Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.10.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981012020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898101202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898101202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-12
- Monat1898-10
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis di d« Hauptexpedition oder du k« Stad»« br»krk und den Vororten errichteten AuS» aooestrllen ab geholt: vierteljährliches.50, vet zweimaliger täglicher Zustellung in» hau« e L.üO. Durch die Post bezogen jur Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich e 8.—. Directe tägliche Kreuzbandjendunz t»S Ausland: monatlich e 7.50. Di» Morgen-An-gabe erscheint nm '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag um 5 Uhr. Nedartion uu- Lrve^itiou: JohanncSgasse 8. Di« Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bi» AbendS 7 Uhr. Filialen: ktta Klemm'» Tartiiu. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinus, Lotti» Lösche, Katharinenstr. 14, Part, uud Königsplatz 7« Abend-Ausgabe. riWAcr Tagtblall Anzeiger. Amtsblatt des H'öNigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nattzes und Notizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 80 Pfg. Rrclamen unter dem RedactionSstrick l4u«- spalten) 50 vor Len Fainilienuachrichlen (6gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis» Verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Taris. Ertra-Beilngen (gefalzt), nur mit der Morgen«Ausgabe, ohne Poslbesörderun^ 60.—, mit Postbesörderung ./t 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Mrrgen»Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig, 519 Mittwoch den 12. October 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. October. Die als Antwort aus die Ansprache des Papstes an die französischen Pilger erfolgte Abberufnng des bisherige» preußischen Gesandten beim päpstlichen Stuhle hat die deutschen Ultramontanen in eine nicht geringe Ver legenheit gesetzt. Sie können es nämlich auf der einen Seite nicht über sich gewinnen, das Verhalten de» Papstes für un angemessen zu erklären, und es wäre ihnen aus der anderen Seite nichts fataler, als ein Culturkampf, der von einer Ver letzung des deutschen Nationalbewußtseins seinen Ausgang nähme. Deshalb bemüht man sich, an den doch höchst klaren Auslassungen des Papste» herumzudeuteln. So will die „Germania" in dem Ausdrucke „traditionelles Protek torat" nicht eine Anerkennung deS französischen Protek torats sehen, sondern nur die Feststellung der That- sache, daß Frankreich sein Protektorat im Oriente als tradi tionell ansehe. Im Uebrigen will sie die Schuld an der Auslassung deS Papstes nicht diesem selbst, sondern dem Cardinal Rampolla beimessen. Was den ersten Punkt an langt, so wird die auf Schrauben gestellte Auslegung der päpstlichen Auslassung am besten durch die Schlußworte der päpstlichen Allocution: „Fahret in Euren Pilgerfahrten fort! Sie werden dazu beitragen. Eure vornehme Aufgabe im Orient fruchtbar zu machen." Nach dem ganzen Zusammenhänge kann der Papst unter der „vornehmen Aufgabe" nur das französische Protektorat verstanden haben. Diese Auffassung, die kaum noch einer Bekräftigung bedarf, erhält noch eine Verstärkung durch die Auslegung, die kurz vor der Ansprache an die Pilger die klerikale Zeitschrift „DaS Heilige Land" dem be kannten Briefe des Papstes an den Cardinal Langßnieux gab: daß er nämlich das französische Protektorat über alle Katholiken in zwei Fällen