Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.09.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980923010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898092301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898092301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-23
- Monat1898-09
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-Prei* k tz« Hauptrxpeditton oder den im Stadt« bexirk und den Vororten errichtete» Aus- aavestellrn abgeholt: vierteljährlich X 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertehährlich ^i S.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung in« Ausland: monatlich uitl 7.50. Di» Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. di» Abead-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Filialen: ktto Klemm'« Sortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstraße 3 (Paulinus), LouiS Lösche, Kathannenstr. 14, pari- und KönigSplatz 7. Nedaclion und Expedition: JvhanneSgaste 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbroch« geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Morgen-Ausgabe. UciWM TaMatt Anzeiger. Amtsblatt -es Aömglicherr Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Nolizei-Amtes -er Lta-t Leipzig. Rvreigen'Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4gs- spalten) 50^j, vor Len Familiennachrichtr» (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem PreiS- vrAeichniß. Tabellarischer und Ztffernso- nach höherem Tarif. vrtra-Beilagen (gefalzt), nur mit de« Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschlnß für Anzeigen: Abrnd-Au-gabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di- Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 483. Freitag den 23. September 1898. 92. Jahrgang. Strafgefangene in der Landwirthschaft. Ozr. Die Arbeiternoth ist zu einer ständigen Klage in der deutschen Landwirthschaft geworden. Trotz der empor gegangenen Löhne herrscht besonders in manchen mittel- und westdeutschen Bezirken ein empfindlicher Mangel an geschulten landwirthschaftlichen Dienstleuten. Ein Mitglied des säch sischen Landesculturraths bezeichnete während der letzten Tagung dieser Körperschaft den Mangel an Dienstboten als die „größte Unbill", welche auf der Landwirthschaft laste. Das mag nicht richtig ausgedrückt sein; immerhin kann man als feststehend annehmen, daß die Beschaffung und Behaltung tüchtiger Arbeiter heute eine ernste Sorge für jeden Landwirth bildet, dem es unmöglich ist, sein Feld mit den eigenen Händen zu bestellen. Ueber die Ursache dieser Arbeiternoth ist bereits viel ge schrieben und ebenso viel in Parlamenten und Versammlungen gesprochen worden. Die landläufige Ansicht war früher be kanntlich, daß den dörflichen Arbeiter lediglich die Genuß sucht in die Stadt treibe. In ernst zu nehmenden social politischen Kreisen hat man längst die Einseitigkeit dieser An schauung erkannt. Man hat mit Recht darauf hingewiesen, daß nicht die Genußsucht, sondern der Drang, vorwärts zu kommen, sich auf eine höhere Lebensstufe hinaufzuarbeiten, daß meistens rein w i r t h s ch a f t l i ch e Zustände den Zug in die Stadt erklären. Seit Jahren inmitten einer fast rein bäuerlichen Bevölkerung in Sachsen lebend, haben auch wir die Erfahrung gemacht, daß gerade die nüchternen und tüchtigen Dörfler beiderlei Geschlechts, sobald sie flügge geworden sind, sich nach der Stadt wenden. Sie verkommen dort auch keines wegs sittlich oder materiell, sondern es gelingt ihnen vielfach, sich in irgend einer Weise heraufzuarbeiten. Genußsucht ist nach unserer Erfahrung sicher die letzte Ursache für den Zug nach der Stadt; der Genußsüchtling findet heute leider auch in den Dörfern seine Rechnung; wenigstens in Sachsen