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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981105013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898110501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898110501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-05
- Monat1898-11
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Darüber ergrimmt, schreibt die „Freisinnige Ztg.": „In der freisinnigen Volkspartei ist die Vorabstimmung der Wahlmänner bindend auch für Diejenigen, welche sich nicht die Mühe genommen haben, sich an der Versammlung oder an der Stichwahl zu betheiligen. So ist eS auch stets in der Partei gehalten worden. Wahlmänner und Candidaten, welche entgegengesetzt handeln, würden damit das demokratische Princip verleugnen." — Die Schwäche dessen, was fälschlich demokratisches Princip genannt wird und was dem Liberalismus in Deutschland einen so unabsehbaren Schaden zugefügt hat, wird hier so offenkundig dargethan, daß eS sich wohl verlohnt, an der Hand dieses Falles klarzulegen, wie entfernt dieses sogenannte demokratische Princip von dem wirklichen Liberalismus ist. Die Richtung des Liberalismus geht historisch darauf hinaus, fort und fort die Entwickelung der persönlichen Frei heit des Einzelnen soweit zu fördern, wie es sich mit der Erhaltung des Staatsganzen verträgt. Diese politische Auf fassung von dem Wesen des Liberalismus ist von dem linken Flügel der Liberalen auch nach der wirtschaftlichen Seite hin ausgedehnt worden. Weil jeder Einzelne in wirthschaft- lichen Dingen daS Recht haben sollte, zu thun, was er wollte, kam man zu der Ablehnung jeder Art von PtaatS- hilfe für den Einzelnen. DaS InissvL kairs, lawser aller wurde zum Grundsatz erhoben, und damit stellte sich der linke Flügel des Liberalismus in einen directen Gegensatz zu der socialen Gesetzgebung der letzten Jahrzehnte. Wie alle Parteien, so ist auch der Liberalismus von poli tischen Anschauungen ausgegangen, und deshalb müßte das Princip, da« man in wirthschaftlichen Fragen hat, m poli tischen Angelegenheiten erst recht zum Ausdruck gelangen, das Princip der persönlichen Freiheit. Hier aber zeigt sich ein Conflict. Das Princip der freien Bestimmung des Einzelnen stehl in unlöslichem Widerspruch zu dem MajoritälSprincip und diesem letzteren Principe huldigt der bürgerliche Radi kalismus in geradezu sklavischer Weise. Die Majorität wird zum unbedingten Tyrannen gegenüber der selbstständigen Meinung des Individuums. Diese Tyrannei tritt in dem Eingangs erwähnten Bei spiele besonders hervor. Nichts schreibt einem Wahlmanne vor, sich in eine Vorversammlung zu begeben und dort sich über die von ihm zu wählenden Candidaten schlüssig zu werden. DaS Mandat des Wahlmannes besteht in nicht Anderem, als daß er an dem für die Abgeordnetenwahl fest gestellten Tage in dem dafür bestimmten Local erscheint und dort einem oder mehreren Persönlichkeiten, die er dessen für würdig hält, seine Stimme giebt. Will man sich auf seine Abstimmung einen gewissen Einfluß sichern, so mag man sich schriftlich oder mündlich an ihn wenden, aber ihn zu einer in der Verfassung mit keinem Worte vorgesehenen Vor versammlung zu commandiren, brückt das Ansehen des Ehrenamtes eines WahlmanneS herab. Noch sinnloser aber ist eS deshalb, wenn er sich nicht commandiren lassen will, ihm die Verpflichtung aufzuerlegen, für die über seinen Kopf hinweg ernannten Candidaten zu stimmen. So wird das MajoritälSprincip zu einer Verkümmerung der Volks souveränität, indem es die vom Volke verliehene Würde herabdrückt. DaS MajoritätSprincip drückt aber auch daS parlamen tarische Leben wie da« ganze staatliche auf das Niveau der Mittelmäßigkeit herunter. Noch immer hat sich