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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.09.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189809251
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980925
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980925
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-25
- Monat1898-09
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.09.1898
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tlso r.Lsr-L. « allen«) I. IL2.L0S. w.6p^7 w.Op »neu. »neu. >t Lusesl. P.I./MÄ8» ll.t. k»rv87! I.IM,b0S. K1.L tteu. rsKL/i.»s ?? »>k. K n««»a 1^1.» Dir Morgen-Au-gabe erscheint um '/«? Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentag- um b Uhr. UeLaction un- Lrpe-ittou: Äoha««e»gaffe 8. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen grvsfnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Dtts Klemm'» Sorttm. (Alfred Hahn), UniversitäUstraße 3 (Pauliaum), Lonis Lösche, Aathariuenstr. 14, Part, und AönigSplatz 7. BezugS-Preis At d« Hauptexpedition oder den im Stadt« bezirk und den Borortrn errichteten AirS- aobestellrn ab geholt: vierteljährlich ^>4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» SSO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich ^l 6.—. Dirrctr tägliche Areuzbandsrnduug tu» Ausland: monatlich 7.S0. UchMr Tageblatt Anzeiger. Ämtsvtatt Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile LO Pfg. Rrclamen unter dem RedactionSstrich (4ge- spalten) bO/^, vor den Familiennachrichren («gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Zifsernjah nach höherem Tarif. Extra»Beilage« (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbrsvrderung 60.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end «Au-gabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgab«: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halb« Stunde früher. Anzeigen sind stet« an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. 487. Sonntag den 25. September 1898. 92. Jahrgang. Plagwitr Herr 0. (Zriitzmruni, Zschochersche Straße 7 a, Reudnitz Herr IV. LuKiuanu, Marschallstraße 1, - Herr 0. 8ellwiüt, Kohlgartenstraße 40, - Herr Lernli. Ketzer, Btützengeschäst, Leipziger Straße 11, Thonberg Herr 1t. Ilüntsell, Neitzenhaincr Straße 58, Volkmarsdorf Herr 0. 4. Baumann, Conradstr. 55 (Ecke Elisabethstr.). Nunftsche Gasse 6 Herr Lileilr. Ziselier, Colonialwaarenhandlung, Ranstädter Steinweg 1 Herr 0. LnKelmann, Colonialwaarenhandlung, Schntzenstrasre 5 Herr 6ul. 8eltüulit Ireu, Colonialwaarenhandlung, Westplatz 32 Herr II. Dittrwli, Cigarrenhandlnng, Vorkstratze 32 (Ecke Berliner Straße) Herr L. IV. Kitzln, Colonialwaarenhandlung, Zeiher Straße 35 Herr V. Küster, Cigarrenhandlung, in Im Interesse rechtzeitiger und vollständiger Lieferung des Leipziger Tageblattes wollen die geehrten Leser die Bestellung für das IV. Vierteljahr 1898 baldgefälligst veranlassen. Der Bezugspreis beträgt wie bisher vierteljährlich für Leipzig 50 ^s, mit Bringerlohn für zweimaliges tägliches Zutragen 50 durch die p>vsl bezogen für das Deutsche Reich und Oesterreich-Ungarn 6 In Leipzig nehmen Bestellungen entgegen sämmtliche Zeitungsspediteure, die Hauptexpedition: Johannesgafse 8, die Filialen: Katharine,»stratze 14, Königsplatz 7 und Universitätsstratze 3, sowie nachfolgende Ausgabestellen: Arndtstraße 35 Herr L. 0. Kittel, Colonialwaarenhandlung, Beethovenstraße L Herr Hieoü. Leier, Colonialwaarenhandlung, Brühl 53 0. L. 86Üui)ert'8 Xaelikolser, Colonialwaarenhandlung, frankfurter Straße (Thomasiusstraßen-Ecke) Herr OttoLrann, Colonialwaarenhandlung, Löhrstraße 15 Herr Ktluard Leiner, Colonialwaarenhandlung, Naschmarkt 3 Herr L. 0. 