hören in manchen Bezirken die Festlichkeiten der Vereine, die Veranstal tungen kluger Wirthe und andere Gelegenheiten, das Geld los zu werden, kaum noch auf; von schlimmeren Dingen zu schweigen. In Ostelbien wird man der Genußsucht in den Dörse n wohl weniger fröhnen können, aber sicher sind dort die wirthschaftlichen Zustände für die Arbeiter viel übler als bei uns in Sachsen. Der preußische L a nd w i r t h s ch a f t s m i n i st e r Freiherr v. Hamm er stein drückte das in der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 20. April d. I. sehr zart mit den Worten aus: „Ich will der östlichen Landwirthschaft keinen Vorwurf machen; aber sie bietet, glaube ich, den Leuten nicht die richtige Behandlung, nicht genügende Wohnung, nicht genügende Beschäftigung für das ganze Jahr." Genug, cs kann heute kaum noch bestritten werden, daß die Ursache für den Zug nach der Stadt meistens nicht in einer Minderwerthig- keit der ziehenden Personen, sondern in einer Minder- werthigkeit der dörflichen Zustände zu suchen ist. Eine nähere Erörterung ist nicht die Aufgabe dieser Aus führungen, doch es soll kurz auf die Vorschläge hingewiesen werden, die bisher zur Abhilfe der Noth an landwirthschaftlichen Arbeitern gemacht sind. Von den preußischen Landwirthschafts- kammern, welche sich mit dieser Frage beschäftigten, sind oie Kammern für Posen und Schlesien am weitesten gegangen. Sie verlangen neben Rückkehr zur Naturallöhnung das Verbot der Abwanderung jugendlicher Ar beiter ohne Genehmigung der Eltern, die vermehrte Be schäftigung von Strafgefangenen und Cor- rectionären in der Landwirthschaft, eine ohne Vernach lässigung des Schulzweckes den landwirthschaftlichen Bedürf nissen mehr entsprechende Gestaltung der Schul einrichtungen, energische Bestrafung des Con- tractbruches, schärfere Beaufsichtigung der S t e l l e n v e r m i t t l e r, erweiterte Zulassung ausländischer Arbeiter rc. Herr von Plötz soll einst in Magdeburg selbst von der Zeit gesprochen haben, wo der „Bund der Landwirthe" auch die „Einfuhr billiger Kulis^werde fordern müssen. Die preußische Regierung hat in der angezogencn Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses den Mangel an landwirth schaftlichen Arbeitern und Dienstboten anerkannt. Sie hat auch den Landwirthen durch den Minister Freiherrn v. Hammer stein das größte Entgegenkommen zur Beseitigung dieses Mangels versprochen und gezeigt. So ist in Preußen ange ordnet, daß polnische, galizische und russische Landarbeiter patt bis zum 15. November bis 1. December im Lande blerben können; die reglementarischen Bestimmungen über die Verwen dung von Strafgefangenen und Corrigenden in der Landwirth schaft sind einer dieser letzteren günstigen Revision unterzogen; „billigen Wünschen" um Zulassung schulpflichtiger Kinder zu landwirthschaftlichen Arbeiten soll nach wie vor Rechnung ge- tragn werden; soweit es sich mit militairischen Interessen ver trägt, sollen Militairmannschaften zu dringenden landwirth schaftlichen Arbeiten auch fernerhin beurlaubt werden. Auch die Militairbehörde will versuchen, die zur Entlassung gelangen den Mannschaften zu bestimmen, daß dieselben sich der Heimath und einem etwaigen landwirthschaftlichen Berufe wieder zu wenden. Das Gewerbe der Gesinde- und Stellenvrrmittler soll concessionspflichtig gemacht werden, um die in ihm unzweifel haft herrschenden Uebelstände einzuschränkcn. Man will die Arbeiterwohlfahrtspflege auf dem Lande fördern, event. selbst in Erwägung ziehen, „ob und wie eine Beschränkung der Aus wüchse des Rechts auf Freizügigkeit zu erstreben ist", und endlich will der preußische Staat bei öffentlichen Bauten ausländische Arbeiter heranziehen, so weit dieses nöthig ist, einem