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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.12.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981210029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898121002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898121002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-10
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Größere Schriften laut unserem Preis, vcrzrichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur :nit de. Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderunx -ck 60.—, nut Postbeförderung >il 70.—. ^nnahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pol, in Leipzig 626. Sonnabend den 10. December 1898. S2. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. December. Die Presse de» EentrumS hat bekanntlich bereits zu» gestanden, daß eS durch die Zulassung des volksparteilichen Abg. Schmidt zum Präsidium das Vorhandensein einer „Abwehrmehrheit" neben einer „positiven Mehr heit" im Reichstage constatiren und ein Drohzeichen für die Regierung aufpflanzen wollte. Jetzt erfährt man durch die ultramontane „Köln. Volksztg", daß das Centrum ganz gern den Charakter der Abwehrmehrheit noch schärfer gekennzeichnet und dem Drohzeichen ein noch drohenderes Aussehen gegeben hätte, wenn nur der social demokratische Abg. Singer gewollt hätte. Nur an ihm bat eS nämlich nach dieser Quelle gelegen, daß nicht er, sondern Herr Schmidt zweiter Vicepräsident geworden ist: „Auf den Anspruch der Socialdcmokraten (die an Zahl stärker, als die linksliberalen Gruppen zusammen sind) konnte das Centrum nicht Rücksicht nehmen, weil der Abg. Singer erklärte, zwar allen geschäftsordnungsgemäßen Pflichten genügen, nicht aber mit dem Präsidium dem Kaiser sich vorstellen zu wollen. Da die Vorstellung des gesammten Präsidiums beim Kaiser seit jeher feststehende Uebung des Reichstages und daher durch Gewöhn- heitsrecht eine Pflicht des Präsidiums geworden ist, so versagt sich die Wahl eines Abgeordneten, der dieser Pflicht nicht genügen zu wollen erklärt, für das Centrum von selbst." Also wenn Herr Singer sich bereit erklärt hätte, „sich dem Kaiser vorzustellen", so würde das Centrum Seiner Majestät viesen Genuß bereitet haben. Es ist also auch schwerlich Rücksicht auf die Conservativen gewesen, waS das Centrum abgehalten hat, dem Abg. Schippet einen Schriftführer-Posten eiuzuräumen. Freisinnige Blätter wollen denn auch wissen, eS habe ein FractionSbeschluß des CentrumS vorgelegen, Herrn Schippet in das Bureau des HauseS zu bringen. Der „Vorwärts" beträchtete be kanntlich seine Wahl als sicher und wirft nunmehr dem Centrum „Treulosigkeit" vor. WaS der „Freisinn" zu der „Enthüllung" der „Köln. VolkSztg." sagen wird, muß man abwarten; geschmeichelt wird er sich nicht gerade dadurch fühlen, daß Herr Schmidt nur wegen seiner Bereitwilligkeit, sich dem Kaiser vorstellen zu lassen, Herrn Singer vorgezogen worden ist. Im Uebrigen werden die engeren FractionS- gcnossen und Gesinnungsverwandten deS jetzigen zweiten Vicepräsidenten sich bemühen, dem Centrum zu zeigen, daß sie sich in der „Abwehrmehrheit" von der Socialdemokratie nicht übertreffen lassen. ES kann kaum mehr bezweifelt werden, daß bei der ersten EtatSberathung im Reichstage, die ja stets zu einer Besprechung der allgemeinen politischen Lage sich gestaltet, einer der nationalen Redner auf die Vorgänge in Oesterreich hiuweisk, die unser Verhältniß zu diesem Staate zu trüben nicht nur geeignet, sondern auch bestimmt sind. Und anscheinend ist eS dem Reichskanzler