Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.12.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189812119
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18981211
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18981211
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-11
- Monat1898-12
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.12.1898
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VezugS'PreiS der Hanptexpeditton oder den im Gtadt^ dltzirk und den Bororteu errichteten AuS- «erstelle« abgeholt: vierteljährlich^«4HH bei zweimaliger täglicher Zustellung tu- Haa» b.bO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierlehährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung ins Lu-land: monatlich 7L0. Die Morgen-AnSgab« erscheint um '/,? Uhr. hi» Abeud-Au-gab« Wochentag» um b Uhr. Nedactto« vud Erpeditlour Astzannesgass« 8. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbroch« geöffuet von früh 8 bi- Abend« 7 Uhr. Filialen: Hits klemm'» Tortim. (Alfred Hahn), UuiversitätSstraße 3 (Paulinum), . ^L-uiS Lösche, Katharinenstr. I», pari. und König-Platz 7. MpMerIaMM Anzeiger. Anttsbkatt des Königliche« Land- «nd Änttsgerichtes Leipzig, -es Mathes n«d Nalizei-Äintes der Stadt Leipzig. Slnzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4 ge spalten) üO^j, vor den Familiennachrichten (ügespalten) 40»L. Größere Schriften laut unserem Preis-, verzrichniß. Tabellarischer und Ziffern,«- nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbeförderuug 80.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: BormittagS 10 Uhr. Marge «»Ausgabe. Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. «27. Sonntag den 11. December 1898. S2. Jahrgang. Fürst Lismarck's Gedanken und Erinnerungen. x. In die aufregenden parlamentarischen Kämpfe über die Frage der HeereSreorgamsation fiel die Kunde von dem Abschluß einer preußisch-russischen Convention zu gemeinsamer Politik gegenüber dem polnischen Aufruhr (15. Capitel: DieAlvens - leben'sche Convention). Ein Sturm der Entrüstung brach los in den Reihen der Liberalen. Für die Polen zu schwärmen, war von jeher das Vorrecht des deutschen Philisters gewesen. Man vergaß nur zu leicht oder wußte es überhaupt nicht, mit welchem Drucke die polnische Herrschaft auf den durch das deutsche Schwert eroberten, durch deutsche Cultur zu Civil- sation und Wohlstand gebrachten Gebieten des Ostens gelastet hatte, und weinte in echt deutscher Sentimentalität die Thräne des Mitleids zu Gunsten des polnischen Volkes, das durch die eigene Zuchtlosigkeit und durch den Mangel aller staatserhaltenden Tugenden zu Grunde gegangen war. Der Aufstand der unter russischer Herrschaft stehenden Polen, der am 1. Januar 1863 zum Ausbruch kam, fand in Preußen bei den Liberalen lebhafte Sympathien, weil jede Einbuße Rußlands als ein weiterer Schritt zum Siege des Liberalismus in Europa betrachtet wurde. Die Versicherung der Polen, daß dem Aufstande keinerlei wertere Tendenz zu Grunde liege als die, sich gegen die russische Knutenhirrschaft zu wehren, wurde bereitwillig geglaubt; und doch lag es für den Kenner der Geschichte auf der Hand, daß der Sieg der russischen Polen den Aufruhr im ganzen Umkreis des ehemaligen polnischen Staates eniflammen werde. Dem ver antwortlichen Leiter der preußischen Politik erwuchs aus dieser Erkenntniß die Pflicht, zur Sicherung des eigenen Staates dem gefährdeten Nachbar hilfreiche Hand zur Abwehr des gemein samen Feindes zu leisten, mindestens den guten Willen zu