localen Arbeitermangel vorzubeugen. Eine ähnliche Berücksichtigung haben auch in den meisten anderen Bundesstaaten Klagen der Landwirthschaft über Ar beitermangel gefunden. Namentlich hat man überall mehr Strafgefangene und Corrigenden zur landwirthsck-aftlichen Be schäftigung zugelassen. Vor geraumer Zeit hat sich besonders der deutsche Landwirt hschaftsrath mit diesen Ar beitern beschäftigt. Die von ihm ermittelten Zahlen sind heute etwas größer geworden, immerhin geben sie noch ein anschauliches Bild darüber, in welchem Umfange der deutschen Landwirth schaft Strafgefangene und Corrigenden als Arbeiter zugeführt werden. Sollte man wirklich im nächsten Reichstage auf „Be schränkung der Auswüchse des Rechts der Freizügigkeit" dringen und andere Zwangsmaßregeln zu Gunsten der Arbeiter suchenden Landwirthschaft ergreifen wollen, so werden voraus sichtlich auch die bisher wenig bekannten Ermittelungen des deutschen Landwirthschaftsrathes über Strafgefangene und Corrigenden in der Landwirthschaft mehr gewürdigt werden. Derartige Personen der letzteren zuzuführen, hält der deutsche Landwirthschaftsrath für ersprießlich. Ein solches Bestreben sei berechtigt, sowohl vom St-.,i0punc>c des landwirthschaftlichen Bedürfnisses nach Arbeitskräften, wie ganz besonders von dem Gesichtspunkt aus, daß die Verpflanzung der in Rede stehenden Personen aus den Städten auf das Land, die Gewöhnung an gesunde ländliche Arbeit und das damit verbundene einfache Leben wesentlich zur Besserung der sittlichen und körperlichen Verfassung dieser Personen und zur Rückführung derselben zu bürgerlich geordneten Verhältnissen beitragen können. Nach den Ermittelungen des deutschen Landwirthschaftsrathes werden Insassen von 168 deutschen Straf- und Besserungsanstalten in solchen landwirthschaftlichen Betrieben, die mit diesen Anstalten verbunden sind, beschäftigt. Die Mehrzahl dieser Anstalten hat jedoch nur einen kleinen, gartenmäßigen Betrieb, in dem die für die Anstalt selbst nöthigen Gemüse und Kräuter gezüchtet werden. Der gesammte Grund und Boden, welcher derart von Insassen deutscher Straf- und Besserungsanstalten behaut wird, kann auf mindestens 8000 Hektar veranschlagt werden. Das Land selbst ist in den meisten Fällen Eigenthum der Anstalt; doch haben einzelne Anstalten neben eigenem Besitz auch noch Pachtland. Die Zahl der in dieser Weise beschäftigten Anstaltsinsassen wird auf mindestens 3000 in den Sommermonaten geschäht. Wichtiger für die Landwirthschaft ist die Beschäftigung der artiger Personen in fremden landwirthschaftlichen Betrieben. Die nachstehende Tabelle theilt hierüber einige Zahlen mit. Staaten Zahl der An stalten über haupt Zahl der Anstalten mit Beschäftigung von Insassen in fremden landwirth schaftlichen Betrieben über ¬ haupt Straf- anstalten Corrcctions-, Arbeit»- und Landarmm- bäulrr Arbeiter colonien Preußen . . . 90 39 8 21 10 Bayern . . . 20 3 3 — — Württemberg. . 14 o 3 1 1 Baden .... 21 9 — 8 1 Sachsen . . . 38 32 5 26 1 Dessen .... Elsaß-Lothringen 7 3 3 — — 10 9 1 8 — die übrigen deut« scheu Staaten 29 15 8 6 1 Summa 229 115 31 70 14 Bei 115 oder 50 Procent aller Anstalten findet demnach eine Beschäftigung von Insassen in fremden landwirthschaftlichen Betrieben statt, gegenüber 73 Procent der Anstalten mit eigenem landwirthschaftlichen Betriebe. Der Grund für die geringe Betheiligung der Anstalten an der landwirthschaftlichen Außen arbeit lag bisher darin, daß verschiedene Staaten durch Verord nungen die Beschäftigung der Insassen von Strafanstalten, be- onders von Zuchthäusern, mit Außenarbeit entweder ganz untersagten oder doch erheblich beschränkten. Zunächst interessiren uns hier die einschlägigen Verhältnisse in Sachsen. Bei uns war früher