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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.11.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981110014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898111001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898111001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-10
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VolkSztg." dabei anwendet, ist der bewährte Iesuitenkniff, die „Katholiken" und die „katholische Kirche" als durch einen Angriff der „Culturkäinpfer" bedroht auSzugeben. An die Unterstellung, daß vor einem Vierteljahrhundert der größte Theil deS protestan tischen Deutschlands „in fanatischem Haffe zum Angriff auf die katholische Kirche sich geeinigt hätte", knüpft die „Köln. VolkSztg." folgende „Enthüllung": „Heute wird man auch wegen der social-demokratischen Gefabr und der Verwickelungen der internationalen Lage nicht so leicht daran denken, einen Krieg gegen die Katholiken vom Zaune zu brechen. Es sind dem Schreiber dieser Zeilen aus dem Lager einflußreicher Freunde des Evangelischen Bundes auch wiederholt Acußerungrn zu Ohren gekommen, die etwa in folgenden Gedanken gipfelten: „Einen Culturlampf können wir erst wieder machen, wenn wir uns alle sonstigen Bedrängnisse vom Halse geschafft haben, und das wäre nur der Fall nach einem sieg reichen Kriege. Dann erst wäre es uns möglich, die Social demokratie mit Gewalt niederzuschlagen und unsere An- gelegenheiten mit der katholischen Kirche zu ordnen ohne ängstliche Seitenblicke auf Oesterreich, Frankreich oder den Papst." Vorher mit der katholischen Kirche Streit anzufangen, sei Wahnsinn . . ." Selbstverständlich unterläßt eS der Schreiber vorstehender Zeilen, die einflußreichen Freunde des Evangelischen Bundes zu nennen, die ihm den Plan, erst einen aussichts vollen Krieg anzuzetteln und dann ihre inneren Gegner zu vernichten, verrathen haben; er würde sich sonst der Gefahr auSsetzen, mindestens der gröblichsten Ent stellung geziehen zu werden. Und die Hauptsache ist doch für ihn, daß die Leser der „Köln. VolkSztg." an den Plan glauben; die katholischen Leser sowobl, wie die socialdemo kratischen. Hat er sich aber auch die Folgen, die ein solcher Glaube haben kann, ja haben muß, klar gemacht ? Zu seiner Ehre wollen wir es bezweifeln. Und doch ist es eigentlich selbstverständlich, daß sowohl besorgte Anhänger der katholischen Kirche, wie Socialdemokraten, die an den Plan „einfluß reicher Freunde des Evangelischen Bundes", nach einem sieg reichen Kriege erst die Socialdemokratie mit Gewalt nieder zuschlagen und dann über die katholische Kirche herzufallen, ernst lich glaube», den Wunsch hegen müssen, ein Krieg Deutsch lands, mit welchem Gegner er auch geführt werde, möge nicht siegreich für Deutschland ausfallen. Und nicht minder selbstverständlich ist eS, daß Leute, die einen solchen Wunsch hegen, ihm auch praktische Folge zu geben versuchen. Auf dem Boden, den die socialdemokratischen Agitatoren gedüngt haben, könnten im Kriegsfälle ganz seltsame Blüthen emporwachsen, wenn der Gewährsmann der „Köln. VolkSztg." mit seiner Enthüllung über die angeblichen Pläne des Evangelischen Bundes von den unter die Waffen gerufenen „Genossen" ernst genommen würde. Und was die eigenen Glaubensgenossen des ultramontanen Blatte», besonders diejenigen betrifft, die unaufhörlich die Aufhebung des IesuilengcsctzeS fordern und nach der ungestörten Verkündigung jesuitischer Lehren im deutschen Reiche lechzen, Welche Folgen soll eS für sic haben, wenn sie im Felde wäh rend eines Krieges, dessen Beendigung zu Gunsten Deutsch lands sie ihrer Kirche halber fürchten müßten, „zufällig" von dem 8 447 deS Handbuchs der Moraltheologie von Gury zu hören bekämen, der (nach der Ausgabe von 1868) folgendermaßen lautet: „Desertirte Soldaten.... brauchen nicht zurückzu