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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.11.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981114012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898111401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898111401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-14
- Monat1898-11
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kie Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr« die Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Filialen: ktt« klemm's Sorttm. (Alfred Hahn), Universitatssrrahe 3 (Paulinos), Louis Lösche, Kathan'nenstr. 14, part. und KörlgSplatz 7<< Ve-action nn- Erve-illon: JohanneSgaffe 8. Dielkrpedition ist Wochentag» ununterbrochen grössnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Vez«g--PE sti her Hauptexpedttion oder de« km Htatzt- bezirk und den Bororten errichteten Au«, oabestellen ab geholt: vierteljährlich ^14.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» L-auS bHO. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel;äbrlich 6.—. Direkte täglich« Kreuzbandirndun- in» Ausland: monatlich 7.Ü0. 577. Morgen-Ansgave. eiWM TagMM AnzeigenPreis öle 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem Nedactionsstrich (4g«e spalten) 50^, vor den Familiennachrichte« (6 gespalten) 40 ^z. Größere Schriften laut unserem Preis« Verzeichniß. 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Kaiser Maxi milian II. pflegte zu sagen: „Ein jeder junger Gesell muß sieben Jahre das Narrvnseil ziehen, und wenn er in diesen sieben Jahren eine Stunde seine Narrheit versäumt, so mutz er wieder aufs Neue seine Narrheit anfangen." Schuppius, ein Prediger in Hamburg, behauptete, es gäbe mehr Narren in der Welt als Menschen. Der weise Salomo behauptet von sich: „Ich bin der Allernärrischste, und Menschenverstand ist nicht bei mir." Man sieht also, datz das Gefühl der allgemeinen Narrheit ein sehr verbreitetes war. Zur Narrheit besonders veranlagte Personen spielten nicht allein an den Höfen der Regenten, sondern auch bei reichen Privatpersonen, bei Päpsten, Cardinal««, Bischöfen und Prälaten eine hervorragende Rolle. Unter den zahlreichen Claffen der Narren zeichneten sich besonders die Hofnarren aus. Diese Lustigmacher führten nicht immer den Titel Hofnarr, waren es aber doch in Wirklichkeit. Man legte ihnen diesen Titel nicht bei, weil es wider die Sitte der Zeit war. Als die Derbheit der Sitten an den Höfen schwand, begnügte man sich mit Kammerzwergen. Am längsten hielten sich die Hofnarren am iursächsischen Hofe, hier wurden bis in die Mitte des 18. Jahr hunderts besoldete Hofnarren gehalten. Einer der ersten kursächsischen Hofnarren war Klaub donRanstädt, auch kurz „Klautz Narr" genannt. Nach und nach ist er bei vier Kurfürsten und einem Bischöfe Hofnarr ge wesen. Zuerst war er der Hofnarr des Kurfürsten Ernst. Dieser lernte ihn durch Zufall auf folgende Weise kennen. Klautz Narr war armer Leute Kind, darum mußte er die Gänse in Ranstadt hüten. Eines Tages kam der Kurfürst durch Ran stadt, Klautz bütete abseits sein« Gänseschaar. Als er vernahm, datz der Kurfürst durchreise, wurde er neugierig und wollte den hohen Herrn auch sehen. Da er seine Gänseheerde nicht verlassen durfte, steckte