legen wegen der Gefahr, welche ich in particularistischen Neiguagrn deutscher Fürsten an- nahm. — Ich gebe aber jetzt zu, diese Befürchtung, diese damalige Annahme war eine irrige. — Liegt in dem gegenwärtigen Reicht- Wahlrecht eine Gefahr für daS deutsche Volk, so muß eS auch die Kraft haben, dieses Band zu zersprengen." An dieser Mittheilung deS Grafen v. Mirbach ist nur daS Eine interessant, daß die Conservativen jetzt nach den Wahlen das Spielen mit dem Feuer — anders kann man ihre sogenannten Reformpläne mit dem ReichStagSwahlrechl nicht nennen — unentwegt fortsetzen. Die Radikalen dürfen sich dessen mit Recht freuen. Daß Bismarck die obige Aeußerung in der von dem ostprrußischen Grafen offenbar gedachten Tendenz gethan haben sollte, ist aus BiSmarck'schem Geiste heraus nicht anzunehmen. In den Blättern wurde kürzlich die Klage erhoben, daß noch immer kein allgemeines deutsches Aleischschaugesetz in Aussicht genommen sei. Die „Berl. Pol. Nachr." können versichern, daß ein solcher Gesetzentwurf im Reichsamt des Innern ausgearbeitet ist und bereit« den maßgebenden RessortS zur Beurtheilung vorlieat. Man muß allerdings anerkennen, daß ein derartiges Gesetz einem dringenden Volks- gesundheitlichen Bedürfniß entspricht. Zu dem neulich mitgetheilten Beschluß der Leipziger Universität, die katholische Universität in Areidurg in der Schweiz nicht mehr als Hochschule anzuerkenneo, erfährt die „Nationalztg." auS akademischen Kreisen, daß die preußische UniversitätSverwaltung diese Cantonschule überhaupt noch nicht als Universität anerkannt hat. Nur einmal sei eine Ausnahme gemacht und ein in Freiburg erworbener Doctor- titel in Preußen anerkannt worden, wobei jedoch ausdrücklich der ausnahmsweise Charakter dieser Concession betont wurde. Nack, den jüngsten Vorgängen in Freiburg werde die preußische Universitätsverwaltung weniger denn je geneigt sein, die Freiburger Universität als solche anzuerkennen. Am 10. September wird die 18. H a u p t v e r s a m m l u n g des Deutschen Schulvereins in Wien, der sich seit 1880 naw Kräften bemüht hat, die Slawisirung und Berwelschung deutscher Gemeinden an den Sprachgrenzen und in den Sprachinseln im nördlichen wie im südlichen Oesterreich zum Stillstand zu bringen, in Karlsbad abgehalten werden. Die Einnahmen des deutsch-nationalen Vereins betrugen im Jahre 1897 I 204 622 Fl. gegen 230 611 Fl. im Vorjahre; die Ausgaben be- I liefen sich auf 186 861 Fl. gegen 214 528 Fl. im Jahre 1896 >.Es hat also ein nicht unbedeutender Rückgangin den ^eiiilletsn. Henny Hurrah! 6j Roman von Ernst Clausen. Nachdruck verboten. Der Commerzienrath Seesried war ein noch stattlicher Fünfziger mit gefärbtem Schnurr- und Vollbart. Er trug einen Klemmer vor den scharf und etwas kalt blickenden dunklen Augen und eine dicke goldene Uhrkette wölbte sich selbstbewußt auf der behaglichen Rundung seiner Hellen Weste. Die Hano, die er Axel zur Begrüßung reichte, war weich und wohl genährt und schien beinahe erstaunt zu sein über die süddeutsche herzhafte Art, wie Axel dieselbe schüttelte. „Run, liebe Ella, bist Du schon einig geworden mit Herrn Sternfeld?" „Wir sprachen noch nicht davon. Du weißt ja, wir sind alte Bekannte aus München und da gab es natürlich viel zu berichten; ich denke, wir besprechen alles Andere nach Tisch." Als der Diener in diesem Augenblick meldete: „das Diner ist servirt", legte sie ihre Hand auf Axel's Arm und schritt mit ihm Mischen Gatten und Stiefsohn hindurch. — Im Vorbei gehen sagte sie ziemlich herrisch zum Diener: „Ich wünsche das nicht noch einmal zu wiederholen, Sie sollen melden: daS Essen ist servirt!" „Sehr wohl, gnädige Frau." Sie wandte sich, sarkastisch lächelnö, zu Axel: „Es klingt doch zu albern! Zuerst lud der Mensch mich sogar um elf Uhr zum „Lunch" ein mit einer gräßlichen Ent stellung der englischen Aussprache." Das Mittagessen verlies