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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.11.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-11-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189811277
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18981127
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18981127
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-11
- Tag1898-11-27
- Monat1898-11
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.11.1898
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Bezrrgs-Prett k d» HempwMdtttme «tz« dm fix Stadt« bestrk mü, dm Vorort« errichtet« Nor- aavrstrll« atgrtzolt: vtrrtrljlwrlichLbO, mi zweimaliger täglicher Zustellaag in» Haut KLO. Durch dte Post bezog« für Deutschland und Oesterreich: vienrliäbrltch S.—. Direkte tägliche Kreuzbandieadung tat Ausland: monatlich 7.LO. Die Morgen-Ausgabe erscheint mn '/,? Uhr, di« Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Re-action un- Er-e-itio«: Johannes,affe 8. Di« Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 biS Abend» 7 Uhr. Filialen: Vito Klemm'» Lorti«. (Alfred Hahn), UniversitätZstraßr 3 (Pauliaum), Loni» Lösche, Dathariamstr. 14, Part, und König-Platz 7. MchMrIaMM Anzeiger. Amtsvlatt des KönigNchett Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes «nd Vatizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS -!e S gespaltene Petitzeile SO Pfß. Reklame» unter d«mR«daetionsftrich (4g— spalten) LO^, vor den Famtltmnachrtchtra (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis« vrrzrichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen«Au-gab«, ohne Postbeförderuug ^l SO —, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end «Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» »NHL Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richt«. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. S2. Jahrgang. Sonntag den 27. November 1898. KOI. Fürst Lismarck's Gedanke« «nd Erinnerungen. i. Jüngst erschien in einem angesehenen Leipziger Blatte mit halbamtlichem Charakter ein Artikel, betitelt: „Gedanken und Erinnerungen des Fürsten Bismarck in französischer Be leuchtung." In ziemlich absprechender Weise urtheilte der Ver fasser über ein Werk, das er selbst noch nicht kennt, im Anschluß an einen in der „Revue des RevueS" erschienenen Aufsatz eines französischen Schriftstellers, der das nachgelassene Werk des Fürsten Bismarck gelesen zu haben vorgiebt und eS geradezu als eine Mystifikation bezeichnet. Es ist sehr bedauerlich, daß sich Herr E. Th. dazu hergegeben hat, Verbreiter französischer Bosheiten zu sein, noch bedauerlicher, daß er sich nicht gescheut hat, allerhand Scheingründe vorzubringen, die geeignet sein könnten, das französische Urtheil zu erhärten, das Werk des Fürsten Bismarck zu discreditiren, noch ehe es erschienen ist, und dabei indirekt Reklame zu machen für das geschäftliche Unter nehmen der Herren Penzker und Hofmann, deren bändereiche Zusammenstellung von Zeitungsartikeln Hofmann'scher Mache angeblich weit mehr von Bismarck'schem Geiste enthalten soll, als dieses ureigenste Product seines Geistes und seiner Feder. Solchen Angriffen gegenüber halte ich es für eine Pflicht der Pietät, aus der Reserve herauszutreten, die ich mir bisher auferlegt hatte, und da ich die „Gedanken und Erinnerungen" seit Jahren kenne, sie wieder und wieder gelesen, jede ihrer Angaben kritisch nachgeprüft habe, so wird mir das