kehren, wenn keine Gelegenheit zur Beichte vorhanden ist, wenn sie von zu schweren Strafen bedroht werden, oder wenn der Krieg ein ungerechter ist. Auch ist, sich durch Selbstver stümmelung oder Betrug der Aerzte dem Kriegsdienst zu entziehen, nicht unbedingt ein Verbrechen, und man soll die jungen Leute, welche sich auf diese Weise befreit haben, nicht beun ruhigen, zumal sie den Ermahnungen in dieser Sache Loch nicht folgen würden." — ? Ja, wenn ultramontane und socialdemokratische Fanatiker sich schon jetzt darauf vorbereiteten, nach dem „moralischen" Necepte Pater Gury's einem siegreichen Kriege Deutschlands entgegenzuarbeiten, so hätten die „Köln. VolkSztg." und ihr Gewährsmann durch ihre Aufdeckung deS erdichteten Feld- zugsplaneS „einflußreicher Freunde des Evangelischen Bundes" ein unbestreitbares Verdienst daran; jedenfalls ist man be rechtigt, den Warnungsruf „Nur keine Vertrauensseligkeit" gegen jene anzuwenden, die in ihrer Verdächlignngssucht sich nicht scheuen, einen Samen auSzustreuen, der in gefahrvollen Stunden die dem deutschen Vaterlande verderblichsten Früchte zeitigen könnte. Den Vorwand für die aufreizende Bearbeitung der Massen gab dem rheinischen Centrumsblatte und seinem GewährS- manne eine Stelle aus der Rede, die Superintendent Meyer aus Zwickau auf der jüngsten Generalversammlung des Evangelischen Bundes gehalten hat, nämlich sein Ausruf: „Der Culturkampf kommt wieder!" Zn welchem Sinne dieser Ausruf gemeint war, ist klar: es ist dabei nicht, wie die „Köln. VolkSztg." glauben machen will, an einen protestan tischen Angriffskampf gegen die katholische Kirche gedacht worden, sondern an die Abwehr ultramontancr Herrschafts ansprüche, deren Wesen Fürst Bismarck am 10. März 1873 im preußischen Herrenhause wie folgt gekennzeichnet bat: „Es handelt sich um den uralten Macht streit, der so alt ist wie daS Menschengeschlecht, um den Machtstrcit zwischen Könizthum und Pricfterthum, den Machtstreit, der viel älter ist als die Erscheinung unseres Erlösers in dieser Welt, den Machtstreit, in dem Agamemnon in Aulis mit seinen Seher» lag, der ihn dort die Tochter kostete und die Griechen am Auslaufen verhinderte, den Machlstreit, der die deutsche Ge schichte des Mittelalters bis zur Zersetzung des deutschen Reiches erfüllt hat." Eduard von Hartmann über die Mrüftungssrage. L. 6. Die als russisch-ossiciös geltende „Jndvpendance beige" veröffentlicht eine interessante Unterredung zwischen dem bekannten Philosophen Eduard von Hartmann und einem Interviewer, der den Philosophen fragte, ob er an die Möglichkeit einer augenblicklichen europäischen Abrüstung glaube. Hartmann: Nicht allein, daß ich bei dem gegenwärtigen Zustand Europa- nicht an die Möglichkeit einer Abrüstung glaube, ich halte sie, selbst wenn sie möglich wäre, nicht einmal sür wünscheuswerth. Interviewer: Wieso? Hartmann: Sehr einfach. Die Armee entwaffnen, beißt sie ausheben, und die Aushebung der Armee ist natür lich wieder gleichbedeutend mit der Aushebung der allgemeinen Militairpflicht. Meines Erachtens würde das daS Schlimmste sein, was von nationalem Standpuncte aus einem Lande begegnen könnte. Der militairische Dienst ist — das können nur Unwissende leugnen — eine physische und moralische Schule Sollte sich die vorgeschlagene Abrüstung realisiren, so würde Europa in einen Zustand der Hinfälligkeit, der Verwirrung und des unvermeidlichen Verfalles stürzen, der dem der Völker Griechenlands nach dem peloponnesischen Kriege gleichkäme. Ich muß mich gegen die Meinung aussprechen, die man sich so sehr bemüht, in Aufnahme zu bringen, als ob die Rüstungen die Nation erschöpften. Das ist ein Vorurtheil oder vielmehr ein that- sächlicher Irrthum! Thatsache ist, daß die Rüstungen der europäischen Staaten niemals so in die Höhe geschraubt waren, wie gegenwärtig, und dennoch war niemals der öffent liche