er die jungen Gänse mit ihren Köpfen unter seinen Leibgürtel, die alten Gänse aber nahm er unter die Arme. So war er sicher, datz ihm keine Gans gestohlen ward, datz ihm aber auch keine entlaufen konnte. Als der Kurfürst diesen seltsamen Menschen sah, mußte er herzlich über seine Einfalt lachen, er merkte aber sofort, datz er sich zum Hofnarren gar besonders eigne. Alsogleich ließ er den Vater des Burschen herbeiholen und fragte ihn, ob er es zufrieden sei, wenn er seinen Sohn mit an den Hof nähme. Der Vater antwortete: „Sehr gern, gnädiger Herr, ich würde dadurch eines grotzen Verdrusses Lberhoben, denn der Junge ist mir nichts nütze, in meinem Hause macht er nichts als Unruhe, und durch seine Possen wiegelt er das ganze Dorf auf." Der Kurfürst nahm Klaußen zu sich, -dem Bauer, dem Klautz die Gänse erwürgt hatte, schenkte er A) Gulden und dem Vater machte er ein ansehnliches Geschenk. Von Klautz Narr hat man bald nach seinem Tode allerlei muntere Streiche gesammelt und durch den Druck fest gehalten. Einige sollen hier als Probe angefügt werden. Einst bot der Kurfürst einem Hofrathe aus seinem eigenen Becher gnädigst einen Trunk an. Der Rath demüthigte sich und sprach, er wäre zu unachtsam und zu geringe, datz er aus seiner kur fürstlichen Gnaden Credontia trinken sollte. Das sah und hörte Klautz und sprach: „Siehe, mein Fürst, wie wehrt sich der Kerle, zu trinken, schenk' ihm den Becher, und siehe, ob er sich auch so wehre und sperre." Als Kurfürst Friedrich von einem Anderen um einen Theil seiner Länder angefochten wurde, welcher vorgab, sie wären ihm angestorben, fragte er den Klautz, wie er sich ver halten solle. Klautz sagte: „Fritz, gieb mir Deinen besten Kammerrock, so will ich Dir's schon sagen." Als Klautz den Rock hatte, zerschnitt er ihn in zwei Stücke, zog die eine Hälfte an und kam wieder zum Kurfürsten. Dieser war sehr unwillig, datz er den Rock verdorben hatte, und wollte ihm lassen einen Stock Schilling geben, und fragte, was die Possen bedeuten sollten. Klautz sagte: „Wie mir dieser halbe Rock ansteht, so wird es Dir auch anstehen, wenn Du Deine Länder theilen willst." Einen einäugigen Hofnarren hatte Herzog Georg von Sachsen. -Als im Jahre 1619 in der Pleitzenburg zu Leipzig die berühmte Disputation zwischen vr. Martin Luther und vr. Eck stattfand, war auch der einäugige Narr mit anwesend und saß zu den Füßen des Herzogs Georg. Der Narr wußte nicht, um was es sich bei der Disputation handelte. Die Hof leute aber hatten ihm eingrredet, die Disputation wäre seiner — des Narren — Hochzeit wegen, die Ur. Luther vertheidige, die aber vr.Eck nicht zugebenwolle. Aus diesemGrunde war der Narr dem vr. Eck sehr übel gesinnt, und so oft er in die Disputation kam, sah er ihn mit seinem einzigen Auge gar grimmig an. vr. Eck merkte dieses bald, konnte aber die Ursache zu dem grimmigen, feindlichen Blicke nicht erklären. Er sah ihn wieder starr und scharf an, und um den Narren auf seinen Leibesfehler aufmerksam zu machen, drückt« er mit seiner rechten Hand ein Auge zu. Darüber ward der Narr so erzürnt, datz er I)r. Eck mit lauter Stimme einen verlogenen Pfaffen, Schelmen und Dieb schalt und mit großem Ungestüm das Zimmer verließ, worüber ein großes Gelächter entstand. Unverstand und Unkenntniß der Persönlichkeit und ihrer Werke versetzen auch den Professor der Dichtkunst, Friedrich Taubmann, unter di« Zahl der sächsischen Hofnarren, min destens stempelt man ihn zu einem profeffionsmätzigen Lustig macher. Professor Taubmann zu Wittenberg war ein geist sprühender, witziger Mann und sehr angenehmer Gesellschafter. Seine dichterisch« Begabung, die es ihm leicht ermöglichte, über jeden beliebigen Gegenstand aus dem Stegreife fließende Verse zu sprechen und zu schreiben, verschaffte ihm auch Zutritt zum sächsischen Hofe, wo er der Lieblings- und Gelegenheitsdichter ward. Friedrich Taubmann ward 1666 zu Wonsees, einem unbedeu tenden Marktflecken in der Nähe von Bayreuth, geboren. Die Armuth stand an seiner Wieg«. Sein Vater war Schuhmacher, später ward er Ortsschulze oder Bürgermeister. Früh« verlor er seinen Vater, seine Mutter heirathete einen Schneider, der redlich für den Knaben sorgt«. Nach der Eltern Willen sollte der junge Taubmann ebenfalls das Gchneiderbandwerk erlernen, doch seine geistigen Anlagen ließen ihr. an dieser einförmigen Arbeit leinen Gefallen finden, sein Wunsch war, sich in den Wissenschaften auszubilden. Sein Vater zahlte ihm daher sein väterliches Erbtheil von dreißig Groschen aus und brachte ihn in die Schule zu Culmbach zum Rector Johann Codomann, der di« hervorragenden Anlagen des Knaben sogleich erkannte und sich des armen Schülers in väterlicher Weise annahm. Als der Mark graf zu Brandenburg-Ansbach in Heilsbrunn für hundert fähige Schüler «in Gymnasium gründete, empfahl Codomann den jungen Taubmann zur Aufnahme, was auch geschah. Frei von drücken den Nahrungssorgen, konnte er sich hier ganz den Wissenschaften widmen, seine dichterisch« Begabung zeigte sich schon auf der Schule, und er errang sich als Preis den Dichterkranz. Von hier aus bezog er die Universität Wittenberg, wo er 1696 die Pro fessur der Dichtkunst erhielt, er starb in Wittenberg 1613. Taub mann gehörte incht zu den steifen Gelehrten, die sich einseitig von den übrigen Menschen abschloflen, er war ein heiterer Gesell schafter und empfänglich für gesellige Freuden. Von Taubmann sind viele Anekdoten auf unsere Zeit überkommen, in denen sich sein schlagender und mitunter auch beißender Witz kundgiebt. Hiervon einige Proben. „Ein ein gebildeter Hof-Schrantze zu Dreßden sagte, er wollt« hundert Thaler drum geben, datz die Welt wüßte, was er für ein Mann wäre. Diesem sagte Taubmann ins Ohr: „Ihr solltet billig zwei hundert Reichsthaler drum geben, daß man es nicht wisse." Einst fatzt« Taubmann einen Hofmann bei der Hand, dieser sagte zu ihm: „Sie haben gar grobe Hände, die sich zum Dreschen gut schicken würden." „Ja, ja", erwiderte Taubmann, „ich hab« den Flegel schon in der Hand." — Als man ihm einst bei der Tafel keinen Löffel vorlegte und sagte: „Ein Schelm, der nicht suppe", schnitte er sich eine Brod- rind« ab und suppte damit. Am End« aß er sie auf und sagte: „Ein Schelm, der seinen Löffel nicht mit ißt." Zwischen dem Cardinal Clesel und Taubmann ent spann sich nicht selten ein Wortgefecht. Eines Tages frug Taub mann den Cardinal Clesel, ob er auch wohl wisse, wo Gott nicht wäre? Der Cardinal antwortete: „In der Hollen". Da ant wortete Taubmann: „Nein, zu Rom ist er nicht, denn da hat er einen Statthalter." In Gegenwart des Kurfürsten hatte Cardinal Clesel Taub mann ziemlich mitgenommen. Taubmann wollte sich revanchiren und legte dem Cardinal die Frage vor, ob Eminenz mit einem Worte „hundert und fünfzig Esel" schreiben könnte. Der Car dinal verwunderte sich über diese wunderlich« Zumuthung, und da er es nicht errathen konnte, bat Taubmann den Cardinal, er möge seinen Namen auf den Tisch schreiben, dieser war damit geschwind fertig und schrieb vor desKurfürstenAugen 01-L8L1, Nun sprach Taubmann: „Da sehen Jhro Kurfürst!. Durchlaucht in diesem einzigen Cardinal 01,/Esel) hundertundfünfzig Esel." Darob war Clesel so erbost, daß er am folgenden Tage nach Wien abreiste. Beim Abschiede soll Taubmann zu ihm gesagt haben: „Jhro Eminenz, reisen Sie glücklich, sollten Sie nach Rom kommen, so erzählen Sie dem heiligen Vater, daß ein armer Professor in Wittenberg seinen Cardinal Clesel auf 01, Esel nach Wien habe fortreiten lassen." Auf gleiche Weise, durch eine Wortspielerei rächte er sich auch an dem vr. weck. Koch. Taubmann und Koch waren abge ordnet, auf den Landtag nach Dresden zu reisen. Koch reiste um einige Stunden früher ab und hinterließ in einem Gasthause zu Großenhain, es würde bald der Scharfrichter aus Wittenberg kommen, welchem man einen offenen Krug vorsetzen müsse, welches auch geschah, als Taubmann antam. Als Taubmann erforscht hatte, warum das geschehen, beschloß er, sich an Koch zu rächen. Bald nach seiner Ankunst in Dresden ging er zum Kurfürsten und gi«bt vr. Koch als einen Ehebrecher an, der bei seiner Köchin geschlafen. Auf Grund dieser Anklage ward vr. Koch eingezogen und als Ehebrecher angeklagt. Er leugnete mit Thränen in den Augen und berief sich auf Taubmann. Da trat Taubmann hervor und sagt«: „Wie künnt Ihr solches leugnen, denn w«nn Ihr Koch -ritzet, so muß ja Eure Frau eine Köchin heißen." So hcU- sich Taubmann gerächt, und Dr Koch ward auf freien Nutz gesetzt. Durch irgend einen Umstand war Taubmann bei dem Kur fürsten in Ungnade gefallen, es war befohlen worden, sobald er sich bei Hofe sehen lasse, soll« man ihn mit Hunden weghetzrn. Da sann Taubmann aus eine List, wie er wieder zu Hofe kommen könne. Er kaufte drei lebendige Hasen, nahm si« unter seinen langen Mantel und ging damit zu Hose. Kaum war Taubmann in d«n Schloßhof einqetreten, so wurden etliche Hunde auf ihn gehetzt. Geschwind ließ Taubmann einen Hasen laufen, die Hunde liefen dem Hasen nach und so kam er über den Schloßhof hinweg. Auf der Treppe kamen ihm andere Windspiele entgegen, sogleich ließ Taubmann einen anderen Hasen unter dem Mantel hervorspringen, den die Hunde die Treppe hinab verfolgten. Auf diese Weise kam er bis zum kur fürstlichen Gemach. Hier wartete ein anderes Windspiel seiner, nun ließ er den dritten Hasen entspringen, während das Windspiel diesem folgte, konnte Taubmann ungehindert in das kurfürstliche Gemach eintreten, lieber diese List lachte der Kurfürst herzlich und bewillkommnete Taubmann in frrundlichster Weise. Wie viele von diesen Erzählungen von Taubmann selbst her rühren, läßt sich nicht feststellen; ihm, wie auch -dem Freiherrn Friedrich Wilhelm von Kyaw wird manche humo ristische oder satirische Erzählung und mancher Schwank, unter- gesckwben. Friedrich Wilhelm von Kyaw, geboren am 6. Mai 1654, trat als sechzehnjähriger Jüngling