auch nicht un angenehm, wenn er sich, sei eS selbst, sei es durch den Mund deS Staatssecretairs des Auswärtigen, über diese Vorgänge zu äußern Gelegenheit erhält. Die Interpellation, die der polnische Abgeordnete vr. RutowSki im österreichischen ReichSrath cingebracht hat, ob es wahr sei, daß der deutsche Kaiser während seiner Anwesenheit in Beirut dem deutschen „Honorarconsul" gegenüber, der neben deutschen auch österreichische Firmen vertrete, dies „aufs Strengste" als Pflichtvergessenheit bezeichnet und ihn genöthigt habe, diese Vertretung aufzugeben, erhält nämlich eine eigenartige Beleuchtung durch die unS gestern Abend telegraphisch auS Berlin gemeldete und in unserem beutizen Morgenblatte mitgetheilte Auslassung der „Nordd. Allgem. Ztg.", die, wie wir heute ersehen, durch Sperrdruck als amtlichen Ursprungs gekennzeichnet wird. Ausdrücklich wird in dieser Auslassung erklärt, daß an der ganzen Ge schichte thatsächlich kein wahres Wort sei; überdies wird nochmals festgestellt, daß eS in Beirut gar keinen deutschen „Honorar"- oder „Wahlconsul" giebt, der als Privatmann in seiner Privatthäligkeit unbehindert wäre, sondern einen Berufsconsul, also einen Reichsbeamten. Dies ist auS jedem besseren Staatshandbuche zu ersehen. Auch der öster reichische Reichsrath wird wobl eine Bibliothek besitzen, auS der solche Auskünfte über daS deutsche Reich zu erlangen sind. Um so bezeichnender ist es, daß eine parlamentarische Action, die sich gegen die Spitze der „verbündeten" Macht richtet, auf solche nächstliegende und zuverlässige Quellen verzichtet und sich lediglich aus ungenannte „Firmen" beruft. Es wäre ein hoher Grad politischer Kurzsichtigkeit, dieses Vorkommniß anders als ein Symptom für die augen blicklichen Verhältnisse in Oesterreich anzusehen. Der drohende Ausfall des Ministerpräsidenden Grafen Thun, der in Ton und Fassung das Mindestmaß der Rücksichten, die ein Bündniß in jedem Fall auferlegt, außer Acht ließ, hat bisher keinerlei Einschränkung erfahren, die zum Mindesten die Bürg schaft böte, daß solche Vorkommnisse sich nicht wiederbolen, denen auf die Dauer kein Bündniß gewachsen ist. Auch ist bisher nicht in Erscheinung getreten, daß die verantwortliche Leitung der österreichisch-ungarischen Politik sich bemüht hätte, in dieser Richtung ihrerseits für Klarheit zu sorgen. Unter solchen Umständen kann es nicht befremden, wenn nun parla mentarische Draufgänger, wie der Pole vr. Rutowski, ihre Zeit für gekommen erachten. Und je peinlicher das deutsche Reich auch die geringste Beeinflussung der inner-österreichischen Verhältnisse vermieden hat, je gewissenhafter von seiner Seite alle Verpflichtungen deS Bündnisses beobachtet worden sind, um so mebr wirb das deutsche Volk diese Vorkommnisse im Auge behalten müssen, um sich die Erkenntniß nicht verwischen zu lassen, wer zuerst den Hebel an eines der erprobten Fundamente der europäischen Friedenspolitik angesctzt hat. Auch der deutsche Reickskanzler hat ein Interesse daran, dies vor aller Welt zu constatiren. In Folge der Wiederaufnahme der Obstruction der Linken bereitet sich in der parlamentarischen Lage Oesterreichs eine neue Wendung vor. Aus der Rechten werden die verschiedenartigsten Vorschläge erörtert, um die Linke für die Erneuerung der Obstruction zu bestrafen. Man plant, die Erledigung aller Ausgleichsvorlagen statt blos durch ein Provisorium auf Grund des tz 14, nm damit die Ausgleichsfrage für die nächsten Jahre auS der Welt zu schaffen. Eine andere Anregung wünscht die lex Tisza nach Oesterreich zu übertragen. Die Mehrheit deS österreichischen Parlaments soll durch Unterschriften für die Annahme des Ausgleichs ebenso einlreten wie nach dem Vorschlag Tisza'S die Mehrheit deS ungarischen Abgeordnetenhauses für die Regie rung Banffy's eingetreten ist. Sache der österreichischen Regierung wäre es dann, den Ausgleich als von der Mehrheit genehmigt in Kraft zu setzen. Aber auch solche Stimmen werden laut, die verlangen, die Regierung solle den ReichSrath möglichst lange tagen lassen, um, falls sie die Erledigung des Aus- gleichSprovisoriumS nicht erzwingen könne, damit den Be weis zu erbringen, daß nur die Linke jede parlamentarische Ordnung verhindere. Nach anderer Angabe werde der Reichsrath, falls der ganze Ausgleich mittel« deS tz 14 octroirt würde, im nächsten Jahre, vielleicht erst im Herbst wieder einberufcn werden. In Folge der jetzigen Haltung der Opposition gilt die Absicht, un böhmischen Landtage die deutsch - tschechische Verständigung über die Sprachenfrage herbeizufübren, als aufgegeben. Nicht minder verfahren ist die Lage in Ungarn. Baron Banffy ist heute noch Ministerpräsident, ja er ergänzt sogar noch sein Cabinet, in welches der slawonische Obergespan Erwin von Cseh als Minister für Kroatien cintreten wird. In allen politischen Kreisen, selbst in jenen der liberalen Partei, gilt es aber als unbezweifelte Thatsache, daß die gegenwärtige Regierung nur noch um die Ehre der Fahne zu retten vielleicht ein oder zwei Wochen fortbestehen werde, daß sie aber keinesfalls mehr den Ausgleich mit Oesterreich durch führen werde. Banffy hat für sein verfassungswidrige« Regiment allerdings noch eine Zweidrittelmehrheit, auch wenn noch mehr Abgeordnete aus der liberalen Partei auS- treten, aber die Ausgetretenen repräsentiren gerade die Intelligenz des Abgeordnetenhauses und sind Männer von Namen, während die große im Gehege der Partei ver bleibende Heerde nur zu zählen nicht zu wägen ist und die Mandate fast durchweg der Wahldespotie der Regierung verdankt. Die Wakefielder Rede Chamberlains hat begreiflicher Weise überall Aussehen erregt, oa sie die englisch-deutsche Entente als ein t'ait aecompli zu erörtern scheint, mit dem in Zukunft die internationale Politik zu rechnen hat. Hören wir zunächst eine englische Preßstimme: * Loudon, 10. December. (Telegramm.) Der „Standard" bespricht die jüngsten Ausführungen Chamberlain's über das Ver- hältniß zwischen Deutschland und England und sagt: Nur wenn Deutschland und England gemeinsame Interessen haben, besteht für sie eine Verpflichtung, gemeinsam vorzugrhen. Der Beweggrund für Beide wird lediglich die Rücksicht nahme auf die eigenen Interessen sein. Gelegenheiten zu Reibungen zwischen beiden Staaten werden voraussichtlich nicht weiter auftauchen, da glücklicherweise nahezu alle Streit- puncte der Vergangenheit beigelegt sind. Keine der beiden Mächte hat irgend ein Verlangen nach neuen Erwerbungen gerade in der gegenwärtigen Zeit. Beide werden vielmehr eine Zeit der Ruhe vorziehen, um die ihrer Herrschaft zugefallenen Ge- biete zu organisire». Hiernach läge ei» förmliches Uebereinkommen vor, daS England wie Deutschland für gewisse Fälle ver pflichtet. In England ist man also offenbar über den Inhalt dieser „Entente" nickt so zugeknöpft al« bei un«, wo jede officielle oder auch nur officiöseMittheilung zur Zeit al« in- vppurtun bezeichnet wird. „Sich nähern" und „sich helfen", wie Chamberlain sagte, sollen beide Nationen zurVertheidigung ge meinsamer Interessen. Da möchten wir nur fragen, wo in der Welt die „gemeinsamen" Interessen England» und Deutschlands zugleich gefährdet sein könnten? In Europa? Noch immer besteht der Dreibund und noch immer gilt das Wort Bismarck s, daß wir mit Rußland keine Reibungsfläche haben. Hier haben wir, so lange die gegenwärtige Macht- constellation andauert, nichts zu befürchten, wohl aber hat England auf dem Continent zwei erbitterte Feinde: Frank reich und Rußland. Und sonst in den Colonien? Niemand noch, außer England, hat uns unseren ostafrikanischen Besitz mißgönnt, Niemand ihn ernstlich oder so streitig ge ¬ macht, daß wir ihn nicht selbst vertheidigen könnten; und auch in Ostasien, wo wir uuö doch nur ein be scheidenes Plätzchen an der Sonne gesichert haben, sabcu wir keinerlei Gefahr. Wohl aber war eS die englische Presse, die über die deutsche Erwerbung KiantschauS außer rem Häuschen gerieth. Also auch in Afrika unv im fernen Osicu bedürfen wir der Hilfe Englands wahrhaftig nicht, wäbrcnv England auch dort seinen beiden großen Concurrcnten Frank reich und Rußland begegnet und sich auf den EntschcidungS kampf mit diesen rüsten muß. Allerdings sprichtCbamberlain die Hoffnung aus, zwischen Rußland und England werde bald eilet Friede herrschen, allein wer glaubt daran! Collte eS dahin kommen, so müßte Rußland seine ganze ostasiatische Erobernngspolink über Bord werfen und daran denkt in Petersburg kein Mensck. Bleibt demnach der russisch-englische und der französisch-eng lische Antegonismus bestehen, hat England Feinde überall, mit denen es über kurz oder lang abrechnen muß, was kann ihm eine Entente mit Deutschland nützen, wenn dieses in der glücklichen Lage ist, von aller Welt umworben zu werden, also seine eigenen Interessen nicht gefährdet sieht und in Folge dessen auch keine „Verpflichtung bat, mit England ge meinsam vorzugeben?" Chamberlain wirft „gewissen deutschen Freunden" vor, sie wollten eine Alliance, bei der der Vortheil blcS auf deutscher Seite sei. Niemand in Deutschland hat da« begehrt. Die „gewissen deutscken Freunde", zu denen auch wir gehören, wollen überhaupt keinen Handel mit England. Aber aus Chamberlain's Aeußerung ersieht man, wie sehr er auf eine einseitige Ausbeutung der Entente, oder der „Alliance", wie er sagt, durch England erpicht ist. Und bei einer solchen Stimmung sollte Eng land sich mit einem so platonischen, kaum jemals praktijck werdenden Abkommen mit Deutschland begnügen? DaS glauben wir nicht. Man hofft in England vielmehr, daß au« der „Freundschaft" der angelsächsischen Raffe im Lauf der Ereignisse sich noch mehr entwickeln werde, und daß die englische» Staatsmänner die« Ziel schon jetzt im Auge haben, kann ein Blinder daraus ersehen, daß st- schon jetzt fortwährend in ihrem eoram muucko gehaltenen Reden die deutsch-englisch-amerikanische Entente ausspielen, daß sie die Annäherung Deutschlands bei jeder Gelegenheit an die große Glocke hängen und sie ungenirt gegen Frankreich und Rußland ausbeuten. So zieht England zu DeuschlanLS Schaden schon jetzt ungeheuren Nutzen aus unserem alles Anlasses und alles Grunde« entbehrenden Entgegenkommen, während Deutschland schwerlich jemals in die Lage kommen wird, Rückendeckung bei England zu suchen. Dies- Möglich keit wäre nur dann gegeben, wenn wir Englands wegen in ernste Differenzen mit Rußland und Frankreich kämen. Dann aber würde John Bull seinen Pakt zeigen und un« zu ver stehen geben, daß eS in diesem Falle „gemeinsame Interessen" nicht zu wahren giebt. Nach alle dem erblicken wir in dem, WaS Chamberlain über die „Alliance" gesagt bat, nichts als eitel Spiegelfechterei und Irreführung der öffentlichen Meinung in Deutschland. Leider hat die Lockrede de« eng lischen Ministers bei un« ihre Schuldigkeit bereit« gethan. Ein Theil der deutschen Presse erklärt sich mit dieser Entente einverstanden,wenn auch mildem problematischen Vorbehalt, daß Rußland dadurch nicht vor den Kopf gestoßen werde, ein anderer Theil aber möchte „offen und ehrlich in die dargebotene Freundes hand einschlagen" und Chamberlain um den Hals fallen. Wir warnen nochmals vor der englischen Freundeshand, die angeblich nur den Frieden schützen will und „neue Er werbungen" verschmäht. DaS behauptet der „Standard". Hat er denn nichts von Faschoda und Bar cl Gazal gehört ? FeitiHetsn. Die Settelmaid. 26j Roman von Fitzgerald Molloy. Nachdruck verboten. Dicomtefse Harrick empfand diese Thatsache nur zu sehr; sie versuchte ihr Herz allen Erinnerungen zu verschließen, ein Sieges darauf zu drücken, das mit ihrem Willen niemals er brochen werden sollte: Nur immerfort in dem Taumel leben, der ihr Vergessenheit brachte! Und doch fühlte sie sich nicht sicher, daß das Herzenskämmerchen, in welchem sie die Er innerung so ängstlich bewahrt hielt, nicht eines Tages aufspringen werde, um sie dann mit den Gedanken und den Gefühlen der guten alten Zeit zu überwältigen. Nein, nein, die Ver gangenheit war todt und mußte es für sie bleiben. Sie wieder holte sich immer und immer wieder, daß sie glücklich sei, bis sie es schließlich beinahe selbst glaubte. In ähnlichen Fällen geht cs den meisten Menschen so, daß sie sich Dinge einreden, die sie nicht empfinden. Eines Tages kam ihr Gatte freudestrahlend beim und erzählte, daß sein intimster Freund, Guy Rutherford, in Rom eingetroffen sei und demnächst seinen Besuch abstatten werde. Dies geschah auch, und von da ab war er täglicher Gast im Hause. Er kannte die Siebenhügelstadt wie seine eigene Tasche, jedes Gemälde in den Galerien, jede Statue und jeden beiligen Schrein in den Kirchen. Er sprach so fließend italienisch wie englisch und wußte eine Anzahl Legenden und Sagen, die sich auf die historischen Paläste und Ruinen bezogen. Man konnte sich kaum einen geistvolleren und besseren Cicerone denken; es war ein Vergnügen, sich von ihm in der ewigen Stadt umher führen und belehren zu lassen. Seine Ausdrucksweise entbehrte niemals der Originalität und entsprang stets seiner momentanen Stimmung. Heute sprühte sein Geist; jedes Wort, das er sprach, war ein Witz, morgen philosophirte er, und tiefer Ernst lag auf seinen Zügen; des Morgens scherzte er Uber alle möglichen und unmöglichen Dinge, am Abend war er. schweigsam und geistesabwesend. Gerade dieser Wechsel in seiner Stimmung machte ihn den Frauen gefährlich. Auch Capri vermochte nicht, sich dem Zauber, der von ihm ausging, zu entziehen. Sie war sich über die Gefühle, die sie in seiner Nähe beseelten, nicht ganz klar; Liebe konnte es nicht sein, ganz gewiß nicht — sie sah in ihm nur die Ergänzung ihrer eigenen Natur. Mit der Liebe hatte sie seit jenem Abschied in Marcus Phillips' Atelier abgeschlossen. Dieses Gefühl durfte in ihrem Herzen nicht mehr aufkommen, denn sie hatte es für ewige Zeiten im Keime erstickt. Guy und sie waren nur Freunde, gute Kameraden — weiter nichts. Mit feinem Jnstinct erricth Rutherford stets ihre Gedanken, ehe sie sie ausgesprochen, paßte sich ihren jeweiligen Stimmungen an und verstand in ihrer Seele zu lesen, wie bis jetzt Niemand in der Welt — nicht einmal Marc! Eine geheime Wahl verwandtschaft begann sich zwischen ihnen zu entspinnen, die keiner von ihnen zu bemerken schien und die doch von Tag zu Tag ein festeres Band um sie schlang. Natürlich nur das der Freundschaft, beruhigte sich Capri, die die Tiefe ihrer Gefühle nicht kannte und nicht kennen wollte, welche ihr Herz mit dem seinigen, seine Seele mit der ihrigen verband. Nur weniger Tage hatte es gebraucht, um in diesen beiden so verwandten Naturen ein Gefühl cmfkeimen zu lassen, das sie nie mehr ver lassen und ihnen den Seelenfrieden rauben sollte. Sie hatten nie darüber gesprochen, und doch empfanden es Beide. Wenn Herzen sich gefunden haben, bedarf es keiner Worte, die Intuition vertritt ihre Stelle und spricht deutlicher und mächtiger als jene. Capri erschien es, als ob sie jetzt erst ihr eigentliches Leben beginne, dessen Werth sie bislang gar nicht gekannt. So viele Jahre hatte sie vegetirt, ohne die Tiefe ihres Herzens und ihres wahren Charakters zu kennen, sie erwachte aus tiefem Schlaf zu . . . zu was? Ein Ritter hatte das Dornröschen wachgeküßt, und jetzt wurde es ihr erst klar, wie selbstsüchtig und schlecht sie gewesen. Judas hatte für dreißig Silberlinge den Herrn verschachert, sie aber für einen hohlen Titel und Glanz sich selbst, ihr besseres Ich, trotzdem man sie gewarnt. O, was mußte Guy von ihr denken?! Bei dem Gedanken, wie niedrig und verächtlich sie in seinen Augen erscheinen müsse, sank ihr Haupt tief auf die Brust herab und sie erröthete vor Scham. Sie hätte sich am liebsten das Herz aus dem Leibe reißen mögen, um es zu zertreten, denn er, an dessen Meinung ihr am meisten gelegen, mußte wissen, daß sie sich verkauft. Sie konnte sich nicht einmal damit trösten, daß sie den Abgrund nicht gesehen, denn Marc hatte sie ja vor sich selbst zu retten versucht! O, warum hatte ihr das Schicksal Rutherford nicht früher in den Weg geschickt? Für ihn würde sie freudig jedes Opfer gebracht und niemals eingewilligt haben, Lady Harrick zu werden. Sie durfte nicht an die Vergangenheit denken, wenn sie nicht ihren Verstand verlieren wollte! Sie bot all ihre moralische Kraft auf, um ihrem Schwur treu zu bleiben und der Versuchung zu widerstehen. Ja, sie redete sich immer mehr ein, nur freundschaftliche Gefühle für Guy zu empfinden, der ihres Lebens Inhalt und Glanz war und schloß ihre Augen vor der Gefahr, der sie sich aussetzte. Nach wie vor jagte ein Vergnügen das andere und die Tage verflossen ihr wie ein Traum. Sie war nur neugierig, wann sie aus demselben erwachen würde. Ihrem Gatten bezeigte sie jetzt aufrichtige Theilnahme und Dankbarkeit, die er für Liebe hielt und mit unbegrenzter Hingebung und Verehrung erwiderte. Sie versuchte allen seinen Wünschen — den ausgesprochenen und unausgesprochenen — entgegen zu kommen, und Jedermann hielt Lord und Lady Harrick für ein glückliches und zärtliches Pärchen, das man beneiden mußte. Dem Liebling der römischen Gesellschaft, dem Abgott ihres Gatten, fiel jedoch plötzlich die Binde von den Augen. Eines Tages sah Capri die Gefahr, in welche sie die Freund schaft mit Guy Rutherford versetzte, so klar und deutlich, wie wenn ein Blitzstrahl sie erhellt hätte. Lord Harrick hatte für den Abend eine Einladung beim englischen Botschafter angenommen, während Capri, die dies nicht wußte, der Prinzessin von Alantino versprochen, einem Maskenball in ihrem Hause beizuwohnen. Um beide Versprechen einlösen zu können, begab sich Harrick zu seinem Freunde, während die Vicomtesse in Begleitung Guy Rutherford's den Maskenball in dem alten, herrlichen Palazzo Alantino be suchte. Sie hatte sich vorzüglich unterhalten und sehr viel ge tanzt. Das seltsam bunte Bild und das phantastische Treiben entsprach ihrem Geschmack. Es war schon sehr spät, oder viel mehr sehr früh, als Guy ihr in den Wagen half. Er hatte sich den ganzen Abend zurückhaltend benommen und nur ein einziges Mal mit ihr getanzt, aber nicht etwa, weil ein Mission zwischen ihnen herrschte, sondern nur aus Rücksicht, um der bösen Fama keine Gelegenheit zu Combinationen zu geben. Sie lehnte sich müde und etwas bleich in die Wagenecke zurück, ihre Maske lag auf den Knien. Plötzlich fühlte sie seine heißen, liebestrunkenen Blicke auf sich ruhen, ihr Herz schlug einen Augenblick so heftig, als ob es sich aus seinem engen Kerker be freien wollte, um dann stillzustehen. Ihr Akhem stockte, das Blut raste durch ihre Adern. Ehe sie sich zu fassen vermochte, hatte er seinen Arm um sie geschlungen und einen langen, heißen Kuß auf ihre Lippen gedrückt. Eine unendliche Wonne erfüllte sie und ließ ihren Körper erbeben. „Capri", rief er, seiner nicht mehr mächtig, „ich lieb« Dich!" Das brauchte er ihr nicht zu versichern, ihr Herz hatte es ihr längst verrathen. Ihr Herz? Gehörte es denn ihr? Hatte sic es nicht einem Andern geschenkt?! Sie zog sich in die entfernteste Wagenecke zurück, traute sich aber nicht zu sprechen, aus Furcht, ihre Gefühle zu verrathen. Wie durfte sie dem Manne an ihrer Seite grollen, verdankte sie doch ihm allein die glücklichsten Stunden ihres Lebens? Wie ihn einen Verräther und Ehrlosen nennen, hatte sie sich doch ihrem Gatten, den sie nie geliebt, ver kauft? Oh, die eine Secunde an seinem wildpochcnden Herzen hatte ihr verrathen, wie es um Beide stand. Eine Leidenschaft hatte sie erfaßt, die die Welt für strafbar erklären würde. Sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen, Thräne um Thräne näßte ihre Wangen, es schwirrte ihr in den Ohren und sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Er sprach kein Wort, denn er erricth, was in ihrer Seele vorging. Als sie sich jedoch nicht zu be ruhigen vermochte, erfaßte er sanft ihre Hand und flüsterte: „Lady Harrick, können Sie mir vergeben?" „Unter einer Bedingung", stammelte sie. „Und diese wäre?" „Sie verlassen morgen Rom." „Morgen?" rief er verzweifelt. Der Ton dieses Ausrufes hallte noch lange in ihren Ohren, und sic mußte alle Kraft auf bieten, um bei ihrer Bedingung zu beharren. „Verlangen Sie jedes Opfer von mir, nur dieses nicht! Wenn ich Sie nicht mehr sehen darf, ist all mein Glück dahin. Capri, Capri, was haben Sie aus mir gemacht!" Roch nie war ihr seine Stimme so berauschend süß er schienen, aber sie mußte stark bleiben. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust, die Worte erstorben auf ihren Lippen. „Verbannen Sie mich nicht aus ihrer Nähe. — Gestatten Sie, daß ich in Rom bleibe!" „Rein, nein, nein!" schrie sie verzweifelt auf und sah ihn flehend an. „Ich werde morgen abreisen." Beide schwiegen. Einmal noch mußte sie ihm ins Auge sehen, ehe sic für immer schieden. Die Wagenlampen beleuchteten sein bleiches Gesicht, ein seltsames Feuer loderte in seinen Augen, daS ihr Furcht einflößte. Sie näherten sich ihrem Palast. „Leben Sie wohl und suchen Sie zu vergessen", sagte Capri mit bebenden Lippen und reichte ihm ihre kleine, schmale Hand, die er mit heißen Küssen bedeckte und an sein Herz preßte. Der Wagen hielt; sie erhob sich rasch, und ehe er wußte, wie ihm geschah, Hauchteste einen Kutz auf seine Stirn und sprang hinaus. Sie winkte ihm zu bleiben, und verschwand im Schatten des grotzen Porticus, der zu ihrem Heim führte. Zweiundzwanzigstes C a p i t e l. Am I. Mai traf Lord Harrick mit seiner jungen Gattin in London ein, um die „Saison" daselbst mitzumachen.
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