als wirksam anzusehen sei, einmal bei allgemeinen katholischen Fragen, zweitens, wenn ein Staat nicht genügend für die Katholiken seiner Staatszugehörigkeit eintrete. Ein eben solches Verlegenheitsstückchen wie die Auslegung der päpstlichen Ansprache ist es, wenn man den Cardinal Rampolla zum Prügelknaben macht. Es sei nicht bestritten, daß der Cardinal seinen Einfluß zu Gunsten Frankreichs geltend macht, aber wenn der Papst, der sich al- oberster Herr der Christenheit fühlt, in die Oeffentlichkeit tritt, dann wird man ihn selbst für seine Aeußerungen ver antwortlich machen müssen. Je höher daS Amt eines Menschen ist, desto größer ist seine Verantwortlichkeit, zum Mindesten die moralische. Im Uebrigen wird es gut sein, festzustellen, daß die führende klerikale Presse in Deutschland sich zur Zeit wenigstens auf den nationalen Standpunkt stellt. Diese Feststellung wird für den Fall von Wichtigkeit sein, daß der Papst etwa die goldene Brücke, die die preußische Regierung ihm zu erbauen Willens ist, nicht betritt. Preußen bat der zweifellosen Provokation gegenüber, die in der päpstlichen Ansprache liegt, eine ganz außerordenliche Mäßigung bewiesen, und die Ersetzung von Bülow's durch einen andern Gesandten ist die mildeste Form der Beschwerde Uber die grund los dem Reiche zugefügte Herausforderung. Sollte trotzdem der Vatikan die Miene der gekränkten Unschuld annehmen, so wird das deutsche Centrum an dem von der leitenden ultramontanen Presse gegenwärtig eingenommenen Standpunkte sesthalten müssen und nicht etwa versuchen dürfen, der deutschen Regierung den Vorwurf zu machen, daß sie die Rolle deS Angreifers ge spielt habe. Da während der Reise des Kaisers voraussichtlich eine gewisse politische Stille im Reiche eintritt, so gewinnen der Reichskanzler und seine preußischen Herren Minister kollegen vielleicht Zeit, sich das officiöse Preßwesen einmal etwas genauer anzusehen und die Inspiratoren der dienenden Federn nachdrücklich auf den Unfug hinzuweisen, den diese Federn neuerdings mehr als je treiben. Ganz be sonderen Anlaß zu einer solchen Beschäftigung giebt der Byzantinismus, mit dem die Ofsiciösen den Beschluß des Kaisers, seine Reise abzukürzen, commentirt haben und der nur dazu dienen kann, sowohl das Ansehen und die Würde der berufenen Rathgeber der Krone zu schädigen, als auch das Vertrauen auf die gründliche Vorbereitung der kaiserlichen Entschlüsse zu untergraben. Auch beute wieder liegen zwei Proben grober officiöser Ungeschicklichkeit vor, welche die Aufmerksamkeit der leitenden Kreise in Berlin verdienen. Beide finden sich in den „Berl. Polit. Nachr."; die erste lautet: „Die socialdemokratischen und demokratischen Blätter fahren fort» damit zu agilsten, daß die Coalitionsfreiheit der Arbeiter beschränkt werden solle, obgleich sie innerlich unzweiselhast davon überzeugt sind, daß eine solche Absicht an keiner Stelle besteht. Verhindert muß allerdings werden, daß sich ein Staat im Staate bildet und daß eine Agitationspartei sich anmaßt, behufs Be« schränkung der persönlichen Freiheit des einzelnen Staatsbürgers ungesetzliche uud widerrechtliche Zwangsbefugnisse auszuüben. Das Coalitionsrecht soll und wird den Arbeitern völlig und unversehrt erhalten bleiben, aber jeder einzelne Arbeiter soll auch selbst bestimmen können, ob er zu den alten Bedingungen weiter arbeiten will oder nicht." Welche Wirkung eine solche Versicherung in einem Organe, das jederzeit dementirt werden kann, haben muß, wenn sie nicht zugleich im „Reichs-Anzeiger" erscheint, sollte doch nachgerade jeder Hilfsarbeiter in jenem Reicksamte wissen, das mit der Ausarbeitung der hier gemeinten Gesetzesvorlage beschäftigt ist. Keine andere, als die höhnende Frage, warum denn der „Reichsanzeiger" schweige, wenn Las sogenannte „Zuchtbausgesetz" nichts Anderes enthalten solle. Und da eS keine stichhaltige Antwort auf diese Frage giebt, so wird diese in den socialdemokratischen Blättern und Conventikeln zum wirksamen neuen Agitationsmittel. Sollte man wirk lich im „Neichsanzeiger" noch gar keine den social demokratischen Hetzern das Concept verderbende An deutung über den Inhalt des vom Kaiser in Oeynhausen in Aussicht gestellten Gesetzentwurfes machen können, so wäre eS ungleich besser, ganz zu schweigen und den Ofsiciösen ganz den Mund zu verbieten, als den Hetzern willkommene Ge legenheit zu der Feststellung zu bieten, Laß das amtliche Blatt nichts zu sagen bat. — Aebnlich ist es mit der zweiten Kund gebung der „B. P. Nachr.": „Bei den Erörterungen über den bekannten Erlaß deS Ministers des Innern wegen deS Waffengebrauchs der Polizei beamten hat die Frage, weshalb der Erlaß als vertraulicher ergangen und nicht sofort veröffentlicht worden sei, eine große Rolle gespielt. Auch von denjenigen Stellen, welche sich mit dem Inhalte des Erlasses durchaus einverstanden erklärt haben, ist der Vorwurf erhoben worden, daß der Erlaß nicht hätte geheim gehalten weiden sollen. Wir können Freund und Feind deS Er lasses über diesen Punkt beruhigen. Der Erlaß ist, wie wir in Bestätigung der bereits von anderer Stelle ge brachten Nachricht versichern können, von der Central instanz aus nicht als vertraulich bezeichnet worden, so daß der Abdruck deS Erlasse- im „Vorwärts" in diesem Punkte unrichtig gewesen ist." Wieder Wasser auf die Mühle der Socialdemakratie! Durch Feststellung der Thatsache, daß der Erlaß nicht als „vertraulich" bezeichnet gewesen ist, wird man mit der Nase darauf gestoßen, daß er als vertraulich behandelt worden ist und daß die in Erfurt und Liegnitz nach der „schärferen Tonart" behandelten Leute nicht gewußt haben, was ihnen drohte. Und darauf, lediglich darauf kommt eS an. Niemand hätte sich be klagen können, wenn er nach Veröffentlichung des Erlasses nach dessen Wortlaute behandelt worden wäre. JnderNichtveröffentlichung liegt eine Unterlassung, deren offiziöse und noch dazu im Tone des Berichtigers vorge tragene Feststellung nur im Interesse der socialdemokratischen Agitatoren liegt. Und diese sinken wahrlich genug Stoff zur Verhetzung, als daß die leitenden Kreise ruhig zusehen dürften, wenn die Ofsiciösen diesen Stoff durch Ungeschick lichkeit noch vermehren. In dem Gehcim-Tossicr über Dreyfus sollen sich, wie hartnäckig in der französischen Presse behauptet wird, Briefe Kaiser Wilhelm» befinden, die s. Zt. der Minister LeS Aeußern für 27 000 Francs an sich gebracht hätte. Das ist das „ultrasecrete" Dossier, das, wie es heißt, dem Cassations hofe nicht ausgeliefert werden soll, weil die Gefahr besteht, daß eine gerichtliche Verwerthung der Briefe LeS deutschen Kaisers zu einem Kriege führt. Jetzt versichert, wie wir schon mittheilten, der „Eclair", Las Blatt des Generalstabes, es gäbe in dem Dossier überhaupt keine Briefe des deutschen Kaisers, weder echte noch gefälschte. Gefälschte! das ist der Grund, weshalb man dieDocumente denRicktern nicht ausliefern will. Hat man thatsächlich Briefe mit dem Namen des deutschen Kaisers gezeichnet — und das scheint trotz deS „Eclair- Dementis festzustehen — so sind sie gefälscht und nun fürchtet man die entsetzliche Blamage im Hellen Lichte der Gerichts verhandlung, weil man sich gar zu blindlings hat täuschen lassen. Die Briese sind, so wird von verschiedenen Seiten versichert, auf Papier geschrieben gewesen und von diesem abpbotographirt, das am Kopf die Marke „Cabinet Seiner Ma jestät deSKönigS undKaisers" getragen haben soll, und ihre Hersteller haben sie unter zeichnet „Wilhelm I. U." Hierbei aber soll, wie dem „Hamb. Corr." aus Paris geschrieben wird, den Leuten daS Malheur passirt sein, daß sie statt der Unterschrift dcS jungen Herrn die des alten Herrn nachgemacht haben. Ungemein naiv, so naiv, daß es wirklich unsaßlich erscheint, wie ein Minister des Aeußern, und sei es auch nur ejn Minister des Aeußeren der französischen Republik, auf den Blödsinn hineinfallen kann, ist nach Clemenceau der Inhalt der Briefe selbst. Der deutsche Kaiser zählt nämlich in ihnen, wohl zur größeren Bequemlichkeit des französischen Generalstabes, ganz expreß die einzelnen Dienste auf, die Dreyfus Deutschland bereits geleistet habe, giebt ihm noch einige kleine Aufträge — das alles eigenhändig oder doch unter eigenhändiger Unterschrift und er fügt dann hinzu, DreyfuS solle ja den Dienst in der französischen Armee nicht quittiren, sondern hübsch bleiben, so lange es irgend ginge; bei Ausbruch „deS" Krieges zwischen Frankreich und Deutschland jedoch werde er, der Kaiser, ihn, Dreyfus, im deutschen Generalstab anstellen. Möglich, daß die Ungeheuerlichkeit, die in diesem Schlußsatz liegt, Franzosen und selbst französischen Generalen und Kricgsministern weder klar ist noch klar zu machen sein wird, daß aber Fälschungen wie die hier erwähnten durch das französische Auswärtige Amt haben gehen können, ohne dort einen andern als einen ungeheueren HciterkeitSerfolg zu erzielen, ist mit bleibt unerklärlich. — Noch eine andere Beilage der Acten wird dem CassationShofe vorenthalten: die Photographie, auf welcher man Oberst Schwärtzkoppen und Oberst Picquart neben einander sieht. Diese Photographie wurde angeblich im April dieses Jahres in Karlsruhe aus genommen und wird als „Momentaufnahme" bezeichnet. Man beschuldigt Len Major Lauth, die Photo graphie hergestellt zu haben, indem er Picquart photo- graphirte, als dieser über den Hof des Kriegsministeriums ging; Schwartzkoppen's Bild wurde dann nach einer Photo graphie hergestellt. Picquart mußte heimlich photographirt werden, da sonst keine Photographie von ihm vorhanden ist Die Doppelphotographie Schwartzkoppen-Picquart wird viel leicht als Beweisstück bei der Untersuchung gegen Picquart gebraucht werden, weshalb sie den DrcyfuS-Acten entzogen werden kann. Picquart hat allerdings einen starken Gegen beweis in Händen, welcher diese Photographie als Fälschung kennzeichnet: er kann beweisen, daß er seit November 1897 Paris nicht eine Minute verlassen hat. Nach Paul Leroy-Beaulieu ist, wie wir schon mittheilten, eine tranSsaharischc Eisenbahn für Frankreich zur politischen und militairischen Nothwendigkeit geworden. Es wäre, führt der genaue Kenner Afrikas im „Journal deS DvbatS" aus, thöricht, die Truppen- verproviantirunz im Bahr-el-Ghazal- und Nilzebiete auf dem langen und langwierigen Wege des Congo und Ubangbi und über Morastlanv befördern zu wollen. Frankreich hat in Algerien und Tunesien eine Armee von 60 000 Mann, von denen vier Fünftel Europäer sind. Die Sahara, welche sich bis zum Tschadsee erstreckt, ist eine ge sunde Gegend. Mit einem Zug von 20 km Ge schwindigkeit per Stunde könnte man sie in un gefähr 100 Stunden, d. h. 4 Tagen, durchreisen. Wenn nöthig, wäre man im Stande, in Zeit von einigen Wochen eine Truppenmacht von 4000, 5000, selbst 8000 oder 10 000 Mann nach irgend welchem Orte der französischen Colonien zu schicken. Da Algerien und Tunesien einen lleberfluß von Getreide, Vieh und Wein erzeugen, so wäre immer hin reichend für die Verproviantirung der Truppen gesorgt, selbst wenn man vom Meere abgeschnitten würde. Durch die tranSsaharischc Eisenbahn könnte daher den französischen Besitzungen eine Machtstellung verliehen werden, wie sie kein europäischer Staat, England mit inbegriffen, besitzt. Die Kosten dürften nach den beiden erst kürzlich angelegten französisch-afrikanischen Eisenbahnen, der äthiopischen von Dschibuti bis Harrar und der südtunesischen von Sfax bis Gafsa, zu berechnen sein. Diese letztere, welche bis über Gafsa hinaus zu den PhoSphatminen 250 km messen soll und deren erste 200 km bereits eröffnet sind, wurde in einem Jahre hergesiellt und kostete 60 000 Francs per Kilometer. Der Bau der trans- saharischen Eisenbahn würde unter Len gleichen Verhält nissen vor sich gehen: das gleiche Klima, daS gleiche Terrain, der gleiche Wassermangel kämen dabei in Frage. Zu 60 000 Francs per Kilometer würden die 2000 km bis zum Tschadsee auf 120 Millionen oder, falls die Hälfte mehr auSgegeben werden müßte, auf 180 Millionen zu stehen kommen, eine sehr niedrige Summe im Vergleich mit dem großen Nutzen, der den afrikanischen Besitzungen daraus Feuilleton. Die kleine Lulu. sj Seeroman von Clark Russell. - 'Nachdruck »erboten. Er schien einen innerlichen Kampf zu bestehen, während er mich aufmerksam ansah. Meine Neugier war aufs Höchste erregt und ich ging nicht vom Fleck, um abzuwarten, was er thun würde. „Da", rief er, „Du magst es ansehen", und dabei reichte er mir das Papier. Da springt der alte Sam guf, welcher rauchend mit ge schlossenen Augen auf einer Kiste gesessen hatte, und schreit: „Lat't uns seihn, Maat, lat't uns seihn!" „Nein, nein", antwortete ich, „ehrlich Spiel; dies ist für mich." Ich nahm das Papier ans Licht; aber Alles, waS ich sehen konnte, war dies: Sam jedoch war mir, ohne daß ich es gemerkt hatte, in den Rücken geschlichen, und als er da« Gekritzel sah, brüllte er: „Dat iS jo gar kein Bild nich, dat iS en Stück Ge-o-grafei." „Lat mi ok seihn, SniggerS", schrie Klein-Welchy. „Un mi, un mi", stimmten die Anderen ein. „Na, minentwegen, un lat Jug hängen", rief Deacon, zog die Beine auf seine Pritsche und legte sich nieder. Es war sehr komisch, zu sehen, wie die Leute daS Papier mik ihren rauhen Händen zart anfaßten, e« umdrehten, ihre Köpfe darüber beugten und daS unterste zu oberst kehrten. „Da i» en Compaß in de Eck", sagte Billy. „Ja, dat iS würklich wahr, dat iS en", schrie der schöne Blunt; „äwer wat bedüt dat Ding, wat aS en Kloß up en Stock utseiht, mit dat Handteiken von en Mann darunner?" „Dielleicht il't en ganz nige Srfinnung von en KriegSschipp, wat, SniggerS?" fragte ein Anderer in schmeichelndem Tone, wodurch er wohl hoffte, eine Lösung Les Räthsels zu erreichen. 2»^con rührte sich nicht. „Jk segg, dat is en Stück Ge-o-grafei", schrie der alte Sam; „so as dat, wornach de Captein de Brigg stiiert. Hew ik nich recht, SniggerS?" Keine Antwort. „Du büst en Studirten, Jack", sagte Billy zu mir. „Segg uns, wat es is, Maating." „Ich habe keine Ahnung." „Mi dücht, SniggerS weit slllwsten nich, wat't bedüden deiht", brummt Sam verächtlich und kehrt nach seinem Platz zurück. Trotzdem gelingt es ihm aber nur schlecht, seine brennende Neu gier zu verbergen. „Wenn Ihr fertig seid, gebt es her", sagte Deacon Ich reichte es ihm, er zerriß es sofort und drehte sein Gesicht der Schiffsseite zu. DaS Thema wurde fallen gelassen und gleich darauf hatten die Leute Alles vergessen. Es dauerte nicht lange, bis die Mannschaft herausgefunden hatte, daß Miß Franklin „en nützlich smuck Dierning" sei. Ich hörte diesen Ausdruck von Suds, und ein wahrer Krampf düsterer Eifersucht und Enttäuschung packte mich, als dieser Mensch mir lang und breit auSeinandersetzte, wie sie, während er am Steuer gewesen, zu ihm gekommen wäre und ein Garn mit ihm gesponnen hätte. Bis hierher hatte ich geglaubt, diese Herab lassung erstrecke sich nur auf mein« Person, ich allein wäre der Bevorzugte, mir allein schenke st« Beachtung. Und nun, ach Gott, dieser kalte Wasserstrahl, daß auch Andere von freundlichen Worten sprechen konnten, welche an sie gerichtet wurden. Wahr haftig, ich war ganz zerschmettert; was in aller Welt aber konnte sie auch Gefallen an einer Unterhaltung mit solch' rohen Burschen finden, mir war das unerfindliche Um so mehr verstand ich aber ihre zunehmende Popularität auf dem Vorderdeck; machte doch jedes Wort, jedes freundlich« Lächeln von ihr Jeden glück lich und stolz, dem es galt. „Dat möt en wunnerboren Bagel west sin, de twei so unglike Eier leggt het", bemerkte Suds, indem er sich auf Bruder und Schwester bezog. „Mien Meinung iS, sei sünd stk in Harten ennanner so ähnlich, as de Wilde, de Minschen frei, d« Preister, dem em bekihren will." Wie. mit einem Schlage wurde die Arbeit zum Vergnügen, sobald sie auf Deck erschien. Sie folgte un- mit ihren braunen, unschuldigen Augen, und wenn sie zufällig einer Arbeit im Takel werk zusah, die Leute da oben r» bemerkten und ihr halb er schrocknes, halb bewunderndes Gesicht sahen, da achteten die Jüngeren keine Gefahr und überboten sich in halsbrechenkstn Anstrengungen, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Alle gegebenen Hilfsmittel verschmähend, schienen sie oft, gerade an den gefährlichsten Stellen, frei in der Luft zu schweben. Der alte Windwärts that Alles, was er zu thun wagen konnte, die Leute am Antworten zu hindern, wenn sie zu ihnen sprach. Er lehrte dieselben bald begreifen, daß stets irgend eine Ehicane dem Vergnügen eines Wortes von ihr folgte. Er ver stand es immer, bei dem Betreffenden etwas herauszufinden, was harte Arbeit oder noch schwerere Strafe nach sich zog. Es spielte sich hier das Märchen von der Prinzessin und dem Wer wolf ab: jeder Unglückliche, mit dem sie sprach, wurde von dem Werwolf verschlungen. Was den Capitain betrifft, so habe ich nie bemerkt, daß er ihrem Thun in dieser Hinsicht Beschränkungen aufzuerlegen suchte, vielleicht hatte er damit den Maat beauf tragt. Ein bestimmter Befehl war nur gegen mich gerichtet, das wurde mir bald klar, denn während sie fortfuhr, mit den anderen Leuten zu sprechen, vermied sie mich auffallend, und doch bemerkte ich oft, daß sie mich über ihr Buch hinweg ansah, wenn sie glaubte, ich sähe es nicht. Drei Wochen hindurch hatten wir günstigen Wind. Bei Tage war der Himmel blau, bei Nacht war cs sternhell und die See leuchtete und schäumte. Wir waren jetzt, so gut ich es veranschlagen konnte, wenn ich Zeit und Fahrt berechnete, nahe bei oder gegenüber den Cap Verde-Inseln. Die nordöstlichen Passatwinde, welche wir vor einigen Tagen erreicht hatten, waren uns bisher förderlich ge wesen, jetzt aber hörten sie auf. DaS Aussehen dieser regelmäßigen Winde, welche vom dreißigsten Grade nördlicher Breite bis auf wenige Grade vom Aequator der Segelschifffahrt dienstbar sind, war wahrscheinlich nicht von langer Dauer, trotzdem war der Capitain über diesen Umstand aufs Höchste erregt, und ich hörte ihn gegen den alten Windwärts in einer ganz unglaublichen, gottvergessenen Weise dem Himmel deshalb fluchen. Die Windstille ging ungefähr um vier Uhr Nachmittags zu Ende. Ich wußte nicht, wie der Barometer stand, aber ich war lange genug zur See gewesen, um in der eigenthümlichen Färbung des blauen Himmels, von welchem jede Wolke ver schwunden war, Anzeichen zu erkennen, welche mich besorgt machten. Ich dachte, der Capitain würde wohl daran thun, in dieser Nacht scharfen Ausguck halten zu lassen. Eine lange, mächtige Woge rollte von Westen heran. Die Brigg, welche nicht mehr durch den Druck deS Windes gefestigt war, schaukelte auf ihr wie ein kleines Boot; das Wasser schlug bis zur Höhe unserer Schanzkleidung auf. Die Unannehmlichkeiten eines starken Windes sind gering im Vergleich mit denen einer starken Dünung während einer Wind stille. Die Wirkung einer solchen ist eine ganz furchtbare. Das Schlingern des Schiffes wird derart, daß Masten und Spieren sich oft bis zu einem Winkel von vierzig Grad neigen und di: Wanten und Pardunen sich schwer ächzend in einer Weise spannen und strecken, daß es Einen nur Wunder nehmen kann, daß die Püttingeisen sich, unter der ungeheuren Gewalt nicht wie Draht ausziehen. Am schlimmsten aber ist es auf und unter Deck. Was nicht ganz sicheren Halt hat, wird umher geworfen, alles Bewegliche stürzt von einer Seite zur anderen. Abgesehen von der Noth, sich selbst auf den Beinen zu erhalten, schwebt man in steter Ge fahr, von den herumrollcnden und -fliegenden Gegenständen verletzt zu werden. Die Lampe im Vordercastell schaukelte mit ihrer flammenden Schnauze bis an die Decke; wir mußten sie festbinden, um zu verhindern, daß die Deckbalken versengt wurden. Sam's Kiste wurde losgcrisien, und ehe er sie packen konnte, gegen eine Pritsche geschleudert. Sie brach auf und ihr Inhalt stürzte heraus, wie eine Familie freigelassener Kaninchen — ein wahrer Trödelladen von Lumpen und alten Flaschen war cs, der sich da entlud. Wir bemühten uns Alle, ihm zu helfen, sein Eigenthum auf zusammeln; aber während wir hiermit beschäftigt waren, ging die Lampe aus und Suds, der in einer der obersten Lagerstellen fest schlief, sauste plötzlich auf uns nieder. Theils schimpfend, theils lachend und aneinander zerrend, um wieder auf die Beine zu kommen, krabbelten wir nun im Dunkeln herum, während Sam alle Seeflüche, die ihm nur einfielen, auf die Brigg herabrief. Der Bedauernswertheste war aber Scum, der Koch. Nicht genug, daß in seiner Küche Alles durcheinander krachte und polterte,warihm auch ein Topf kalter Erbssuppe, bedeckt mit einer Schicht erstarrten Fettes, auf den Kopf gefallen, als er bemüht war, eine ganze Ladung heruntergefallener Löffel, Messer und Gabeln vom Boden aufzusuchen. Die kalte Masse war dem Aermsten zwischen Haut und Hemd gelaufen und hatte seinen Magen, der ohnedem schon von dem ungewöhnlichen Schlingern des Schiffes in Unordnung gerathen war, vollends umgekehrt. Er lag nun auf dem Deck, der arme Kerl, mitten unter seinen Schüsseln und Töpfen, elend zum Erbarmen, und mit einem Gesichi wie ein Kürbis. Vor Lachen war ich zuerst nicht im Stande, ihm zu helfen, dann aber erlöste ich ihn und setzte ihn
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite