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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.12.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189812180
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18981218
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18981218
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-18
- Monat1898-12
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.12.1898
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Lil Morgeu-Ansgab« «rschetut «« V»? Uhr, di» Abvch-LwSgab« Wochentag« um ü Uhr. Lrdartto« und Lr-editi-x: Johanne«, aff« 8. Di« Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: vtt« Klemm's Lortim. (Alfred Hahn), ÜniversitätSstraße 3 (Paultnum), Lo«t» Lösche, Katharineustr. 14, -art. und Königsplatz 7. BezugS-PreiS Gl der Hauptexpedition oder den im Stadt« bezirk und d« Bororten errichtet« Avt- oabesteven abgeholt: vierteljährlich ^14^0, »ei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» ^tb.S0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierleliLdrlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsenvung tu» Ausland: monatlich 7.b0. MpMr TllgMÄ Anzeiger. Amlsölaü des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes ÄeiMg, des Rathes und Noüzei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4gv- spalten) üO^Z, vor den Familieunachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis« »erzeichuiß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Änvahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. KD. Sonntag den 18. December 1898. 92. Jahrgang. Fürst Lismarck's Gedanken und Erinnerungen. XV. (Fortsetzung. Graf Friedrich zu Eulenburg hatte während der Conflictszeit treu zu Bismarck gestanden, schien ihm auch freund schaftlich zugethan. Aber auch er blieb nicht frei von Eifersucht, als der schnelle Aufstieg den bisherigen Collegen weit über den Kreis der „Gespielen" hinaushob. Der Wunsch, populär zu werden, packte ihn und ließ ihn die Verwaltungsreform in An griff nehmen, auf liberaler Grundlage, um sich die Unterstützung des Liberalismus zu sichern. Das brachte ihn in Eonflict mit der konservativen Partei, aber auch mit Bismarck, der in der Bureaukratisirung de- Landrathspostens einen schweren Fehler der Reform erkannte. Ein längerer Urlaub, den Eulenburg im Sommer 1877 nahm, weil er sich körperlich bankerott fühlte, bereitete seinen Uebergang in den Ruhestand vor; dieser vollzog sich aber nicht ohne einen Act der Gehässigkeit gegen Bismarck, der fast zu einem Zerwürfnisse zwischen dem Kaiser und seinem ersten Berather geführt hätte. Ich erzähle kurz, was sich ziemlich ausführlich in den „Gedanken und Erinnerungen" darüber be richtet findet. Bismarck hatte als Ersatz für Eulenburg den Führer der Nationalliberalen Rudolf von Bennigsen ins Auge gefaßt und unterhandelte während des Jahres 1877 zweimal, im Juli und December, über seinen Eintritt mit ihm. Bennigsen suchte der Verhandlung weitere Ausdehnung zu geben, indem er, in der Meinung, daß es sich um einen durch die politische Lage gebotenen Systemwechsel handle, die gleichzeitige Berufung zweier seiner Parteigenossen, von Forckenbeck und von Stauffenberg, forderte. Bismarck machte ihn darauf auf merksam, daß nur Eulenburg's Posten vacant sei, daß es schon einige Schwierigkeit kosten werde, den König zur Ernennung Bennigsen's zu bewegen, und daß es ganz aussichtslos sein würde, ihm eine Neubildung des Ministeriums unter größerer Betheiligung der nationalliberalen Partei vorzuschlagen. Bennigsen aber schien zu glauben, daß es ihm auch als Minister gestattet sein werde, Führer der Nationalliberalen zu bleiben und seine Partei zur regierenden zu machen, die fortan dem preußischen Staate die Minister, dem Reiche die Staatssecretaire der Reichsämter zu liefern hätte, und blieb unzugänglich für die Auseinandersetzung Bismarck's, daß es sich vorläufig gar nicht um liberal und konservativ handle, sondern einzig um die Befestigung unserer nationalen Sicherheit, die bei der Stärke der nationalliberalen Partei leichter mit dieser als mit der konser vativen Partei zu erreichen sei, die ihrem ganzen Wesen und ihrer geographischen Verbreitung nach niemals zu einer nationalen Majorität werden könne. So wurde die Verhandlung ab gebrochen, von Bismarck in der Ueberzeugung, daß sie definitiv gescheitert sei, von Bennigsen in der Hoffnung, daß sie wieder ausgenommen und auch auf Forckenbeck und Stauffenberg aus gedehnt werden würde. Aber schon