Recht zu einer sachlichen BrurtHeilung kaum abgesprochen werden dürfen. Ehe ich dazu übergehe, habe ich die Pflicht, einige Aeußerungen jenes oben erwähnten Artikels zu entkräften. Mein Schweigen könnte sonst leicht als Zugeständniß aufgefaßt werden. Es heißt da: „Der Einfluß Herbert Bismarck's ist sicher ebenso schwerwiegend für die Gestaltung der „Gedanken und Erinnerungen" gewesen, wie der Besuch des deutschen Kaisers in Friedrichs- ruh 1895." Was der Verfasser des Artikels hier als „sicher" hinstellt, ist eine durchaus willkürliche Insinuation. Dem Fürsten Herbert Bismark sind die Aufzeichnungen seine- Vaters überhaupt erst nach dessen Tode im Zusammenhänge be kannt geworden, er hat nicht den geringsten Einfluß auf ihre Gestaltung gehabt, auch nicht die geringste Streichung im Texte vorgenommen. Es heißt der Wahrheit einen schlechten Dienst erweisen, wenn man als „sichere" Vermuthung giebt, was nur das Product eigener Phantasie ist. Ebensowenig hat der Besuch des deutschen Kaisers im Jahre 1895 in irgend welcher Weise auf die Gestaltung des Werkes eingewirkt. Zu dieser Zeit war es bereit» fertig, und Fürst Bismarck hat in einem lang« Leben bewiesen, daß Fürstengunst für ihn nicht da- höchste der Gefühle war. Er hat immer nur der Wahrheit gedient, und wer doraussetzt, daß ihn ein Besuch des Kaisers hätte bestimmen können, auch nur einen Strich an dem zu ändern, was er nach reiflicher Erwägung seinen Denkwürdigkeiten einverleibt hatte, der beurtheikt ihn nach dem eigenen Empfinden und vermag die sittliche Größe dieses Mannes nicht zu erfassen. Herrn Kröner gegen die französische Unterstellung, die der deutsche Artikelschreiber sich zu eigen macht, zu vertheidigen, daß er als „Geheimer Rath" sicherlich kein Werk in Verlag genommen haben würde, „das irgendwie geeignet wäre, bei Hofe oder in Regierungskrisen Anstoß zu erregen", habe ich kaum nöthig, da dieser Herr Manns genug ist, sich seiner eigenen Haut zu wehren. Das Unhaltbare der Annahme wird ohne Weiteres klar, wenn man sich des Datums des Verlagsvertrages erinnert (6. Juli 1890). Zu dieser Zeit war das Märchen vom „grollen den" Bismarck fast zu einer Wahrheit geworden. Ueberall, in amtlichen und nichtamtlichen Zeitungen, las man von dem Alten im Sachsenwalde, der Böses sinne Tag und Nacht und ein teuflisches Vergnügen daran finde, das Werk seines Geistes und seiner wunderschaffenden Hände, das deutsche Reich, zu zerstören. Wie hätte Herr Kröner vermuthen sollen, daß die noch gar nicht geschriebenen Denkwürdigkeiten des Fürsten Bis marck so zahm und loyal sein würden, daß er als „Geheimer Rath" vor dem Kaiser mit solchem Werke bestehen könnte? Daß er froh ist, das Werk eines literarischen Schmutzfinken nicht verlegt zu haben, wird ihm kein anständiger Mensch verdenken. Niemand aber hat ein Recht, daraus zu schließen, daß er sich gesträubt haben würde, Bismarck's „Gedanken und Er innerungen" ungeändert zu verlegen, selbst wenn sie Bemerkungen enthielten, die in Hof- und Regierungskreisen verstimmen könnten. Entäuschungen, „die man in Deutschland noch stärker als im Ausland empfinden wird", dürfte BiSmarck'S Werk nur bei Denen Hervorrufen, welche darin suchen, was sie darin nicht finden: den Skandal. Fürst Bismarck war jederzeit ein Feind aller Sensation, und er sollte sich dazu hergegeben haben, „sensationelle Enthüllungen zu bringen, politische Geheimnisse auszuplaudern" und dadurch den Beweis zu erbringen, daß er der „wohldisriplinirte" Staatsmann nicht sei, als den er sich früher einmal bezeichnet hat? Wahrlich, wir Deutsche haben allen Grund, dem Fürsten Bismarck dankbar zu sein, daß er bei seinen Aufzeichnungen nicht die „Sensation", die schnell verfliegt wie das Leben der Eintagsfaltrr, sondern die politische Belehrung im Auge hatte, er hat unS damit ein politisches Testament hinterlassen von unvergänglichem Werthe, einen „Besitz für die Ewigkeit", wie ihn Thucydides den Athenern in seinem Werke über den peloponnesischen Krieg schaffen wollte. II. fieber die Art und Weise, wie das Werk entstanden ist, habe ich mich in dem Vorwort kur? ausgesprochen. Lothar Bucher hat sich das große Verdienst erworben, daß er den Fürsten bei dem Gedanken festhielt, Erinnerungen zu schreiben, und dessen Ausführung vorbereitete. Dem Fürsten war die unreinliche Arbeit mit Tinte unsympathisch, und sehr schwer würde es gehalten haben, ihn zu einer systematischen Aufzeichnung seiner Erinnerungen zu bringen. Es mußte also rin anderer Weg gesucht werden, auf dem das gleiche Ziel erreicht werden konnte. Fürst Bismarck war eine mittheilsame Natur, und wenn er nach dem Frühstück oder nach dem Diner seinen Gästen den reichen Schatz seiner Erinnerungen und seiner politischen Gedanken erschloß, hing Alles an seinen Lippen. Gelang es, diese Erinnerungen und Gedanken in einer gewissen systematischen Folge aus ihm herauszulocken und diese spontanen Aeußerungen mit dem flüchtigen Griffel des Stenographen festzuhalten, so hatte man, was man brauchte: die Grundlage zu einem auto biographischen Werke. Das war freilich nicht so ganz leicht; der Redende ließ sich im Zuge seiner Gedanken nicht gern unter brechen, und oft genug führten ihn diese von Gegenständen der Vergangenheit hinüber in die Gegenwart, in der er auch nach seiner Entlastung mit voller Seele lebte. Aber Bucher wurde nicht müde, die einzelnen Steine zu dem großen Mosaikbilde zu sammeln und jeden an seinem Platze einzusetzen. Er hatte sich den reichen Stoff nach den Capitelüberschriften zerlegt, die im Werke selbst geblieben sind. Er schrieb, nachdem die Lücken gefüllt waren, die Capitel nieder in möglichst getreuem Anschluß an seine stenographischen Aufzeichnungen, ergänzte sie nach dem Diktate des Fürsten, wo solche Ergänzung nothwendig erschien, und überwies sie dann dem Fürsten zur eigenhändigen Durch sicht. Der Fürst widmete sich dieser Arbeit mit regem Eifer; das beweisen die zahlreichen stilistischen Verbesserungen, aber auch die oft seitenlangen Ergänzungen, die er mit Bleistift den einzelnen Capiteln hinzufügte. Immer und immer wieder kehrte er zu dieser Arbeit zurück, und der Kundige kann leicht an einzelnen Capiteln eine 3-, ja selbst 4fache Redaktion Nachweisen. So sind die Gedanken und Erinnerungen sein eigenstes Werk, nicht Bucher's Werk, wie Uebelwollende haben behaupten wollen. Bucher war nur der treue Gehilfe und hat auch nie etwas Anderes sein wollen. Er fühlte, obwohl er selbst ein sehr ge lehrter Mann war, die Ueberlegenheit des Genies und beugte ich vor ihr in demüthiger Bewunderung, und mit Zorn und Ekel würde er sich von einem Werke abgewendet haben, wie es M. Busch nicht zu Ehren, sondern zur Verunglimpfung seines Herrn geschrieben hat. Bis zum Jahre 1893 war das Werk im Wesentlichen abgeschlossen. Die schwere Krankheit, die den Fürsten im Sommer dieses Jahres in Kissingen befiel, gab die nächste Veranlassung dazu, das Manuskript abzusetzen. Doch erschien es ihm selbst noch nicht