8eKuIne, Nürnberger Straße 45 Herr LI. K. ^Idreellt, Colonialrvaarenhandlung, in Anger-Crottendorf Herr Ködert Oreiner, Zweinaundorser Straße 18, - Connewitz Frau Kiseüer, Hermannstraße 23, - Eutritzsch Herr Lodert Bitner, Buchhandlung, Delitzscher Straße 5, - Gohlis Herr Lodert Aliuer, Buchhandlung, Lindenthalcr Straße 5, - Lindenau Herr widert I^uüuer, Wettiner Str. 51, Ecke Waldstr., Buchbinderei, - Neustadt 8elieit'8 ^nnoneen-Kxpeditiou, Eisenbahnstraße 1, Aus der Woche. Der Herbst ist da und die politischen Aequinoctialwinde setzen kräftig ein. Die Verwickelungen wegen Kreta» haben nicht aufgebört, die Veränderungen in den obersten Re- gierungökreisen Chinas werden ihre Folgen nach sich riehen, in Frankreich, wo der Generalstab dem bürgerlichen Gericht einen Angeklagten sozusagen wegstibitzt hat, wird eS immer lustiger und Oe st erreich-Ungarn sieht seine alten Kämpfe nach kurzer Unterbrechung aufs Neue cmporlodern. Was die „große Nation" unter sich ausmacht, hat für Deutschland nur die Bedeutung eines Spectakelstückes, dem wir ruhig und amüsirt zusehen können, nachdem die Versuche, uns die Ehre der eigentlichen Autorschaft zuzusprechen, an den Erklärungen der deutschen Regierung gescheitert sind. Den Vorgängen in Oester reich gebührt jedoch ein unvermindertes Interesse der Deutschen im Reiche. Den Stammesgenossen im Osten wird angesonnen, aus menschlichen Rücksichten auf Personen Un veräußerliches herzugeben und Unerträgliches hinzunehmen. Das könnten und dürften sie um ihrer selbst und ihrer Nachkommen willen auch bann nicht, wenn man ihnen nicht das ErstgeburlSrecht in dem Staate, der ihr Werk ist, genommen und eS den Slawen übertragen hätte. Die Kaiserin Elisabeth ist eine Deutsche gewesen und wegen ihres erschütternden Hintritts ihr Deutschthum preiszugeben, wäre die denkbar unwürdigste Todtenfeier, die die Deutsch- Oesterreicher ihr bereiten könnten. Die Consequenzen des furchtbaren Ereignisses müssen am rechten Orte gezogen werden. Dieser ist nicht das Kampsfeld der österreichischen Nationalitäten, sondern einmal das internationale Polizeigebiet, sodann, wo die gouvernemen- talen und parlamentarischen Voraussetzungen dafür gegeben sind, die Schutzgesetzgebung gegen den Umsturz. Die social- demokratische Presse Deutschlands beginnt be reits wieder in dankenSwerther Weise neues Material für die Begründung einer sie wie den Anarchismus treffenden Ausnahmegesetzgebung heranzubringen. So ist der „Vorwärts" schon dabei, im Hinblick auf die Herkunft des Mörders Luccheni Verbrechen, die von unehelich geborenen Kindern begangen sind, zu entschuldigen und sozusagen für Naturnothwendigkeiten auszugeben. Aus der Beobachtung des Lebens de» „Proletariats" ist diese Toleranz nicht geschöpft, aber das socialdemokratische Parteiorgan lenkt natürlich die Blicke auch nur auf die reichen Verführer. Die Ueberwälzung der Schuld an dem Genfer Morde auf den Vater Luccheni's und die „Bourgeoisie", der jener an gehören soll, wie sie der „Vorwärts" ganz ungescheut voll zieht, ist der Anfang des Verlassen» der Heuchelei, zu der die allgemeine Empörung die vfficielle Socialbemokratie eine Weile gezwungen batte. Noch eine kurze SpanneZeit, und die Apotheose des Genfer Mordbuben wird so weit fortgeschritten sein, daß jene Thal im Blutkalender der deutschen Socialdemokratie einen Ehrenplatz einnehmen kann. Die dazu nöthige Stim mung unter- den „Genossen" zu machen, ist die an den Redakteur der „Rheinisch-Westfälischen Zeitung" ergangene Verwarnung rin zweiter Schritt. Sie erinnert dabei lebhaft an russische Preßzustände und giebt aufs Neue eine Vor stellung von der Freiheit, wie sie die socialdemokratischea Potentaten meinen. . , Die Kritik, die an dieser Stelle, wie übrigen» auch in anderen, einer energischen Bekämpfung der social-revolutionaren Bestrebungen geneigten Zeitungen, an vem von mehreren Industriellen an den Kaiser gerichteten Telegramm geübt worden ist, hat gewisse Svldschreiber, aber auch einige unabhängige Preßorgane lebhaft erregt. Nur Letztere existiren für un», und wir quittiren ihnen über da» Compliment, da» sie un» dadurch machen, daß sie unsere Einwendungen unter drücken und e» so hinstellen, als ob hier der Wunsch der vier Industriellen nach Maßnahmen gegen den Anarchismus und „den zu diesem führenden Bestrebungen" mißbilligt worden wäre. Da» Gegentheil war der Fall. Wo gegen wir uns wandten, war zunächst die Umgehung deS Reichskanzler», dann hauptsächlich da» Versprechen, alle Maßnahmen unterstützen zu wollen, die der Kaiser in seiner „Kraft und Weisheit" für gut erachten werde. Wir bleiben dabei, diese»— erfreulicher Weise nicht wohlgefällig ausgenommen« — Anerbieten eine» Opfer» der eigenen Einsicht für bedauerlich zu halten. Es ist geeignet, den Nespect vor dem Bürgerthum zu mindern — oben wie .unten. Die vier Herren thäten am besten, wenn sie ihre publicistischen Freunde und Untergebenen bewegten, nichts zu unternehmen, was den nun einmal gemachten stattlichen Fehler auf seinem Wege ins Land der Vergessenheit aufhölt. Die Jesuiten müssen ins Land, und zwar nicht nur, weil sie zur Bekämpfung des Anarchismus am befähigtsten sind, sondern auch weil das Verbot ihrer Niederlassung in Ordensvereinigungeu das Bewußtsein der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung schwächt und damit den Umsturzibeen den Boden bereitet. So zu lesen in der „Germania". 1 verweisen wir auf Spanien und Oesterreich, welche Länder das Papageiensprüchlein von dem „Boll werk" widerlegen. ^ck 2 ist zu bemerken, daß der Ultramontanismus sonst in der Nichtzulassung oder der Rechts beschränkung von Corporationen keine Schwächung der Autorität erblickt. In Spanien z. B. bekämpft er nicht nur die evangelische Kirche als solche, sondern auch die rechtliche Gleichstellung ihrer Anhänger. Im Uebrigen flößt uns die Stärke der staatlichen Autorität in den Ländern, wo der Jesuitenorden zugelassen und mächtig ist, keinen Respect ein. Geographisch naheliegende Beispiele anzusühren, verbietet die Delikatesse, es sei deshalb nur an die südamerikanischen Staaten mit ihrer stabilen — Anarchie erinnert. Um aber gerecht zu sein: der jesuitische Artikelschreiber der „Germania" will gar nicht an den Verstand, sondern an die Nerven appelliren, wie aus folgenden Sätzen hervorgeht, mit denen er seiner Weisheit letzten Schluß zieht: „Alles (!) rächt sich schon hier auf Erden. Auf die ungerechten Jesuiten verfolgungen im vorigen Jahrhundert folgte die große Revolution und die Beseitigung der Bourbonen. Die staat lichen Uebergrisfe in kirchliches Eigenthum und in die kirchlichen Rechte hatten wieder in unfern Tagen die social- revolutionären Bewegungen zur Folge, welche alles Eigenthum und die ganze Rechts- und Staatsordnung be drohen. Monarchen und Regierungen, Könige und Kaiser, die Wind säen, werden Sturm ernten." Das ist deutlich gedroht — mit der Verstärkung des Ansturmes des Ultra- montaniSmuS auf die Autorität der Könige und Kaiser. Herrn Richter, der in Hagen gegen die „wirthschastliche Reaktion", diesmal die nationalliberale, gewählt werden will, hat die dortige Handelskammer einen üblen Streich ge spielt. Ein Hauptbeschwerdepunct des Freisinns ist bekannt lich das Verbot des börsenmäßigen Terminhandels in Getreide. WaS aber sagt die genannte Handelskammer darüber'? „Es wird (von den nichtlandwirthschastlichenInter essenten) ausdrücklich hervorgehoben, daß seit dem Bestehen des neuen Börsengesetzes das Getreidegeschäft ein ruhigeres, stabileres und von der Einwirkung der Speku lation unabhängigeres geworden ist." Unweit Hagen liegt Duisburg, und die dortige Handelskammer schreibt: „Nach ihren erneuten Acußerungen hat sich die Aufhebung des börsenmäßigen Terminhandels io Getreide al- äußerst günstig für den Handel in wirklicher Waare erwiesen, weil durch die Aushebung das Geschäft in regelmäßige Bahnen gelenkt wurde und nicht mehr unter den Beunruhigungen und Machenschaften der Berliner Termin, börse zu leiden hatte, wie e» früher der Fall war. Obwohl das Ge. schäft rbeuso reich an Wechselfällen war wie in anderen Jahren, so erwuchsen aus dem Duisburger Fruchtmarkt au- dem Mangel von Berliner Terminhandrlsnotirungen keinerlei Schwierigkeiten für die Preisbestimmung. E» wird un» al» erfreulich bezeichnet, daß dem Mißbrauch des Börsenspiel» aus den deutschen Getreidemärkten jetzt ein End« gemacht ist. Gegen seine Wiedereinführung, wie sie von der Handelskammer in Bromberg unlängst beantragt wurde, würde von der hiesigen Mühlenindustrir und vom größeren Theile deS hiesigen Getreidehandels entschiedener Einspruch erhoben werden." Da» ist Wermuth für Einen, der in Westfalen einen Candidaten der an der Aushebung des Börsentcrminhandels in Getreide mitschuldigen nationalliberalen Partei be kämpfen will. Oer ketii Lieu. „?etit Lieu" nennt man in Paris wegen ihres blauen Papiers die R o h r p o st k a r t e n b r i e f e. Im Mai 1896 "/erbrachte ein Agent des Nachrichtenbureaus Picguart oem damaligen Chef dieses BureauS, in einer Schachtel die Aus beute seines letzten Fanges, eine Anzahl Papiere und Papier fetzen, die der Agent, eben derselbe, der das für Dreyfus vcr- hängnißvolle Bordereau eingeliefert hatte, an eben derselben Quelle geschöpft hatte, wo auch dieses in Fetzen zerrissene Bordereau hergekommen war, d. h. aus einem Papiertorbe der deutschen Botschaft. Picquart hielt die Schachtel einige Tage in seinem Schrank verschlossen. Als er sie dann zur Sichtung und Prüfung der Papiere öffnete, fand er darin einen nicht zur Post gegebenen Letit Lieu, der in etwa 6 0 Stücke von kaum Fingernagelgröße zerrissen war. Er übergab die Fetzen seinem Untergebenen, dem Major L a u t h, der das Zusammenkleben und die photographische Abnahme solcher dem Nachrichtenbureau zugegangenen Papiere besorgte. Lauth that dies auch im vorliegenden Falle. Die Arbeit ergab, daß die Rohrpostkarte an den Major Esterhazy, 27 Rue de la Bienfaisance, Paris, gerichtet war und folgenden Inhalt hatte: „Ich erwarte vor Allem eine eingehendere Dar legung, als Sie mir neulich über die schwebende Frage gegeben haben. Ich bitte Sie infolge dessen, sie mir schriftlich zu geben, um mich schlüssig machen zu können, ob ich meine Beziehungen zu dem Hause R. fortsetzen kann oder nicht." Die Mittheilung war unterzeichnet mit dem Buchstaben 0, der Rohrpostbrief selbst ohne Poststempel. Das war für den französischen Generalstab gleichgiltig. Für ihn bestand sein ganzer Werth in der Herkunft, d. h. in dem Fundorte. Nur dieser verlieh ihm Bedeutung, während im Gegentheil, wenn der Brief mit einem solchen, an sich deutungslosen oder für Esterhazy, den Börserspieler, sehr leicht deutungsfähigen Inhalte auf der Post beschlagnahmt worden wäre, ihm gar keine besondere Bedeutung beizumessen gewesen wäre. Außerdem war Esterhazy's Name zu diesem Zeitpunkte auf dem Nachrichtenbureau des Generalstabes noch gar nicht genannt und verdächtigt, so daß überhaupt kein Anlaß vorlag, an ihn gerichtete Briefschaften auf der Post beschlagnahmen zu lassen. Die Bedeutung des Fundes ver anlaßte aber Picquart, über Esterhazy allgemeine Erkundigungen einzuziehen, die in der bekannten Weise ungünstig ausfiel«n. Erst infolge dessen verschaffte sich Picquart dann weiter Schrift proben Esterhazy's, durch die er auf ihre Ähnlichkeit mit der Schrift des Bordereaus aufmerksam wurde. Vorsichtig vor gehend, zeigte er aber dieSchriftproben, natürlich ohne Angabe des Schreibers, Bertillon, der die Schrift des Bordereaus als die Dreyfus' begutachtet, und duPatyde C l a m, der die Unter suchung gegen Dreyfus geführt hatte. Ersterer rief denn Anblick der Schriftproben aus: „Diesmal hat der Kerl sich nicht einmal verstellt!" und Paty schloß, es sei die vermischte Schrift Mathieu's und Alfred Dreyfus'. So wurde der ketit Lieu für Picquart der Ausgangspunkt und die Grundlage seiner ge heimen Untersuchung gegen Esterhazy und seiner Ueberzeugung, daß Esterhazy und nicht Dreyfus der Verräther sei. Heute aber schwebt nun gegen ihn die Untersuchung, daß er jenen Letit Lieu gefälscht habe, um damit den Ursprung und den Beweggrund seiner Nachforschungen gegen den un schuldigen Esterhazy zu erklären. Worauf stützt sich diese Be schuldigung? Die Ersten, die einen Verdacht dahin gegen Picquart durchblicken ließen, waren der Major Lauth und der Registrator des Nachrichtenbureaus Gribelin. Picquart, er klärten Beide im Proceß Zola, habe ihnen in verdächtiger Weise seinen Wunsch ausgesprochen, nachträglich noch einer. Poststempel auf den Rohrpostbries setzen zu lassen, um damit einen unzweifelhaften Beweis seiner Echtheit zu schaffen. Lauth ließ noch durchblicken, daß Picquart ganz gut in der Zwischenzeit, die zwischen der Einlieferung der Papiere durch den Agenten und ihrer Uebermittelung an ihn gelegen habe, die Papierfetzen des Letit Lieu selbst in die Schachtel habe thun können. Sein einziger Anhaltspunct dafür ist aber auch nur wieder der Verdacht, den er aus der angeblichen Absicht Picquart's schöpfte, den Poststempel nachträglich anbringen zu lassen. Lauth mußte aber zugeben, daß er selbst den Leiit Lieu so lange für echt gehalten, bi» anderthalb Jahre später der Fall Esterhazy durch die Denunciation Mathieu Dreyfus' den Generalstab in Bewegung brachte, daß er die Frage Picauart'» betreffend die Anbringung eines Poststempels nicht nur eben falls so lange für harmlos gehalten, sondern daß auch dieser Stempel zweck- und werthlos gewesen wäre, ja, sogar dem Briefe seinen Werth benommen und gewisie An zeichen verwischt hätte, die ihn als echt erscheinen ließen. Wäre der Brief auf der Post saisirt gewesen, so tonnte er nicht beim Absender, d. h. angeblich im Papierkorb der deutschen Botschaft, gefunden worden sein. Uebrigens war auch die Karte auf der Adreßseite ganz mit gummirten Papierstreifen überklebt, so dsA das Aufdrucken eines Stempels ganz unmöglich gewesen wäre. Dieselben ehemaligen Mitarbeiter Picquart's führten ferncr als verdächtig gegen ihn den Umstand ins Feld, daß er in der photographischen Abnahme des Ltwtt Lieu die Rißlinisn der zusammengeklebten Stücke habe verschwinden lassen. Picquart erwiderte, dies sei einfach geschehen, um ein klareres Bild der Schrift zu erhalten, und die Vertheidigung stellte fest, daß dasselbe Verfahren nicht nur bei dem Bordereau Dreyfus', sondern überhaupt als Regel seit jeher im Nachrichtenbureau beobachtet werde und daß schließlich den Richtern nicht eine Photographie, sondern auch das Original, um sich ihre Meinung zu bilden, vorgelegt werde. Picquart selbst erklärte: „Es schien mir in allem Diesem, daß man vor Allem die Wichtigkeit des Rohrpostbriefes abzuschwächen suchte, der meine Aufmerksamkeit auf Esterhazy gelenkt hatte, den ich vorher ganz und gar nicht kannte und über den doch dieser Brief mir nur eine einfache Mittheilung gebracht hatte." lieber die Gründe, die jetzt die Untersuchung gegen Picquart wegen Fälschung veranlassen, wird man allerdings wohl anders denken. Esterhazy ist gerettet. Es handelt sich jetzt um Andere. Und da ist wieder das Bezeichnende an diesem neuen Falle Picquart Das, was charakteristisch so oft in den Phasen des Drcyfushandels auftritt, daß nämlich Beweise erscheinen uno hervorgeholt werden, die einen, um zu retten, wie im Falle Esterhazy, die anderen, um zu zerschmettern, wie im Falle Dreyfus und jetzt wieder im Falle Picquart, gerade in dem Augenblicke, wenn man sie nothwendig hat. Fragt man sich andererseits, was denn Picquart im Mai 1896, wo er noch leine Ahnung davon haben konnte, wie gegen Esterhazy die Schuld beweise sich häufen und ineinander greifen würden, hätte be wegen sollen, gerade gegen ihn den teuflischen Plan des Ver derbens zu fassen und mit dieser, übrigens für diffen Plan recht harmlosen Fälschung einzuleiten, so steht man vor einem Räthsel. Setzt man aber einmal den Fall, Picquart sei in der That -in Fälscher — obwohl Diejenigen, die ihn während des langen Protestes Zola und jetzt wieder beobachtet haben, alsdann sich sagen müssen, daß dieser Mensch in der Vollkommenheit der Heuchelei und Verstellung den Teufel selbst übertreffe —, so muß Einem förmlich schwindeln bei dem Gedanken an die Fülle von Verbrechern, die aus dem Schlunde dieses Dreyfushandels aufstiegen und unter dem Dache des französischen Generalstabes in der Rue St. Dominique ihre Werkstatt aufgeschlagen haben. Der mit auf dem Fußboden schleppenden Füßen erhängt auf gefundene Fälscher und Agent Lemercier-Picard, das Kleeblatt Esterhazy - Pays - du-Paty, der Fälscher ack mnjorein patriwe glorinin Henry, Picquart — wer wird noch kommen? „O, es sind", so schreibt der Pariser Correspondent der „Köln. Ztg.", „noch welche da. Eine persönliche Erinnerung fällt uns da ein. Vor einem halben Jahre, es war kurz nach dem ersten Proceß Zola, erschien bei uns ein älterer, würdiger Mann. Seine Absicht sei, erklärte er uns, dem deutschen Journalisten einen Gefallen, einen wirklichen Dienst zu erweisen. In der schweren Zeit sei es doch für ihn gefährlich, seiner Feder den gewünschten freien Laus zu lassen. Er könne aber helfen, und als Hilfe bot er uns an — auch eine Fälschung, die Fälschung eines hohen Staatsbeamten, mit der in der Tasche wir drohend allen Gefahren begegnen könnten. Ueberflüssig zu sagen, daß der Mann schneller zur Thür wieder hinaus war, als er herein gekommen. Es war die grobe Falle eines Spitzels, eines Mit arbeiters Henry's. Später erfuhren wir, daß der Mann auch noch bei einem anderen deutschen Journalisten mit demselben Anerbieten gewesen. Sicherlich hatte er also seine Fälschung auf Lager; sie wäre prompt geliefert worden, aber daß sie nicht aus dem Amtszimmer des angeblichen hohen Staatsbeamten, sondern auS der eigenen Werkstatt stammte, war noch sicherer."
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