hatte die geschäftige Fama das Gerücht vom Eintritt Bennigsen's nach Berlin getragen und zur Thatsache verdichtet, was nur Gegenstand der Erwägung gewesen war. Eulenburg, dem die Abneigung des Königs gegen Bennigsen nicht unbekannt war, trug das Gerücht zum Könige, der, über die Eigenmächtigkeit des Reichskanzlers erzürnt, ihm schriftlich seine lebhafte Entrüstung über die Zumuthung kund gab, daß er aufhören sollte, „konservativ" zu regieren. Bismarck ließ dem Kaiser durch Bülow*), der gerade als geschäftlicher Beistand in Varzin bei ihm weilte, antworten, er könne ihm einen Nachfolger Eulenburg's doch nicht Vorschlägen, ohne sich vorher von der Bereitwilligkeit des Vorzuschlagenden überzeugt zu haben. Diese Ueberzeugung habe er bei den Verhandlungen mit Bennigsen nicht gewonnen und würde darum überhaupt An stand genommen haben, ihn Sr. Majestät als Ministercandidat zu präsentiren; die ungnädige Verurteilung aber, die er durch das kaiserliche Schreiben erfahren habe, nöthige ihn, sein Ab schiedsgesuch vom Frühjahr zu erneuern. Der Kaiser erwiderte darauf, daß er falsch berichtet worden sei, und bat Bismarck, den Brief als ungeschrieben zu betrachten. Dieser gab infolge dessen dem Abschiedsgesuch keine weitere Folge. Die Nerven aufregung aber, die der ganze Vorgang ihm verursachte, führte zu einem Rückfall seiner Krankheit. Bennigsen blieb die Ab neigung des Kaisers gegen seine Person verborgen, er hielt die Frage seines Eintritts noch für eine schwebende, als Bismarck im Februar 1878 nach Berlin zurückgekehrt war, und lehnte erst am 22. Februar definitiv ab, als ihm der Reichskanzler das Tabaksmonopol als Ziel seiner Steuerpolitik bezeichnete. Die Nationalliberalen gaben darum die Hoffnung nicht auf, Einfluß auf die Regierungspolitik zu gewinnen. Sie knüpften zu diesem Zwecke Beziehungen zu mehreren von Bismarck's *) Nicht durch Roon, wie in den „Gedanken und Erinnerungen" steht. Im Manuscript war der Name nur durch B. angedeutet, dieses wurde vom Abschreiber als R. gelesen und zu Roon ergänzt. Collegen an, wie Friedenthal und Botho von Eulenburg, welcher letztere das Ohr des Grafen von Stolberg, des stell vertretenden Ministerpräsidenten, besaß. Fürst Bismarck glaubte sich in dieser Zeit einem System der Abdrängung von den Ge schäften seiner amtlichen Stellung gegenüber zu befinden, das sich ihm in allerlei heimlichen, ohne sein Vorwissen getroffenen Abreden mit den Präsidien von Land- und Reichstag, sowie parlamentarischen Parteiführern und in der Nichteinholung seines Votums in materiellen Vorlagen während seiner Abwesenheit äußerte. In der Conseilsitzung vom 5. Juni 1878 erlebte es Bismarck, daß mehr als die Hälfte seiner Collegen seinem An träge auf Auflösung des Reichstages nicht zustimmte, weil der Reichstag sicher bereit sein werde, das nach dem Hödel'schen Attentat verweigerte Ausnahmegesetz jetzt nach dem Nobiling- schen Mordversuch zu bewilligen. Es kam den Ministern offenbar unerwartet, daß sich der Kronprinz für Bismarck's Ansicht entschied und die Auflösung guthieß; hätte er sich, wie man erwartet hatte, der Mehrheit gefügt, so glaubten sie ihr Ziel, Bismarck's Beseitigung, zu erreichen. Aber gerade damals war Bismarck entschlossen zu bleiben, nicht aus Herrschsucht, sondern in der auf gewissenhafter Erwägung ruhenden Ueberzeugung, daß er im Falle des Todes Kaiser Wilhelm's I. verpflichtet sei, seinem Nachfolger die Dienste nicht zu versagen, die er ihm vermöge des Vertrauens und der Erfahrung, die er sich erworben hatte, leisten konnte. Die Nationalliberalen haben Bismarck damals das Wort in den Mund gelegt: er werde sie an die Wand drücken, bis sie quietschten. Fürst Bismarck hat schon früher bestritten, jemals eine solche Aeußerung gethan zu haben, die so ganz dem vornehmen Ton widerspricht, in dem er sich zu äußern pflegte; in den „Gedanken und Erinnerungen" er neuert er diesen Protest und constatirt als Quelle der Redensart die Memoiren des Grafen Beust. Nach seiner Ansicht haben vielmehr die Nationalliberalen danach getrachtet, seine Erbschaft anzutreten, und sich mit einigen seiner Collegen und Leuten von Einfluß am Hofe und im Centrum über die Theilung der Beute verständigt. Im neuen Ministerium sollten, wie im Ministerium Gladstone, Liberalismus und Katholicismus sich die Hand reichen; General von Stosch hatte den Auftrag, im Palais des Kaisers und des Kronprinzen der neuen Combination die Wege zu ebnen.