Reichthum so bedeutend, wie augenblicklich. Auch würde sich, wenn die allgemeine Militairpflicht aufrecht erhalten werden soll, vielleicht ein Mittel finden, die allgemeine Situation in gewissem Maße zu mildern, indem man durch internationale Uebereinkunft die Dienstzeit noch mehr herabsetzte. Aber auf eine allgemeine Abrüstung zählen, hieße eine vollständig chimärische Rechnung machen ... England wird sich ganz bestimmt weigern, auf eine diplo matische Verbindung, die ihm fatal werden könnte, einzu gehen, und Frankreich wird nur der Form wegen annehmen. Interviewer: Weshalb sollte England sich weigern, den von Rußland gemachten AbrüstungSvorschlägen bei- zupflichtcn? Hartmann: Weil Jedermann sagt, daß Rußland nur deshalb zu Lande abrüste, um sich zur See besser waffnen zu können. Mit den Ersparnissen, welche eö machen würde, in dem eS seine Rüstungen auf dem Lande auf die Hälfte oder zwei Drittel reducirle, würde es sich eine ungeheure Flotte heranbilden können, bestimmt, sich mit der Großbritanniens zu messen. Es ist deshalb natürlich, daA diese letztere Macht von Abrüstung nichts hören will. Was Frankreich anbelangt, so würde eS den russischen Vorschlägen nur der Form nach zustiminen, weil eS als Alliirter Rußlands nicht anders handeln kann. Aber es wird deshalb keineswegs abrüsten. Im Gcgentheil. Und man braucht sich darüber nicht zu wundern. Die französisch-russische Alliance beruht dem Princip nach aus einer Zweideutigkeit. Frankreich schloß sie nur im Hin blick auf Deutschland, während Rußland an England dachte. Lange bat Rußland geglaubt, eS wäre sehr politisch, einen leisen Zweifel über seine wahren Absichten walten zu lassen. Aber heute hält es den Zeitpunct für gekommen, alle Illu sionen zu zerstreuen. Frankreich kann sich darüber nicht im Unklaren sein. Folglich kann Rußland, nachdem eS den End zweck seiner Politik hat erkennen lassen, die Abrüstung nicht ernstlich wünschen, das ist ganz klar. Interviewer: Seit einiger Zeit erbeben sich in Deutsch land und auch anderswo Stimmen zu Gunsten einer franzö- sisch-russisch-deutschen Verständigung, ähnlich derjenige», welche unlängst im „äußersten Osten" wirksam in Kraft trat. Glauben Sie au die Möglichkeit einer solchen? Hartmann: Soweit sie zufällig von unerwarteten Um ständen hervorgebracht sind, ja. Aber woraus die Basis einer Politik von langer Lebensdauer bilden? Ich sehe ernste Hindernisse. Frankreich wird nicht aufhören, auf Länder Anspruch zu erheben, die es uns Kraft eines Vertrags abtreteu mußte. Wir aber haben Frankreich keine Concessionen zu machen; übrigens würde jedes an Frankreich gemachte Zugeständniß, daS die annectirten Provinzen betrifft, durchaus nicht als ein Act deutschen Edelmuths aufgefaßt werden, sondern als Zeichen der Schwäche, die cö zu neuen Angriffen gegen uns reizen würde . . . Aber Niemand weiß, was die Zukunft bringtl Die Epoche kann kommen, die vielleicht Ereignisse von solchem Ernste zeitigt, daß die Differenzen, die gegenwärtig die europäischen Staaten scheiden, sehr unbedeutend erscheinen würden. Und wer weiß! Neue Schwierigkeiten würden es vielleicht ermöglichen, die alten Differenzen mit Leichtigkeit zu lösen, oder würden die selben jedenfalls mehr in den Hintergrund drängen. Gewiß, eine dauernde Verständigung zwischen Frankreich, Rußland und Deutschland kann auf den ersten Anblick verlockend er scheinen. Aber wenn sie jemals Wirklichkeit annehmen sollte, werden wir sie, als praktische Leute, die wir sind, sehr prüfen, ehe wir unö verpflichten. Und zwischen Rußland, welches uns von seinen Märkten ausschließt, und Frankreich, das uns immer mit Hintergedanken ansieht, einerseits, und anderseits England, welches uns alle Häfen seines immensen Colonial gebietes eröffnet, würden wir nur wählen können, nachdem wir unser Interesse sehr Wohl befragt hätten. Interviewer: Gewiß. Aber wenn England, welches sich nicht durch außerordentliche nationale Generosität auS- zeichnet, sieht, daß Deutschland eine Gefahr für seinen Handel und seine Industrie ist, wird es Deutschland seine Colonien noch schneller verschließen, als es ihm dieselben eröffnete. Hartmann: Nun gut. Dann kehren wir vielleicht zu einer Verbindung zurück, an welche schon lange viel kluge Köpfe denken und welche leicht zu verwirklichen wäre, wenn Frankreich ihr nicht systematisch widerstrebte, nämlich zu einem europäischen Zollvereiu. ZmHinblick auf Amerika, daS durch seine enorme Production ge fährlich wird, angesichts Rußlands, das sich selbst eine Welt in der Welt formt, endlich angesichts Englands, daS durch sein Colonialreich, welches sich immer mehr über die beiden Hälften Les Globus hinzieht, mehr vermag als irgend ein anderer Staat, werden wir, die Nationen des westlichen Europas, die gebieterische Pflicht haben, uns zu vertheidigen. Und zu diesem Zweck müßten wir uns zu einem Zollverein constituiren, der sich natürlich auch über unsere Colonien auSbreiten müßte. Dieser Zollverein, ich wiederhole es, wird leicht realisirbar sein, wenn Frankreich begreift, daß es darin eine ehrenhaftere und rühmlichere Nolle spielen wird, als mit seinem beständigen Schmollen, den Blick immer auf einen Grenzpfahl gerichtet, der nach seiner Ansicht nicht richtig placirt ist Ich erwarte von diesem Zoll ¬ verein, waS von dieser Abrüstung unmöglich zu erwarten ist: zunächst einen thatsächlichen Schutz der specifisch europäischen Production und einen Frieden, der ohne Prätension der „Ewigkeit" nichtsdestoweniger sicherlich von langer Dauer wäre, da er auf bedeutenden wirthschaftlichen Interessen basiren würde. Deutsches Reich. K Berlin, l). November. (Deutsche Urtbeile über die Armenier.) Pfarrer Naumann hat zu Konstan tinopel im Casino der deutschen Handwerker, derin Tüchtigkeit und Anhänglichkeit an ihr Volksthum er mit warmen Worten rühmt, Gelegenheit gehabt, die Urtbeile der dortigen Deutschen über die Armenier zu hören. Er schreibt: „Uns gegenüber saß ein deutscher Töpfermeister, der 19 Jahre in Konstantinopel lebt und auch Anatolien kennt. Er sagt« etwa Folgendes: „Ich bin ein Christ und Halle die Nächstenliebe für das erste Gebot, und ich sage, die Türken haben recht gcthan, als sie die Armenier todtschlugen. Ander- kann sich der Türke vor dem Armenier nicht schützen, von dem seine Noblesse, Träg heit und Oberflächlichkeit aus da- Unverantwortlichste au-genutzt wird. Der Armenier ist der schlechteste Kerl von der Welt. Er verkauft seine Frau, seine noch unreife Tochter, er be- Das Lied an die Freude. Ein Gcdcnkblatt zu Schiller s Geburtstag (1v. November). Boa vr. Ernst Maa-burg. Nachdruck verbot«». Mannheim. An einem heiteren Juniabende des Jahres 1784 gingen zwei junge Männer in der Nähe der alten Stadt Mannheim am lieblichen Ufer deS Neckar spazieren. In ihren Augen leuchtete der Glanz der Jugend, und doch schienen sie in düsterer Stimmung; bosonders der größere von Beiden, ein langer hagerer Jüngling mit röthlichem Haar, gebogener Nase und Hellen Augen, blickte schier finster vor sich hin und stieß von Zeit zu Zeit jenes gellende Lachen aus, wie es die Verzweiflung den Menschen auspreßt. „Nur nicht den Muth verloren", erwiderte sein Gefährte, ein junger Mann mit gutmüthigen Zügen, auf einen tiefen Seufzer des Anderen. „Dein Genius wird sich Bahn brechen, diese Ueberzeugung kann nichts in mir erschüttern — das sind jetzt die Frühlingsstürme, lieber Schiller, die Prüfungen, welche jeder große Geist über sich ergehen lassen muß. Die Hilfe ist vielleicht näher, als Du denkst." „Sie müßte sehr nahe sein, um noch rechtzeitig einzutreffen", erklärte Friedrich Schiller mit schneidender Stimme. „Sag' selbst, was ich noch anfangen soll? Meine Gläubiger wollen nicht mehr warten, die Schukden wachsen mir über den Kopf, meine geringen Einnahmen sind im Voraus verzehrt —" „Verzage nicht, Du weißt, mein Hauswirth Holzel hat Dir schon einmal geholfen — so wird auch wieder Rath werden für die Zukunft." „Der wackere Mann — sein schlichte» Gemüth bringt meinem Streben mehr Derständniß entgegen als die hohe Bildung eines Dalberg — Gott lohne e» ihm!" „Hast Du dem Freiherrn geschrieben?" „Dem Dalberg? Gewiß — meine ganze Noth hab' ich ihm geschildert. Nur für ein Jahr soll er mir die Mittel bewilligen, in Heidelberg zu studiren, um noch nachzuholen, waS mir zum Mediciner noch fehlt — denn mir bleibt ja doch nicht» mehr übrig, als die ganze Dichterei an den Nagel zu hängen und mich auf die Quacksalberei zu legen —" „Nun — und was gab er Dir zur Antwort?" „Er bleibt kühl bis ans Herz. Meine Planschneiderei fange an, ihm Mißtrauen einzuflößen. Von ihm habe ich nichts zu er warten — auch sonst von Niemand." „Dein Vater?" „Mein Vater, lieber Streicher, ist wüthend auf mich. Der arme Mann — er hat selbst nur 400 Gulden Gehalt — und Du weißt, er hat die Bürgschaft für die 100 Gulden bei der Generalin v. Holl übernommen, und ich mußte ihn im Stiche lassen, so daß er die Aussteuer meiner Schwester angrcifen mußte, um die Summe decken zu können! Auch er räth mir, die brodlose Dramenschreiberei aufzugeben und mein medicinisches Studium wieder aufzunchmen. Offen gestanden, ich habe es fest in Ab sicht. Von der „Thalia" hoffe «ch nicht viel, zum Uebersetzcr fühl« ich mich zu gut, und zu selbstständigem Schaffen — pah, ich habe weder Muth noch Kraft mehr. Meine Glieder schüttelt da» Fieber, mein Herz ist voll quälender Sorgen — nirgends Rath, nirgends Aussichten!" „Armer Freund", rief Andreas Streicher, der treue Kamerad, mitleidig. „Wenn ich nur könnte. Dir sollte geholfen sein." „Du hast das Deinige gethan", sagte Schiller, ihn bewegt umarmend. „Doch komm nach Hause, mein Fieber fängt wieder an, mich abzuschütteln, der Abend ist doch kühler, als ich dachte." Al» die jungen Männer — Schiller zählte damals etwa 26 Jahr« — in die bescheidene Wohnung des Dichters traten, händigte der Hauswirth seinem Miethsmann ein Packet aus, da» «ben aus Leipzig für ihn eingetroffen sei. Verwundert löste Schiller die Verpackung und förderte eine kostbare Brieftasche mit kunstvoller Stickerei zu Tag«, welche eine musikalische Kom position von Amaliens Arie aus den Räubern und vier PortraitS von zwei Damen und zwei Herren, mit Silberstift auf Perga ment gezeichnet, enthielt. Dabei fand sich ein «nthusiastiscver Brief, Worte der Begeisterung, des Dankes und der Huldigung enthaltend, ein Brief, der die Unterschrift trug: Christian Gott fried Körner. Die übrigen Theilhaber an der Sendung waren seine Braut Minna Stock, deren Schwester Dora und Dora'S Bräutigam Ludwig Ferdinand Huber. Minna hatte die Brief tasche gestickt, Dora die Zeichnungen gefertigt. Schiller strahlte über da» ganze Gesicht. „Andreas, ist do» nicht ein Fingerzeig deS Himmel«!" jauchzte der leicht Empfäng liche auf, seine Wangen rötheten sich und aus den Augen leuchtete der Schimmer neuer Hoffnung. Streicher theilte sein« Freude. „Mir ahnt, daß diese Sendung für Dich Heil bedeutet", versicherte er, während sie die erhaltenen Herrlichkeiten immer wieder be wunderten. „Das ist ein Triumph, den wir mit meiner letzten Flasche Wein feiern müssen", sprach der Dichter feierlich. Der Wein ward gebracht und schon nach einer halben Stunde saßen die Freunde, alle Sorgen vergessend, beieinander, von der Zukunft plaudernd, und der eben noch so pessimistische Verfasser der Räuber baute die kühnsten Schlösser in die Luft. Nachdem sie begeistert getrunken auf das Wohl der Spender, auf die Frei heit und auf die noch unvergessene ^otte von Wolzogen, »,olte Schiller aus einem Schubfache ein Manuskript hervor und begann zu lesen — anfangs leise, dann immer pathetischer, lauter, bis sein hoher