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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.10.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189810236
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18981023
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18981023
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-23
- Monat1898-10
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.10.1898
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsah nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderunß 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Innahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen. Ausgabe: Nachmittags 4 Ulm Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 539. Sonntag den 23. October 1898. 92. Jahrgang. Aus der Woche. Die Kaiser reise bat manches Räthsel aufgegeben. So sind z. B. die Beweggründe für den Verzicht aus den Besuch EgyptenS und die näheren Umstände der in Alexandria vorbereiteten Mordanschläge noch nicht klar. Ob der Groß herzog von Baden sich wirklich für eine Abkürzung der Reise verwendet hat, muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist es willkommen, daß eine dahingehende glaubwürdige Behauptung überhaupt wieder entstehen konnte. Jahre lang war es ausgeschlossen, einen Einfluß deS großen Patrioten auf dem badischen Throne auf den Gang der Berliner Dinge auch nur zu vermuthrn. Das Verweilen des Großherzogs am Kaiserhofe ist auch mit der Möglichkeit, e« könnte eine Stell vertretung nothwendig werden, in Zusammenhang gebracht worden. Der Kaiser dürfte jedoch dem Gedanken, eine andere Persönlichkeit Regierungsacte, wenn auch im beschränktesten Maße, vollziehen zu lassen, kaum Raum gegeben haben, und es erscheint als das Wahrscheinlichste, daß wir der Ab neigung des Monarchen, Rechte zu übertragen, die Aenderung des ReisenplaneS zu verdanken haben. Sicherlich ist diese nicht auf die Gefahren zurückzuführen, die dem Kaiser von Anarchisten drohten. In der eng lischen Presse ist eine solche Erklärung von Mehreren zurück gewiesen worden und sie hat schon deshalb keine Berechtigung, weil die verbrecherischen Pläne sich nicht auf Egypten be schränkten, sondern auf Palästina ausdehnten, für welches Land das ursprüngliche Reiseprogramm beibehalten worden ist. Die letzten Mittbeilungell der „Nordd. Allg. Ztg." bringen nicht viel Neues, aber ein Zweifel an der Existenz verbrecherischer Vorhaben gegen daS Leben des deutschen Kaisers ist nicht zulässig. DaS hat selbst die demokratische „Franks. Ztg." anerkannt. Etliche „linkS- liberale" Blätter stellen sich zwar ungläubig, aber sie werden nicht ernst genommen, und beim „Vorwärts" versteht eS sich von selbst, daß er anarchistische Attentate leugnet, so lange nicht Leichen für die Wahrheit der Nachricht zeugen. Und sind die Leichen da, so bestreitet das social demokratische Hauptoraan den anarchistischen Charakter der Mordthalen. Das hängt mit dem Bewußtsein per social demokratischen Führer zusammen, daß man ihnen nicht mit Unrecht einen Theil der Verantwortlichkeit für die Verbrechen deS anderen socialrevolutionären Flügels zuschiebt. Nicht nur ihr Programm, nicht nur ihre Agitation im All gemeinen, auch ihre Beurtheilung anarchistischer Mordthaten insbesondere kann nur zu leicht so verstanden werden, daß daS Vergießen von Fürstenblut durch „Proletarier" im Grunde doch eine recht begreifliche Sache sei. Dies stößt den Herren immer dann auf, wenn ein anarchistisches Ver brechen geschehen oder durch die Polizei verhütet worben ist, ohne daß sie jedoch deshalb von ihrer Methode lassen. Was in Stuttgart über die Erdolchung der Kaiserin Elisabeth gesagt wurde, und die höhnischen Worte, die der „Vorwärts" für die zum Schutze deS deutschen KaiserpaarrS auf seiner gegenwärtigen Reise getroffenen Vorkehrungen hatte, war durchaus nicht so unzweideutig für Jedermann, wie sie einem GrschäftSsocialisten, der allerdings Bordeaux und Burgunder dem „Tyrannenblut" vorzieht, geklungen baben mögen. An dem Bescheide, den die deutsche Colonial-Gesellschaft auf ihre Eingabe wegen deS deutsch-englischen Ab kommens erkalten hat, ist das Eine erfreulich, daß man den Namen deS Fürsten Hohenlohe wieder einmal unter einem amtlichen Schriftstücke zu sehen bekommen hat. Sonst bat es nichts Beruhigendes, und die an Gewißheit grenzende Vermuthung, daß durch die Ueberweisung der Delagoa- bai an England Transvaal und der Oranjefrci- staat dieser Macht thatsächlich auSgelirfert sind, bleibt bestehen; sie wird heute noch wesentlich verstärkt dadurch, daß der „Kreuzztg.", die, wie in unserer Abendausgabe vom Freitag mitgetheilt wurde, an die Entscheidung Mac Mahon'S in dem englisch-portugiesischen Streite erinnerte, um zu erweisen, daß daS den Engländern von den Portu giesen zugesicherte Vorrecht nicht auf die Delagoa- bai und noch viel weniger auf die portugiesische Hafenstadt Lourenlxo - Marquez, sondern lediglich auf unbedeutende portugiesische Besitzungen südlich von der Delazoabai sich beziehe — daß der „Kreuzzeituug zweifellos von einem Kenner und Freunde des deutsch-englischen Abkommens die folgende Darlegung zugeht: „Es ist richtig, daß die Engländer lediglich auf die unbedeutenden portugiesischen Besitzungen südlich von der Delagoabai das Vorkaufs recht hatten, aber durch den Vertrag vom Jahre 1891 hat sich die Sache verschoben. Unter dem 20. August 1890 war bereits ein neue« Abkommen zwischen England und Portugal beschlossen worden, welches indeß nicht die Genehmigung der gesetzgebenden Körper schaften in Portugal fand. Am 11. Juni 1891 wurde, nachdem in zwischen die Engländer eine Flottendemonstration vor Lissabon in Scene gesetzt hatten, rin neuer Vertrag abgeschlossen und am 3. Juli beiderseitig ratificirt, welcher vielfache Aeuderungen gegenüber der früheren zwischen den Regierungen getroffenen, aber nicht in Kraft getretenen Vereinbarung enthielt. Die wesentlichsten Puncte betrafen das Monika-Plateau, welches den Engländern zugesprochen wurde, während Portugal ausgedehnte Gebietstheile nördlich vom Zambesi erhielt. Die Grenze der portu giesischen Provinz Angola wurde nicht nach dem Abkommen vom 20. August durch den Zambesi- und Kabompo-Fluß, sondern durch da- Barotse-Land gebildet und soll durch eine gemischte Commission näher festgestellt werden. (Die Engländer haben jetzt, wie bekannt, mit Lewanika, dem König der Barotse, einen Vertrag abgeschlossen, wonach die Chartrred Company die Verwaltung übernimmt. Dann aber bezog sich der Vertrag auf das Vorkaufsrecht des ganzen Gebiete- südlich vom Zambesi. In dem früheren Abkommen war Portugal einseitig die Verpflichtung auserlegt worden, gewisse Gebiete nicht ohne Zustimmung Englands abzutreten. Dies ist in dem neuen Abkommen in ein gegenseitiges Vorkaufs recht aus das Land südlich vom Zambesi abgeändert worden. Damit ist die alte Entscheidung von Mac Mahon überholt: England bat da» Recht, von seinem Vorkaussrechte Gebrauch zu machen, wenn Portugal einverstanden ist." Im Uebrigen mag die „Erörterung" der Angelegenheit durch den Bescheid des Kanzlers und die Erklärungen der Colonial-Gesellschaft als vorläufig erledigt angesehen werten. Der Zukunft wegen sei aber aus den Umstand hingewiesen, daß das Organ der nationalliberalen Partei in der vordersten Reihe Derjenigen gestanden hat, die in schroffen Ausdrücken Jerdermann das Recht, das Abkommen anders als günstig zu beurtheilen, abgesprochen haben. Wir wissen genau, daß hervorragende Mitglieder der nationalliberalen Partei — auch nichlsächsische, wie hinzugesügt sei — von tiefer Besorgniß wegen der Wahrung der deutschen Interessen in Afrika erfüllt sind und e- als verdienstlich bezeichnet haben, daß die Augen auf daS Abkommen gelenkt wurden. Die Haltung des Parteiorgans muß aber die Befürchtung er wecken, daß in den zu Berlin maßgebenden nationalliberalen Kreisen eine andere Auffassung vorherrscht. DaS Literarische Bureau im preußischen Mini sterium deS Innern erhält einen neuen Leiter und zwar, wie eS in besseren Tagen gewesen, einen Mann der Feder statt eines DerwaltungSbeamten. Ob die Personalvrränderung etwas zu bedeuten haben wird, muß dennoch dahingestellt bleiben. Eine Berliner Zeitung meint, eS würde sich im officiösen Preßwesen so lange nichts bessern, als die Regierung zur Vertheidigung ihrer Politik nicht wieder ein eigenes Blatt besäße, wie eS die „Provinzial-Corresponvenz" gewesen. DaS ist eine ausgesucht boshafte Bemerkung. Wer ist heute die Regierung und wessen Politik sollte ein solches Organ ver treten? Aus dem Unternehmen könnte nur etwas werden — nicht- Gutes, aber überhaupt etwas —, wenn eS an der Stelle, von der der Hofbericht ausgeht, und nach den „Grund sätzen", die bei der Abfassung dieses „Organs" herrschen, be trieben würde. Einwendungen der agrarischen Presse gegen die vom west preußischen Oberpräsidenten bekundete Absicht, die Ent wickelung der Industrie im Osten zu begünstigen, werden von Organen der „Linken" in äußerst giftigem Tone zurückgewiesen. Man braucht aber für die Berliner Leitung deS Bundes der Landwirthe und für die ostelbischen Groß grundbesitzer nichts übrig zu haben, um erstens anzu erkennen, daß Vie Schwierigkeiten in der Arbeiterbeschaf fung, unter denen der östliche Ackerbau schon jetzt in be sonder« hohem Maße leidet, durch außerordentliche staat liche Maßnahmen zu Gunsten eines industriellen Aufschwunges sehr erheblich vermehrt werden würden, und sodann, daß es das gute Recht der dortigen Landwirthe ist, au den Plänen deS Herrn v. Goßler Kritik zu üben. Freilich, sind im Osten die Bedingungen für eine ausgedehnte industrielle Thätigkeil gegeben, so wird sie früher oder später dort entstehen und es wäre auch nicht, wie die „Corr. d. B. d. L." meint, die „Landwirthschaft des Ostens", die „ruinirt" würde, es würde sich nur noch deutlicher als bisher Herausstellen, das; das allzu starke Vorherrschen des landwirthsckaftlichen Groß betriebes von Uebel ist. Für die kleineren Besitzer in Sachsen, im Rheinland und in Westfalen ist die Blüthe der Industrie ein Segen. Allerdings sind auch die Bodenverhältnisse im Osten andere und jedenfalls ist es ein Unterschied, ob industrielleUntcrnehmungen von selbst entstehen, oder ob sie durch daS Zuthun des Staates ins Leben treten. Deutsches Reich. verkitt, 22. Oktober. (Die Klerikalen und Bürgermeister Kirschner.) Es berührt eigenartig, daß gerade jetzt, wo die Bestätigung des Bürgermeisters Kirschner zum Oberbürgermeister von Berlin in Frage steht, klerikale Blätter diesem Manne eine vor 10 Jahren begangene Sünde vorrücken, eine Sünde freilich in den Augen der Klerikalen, eine wackere That in den Augen national gesinnter Deutscher. Die „Köln. Volksztg." sowohl wie die „Germania" bringen in Er innerung, daß Kirschner als Führer der Freisinnigen Breslaus im Jahre 1888 lieber die Cartellparteien siegen ließ, als daß er dem Centrum ein Mandat zum Abgeordnetenhause überlassen hätte. Die „Köln. Volksztg." sagt: „Es ist noch nicht v e r g «s s e n , daß 1888 die Freisinnigen auf Veranlassung ihrer Führer, zu denen in er st er Linie der jetzt in Berlin zum Oberbürgermeister gewählte Kirschner gehörte, lieber drei Mandate an die Cartellpartei verlieren, als sich wit zwei Abgeordneten neben einem Centrums- adg-^rvnetcn begnügen wollten." Und die „Germania" schreibt voller Ingrimm: „Man erklärte damals auf freisinniger Seite, man wolle lieber in Ehren untergehen, als dem Centrum einen Candidaten zugestehcn. Als ob es eine Schande wäre, mit dem Centrum zu gehen! Am meisten wüthtet« damals der Breslauer Rechtsanwalt und jetzige Berliner Oberbürgermeister Kirschner, der sogar mit seinem Austritt drohte, falls man dem Cen trum einen Candidaten concediren sollte." — Diese Auslassungen zeigen den unversöhnlichen Haß, den das Centrum gegen Kirschner hegt. Diese Abneigung ist ja an sich kaum für Kirschner von Belang, geschweige denn für das politische Leben in Deutschland. Das Bild ändert sich aber, wenn man sich fragt, ob nicht vielleicht klerikale Einflüsse zu der langen Verzögerung der Bestätigung Kirschner's zum Oberbürger meister von Berlin beigetragen haben und noch beitragen. Hinter den Breslauer Centrumsmännern steht der Erzbischof Kopp, und Herrn Kopp's Einfluß am preußischen Hofe ist bekanntlich nicht gering. Aber auch ab gesehen von dieser einen Persönlichkeit wird vielleicht seit der Bewilligung der Marinevorlage am Hofe besondere Rücksicht auf die Wünsche der artigen Centrumskinder genommen, wie man ja auch Rücksicht auf die Wünsche der Polen nahm, als diese sich im Anfänge der 90er Jahre als artige Kinder zeigten. Man kann schlechterdings nicht absehen, wodurch sonst die Bestätigung Kirschner's verzögert wird. Sein politisches Verhalten muß ja selbst bei den Conservativen einige Anerkennung finden, da er nach dem Geständniß der Centrumsblätter im Jahre 1888 den Conservativen zwei Mandate in Breslau verschaffte. An der schließlichen Bestätigung Kirschner's ist kaum zu zweifeln, aber man wird es schon für ein Zeichen der Zeit halten müssen, wenn es klerikalen Einflüssen gelungen sein sollte, die Bestätigung des von ihnen bestgehaßten Mannes so lange hinauszuzögern. Frei lich kann man es den Klerikalen nachfühlen, wie fatal ihnen der Gedanke ist, daß im Jahre 1900, in dem sie Berlin mit der Abhaltung des deutschen Katholikentages beglücken möchten, an der Spitze der Reichshauptstadt «in Mann stehen soll, der bereits durch die That gezeigt hat, daß er in einem überwiegenden Ein flüsse der Centrumspartei eher alles Andere, als eine Ehre er blickt. Den nationalen, nichtklerikalen Politikern wird freilich solch ein Mann an der Spitze der Verwaltung der Reichshaupt stadt um so erwünschter sein müssen, als die Klerikalen, wie eben auch die Absicht der Abhaltung des Katholikentages zeigt, über Berlin gar zu gern das schwarze Banner wehen sehen möchten. Wenn einmal nach dem alten Worte auf dem sandigen Boden der Mark der Kampf zwischen Protestantismus und Klerikalis- mus ausgefochten werden soll, dann muß man wünschen, daß in den Reihen der Kämpfer gegen den Klerikalismus erprobte Männer wie Kirschner nicht fehlen. Gerade die Angriffe der Klerikalen aufdiesenMann zeigen, daß seine endliche Bestätigung keineswegs nur den Freisinnigen erwünscht sein muß. Zs Berlin, 22. Oktober. DieFörderung der Arbeits nachweise ist von den verschiedensten Stellen aus in letzter Zeit in Angriff genommen. Es kann auch nur gewünscht werden, daß darin fortgefahren wird, jedoch wird man überall darauf achten müssen, daß die Arbeitsnachweise nickt Agitationsmittel für die Socialdemokratie werden. Wie deni vorzubeugen wäre, bat Herr Generalsecretair H. A. Bueck in der letzten Ausschußsitzung des Centralverbandes deutscher Industrieller, über welche jetzt der stenographische Bericht vor liegt, auSgefübrt. Der Arbeitsnachweis, so sagte er, ist in seiner Bedeutung zuerst von den englischen Arbeitern erkannt und mit außerordentlichem Erfolge als Kampfmittel gegen die Arbeitgeber angewendet worden. Die Trade Unions hatten sich desselben bemächtigt und damit wurden die Arbeitgeber tyrannisirt. Das Joch wurde von den Arbeitgebern im Streik der Maschinenarbeiter gebrochen. Auch die deutschen Arbeiter haben Versuche gemacht, sich des Nachweiscs zu be mächtigen; es haben deswegen schwere Streiks stattgefunden — eS ist ihnen nicht gelungen. Der Arbeitsnachweis hat sich, in die richtige Form gekleidet, als nützlich und nothwendig erwiesen. Ick bin der Ansicht, daß die Arbeitgeber alle Veranlassung haben, dem Arbeitsnachweis ihre volle Aufmersamkeit zuzuwenden und ihn selbst in die Hand zu nehmen, um Herr in ihrem Hause zu bleiben. Dieser unerläßlichen Vor bedingung entsprechen die sogenannten gemeinnützigen Arbeits nachweise nicht. Sie sind, unter einem sogenannten unpar teiischen Vorsitzenden, gewöhnlich dem Vorsitzenden deS Gewerbe gerichts, zufammengesetzt zu gleichen Theilen aus Arbeit gebern und Arbeitnehmern. Tas halte ich für unzulässig, denn die Erfahrung hat gelehrt, daß unter den kleinen Arbeitgebern viele Socialdemokraten vorhanden sind, die Arbeiter aber werden stets Socialdemokraten sein und einen überwiegenden Einfluß erlangen. Noch in anderer Richtung wird die Selbstständigkeit der Arbeitgeber gefährdet. Die meisten sogenannten unparteiischen Arbeitsnachweise setzen ihre Thätigkeit bei einem Arbeiterausstande für den betreffen- den Gemerbezweig ruhig fort. Allein richtig ist, daß bei auSgebrvchenem Streike die Nachweise ihre Tbätigkeit für die Dauer deS Streikes für die betreffende Branche ein stellen. Die sogenannten unparteiischen Nachweise verlangen meistens, daß bei einer ausbrechenden Arbeitseinstellung die Parteien sich in kürzester Frist, meistens in zwei Tagen, den als Schiedsgericht constituirten Gewerbe gericht unterwerfen und wenn die Parteien sich dem Spruche dieses nicht fügen, tritt der Nachweis sofort wieder in Tbätigkeit. Ein solches Verfahren muß vom Standpunkte des Arbeitgebers als unzulässig erachtet werden. Er muß in erster Reihe darauf bestehen, daß jede Ein mischung Dritter bei eventuellen Streitigkeiten mit seinen Arbeitern zurückgewiesen wird. Besonders kann er sich nickt den Gerichten unterwerfen, deren Arbeiterbeisitzer durchgängig, vielfach aber auch die Beisitzer aus dem Stande der Arbeit geber, Socialdemokraten sind. Den jetzt tonangebenden An sichten bezüglich aller, die Arbeiter betreffenden Fragen entsprechen die sogenannten unparteiischen Nachweise. Von den Regierungen, Communalverwaltungen und allen etwa« socialistisch angehauchten Kreisen ist dem Verbandstage dieser Nachweise am 27. September großes Interesse zu gewendet worden. Dem gegenüber ist die Bewegung in Arbeitgeberkreisen nicht unbedeutend. ES sind bereits große Erfolge erzielt worden und die Nachweise von Arbeitgeber- Verbänden leisten Vorzügliches. Ich glaube, daß, wie ick mir bereits anzudeuten erlaubte, dem Arbeitsnachweis, namentlich in den Kreisen der Großindustrie, die ihm gc- Frnttleton. Ver Plackesel. Vtn Bild au» dem Leben. Von Georg Hiller. Vtachdruck verlöte«. Heinrich Schultze war vierundzwanzig Jahre alt, als ed sich in die kleine Gusti, die Tochter seiner Logiswirthin, ver liebte. Gusti war ein reizendes Mädchen. Alle Welt fand sie entzückend und auf allen Bällen und in allen Theater vereinen war sie eine stet« gesuchte kleine Persönlichkeit. Daher packte sie auch der Eitelkeitsteufel ein wenig und sie machte sich große Hoffnungen auf die Zukunft ihre« Leben«. Der Sohn des reichen Commerzienrath« hatte ihr einmal ein Bouquet geschickt, gleich träumte sie sich an seiner Seite in seiner väterlichen Billa, der Referendar, ein äußerst schneidige« Kerlchen, lud sie zu einer Kahnpartie ein und die Nacht darauf sah sie sich im Traume al« GerichtSdirectorin einem feinen Damenkränzchen präsidiren. Ein blutjunger Lieutenant, chic von dem schnurgeraden Scheitel bis zur Spitze seiner Lackschuhe, batte ihr gesagt, daß sie geradezu süß sei, und flug« sah Gu sti einmal ihren Namen mit einer freiherr- lichrn Krone auf ^ner Visitenkarte. Auch die Mutter dachte da« wohl manchmal und freut« sich der Zeit, wo ihr Schwiegersohn ihr sorgenvolle« Leben gründlich erleichtern werde. Und sorgenvoll war ihr Leben. Sie lebte vom Der- mirthen und da« brachte nicht viel rin. In einem Jahre machte sie eia Loch voll Schulden zu und ein größere» dafür auf. War der «ine Fleischer mit Müh« und Noth abgezaylt, so war schon die Rechnung bei dem andern um das Doppelte! gestiegen, hatten Bäcker und Kaufleute, Schuhmacher und Schneider mit Hilfe von Zahlungsbefehlen und Klagen ihre Guthaben nothdürftig hereingebracht, so waren schon Andere mit noch größeren Rechnungen da. Die ganze Hoff nung der Mutter stützte sich auf Gusti'S hübsches Lärvchen und den zukünftigen Schwiegersohn. E« war daher kein Wunder, daß Heinrich Schultze, der nun schon zwei Jahre bei der Wittwe Schmidt wohnte, die Verhältnisse kannte und auch wußte, daß seine Liebe hoffnungslos war, denn sein be scheidene« Buchhaltergebalt konnte nimmermehr die Ansprüche Gusti'« befriedigen. Gusti hatte auch noch einen Bruder, der war Gymnasiast, und sah mit verächtlichen Blicken auf den Miether seiner Mutter, wenn er ihm auch gut genug dünkte, hier oder da angeborgt zu werden. Heinrich kannte den Charakter Gusti'« und doch liebte er sie Rnmer inniger und glaubte, nicht ohne sie leben zu können. Die Mutter merkte die« allmählich, und da nach einigen Jahren auS den vielen Liebeleien Gusti'« nicht« Eheliche« geworden war, sprach sie mit Gusti und machte sie auf Heinrich'« Liebe aufmerksam. Erst wollte die Tochter nicht« davon wissen, al« aber Heinrich im Geschäfte Prokurist geworden war, ein Procurist, wie so viele, der nur für die NamcnSzeichnung da ist, sonst aber keinen Einfluß hat, da betrachtete sie den jungen Mann mit anderen Augen, ermunterte ihn und sagte auf sein heiße» Werben ja. Nun wurden große Anschaffungen gemacht, die Tochter fand Alle- reizend, die Mutter Alle« billig — dem Bräutigam sagte man nicht die Wahrheit. Die Hochzeit mußte glänzend sein. Man hrirathe doch nur einmal, meinte Gusti, und damit stimmte sie den verliebten Heinrick um, der da» Argument ganz beweiskräftig fand. Die Hockzeit wurde au«- gerichtet und Gustchen Schmidt war Frau Procurist Schultze geworden. Heinrich schwamm in einem Meere von Wonne, Frau Schmidt in einem Meere von Schulden. Nach ein paar Wochen sagte sie ihrem Schwiegersohn den zehnten Theil der Wahrheit und Heinrich bezahlte da« HochzeiiSmahl. Er fand da« nicht mehr wie recht al« billig, war e« doch seine Hoch zeit gewesen. Dann gingen ein paar Monate in« Land und Heinrich mußte die fällig gewesenen Raten beim Wäschehändler decken, dann kam der Tapezierer, da« Möbelgeschäft und schließlich die Modewaarenhandlung. Am Schluffe des zweiten Jahre- hatte Heinrich einige Tausend Mark für die Ausstattung bezahlt. Er batte e« gern gethan, aber nicht ohne leise Vor würfe, daß die Ausstattung doch zu theuer gewesen sei. Da kam er freilich schön an. WaS er venu dächte, eine gute Ausstattung hätte ihre Tockter haben müssen, sie könnt« Gustchen doch nicht al« Bettelkind in die Welt schicken — daß Heinrich schließlich die Rechnungen bezahlt hatte, da« schien die gute Frau gar nicht zu begreifen. Aber auch Gustchen machte ihm schwere Sorgen. Sie verstand recht wenig von der HauSwirthschaft. Heinrich fand allmählich, daß die Kochkunst seiner jungen Frau gar viel zu wünschen übrig ließ und daß da» Wochengeld wie Butter vor der Sonne schmolz. Aber hier sagte er nicht». Wurde er doch überall um seine junge hübsche Frau und ihre gesellschaftlichen Talente beneidet. Zwar ging sie öfter« allein zur Probe und in den Gesangverein, doch war nicht« dabei, Heinrich hatte im Ge schäft zu büffeln und holte seine junge Fran regelmäßig ab. Er hatte sehr viel zu thun. DaS Geschäft hatte sich ver größert, der Gehalt war zwar etwa« gewachsen, jedoch nicht im Verhältoiß zur Arbeit. Manchmal erschien ihm sein Leben al- plaaenvoll, allein eine Erinnerung an Gusti oder gar ein Kuß von ihr verscheuchte bald allen Nnmuth. Sein Schwager hatte die Universität bezogen. Immer und immer wieder steckte ihm Heinrich auf dringendes Ver langen ein paar Goldstücke zu, aber der unersättliche Durst war nicht zu stillen. Da gab eS auf einmal große Auf regung. Frau Schmidt kam wehklagend gelaufen und er zählte, daß sie nicht mehr die Zinsen bei der Vorschuß dank decken könnte. Man habe sie pfänden wollen und der gleichen schöne Dinge mehr. Zum ersten Male während seiner vierjährigen Ebe war Heinrich zornig. Weshalb sie denn die Schulden gemacht habe, wie hoch die Summe sei. Nun, antwortete Frau Schmidt pikirt. sie sei eS doch ihrem Sohne schuldig, daß dieser etwas Ordentliches lerne, ein Kaufmann solle er doch nicht etwa werden, al« Rechts anwalt oder GerichtSratb werde er einst viel Geld verdienen und dann den Kram an Heinrich bezahlen. Sie hätte immer darauf gehalten, daß ihre Kinder etwa« Ordentliche« lernten, daß sie standesgemäß aufträten, und solche Lappereien sollten doch Heinrich gar nicht geniren. Wie viel e« sei? Gott, nur zweitausend Mark und die Zinsen, vierzig Mark habe sie schon abbezahlt. Ob er, Heinrich, denn diese Summe bezahlen solle? Natürlich, er könne doch nicht seine Schwiegermutter und seinen Schwager sitzen lassen. Wa« half e«? Gustchen stellte sich auf Seite der Mutter und Heinrich arranzirte schweren Herzen« die Angelegenheit. Weder Mutter, noch Sohn, noch Frau hatten rin Wort des Danke« für ihn. Frau Schmidt batte einen Bruder, der ein kleines Ge schäft besaß. Heinrich batte ibm in seinem Geschäft einen kleinen Credit au-gewirkt, der fast regelmäßig überschritten I war. Eine« Tage« stellte e» sich heran«, daß dieser Bruder
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