even tueller Hilfeleistung zu beweisen. In dieser Absicht betrieb Bis marck den Abschluß der Convention vom 8. Februar 1863, die von den Liberalen in den härtesten Ausdrücken als eine Schmach, als eine Versündigung am Geiste der Menschlichkeit, als ein Act preußischer Vasallenschaft gegenüber Rußland verurtheilt und bekämpft wurde, obwohl Niemand den Text der Convention kannte. Auch bis heute noch ist der Wortlaut der Convention nicht bekannt gegeben worden, wenn auch der Inhalt kein Geheimniß mehr ist. Und dieser Inhalt steht streng genommen im um gekehrten Verhältniß zu dem Aufwande von sittlichem Pathos, der uns in den Reden von Sybel, Twesten, Parrisius s tutti guLuti begegnet. Auf Ersuchen des russischen und des preu ßischen Oberbefehlshabers oder der beiderseitigen Grenzbehörden sollten die beiderseitigen Truppensührer bevollmächtigt werden, sich gegenseitig Hilfe zu leisten und nöthigenfalls auch die Grenze zu überschreiten zur Verfolgung der Rebellen, die aus dem einen Lande in das andere überträten. Besondere Officiere beider Theile sollten den Hauptquartieren der Höchstcommandirenden und der Corpsführer beigegeben und in Kenntniß aller Be wegungen erhalten werden. Auf Gortschakow's Betrieb wurde dem Entwürfe am Schluffe noch die Clausel hinzugefügt, daß diese Vereinbarung so lange in Kraft bleiben sollte, als die Lag« der Dinge es erforderte und di« beiden Höfe es angemessen er achteten. Nehmen diese Worte an sich der Convention schon den Charakter eines Vertrages, so verlor sic solchen vollends durch die Thatsach«, daß sie von den Monarchen nicht unterzeichnet und dadurch niemals aus dem Stadium des Entwurfes heraus gekommen ist. Sie blieb immer nur auf dem Papiere — und be deutete doch einen großen Sieg der Bismarckischen Diplomatie. Sehr willkommen sind die Aufschlüsse, welche Fürst Bismarck in den Gedanken und Erinnerungen über die leitenden Er wägungen giebt. Am russischen Hofe stritten damals Polonismus und Ab solutismus mit einander. In den höheren Kreisen der russischen Gesellschaft war im Anfänge der sechziger Jahre das Verlangen nach einer Verfassung lebendig; es wurde gern befürwortet durch den Hinweis auf die Polen, denen man in Anbetracht ihrer hohen geistigen Bildung nicht wohl zumuthcn könnte, sich dem Drucke des russischen Absolutismus zu fügen und an der Regierung des Landes ohne denjenigen Antheil zu bleiben, den die in der Bildung gleichstchenden Völker Europas außerhalb Rußlands besäßen. Gortschakow, der in einem Parlamente ein geeignetes Feld zur Entfaltung seiner Redegabe und zur Pflege seines Popularitäts bedürfnisses gefunden hätte, war diesen Bestrebungen nicht feind und redete im Cabinet des Kaisers einer panslawistischen anti deutschen Verbrüderung zwischen Russen un< Holen das Wort. Kam diese Richtung zum Siege, so lag darin eine Gefahr für Preußen, da eine polenfreundliche Politik Rußlands selbst verständlich zu einer Annäherung des Zarenreichs an Frankreich geführt hätte, das die national-polnischen Bestrebungen von jeher gefördert hatte. Das Interesse der preußischen Politik, für deren deutsche Bestrebungen die Haltung Rußlands eine Frage von hoher Bedeutung war, forderte die Bekämpfung der polnischen Sympathien am Hofe und im Cabinet des Zaren, und diesem Zwecke diente die Alvensleben'sche Convention. Sie war dem Zaren «in Freundschaftsbeweis, dessen Werth er um so höher an schlug, als die feindliche Haltung Frankreichs, Englands und Oesterreichs und das Eintreten dieser Staaten zu Gunsten der polnischen Rebellen ihn fast vor die Nothwendigkeit eines Krieges gegen Europa stellte. In militairischer Hinsicht war die Con vention so gut wie wirkungslos — „ein Bedürfniß dafür war an Ort und Stelle nicht vorhanden; die russischen Truppen waren stark genug, und die Erfolge der Insurgenten existirten zum großen Theil nur in den von Paris bestellten, in Myslowitz fabrizirten, bald von der Grenze, bald vom Kriegsschauplätze, bald aus Warschau datirten, zuweilen recht märchenhaften Be richten, die zuerst in einem Berliner Blatte erschienen und dann ihre Runde durch die europäische Presse machten" —, aber sie war ein diplomatischer „Schachzug, der die Partie entschied, die inner halb des russisch«« Cabinets der antipolnische, monarchische und der polonisirende, panslawistisch« Einfluß gegen einander spielten." Die durch die Convention mit Rußland noch verschärfte Feindschaft gegen das Ministerium Bismarck äußerte sich in der von der liberalen Strömung beherrschten Presse in so gehässiger Weise, daß die Regierung, von dem durch die Verfassung ihr ge währleisteten Rechte Gebrauch machend, durch königliche Verord nung der zügellos gewordenen Presse Beschränkungen auferlegte, die im letzten Abschluß keinen anderen Zweck hatten, als den un parlamentarisch gewordenen Ton der Kritik wieder auf den Ton einer anständigen und sachlichen Polemik zurückzustimmen. Der ge- sammte Liberalismus innerhalb und außerhalb Preußens sah in der Preßverordnung vom 1. Juni 1863 einen verfassungswidrigen Angriff auf das Palladium der Preßfreiheit, und selbst ein so besonnener politischer Denker wie Heinrich von Trettschke hat da mals in heiligem Zorne gegen den neuen Polignac flammende Artikel geschrieben. Ein scharfer Protest kam jedoch von einer Seite, von der die Staatsräson schweigende Duldung erwartet hatte und erwarten mußte, vom Kronprinzen von Preußen (16. Capitel: (Danziger Episode). :.m Ev flr,.: semer Gemahlin stehend, die englische ^u,,apungen in preußische Verhältnisse hinübertrug, und den Bestand der monar chischen Institutionen in Preußen nur in einer der englischen analogen Entwickelung gesichert wähnte, ließ er sich bestimmen, am 5. Juni im Rathhause zu Danzig seine Mißbilligung der ohne seinen Antheil geschehenen Anordnungen öffentlich aus zusprechen und dadurch aufs Schärfste eine Politik zu ver- urtheilen, die die des Königs, seines Vaters war. Die Presse sorgte dafür, daß das „Ereigniß" in alle Welt hinausgetragen und der liberal gesinnt« Thronfolger auf Kosten des im Dienste der Reaktion handelnden Königs gepriesen wurde. König Wil helm fühlte sich durch das Vorgehen seines Sohnes tief gekränkt und erwog Maßregeln, „die an Friedrich Wilhelm I. und Küstrin erinnerten." Bismarck dagegen verstand es, die väterliche Ent rüstung durch die Staatsraison zu besänftigen, daß in dem vor liegenden Kampfe zwischen Königthum und Parlament ein Zwiespalt innerhalb des königlichen Hauses abgestumpft, ignorirt und todtgeschwiegen werden müsse. Er erreichte dadurch, daß der König dem Sohne die erbetene Verzeihung gewährte, sein Gesuch um Entlassung aus allen seinen Aemtern mit Stillschweigen überging und ihm für die Zukunft die öffentliche Kundgabe seiner persönlichen Meinung in Staatsangelegenheiten untersagte. Der häusliche Streit schien beigelcgt, da brachten die „Times" Mittheilungen aus der Correspondenz zwischen Vater und Sohn, die den Verdacht einer groben Indiskretion nahelegte. Fürst Bis marck ist der Ueberzeugung, daß der Kronprinz ihr persönlich durchaus fernstand; er weist aber