für die Beschäftigung von Insassen der Straf- und Correctionsanstalten mit landwirth- chaftlicher Außenarbeit die Genehmigung des Ministeriums er forderlich. Durch die Verordnung vom 1. October 1890 und die Ergänzungsbestimmungen zur Hausordnung für die Landes- Straf- und Correctionsanstalten vom 3. November 1893 ist die Verdingung zu landwirthschaftlichen Außenarbeiten neu geregelt worden. Es dürfen nunmehr Gefangene zu Außenarbeiten irgendwelcher Art ohne Genehmigung des Ministeriums im einzelnen Falle verdungen werden: u) bei den Männer-Straf- anstalten und der Anstalt Sachsenburg, b) bei den Wciber- Straf- und Correctionsanstalten und der Männer-Corrections- Anstalt Hohenstein mit der Hilfsanstalt Radeberg. Doch ist bei den Männer-Strafanstalten und bei der Anstalt in Sachsen burg die Genehmigung des Ministeriums erforderlich, wenn mit der Außenarbeit die Nächtigung von Gefangenen außerhalb der Anstalt verbunden ist. Allgemein ist von der sächsischen Re gierung die Bestimmung getroffen, daß den Gesuchen der Land wirthe um Verdingung von Gefangenen zu Außenbauarbeiten thunlichst entgegenzukommen ist. Daß dieses geschieht, beweist die obenstehende Tabelle, und es ist außerdem vom sächsischen Landesculturrath anerkannt. Doch die sächsischen Landwirthe wünschen eine Erweiterung der bisherigen Bestimmungen dahin, daß auch Gefangene aus den Gerichtsgefängnissen in der Land wirthschaft verwendet werden können. Schon in einer der letzten Plenarsitzungen des sächsischen Landesculturraths ist dieser Wunsch ausgesprochen, den zu erfüllen die sächsische Regierung, soweit wir wissen, bisher jedoch noch immer Bedenken getragen *>at. Auch wird gewünscht, daß aus den Correctio'S- und Landesanstalten eine größere Zahl von Gefangenen als bisher an die Landwirthschaft abgegeben werde. Von den Leitern dieser Anstalten wird die verhältnißmäßig geringe Abgabe von Ge fangenen mit der geringen landwirthschaftlichen Schulung der letzteren erklärt. Die sächsischen Landwirthe wünschen daher eine Schulung der Gefangenen auf benachbarten Gütern und gleich zeitig eine Vermehrung der Gefangenen-Aufseher, denn auch die geringe Zahl dieser Beamten lasse eine gesteigerte Außen beschäftigung von Gefangenen nicht zu. Während der letzten Tagung des sächsischen Landesculturraths wurde darauf hin gewiesen, daß eine derartige Schulung in den landwirthschaft lichen Arbeiten vor Allem bei den Anstalten ohne Grundbesitz anzuordnen sei. Bei geringem Gefangenen-Tagrlohn würden sich zur Anlernung Strafgefangener stets passende landwirth- schaftliche Unternehmer finden und man könnte so aus den Ge fangenen nicht nur brauchbare Arbeiter erziehen, sondern für diese wäre auch eine lohnendere Beschäftigung als in den Werk stätten der Anstalten gefunden. Die Zahl der in deutschen landwirthschaftlichen Betrieben außerhalb der Anstalten beschäftigten Gefangenen schwankt nach der Jahreszeit. Sie ist natürlich am größten während der Erntemonate und am kleinsten im Winter; man kennt jedoch nur Durchschnittszahlen. Nach den vorhandenen Ziffern stellen die preußischen Oberlandesgerichtsbezirke zur Ernte etwa 2000 Ge fangene täglich der Landwirthschaft zur Verfügung, von den preußischen Corrections- und Strafanstalten, Landarmenhäusern und Arbeitercolonien werden gleichfalls täglich etwa 2000 Ar beiter an landwirthschaftliche Betriebe abgegeben; auch die Zahl der in den übrigen deutschen Staaten zu landwirthschaftlicher Außenarbeit verwendeten Correctionäre und Strafgefangenen beträgt nach den Ermittelungen des deutschen Landwirthschafts rathes mindestens 2000. Hierzu kommen noch etwa 1000 In sassen nichtpreußischer Gerichtsgefängnisse, so daß zur Zeit jener Feststellungen mindestens 7000 Insassen