unter ziemlich oberflächlichem Ge plauder, unterstützt von drei bis vier Gängen und recht guten Weinen. „Was sagen Sie zu dem Stillleben dort Ihnen gegenüber?" fragte der Commerzienrath beim Dessert, auf ein großes Ge mälde deutend. „Ich habe es vor fünf Jahren für eine riesige Summe erstanden, weil der Händler behauptete, es sei ein echter Niederländer aus dem sechzehnten Jahrhundert." Axel blickte hin, bemerkte den großen rothen Hummer, der n-e auf einem solchen für eine Speisezimmer-Einrichtung be stimmten Kunstproduct zu fehlen pflegt, und war sich klar, daß der Commerzienrath kolossal angeführt worden war. . .Ja, e» ist sehr hübsch", antwortete er höflich und erröthete fast, als er Ella's spöttisch auf ihn gerichtete Augen bemerkte, während ihm der Diener geheimnitzvoll ins Ohr. flüsterte: „1866er Madeira!" Ella runzelte die Stirn und sagte gereizt, als sie einen Augenblick ohne Bedienung waren: „Lieber Albert, wann wird endlich mein Wunsch erfüllt werden, daß dies dumme Ansagen "der Weinsorten ein Ende findet?" Kurt sah seinen Vater an und spielte effvas nervös mit dem silbernen Messerbock; der Commerzienrath lächelte ge zwungen und meinte: „Gewiß, Du hast recht; ich wollte nur unserm jungen Gast etwas extra Feines anbieten." „Er ist ausgezeichnet", murmelte Axel mit der Miene eines Kenners und war froh, daß die Dame des Hauses das Zeichen zum Aufstehen gab. Der alte Seefried liebte schwere Weine und sah etwas echauffirt aus, als er, an Ella herantretend, dieser gesegnete Mahlzeit wünschte und, sie an sich heranziehend, einen Kuß auf deren Lippen drückte. Es ging Axel durch und durch, das fast widerlich Unästhetische, das in diesem Anblick lag, besonders da die junge Frau dem Gatten nicht um Haaresbreite entgegenkam, sondern willenlos diese Gefühlsäußerung über sich ergehen ließ. Er mußte fortsehen und begegnete Kurt's Augen, welche ebenfalls verlegen nach einem andern Eindruck suchten. Axel war Künstler und ein Mensch mit feinerem Gefühl: Kurt See fried war königlich preußischer Lieutenant und ein Mensch ohne feines Taktgefühl, aber sie waren Beide jung genug, um zur selben Zeit denselben seelischen Eindruck zu empfinden. „So, meine Herren", sagte Ella dann, „jetzt möchte ich mit Herrn Sternfeld zusammen meinen Schlachtplan entwerfen, und bitte, mir denselben auf ein Stündchen zu überlassen." — Damit schritt sie ihm ohne Weiteres in ihr Zimmer voran. Es war schon dämmerig geworden und sie drehte schnell das elektrische Licht an, wobei Axel nicht unterlassen konnte, ihre hohe prachtvolle Gestalt zu bewundern, wie sie mit erhobenem rechten Arm unter der Lampe stand und plötzlich das auf flammende Licht ihr brünettes Gesicht förmlich überströmte. „So machen Sie es sich bequem dort auf jenem Stuhl. Hier haben wir auch Cigaretten." Sie bot ihm davon an und zündete selbst eine in Brand, um sich dann, halb liegend, bequem in «ine Chaiselongue-Ecke zu drücken und den Kaffee präsentiren zu lassen. Es herrschte eine schwere Atmosphäre von Eleganz, Reich- thum und guten Einnahmen in diesem Zimmer, in dem tief rothen Möbelstoff, in den Falten der persischen, zu PortiSren drapirten Teppiche, in der guten Copie der Tizian'schen „Heiligen Nacht" und in dem röthlichen Licht, welches, von einer Ampel ausgehend, über die feine Marmorgruppe des Canova'schen Amor und Psyche fiel. Sie sah ihn lächelnd an und meinte, das übergoldete Mund stück der Cigarette langsam Mischen den vollen rothen Lippen herausnehmend: „Wundern Sie sich, daß ich rauche?" Seine Stimmung war gedrückt, Alles schien ihm unbehaglich. Es war ihm, als müsse er die Frau, deren Gatten und Stief sohn hassen, als seien dieselben an den peinlichen Eindrücken schuld, die auf ihn wirkten. „Nein", sagte er langsam, „ich wundere mich heute über nichts mehr, gnädige Frau." Ella runzelte die dunklen Brauen. „Was wollen Sie? Als wir verlobt