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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.10.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981015024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898101502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898101502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-15
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Alarmirende Nachrichten über einen mißglückten, angeblich nicht so sehr gegen den Präsidenten der Republik, Faure, als gegen das radicale Ministerium Brisson gerichteten Versuch eines m ilitairischen Handstreichs, an dem in erster Linie die Generale Zurlinden und de BoiSdesfre bctheilizt sein sollten, drangen gestern von Paris herüber nnd sie gewannen dadurch an Glaubwürdigkeit, baß die Regierung ihnen nicht sofort ein bestimmtes Dementi auf dem Fuße folgen ließ. Wußte man doch, daß in Folge der Dreyfus-Affaire der Antagonismus zwischen der Militair- und der Civilgewalt einen äußerst bedenklichen Grad erreicht hatte, war es doch noch in Aller Erinnerung, wie laut die de BoiSdesfre, Gonse und Pellieux vom Generalstabe während des Zolaprocesses mit dem Säbel gerasselt batten, unterlag cS doch keinem Zweifel, daß die Opferung dreier Kriegsminister „um dieses Juden willen" in den höheren und höchsten militairischen Kreisen eine gewaltige Erbitterung hervorgerufen hatte. Nimmt man hinzu, daß der Augenblick aufs Günstigste gewählt er scheinen mußte, da wegen des drohenden, auch auf die Eisen bahnarbeiter sich erstreckenden Generalstreiks bedeutende Truppencontingente in Paris zusammengezogen waren, so mußte man in der Thal geneigt sein, jenen Gerüchten Glauben beizumessen und einen radicalen politischen Umsturz in Frank reich zu erwarten. Uud noch eins mußte in Rechnung gezogen werden. Es hieß der Kriegsminister General Chanoine habe vorgestern Paris verlassen, um der Feier einer Denkmals enthüllung in der Provinz beizuwohnen; statt seiner hätte der mit BoiSdesfre im Bunde stehende und als ihm vollständig ergeben bekannte jetzige Generalstabschef Renouart das Kriegs ministerium übernommen, um alsoann im Verein mit Zurlinden die Ausführung des PulscheS zu leiten. Nunmehr aber liegen bestimmte,weiter unten wiederzugebende Aeußerungeu der Regierung vor, welche die Gerüchte von einem geplanten Pronunciamiento als auf Irrtbümern nnd falschen Deutungen beruhend darstellen. Man sollte meinen, daß daS Cabinet Brisson alle Ursache hätte, wenn etwas an der Sache gewesen wäre, dieses „Etwas" eher aufzubauschcn als zu vertuschen, um sich als den Retter der Republik hinzustellen und seinem beim Zusammentritt der Kammern wahrscheinlichen Sturze vorzubeugen. Brisson bat eS nicht gethan, und man kann daraus wohl schließen, daß das Dementi der Regierung den Thatsachen entspricht. Wir lassen nunmehr die detaillirten Meldungen über den „StaatSsreich" folgen. Man berichtet uns: * Paris, 14. October. Dem „Droit de l'Homme" zufolge sei die Negierung einem Complott auf die Spur gekommen infolge der Reise eines in die Dreyfus-Angelegenheit verwickelten Generals, der Conferenzen mit dem Prinzen Victor Napoleon gehabt haben soll. Das „Journal des DSbats" erzählt gerüchtweise aus einer benachbarten Stadt, es sei daselbst jüngst eine an eine mysteriöse Persönlichkeit gerichtete Depesche