der hier bezeichneten Anstalten täglich während der Ernte in der deutschen Landwirth schaft beschäftigt wurden. Durch ein weiteres Entgegenkommen der Anstaltsleitungen hat sich diese Zahl in der jüngsten Zeit jedoch noch erheblich gesteigert, so daß man diese Be schäftigten heute sicher auf 10000 beziffern kann; genaue Er mittelungen fehlen. Im Winter sinkt die Zahl dieser landwirth schaftlichen Arbeiter auf etwa den vierten Theil herab. In Sachsen waren vor mehreren Jahren ca. 700 Anstaltsinsassen in der Landwirthschaft beschäftigt; auch diese Zahl hat sich er höht, in welchem Maße ist jedoch gleichfalls nicht bekannt. Die Arbeitszeit dauert in der Regel von 6 bis 6, oft aber auch bis 7 Uhr Abends. Der Lohn ist in Len meisten Fällen Zeit- oder Tagelohn. Im Göttinger Gefänaniß wird das Rübenroden in Accord gegeben, in Dippoldiswalde werden die Insassen der dortigen Beztrksemstalt beim Kartoffel ernten nach der Zahl der gefüllten Körbe bezahlt. Vielfach wird von den Anstaltsleitungen darauf gesehen, daß durch die Beschäftigung von Anstaltsinsassen den freien Arbeitern keine Concurrenz gemacht wird. So ist namentlich in Sachsen durch die Nachtragsverordnung vom 3. November 1893 ausdrücklich bestimmt, daß den freien Arbeitern der Erwerb durch die Beschäftigung von Anstaltsinsassen nicht erschwert werden soll. Es heißt in dieser Verordnung, daß die Forderung eines zu hohen Lohnes für die in den Anstalten verfügbaren Arbeitskräfte zwar nicht dahin führen dürfe, daß man überhaupt auf dieselbe bei der Außenarbeit verzichte, aber eS würde ein ungerechtfertigtes Verlangen der Unternehmer sein, wenn sic durch die Verwendung von Gefangenen billigere Löhne er zielen wollten, als bei gleicher Leistung freien Arbeitern gezahlt werden müssen. Vielmehr erfordere es das Interesse des Landes, die Arbeitskräfte der Gefangenen so hoch zu verwerthen, als die Nachfrage es gestatte. Das Nämliche verlange aber auch die Rücksicht auf die freien Arbeiter, denen von den Straf- unb Correctionsanstalten der Lohn durch einen nicht in der Natur begründeten Wettbewerb keineswegs erniedrigt werden dürfe, Es müsse daher Beachtung finden, daß der für Anstaltsinsassen zu bedingende Lohn nicht niedriger sei, als derjenige, welcher für Arbeiten derselben Art zu derselben Zeit und in derselben Gegend bei freien Arbeitern derselben Art üblich sei. Die in der Landwirthschaft mit der Beschäftigung von Strafgefangenen und anderen Anstaltsinsassen gemachten Er ahrungen sind im Allgemeinen nicht ungünstig. Man hat beob achtet, daß die landwirthschaftliche Thätigkeit nicht nur den Charakter dieser Personen günstig beeinflußte, sondern daß sie gleichzeitig auch für die Landwirthschaft brauchbare Arbeiter abgaben. Man wünscht daher, daß, wie schon oben gesagt, die Strafgefangenen rc. innerhalb der Anstalten für die landwirth schaftliche Beschäftigung geschult und dann zu der Außenarbeit übergeführt werden. Einer dauernden Unterbringung von Strafentlassenen auf das Land setzen jedoch sowohl preußische wie sächsische Landwirthe auch mannigfache Bedenken entgegen. Sie glauben, eine derartige Unterbringung liege mehr im Inter esse einer humanen Fürsorge, als in dem der Landwirthschaft. Jedenfalls wünscht man, daß alle Strafentlassenen, welche durch schwere Vorbestrafungcn und schlechte Führung in der Anstalt befürchten lassen, daß sie der landwirthschaftlichen Bevölkerung gefährlich werden könnten, vom Lande ferngehalten werden. Jedenfalls sollen sie nicht als Dienstboten Verwendung finden, sondern höchstens bei der Cültivirung von staatlichen oder privaten Oed- und Moorländereien als Arbeiter eingestellt werden. Der Mangel an ländlichen Arbeitern wird auch im Reichstage im nächsten Winter zur