druckreif, und so dienten die mit breiten Rändern versehenen „Fahnen" als neues Manuskript. Mit größerer Bequemlichkeit konnte nun der Fürst an die noch malige Durchsicht gehen, und sie gab ihm noch oft genug Ge legenheit zu Umänderungen, Berichtigungen, zur Einfügung wlitischer Reflexionen, zur Milderung einzelner Ausdrücke, namentlich dann, wenn es sich um die Beurtheilung von Per önlichkeiten handelte. Die Neigung, überall in moliorom partim auszulegen, nahm bei dem alten Fürsten mit jedem Jahre zu: die Güte seines Herzens offenbarte sich in den letzten Jahren in der oft überraschenden Zartheit seines Empfindens. Er wollte bewußt Niemand wehe thun, und das „liker» script» manet" bestimmte ihn, in der Beurtheilung von Menschen und Ereignissen vorsichtig den Ausdruck zu wägen, um nicht durch ein „Zuviel" ungerecht zu werden. Der Tod Bucher'S (12. Oktober 1892) hatte die nachtheilige Wirkung, daß die Zufügung einzelner neuer Capitel unterblieb Aus einzelnen Randbemerkungen ist zu entnehmen, daß der Fürst beabsichtigte, gewisse Lücken, die er selbst als solche empfand durch besondere Capitel auszufüllen. So hätte er gern die Er eignisse von 1866—70 neben dem die Organisation des Nord deutschen Bundes behandelnden Capitel in einem besonderen Abschnitte dargestellt; aber es fehlte seit Bucher's Tod die antreibende Kraft. Auch war Bucher, der über ein umfassendes Gedächtniß gebot und als Mitarbeiter- des Fürsten in alle politischen Vorgänge eingeweiht war, nicht leicht zu ersetzen. Dazu kamen als Hemmnisse die Leiden des Alters und eine nach solchen Leistungen Wohl erklärliche Müdigkeit, der Tod der über Alles geliebten Gattin, die tägliche Unterbrechung durch Einzelbesuche und Massenempfänge und die Beschäftigung mit der Tagespolitik, zu alledem noch eine private Korrespondenz in Briefen und Telegrammen, deren Umfang mit jedem Jahre wuchs und eine Fülle von Zeit und geistiger Kraft in Anspruch nahm, die für die retrospektive Arbeit des Historikers nur ein bescheiden Theil übrig ließ. Und doch, welche Tiefe der Gedanken, welche Reife des Urthrils, welche Klarheit der Sprache, welche Schönheit des Ausdrucks, welche prophetische Weisheit bei der Erörterung zukünftiger Gestaltungen! Der französische Kritiker Farsrlletsn. „Weißt -« Mutter.. Nachdruck verset«. „Liebes Kind, thue Deine Stickerei bei Seite; Emil wird gleich komm« und Du weißt, er kann es nicht leiden, wenn Du stickst." -Ja, ja, Herzensmama, gleich. Aber findest Du nicht, daß es eigentlich abscheulich von Emil ist, daß er mir durchaus da» Stick« verbieten will. Und ich sticke doch für mein Leben gern." „Die Männer haben nun einmal solche Marotten, es läßt sich nicht» dagegm machen. Er ist ja sonst ein so braver, guter Mann, Dein Bräutigam, daß Du ihm den Gefallen thun kannst." „Ich werde es gewiß gern thun — aber Eins frage ich Dich, liebe Mutter, was kann denn eigentlich Emil leiden? Sticken soll ich nicht, häkeln soll ich nicht, brandmalen erlaubt er gar nicht, und sing« — ach singen. Wie oft ruft er aus: Weg mit der drvdlof« Kunst! Ich habe ihn gewiß lieb, aber daß er mir gar kein Vergnügen gönnt, das ist schlimm von ihm . . ." „Freilich, er ist ein biichen, — wie soll ich gleich sagen ..." „Nicht wahr, Mutter, Du giebst mir Recht?" Die Mutier wurde ein wenig verlegen. „Recht gebe ich Dir gar nicht, Hildegard . . . aber, nun da» ist ja wahr, er könnte ein wenig mehr Rücksicht auf Dein Ver gnügen nehm«. Gott, was hat so ein armes Mädchen wie Du denn eigentlich! Du sitzt fast immer zu Hause, kommst selten fort, nur wenn Du mit Emil ausgehst, kannst Du Dich ein bischen zeig«, und da ist er auch gleich eifersüchtig. Zu meiner Zeit war das ander». Unser guter Vater war in jeder Beziehung galant und er freute sich, wenn ich ihm etwas gestickt hatte. Dir Börse . . ." „Ja, Mama, ich kenne sie noch, er hat sie immer getragen. Zwar hat er oft genug geklagt, daß man das Geld sehr schlecht darin erkennen könne, und daß so eine Börse sehr ungeschickt und unpraktisch sei, aber trotzdem hat er sie immer benutzt Wenn ich Emik eine Börse häkeln wollte . . Na, der würde schön wüthend werd«. In solcher Hinsicht ist er doch ein . . ." „Bär . . .", ergänzte die Mutier, indem sie an ihren Seligen dachte. „Aber ich mache ihm ja auch keine Börse, und diese kleine niedliche Brieftasche, die ist doch wirklich praktisch und die kann er doch immer gebrauchen." Bei diesen Worten wickelte sie ihre Stickerei noch einmal «uSeinander und zeigte der Mutter die Brieftasche mit der fast vollendet« Stickerei. Die Mutter lobte sie, empfahl ihr aber doch noch, schleunigst zusammenzupacken, eh« Emil hereintrete, denn r» habe gerade geklingelt. „Unkrrm Ehristbaum", fügte sie hinzu, „sieht so etwas ganz ander- aus!" Der Bräutigam Emil Schlenthrr war rin hübscher junger Mann. Sein frisches munteres Gesicht lachte wie die < Sonne und man hätte niemals denken können, daß die lieben blau« Augen böse dreinschauen könnten. Schlenthrr war! Techniker, ein geschickter tüchtiger Arbeiter, hatte nicht studirt, sondern nur da» Technikum besucht, war aber durch seinen sicheren Blick und seine Anstelligkeit schon hübsch vorwärts gekommen. Er that sich darauf eigmtlich viel zu Gute und kehrte die „praktische" Seite seines Wesen» oft mehr heraus, als nöthig war. Darunter hatte seine Braut Hildegard am meisten zu leid«. Er liebte sie srhr, aber er tyrannisirte sie auch in gewisser Beziehung. Sie sollte immer Alles thun, wie er wollte. Immer praktisch, Frauenarbeiten, wie Stick«, Häkeln, waren ihm ein Gräuel, denn sie bracht« nicht» ein, Brandmalen war ganz verpönt und Clavierspielen und singen durfte Hildegard nur mit seiner besonderen Erlaubniß. Wenn er trotz dieser tyrannischen Seite, nicht ein so lieber Mensch gewesen wäre, der es ehrlich meinte — und dessen Zukunft sich anscheinend rosig gestaltete, hätte die Liebe Hildegard's wohl etwas erkalten können. Aber das that Hilde nicht. Sie ärgerte sich über die Bemerkungen, die Emil machte, nicht mehr, als zur Verdauung nöthig war. In seiner Gegenwart stickte sie nicht, häkelte sie nicht, spielte nicht Clavier und sang auch nicht. Neben seinem großen Fehler der Tyrannei hatte Emil noch einen kleiner«, für den er nicht ver antwortlich gemacht werden konnte, er war gänzlich unmusikalisch, und was schlimmer war, Hildegard war sehr musikalisch. In der ersten Zeit hatte sie dem guten Emil Chopin und Schumann vorgespielt, BrahmS und Schumann gesungen, der Bär war dabei eingeschlafen; nun hatte sie es aufgegebrn, aber für ihr Leb« gern hätte sie ein Mittel gehabt, um Emil ein wenig Lust zur Musik beizubring«. Sie hatte ihm zu Liebe schon Trink lieder gespielt. Es war „was von der Höh' gekommen", man hatte „sa sa geschmausrk", „die Völkerschaaren waren herbei geströmt" und „Oauckernuo ixitur" hatte er mitgrbrummt. Dann war das Repertoire erschöpft und damit das Interesse Gmil'S. DaS machte der guten Hildegard manche Sorge, und wenn sie an die Ehe dachte, sagte sie manchmal: Mutter Mutter weißt Du nicht, wie ich ihn zum besseren Menschen mach«? „Nun, meine Hilde, was hast Du den ganzen Tag gethan?" fragte Emil fidel, umschlang seine Braut mit frischer Natürlich keit und drückte ihr einen Kuß auf die Lippen. „Gekocht, ab gewischt, genäht . . . nicht wahr? Du bist doch immer ein fleißiges Mädchen . . . aber um Gotte-Willen", dabei fielen seine Augen auf das Päckchen, das Hilde zu verbergen suchte, „Du hast wohl gar gestickt?" Hildegard wurde roth und die Thränen traten ihr in die Augen. „Wenn Du e» durchaus wisse» mußt, ja . . . und etwas für Dich, Du böser Mann!" „Ich will nicht» von dem Zeug haben. Ich kann den elenden Stickkram nicht au-stehen. Bringt nicht» ein, Ihr vertrödelt blo» damit die Zeit „So . . . was sollen wir Mädchen denn machen, wenn wir fertig sind? Wenn wir da» HauS besorgt haben, müssen wir einer Liebhaberei pfleg« ..." „Meinetwegen, nur nicht sticken oder häkeln . . . „Oder Brandmalen, oder Clavier spielen, oder singen .... Sollen wir auf Euer Bureau gehen und dort zeichnen und Euch daS Brod fortnehmen? Ja, das wollt Ihr auch nicht, .... sollen wir spazieren gehen und mit Anderen scharmuziren, das paßt Euch und uns doch auch nicht, nun so laßt uns unser Ver gnügen. Mr lassen Euch Eures. Ihr geht in die Kneipe, spielt Karten . . . ." „Wenn ich sage, ich will das nicht haben, dann will ich es nicht haben", entgegnete Emil unbewußt scharf, so daß er selbst über seine Worte erschrak. „Nein, Emil, so lasse ich mir nicht kommen. Zu solcher Sprache hast Du kein Recht, wenn Du jetzt schon so den Herrn spielst, wie soll daS erst später werden. . . . Und übrigens, es ist für Dich, was ich mache ... ein Weihnachtsgeschenk", im Vollgefühl ihrer Enttäuschung und ihres beleidigten Gemüthes sank sie zusammen und brach in Kampfhaftes Weinen aus. Emil war bestürzt, er wußte nicht, was er thun sollte. In die Küche zur Mutter laufen, das schien ihm gar zu feige und gleich nachgeben, das wollte er auch nicht. Er hatte ja noch die naive Anschauung, daß der Mann von Anfang an fest bleiben müsse, um nicht unter den Pantoffel zu kommen und hatte den Tyrannen gespielt, um seine Macht als Mann zu zeigen. Heilige Einfalt, die an solche Mittel noch glaubt! Er kam sich unendlich dumm vor, denn der Vorwurf, den er sich machen mußte, war gerechtfertigt. Dor ihm schluchzte seine schöne Braut, auf die er so stolz war und die er so innig liebte. Aber nachgeben durfte er nicht, selbst wenn das Weihnachtsgeschenk nicht fertig wurde. Da fiel ihm etwas ein. Er wußte, wie gern Hilde Clavier spielte. Wenn er wünschte, ihm etwas vorzutragen? Und er that'». Mit zuckersüßen Worten bat er, nicht mehr zu weinen, er bat, sie möge doch irgend etwas spielen, sie könne es ja so schön, vielleicht auch etwas singen. Er höre so gern Musik — hier fühlte er, wie ihm das Blut wegen der Lüge in die Wangen schoß — ... und Hildegard lächelte unter Thränen, sagte von der Stickerei gar nicht», ließ sich küssen und immer küssen, küßte wieder, erlaubte ihm, eine Cigarre anzustecken, holte selbst Feuer und Aschenbecher und setzte sich dann an das Clavier, während Emil sich in eine Sophaecke lehnte. Eine Sonate Beethoven'S fluthrte durch den Raum. Ein Adagio von Mozart folgte . . . Ein Notturno von Chopin . . . Emil raucht« krampfhaft und begann sich in seine Sophaecke zu räkeln. Es wurde ihm doch eigenthümlich um» Herz bei dieser Musik. Es dauerte ein bischen sehr lange und er verstand gar nicht- davon. Und nun sah er seine Braut an. Ihr herrliche- Profil, ihre königliche Haltung —, er ärgerte sich, daß er nicht Theil hatte an dem musikalischen Genüsse. Aber er wollte auch etwa- haben. Der Bär kam wieder zum Durchbruch. Hildegard hatte geendigt und blickte ihn innig an. „Das war schön, Hilde! Das war herrlich", wieder schlang er seine Arme stürmisch um sie, dann ließ er ihn langsam sinken: „Wer das Alles so richtig verstände, was die Menschen damit sagen wollen. Du mußt mir das einmal beibringen. Ich bin wirklich zu dumm dazu » ., Dabei habe ich auch dir Musik ganz gern. Du weißt, ich höre Dir so gern zu, nur zu schwer darf es nicht sein." Hildegard lächelte. „Einen Marsch möchtest Du Wohl gern hören? Vielleicht „Die Banda kommt!" Emil erröthete wie ein Schulbube, er schämte sich vor sich selber. „Nein, so etwas nicht, etwas Getragenes ... ein Lied . . . Kannst Du Dich erinnern, in der Ausstellung haben wir es immer gehört . . . Ach Gott, wie ging es denn gleich ... Ich merke mir auch gar nichts . . es war wirklich hübsch, so wehmuthsvoll . . . weißt Du, ich neige zur Sentimentalität — Jetzt habe ich es . . der Rattenfänger . . ." Wieder huschte ein fröhliches Lächeln über Hildegard's Gesicht. „Wenn Du es gern hörst . . . ." Und sie sang das Lied, und aus der bekannten Melodie wurde ein kleines Kunstwerk, das zwar der gute Emil nicht würdigen konnte, indessen sein Gesicht verklärte sich, er sang, er brummte mit. „Herrlich, herrlich", jauchzte er. „Also das gefällt ihm so", dachte Hildegard im Stillen. „Das konnte er auch schon früher sagen. Ander Stelle ist er sterblich." „Hilde, wie gut Du bist . . Du spielst zu schön. Weißt Du, solche Musik liebe ich. Die macht mich weich, die stimmt mich um." „Du lieber, guter Mann, wußte ich doch, daß Du es nicht böse meinst, als Du mir das Sticken verbotest, noch dazu, wenn ich Dir etwas mache . ." So schnell wollte nun Emil nicht nachgeben. Das Sticken ist doch eine brodlose Kunst, meinte er mit Nachdruck. Er wollte noch mehr reden. Da griff Hilde in die Tasten und mit ihrer schönen Stimme sang sie leise: Bei ihrem schwer erkrankten Kinde . . . Emil horchte athemlos. Ja, das war seine Musik, das wollte er haben. Das gefiel ihm, da» ging ihm ans Herz, Jetzt hatte dieSonne ihm auch einmal „gescheint". WaS Beethoven, was Mozart, was Schumann ... die versteht man nicht . . « „Mutter, weißt Du, was ich träumt hab'?" „Liebste, beste Hilde", und ein stürmischer 'Kuß belohnte sie, „singe es noch einmal, noch zwei Mal ... so oft Du willst.... Siehst Du, das ist Musik, da» lieb« ich . . . Meinetwegen sticke, häkele, male Brand . . . aber spiele immer solche Sachen . . ." DaS Abendbrod verlief in heiterster Weise. So glücklich war Emil lange nicht gewesen, aber auch Hildegard noch nie so schelmisch und zufrieden. Al» Emil gegangen war, begegnete Hilde dem fragenden Blick der Mutter. „Wie ich das fertig gebracht habe? . . . Weißt Du, Mutter, jetzt habe ich das Recept, meinen Emik zu erziehen. Erst habe ich geweint und dann habe ich ihn weinen lassen. . . nicht wörtlich . . . aber er hat weinend der Musik zugehört und mitgcbrummt. DaS Große fesselt ihn zwar nicht, aber das kleine, vielleicht kann ich ihm nach und nach noch Geschmack für da andere beikringen. Eins weiß ich, gut ist Emil, gut, herzensgut. Wer das Lied so andächtig anhört, dreimal anhört, und mitsingt — der muß gut fein, hrrzen-gut feint"
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