waren, bestand mein Mann darauf, daß ich das Cigarettcnrauchen lernte, und jetzt ist es mir nach Tisch fast unentbehrlich geworden. Ich finde es auch nicht schön, aber es ist angenehm, besonders, wenn man täglich gut zu Mittag ißt und dazu Wein trinkt! Die Herren Junggesellen sind so daran gewöhnt in den Kreisen, in welchen sie ihr Vergnügen suchen, die Damen rauchen zu sehen, daß sie es zu Hause auch haben wollen. Es ist halt modern, daß wir Damen allmählich wenigstens die äußeren Allüren der Halbwelt annehmen. Sie können das in einer großen Stadt täglich beobachten, und schließlich geschieht es ja nur dem starken Ge schlecht zu Liebe. Es ist genau wie mit der neuen Mode, daß die Herren ihren Arm auf den der Dame legen; man sieht es in der Friedrich straße zu gewissen Stunden sehr häufig. Der Herr der Schöpfung führt nicht mehr — nein — er läßt sich ver — Pardon! — führen!" Sie lachte häßlich auf und Axel saß da mit dem Bewußt- sein, dieser Art von Plauderei nicht gewachsen zu sein. — Seine ganze Erziehung, die von Jugend auf eingesogenen Anschauungen zerrten ihn rückwärts. Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie dies« Frau so schnell sich in ganz andere Anschauungen hinein geschwungen hatte. DaS war also aus Ella Stentzheim geworden! Zwar war sie früher ein ausgelassenes Mädchen gewesen, welches im zwanglosen Verkehr mit den Künstlern oft bis an die Grenze des Uebermuthes ging, aber doch immer nur bis zu dieser Grenze, und diese Art cynischen Schwatzens hatte sie damals nicht gekannt.. - - - Sie schlürfte langsam einen Schluck des grünlichen Char treuse, der neben ihrer Kaffeetasse stand. „Ich weiß, Herr Sternfeld, Sie Wundern sich noch immer! Wie war doch ihr Spitzname? Richtig! Der Correcte! Und gerade Sie sollten Unsereins am besten verstehen! Sie, der Sohn eines Officiers, ich die Tochter eines Beamten. Ich will einmal offen sein. Gewiß, ich war mit Hemskott so gut wie verlobt! Dann wurde mein Vater krank, und das Uebrige können Sie sich ungefähr denken! — Schon zu Vaters Leb zeiten war mein jetziger Mann öfter in unser Haus gekommen; er war Director der Baugcsellsckaft. Wissen Sie, wie viel Mutter zum Leben hatte? Genau dreitausend Mark! Zwar konnte ich ein bischen malen, Ulla ein wenig Clavierspielen und die Jüngste brannte großartig auf Kastanienholz! Alles so ein bischen — ach, lassen wir das! Es ist schmerzlich. — Hemskott's Bücher wurden allerdings gedruckt, jedes Jahr eines, aber ich fürchte, er wird nie den Geschmack des Publikums treffen. Ich habe mich drei Tage lang ausgeheult und dann — dann war ich damit fertig." Sie schwieg und stieß den Rest der Cigarette unmuthig in den Aschenbecher. „Da schwatze ich nun und vergesse dabei, daß Sie fast jünger sind als ich, aber es thut so Wohl, so wohl, mit Jemandem zu sprechen, der das Alles verstehen kann. Auf jeden Fall ver suche ich meine Umgebung zu cultiviren, das ist auch ein Lebens zweck! Es ist gut, daß unsere Mütter uns wenigstens insofern blind aufwachsen lassen, daß man nicht weiß, was man vor sich hat! Sie haben auch Schwestern?" „Ja, zwei!" „Und Ihr Herr Vater ist krank? Ist es bedenklich?" „Ich fürchte, leider! Doch kann man ja noch immer hoffen." - Sie sah ihn theilnehmend an, und die Art, wie sie es that, versöhnte ihn. — „Herr Sternfeld! Wenn ich Ihnen einen Rath geben darf, so — wir sprachen kn München einmal von diesen Verhältnissen — so lassen Sie Ihre Schwestern einen Beruf ergreifen, und wenn es Scheuerfrau oder Plätterin für.Herrenhemden sein sollte. „Mein Vater hat die Aelteste auf einen Beruf erzogen; die Andere ist noch sehr jung!" „Oh, das ist recht! Das freut mich! So, und nun zur Sache! Ich möchte gern Bilder aus dem „Trompeter" stellen. Sie wissen schon, welche ich meine." Er fand sich zuerst nur mühsam in da» Gespräch hinein,
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