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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981203010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898120301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898120301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-03
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Die russische Regierung batte drei Minister zum Feste entsandt, eine Truppenparade fand vor dem Stand bilde statt, zu dessen Füßen zahlreiche Kränze niebergelegt wurden, und auf dem vom Generalgouverneur veranstalteten Frühstück feierte man die Berdiensle des verstorbenen „Dik tators" in schwungvollen Reden. Die russischen Blätter geben ausnahmslos ihrer Befriedigung darüber Ausdruck, daß der Rusfisicator Litthauens in ehernem Bilde auf dem Schauplatze seiner Thätigkeit verewigt ist. Die Polen und Litthauer verhielten sich ruhig. Ueberraschen konnte sie dies Ereigniß nicht, da längst schon der Grund stein gelegt worden war und Jedermann wußte, daß der Act der Enthüllung zu Kundgebungen in russisch-nationalem Sinne benutzt werden würde. Schwerlich aber wird man annehmcn können, daß die äußere Ruhe den wirklichen Verhältnissen entsprochen habe und daß die Polen die Errichtung des Denkmals gleichgiltig oder zufrieden angesehen hätten. Dem widerspricht nicht nur der polnische Charakter, es wird dies auch durch die Ausschreitungen widerlegt, welche sich bekannt lich Warschauer Studenten zu Schulden kommen ließen. Wenn die russische Regierung die damaligen Demonstranten verbältnißmäßig milde bestrafen ließ, so hat sie sehr richtig in Erwägung gezogen, daß es unthunlich sei, die Polen ohne Grund noch mehr zu reizen. Ausfallend bleibt der Entschluß der Regierung. Man hatte, wie bekannt, den Polen anfangs Zugeständnisse gemacht und selbst die Revolutionssteuer aufgehoben — ein Werk Murawjew's, so daß sowohl im Königreich Polen, als in den benachbarten litthauischen Provinzen allgemein ein System wechsel erwartet wurde. Und nun auf einmal die Verherr lichung eines Mannes, der wie kein zweiter gewüthet hatte, dessen Andenken noch heute, nach 36 Jahren, die Erinnerung wachruft an Henker und Galgen, und besten Opfer nach Tausenden gezählt worden sind. Damit müssen natürlich etwaige Sympathien, die in Polen für die Rusten zu keimen begonnen, geschwunden sein. Außerhalb des Zarenreiches hat man keinen Anlaß, über da uerte Zerwürfniß zwischen beiden Nationen irgend wie zu klagen; noch weniger darf den Russen ein Vorwurf gemacht werden, daß sie durch einen Act von Entschlossenheit, der keinerlei Zweideutigkeit in sich schließt, den Polen die Politik zu er kennen gaben, die sie in Zukunft zur Anwendung bringen wollen. So weit würde es sich nur um eine Angelegenheit bandeln, welche lediglich zwischen den beiden betheiligten Völkern abzumachen ist. Wenn die Denkmalserrichtung auch weitere Kreise in Anspruch nimmt, so geschieht eS, weil der frühere Wilnaer Diktator keineswegs die Polen als einzige Erbfeinde seines Volkes betrachtete, sondern einen glühenden Haß gegen den ganzen „verfaulten Westen" im Herzen trug und auf eine günstige Gelegenheit hoffte, einen förmlichen Kreuzzug gegen denselben zu beginnen. Der eifrigste Anhänger Michael Murawjew's war der bekannte Publicist Michael Nikiforo witsch Katkow, der mit Nachdruck an seiner „Moskauer Zeitung" die Grausamkeiten des Diktators rechtfertigte und die Hindernisse, welche demselben aus der Umgebung des Zaren häufig erwuchsen, zu beseitigen suchte. Diese Partei Kalkow's, welche bekanntlich später, unter Alexander III., zu ungewöhnlichem Ansehen gelangte, erblickte in Murawjew ihren natürlichen Führer und wußte durch ihn für ihre ge fährlichen Ideen in wirksamer Weise Propaganda zu machen. Murawjew wollte nicht nur die Polen vernichten, sondern, als zielbewußter Panslawist, bat er die Fahne der aus schließlich russischen und griechisch-orthodoxen Entwickelung gegen westeuropäisches Wesen aufgesteckt und das Zeichen zu einer Feindseligkeit gegeben, die zeitweilig einen gefährlichen Charakter trug. Es wäre übrigens ein Irrthum, anzunehmen, daß Mu rawjew zur Zeit seiner politischen Macht im Allgemeinen i« Rußland Verebrung genoß. Sein Charakter war, auch wenn man seine Grausamkeiten unberücksichtigt läßt, nicht völlig einwandfrei. Alexander II. hegte gegen Murawjew eine tiefgehende Abneigung, und wenn er ihm gleichwohl Voll machten ertheilte, die nur wenig den Rechten eines Allein herrschers nachstanden, und ihm schließlich nach dem Atten tate des Polen Karakosow im Grunde die Oberauf sicht über das Reich ertheilte, so ließ sich das Alles nur durch die Kopflosigkeit der Regierung, aber eben so durch den steigenden Einfluß erklären, den die pan slawistische Partei immer mehr gewann. Beliebt war Murawjew, außer bei seinen geschworenen Gesinnungsgenossen, eigentlich nirgends in Rußland, und sein Tod war den meisten eine wirkliche Erlösung. Diesem Manne hat jetzt die russische Regierung in Wilna ein prächtiges Denkmal errichtet. ES ist wahr, die Reden, in welchen man den Diktator prieS, hielten sich im Ganzen in bescheidenen Grenzen. Man betonte eigentlich nur seine russische Gesinnung und die kraftvolle Energie, mit welcher er die Sache des ganzen Reiches im Nordwestgebiete gefestigt batte. Die Mittel, die er anwandte, wurden natürlich ver schwiegen, aber auch der Aufstand wurde nur flüchtig erwähnt DaS Bestreben bestand ersichtlich, die Polen und Litthauer nickt herauszufordern. Ebenso wurden panslawistische Hinweise sorgfältig vermieden, offenbar um in Europa nicht den Glauben zu erwecken, diese gefährliche Strömung sei inner halb der Regierung wieder aufgelebt. Acußerlich war man völlig correct und nirgends wird die Feier, mit allen ihren Einzelheiten, Anstoß erreg n. Aber die Thalsache ist gleich wohl bestehen geblieben, daß das Andenken eines ManneS, der seine blutige Tbätigkeit innerhalb Litthauens doch nur als Einleitung und Uebung betrachtete, um vorkommenden Falles die „slawische Entwickelung" auf größeren und aus gedehnteren Gebieten fortzusetzen, osficiell von der russischen Regierung geehrt worden ist. Dieser Umstand kann auch im Westen Europas zum Nachdenken anregen. Deutsches Reich. Berlin, 2. December. (Bund der Landwirthe, Polengefahr und Leutenot h.) Der Provinzia!versttz.-nde des Bundes der Landwirthe in, Ostpreußen, Gras zn Dohna-Wundlacken, hat den Beschluß derKreisvorswenoen des Bundes der Landwirthe in Ostpreußen, zur Abhilfe der Arbeiternoth auf dem Lande russisch-polnischen Arbeitern den dauernden Aufenthalt in Preußen zu gestatten, dem Oberpräsiventen Grafen Bismarck mit einem Schreiben mitgrtheilt, das nicht ohne Widerspruch bleiben darf. Graf Dohna erkennt zwar ausdrücklich an: „Durch eine zu starke Einwanderung könnte die Gefahr eines Zurückweichens des deutschen Elementes entstehen." Graf Dohna glaubt aber, dieser Gefahr dadurch zu begegnen, daß man bei der Naturalisirung der polnischen Arbeiter die Bedingung stelle, sie