Sprache kommen; wenn nicht früher, dann bei den Erörterungen über die Concessions- pflichtigkeit des Gewerbes der Stellen vermittler. Die Erfahrungen über di« Beschäftigung von Anstaltsinsassen kann man dann kurz dahin zusammenfassen, daß diese Beschäftigung der Landwirthschaft wohl brauchbare Kräfte zuführt, aber in ihrem bisherigen Umfange die Noth an Arbeitern auf dem Lande nicht zu beseitigen vermag. Deutsches Reich. /?. Verkitt, 22. September. Ungeeigneter als die am 10. October im Reichsjustizamt zusammentretende Com mission, die über Abänderungen des Gesetzes, betreffend das Urheberrecht, berathen soll, ist kaum je irgend eine andere Sachverständigen-Commission zusammengesetzt gewesen. Von den einberufenen 18 Sachverständigen sind 9 Verlagsbuchhändler, 4 Professoren, 1 Geheimer Negierungsrath, 1 Vertreter dec Tagespresse, 1 Vorsteher einer Schriftsteller-Genossenschaft, 1 Vertreter der Literatur und 1 Concert-Director. Diese Zahlen reden eine so deutliche Sprache, daß der überwältigende Einfluß der Verlagsbuchhöndler keiner weiteren Hervorhebung bedarf. Aber auch sie sind nach einseitigen Gesichtspuncten aus gewählt worden: man hat nur Angehörige großer Verlags buch- und Musikalienhandlungen einberufen, da- Feirölletsu. Die Nymphe des Balaton.*j Skizze vonMarcusJokai. — Deutsch von G e o r g H e e r. Nachdruck »n Voten. Die Nymphe des Balaton ist grausam. Alljährlich fordert sie ihre Opfer. Oft, an schönen Sommertagen, thiirmten sich die Wellen des Sees und stürzten sich wüthend gegen die Ufer; die Nymphe, sagt dann der Volksmund, ist zornig, weil sie ihre Opfer noch nicht hat. O, wie sie es versteht, sie anzuzirhen! Sie zeigt ihnen ein lächelndes Gesicht, ladet sie ein zu einer Spazierfahrt, und plötzlich ruft sie die Göttin des Windes, die den Hschzeitsmarsch spielen wird. Man kann sich ihren Umarmungen nicht entziehen. Das Opfer kämpft vergeblich gegen ihre Liebkosungen, sie hält es zurück auf seinem düsteren Lager, inmitten von weißen Muscheln und grünen Algen. Im Winter, wenn die Oberfläche deS Sees einen wohl geebneten, glänzenden Spiegel darstrllt, lockt sie die jungen Fischer an, verspricht ihnen eine reiche Ernte, und plötzlich läßt sich ein krystallhelles, klingendes Geräusch vernehmen und daS EiS zerspringt in tausend Trümmer. Das Opfer bleibt *) Der Balaton oder Plattensee, auch da« ungarisch« Meer ge nannt, bedeckt «ine Flüche von 69V qkm; sein« Gewässer haben viel Aehnlichkeit mit denen des Meere? und seine Wogen find fast die de? Oceantt. (Anm. d. Ueberfetzer» ) allein auf einer weihen Jns«l, di« unter seinen Füßen entweicht; der Kampf wäre vergeblich. Der Balaton reißt es an sich, seine Wellen schlagen über ihm zusammen, wie die Vorhänge d«s Brautbettes. Den Verlobten, den die Nymphe nicht mehr liebt, den giebt sie den Bewohnern der Erde zurück: „Nehmt ihn, legt ihn in die kalte Erde", scheint sie ihnen zu sagen. Aber Denjenigen, den sie liebt, den behält sie; sie verbirgt ihn in unergründlichen Tiefen, sie will nicht, daß die Strahlen der Sonne sein Antlitz küssen. Die Nymphe des Balaton wählt ihre Opfer nur unter den Männern, und sie will nur die schönsten, die besten. Vor einigen Jahren wurde die Brücke der Badeanstalt des Balaton hinweggeschwemmt. Die aufgeregten Wellen hatten die leichte Holzconstruction von ihren Fundamenten losgeriflen und trugen sie mit sich fort. Zwei Männer sprangen in ein Boot und machten sich an die Verfolgung der Brücke. Sie sahen bald, daß die Wogen des Balaton nicht gewillt waren, sich hindern zu lassen. Ihr Boot schlug um und infolge des heftigen Anpralls brach das Steuerruder entzwei. Wind und Wellen trieben sie in das Schilf, von wo es kein Entkommen giebt. Sie verschwanden in dem