in kurbrandenburgische Kriegsdienste. Schurn 1672 zog er mit ins Feld gegen die Fran zosen am Rhein, hier zeichnete sich Kyaw durch kecken Muth und immer heitere Laune aus. So wird von ihm erzählt, daß er in der Tracht eines elsässischen Bauernmädchens über den Rhein ge rudert sei. In dieser Verkleidung habe er eine Schildwache niedergestochen, deren Schüsse einzelne brandenburgische Soldaten niedergcstreckt. Bei der Erstürmung des festen Schlosses Wasseln- heim zeichnete sich Kyaw abermals aus, ebenso bei Fehrbellin und bei dem Sturm« aus Anclam u. s. w. Kyaw wohnte allen sechs von den sechs berühmten Gobelins im königlichen Schlosse zu Berlin dargestellten Waffenthaten des grotz«n Kurfürsten bei: Fehrbellin, Wolgast, Stettin, die Schlittenfahrt über das kurisch« Haff, Stralsund und Eroberung Rügens. Trotz seiner rühmlichen Antheilnahme und einer neunjährigen tadellosen Dienstz«it war er immer noch nicht emporgerückt, erst 1681 ward «r Unterofficier, 1686 Fähnrich. Im Jahre 1684 ward er nach Berlin versetzt. Hier ward er Kalo eine bekannte und beliebte Persönlichkeit, wozu stin heiteres, lebhaftes Tempe rament, seine munteren Scherze und sein treffender Witz wesent lich beitrugen. Diese Eigenschaften befreiten ihn auch aus man cher fatalen Lage. Einst hatte er behauptet: „Die Frauen ge hören nicht dem Menschengeschlecht an." Durch diese Aeutzerung fühlte sich ein Fräulein so tief gekränkt, daß sie Kyaw forderte. Kyaw's Entschuldigung half nicht, das Duell mit der Dame mußte ausgefochten werden. Als er auf dem Kampf plätze ankam, hatte er keine Pistolen mitgebracht, er erklärte, wehrlos von der schönen Hand der Dame sterben zu wollen. Dazu war das Fräulein zu gerecht, sie bestand auf dem Duell und bot ihre eigenen Pistolen dar. Kaum zeigte sie dieselben, so schlug Kyaw mit einem Fuchsschwanz, den er unter dem Mantel ver borgen gehalten hatte, die Dame aus die Hand, daß die Pistolen zur Erde fielen. Ein allgemeines Gelächter entstand, von dem Duell aber war keine Rede mehr. Während seines Aufenthaltes inBerlin war er tief in Schulden gerathen und hatte mit seinen Gläubigern fortgesetzt unangenehme Auseinandersetzungen. Um diesen aus dem Wege zu gehen, ließ er sich todt melden. Kyaw legte sich in den Sarg, dessen Deckel noch etwas gelüftet war. Beim Ver rücken des Sarges fiel der Deckel zu, und Kyaw war dem Ersticken nahe. Dazu hatte er keine Lust, mit jugendlicher Kraft warf er den Deckel ab und sprang zum Entsetzen aller Umstehenden aus dem Sarge. Dieser Scherz ward sehr belacht, er hatte das Gute, datz rin hochstehender Gönner all« seine Schulden bezahlte. Um den Bewohnern einer kleinen Stadt die F o l g e n e i n e r zufrühen Beerdigung vor Augen zu führen, ließ er sich ins Grab einsenken, im letzten Augenblick sprang er zum Entsetzen der Umstehenden aus dem Sarge. Dieser üble Schcrz kam bis zum Kurfürsten, der ihn dafür nach Spandau abführen ließ. Hier hätte er wahrscheinlich lange zubringen müssen, wenn nicht die Kurfürstin Dorothea zum Besuch nach Spandau gekommen wäre. Kaum vernahm Kyaw davon, so li«ß er vor seinem Fenster ein Gemälde aufhängen, auf dem zerbrochene Gläser, Flaschen, Pfeifen, Tische, Stühle, zerrissene Kartenblätter und dergleichen zu sehen waren. Dasselbe war mit folgender Umschrift ver sehen: Kyaw hofft auf besseres Glück, So steht's jetzt um sein Geschick! > Als die Kurfürstin sich nach der Bedeutung des merkwürdigen Gemäldes erkundigte, erschien Kyaw selbst am Fenster und bat in beweglichen Ausdrücken um Verzeihung. Durch Vermittelung der hohen Frau ward ihm dieselbe zu theil. Da fühlte sich Kyaw verpflichtet, dem Kurfürsten seinen Dank darzubringen, den er auf folgende originelle Weise zum Ausdruck brachte. Er kaufte sich in Spandau einen Esel und ritt auf demselben zum kurfürstlichen Schlosse nach Berlin. Als der Kurfürst d«n seltsamen Reiter erblickte, ließ er ihn vor sich führen und erkundigte sich nach der Ursache des seltsamen Rittes. Nachdem Kyaw dem Kurfürsten seinen unterthänigsten und wärmsten Dank für die Begnadigung ausgesprochen, kam er auf die schlechten Zeiten in Spandau zu sprechen, die ihm nur gestatteten, ein Pferd zu kaufen, das wenig Futter beanspruch«. Der Kurfürst lachte herzlich über den ori ginellen Einfall, schenkte ihm hundert Ducaten zum Ankauf eines Pferdes und ließ ihn wieder ins Regiment eintreten. Die kriegerischen Ereignisse der damals unruhigen Zeit führ ten Kyaw 1686 vor Ofen, um die vordringenden Türken zu be kriegen. Nach errungenem Siege zog er mit an den Rhein gegen di« Franzosen, auf d«m Marsche nach Brabant verwundete er Fettillrtsn. « Ein Soldaten-Parlament. (vor fünfzig Jahren) Von Karl von Bruchhauseu (Hamelu). Nachdruck verboten. Nicht um Spanien handelt es sich, das klassische Land der Pronunciamentos, nicht um ein« der verlotterten Republiken Central- oder Südamerikas, nicht um Haiti oder Liberia, sondern um unser gutes — Preußen. Freilich um das Preußen vor fünfzig Jahren, um eine Episode aus den Novembertagen des bösen Revolutionsjahres 1848. Da höre ich sagen: „ein garstig Lied — pfui, «in politisch Lied!" Gewiß, denn dir Politik soll nun einmal „unter dem Strich" keine Stätte haben, -wir haben über dem Strich schon genug davon. In dem Geschichtchen, das hier erzählt werden soll, wird si« denn auch nur insoweit gestreift werden, al» e» zum „Verfiändniß" gerade erforderlich ist. Im Uebrigen kann auch der rabiateste „Gteuerverweigerer" von Anno 1848 seine Freude daran haben, Wie «S denn gerade ein solcher war, der sie mir erzählte: mein Vater. Damals ein Brausekopf im Anfang der dreißiger Jahre und Gefolgsmann Waldeck's, später der reichstreuestr Monarchist, dessen vier Söhne sämmtlich di« Epauletten getragen Haden urw 1870 mit nach Frankreich hinaus- gezogen sind. ES war eine schlimm« Zeit dazumal. Seit den tollen März tagen war das Militari aus Berlin gezogen bis auf kleine Ab- theilungen, die sich kaum zu zeigen wagten. Monate und Monate vergingen so, bis die Monarchie sich ermannte. Einer der ersten Schritte in dieser Richtung war Mitt« September 1848 die Ernennung de« General» von Wrang«! zum Ober- commandeur in den Marken. Zunächst in Charlottenburg re- sidirend, hielt er bereit« am 20. September eine groß« Parade Unter den Linden ab und am 10. November zog er endgiltig mit Lruppenmacht in die halb der Anarchie oerfallem Lande«. Hauptstadt ein. Die Hauptcolonne, an deren Spitze der General selber ritt, mvrschirtr durch das Hallesche Thor zum Gendarmen markt, denn hier, im königlichen Schauspielhause, tagte di« preußische Nationalversammlung. Sie hatte sich „in Perma- n«nz" erklärt und durfte als die schlimmste Schürerin t»:r Un zufriedenheit angesehen werden. Mit ihr wollte „Papa Wrangel", den man übrigens damals noch nicht so nannte, zu nächst ein Wörtlein roden. Die Infanterie setzte ihre Gewehre auf dem Gendarmenmarkte zusammen; die Artillerie stand in der Markgrafen- und Mohrenstraße. Wrangel hatte sich. Mit eiserner Kaltblütigkeit allen Hohn und Spott der Menge an sich abgleiten lassend, an der Ecke der Mohrenstratze auf einen Stuhl nirdergesetzt. Da erschien vor ihm der Chef der Bürgerwehr Major a. D. Rimpler und er klärte: „Die Bürgrrwehr sei entschlossen, -die Freiheit des Volkes, die Würde der Nationalversammlung zu schützen und sie werde nur der Gewalt weichen." Ruhig und freundlich — wir entnehmen daS der Lebensbeschreibung de» Grafen von Wrangel — erwidert« der General: „Sagen Sie Ihrer Bürgerwehr, di« Gewalt wär« nun da; ich werde nun mit -den Truppen für di« Ordnung einstehen; die Nationalversammlung wird binnen 16 Minuten den Sitzungssaal verlassen und dann wird auch die Bürgerwehr abziehen." . . . Noch war die bestimmte Frist nicht abgelaufen, als die Abgeordneten paarweise di« Freitreppe de» Schauspielhauses herabstiegen und, von Zurufen des Volkes begleitet, in Procession nach der Taubenstraße zogen und verschwanden. Unter diesen Abgeordneten befand sich mein Vater. „Die Zeitungen", erzählte mir der sonst meist Schweigsame mit etwa» wrhmüthigem Selbstspott, „schrieben damals „in würdiger Haltung, paarweise" seien die Vertreter d«S Volke» durch di« starrenden Bajonette dahin geschritten. Wa» mich betrifft, ich bekenne offen, ich habe mich selten im Leben so un behaglich gefühlt, wir damals, als di« feuerbereiten Kanonen ihre Mäuler gegen da» Schauspielhau» reckten. Ich war dermaßen aufgeregt — und Arideren wird es kaum besser ergangen sein — daß ich allerlei Sachen auf meinem Platze im Schauspielhause liegen ließ. Darunter war ein Buch über Staatswissenschaften, da» ich mir kurz zuvor vom Ministrr Grafen Brandenburg g«. liehen hatte. Es wäre mir im höchsten Grade unangenehm gewesen, wrnn ich Dieses Buch nicht hätte z-urückgebrn können. Wenn schon "der Graf es mit Wirklich edelmännischer Zuvor kommenheit dem rothen Demokraten zur Verfügung gestellt hatte: ich mochte nicht in der Schuld des urconservativrn Mannes bleiben." „So machte ich mich ^d-enn am Tage nach dem glorreichen Auszuge wieder nach Dem Schauspielhaus« auf. Ich versuchte am Hauptringang herein zu kommen. Ein energisches „Halt!" des dort ausgestellten Postens verbot mir den Eintritt. „Befehl, Niemanden hereinzukassen." An D«n Neb«neinyängen dasselbe. Ich vertäute mich Dem Unterofficier der Wache an, -der aber meinte: ohne ausdrücklichen Befehl vom Oberkommando dürfe ich selbst in Begleitung nicht hinein. Es kam ein anderer, intelligenter Unterofficier dazu und erbot sich, Das Buch zu holen, konnte es indeß nicht finden und kam unverrichteter Dinge zurück. Ich aber wollte und mutzt« das Buch haben, war auch überzeugt, daß r» sich noch auf demselben Platze befinde. Nach einigem Ueberlegen meinte derselbe Unterofficier: „Na, wenn Ihnen so viel daran liegt, und rin Unrecht ist's ja auch weiter nicht — an den Posten kommen Sie unter keinen Umständen vorbei. Aber ich weiß einen Platz, auf dem kein Posten steht." Ich folgte ihm. Auf allerlei Stiegen ging es hinaus bis in die Sofitten- böden, von dort zur Bühne hinab. Eilenden Schrittes war ich an meinem Platz«: Gott sei Dank, das Buch war noch da! Jetzt erst fand ich die Ruhe, um mich zu blicken, und was ich da sah — damals hat es mich namenlos traurig gemacht, heute lockt es mir nur ein Lächeln ab . . . ,,E» mochten etwa zwei Compagnien — von irgend einem Garde-Regiment — anwesend fein. Officier« sah ich nicht; in einer Ecke unterhielt sich ein Häuflein Unterofficirre, so gut das bei dem zeitweiligen Lärm, der den Raum durchtofie, möglich war. Dir Mannschaften vertrieben sich nämlich die Zeit damit, daß sie — Parlament spielt« n. Da saßen sie auf den Sitzen, die noch Tags zuvor wir eing«nommen hatten. Auf der Präsidentin-Tribün« hatte es sich ein baumlanger, breit schultriger Grenader beguem gemacht. Bartlo», mit schriller Stimme und eisernem Gesicht waltete er seines Amtes. Zur Seit« di« Bänke d«r Schriftführer, di« mit unermüdlichem Liftr in -ihren imaginären Protokollen kritzelten. Und im weiten Raume die Herren Abgeordneten: der eine bequem hingeflegelt auf dein Sessel; ein Anderer mit verschränkten Armen zurück gelehnt. Ein paar schliefen gar, ob wirklich, oder ob sie es blos markirten, weiß ich nicht. Ebenso wenig weiß ich, worüber ver handelt wurde. Ich hörte nur das durchdringende Organ des Präsidenten „der Herr Abjeordnek for Posemuckel hat das Wort." Offenbar war der Präsident mit Spreewasser getauft. Ein Ge freiter mit einem ganz kleinen Schnurrbärtchen im jugendfrischen Gesicht bewegte sich in langsamen Storchschritten nach der Rednerbühne hin. Was er da eigentlich redete, habe ich nicht begriffen, aber offenbar war er von der „Linken", denn von dort schallte es ununterbrochen: Sehr gut! Bravo! Hört, hört! während die Rechte ihrem Unmut-H durch Zischen, Pfeifen und Getrampel Ausdruck gab. Glocke des Präsidenten (es war bei dem eiligen Abzug am Tage zuvor Alles unverändert stehen und liegen geblieben): „Wollt Ihr woll stille sind, Ihr Quatsch- köppe rechts!" Darauf ein allgemeiner Ausbruch der Em pörung auf der betroffenen Seite, der sich erst wieder legte, als Die durchdringende Stimme des Präsidenten vernehmbar wurde: „Dat da (auf di« Link weisend) sin ooch man blos Kameele!" Nun ein Sturm links und wer weiß, wie es dem Präsidium er gangen wäre, wenn nicht auf einer Der hintersten Bänke sich ein Mann erhoben, und mit Stentorstimme im breitesten Westfälisch durch den Tumult gerufen hätte: „Ich s-telle einen Vertagungs antrag, es is Szeit szum frühs-tücken!" Allgemeine Zustimmung, und mit lautem Halloh wurde, ohne auf das Gebimmel des Präsidenten zu hören, die Sitzung aufgehoben. „Der mich begleitende Unterofficier lachte; ich lächelte trübe vor mich hin. Das waren also die Sklaven, die wir Fort schrittler von ihren unwürdigen Ketten befreien wollten! Sie spotteten unser und des uns so theuerrn Parlament». Fühlten sich anscheinend auch ganz wohl dabei." — So weit mein Vater. Und er setzte hinzu: „Heute freilich sag« ich, wenn ich an jen« Scene zurückdenke: welche gesunde Kraft in unserem Volk, und welch' urwüchsiger Humor! Man lernt eben mit den Jahren di« Ding« ander« sehen."
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