eingetroffen, welche „ein General" unterzeichnet war. Die Depesche erschien der Regierung verdächtig. Die „Libertö" will wissen, es seien an mehrere Generöse in der Provinz jüngst aus Paris fast gleichlautende Depeschen abgesandt worden, in denen von der „Krankheit von Verwandten" die Rede war. Die Regierung fand es verdächtig, daß die Verwandten von verschiedenen Generalen gleichzeitig erkrankt sein sollten, und vermuthete unter den ge- brauchten Ausdrücken Dcckworte. Der „Jour" behauptet, ein geheimer Agent habe dem Ministerium des Inner» einen angeblichen Brief des Generals BoiSdesfre an General Zurlinden überbracht, in dem es heißt, „halten wir uns für Sonnabend bereit." Ter Brief sei, wie das Blatt hinzusügt, eine Fälschung. Die „Patrie" giebt vor, die Polizei habe von einer geheimen Versammlung von Royalisten erfahren, an der Prinz Heinrich von Orleans theilnahm und in der eine Liste der Officiere und Beamten zusanimengestellt wurde, auf die der Herzog von Orleans rechnen könne. * Paris, 14. October. Die „Liberts" behauptet, infolge der Conferenz des Ministerpräsidenten Brisson mit dem Unter richtsminister Bourgeois sei das Gerücht verbreitet, Brisson beabsichtige die Meldung zu veröffentlichen, die Regierung habe von einer geheimen Correspondenz Kenntniß er halten, die zwischen dem Prinzen Victor Napoleon und dem General BoiSdesfre gewechselt worden sei; auch General Zurlinden solle compromittirt werden, doch habe Brisson hierfür nicht die Mithilfe des Kriegsministers erlangen können. In den Pariser politischen Kreisen hat man diese Com- plottgerüchte von vornherein, ohne ihnen durchaus das Ohr zu verschließen, ziemlich skeptisch ausgenommen. Es sei, so äußerte man sich, möglich, daß einige Generale in der Er regung über die Angriffe der Blätter eine unvorsichtige Be merkung fallen ließen, aber daß diese Generale ernstlich mit dem Gedanken eines Complotts oder mit Staatsstreichplänen umgehen sollten, sei sehr unwahrscheinlich. Der Senator Wallou erklärte einem AuSfrager, er halte diese Gerüchte für vollständig unbegründet. Alsbald ließ sich auch die officielle „Agence Havas" ver nehmen, vorsichtig, aber doch auch voller Zweifel. Sie schrieb gestern ebenfalls, jene Gerüchte hätten in den politischen Kreisen keine zu große Erregung hervorgerufen. Man glaube, daß einige Journalisten der Dreyfus-Partei dem Ministerpräsidenten Brisson angerathen hätten, ge wisse Blätter, in deren Loyalität Zweifel zu setzen sei, zu überwachen. In einem Interview werde daS Schweigen d e s Ministeriums damit erklärt, daß es unklug wäre, das Gerücht bestimmt zn dementiren, so lange die Thatsachen nicht genau festgestrllt worden seien. Die Ge rüchte über das Complott sollen sich aus der Nachricht über eine Unterredung eines Generals mit dem Pater Dulac von der Gesellschaft Jesu, ferner über eine Unterredung eines andern Generals mit Dvroulöbe und eines dritten Generals mit dem Prinzen Napoleon in Brüssel hcrleitcn. Der Nachricht über die letzte Unterredung schenke man keinen Glauben, und den anderen Unterredungen werde kein politischer Zweck beigemessen. Was die Un zufriedenheit ausdrückenden Privatbriefe von Officieren betreffe, so deuten sie keineswegs auf das Bestehen eines Einverständnisses hin. In gewissen Kreisen glaube man, daß die socialistischen Blätter