Geist in den Worten wicderiönte und das Feuer des Genies aus seinen Augen loderte, während der Freund mit steigender Bewunderung lauschte und sich weiter und weiter vor beugte, um keine Silbe der herrlichen Verse zu verlieren: cs waren die ersten Scenen von „Don Carlo»". Darmstadt. Im Decembcr desselben Jahre« versammelte sich in den Räumen des landgräflichen Schlosses zu Darmstadt eine illustre Gesellschaft. Der Landgraf nebst Familie und der Hof schaarten sich um einen hochverehrten Gast, den Schwiegersohn aus Weimar, Karl August. Mit Spannung lauschte di« Gesellschaft dem Vortrage eines jungen, hageren Mannes mit lichten Augen und röthlichem Haar, der, eine kunstvoll gestickte Briestasck)« vor sich, mit glühenden Wangen aus einem Manuskripte vorlas. Schiller war es, der infolge Verwendung Dalberg'- und der Frau von Kalb dir Erlaubniß erhalten hatte, den ersten Act seines „Don Carlos" dem Hofe vorzulesen. Lediglich zu dem Zwecke war er nach Darmstadt gekommen, um sich Karl August, dem Freunde Goethc's und der Musen, vorzustellen und viel leicht — der Gedanke ließ sein Herz mächtiger klopfen — seine Aufmerksamkeit zu erregen. Ach, wenn es ihm gelänge, wie Goethe, die Freundschaft des «dlen Fürsten zu gewinnen, dann wäre es vorbei mit allen Sorgen und man böte ihm die Mittel, sich frei und ungehindert zu entfalten, sich in jene erhabenen Regionen zu erheben, wohin der Flügelschlag seiner Begeisterung ihn tragen würde. Athemlose Stille herrschte — Schiller, obgleich ein schlechter Vorleser, las mit aller Gluth seiner Empfindung. Alle Zu hörer waren tief bewegt — Rufe der Bewunderung wurden laut, und auch der Herzog Karl August hiclt nicht mit seiner An erkennung zurück. „Welch wundervolle Brieftasche", rief die Frau Erbprinzessin entzückt, indem sie das Geschenk Les Körner'schen Kreises mit Kennermiene betrachtete. „Es ist eine Gabe von lieber Hand", antwortete der Dichter ruhig. „Ich betrachte sie als Tali-man, der mir Glück bringt —" „Deshalb haben Sie sie wohl auch mitgenommen?" „Deshalb, durchlauchtigste Prinzessin." Nun begann Karl August zu sprectnn, über das Drama, über Don Carlos, über Schiller selbst. Der Dichter, ohne Scheu, schüttete dem edlen Manne sein übervolles Herz aus, lebhaft blinzelnd, mit dem häufigen Lächeln, das im Gespräch auf seine Lippen zu treten pflegte. Alle seine Gefühle, seine Wünsch« gab er mit der Naivetät eines weltunkundigen Jünglings zu er kennen. Sein neues Drama gedacht« «r d«m Herzog zu widmen — ach, wenn er mit Goethe, Wieland und Herder in Weimar wohnen, wenn er des Herzogs Gunst gewinnen könnte, wie wollte er schaffen und arbeiten! Mit gütigem Lächeln hört« der Herzog dem Enthusiasten zu, ohne sich zu irgend welchen Versprechungen herbeizulaffen. Noch hatte aber Schiller Darmstadt nicht wieder verlassen, als «r — am 27. December — folgenden Brief des Herzogs erhielt: „Dem Sachsen-Weimarischen Rath vr. Schiller, jetzt zu Darmstadt. Darmstadt, den 27. December 1784. Mit vielem Vergnügen, mein lieber Herr Doctor Schiller, ertheile ich Ihnen den Charakter als Rath in meinen Diensten; ich wünsche Ihnen dadurch rin Zeichen meiner Achtung geben zu können. Leben Sie wohl. Karl August, H. z. S.-W". Triumphirend kam Schiller in Mannheim wieder an. Ein Titel war damals mehr werth, al» jetzt, er öffnete alle Thüren. Jetzt erst entschloß er sich, die Sendung au» Leipzig, die er vor sechs Monaten erhalten, zu beantworten, in einem Schreiben voll Dankbarkeit und Liebenswürdigkeit, in dem er die Gründe seines Schweigens ehrlich darleate. " Bald traf die Erwiderung rin, eine Einladung nach Leipzig: „Kommen Sie selbst sobald als möglich. Dann wird sich Manch,» sagen lassen, wa» Nm jetzt noch nicht schreiben läßt. Es schmerzt uns, daß rin Mann, der un« so theuer ist, Kummer ,u haben schrint. Mr schmeicheln
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