auch mit der Ruhe des guten Gewissens den in einem Briese des Kronprinzen an Duncker ge äußerten Verdacht zurück, daß „man sich Bismarckischerseits in Besitz von Abschriften des Briefwechsels zwischen ihm und dem Könige gesetzt habe", und bringt Beweise für die Wahrscheinlich keit vor, daß der zur Umgebung der Königin Augusta gehörende Legationsrath Meyer der Vermittler des „Times"-Artikels ge wesen sei. Außerhalb der Einflüsse, die im eigenen Hause auf ihn wirk ten und seinen Kampf gegen das Ministerium Bismarck ihm unter dem Gesichtspunkte eines Kampfes für die Rechte seiner Kinder erscheinen ließen, zeigte sich der Kronprinz den Argu menten Bismarck's nicht unzugänglich; aber die Reue hielt nicht vor, und auf die freundliche Aussprache in Gastein (Aug. 1863) folgte die briefliche Absage vom 3. September und di« scharfe Auseinandersetzung, in der Bismarck dem Kronprinzen zu ver stehen gab, daß er-zwar der treue Diener seines Vaters sei, nie aber der Minister des Sohnes sein werde, diesem jedoch wünsche, daß er jeder Zeit so treue Diener finden möge, als er für seinen Vater gewesen sei. Die in den „Gedanken und Erinnerungen" zum ersten Male veröffentlichten Randbemerkung:: zu einer Denkschrift des Kronprinzen, in welcher er, unter gleichzeitiger Rechtfertigung seines Danziger Verhaltens, die Erlaubniß erbat, von denSitzungen des Staatsministeriums fortan fern zu bleiben, enthalten ein« überaus werthvolle Beleuchtung der staatsrechtlichen Frage über das Maß der dem Thronfolger zustehenden Rechte und seiner Gehorsamspflicht gegenüber dem regierenden Haupte. In engem Zusammenhänge mit den parlamentarischen Streitigkeiten, die in Preußen die öffentliche Meinung ganz ge fangen nahmen und darum im Auslande als Vorboten einer nahen Revolution betrachtet wurden, steht ein Versuch Oester- Feuilleton. Kriegsgerichte?) Bon vr. S. Habermann. Nachdruck vkrbotra. Das wirkliche Leben übertrifft, so äußerte sich einmal Emanuel Kant, an überraschenden Wendungen und erstaunlichen Begebenheiten bei Weitem selbst die kühnsten Phantasien und die unwahrscheinlichsten Erfindungen der Romanschreiber, denen man doch über die Unglaubwürdigkeit ihrer Fabeln Vorwürfe macht. Hätte der große Philosoph die heutigen Vorgänge in Frankreich erlebt, so hätte er eine neue Bestätigung seiner Ansicht in ihnen gefunden. Unwahrscheinlich, romantisch, phantastisch sind die Schicksale des Unglücklichen auf der Teufelsinsel und seines tapferen Vertheidigers Picquart, der nun auch vor einem Kriegs gerichte erscheinen soll. Gerade daß die strengen Formen des Rechtes den Rahmen dieses an einen Höllenbreughel erinnernden Gemäldes bilden, gerade das erhöht seine verblüffende Unwahr scheinlichkeit, läßt den tollen Hexentanz noch toller erscheinen. Auch Kriegsgerichte sind der Schauplatz menschlicher Tragödien und Tragikomödien, und so manches klassische Kriegsgericht läßt uns tiefer in die Menschen vergangener Epochen, ihr Geistesleben und ihre Anschauungen hineinblicken als große Haupt- und Staatsactionen. 1. Niemals wohl in der ganzen Weltgeschichte haben sich Kriegs richter voll tiefen Ernstes, voll banger Scheu so unter schwerem Druck« der Verantwortlichkeit gefühlt, als die, die am 25. Oktober des Jahres 173Y sich in dem alten Schlosse zu Köpenick an der Spree versammelten. Die Zeit Friedrich Wilhelm's I. erzeugte keine Weichlinge, und es waren die hier vereinigten Officiere alle gewohnt, Königlicher Majestät zu dienen und zu gehorchen aller Wege und unter was Umständen eS sei. Doch zu richten zwischen Vater und Sohn, zu richten über den berufenen Erben der preußischen Krone, über einen hochbegabten Prinzen, dessen einzige Schuld schließlich doch, wie er jüngst eingestanden, war, „daß er keine Geduld gehabt hätte; man müßte es seiner Jugend mit zuschreiben", — es war eine furchtbare Aufgabe. Kron prinz Friedrich ein Deserteur! Wie ein Sträfling war er vom Rheine quer durch ganz Deutschland transportirt worden, Tag und Nacht fuhr der Wagen, nur auf freiem Felde, „wo man um sich sehen kann und keine Hecken und Büsche sind", wurde zu eiligen Mahlzeiten gehalten. Dann stand der Kronprinz zu Mittenwalde am 2. September zum ersten Male im Verhöre vor einer Commission. Da stellte er sich noch lustig und fröhlich an, ja, er spottete der Commissarien, die er noch immer fragte, ob sie nicht» mehr wissen wollten. Noch glaubte er wohl, drn ganzen Protest mehr al» eine Form und Farce ansehen zu dürfen; doch als er vierzehn Tage später in Küstrin von den Richtern durch 185 Artikel hindurch gefragt, al- ihm die Frage vorgelegt wurde, *) Zum Zusammentritt de» Kriegsgerichte« über den Oberst lieutenant Dicqnart, IS. Deeember. „ob er meritire Landesherr zu werden", und die andere, „ob er sein Leben wolle geschenkt haben", und wieder, „ob er wolle die Succession abtreten", — da wurde er des Ernstes der Lage inne. Und die strenge Haft, in der der „Arrestant Friedrich" gehalten wurde, die Weigerung des Königs, ihm seine Montur wieder zugeben („So einen schlechten Officier will ich nicht in meiner Armee haben, geschweige denn in meinem Regiment"), die Ver weigerung des Titels Hoheit, das Alles mußte ihm die Situation klar machen. Es ging um Leben und Tod, für ihn und für seinen unglücklichen Freund Katte, so war es der ernste Wille des leiden schaftlich erzürnten Vaters und Königs. Und so versammelte sich am 25. Oktober des Jahres 1730 im alten Schlosse zu Köpenick an der Spree das Kriegsgericht. Zwei Tage lang dauerte die Verlesung der Acten. Am 27. sonderten sich die Rangclaffen zur Berathung, Generalmajors, Obersten, Oberstlieutenants, Majors und Capitaine hatten für sich zu berathen und je eine Stimme abzugeben. Hochangesehene Männer waren dabei: Schwerin, den einst vor Prag die Todes kugel treffen sollte, der alte Graf Achaz von der Schulenburg, treu, wahr und fromm, Derschau, der bei Malplaquet einen ge fallenen General aus dem Kugelregen getragen hatte. Heute mochte er sich wohl nach Malplaquet zurückwünschen. Härter war die heutige Arbeit al» die damalige. Doch das Recht wollte seinen Lauf. Drei Stimmen lauteten auf Tod gegen den Lieutenant von Katte, zwei für mildere Strafe, der alte Schulenburg als Vor sitzender entschied für die letztere Auffassung. Vom Kronprinzen aber erklärten sie, der Gegenstand der Anklage sei eine Staats- und Familiensache, „so hauptsächlich eines großen Königs Potestat und Zucht über seinen Sohn betrifft und welche ein zusehen und zu beurtheilen ein Kriegsgericht sich nicht erkühnen darf". So überwiesen die Richter die Entscheidung Sr. König!. Majestät höchsten und väterlichen Gnade. Harte Männer, diese Männer der Zeit Friedrich Wilhelm's I., und doch Menschen, Menschen von Rechtsgefiihl und Wahrheitsliebe, — ihr Uriheil beweist's. Aber härter war der König. Wohl war der Kronprinz in seine Gewalt gegeben, das Urtheil über Katte aber war ihm zu milde. „Sie sollen Recht sprechen und mit dem Flederwisch darüber gehen", so schrieb er; neben die» königlich« Marginale aber schrieb Achaz Schulenburg mit zitternder Hand den Spruch aus der Chronik«: „Sehet zu, wa» Ihr thut, denn Ihr haltet das Gericht nicht dem Menschen, sondern dem Herrn." Und an den Herrn dachten die Richter und an den theuer geleisteten Eid, al» sie am 31. bereits zu einer neuen Sitzung zusammentraten, und sie fällten den gleichen Spruch. Der König hat, wie man weiß, auS oberherrlicher Macht gegen Katte den Spruch ver schärft; daS Kriegsgericht von Köpenick aber hat sich ein leuchtend Denkmal gesetzt in der Geschichte des strengsten aller Rechte, ein Denkmal der Ehre und der Menschlichkeit. 2. Nach dem Kriegsgerichte de» menschlichen Empfindens das der brutalen Gewalt ES war am 20. März 1804, Nachmittags gegen 6 Uhr, al» vor der Pforte de» altersgrauen Schlosst» von Vincennes ein Wagen vorfuhr. Ihm entstieg ein schlanker, in einen olivfarbenen Ueberrock bekleideter Mann, dessen Gesicht trotz der Adlernase und des etwas scharf gebildeten Kinnes einen sanften und liebens würdigen Ausdruck trug. Es war der Herzog von Enghien, den der Erste Consul vor wenigen Tagen wider alles Völkerrecht und Gesetz durch seine Schergen hatte in dem badischen Städtchen Ettenheim aufheben und fast in ununter brochener Fahrt nach Straßburg und von da nach Paris hatte bringen lassen. Als der Herzog das ihm zugewiesene Zimmer betreten hatte, brach er vor Erschöpfung beinahe zusammen. Den ganzen Tag über hatte er fast nichts gegessen. Eilig besorgte man ihm von einem nahen Traiteur ein bescheidenes Mahl. Der Herzog nahm etwas zu sich und vergaß auch nicht, für sein Hündchen, den treuen Begleiter dieser geheimnistvollen und erschreckenden Fahrt, zu sorgen. Er war ganz ruhig, würdig, vornehm. Gelegentlich fragte er wohl: „Was will man eigentlich von mir?" Doch da er nur ausweichende Antworten erhielt, so gab er sich wieder zufrieden, und bald suchte er sein Lager auf, um im wohl- thätigen Schlummer sein sonderbares und ungewisses Loos zu vergessen und sich im Traume das Bild seines nun vereinsamten, vergötterten Weibes, seiner Charlotte, vor die Seele zu rufen. Ob er wohl so ruhig geschlafen hätte, hätte er die Maßregeln und Entscheidungen gekannt, die über ihn und sein Schicksal bereits getroffen waren? Napoleon war unbeugsam entschlossen, an ihm ein Exempel zu statuiren, das alle Verschwörer gegen ihn und den von ihm beherrschten Staat erschrecken und bändigen sollte Schuld und Unschuld, Recht und Gesetz waren ihm da gleich- giltig; der Herzog von Enghien war ein Bourbon — und das war genug. Darum sollte er büßen, sollte er sterben. Josephine hatte, erschreckt über diese seine Absicht, gewagt, an seine Gnade zu appelliren, aber Napoleon's brüske Antwort war, die Frauen hätten sich um derlei Angelegenheiten nicht zu kümmern. Nein, nicht nur von Gnade war keine Rede, selbst nicht einmal von Recht. Noch bevor der Angeklagte in Vincennes angekommen war, noch bevor hatte untersucht werden können, ob die gegen ihn erhobene Anklage eine Verfolgung rechtfertige, war bereit» der Befehl ergangen, ihn vor ein Kriegsgericht zu stellen; der Ort, die Richter dieses Gerichtes waren schon bestimmt, ja, in der den Herzog betreffenden Ordre der Regierung (vom 29. Bentos« des Jahres XII) war durch die ganze Form bereit» auch schon sein Urtheil gesprochen. Und wenn es die Richter noch nicht ver standen hätten, so würde sie wohl die Grube haben belehren können, die im Parke von Vincennes soeben frisch aufgeworfen war, und die Infanterie und Gendarmerie. Um 11 Uhr Abend» wurde er jäh au» seinem Schlummer aufgeschreckt. Der Berichterstatter de« Kriegsgerichts kam, ihn zu verhören. Der Herzog hatte wenig genug zu sagen: von England empfing er eine Geldunterstützung, Pichegru kannte er so wenig als Dumouriez; mit seinem Vater und Großvater stand er freilich in Correspondenz, aber mit seinen Freunden in Frank- reich hat er stets nur über rein persönliche Angelegenheiten corre- spondirt. Das war AlleS; der Lapitain ging, der Herzog blieb wiedrr allein, seinen unruhigen Gedanken überlassen. Zwei Stunden später, um 1 Uhr Morgens, wird er vor das Kriegsgericht geführt. Wohl ein Kriegsgericht, das einzig dasteht in der Geschichte. Es bestand aus Officieren, die nur den Befehl ihres Generals kannten und von vornherein entschlossen waren, ihn auszuführen und das Todesurtheil auszusprechen. Keiner von ihnen hatte irgend eine Bekanntschaft mit Recht und Gesetz, kein Rechts kundiger war ihnen beigegeben, kein Anwalt stand dem Ange klagten zur Seite. Es gab keine Zeugen, es gab seine documen tarischen Beweise; das einzige Schriftstück, das zur Vorlesung kam, war — der Haftbefehl der Regierung. Dies Kriegsgericht hieß: der Tod unter allen Umständen. So dauerte denn auch das Gehör nicht lange. Der Herzog bekannte sich ebenso offen als Gegner des Consuls und der gegen wärtigen Staatsform in Frankreich, als er mit Entschieden heit den Vorwurf, conspirirt zu haben, ablehnte. Wohl aber gestand er zu, nach Erklärung des Krieges gegen Frankreich um einen Posten in der englischen Armee sich beworben zu haben. Mehr wurde nicht gefragt. Es war erst eine Stunde vergangen, da war bereits das Urtheil gefaßt, — und seine Formuliruna hatte fast länger gedauert als das Verhör des Angeschuldigten In diesem Schriftstücke hieß es, das Gericht habe den Herzog schuldig gefunden nach Artikel ... des Gesetzes vom ..., welches lautet .... Die Ausfüllung dieser Lücken überliesten die Richter Anderen, Späteren; sie wußten nicht, nach welchem Gesetze der Herzog schuldig sei, noch wie es laute; sie wußten nur: er war schuldig — mustte schuldig sein. Und wieder eine halbe Stunde später wird der Herzog von dem Commandanten des Schlosses und einigen Anderen in den dunklen Park geleitet. Es ist stockfinster, die Laterne des Com Mandanten wirft ein schwankendes Licht, ein feiner Regen durch näßt die Kleider. Noch immer ist der Herzog ahnungslos: „Wohin führt man mich denn?" fragt er. „Ins Gcfängniß?" Da hört er im Dunkeln eine unbekannte Stimme murmeln: „Leider nicht!" Und jetzt mit einem Schlage weiß er, was ihm bevorsteht. „Nehmen Sie nun all' Ihren Muth zusammen!" mahnt einer seiner Führer. ES hat ihm an Muth nicht gefehlt. Unerschrocken hat er im Wallgraben gestanden. Nur den Trost eines Geistlichen hätte er gern gehabt. „Will er denn als Kapuziner sterben?" hörte man da Jemanden rufen. Dieser Unmensch soll der General Savary gewesen sein, — derselbe Savary, der den Präsidenten de» Kriegsgerichts verhinderte, ein Begnadigungsgesuch an den Ersten Consul zu schreiben ... So mußte der Herzog für fick allein ein stilles Gebet verrichten. Dann erhob er sich und rief: „Wie schrecklich, so durch die Hand von Franzosen zu sterben!" — Der da» Peloton commandirende Officier entblößte sein Haupt, bedeckte es wieder — die Schüsse krachen, und der Herzog von Enghien aus dem Hause Condß war nicht mehr. In einer und einer halben Stunde war Verhör, Urtheil. Execution erledigt. Es erübrigte nur, in dem Urtheil aus- zufüllen, gegen welches Gesetz sich der Gemordete eigentlich ver gangen hatte und wie e» lauieie.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite