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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.10.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981006024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898100602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898100602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-06
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Jetzt aber, da die Reise des Kaisers und sein Besuch beim Sultan nahe bevorsteben, bereitet sich in der Haltung der deutschen klerikalen Presse ein Umschwung vor. Der Brief deS Papstes an den Car dinal Langvnieux thut seine Wirkung: der Papst erkennt das französische Protektorat als zu Recht bestehend an, also beißt eS laucladilltor 86 8udj leere. „Das heilige Land", „Or gan deS Vereins vom heiligen Lande", deutet die Auffassung des Papstes dahin, daß generell jeder Staat über die Katholiken seiner Slaatszugehörigkeit im heiligen Lande das Protectorat besitze, daß aber in zwei Fällen die fran zösische Schutzherrschast wirksam werde: einmal nämlich bei allgemeinen katholischen Fragen, also bei solchen, die nicht die Katholiken nur eines Landes anginge, und zweitens, wenn ein Staat die Interessen seiner katholischen Staatsangehörigen im Oriente nicht genügend wahr nehme. Daö Blatt ist leichten Herzens mit dieser Auffassung einverstanden und fügt als „unsere An schauung" noch hinzu, daß, so lange die deutschen Katholiken im Orient mit der Wahrung ihrer Interessen zu frieden sein könnten, sie natürlich gern sich dem deutschen Schutze anvertrauen würden, daß sie aber, wenn etwa einmal die deutsche Regierung ihre Pflichten in dieser Hinsicht vernach lässigen sollte, sich an das französische Protectorat wenden würden, wenn ihnen daS auch peinlich sein müßte. Was das Blatt unter den Pflichten der deutschen Negierung ver steht, drückt es mit anerkennenSwerther Offenheit aus. ES fagt: „Unter der Wahrnehmung der katholischen Interessen verstehen wir nicht etwa nur die Fürsorge für die dort wohnenden Katholiken, sondern für das gesammte Wirken der deutschen Katholiken im heiligen Lande". Hu dem Wirken deS Katholicismus gehört bekannt lich in hohem Maße auch die Bemühung, Anders gläubige für den KatholiciSmuS zu gewinnen; im heiligen Lande gilt diese Bemühung naturgemäß für ein ganz be sonders verdienstliches Werk. Wenn also unter dem „ge summten Wirken" der deutschen Katholiken im Orient auch die Bekehrung einzelner deutscher Protestanten oder ganzer evangelischer Gemeinden zum Katholicismus fällt, dann — etwas Geringeres verlangt das Organ des Vereins vom beiligen Lande nicht — soll die deutsche Regierung, deren Unterlbanen zu ?/a aus Evangelischen bestehen, diesen Interessen Förderung angedeihen lassen. Thut sie das nicht, so sagt man der schwarz-weiß-rothen Fahne Valet und begiebt sich unter den Schutz der blau-weiß-rothen Streifen. Es braucht nicht gesagt zu werden, baß die deutsche Regierung der Förderung der Interessen der deutschen Katholiken nicht diese Ausdehnung gewähren kann; es braucht auch nicht gesagt zu werden, daß sie die Schutzherrschaft Frankreichs für die allgemeinen katholischen Interessen — was nichts Anderes bedeutet, als daß Frankreich bei den Wünschen der Katholiken im Orient die Vermittelung zwischen ihnen und der türkischen Regierung übernimmt — nicht anerkennen kann, weil das hohe Ansehen Deutschlands gerade bei der türkischen Regierung darunter leiden müßte; es soll nur darauf hingewiesen werden, daß hier wieder ein mal der deutsche Klerikalismus die Interessen des Papst- thums über die des Vaterlandes stellt. Einen beispiellosen Gewaltakt, der eine directe Verhöhnung der einfachsten Rechtöbegrisfe sei, nennt die „Tägl. Nundsch." eine Verfügung des kaiserlichen Amtsgerichts in Straßburg, über welche die „Straßb. Post" Folgendes berichtet: Ein ehemaliger preußischer Offizier, welcher in London eine Russin geheirathet hatte, wurde von dieser in Paris, wo das Ehepaar später seinen Wohnsitz genommen hatte, gerichtlich ge schieden. Der Vater gab daraus das einzige dieser Ehe entsprossene Kind, welches gleich ihm die deutsche Rcichsangehörigkeit besaß, bei einer gut beleumundeten deutschen Familie in Paris in Pension. Der Mutter war aber die deutsche Erziehung ein Dorn im Auge, und eS gelang ihr, ein Urtheil des Pariser Gerichts zu erwirken, nach welchem das deutsche protestantische Mädchen einer russisch.franzö sischen Familie jüdischen Glaubens zur Erziehung übergeben werden sollte. Der Vater brachte nun das Kind nach Straßburg, wo eine angesehene alldeutsche Familie es bereitwillig aufnahm. Nach mehreren Monaten erschien am 26. September dieses Jahres die Mutter vor dem Hause der Pflegeeltern, verursachte dort Aufsehen, indem sie die Vorübergehenden um Hilfe ansprach, weil man ihr ihr Kind geraubt habe, und nahm schließlich die Hilfe eines Rechts, anwalts in Anspruch. Am Nachmittag des gleichen Tages erschien ein Gerichtsvollzieher in der Wohnung der Pflegeeltern und zeigte einen Beschluß des kaiserlichen Amtsgerichts vor, wonach den Eheleuten U. ausgegeben wurde, das siebenjährige Kind an den vom Rechtsanwalt L. mit Zustellung beauftragten Gerichtsvoll, zieher auszuhändigen. Von diesem sei es im Kloster St. Bar« bara unterzubringen. Das Kind wurde wirklich in das Kloster St. Barbara übergeführt. Sobald der Vater des Kindes Las Geschehene erfahren hatte, beauftragte er einen Rechtsanwalt, die gesetzlich zulässigen Schritte gegen diese Verfügung einzuleiteu, ins» besondere die Ueberfübrung des Kindes in die protestantische Anstalt „Zum guten Hirten", in welcher dasselbe auch bisher Schulunterricht genossen halte, zu bewirken. Am 1. Oktober wurde der Antrag des Vaters dem Gericht übergeben. Und was geschah nun? Am Sonntag, den 2. October 1898, Mittags, erschien der Gerichtsvollzieher im Kloster St. Barbara und wies folgende Verfügung vor: Verfügung in Sachen u. s. w. Das Kind der geschiedenen Eheleute....... zur Zeit im St. Barbarakloster hier, Weißthurmstraße, befindlich, ist dem mit Zustellung dieses Beschlusses beauftragten Gerichtsvollzieher sofort herauszugeben. Der Gerichtsvollzieher hat das Kind dem Rechts- anwalt L. hier zu überliefern, dem aufgegcben wird, dasselbe durch eine zuverlässige Person nach Paris an die Eheleute (folgt der Name der seiner Zeit von dem französischen Gericht be- zeichneten russijch-französischen Familie) überliefern zu lassen. Antragstellerin hat ihren Ehemann binnen Monatsfrist über die Rechtmäßigkeit der Verfügung zu laden. Dem Gerichtsvollzieher wird erlaubt, die Zustellung und Ausführung dieses Beschlusses auch am Sonntag, den 2. October, vorzunehmen. Straßburg, 2. October 1898. Kais. Amtsgericht. (Unterschrift.) Dieser Verfügung gemäß wurde das Kind noch am gleichen Nachmittag in irgend Jemandes Begleitung in den Zug nach Paris gebracht, wo es inzwischen angekommen sein dürfte. Der Bevollmächtigte des Vaters erhielt von dem Geschehenen erst am Montag Kenntniß. Es mag noch erwähnt werden, daß er am Sonnabend Abend zufällig Gelege», heit gehabt hatte, den Herrn, der die obigen Ver fügungen erlasse» hat, davon zu unterrichten, daß er den Vater vertrete und seine Anträge bereits dem Gerichte eingereicht habe. Das Straßburger Blatt glaubt das Wesentliche dieser Vorgänge in folgendem Satze zusauunenfassc» zu sollen: „Ein Protestantisches Kind deutscher Reichs angehörigkeit, das vom Vater in Deutschland zur Erziehung untcrgebracht ist, wird ohne Vorwissen des Vaters durch Verfügungen eines deutschen Amtsgerichts zunächst in ein katholisches Kloster verschickt und dann nach Frankreich au eine russisch- französische Familie jüdischen Glaubens aus- geliefert!" Es ist begreiflich, daß der Vorgang in Straßburg pein liches Aufsehen erregt; von einem „beispiellosen Gewaltacte", der eine Verhöhnung der einfachsten NechtSbegriffe sei, wird man aber nicht eher reden dürfen, bevor feststekt — was aus der Darstellung der „Straßb. Post" nicht klar hervor geht —, daß bei der Scheidung das Kind dem Vater zugesprocheu worden war. Nach dem Urtheile des Pariser Gerichts, welches das Kind der Erziehung einer russisch französischen Familie übertragen wissen will, ist dies nicht eben wahrscheinlich. Wäre aber das Kind der Mutter zugesprochen gewesen, wäre diese eine Deutsche und hätte von einem deutschen Gerichte ein Urtheil erlangt, daö die Erziehung des widerrechtlich vom Vater nach Frankreich geführten Kindes einer deutschen Familie übertrüge, so würden „Straßburger Post" und „Tägl. Rundschau" es schwer lich als unerhört bezeichnen, wenn ein französisches Gericht die Auslieferung des Kiudeö au die Mutter angeordnet hätte. Immerhin bedarf der Vorgang der Aufklärung, nötigenfalls im Reichstage- In Oesterreich hat die innerpolitische Lage eine neue Wen dung genommen. Graf Thun Hal den dem verfassungs treuen deutschen Großgrundbesitz angehörenden HandelSminisler vr. Bärnreilher ausgeschifft und für ihn den stockklerikalen Abg. Freiherrn Dipauli an Bord genommen. Dipauli, 1844 geboren, war päpstlicher Officier und ist Besitzer eines großen Weingutes in Kaltern mit dem berühmten Kälterer Seewein. Er gehört mit einer Unterbrechung seit 1877 dem Ab geordnetenhause an, wo er nunmehr die fünfte Curie des zweiten Tiroler Wahlkreises vertritt. Er vollzog die Secession der Deutschklerikalen aus dem Hohen wartclub und begründete die katholische Volkspartei, deren Obmann er ist. In der Sprachenfrage trat er einmal als Gegner der Sprachenverordnungen auf und suchte zu Gunsten der Deutschen zu vermitteln. Es war das zn der Zeit, wo er befürchten mußte, daß die nationale Agitation der Deutschen in die klerikale Wählerschaft einbringen werbe. Wenn er jetzt in das Ministerium Thun eintritt, wird er von seinen VermittelungSideen Wohl abgekommen sein und sich vollständig auf daS Programm Thun's eingeschworen haben. Das Cabinet ist nunmehr ganz nach dem Herzen der Rechten und eS ist auch entschlossen, sich als slawisch-klerikal- feudaleS Ministerium zu geriren, d. h. ein gutes Theil der alten nationalen Forderungen der Tschechen und der anderen kleineren Nationalitäten zuzugestehen, wofür ihm andererseits die Hilfe der Rechten zur Durchführung deS ungarischen Aus gleichs sichergestellt sein soll. Ist der Pact thatsächlich geschlossen und ist Graf Thun wirklich einen Schritt weiter auf der schiefen Ebene gegangen, welche am letzten Ende zur völligen Deceutralisation Oesterreichs führen muß, dann scheint, wenn nicht eine abermalige, unvorhergesehene Wendung eintritt, der Er- folg der Negierung gewiß. Kann Graf Thun nämlich darauf Hin weisen, daß er der Majorität für den Ausgleich sicher ist, so ent fällt für die ungarische Opposition die Möglichkeit, ein selbst ständiges Vorgehen zu erlangen. Darüber, daß die Ausgleichs debatte im österreichischen NeichSrathe sich in die Länge ziehen und der Ausgleich daher bis zum Jahresschlüsse kaum erledigt sein dürfte, wird sich Baron Banffy hinweghelfen, indem er, wenn auch nicht ein neues Provisorium, so doch eine Ver längerung des gegenwärtigen für die Dauer der öster reichischen parlamentarischen Ausgleichsverhandlung erwirken wird. In dem regelrechten Kampfe mit der Mehrheit wird aber die österreichische Linke als Minderheit kaum etwas aus richten, und wenn sie wieder zur Obstruktion griffe, so würde sie es nur dahin bringen, daß der Ausgleich auf Grund des Artikels 14 beschlossen würde, und somit die Geschäfte der Tschechen besorgen, deren geheimer Wunsch ja darin besteht, daß außerparlamentarisch regiert werbe. An den: Ausbau der russisch - chinesischen Ber- kchrswcgc wird von den Petersburger Regierungskreisen un ablässig gearbeitet. Wie es heißt, wird die russisch-chinesische Eisenbahngesellschaft demnächst den Bau von sechs schnellen Oceand ampfern in Bestellung geben, welche bestimmt sind, im Anschluß an die Zugankünfte der mand schurischen Eisenbahn re gelmäßige Fahrten zwischen den Häfen Talien-wan, Port Arthur, Shang- haiundNagasaki auszuführen. Die Dampfer sollen eine Fahrgeschwindigkeit von stündlich 15 Knoten entwickeln und eine Tragfähigkeit von 3000 bis 4000 Tonnen besitzen. Zwei der selben werden in Newcastle, einer in Greenock, einer in Holland und die übrigen zwei in Deutschland in Bestellung gegeben werden. Obwohl auch auf Güterbeförderung eingerichtet, wird diese Dampferflottille doch in erster Linie den Passagierverkehr pflegen und 50 Plätze I. Classe, 55 Plätze II., 150 Plätze III. und 200 Plätze IV. Classe führen. Die Fahrten werden zu nächst in 14tätgigen Intervallen erfolgen und mit den Ankunfts- bezw. Abgangszeiten der Züge von und nach Peters burg via Moskau und sibirische Transversalbahn bis Port Arthur correspondiren. Die Inbetriebsetzung der Linie ist zum Jahre 1903 in Aussicht genommen und würde alsdann die Dauer einer Reise zwischen London und Shanghai auf etwa 20 Tage, di« Kosten auf die Hälfte des jetzigen Betrages herabgemindert. Gegenwärtig wird das Kllstenfrachtgeschäft zwifchen den Häfen des fernen Ostens fast ganz und gar durch kleine Dampfer veralteter Bauart be sorgt, welche von Chinesen bemannt sind, aber von deutschen Capitainen geführt werden und unter deutscher Flagge fahren. Ob die neue Linie diesem ebenso sehr durch feine Billigkeit als Zuverlässigkeit bekannten und geschätzten Verkehrsmittel wirksame Concurrenz zu machen im Stande sein wird, kann einstweilen dahingestellt bleiben. An dem Bau der Bahn durch die Mand schurei wird mit Aufgebot aller Kräfte gearbeitet. Binnen Kurzem werden 77 Locomotiven aus Amerika in Port Arthur, Die kleine LuLu. 4s Seeroman von Clark Russell. Nachdruck verboten. „Was sind Sie?" fragte er nach einer Pause kurz; „Maat?" „Ja", antwortete ich, ohne zu gestehen, daß ich nur vierter Maat war. „Fehlt auf Ihrer Brigg rin Maat?" „O nein; — und wenn einer fehlte, wie lange denken Sie, daß die Stelle unbesetzt bleiben würde? Heutzutage will Jeder den Herrn spielen. Was mir fehlt, sind tüchtige Leute, keine Offi- cirre. Ich gebrauche noch einige Matrosen." „Wie viel Heuer?" fragte ich. Er sah mich scharf an und sagte: „Drei Pfund zehn Schilling im Monat. Die „kleine Lulu" knausert nicht." Ich richtete die Augen auf sein Gesicht und studirte dasselbe, dachte an das schöne Schiff im Hafen, nahm einen Schluck Grog und überlegte: „Soll ich mich andieten? — ein schönes Schiff ist die Brigg, und es giebt manche Capitaine, die unangenehmer aus sehen wie dieser." Dann erkundigte ich mich nach dem Ziel seiner Reffe. „Sydney, Neu-Süd-Wales." „Wenn Sie mich brauchen können, will ich als Vollmatrose mit Ihnen gehen." „Ich dachte es mir, daß Sie mir dies Anerbieten machen würden", sagte er kühl, mich von oben bis unten mit einer ge wissen Befriedigung betrachtend. „Welchen Grund haben Sie, -sich zu solch' einem Dienst zu verdingen? Wollen Sie den Schiffsdienst nur von unten auf versuchen?" „Das nicht gerade. Ader wenn Sic mich haben wollen, bin ich Ihr Mann." „Abgemacht." „Wann segeln Sie?" „Uebermorgen." Ich sagte ihm, daß ich den Contract unterzeichnen wolle, könnte aber am nächsten Tage noch nicht an Bord kommen, da ich mich erst ausrüsten müsse; meine Kiste würde ich aber am Abend an Bord dringen. Er fragt« mich, ob ich «inen Vorschuß zu haben wünsche. Die« Anerbieten lehnte ich aber dankend ab, denn ich hatte mich doch verheuert, um Geld zu verdienen, und nicht, um eS vorzeitig zu verbringen, noch ehe ich segelt«. Es schien mir, daß er sich freute, mich angewovben zu haben. Ich war jung, kräftig und beherzt und, wie ich glaube, den meisten der Leute, aus denen die Mannschaft kleiner Schiffe zusammengesetzt wird, überlegen, nicht gerade im Schiffsdicnst, sondern im Benehmen, in meiner ganzen Erziehung. Jeder Schiffsherr weiß den Werth nüchterner, wohlerzogener Leute im Vorderdeck zu würdigen, denn ihr Beispiel übt oft einen stärkeren Einfluß auf die Masse, als die ausgezwungenen Gewohnheiten der Disciplin. Aus Furcht, meine Verdingung könnte mir am Ende wieder leid werden und ich könnte mich noch eines Besseren besinnen — denn ich bemerkte wohl, wie sehr ihn mein schneller Entschluß überrascht hatte —, spielte er den angenehmen Gesellschafter, bestellte mehr zu trinken und erzählte lebhaft einige amüsante Geschichten. Er war sicher ganz durchdrungen davon, daß nun, wo ich ihn als meinen Herrn betrachten mußte, seine Herab lassung mich doppelt anziehen und «inen sehr guten Eindruck auf mich machen müsse. Jedoch, obwohl mir seine Art und Weise außerordentlich gefiel, glückte es ihm doch nicht, mich glauben zu machen, daß er wirklich der warmherzige, leichtlebige Mann s«i, als den er sich in seinen Geschichten darstellte, seine Augen waren zu kalt, sein schönes Gesicht zu steinern, als daß mich seine Reden bestochen hätten. Indessen, ich fühlte nicht den geringsten Wunsch, mein An erbieten zurückzuziehen. Die Stimmung, in die mich der Tod meines Vaters versetzt hatte, war derart, daß mir momentan Alles gleichgiltig war und ich mich sorglos in jedes Abenteuer ge stürzt haben würde, welches geeignet war, mich von meinen trüben Gedanken zu befreien. Damals erschien mir ein Theil der Welt ebenso gut als «in andrrer; — es war mir völlig einerlei, in welchen Erdthril mich mein Schicksal führte; mich fesselten keine Bande, ich hatte k«ine Heimath, die meinen Hoffnungen und Wünschen ein Ziel gab. In der Thai, die ganze Welt lag vor mir, mein Stern konnte kaum niedriger und blasser am Horizont stehen wie jetzt. — Die Kleidungsstücke und die Wäsche, welche ich mir in Lon don gekauft hatte, waren wohl geeignet, auf dem Quarterdeck ge tragen zu werden, konnten mir aber in meiner Stellung vor dem Mast gar nicht« nutzen. Nach dem Frühstück am nächsten Morgen, bei welchem ich mit Eapitain Franklin und seiner Schwester leider nicht zusammen traf, nahm ich meinen Weg zur Stadt, um einen für meinen Zweck geeigneten Kleiderladen aufzusuchen. Nachdem ich auf meine Nachfrage hin zurechigewiesen worden war, betrat ich einen solchen und wurde dabei Zeuge eines Auftritts, der mir werth er scheint, hier berichtet zu werden, als Beispiel der Behandlung, welche Matrosen von den Harpyen am Lande erfahren. Der Laden wurde von einem Mann Namens Aaron gehalten, welcher sich während meiner Abwesenheit von Bayport dort niedergelassen hatte. Ein roher englischer Matrose hatte einen Wortwechsel mit ihm, als ich eintrat. Hinter einem Schreibpult stand ein junger Mensch, vermuthlich Aaron's Sohn. Rings umher hingen Röcke, Westen und dergleichen, und auf Gesimsen lagerten große Stöße farbiger Hemden, Stiefel, Schuhe, Mützen, Gürtel und jede Art Tand, der von den Händlern zur Aas rüstung einer Theerjacke für nöthig erachtet wird. Aaron stand mitten im Laden, er war ein schmächtiger kleiner Mann mit jüdischem Accent; jedes Glied an ihm bebte vor Auf regung. Der Matrose stand ihm drohend gegenüber und schimpfte ihn unter Flüchen einen gemeinen Dieb. „Da fall de entscheiden", schrie er, als ich eintrat. „Maat, hier is en Hund von Bedreiger, de seggt, ik wier em seben Pund schlllllg för dre: Dag elendiges Logis in en olle Barack, wo de Dierns nicks deden, as den ganzen Dag Fisch kaken. Hei het sik von mi en Vörschußweßel ergaunert, un will nau de Fründlich- keit hebben, mir dorup en oll Hos' för ein Pund antaureknen. — Wat! Du miserabliger Lippfisch!" brüllte er plötzlich, indem er sich Aaron zuwandte, „willst Du mi seggen, dat de Hof' ein Pund werth is?" und wies dabei mit einer Geberde unbeschreiblichen Abscheus auf «in Paar alte, widerwärtig aussehende Hosen, die Aaron in der Hand hielt. „Nu Sir, woll'n Se mal mich Heren?" sagte Aaron, indem er schmeichelnd zu mir trat. „Ich kann seh'n, daß Se sind e feiner Mann und ich hab gern ßu thun mit feine Herrn, wenn's sich handelt um e Geschäft. Da is der Seemann, der kam ßu mer in mei hcscheid'nes kleines Haus —" „Wat, näumft Du dat, Du Spitzbauw?" schrie der Matrose dazwischen, „— bescheiden? — Du meinst woll be , Du Lump." »Ich sage, bescheiden, Sir", erwiderte Aaron mit Würde, und fuhr dann zu mir gewandt fort: „Ich gebe Se mei Wort drauf, echte Geraniums in de Fenstern und Gemälde in de Wohn- ßimmer und in de Schlafßimmer. Sprech ich Ligen, oder sprech ich de Wahrheit, Jtzig?" „De pure Wahrheit. — Wenn der Herr ßwerfelt, kann er geh'» und selbst seh'n; 's kost' nischt", antwortete der junge Aaron. . Se Heren, was mei Sohn sagt, Sir", fuhr der Alte fort. „Gut also, de Mann kam höflich, fragt nach Wohnung; gut, ich sag em, was se kostet; gut, er is ßufrieden; er ißt und trinkt, wie e Kenig, geschmortes und gebratenes Geflügel zum Mittag essen, Eier und Fisch ßum Frühstück und Pudding jeden Tag. Gut, er betrinkt sich einmal, ßweimal, viermal,, siebenmal, siebenmal in drei Tagen, so lang' er lebt in meinem Haus, Sir! Meine Tochter Rachel is schwach geworn in de Kniekehl'n, um 'n ßu bedienen mit dem besten Branntwein, echt'm französischem Odiwi, duftendem Jamaika-Rum und bestem Wachholdcr. Der Mann weiß nich, was er hat getrunken, denn er hörte nich auf, bis er hatt' den Verstand verloren, und wenn ich red'te von de Kosten, da haut' er uf'n Tisch und fchrie: „Ach was, de Kosten." Und nu, als ich em ßeige de Rechnung, e reiner Spott, wenn ich rechne, was er hat verhehlt und mer gekostet und als ich mich erbiet', mit acht Pfund ßufrieden sein ßu wollen, und noch daßu ßu geben de schienen Hosen hier — Gott straf' mich, wenn nich rein geschenkt —, da wird er wild und gebt mer schlechte Namen." Hier hielt er inne, um Athem zu schöpfen, da ging aber der Matrose wieder los, Aaron antwortete, Jtzig krähte dazwischen, und es wurde ein Geschrei, daß ich es nicht mehr aushielt. Ich verließ den Laden trotz Aaron's Zetern und Schwören, daß er der billigste Mann in Bayport wäre und schöne Waare gäbe für wenig Geld. Ich sah, der Seemann war in schlimmen Händen, konnte ihm aber nicht helfen, denn kein Gesetz der damaligen Zeit schützte den leichtlebigen Matrosen, sobald er in die Klauen solcher Blutsauger gefallen war. Aller Wahrscheinlichkeit nach verhielt sich die Sache so: Aaron war ein Matroscnmakler, d. h. eine Person, die ein Logirhaus für Seeleute hielt und Schiffe, denen es an Mannschaft fehlte, mit Matrosen versorgte. Zweifellos war der Mann in Aaron's Haus gekommen, ohne einen Pfennig Geld in der Tasche zu haben. Dieser hatte ihn ausgenommen gegen Ausstellung eines Wechsels in Höhe des üblichen Angeldes, welches einem angcwoQ- benen Matrosen als Vorschuß auf seine Heuer gezahlt wurde, sowie er sich an Bord meldete. Laut dem ausgestellten Wechsel stand aber dem Makler das Recht zu, den Betrag des Vorschusses auf dem Schiffe zu erheben und sich davon, nach Maßgabe seiner Forderungen, bezahlt zu machen. Mit dieser Sicherheit in Händen versetzte er alsdann den Matrosen mit giftigem Ge bräu möglichst oft in eine Trunkenheit, welche ihm vollständig das Gedächtniß für DaS raubte, was er verzehrte. Hiernach war es dann leicht, die Rechnung beliebig aufzustellen, denn alle Aarons, männliche und weibliche, beschworen, bei vorkommenden Einwendungen, hoch und theuer die Richtigkeit derselben. In der Regel wurde aber noch ein kleiner Rest belassen, für welchen man dem Betrogenen noch irgend ein altes Kleidungsstück auf-
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