müßten sich mit deutschen Mädchen verbeirathen und sich in deutschen Gegen den niederlassen; ferner könne für die Zahl der polnischen Arbeiter ein Maximum für jeden Kreis festgesetzt werden. Um bei dem letzteren Punkte einen Augenblick zu verweilen: es wird so gut wie unmöglich sein, zu ermitteln, bis zu welcher Zahl die polnischen Arbeiter daS deutsche Element nickt gefährden. Ganz ausgeschlossen aber ist die Durch führung deS ersten Gedankens, den Graf Dohna zur Un schädlichmachung deS polnischen Elements vorbringt. Was versteht er zunächst unter einem „deutschen" Mädchen? Meint er damit eine deutsche Reichsangebörige? Dann würden auch die Polinnen für die polnischen Arbeiter im Sinne deS Grafen Dohna heirathSfähig sein. Meint aber Graf Dohna damit eine Deutsche der Raste nach, so ist es einerseits sehr zweifelhaft, daß die gesetzlichen Be stimmungen über die Freiheit der Eheschließung ab geändert werden können, andererseits aber wäre der Erfolg, selbst wenn es zu einer Abänderung des Gesetzes über die Eheschließungsfreibeit käme, für das Deutschthum keineswegs außer Frage gestellt. Denn selbstverständlich würden die polnischen Arbeiter Katholikinnen heirathen; diese aber bieten der Polonisirung um so weniger Widerstand, je weniger sie an der katholischen Geistlichkeit einen nationalen Rückhalt haben. Heirathen aber die polnischen Arbeiter Protestan tinnen, so würde auch dadurch eine Sicherung zu Gunsten des DeutschthumS nicht gegeben sein; denn eS steht statistisch fest, daß die Provinzen mit gemischtsprachiger Bevölkerung die einzigen in Preußen sind, in denen die Mischehen zum Nachtheil des Protestantismus ausfallen. — Ist es dem Grafen Dohna mithin nicht gelungen, die nationalen Bedenken gegen die dauernde Zulassung polnischer Arbeiter zu beseitigen, so verdient sein Wunsch nach Aenderung des RecrutirungSsystemS um so größere Beachtung. In Bezug hierauf zeigt sich wieder einmal die beschränkte Ein seitigkeit der freisinnigen Presse in ihrer ganzen Größe. Die selbe „Voss. Zeitung", die sich doch wahrlich nickt scheut, auf dem Gebiete des Heerwesens Forderungen zu erheben, stellt es als eine Keckheit der Landwirthschast dar, an das Recru- tirungSsystem zu rühren. Daß die Socialdemokratie, wie der „Vorwärts" am 23. v. M. verrieth, ein Interesse an der „Annäherung des ländlichen Proletariats an das städtische" hat, fällt für die Beurtheilung der Angelegenheit unseres Erachtens erheblich ins Gewicht. Berlin, 2. December. (Die Beschäftigung ver- beiratheter Frauen in den Fabriken.) Seit einigen Jahren ist es üblich, den Fabrik- und Gewerbeinspec- toren besondere Themata zu stellen, die den Gegenstand eingehenderer Erkundigungen und einer speciellen Bericht erstattung in den jeweiligen Jahresberichten jener Beamten zu bilden haben. Auf diesem Wege sollen einzelne social politische Fragen vertieft und das für ihre gesetzliche Regelung erforderliche Material beschafft werden. Für die nächstjährige Berichterstattung ist den Fabrik- und Gcwerbeinspectoren als ein solches Thema die Beschäftigung verheiratheter Frauen in den Fabriken und die zweckmäßigste Art der Beschränkung dieser Arbeit gestellt worben. Es ist das auf Grund einer Resolution geschehen, die der Reichstag am 22. Januar d. I. angenommen hat: „Den Reickskanzler zu ersuchen, eine eingehendere Berichterstattung über die Beschäftigung ver- beiratheter Frauen in Fabriken — Umfang, Gründe und Gefahren der Beschäftigung, Möglichkeit, Zweckmäßigkeit und Wege der Beschränkung rc. — in den nächsten Jahres berichten der Gewerbe-Aufsichtsbeamten zu veranlassen." Schon jetzt weiden die Gewerbe-AufficbtSbeamten der Frage der weiblichem Arbeiter im Allgemeinen eine dankenSwerlhe Aufmerksamkeit zu; die meisten der Jahresberichte dieser Beamten lasten sich regelmäßig eingebend über die Zahl der Arbeiterinnen, die darin zu Tage tretenden Veränderungen und die Gründe dafür, über die Art der Beschäftigung der Arbeiterinnen, den Einfluß auf die körperliche Entwickelung und dergl. auS. Es handelt sich also jetzt nur darum, die gemachten Beobachtungen für die unverheiratbeten und ver- beiratheten Frauen gesondert zurDarstellung zu bringen und sie in Bezug auf die verhciratheten Frauen in der von der Resolution des Reichstags angegebenen Richtung zu erweitern und zu vertiefen. Eine Zäblung, welche die verbündeten Regierungen im Jahre 1890 veranstalteten, ergab für ganz Deutschland 130 079 in Fabriken beschäftigter Frauen. Diese Statistik ist nicht fortgesetzt worden. Augenblicklich wird nur die Zahl der weiblichen Arbeiter überhaupt und die der unter bezw. über 21 Jahre alten Arbeiterinnen festgestellt. Diese Zahlen sind in den letzten Jahren nicht unerheblich gestiegen; die der Arbeiterinnen über 21 Jahre bat sich z. B. von 1894 bis 1896 von 383 094 aus 429 313 gesteigert. Nach Schätzung würde sich die Zahl der verbeiratheten Frauen, die in Fabriken beschäftigt sind, im letztgenannten Jahre auf rund 175 000 belaufen haben. Für die Beurtheilung der Maßnahmen, die insbesondere aus hygieinischen Gründen in Vorschlag gebracht werden, ist es von wesentlicher Bedeutung, ein genaues Bild der Verhältnisse zu erhalten. * Berlin, 2. December. Ueber die Finanzlage deS Reiches wird den „Hamburger Nachrichten" geschrieben: „Wenn der Staasssecrctair des Reichs-Schatzamtes dem neuen Reichstage den Reicks-Haushaltsetat für 1899 unterbreiten wird, wird er rin recht günstiges finanzielles Bild von allen drei Jahren, mit denen er sich in der Einleitungsrede zu den Etatsdebatten zu be schäftigen pflegt, entwickeln können. Ueber das Etatsjahr 1897/98 ist der Finalabichluß der Hauptcasse schon im Juli d. I. durch den „Reichs- Anzeiger" veröffentlicht worden. In Folge desselben haben als Ueber- schuß auS früheren Jahren in den Etat für 1899 nicht weniger als 25,3 Millionen, die als Mehr für 1897/98 in der Reichscasse der- blieben waren, eingestellt loerdrn können. Tie Erträge auS den Zöllen und der Tabaksteuer haben 37,5 Millionen von ihrem lieber schuß gemäß dem letzten Reichs-Schuldentilgungsgesehe zur Schulden tilgung abgeben können, und dennoch war der verbleibende Ertrag zusammen mit dem der Branntwein-Verbrauchsabgabe so groß, daß beide nicht blos den Minderertrag der Reichs-Stempelabgaben aus glichen, sondern noch bewirkten, daß die den Einzelstaaten zu fließenden Ueberweisungen um 29 Millionen den Etatsausatz über- stiegen. Fürwahr ein günstiges finanzielles Ergebnißl Und nicht viel schlechter dürfte dasjenige des laufenden Jahres, des Etatsjahres 1898 ausfallen. Es liegen jetzt die Ergebnisse der ersten 7 Monate vor, auf Grund deren vom Reichs-Schatzfecretair gewöhnlich die Schätzung des gesummten Jahresertrages bei der einleitenden Etatsrede vor genommen zu werden pflegt. Fast' sämmtliche Verbrauchssteuern werden danach »inen Ueberschuß gegen den Etatsansatz ergeben. Derjenige der Zölle dürste sogar den Betrag von 43 Millionen und darüber erreichen. Die Tabaksteuer dürfte nahezu 3 Millionen und die Branntweinverbrauchsabgabe nahezu 8 Millionen mehr ergeben. Erwägt man, daß im laufenden Jahre die Reichs-Stempel- abgaben den Etatsanschlag erreichen oder doch wenigstens nicht allzu viel hinter demselben zurückbleiben werden, so kann man wieder auf einen recht beträchtlichen, für die Ueberweisungen an die Einzelstaaten in Betracht kommenden Ueberschuß rechnen, der aller- dings zum allergrößten Theile nach dem schon erwähnten Gesetze zur Schuldentilgung verwendet werden muß, aber immerhin zur Besserung der finanziellen Lage wesentlich beiträgt und auch den Einzelstaaten willkommen bleibt. Daß die der Reichscasse ver- bleibenden Einnahmen gleichfalls nicht unter dem Etatsansatze vor aussichtlich abschlirßen werden, zeigen u. A. zur Genüge die Beträge, welche die großen Betriebsverwaltungen, wie Post und Eisenbahnen, schon jetzt aufweisen können. Also auch das laufende Etatsjahr wird günstig abschließen. Der Reichs-Schatzsecretair wird aber endlich auch kein Optimist zu sein brauchen, um den Verlauf von 1899 als wahr scheinlich angenehm zu schildern. Das ergiebt sich zur Genüge aus der einen Thatsache, daß der voraussichtliche Ertrag der Zölle für 1898 den Etatsanschlag für 1899, der bereits bekannt ist und 442,4 Millionen beträgt, noch um über 13 Millionen übersteigt. Es brauchte also für 1899 nur die Einnahme in der gleichen Höhe wie 1898 auszukommru, und der Etatsansatz wäre auch dann beträchtlich überschritten. Alles in Allem, mit finanziellen Sorgen wird sich der neue Reichstag, so lange es sich nur um den einmal ausgestellten Etatsentwurf handelt, nicht zn plagen brauchen." D Berlin, 2. December. (Telegramm.) Zur gestrigen Frühstückstafel bei dem Kaiserpaare waren geladen der Bot schafter von Holleben und der Gouverneur von Ostafrika General Liebert. Nachmittags empfing der Kaiser, wie schon gemeldet, den österreichisch-ungarischen Botschafter von Szözyeny-Marich, der im Auftrage des Kaisers von Oester reich die Jubiläums-Medaillen überreichte. Zur Abenbtafel bei dem Kaiserpaar waren geladen der Gouverneur von Berlin Graf von Wedel und der StaatSsecretair von Bülow mit Gemahlinnen, ferner Madame Min- ghetti und Gräfin von Wallwitz. Heute Morgen stellte dem Kaiser der Maler Röckling seine Bilder von der Schlacht bei Leuthen vor. Von 9 Uhr ab hörte der Kaiser den Vor trag deS mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Cbefs de- Ingenieur- und Pioniercorps beauftragten Generallieutenants Frhrn. von der Goltz. Um 11 Uhr begab sich das Kaiser paar nach der Hedwigkirche, um dem zur Feier deS Negierungs jubiläums deS Kaisers von Oesterreich ftatlsindeuden Hoch amt und Ts ckeum beizuwohnen. Außer dem Kaiser und der Kaiserin waren diePrinzen,derReichSkanzlerFürstzuHohenlohe, die Minister, die Generalität, Abordnungen von Truppentbeilen, das gesammte Officiercorps und Mannschaften des 2. Garde- Grenadirr-Regiments „Kaiser Franz", die Mitglieder der österreichischen Botschaft und der Colonie und das Diplo matische Corps anwesend. Vor der Kirche hatte eine Ehren compagnie des 2. Garve-Grenadier-Regiments „Kaiser Franz" mit Fahnen und Musik Aufstellung genommen. Das Kaiser paar wurde vom österreichischen Botschafter und von der Geistlichkeit empfangen. Das Hochamt celebrirte Propst Neuber. Der Cbor und da- Orchester führten die Messe von Mitterer mit den Einlagen eines Jubilate von Aiblinger und eines BenedicluS von Schaller auS. Haydn'S 1'e clouw schloß die Feier. Feuilleton. Cayenne. Vtltzer aus der französischen Strafcalonie. Bon Otto Leonhardt. Nachdruck «erboten. Wie man Wohl eine allgemein bekannte, aber Übel berufene Persönlichkeit mit einer Mischung von Neugier und Abneigung betrachtet, so ist die allgemeine Aufmerksamkeit mit einer Art scheuen Interesses auf Cayenne, Frankreichs Strafkolonie an der Nordküste von Südamerika, gerichtet. Weilt doch dort der un selige Mann, dessen Geschick das Leben eines ganzen Volkes in die heftigste Bewegung hineingezogen hat und der dort in der grauenvollen Einsamkeit der Teufelsinsel das traurige Leben eines Deportirten führt! Wunderlich und grausam hat fürwahr die Geschichte mit diesem Lande gespielt. Denn eben dies Terri torium, auf dem heute ein Fluch haftet, in das kein Einwanderer freiwillig seinen Fuß setzt, das kein Beamter, kein Kaufmann betritt, ohne seine baldige Entfernung als sein Ziel sich vor zunehmen, — eben dies Territorium übte dereinst eine magische Anziehung aus, als ein Zauberland galt es, das unerschöpfliche Reichthümer berge, und es war das Strebensziel unternehmungs lustiger Abenteurer. In den Bergen, die, von dichten Wäldern bedeckt, rm Süden, am Horizonte Ober-Guayanas erscheinen, da wären, so hieß es, unermeßliche Goldlager, da läge an einem See eine Stadt von feenhaftem Reichthume, da herrsche der Dorado-König, der von Kopf zu Fuß ein Gewand von lauteren Goldplatten trage. Diesem Gerüchte zu Liebe machten sich, nachdem Sennor Vincente Aannez Pinzon 1500 zuerst diese Küste entdeckt hatte, Männer, wie Nikolaus Federmann, Ulrich von Hutten und zu wiederholten Malen Sir Walter Raleigh, der Admiral der Königin Elisabeth von England, nach dem heutigen Cayenne auf; ja, im 18. Jahrhundert rüstete sogar ein französischer Gouverneur eine Expedition aus, die die er träumte Goldstadt suchen sollte. Nicht der phantastische See, nicht die Goldstadt und ihr Goldkönig wurden gefunden: daß aber das Gerücht nicht so ganz ohne einen echten Kern war, haben die neueren Forschungen Creveau's und Eoudreau's, die das Uber dem Lande liegende völlige Dunkel einigermaßen erhellt haben, erwiesen. Ja, es giebt Gold in Cayenne, die meisten Flüsse des Landes führen es mit sich und in dem zwischen Frankreich und Brasilien strittigen Gebiete zwischen dem Oyapok und Rio Branco kommt es sogar in der Erde vor; im Anfänge der 90er Jahre betrug die Gesammtproduction von Cayenne 1597 Kilogramm Gold, — das gestohlene und darum uncontrolirbare Gold nicht mit eingerechnet. Zwar ist die französische Compagnie, die den Fluß Apprague auf Gold bearbeitete, m den 60er Jahren aus Mangel an Mitteln eingegangen, doch steht es außer Zweifel, daß bei einem rationell und in großem Maßstab« durchgeführten Betriebe die Gvldproductivn in Französisch-Guayana einer er heblichen Steigerung fähig wäre. Aber während sonst die auri sacra famos in alle Länder, in denen das dielbegehrte gelbe Metall vorkommt, einen Strom wagemuthiger Desperados führt, vermag nach Cayenne selbst das Gold keine Einwanderer und Bcutejäger zu locken. Denn ein Mene-Tekel hält selbst den Unternehmendsten und Gold gierigsten zurück: der Ruf von Cayennes mörderischem Klima. Erzählt doch die Geschichte, daß von 15 560 Colonistrn, die der Minister Choiseuil im Jahre 1763 zur Besiedelung der damals so genannten kVanco eguinoxiala nach Cayenne schaffen ließ, am 1. Januar 1765, nachdem 2000 der Einwanderer inzwischen in die Heimath zurückgekehrt waren, nur noch — 300 am Leben waren! Und die statistischen Berichte, die in dürren Zahlen von der furchtbaren Sterblichkeit in der Colonie erzählen, reden eine nicht minder erschreckende Sprache. Dennoch ist es neuer dings außer Zweifel gestellt, daß Cayennes Klima erheblich besser ist als sein Ruf. Jene unglücklichen Kolonisten vom Jahre 1763 kamen zum großen Theile nicht durch das Klima, sondern durch den Hunger um, da die Regierung ihnen wohl eine Schau spieltruppe mitgegeben, aber für Provisionen in ihrem Be stimmungsorte absolut nicht gesorgt hatte. Die Colonie hat ein tropisches und darum für den Europäer allerdings difficiles Klima, aber kein schlechteres als viele andere Tropengebiete, in denen Weiße bei verständiger Lebensweise wohl existiren können. Die große Zahl der von der Statistik berichteten Sterbefälle aber ist nicht sowohl dem Klima als einem anderen Feinde auf Rechnung zu setzen: dem Schnapsteufel. In St. Laurent zum Beispiel, so berichtet der bekannte, jüngst verstorbene Ethnologe W. Joest, steht die Wermuth- und Absinthflasche den ganzen Tag auf dem Tisch und wird fleißig benutzt. In Cayenne trinken die Neger und Indianer, die Sträflinge und die Soldaten, die indischen Kulis und die Annamiten. Der Indianer wird von ewig betrunkenen Eltern geboren, von einer betrunkenen Mutter genährt und mit Schnaps aufgepäppelt. Was hier der Schnaps thut, das vollbringt bei den Chinesen das Opium, und wenn man auf einem Flußdampfer Weiße, Schwarze und Gelbe Eapitain, Beamte und Passagiere in wüstem Opium- und Schnapsrausche sieht, — dann wundert man sich nicht mehr über die furchtbaren Ziffern der amtlichen Sterbelisten; dann weiß man, weswegen die Ergebnisse der klimatologischen Forschung mit der Sterblichkeit in Widerspruch stehen und wes wegen Cayenne das ist oder wird, was die Deportirten schaudernd von ihm sagen: la Kuitlotiue söctie, die Guillotine, die ohne Blutvergießen tödtet. < Auch die Stadt Cayenne selbst ist recht feucht, aber nicht eben ungesund, zumal die Bewohner es verstehen, die Bauart ihrer Häuser dem Klima anzupaflen. Wer sich der Stadt von der Seeseite nähert, der hat gewiß nicht den Eindruck, die Haupt stadt eines Todtlandes zu erblicken. Sehr malerisch sieht sie aus, wie sie am Fuße des stets mit freundlichem Grün bedeckten Berges Cöperou zwischen Palmen und Mangobäumen liegt, — der Typus einer richtigen Kreolenstadt. Die meist zweistöckigen Häuser haben keine Fenster; zum Schuhe gegen Hitze und Regen dienen die um die Häuser laufenden Galerien, die durch beweg liche Jalousien und Matten geschlossen werden. Während die Altstadt unregelmäßig gebaut ist, zeigt die Neustadt breite, saubere, gut gepflegte und Abends ausreichend erleuchtete Straßen, und die zwischen beiden Stadttheilen gelegene, ganz von Palmen besetzte, viereckige Place d'armes muß geradezu ein schöner Platz genannt werden. Das Leben in Cayenne ist sehr theuer, da alle Lebensbedürfnisse höchst kostspielig sind, nur Brod und französischer Rothwein sind billig. Eine ganze Anzahl öffent licher Anstalten und Gebäude findet sich hier, aber ein Club, ein Theater, ein Hotel oder irgend eine Anstalt zum Vergnügen und zur Unterhaltung findet sich in Cayenne nicht. Hierin kommt der Pferdefuß, kommt der ungastliche und berüchtigte Charakter des Landes zum Vorschein, während man im Uebrigen die Stadt als eine Stätte der Cultur bezeichnen darf. Aber im ganzen weiten Lande ist sie auch die einzige. Von dem gewaltigen Gebiete der gesummten Colonie steht im Ganzen
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