verhängnißvollrn grünen Forste und ihre verzweifelten Hilferufe wurden bald von dem Toben des Windes und der Wellen übertönt. Das Schilf ist ein grausamer, unerbittlicher Feind, verrätherischer, als die verborgene Klippe. Seine dünnen, biegsamen Stengel formen durch ihre Zahl rin undurchdringliches, unentwirrbares Netz. Der Fischer, den der Wind hineinverschlagen hat, kann sich seiner Rüder nicht mehr bedienen, und die Welle dreht ihn im Kreise, bis zu dem Augen blicke, wo sie ihir verschlingt. Der Unglücklich« fühlt den Boden unter seinen Füßen, aber er findet auf ihm keinen Stützpunkt; die Pflanzen umkosen sein Antlitz, sie erfassen würde ihm nichts nützen. Er kann nicht schwimmen, die langen Stengel lähmen seine Bewegungen. Nur wenige Schritte davon vielleicht ist das Ufer; er kann die Rufe Jener hören, die ihn suchen, aber es ist Alles umsonst, die Nymphe hat ihn umgarnt, sie hält ihn gefangen. Die Rufe der beiden Schiffbrüchigen waren gehört worden. Ein junger Mann eilt herbei, zwei Ruder auf der Schulter; sein Blick sucht ängstlich ein Boot; — eine Axt mit kurzem Stiel, die er in seinem Gürtel trägt, kennzeichnet ihn als Zimmermann. „Wohin gehst Du, Jozsi?" fragt der Gärtnergehilfe, der sich ihm anschließt. „Ich will meinen Vater holen, den der Wind in das Schilf getrieben hat; er kann nicht schwimmen. Hörst Du meine arme Mutter klagen?" „Aber wenn Du mit ihm ertrinkst, wird sie nur noch mehr klagen." „Und vielleicht noch eine Andere. . . . Aber ich muß gehen! . . . Wir wollen unsere Hüte tauschen, Kamerad, der Deine ist alt, der meinige ist noch ganz neu. Nimm auch dieses kleine Bouquet, meine Verlobte hat es mir geschenkt. Wenn ich zu Grun-d« gehe, gehört der Hut Dir, Kamerad, auch das Bouquet und — wahrlich . . . auch Die, die es gegeben." „Behalte Deinen Hut; wenn Du gehst, geh« ich mit Dir." „Wozu? Dein Vater ringt nicht im Schilf mit dem Tode. Du hast eine Mutter, die Wittwe ist, und zwei kleine Schwestern. Du bist ihre Stütze, drum laß mich allein gehen." „Du erinnerst Dich, Jozsi, daß ich Dir damals, als ich bei Königgrätz verwundet wurde, gesagt habe: Laß mich allein, Kamerad, Du hast eine Verlobte, rett« Dich! Du hast es nicht gethan. Du hast mich auf Deinem Rücken aus der Schlacht getragen. Also werde auch ich Dich nicht verlassen: Zwei vermögen mehr als Einer!" Die beiden jungen Männer fügten kein Wort mehr hinzu: sie ergriffen die Ruder. Der Himmel verfinsterte sich, düstere graue Wolken schienen sich auf den Balaton herabzusenken. Mehrere Male schienen Blitze die Oberfläche des Sees entzwei zu theilen: auf der einen Seite war das Wasser dunkel, schwer fällig, auf der anderen graugrün, dämonisch. Vom Ufer her hört man herzzerreißende Jammerrufe. Es ist eine Frau, die um ihren Gatten klagt; mit gefalteten Händen fleht sie die Männer an, die Wolken, die Bäume. Sie wirft sich auf die Erde nieder und rafft Steine zusammen, dir sie in den See schleudert. In ihrem wilden Schmerz« verflucht sie die Wellen, dann wieder schmeichelt sie ihnen und giebt ihnen die süßesten Namen, damit sie ihr ihr Opfer zurückgirbt. Eine andere Frau hat sich zu ihr gesellt: cs ist eine arme Tage löhnerin, die sich voll Mitleid bemüht, sie aufzurichten, die sie verhindert, sich ins Wasser zu werfen, und ihr in einer frommen Eingebung den Rath giebt, ein Vaterunser zu sprechen. „Ich kann nicht beten!" ächzt das arme Weib. Die Tagelöhnerin beginnt das Gebet; ihre Gefährtin wieder holt einige Worte, dann unterbricht sie sich plötzlich: „Ich habe schon gebetet, aber Niemand hat mich gehört. Mein Mann ruft mich und ich kann nicht zu ihm gehen. Laß' mich. Ich habe ein Boot, ich will versuchen, ihn zu retten."
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite