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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.10.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981027019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898102701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898102701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-27
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Der Bundesrath hat sich schon mit seinem Beschluß über die erste lippische RegierungSstreitsrage für unzuständig erklärt und eine schiedsgerichtliche Entscheidung an geregt. Diese ist unter dem Vorsitz des Königs von Sachsen erfolgt uud sie beantwortet zugleich die jetzt aufgeworfene Frage. Die Söhne des Graf-Regenten von Lippe sind ebenbürtig und erbberechtigt, weil dem Schieds spruch zufolge nach lippischem HauSrechte der Graf-Regent eine ebenbürtige Ehe eingeganaen ist. Die Mutter der Gemahlin deS Regenten, einer Gräfin Wartensleben, ist eine Bürgerliche gewesen, aber daS Schiedsgericht hat aus gesprochen, daß es auf diesen Umstand „nicht ankomme*, da „die Frauen durch den Eheabschluß den adeligen Stand der Männer erlangen". Zum Ueberfluß ist die Ehe deS Regenten vor dreißig Jahren unter dem ConsenS deS damals regierenden Fürsten von Lippe-Detmold ein gegangen und dadurch hausrechtlick als eine unzweifelhaft ebenbürtige anerkannt werden. Der BundeSrath hat auch, seiner eigenen Erklärung gemäß, seiue Zuständigkeit nicht dadurch anerkannt, daß er im Februar d. I. auf Anrufung des Grafen Lippe-Schaumburg die lippische Regierung er suchte, der LandeSgesetzgebung über Thronfolge und Regent schaft vor der Entscheidung deS BundeSraths — über die Zuständigkeit — „keinen Fortgang zu geben". Lippe hat dem entsprochen und nur, um Wirren wie die der letzten Jahre nicht wieder aufleben zu lassen, für den Fall, daß der jetzige Regent vor dem regierungsunfähigen Fürsten sterben sollte, die Nachfolge in der Regentschaft durch ein.Gesetz geregelt. Daß die Nichtzuständigkeit des BundeSraths nicht zu be zweifeln ist, geht außer auS dem eben skizzirten Sachverhalte aus den Diversionen hervor, mit denen die Anwälte des Prinzen Schaumburg die Augen von dem Kernpunkt des Handels abzuziehen versuchen. So behaupten sie, nach der — nicht mehr giltigen — Verfassung des — nicht mehr existirenden — deutschen Bundes wäre die Bundesversamm lung zur Entscheidung einer derartigen Angelegenheit kompetent gewesen, was, nebenbei bemerkt, nicht einmalzutrifft. Dann wird aufdenBundesrathSbeschluß über dieNichtzulassungdeöHerzogs von Cumberland zur Regierung in Braunschweig hingewiesen. Dieser Beschluß regelt aber keine ErbrechtSsrage, er spricht einfach die thatsäch licke Nichtzulassung aus, weil der Herzog von Cumberland sich „in einem dem reichsver fassungsmäßig gewährleisteten Frieden unter den Bundesstaaten widerstreitenden Verhältnisse zu dem Bundesstaat Preußen befindet." Etwas Derartiges liegt gegen dem Graf-Regenten dort Lippe und dessen Söhne nicht vor. Es ist eine innere lippische Angelegenheit zu entscheiden, und zuständig ist nur die lippische Landesgesetzgebung. Auch Preußen hat früher die Competenz des BundeSraths geleugnet. Heute nimmt es den entgegengesetzten Standpunkt ein. Warum? Die „Nationalztg." antwortet: „Aus Gründen, von denen man lieber nicht spricht." Man muß aber unseres Erachtens davon sprechen, denn es steht für Deutschland etwas ganz Anderes auf dem Spiele, als die Frage, welche Linie in Lippe regieren soll, nämlich das Vertrauen in die Loyalität Preußens, an dessen Spitze der deutsche Kaiser steht. Das Schieds gericht unter dem Vorsitz des Königs von Sachsen, dessen Spruch sich beide Parteien :u unterwerfen gelobt hatten, bat daS Recht gefunden und festgesetzt, und für die geänderte Haltung der preußischen Regierung in der Zuständigkeits frage läßt sich gar kein anderer Grund denken, als die Absicht, jenen Rechtsspruch zu Gunsten eines Ver wandten des Kaisers umzustoßen. Diese Bewandt- niß springt um so greller ins Auge, als im Herzogthum Meiningen, ohne daß ein preußischer Einspruch erfolgt wäre, die gleich liegende Ebenbürtigkeitsfrage so entschieden wurde, wie Lippe sie regeln will, und als eine sehr auf fällige persönliche Parteinahme für Lippe-Schaumburg in Berlin zu Tage getreten ist. Man erinnert sich des Tele gramms des Kaisers an den Graf-Regenten. Es war ge sagt worden, es sei das Echo eines unehrerbietigen Schreibens des Grafen an den Kaiser gewesen. Nun, der „Täglichen Rundschau* hat das Schreiben vorgelegen und sie versichert, es sei io den ehrerbietigsten Formen abgefaßt, vor Allem sei unwahr, daß es auch nur andeutungsweise einen Hin weis auf andere Fälle von Unebenbürligkeit enthalte, und es biete auch nicht den geringsten Anbaltepunct zu einer Er klärung der scharfen Tonart des kaiserlichen Telegramms. Weiter weiß man unter Anderem von der Nichtbeachtung des det- moldischen Regiments bei den letzten Manövcrn und davon, daß im Lippischen „von Hetzern und Agitatoren" mit der Wegverlegung der Garnison von Detmold und mit der Verweigerung von Eisenbahnanschlüffen gedroht worden ist. In diesem Lickte einer zur Vergewaltigung eines deutschen Bundesstaates bereiten Macht darf Preußen nicht lange mehr erscheinen, wenn die Grundlage des Reichs, die Achtung vor der verfassungsmäßig gewährleisteten Selbstständigkeit seiner Glieder, das Gefühl der Rechtssicherheit bei den Bundesfürsten nicht unheilbar erschüttert werden soll; zu geschweige» davon, daß der Berliner Hof durch die Angriffe auf die Legitimität in Lippe an dem Aste sägt, auf dem er selber sitzt. Die Genugthuung der particularistischen, der welsischen Elemente über die in dem kleinen Staate gegebene Handhabe zur Unterwühlung des Reiches wird immer lauter, die Socialdemokratie wird sich dieses Agitations mittel gegen die Monarchie überhaupt gleichfalls nicht entgehen lassen. Das reichS- und königstreüe deutsche Volk erwartet vom Reichskanzler und den Regierungen der Mittelstaaten, daß sie durch eine rasche Entschließung nach der Seite des Rechtes Preußen vor sich selbst schützen werden. Was den Fürsten Hohenlohe angeht, so wird er sich selbst sagen, daß mit der endgiltigen Stellungnahme in dieser Angelegenheit sein Ansehen als daS eines selbstständigen Staatsmannes steht und fällt. Deutsches Reich. Zt Berlin, 26. Oktober. (AllgemeineSteigerung der Seestreitkräfte.) Daß die Durchdringung unseres im Vergleich zu dem riesigen Schiffbauprogramm Rußlands, Frankreichs und Nordamerikas bescheidenen Flottengesetzes auf die Baupläne dieser Staaten eingewirkt habe, wird wohl Niemand ernstlich vorbringen wollen. Es ist vielmehr das Ge fühl, daß bei allen politischen Differenzen zwischen zwei Kultur völkern von nun an die Seemacht eine entsprechende Wirkung haben werde, -das diese Staaten zur Vermehrung ihrer Flotten in schnellerem Tempo als bisher treibt. Der sich vorbereitende Kampf um die Vorherrschaft im Stillen Ocean, zu dem sogar als außereuropäische Macht sich Japan rüstet, der Niederbruch Spaniens infolge seiner Vernachlässigung der Flotte und Eng lands auf seine Seeherrschaft gestütztes Vorgehen in Afrika sind die direkten Ursachen dieser Steigerung der Seestreitkräfte bei allen noch nicht auf die Zukunft verzichtenden Staaten. Jetzt läßt die Faschoda-Angelegenheit Frankreich und England ihre Seestreitmittel zur Vertheidigung und vielleicht zum An griff zusammenziehen. Frankreich steht zur See im Vergleich zu seiner Einwohnerzahl und seinem Colonialbesitz nicht auf der richtigen Stufe. Alleinstehend würde es jetzt nachgeben muffen und nur bedauern können, daß es durch seinen steten Blick nach -der Ostgrenze sein Zurückbleiben als Seemacht so außer Augen gelassen hat. Bei dem so innigen Zusammenwirken von Per sonal und Material in der Marine ist ein schnelles Wiedergut machen langjähriger Unterlassungen ausgeschlossen. Eine Flotte muß stetig gefördert werden; der Fortschritt des Rivalen im Schiffbau darf nicht unerwidert -gelassen werden. England handelt auch jetzt so und weiß aus Erfahrung, daß die Erhöhung seines Aufwandes für die Flotte «ine gute Geldanlage bedeutet. Hoffentlich kommt auch unser Volk immer mehr zu dieser Ein sicht. Vorläufig überwacht die englische Fachpresse die infolge der politischen Spannung jenseits des Canals eingetretene größere Thätigkeit in den Häfen und die Verschiebungen der Seestreit kräfte zwischen den Nordhäfen und dem Mittelmeer. Es sollen nach englischen Nachrichten die vier 6600 Tons großen Panzer schiffe „Admiral Tröhouard", „Valmy", „Jemappes", „Bou- vines" in Toulon in Dienst kommen. Zum Nordgeschwader aus den Schlachtschiffen I. Classe „Formidable", „Redoutable". „Admiral Baüdin" und „Admiral Duperre" treten noch „Courbet" und „Dßvastation". Zu diesem Geschwader gehören auch noch der Panzerkreuzer „Dupuy de Lome", die geschützten Kreuzer „Catinat" und „Succouf", sowie die Torpedokreuzer „Cassini", „Eperrier" und die Torpcdofahrzeuge „Aquilon", „Lancier" und „Mangini". Zum Mittelmeergeschwader gehören die Schlachtschiffe'„Brennus", „Bouoet", „Carnot", „Charles Märtel", „Jaurigusberry" und „Massöna", die Panzerkreuzer „Latouche-Treville", „Chanzy" und „Pothuau", die Kreuzer „Cassard", „Lalande", „Lavorsier" und „Linois", sowie die Torpedokreuzer und Fahrzeuge „Condor", „Faucon", „Löger", „LSvrier", „Vautour", „Eclair", „Flibustier", „Forbin", „Ka- byle" und „Sarassin". Auch können die jetzt als Artillerieschul schiffe dienenden über 10 000 Tons großen Schlachtschiffe „Magenta", „Marceau" und „Neptune" jederzeit als dritte Division zum Mittelmeergeschwader stoßen. Berlin, 26. Oktober. (Lippe und Braun schwei g.) Das Gutachten des Münchener Staatsrechtslehrers von Seydel zum lippischen Thronfolgerstreit wird heute von der „Germania" zu Gunsten der Ansprüche des Herzogs v o n C u m b e r l a n d auf die Thronfolge in Braunschweig ausgebeutet. Den Vorwand hierzu liefern die Schlußsätze der Seydel'schen Ausführungen, die unter Anderem folgendermaßen lauten: „Der Glaube an das Fürstenthum von Gottes Gnaden muh zu Schanden gehen, wenn nicht die Unterthemen die Gewiß heit haben, daß der regelrechte Uebergang der Staatsgewalt von einem Thronerben auf den anderen sichnachNechtundGe- rechtigkeit vollzieht. Es darf von der Einsicht und Ge rechtigkeit des Bundesrathes erwartet werden, daß er, so viel an ihm liegt, dazu mitwirken werde, daß jener Glaube ge stärkt aus dem lippischen Thronfolgestreit hervorgeht." — Die „Germania" erklärt sich hiermit einverstanden und fährt dann fort: „Aber gilt dasselbe nicht auch von der — ihrer rechtlichen Seite nach unbestrittenen — Thonfolge in Braunschweig?" — Die Bettelarmuth an nationalem Empfinden, die in dieser Frage sich offenbart, ist würdig der in ihr bekundeten jesuitischen Dialectik. Gewiß soll auch in Braunschweig der Uebergang der Staatsgewalt von einem Thronerben auf den anderen sich nach „Recht und Gerechtigkeit" vollziehen. Worin aber liegt denn die Gleichartigkeit der lippischen und der braunschweigischen Thron- folgefrage? In nichts! In Lippe regiert der Graf-Regent kraft eines Schiedsspruches, dessen Begründung auch die neuerdings gegen die „Ebenbürtigkeit" der Söhne des Regenten erhobenen Einwände zurückweist; überdies handelt es sich hier nickt um einen Streit zwischen Bundes staaten, lediglich ein Ausspruch des Fürsten von Schaumburg-Lippe auf die Erbfolge in Det mold liegt vor. Der braunschweigische Thronprätendent dagegen befindet sich im ausgesprochenen Gegensätze zu Preußen, dessen Besitzstand er nicht anerkannt hat. Recht ist deshalb im Herzogthum Braunschweig die Regentschaft des Prinzen Albrecht; sie wurde begründet durch das Landesgesetz vom 16. Februar 1879, und durch -den Bundesrathsbeschluß vom 2. Juli 1885, der dahin geht, „daß die Regierung des Herzogs von Cumberland in Braunfchweig, da derselbe sich in einem dem verfassungsmäßig gewährleisteten Frieden unter den Bundes gliedern widerstreitende Verhältnisse zu dem Bundesstaate Preußen befinde und im Hinblick auf die von ihm geltenv ge- Feiirlletsn. Von deutscher Ärt. 3u Johannes Honterus' 400jährigem Geburtstage. Von Siegfried Moltke. Es gab eine Zeit — sie ist noch nicht lange entschwunden —, da war das Siebenbürger Sachsenvolk noch ziemlich unbekannt in seinem deutschen Mutterlande, ja neun Zehntel des deutschen Volkes wußten kaum, wo denn eigentlich dieses Siebenbürgen zu suchen sei, gewöhnlich wurde es mit dem Siebengebirge ver wechselt. Nur ab und zu, wenn der grimmigste Feind -dieser deutschen Stammesbrüder, wenn der magyarische Chauvinismus das eisern« Band gar zu eng um die Volksseele dieses Völkchens anzog, um sie zu tödten, das -heißt: um das Deutschthum dieser Deutschen zu vernichten, sei's langsam durch rin programmatisches deutschenfeindliches Gesetzgebungsfystem, fei's durch ein ein zelnes, plötzlich erscheinendes, aber mit all«r Wucht treffendes Gesetz, wie jüngst das der Ortsnamenmagyarisirung, dann drang wohl ein schwacher Widerhall des Nothrufes unserer fernen Brüder auch an Germaniens Ohr, doch -diese Mutter aller Deutschen zuckte Wohl mitleidig, nicht aber mitleidend, ihre Schultern und, wenn ihr« -deutschen Kinder an der Ostmark Europens entweder den neuen gegen ihr volkliches Dasein ge richteten Stoß überwanden (niemals aber verwunden haben!) oder glücklich abwehrten, was selten, sehr selten der Uebermacht gegenüber geschehen konnte, dann vergaß ihrer die Mutter im Norden wieder ebenso allmählich, als jene im Süden allmählich der Amputation am so schon arg genug verstümmelten Körper ihrer durch sieben Jahrhunderte von ihren Königen wiederholt verbrieften Rechte gewohnt wurden, wenn auch die Wundstelle niemals berührt werden darf, ohne daß sie von Neuem blutet. Heute ist das anders geworden. Germaniens Auge hat, seit sie über die Zerrissenheit, über di« Zerklüftung ihrer Stämme nicht mehr so viel Thränen zu vergießen hat als vor 1870/71, an Sehkraft zugenommen. Sie blickt jetzt weit über dir Grenz pfähle des deutschen Reiches und sucht allüberall, selbst in den fernsten Ländern, ihre verstreuten Kinder, um Uber sie zu wachen, um sie mit derselben, ja mit fast noch heißerer Mutterliebe zu schützen gegen fremde Anmaßung und Gewalt; sind eS doch ihr« Schmerzenskinder! Der fern« Sohn, di« fern« Tochter hat eben stets den Vorzug zu genießen, daß die Mutter bangender, brsorg- licher ihrer gedenkt, als Derer, die täglich ihre Güte und Liebe auS unmittelbarer Nähe empfinden dürfen. Da zuckt daS Mutter herz gewaltig«!, wenn es die Firnen leiden weiß und beim besten Willen doch nicht helfen kann. Aber um so freudiger strahlet daS Antlitz, wenn frohe Botschaft an das mütterliche Ohr dringt. Solche frohe Botschaft ist der Mutt«r Germania jetzt ge worden. Teilweise recht heftiger Parteienkampf, der nirgends überflüssiger sein dürfte, al» unter dem Häuflein der deutschen Siebenbürger Sachsen, hat jetzt geschwiegen und die politischen Gegner sind näher wieder zusammenqeführt. Da» Wort des „gckldentn Freibriefes* an di« Siebenbürger Sachsen vom unga rischen Könige Andreas II. (1224), dessen Jdealgestalt in Grill- parzer's „Ein treuer Diener seines Herrn" übrigens durchaus nicht in Einklang zu bringen ist mit dem Charakter seines histo rischen Urbildes, das Wort „IIuu8 sit populrm" hat sich in -den jüngsten Tagen am Saume der Karpathen im unvergleichlich schön gelegenen Kronstadt erhebend bewahrheitet. Die Welt, die auf das Sach-senvolk jenseits der Leitha mit einer schwarzen Brille zu sehen sich gewöhnt hat, hat einmal recht deutlich zu sehen be kommen, daß ihr Wahn von dem Untergange dieses deutschen Stammes, von seiner Kraftlosigkeit und Machtlosigkeit eben noch — hoffen wir für immer — ein Wahn ist! Das Volk, das sich dort an der altehrwürdigen Honteruskirche, benannt nach dem siebenbürgischen Reformator und Freund Martin Luther's, um das meisterhaft schön gestaltete Standbild eben dieses Gottes mannes schaart« und vor diesem Denkmal in beispiellosem En thusiasmus und heiligem Einigkeitsempfinden vor Gott den Schwur der Treu« dem deutschen Glauben, der -deutschen Sitte, der deutschen Art ablegte, ein Augenblick, der im Unglück ge stählt« MLnwerherzen tief erschüttert und tausend Mannes augen in Thränen sah, das Volk hat an dieser geweihten Stätte machtvoll gezeigt, welch' hehre, schöne, stolze Kraft ihm und seinem unter tausend und abertausend Gefahren treu behüteten Deutschthum noch innewohnt. „Wir waren", so sagte man in Kronstadt, „wie seit langer, langer Zeit nicht wieder, in des Wortes tiefster Bedeutung ein Volk! Dort auf dem Hon- terusplahe haben die Sachsen -das köstliche Gefühl empfunden, was es heißt, zu vielen Tausenden von einem Geist, von einer Seele durchströmt zu sein." Es war ein Fest von deutscher Art, nicht die schnell entzündet« und verpuffte Be geisterung des magyarischen Volkstemperamentes, aus Leiden schaftlichkeit, wi« sie den Südländer behaftet, geboren, nein: die aufrichtigste, aus dem herrlichen Bewußtfein der deutschen Zu sammengehörigkeit, auS dem glückseligen Gefühl der Glaubens gemeinschaft, aus dem erhebenden Empfinden, die einigen Kinder einer Mutter, die Glieder einer Familie zu sein, erstandene heilige, erhabene Freude Ivar es, die aus dem unbeschreiblichen Jubel der Tausende und Abertausende zum Himmel lohte, ein Jubel, eine Freude, wie sie so groß, so schön, so erschütternd nur selten «in Volk überkommt, die Alles mit sich reißt, selbst den ab seits stehenden Gegner; solch' ein Jubel, solch' eine Freude er faßte das Sachsrnvolk, als vom Denkmal seines Reformators die Hülle fiel, als, uberfluthet vom goldenen Sonnenlicht, das Bild de» Mannes vor sein Völk trat, der ihm, vor vier Jahrhunderten geboren, des Gutenberg Kunst zugeführt, dem die sächsische Nation den Neubau der Schule auf Grund der wieder erstandenen klassi schen Literatur verdankt, in welchem sie den Reformator ihrer Kirche ehrt, den Luther des Siebenbürger Sachsenlandes. Ein Fest von deutscher Art zu Ehren eines Mannes von deutscher Art, des größten SohncS seines Volkes. Es sind zwei Werke deS Mannes, die für sein Volk ein Segen waren und noch sind und bleiben, die neue Schulordnung und die Einigung der Sach sen durch das Band d«S evangelischen Glaubens. Er schuf ihnen Freiheit des Geistes und Freiheit des Gewissens und hat seinem Volk dadurch dir Kraft und Macht verliehen, deren es bedurfte, um all' den Kämpfen gewachsen zu sein, denen eS im Laufe der Jahrhunderte ausgesetzt war, um all' di« erbitterten Angriffe auf seine heiligsten Güter, auf die Autonomie seiner Kirche und Schule, aus das köstliche Kleinod, auf sein Deutschthum, erfolg reich abzuwehren oder die Niederlagen, die die Uebermacht ihm bereitete, mit starkem Charakter überwinden, überstehen zu kön nen. Der Muth, die Kraft dieses Mannes, des Johannes Hon- terus, wird aber erst recht erkannt, wenn man bedenkt, unter welchen Umständen er sein Werk vollbrachte. Das geschah „zu einer Zeit, als in Deutschland der Sieg des Evangeliums mit der Spaltung der Nation erkauft wurde. Zu rin-er Zeit, als Ungarn nach der Schlacht bei Mohacs dem Halbmond zu Füßen lag, als im Lande unheilvolle Kämpfe wütheten und fast jede Hand wider die andere war". Gott sandte in diesem Manne dem Sachsenvolke den rechten Kämpfer für seine heilige Lehre, den rechten Streiter im Dienste Christi. Denn Alles, was Hon- terus geschaffen, schuf er im Sinne und Geiste des Meisters, dem er diente, wie selten Einer, in Demuth und in schlichtem kindlichen Vertrauen auf Den, dem er all' das Lob, all' die Ehre, all' die Liede dankbar zollte, di« sein Volk ihm schon weihte, da er noch lebte. Er war ein Mann von deutscher Art, und darum ist es be- klagenswerth, daß er im deutschen Volke noch so gut wie gar nicht bekannt ist. Mögen diese Zeilen sein Bild wenigstens in großen Zügen zeichnen. Johannes Honterus wurde im Jahre 1489 als Sohn des begüterten Lederermeisters Georg Gras und dessen Ehefrau Dorothea geb. Hannes in Kronstadt geboren. Aus seiner Kind heit ist nichts auf di« Nachwelt vererbt worden, man kann nur Angaben machen, di« nach den damaligen örtlichen und gesell schaftlichen Verhältnissen der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommen. Chronisten späterer Jahrhunderte lassen Honterus einen Klosterschüler gewesen sein, was jedoch sicher auf Jrrthum beruht, da die Archive u. s. w. weder der damaligen Zeit, noch späterer auch n-ur den geringsten Anhalt dafür geben, daß Kloster schulen überhaupt in Siebenbürgen bestanden haben. Glaub würdig ist die Annahme, daß der junge Johannes die damals schon bestehende Pfarrschule zu Kronstadt besuchte. Siebenbürgen war längst schon mit Schulen bedacht, als solche erst in anderen Ländern erstanden. Der Sage nach soll der junge Gras seinen Namen geändert haben, als er sich aus der Gefahr des Ertrinkens durch Änklammern an einen Hollunderbusch, in siebenbürgisch- sächsischer Mundart Hontert geheißen, rettete. Selbst über des Reformators Studentenzeit hat män nur Vermuthungen. Er soll 1515, also erst siebenzehnjä-hrig, die Universität Wien be zogen haben, ein« Ueberlieferung, die an Wahrscheinlichkeit ge winnt, wenn man Honterus spätere Schriften im Einklang findet mit der gerade in Wien stark vorherrschenden humanistischen Strömung des ersten Viertels deS 16. Jahrhunderts, wenn man ferner di« freundliche Stellung erwägt, welche Wien Luther's Be strebungen gegenüber einnahm. Sicherer ist schon die Kunde, daß Honterus von Wien als libornlium nrkinm Magister nach Krakau zog, dort im Contubernium der 'ungarischen Nation lateinische Grammatik lehrend, denn in Krakau erschien 1530 bei Matthias Scharffenberg HonterS Werkchen ,.!)« grammaticn lidri äuo", ebenso sein Buch ^knäimsntoruw cosmogrn- pliins lidri cluo". Später dürfen wir ihn mit Gewißheit als in der Schweiz lehrthätig suchen. Won hier, und zwar von Basel aus, widmet er „dem an Ehren reichen Rath von Hermannstadt" ornnti88imo 86nntui Oidinienm) im Jahre 1532 seine Karte von Siebenbürgen. Auch eine neue Auflage seiner Kosmographie erschien in Basel bei Henricus Petrus im Jahre 1534. Einen Hauch des klassischen Alterthums spürt der Leser auch jetzt noch, wenn er im Reize des von Honterus meisterhaft gehandhabten lateinischen Hexameters die Anfangsverse seiner Kosmographie liest: „Lehren will ich der Himmel Gezeit, mit den Winden die Sterne, Städte und Reiche, der Völker Zahl, weithin durch Vie Meere Ragend die Lande mit Berg und Fluh, mit Pflanzen und Thieren, Arbeit der Männer, so mancherlei Art in der LAerke Gestaltung, Auch der Krankheiten Zahl und vielfach wechselnde Namen." Sein schönes Vaterland schildert er, wenn er sagt: . . . dort am Aibin die ragenden Mauern*), Und in der Zinne Schutz, der steilen, Kronen") gelegen, Welches der Sonne Licht von Europas christlichen Städten Früh aussteigcnd zuerst mit näherem Strahl« begrüßet. Dieses Werk hat ein« große Bedeutung erlangt. Honterus selbst schnitt die Stöcke für die 16 dazugehörigen Karten. Bis zum Jahre 1611 erlebte es 22 Auflagen in Deutschland und in der Schweiz. Mit dem Jahre 1533 beginnt der Lebensabschnitt des großen Mannes, d«n wir an -der Hand seines Wirkens in der Heimath klar darzulegen vermögen. Honterus war bereits ein an Leib, Seele und Geist gereifter, weit über die Grenzen seines Vater landes durch seine hervorragenden Werke berühmt gewordener Mann, als ihn der Rath seiner Vaterstadt berief, ein als Dichter, Redner, Philosoph und Mathematiker hervorragender Magister, „ein Mann von einziger Gelehrsamkeit und Frömmigkeit, von großem Muthe". Mit sich brachte er einen werthoollen Bücher schatz, sowie Werkzeuge -der Presse und Gehilfen derselben aus Basel, wo er bei Johann Frobenius die Buchdruckerkunst und die Holzschneidekunst erlernt hatte; er hatte den hohen Werth beider für die Förderung seiner reformatorischen Wirksamkeit in Kirche und Schule seiner, trotz der vieljährigen Abwesenheit, über Alles geliebten Heimath wohl erkannt. Der groß« Ruf ihres Sohnes, den dieser in fremden Landen erworben, war der Vaterstadt wohl bekannt, und si« ehrte den Heimkehrenden Neujahr 1534 durch di« Gabe eines „schönen Teppichs auf den Tisch" und einer „gesteppten Bettdecke*. Honterus fand bei seinem Eintreffen in -der Heimath deren politische und kirchliche Zustände in wenig erfreulicher Ver fassung. Auf dem Schlachtfelde von Mohacs und an der Selbst sucht der Parteiungen, die diesem vorausgingen, wie am Verrath der Mächtigen, der diesem folgte, war das alte Königreich Ungarn zu Grunde gegangen, Siebenbürgen selbst jahrelang ein Schau platz von Krieg und Brand geworden. Aber gerade diesen Stür men verdankte es das schwer heimgesuchte Volk und Land, daß die Reformation leichter siegend einzuziehen vermochte als sonst ') Hermannstadt. ") Kronstadt liegt dicht an einem st«il«n Kegel, die Zinne ge nannt.
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