diese Gerüchte weiter verbreiteten, um die Zurückziehung der Truppen aus Paris herbeizuführen, deren Anwesenheit ein Hinderniß für den allgemeinen Ausstand bildete. Man füge hinzu, die DreyfuS-Blätter hätten in der Besorgniß, die in der Angelegenheit co m pro mittirten Generale könnten einen verzweifelten Entschluß ausführen, für die Zukunft ein Complott unmöglich machen wollen, indem sie ein imaginäres Complott anzeigten. Weiter erklärte der „Temps", die Telegramme, die die Complottgerüchte veranlaßten, bezögen sich auf die wegen des Streiks angeordneten Trup-penbewegungen und seien offenbar mißdeutet worden, nnd endlich veröffentlichte die „Agence nationale" folgende Note des Kriegsministe- riums: „Wir sind ermächtigt, die Blättermeldung betreffs eines angeblich angezettelten Militair- complotts zur Ausführung eines Staatsstreichs formell zu dementiren. Der Kriezsminister habe keines wegs abreiseu wollen, er werbe morgen dem Ministerrathe beiwohnen. Schließlich dürfen wir den tragikomischen Abschluß der jüngsten Pariser „Revolution" nicht unterschlagen. Man meldet uns: * Paris, 14. October. An General Boisdeffre wurde heute eine Karfunkel-Operation vorgenommell. Der Zustand des Generals ist befriedigend. Heute sollte Boisdeffre mit Zurlinden die Republik stürzen, er hielt es für dringender und klüger, sich statt dessen unter daS Messer deS Operateurs zu begeben. DaS Blut, das etwa daS Letztere geröthet hat, ist bis jetzt daS einzige, das anläßlich des „Staatsstreichs" der Militairpartej in Paris geflossen ist. Hoffentlich bleibt eS dabei! Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. October. Daß die Abberufung des preußischen Gesandten beim Vatican auf die päpstliche Diplomatie Eindruck gemacht bat, ist unverkennbar, aber so tief ist dieser Eindruck doch nickt, daß er den Papst veranlaßt hätte, den StaatSsecretair Cardinal Rampolla zu dem Stellvertreter des abgerufenen Gesandten zu schicken und ihm friedliche und versöhnliche Erklärungen abgeben zu lassen. Zn Berlin weiß man davon an zuständiger Stelle nichts und in klerikalen Kreisen erst recht nichts. Das geht schon daraus hervor, baß die „Kölnische Volkszeitung" die päpstliche Ansprache an die französischen Pilger dahin erläutert, daß das fran zösische Protektorat noch subsidiär insofern in Betracht käme, als die einzelnen nichtfranzösischen Unterthanen freie Hand hätten, sick dann, wenn sie den Schutz der Ver treter ihrer eigenen Regierung nicht nachsuchen möchten, an französische Behörden zu wenden. Danach also wäre eS durchaus in das Belieben jedes deutschen Katholiken im Orient gestellt, sich unter das französische Protektorat zu begeben. Dieser Fall würde vielleicht nicht zu selten Vorkommen, denn gerade bei der der „Köln. Volksztg." gesinnungsverwandten Richtung hat sich mehr als einmal eine gewisse Hinneigung zu Frankreich bemerkbar gemacht. Der vr. Sigl kann eS heute noch nicht verwinden, daß bei Sedan die Deutschen und nickt die Franzosen den Sieg errungen haben. Zm Jabre 1870 schlug bekanntlich die Commission der bayerischen Kammer, in der die Klerikalen die Mehrheit hatten, nur die bewaffnete Neutralität vor, verlangte also den Vertragsbruch von Bayern. Ja, der Berichterstatter der Commission, der „Patriot" Jörg, hielt diesen Zeitpunkt für angemessen, um Preußen vorzuwerfen, daß eS den Krieg mit Frankreich ver schuldet habe. Bei solchen Gesinnungen wäre eS also keineswegs ausgeschlossen, daß der Schutz Frankreichs wiederholt angerusen würde, und die Ansprache des Papstes an die Pilger ist ja gerade eine Ermunterung für die deutschen Katholiken, sich des „sub sidiären" französischen Protectorates zu bedienen, damit Frankreich seiner „vornehmen Aufgabe" in möglichst weitem Umfange gerecht werden könne. Jeder derartige Fall aber wäre eine Herabwürdigung des Ansehens Deutschlands und ein Triumph Frankreichs. Der „Univers" Hal also vom französischen Standpunkte anS ein gutes Nccki, Loblieder auf den Papst anzustimmen, uud die „Kölnisck: Volkszeitung" befindet sich im Widerspruche mit sich selbst, wenn sie daraus einen Vorwurf für das französische Bla.: herleitet. Im Uebrigen versteht es sich Wohl von selbst, das; die deutsche Regierung sich auch auf das von der „Köln. Volkszeitg." Frankreich zugebilligte „subsidiäre" Protektorat nicht einlassen kann. Der Angehörige eines Staates untersteht der Hoheit dieses Staates, einerlei, ob er sick im Auslände oder im Znlande befindet. Diese Staats hoheit würde zum Kinderspott werden, wenn eS jedem Unterthanen freistünde, sich beliebig an einen andern Staat zu wenden. Der eigene Staat würde sich dadurch genölhigt sehen, Alles aufzubieten, um den Unterthan bei guter Laune zu erhalten, damit er nicht dem eigenen Vaterlande eine Blöße dadurch giebt, daß er sich unter den Schutz eines fremden Staates stellt. Damit würde das Verbältniß des Staates zum Unterthan vollständig auf den Kopf gestellt werden, denn der Staat würde zum Unterthan seines Unterthanen herabsinken. Es läßt sich ja verstehen, daß unsere Klerikalen von dieser „Zwickmühle" gern Gebrauch machen möchten, ließe sich do.v dadurch ein Druck selbst in innerpolitischen Dingen construircu. Diese Gefahr aber liegt derart auf der Hand, daß selbst eine dem Centrum so wohlwollende Regierung wie die gegenwärtige preußische nicht daraus hereinfallcn kann. Ueber die Ernennung eines neuen preußischen Gesandten beim Vatikan ist denn auch bis jetzt noch keine Bestimmung getroffen. Zu den ersten Vorlagen, die dem neuen Reichstage zugehen sollen, wird die Novelle zum JnvaliditätS- nnd AlterSvcrfichcrungsgcsctzc gehören, die nach officiöser Meldung bereits fertiggestellt ist. Es ist daher erklärlich, daß sich die Presse schon jetzt mit diesem Gegenstände eifrig beschäftigt. Zu den Vorschlägen, welche gemacht und besprochen werden, gehört auch der der Herabsetzung der LebenSalters- grenze für den Bezug der Altersrente vom Beginn des 71. auf den deS 66. Lebensjahres. Die Idee ist nickt neu. Bei der Erörterung des ersten Entwurfs hat sie im Reichs tage eine große Rolle gespielt und natürlich auch eine große Zahl von Anhängern gehabt, denn mau wollte den Veteranen der Handarbeit einen möglichst langen gesicherten Lebensabend verschaffen. Damals wurde der Vorschlag durch den Hinweis darauf hinfällig, daß man noch keine Er fahrungen über die Kosten deS neuen VersicherungSzweigeS hätte und daß man sich hüten müßte, den Sprung ins Dunkle mit einer zu starken Belastung zu machen. Heute liegen die Erfahrungen in finanzieller Beziehung vor. Die weitaus größte Zahl der Versicherungsanstalten befindet sich in Verhältnissen, die ungünstig nicht genannt werden können. Indessen wird man auch bei ihnen bedenken müssen, daß nach Ablauf der ersten Beitragsperiode, also nach dem Jahre 1901, eine Berücksichtigung der entstandenen höheren Kosten eintreten müßte und daß, wenn noch andere neue Mehrausgaben als die schon an sich bedeutende Steigerung der jetzigen Rentenlast in die Erscheinung träten, die von Vertretern der verbündeten Regierungen geäußerte Hoffnung, man werde auch nach 1901 mit den jetzigen Bci- tragöhöhen auskommen, sich kaum verwirklichen lasten würde. Jedoch bei diesen Versicherungsanstalten würde sich die neue Last noch nickt allzusehr fühlbar machen. Dagegen halten wir ihre Einführung so lange für ganz unmöglich, als cs Fenilleton. Die kleine Lulu. 12s Sceroman von Clark Russell. Nachdruck verboten. Es war gerade genug Bewegung in der See, daß der alte Kerl hin und her schwang und sich drehte, wie eine Hammelkeule am Bratenwender; was die Leute aber am meisten kitzelte, das war die lächerliche Angst, die sich in der Haltung des Mannes ausdrückte; denn sein Gesicht war natürlich nicht zu sehen. Er hielt sich vollständig steif, weil er glaubte, dadurch leichter zu sein, und sah in Folge dessen genau wie eine Vogelscheuche aus. „Süng uns en Lied, Maating, Du weitst all, wat wi girn hürn, Herr tweiter Offzier", höhnte Einer der Leute und fing das Lied an; im selben Moment flüsterte aber ein Anderer: „Verflucht, de Schipper", — und fort waren wir. — Im Schatten der Küche bückten wir uns nieder, um zu sehen und zu hören, was aus der Geschichte werden würde. Wir sahen den Capitain nach dem Compaß gehen, — dann blickte er umher. Den Officier vom Dienst vermissend, rief er: „Mr. Banyard!" „Hier! Capteihn. — Ach Gott, ik bün jo hier baden, Sir, — die Düwel hebben mi uphißt; — i bün all halw dod!" Der Capitain sah verwundert in die Höhe und, offenbar in dem Glauben, der arme Mann erlaube sich einen unziemlichen Scherz, befahl ihm wüthend, sogleich herabzukommen. „Wenn de Wind kommt", hörten wir nun wieder den armen Pendel durch die Finsterniß wimmern, „Warden sei mien Tau ganz seker ut Verseihn lotlaten, ik kenn jo de niderträchtige Bande, un dann is 't ut mit mi. — So laten S' mi doch endlich dal, Capteihn, is dat woll en paffende Sitwatschon för einen von Ehr Offziers?" . - Der Capitain näherte sich nunmehr dem Großmast, tastete nach dem Tau, machte es los und ließ es nach. Nicht zu unter drückendes Gelächter begleitete Banyard's Niederfahrt, und dieses verwandelte sich in ein wahres Gebrüll, als Mr. Franklin das Tau, boshafter Weise, schon losließ, wie Banyard noch etwa vier oder fünf Fuß über dem Deck schwebte. Hierdurch schlug derselbe mit solcher Gewalt nieder, daß er sich nunmehr aller dings, bei seinem schweren Gewicht, den Hals hätte brechen können. Der Capitain sagte jetzt weiter nichts, er schrie uns nur zu, den Block herunterzuholen, und dann ging er wieder in die Cajüte. Das war für uns ein Zeichen, daß er in dieser Nacht keine weitere Notiz von der Sache nehmen wollte. Dafür stürzte nun aber Banyard wuthschnaubend unter uns. „Wo sünd de Hundsfötter, de mi uphängt hebben?" schrie er, „un wenn 't twintig wieren, — ik will Einen nah den Annern so gerben, dat rm dat Fell von Liew geiht, — un wenn 't dörtig wieren, wullt ik sei wisen, wo ik so 'n Gezücht von ßackermentschen Seekrabben tausaum slahn dauh. Nau, seggt, wer was 't? — Du, Billy, öder Du, Jim, oder Du oder Du?" — So fragte er jeden Einzelnen. Wir leugneten Alle, waren entrüstet, daß wir etwas davon wissen sollten, und drückten laut unser Mißfallen aus über seine Unverschämtheit, uns so etwas zuzutrauen. Die Beleidigtsten von Allen waren natürlich die beiden Schuldigen. Der alte Sam indessen gerieth in einen ehrlichen Zorn, als er befragt wurde. „Sei däd'n beter, nich tau seggen, ik hädd 't dahn", schrie er, mit wild funkelnden Augen Banyard's Gestalt von oben bis unten messend. „Na, wer ded 't dann?" schnaubte Banyard. „Ja, wer ded 't? — Finn'n Sei 't ut. — Denken Sei, ik ward tau dese Nachttied in't Takelwark herümkrauchen? — Wenn Sei seggen, ik wir '1 wesen, so sünd Sei en verdammten Lügner." „Wat, Du näumst mi en Lügner?" „Ja, ik näum Sei en Lügner; — worüm füll ik dat denn nich? — Wer förcht sik denn vör Sei? Ik künnt en betern Kierl as Sei taum Frühstück freien un würd nich mal weiten, dat ik wat in mien Mag hädd." „Na also, Bully, oller Pumpen - Unnersäuker", fuhr ein Anderer fort, „Sei seihn, hier is nicks för Sei tau Halen, gähn Sei leiwrr wedder nah hinn'n un denken S' an Ehr Ge schäften; — in de Capteihns Cajüt is Storm, da giww 't velliecht wat för Sei tau reperirn." Diesem Einfall folgte unmittelbar eine Fluth von Hänseleien und rohen Neckereien, denen gegenüber der arme Pendel sich kurze Zeit mannhaft behauptete, zuletzt aber doch die Flagge streichen muhte. Am nächsten Morgen donnerte Banyard mit einer Wand speiche auf di« Luke und rief: „Alle Mann nah hinn'n taum Capteihn!" — Dieser Befehl bezog sich natürlich, wie wir uns sagen konnten, auf den Schabernack, der dem Zimmermann ge spielt worden war, und im Gefühl unserer Unschuld marschirten wir trotzig nach dem Hinterdeck. Der Capitain, nahe am Oberlicht stehend, sah unS mit bösem Blick stirnrunzelnd an; er dacht« Wohl, uns damit ein- zuschllchtern. — Dann, als wir Alle vor ihm standen, schrie er: „Wer von Euch hat es gewagt, sich in letzter Nacht an Mr. Banyard zu vergreifen?" Keine Antwort. „Ich erwarte, daß Diejenigen, welche es thaten, sich auf der Stelle melden", fuhr er drohend fort. „Ich sage Euch, ich will es erfahren, nehmt Euch also in Acht." Tiefes Schweigen, wie vorher, war die Antwort. Er trat nun dicht an uns heran und fragte jeden Einzelnen: „Hast Du es gethan?" — Jeder Einzelne antwortete mit einem festen „Nein". — Dieses fortwährende „Nein", in den ver schiedensten Tonarten und mit einer absichtlich zur Schau ge tragenen Gemllthsruhc abgegeben, war über alle Begriffe komisch, besonders, wenn man dabei in das vor Wuth zückende Gesicht des Fragestellers sah. „Nun gut", sagte der Capitain, blaß vor Zorn, nachdem er die Reihe herum war, „nicht eine Unze Lebensmittel werdet Ihr mehr erhalten, bis ich die Schuldigen kenne." Nach diesen Worten trat auf einmal, zu unserer Aller Ueber- raschung, Klein-Welchy vor. „Weiten Sei, Capteihn", rief er, „ik will manierlich mit Sei reden; Ehre Schuld würd's sien, wenn ik 't nich däd. Da bün ik un noch anner unner uns, de von de Sak nicks weiten, un wenn Sei uns' Ratschon t'rügg behöll'n wull'n, so segg ik, dortau hebben Sei kein Recht." „Halt's Maul, Du aufsässiger Hund, und pack' Dich nach vorn, wenn Du nicht gleich wieder eine Tracht Prügel haben willst", brüllte der Capitain. Die Erinnerung an das Vorkommniß. welches seiner Zeit Welchy's Gefühle so unsäglich verletzt hatte, brachte ihn in die äußerste Wuth. Mit einem Ruck hatte er sein Matrosenmeffer gezogen, schlvenkte es in der Luft uno rief: „Bi Gott, ik mak hier en Annern tum Cummandür von de Brigg, — wahrhaftig, dat dauh ik, — wenn Sei mi anfaten, Schipper. — Hänn' weg! Wi sünd kein Kulies." Der Capitain, wenn auch ein Grobian, war doch kein Feig ling; mit einem Satz sprang er auf den Mann los; doch ehe er ihn erreichte, hatten Einige von uns im Nu das erhobene Messer den Händen Welchy's entwunden und ihn vom Capitain getrennt. Letzterer brüllte: „Legt den Kerl in Eisen!" — aber Keiner von uns rührte sich. Er stürzte nach dem Oberli'cht und rief nach dem alten Windwärts; dieser erschien auch sofort, nur mit Hemd und Hosen bekleidet. „Holen Sie die Eisen, damit wir diesen Schuft fesseln können", rief ihm der Capitain, auf Welchy deutend, zu. Dieser Befehl gelangte nicht zur Ausführung. — Noch ehe man bis Zehn zählen konnte, war ein heftiges Handgemenge ent standen. Windwärts hatte einen Mann niedergeschlagen und lag jetzt selbst mit blutender Nase zappelnd auf Deck. Als er wieder auf die Beine gekommen war, fuhr er unter uns wie ein wiithen- der Stier. Aber was konnten zwei gegen eine ganze Mannschaft ausrichten? Der ungleiche Kampf dauerte nicht lange. Der Capitain und der Maat ergriffen schließlich die Flucht. Das Blut der Leute war jetzt in Wallung. Die schlimmsten Leidenschaften arbeiteten in ihnen. Das machte mich bedenklich wegen Miß Franklin und ich sagte deshalb: „Nun ist es aber genug, der Maat hat seine Prügel weg und der Capitain seinen Lohn empfangen. Laßt uns zeigen, daß wir Mäßigung kennen." „Ik rög keine Hand mihr, ahn mien Früstllck", sagte Sam. Gerade in diesem Moment kam Banyard mit den Eisen. Das reizte die Leute von Neuem. Mir wahrem Wuthgeheul stürzten sie sich auf ihn, entrissen ihm die Fesseln und warfen sie über Bord. Der dicke Mann selbst wurde niedergeworfen und geknufft. Darauf traten wir Alle in der Mitte zusammen. Der Capitain und der Maat standen hinten und bericthen mitein ander. Nach einer Weile kam der alte Windwärts an uns heran und schrie in seiner gewöhnlichen Weise: „Was hockt Ihr hier Alle auf einem Fleck? Schert Euch nach vorn, wo Ihr hingehört!" „Wi verlangen uns' Frühstück", lautete die Antwort. „Erst sagt, wer sich die Frechheit mit dem Zimmermann erlaubt hat." „Dat weiten wi nich, un wenn wi 't ok wüßten, würd wi 't nich seggen", entgegnete Welchy, den Maat blutdürstig anblickend. „Mit Dir rede ich nicht", brüllte dieser wieder zornglühend los, abschreckender und scheußlicher wie je aussehend, mit seinem funkelnden Schiclauge.seinemblutbeflecktenHemd und vom Kampf zerrissenen Hosen. „Augenblicklich nach vorn mit Euch! Nicht einen Schluck, nicht einen Bissen bekommt Ihr, bis sich die Buden gestellt haben." Damit ging er weg, wir aber liefen hinter ihm her. Er riß ein Spließeisen heraus und drehte sich nach uns um. Alles schrie nun durcheinander, Jeder so laut er konnte. — Er drohte mit dem Eisen und ri«f: „Ruhe! — Wollt Ihr Eure Mäuler halten. — Entweder Ihr bekennt, oder es giebt kein Frühstück, kein Mittag, — nichts mehr; ja, selbst riechen sollt Ihr kein
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