in der Geschichte gezeigt, daß hervorragende Persönlichkeiten sich aus einem Gegensätze zur Majorität heraus entwickeln. Solche Persönlichkeiten, die auch im Gegensätze zu den Mehrheits auffassungen ihre Auffassung zur Geltung zu bringen suchen, sind für die Entwickelung und Erhaltung des Staates noth- wendig. Fürst BiSmarck, der doch gewiß ein Urtheil darüber hatte, wa« dem Staate noththut, hat dies aner kannt, indem er am 30. November 188l im Reichstage erklärte: „Die Leute, die der Majorität unter Umständen fest ins Auge sehen und ihr nicht weichen, wenn sie glauben im Rechte zu sein, die finden sich nicht sehr häufig, aber eS ist immerhin nützlich, wenn der Staat einige davon im Vorrath hat." Und in derselben Rede sprach der Fürst voller Ver achtung von dem Byzantinismus, der in unseren Zeiten mit der MajoritätSanbetung getrieben wird. Mit der Proclamirung der Unterwerfung unter die Majorität vernichtet man überhaupt daS Reckt der freien Meinungsäußerung. Als Freiherr von Minnigerode Anfang der 80 er Jahre einmal da« herrische Wort auS- sprach: „Ruhe in der Minorität!*, war man besonders ans der Seite der radikalen Parteien entrüstet Uber diesen „Junkerhochmuth". Und doch zog der ostelbische Junker lediglich die Cvnsequenz aus dem, was die „Freis. Ztg." als demokratisches Princip erklärt. Denn ebenso wie dieses Blatt verlangt, daß die Wahlmänner, die an der Vorversammlung tbeilgenommen haben, nicht mucken, sondern sich einfach der Majorität fügen, kann auch die Majorität im Parlamente verlangen, daß man ihr nicht widerspreche. Fürst Bismarck hat dies auch in der bereits citirten Rede sehr richtig charakterisirt. Die MajoritätSanbeter brauchen nur zu fragen: „Wie fällt die Majorität aus, der werden wir gehorsam sein ohne Kopfzerbrechen; e« wird abgezählt: 150 gegen 140 — waS nun dem Staate nützlich ist, darüber bildet man sich kein Urtheil, daS hängt allein von der Majoritätsfrage ab." .Dieses Urtheil deS Fürsten ist streng, aber gerecht. Thatsächlich wird durch den Byzantinismus gegen die Majorität das ganze parlamentarische, ja das ganze constitutionelle Leben zu einem Komödienspiel herab gewürdigt. Uno so sind Diejenigen, die sich als treueste Hüter konstitutioneller Rechte aufspielen, in Wirklich keit die Vernichter des VerfafsungslebenS, ebenso wie sie die Vernichter des Liberalismus gewesen sind. Gerade aber die Vorgänge im ersten Berliner Landtags wahlkreise haben gezeigt, daß es endlich selbst in der Nacht des Radikalismus zu dämmern beginnt. Nur ein Geringes fehlte daran, und es wäre ein Mann als Candibat nomiuirt worden, der die ungeheure Kühnheit gehabt hatte, zu er klären, daß die Verfassung unter dem Rechte der freien Meinungsäußerung deS Einzelnen nicht das Recht, die Meinung des Abgeordneten Richter zu äußern, verstanden wissen wollte. Es ist beachtenswerth, daß dieser Mann, der sich in einen bestimmten Gegensatz zu dem Popanz deS „demokratischen Princips" zu stellen wagte, eine sehr erheb liche Zahl von Wahlmännerstimmen auf sich vereinigte. Dieser beginnende Widerstand gegen die Principienreiterei und gegen jene MajoritätSdoctrin, die thatsächlich zur Tyrannei Einzelner führt, läßt hoffen, daß der Liberalismus von dem auf ihm lastenden Alp befreit wird. Denn er hat nicht darunter gelitten, daß einer seiner Flügel scharfe Opposition trieb, sondern daß er grundsätzliche Opposition trieb, die dadurch um so gehässiger wirkte, daß abweichende Meinungen einzelner Mitglieder nicht zum Ausdruck kommen konnten, weil das Majorisirungsprincip durchgeführt wurde, ein Princip, das übrigens, wie Treitschke in seinem Auf sätze „Parteien und Fraktionen" nachweist, direct verfassungs widrig ist. Der schlichte Bürger, der sich mit Politik doch nur neben bei beschäftigt, wird sich über den Gegensatz zwischen dem sogenannten demokratischen Principe und wirklichem Libera lismus nicht so leicht klar, aber er ahnt doch diesen Gegensatz, ver ihm den Liberalismus verhaßt und lächerlich machen muß. Denn man darf es getrost sagen, daß das „demokratische Princip" den Liberalismus fast zu einem komischen Begriffe gemacht hat. Weil aber das französische Wort, „daß nichts so sicher tödtet, wie die Lächerlichkeit", eine Wahrheit ist, ist es mit dem Liberalismus mehr und mehr abwärts gegangen. Erst dann wird er sich wieder zu einer Macht gestalten können, wenn er sich von dem demokratischen Principe der Majoritätstyrannei befreit. Deutsches Reich. * Leipzig, 4. November. Gegen Mittag meldete uns ein Telegramm aus Berlin, dem „Kl. Journ." werde aus München berichtet, der Herausgeber des „Simplicissi- mus", Albert Langen, sei nach Leipzig vorgeladen und hier wegen Majestätsbeleidigung, begangen durch den Abdruck des Gedichtes „Palästinafahrt", verhaftet worden. Wir erwähnten diese Meldung nicht, da sie falsch ist. In den „Münch. N. Nachr." wird sie denn auch folgendermaßen berich 92. Jahrgang. tigt: „Der Verleger deS „SimplicissimuS", Herr Langen, hat einer Vorladung der Staatsanwaltschaft Leipzig keine Folge ge leistet, sondern sich von München entfernt. Auch Herr Wede kind, der angebliche Verfasser veS Gedichtes, daS zu der Beschlagnahme der vorletzten Nummer des „SimplicissimuS" Anlaß gab, bat sich durch Flucht der Verhaftung entzogen." Seltsamer Weise fügt das Münchener Blatt dieser Meldung die weitere hinzu, der Zeichner Tb. Heine sei in Leipzig verhaftet worden. DaS ist, obgleich eS von einigen Leipziger Blättern wiedergegeben wird, ein Jrrthum, der um so auffallender ist, als Heine nach unseren Infor mationen in München verhaftet worden ist. /?. Berlin, 4. November. (Kuli-Import und „ Zucht - hausgesetz".) Das socialdemokratische „Correspondenz- blatt der Generalcommission der Gewerkschaften Deutschlands" bat ein neues Agitationsmittel zur Be kämpfung der „Zuchthausvorlage" ausfindig gemacht: es bringt die Erwerbung von Kiautschau, aus der cs die Möglichkeit des Kuli-Imports nach Deutschland herleitet, in Zusammenhang mit der Absicht, den Schutz der Arbeits willigen wirksamer zu gestalten! Da« genannte Organ schreibt wörtlich: „Nicht ohne Grund hat das deutsche Unternehmerthum ein Jubelgcichrei aiigestimmt, als die Bucht von Kiautschau vou Deutsch- land gepachtet wurde. Es eröffnete sich ihm die Aussicht, mit deutschem Capital auf chinesischem Boden jene billigen und bedürfnißlosen, ganz dem Herzenswünsche der deutschen Unternehmer entsprechenden Arbeitskräste ausnutzen oder diese nach Deutsch land bringen zu können. Auch der Umstand, daß die Be strebungen, Las Coalitionsrecht der deutschen Arbeiter zu beseitigen oder einzuschränken, mit der Pachtung von Kiautschau in dieselbe Zeit fallen, läßt vermuthen, daß das Unternehmerrhum sich von dieser Erwerbung etwas mehr verspricht, al« nur rin Absatzgebiet für deutsche Producte zu finden." Es bedarf nicht vieler Worte, um die Hinfälligkeit dieser angeblichen Vermuthung, die nur dem Agitatiousbedürfniß entsprungen sein kann, abzuthun. Wollte das deutsche Unter- nehmerthnm Kulis einführen, so bedürfte es dazu der Er werbung Kiautschau« überhaupt nicht; das hätte längst ge schehen können, ebensogut wie heute dänische oder italienische Unternehmer Kulis nach Dänemark oder Italien einzuführen in der Lage sind, obwohl letztere Staaten keine Besitzungen in Ostasien baben. Das deutsche industrielle Unternehmerthum hat aber nicht die Absicht zu erkennen gegeben, Kuli« ein- ruführen. Wohl aber ist das von Seiten agrarischer Heiß sporne geschehen. Wir denken dabei nicht an die sofort richtig gestellte Briefkastennotiz der von H. Sohnrey herauSgegebenen Zeitschrift „Das Land", sondern an jene Zuschrift der »Zeitschrift für die landwirthschaftlichen Vereine des Großherzogtbum« Hessen", die ausführlich die Rathsamkeit der Einfuhr vou Chinesen empfiehlt. Die social demokratische Presse hat sich seiner Zeit die agitatorische Verwerthung der angezogenen Zuschrift nicht entgehen lassen. WaS damals gegen „agrarische Pläne" vorgrbracht wurde, wird heute von dem gewerkschaftlichen „Correspondenzblatt" FeirrHeton. Die drei Grazien. Humoreske nach dem Französischen Bon Wilhelm Thal. Nachdruck verboten. Jeden Morgen punct neun Uhr, wenn ich meine Wohnung in der Rue La-Tour d'Auvergne verließ, um mich ins Bureau zu begeben, gingen an meiner Hausthür drei junge Mädchen vorüber, die ich die drei Grazien genannt hatte. Sie waren Schwestern. Die eine war groß, die zweite mittel, die dritte klein; die eine braun, die andere rothblond und die dritte blond wie «ine reife Aehre. Sie gingen stets nebeneinander und trugen dieselben Costllme und Hüte^ die mit den gleichen Bändern garnirt waren; am Arme hatten alle drei gleiche Taschen, die wohl dieselben Gegenstände enthalten mußten; sie gingen ziemlich rasch und unterhielten sich halblaut von Dingen, Vie sie äußerst heiter stimmen mußten, denn jeden Augenblick ließen sie ein lautes Lachen ertönen. Nie schenkten sie meiner Person di« geringste Aufmerksam keit, dagegen interessirten sie mich sehr, und ich folgte ihnen mit meinen Blicken so weit ick konnte. HcirathSgedanken überkamen mich bei ihrem Anblick, wobei ich allerdings bemerken muß, daß mir meine Mutter seit einiger Zeit beständig wiederholte: „Alfred, Du bist jetzt schon geschlagene 22 Jahre! Denkst Du noch nicht daran, mit dem Junggesellenleben zu brechen? Ist daS eine Existenz, in die Kneipen zu laufen und zu unglaublichen Stunden nach Hause zu kommen? Und dann kann ich auch sterben; was sollte aus Dir werdcn ohne einen Menschen, der für Dich sorgt?" Diese immer wiederkehrende Red« verfehlte schließl-ch 'hre Wirkung nicht, und ich dachte ernsthaft daran, „mich zu vrrhri- rathen". Erstens, weil ich de« JunggesillenlebenS überdrüssig war, und dann — weil die drei Grazien mir ausnehmend ge fielen. Nachdem sie mein« Neugier und meine Sympathie erregt, hatten sie sich in mein Herz geschlängelt, ohne sich den Weg dazu zu erzwingen, und ich kann es nicht leugnen: ich liebte sie all- drei. Zu meiner Bequemlichkeit und um sie nicht zu verwechseln, nannte ich, da mir ihre Namen nickt bekannt waren,.die Blonoe Ottawa, die Brünette Charlotte und die Röthliche Leontine. Welche sollt- ich nun wählen? Oktavia lock» mich in erster Linie. Ich habe stet« «ine be sondere Vorliebe für die Blondinen gehabt. Sie sind sanfter, zärtlicher, liebevoller als die andern. Oh! ich bin kein Tyrann und würde von meiner Frau nie verlangen, daß sie sich stricte meinem Willen unterwirft und nur ich in der Häuslichkeit etwas zu sagen habe. Mich ihr bemerkbar machen, sie von meinen Wünschen unter richten, ihr« Antwort in einem Blicke lesen, das war jetzt meine Hauptaufgabe. S» war unmöglich, st« auf d«r Straß« mit d«m Hut in der Hand anzusprechen; sie und ihre Schwestern hätten mich für schlecht erzogen gehalten, und ich wäre in ihren Augen verurtheilt gewesen. Ich wußte, daß ich ihr nur zu folgen brauchte, um mir die Adresse ihrer Familie zu verschaffen. Dieser hätte ich dann meine Mutter mit dem Auftrage zugeschickt, um di« Hand Oktavia's für mich anzuhalten. Einem anständigen Mädchen jedoch folgen, unter welchem Vorwande es auch sei, auf die Gefahr hin, sie zu compromittircn, das erschien mir als der Gipfel der Ungezogenheit. Ich sucht« ein Mittel, meine Heirathsinterissen mit der Ach tung vor der Schicklichkeit zu vereinigen, als ich'eines Morgens, da ich die Rue Drouot entlang kam, vor einigen Hochzeits wagen ausweichen mußte, die zur Mairie des neunten Bezirks fuhren. Und wen bemerkte ich in d«m ersten Wagen? Meine Oktavia in einer weißseidenen Robe, mit dem Orangenkranze und strahlend vor Glück. Ich brauch« Wohl nicht erst zu erwähnen, daß im zweiten Wagen der Bräutigam folgte, schwarz gekleidet, mit weißer Cra- vatte und weißen Handschuhen, und mit einem Scheitel, der seine pomadisirten Haare symmetrisch theilte. Auch aus seinem Ge sicht sprach Glück und Freude. * * * Erst acht Tage später sah ich die beiden Grazien, die noch übrig geblieben waren, wieder. Ich hatte mich bereits entschieden: Leontine sollte nun meine Frau werden. War ich ein leichtfertiges, flatteriges Gemllth? Nein, denn meine Gefühl« entfernten sich ja nicht aus dem Kreis der Familie. Und warum hatte ich mich besonders für Oktavia interesfirt? Weil sie blond war. Daß die Röthlichen auch nicht zu verachten sind, hatte ich j«ht bereits herausgefunden. Ganz gut oder ganz schlecht, sagt man von Jemandem, der leuchtende Haare hat. Ge wiß war Leontine herzensgut. Die Güt« sprach aus ihren Augen, stand auf ihren Lipprn und beim Lachen zeigte sich auf der Wange das reizendste Grübchen. Außerdem hatte sie eine Sammethaut. Ich erzählte das Abenteuer meiner Mutter. „Ist mir Ok tavia auch genommen, so bleibt mir doch noch Leontine", setzte ich hinzu. „Und ich vrrlasie mich auf Dich, daß die mir nicht ent geht...- ES traf sich, daß die Mutter Jemand kannte, der in Be ziehung zu einer Person stand, die Verbindungen mit einer dritten hatte, welche mit Leontine's Eltern verkehrte. Bald erfuhr denn auch die Mutter, daß Leontine's Eltern kaum hundert Schritt von uns wohnten. „Noch heute", sagte sie, „werde ich di« Sache bei Deiner zu künftigen Schwiegermutter einleiten." Die Angelegenheit war hiermit abgemacht. Da es mir nicht möglich war, in diesem Zustande im Bureau Papier zu bekritzeln, wo ich vor Hoffnung zitterte und lieber die Vögel auf den Bäumen hätte singen hören, so schickte ich einen Brief an meinen Chef, um ihm mitzutheilen, daß eine starke Migrän« mich an» Zimmer schelte. Dann stieg ich auf daS Ver deck eines Straßenbahnwagens, des ersten, der mich hinaus ins Freie bringen konnte. Am Eingang des Bois de Boulogne stieg ich ab. Ich irrte durch die Alleen, ging zweimal um den See herum und setzte mich schließlich unter eine Eiche, wo ich meinen Hut auf das Gras warf, um auf meiner Stirn die Liebkosung des Windhauches zu verspüren. Da bemerkte ich ein« Grupppe von Spaziergängern — wie es schien, junge Eheleute in Begleitung ihrer Gäste — aus den Tiefen des Gehölzes auf mich zukommen. „Binnen Kurzem werde ich es auch so machen!" murmelte ich fröhlich, „auch ich werde mit Leontine und unseren Freunden mein Glück im Schatten spazieren führen!" Plötzlich sprang ich auf und entfernte mich schnell. „Du kamst zu spät!" bemerkte meine Mutter zu mir, als ich zu Hause anlangte. „Ich weiß es bereits, ich habe Leontine und ihren Gatten im Bois de Boulogne getroffen." ch ch Ich war weniger niedergeschlagen, als man hätte glauben sollen. Im Gegentheil, diese neue Enttäuschung stachelte meinen Muth an. Sind mir Leontine und Oktavia auch entgangen, so war doch Charlotte noch da. Und wirklich — wenn ich die Züge ihres Gesichts mir vor stellte, war sie schöner, oder doch wenigstens ebenso schön wie ihre Schwestern. Allerdings war sie brün«tt, und ich zog die Blon dinen und die Röthlichen vor; doch sie hatte ein Paar wunderbare Augen, eine edle Haltung und ein«n eleganten und stolzen Gang. Vielleicht würde sie die Herrin in der Wohnung. Wenn es auch schmeichelhaft ist, zu befehlen, so ist es doch auch süß, zu ge horchen, wenn der Befehl aus solchem Mund« kommt. Doch um mir den Besitz der dritten und letzten Grazie zu sichern, mußte ich schnell und entschlossen handein; zweifeslos lauerte ein noch unbekannter Geier auch auf diese Beute und ent riß mir auch die, wenn ich nicht dazwischen trat. Ich weiß nicht, wie viel Tage verflossen waren, ohn« daß ich meine Angebetete gesehen hätte. War das junge Mädchen krank? Hatte es seinen Weg geändert?... Endlich erschien es wieder. Ich stand vor meiner Thür und hatte mich mit männlichem Entschlüsse gewappnet. Als zwischen ihr und mir nur noch die Entfernung eines Meters lag, trat ich ehrfurchtsvoll näh«r „Fräulein Charlotte..." Sie sah mich mit ihren schwarzen Augen an, erröthete und ging weiter; dann besann sie sich eines Andern, blieb stehen und sagte: „ „Sie wissen meinen Namen, mein Herr? „Ich habe ihn errathen, mein Fräulein." Sie machte Miene, weiter zu gehen, blieb aber doch noch stehen. „Was wünschen Sie?" „Wenn Sie mir gestatten, so möchte ich..." „Sprechen Sie, mein Herr, wenn DaS, was Sie mir zu sagen haben, rechtschaffen ist." Trotzdem wagte ich es nicht, ihr den Gegenstand meines Ehr geizes so ohne Weiteres zu gestehen. „Mein Fräulein, ich schätze Sie ... ich will..." „Sie lieben mich... Das weiß ich, mein Herr!" „Sie wissen es?" , „Seit langer Zeit schon ... Indessen dachte ich immer, Sie zögen meine Schwestern vor..." Entzückt, daß sie meine Zuneigung kannte, war ich doch be stürzt, daß sie m«ine Empfindungen für Oktavia und Leontine bemerkt hatte, und stotterte: „Die Damen sind reizend ... Ich liebte sie alle drei, das ist die Wahrheit ... Aber Sie... Sie ..." „Vollenden Sie, mein Herr, denn ich muß eilen." - „Sie will ich heirathen!" Das große Wort war gesprochen. Charlotte wurde blaß und brauchte Zeit, sich von dem Schreck zu erholen. „Leider", versetzte sie, „hat man schon um meine Hand an gehalten ..." „Um Ihre auch?" Ich lehnte mich an die Wand, um bas Gleichgewicht zu be wahren. „Und wer denn?" fragte ich mit stockender Srimme. „Ein Vetter." „Und haben Sie bereits zugesagt-" „Mein Vater hat fast sein Wort gegeben." „Er wird es zurücknehmen! ... Bitten Sie ihn, eS zurückzu nehmen! Sagen Sie ihm, ein junger Mann aus der Nachbar schaft, ein guter, junger Mann, fleißig, pünktlich, liebenswürdig, hingebend, sparsam, mit guter Erziehung und besten Grund sätzen, verträglich..." „Ja, aber", unterbrach sie, „mein Vaier wünscht diese Heirath." Ich fuhr auf. „Dann giebt's ein Unglück!" Ich wollte auf ver Stelle diesen Vater aufsuchen, ihm meine wiederholten Enttäuschungen erzählen und mich auf seine Gerech tigkeit verlassen; was Charlotte anbetraf, so betrachtete sie mich prüfend und schien zu überlegen. „Noch heute Abend", sagte sie, „soll die Sache sich endgiltig entscheiden ... Ich werde sür <Ne sprechen ... Wenn Sie sic ge wonnen haben, werde ich Ihnen morgen früh ein Zeichen mit dem Kopfe geben; sonst werde ich meinen Weg unbeirrt fortsetzen .. Mit diesen Worten entfernte sie sich, da sie eS, wie schon ge sagt, eilig hatte. *. * * In großer Aufregung und Angst stellte ich mich am nächsten Morgen als Schildwache auf dem Bürgersteig auf. Würde sie da« Zeichen mit dem Kopfe machen oder^ürd« sie stumm und gleichgiltig ihren Weg fortsetzen? 9 Uhr ... 10 Uhr ... 11 Uhr! ... und noch keine Nachricht! Meine Sache mußte wohl verloren sein und Charlotte aus Mitleid nicht wagen, mir mein Schicksal zu verkündigen! Der Angstschweiß stand mir auf der Stirn! Endlich bemerkte ich sie, vergnügt lächelnd. „Herr Alfred", sagte sie zu mir, „Papa erwartet Sie!"
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