*) * Daß Herr v. Bennigsen und seine engeren Freunde diesem Treiben fern standen, braucht wohl nicht besonders versichert zu Man rechnete dabei vornehmlich auf den Grasen Botho zu Eulenburg, der seit dem 31. März 1878 Minister des Innern und am Hofe durch alte Familienbeziehungen persona xrats war. Er war gegen Bismarck verstimmt durch die ge schäftliche Behandlung einer zwischen ihm und dem Reichskanzler schwebenden Differenz, obwohl das Versehen weniger auf Seiten Bismarck's als auf Seiten des Geheimraths Tiedemann beruhte, der einen ihm zu Theil gewordenen Auftrag ungeschickt ausgeführi hatte. Alle Bemühungen freilich, das Vertrauen des alten Kaisers zu seinem bewährten Berather zu erschüttern, scheiterten an der unwandelbaren Treugesinnung des alten Herrn, der in seinem „Niemals" vom Jahre 1877 den Bund vom September 1862 erneuert hatte. Im Jahre 1881 nahm Graf Botho Eulenburg seinen Abschied aus einem ähnlichen Anlaß, wie er seiner in den „Gedanken und Erinnerungen" mitgetheilten Be schwerde zu Grunde lag. An feinen Namen knüpft sich ein Brief wechsel zwischen dem Kaiser und Bismarck, der in den „Ge danken und Erinnerungen" zuerst veröffentlicht worden ist. In Antwort auf einen Brief des Kaisers, der über einen Traum berichtete, in dem Graf Eulenburg eine Rolle spielte, erzählt Bismarck von einem Traume, der ihm in den schwersten Conflictstagen des Jahres 1863 wie in einer göttlichen Offen barung den zukünftigen Ausgang der Spannung auf den böh mischen Schlachtfeldern zeigte. Die Stelle ist so schön, daß ich es mir nicht versagen kann, sie im Wortlaute mitzutheilen: „Mir träumte, und ich erzählte es sofort am Morgen meiner Frau und anderen Zeugen, daß ich auf einem schmalen Alpenpfad ritt, rechts Abgrund, links Felsen; der Pfad wurde schmaler, so daß das Pferd sich weigerte, und Umkehr und Absitzen war wegen Mangel an Platz unmöglich; da schlug ich mit meiner Gerte in der linken Hand gegen die glatte Felswand und rief Gott an; die Gerte wurde unendlich lang, die Felswand stürzte wie eine Coulisse und eröffnete einen breiten Weg mit dem Blick auf Hügel und Waldland wie in Böhmen, preußische Truppen mit Fahnen und in mir noch im Traume der Gedanke, wie ich das schleunig Eurer Majestät melden könnte. Dieser Traum erfüllte sich, und ich erwachte froh und gestärkt aus ihm." Die erwähnten Zerwürfnisse mit Eulenburg, daS Gefühl, werden; Fürst Bismarck selbst hat «inen solck-en Verdacht jedenfalls nicht mehr gehegt, als er Herrn v. Bennigsen an seinem 70. Geburts tage das erst jüngst wieder mitgetheilte Glückwunschtelegramm sandte. D. Red. d. „Leipz. Tagebl.» Feuilleton. Aus Rudolf von Gottschall's Jugendzeit. Von Hermann Pilz. H. Der zweite Abschnitt der „Erinnerungen" ist „Aus meiner Studentenzeit" überschrieben. Auf „Wilhelm Meisters Lehrjahre" folgten seine „Wandcrjahre". Die Betheili gung an der damaligen liberalen Bewegung hat Gottschall keine ruhigen Studienjahre vergönnt, und das Schicksal hat den jungen Studenten weidlich herumgeworfen in deutschen Landen. „Meine Sturm- und Drangperiode", sagt er, „fällt in diese Zeit, deren Sturm und Drang sie widerspiegelt. Nicht über große Haupt- undStaatsactionenhade ich zu berichten, aber über manche Augen blicke schöner Begeisterung und über viele Persönlichkeiten, welche damals eineRolle spielten, undderensich, um mit Hegel zu sprechen, die List der Vernunft bediente, um ihre Zwecke zu erreichen." Unter den Professoren waren es namentlich der nachmalige ReichsgerichtSpräsident Eduard Stmson, der Hegelianer Karl Rosenkranz und der Jurist Sanio, zu denen er sich hingezogen fühlt«. Zu seinen Studiengenossen gehörten Robert von Keudell, später die rechte Hand Bismarck's, Hobrecht, der nachmalige preußische Finanzminister, der Literarhistoriker Kreyssig, der Physiker Kirchhoff, der Publicist Walter Rogge, während zwei Hauptredner der Studentenschaft, Julian Schmidt und Albert Dulk, gerade di« Universität verlassen hatten. In dem Roman „Welke Blätter" und der Novelle „Romeo und Julia am Pregel" hat der Dichter einer der Haupttzesialten Züge Albert Dulk'» ver liehen, dem er späterhin noch näher trat. Die liberale Bewegung in Königsberg, wo die „Vier Fragen eine» Ostpreußen" von Johann Jacobi mit ihrer epigrammatischen Schärfe Alt und Jung inflammirt hatten, rief Gottschall's erste Gedichtsammlung, die „Lieder derGegenwart", hervor, welch« 1842 erschienen und schnell eine zweite Auflage erlebten. Einzelne Gedichte, welche di« Censur nicht hatte pafsiren lassen, erschienen als „Censur- flüchtlinge" im Fröbel'schen DerlagSinstitute in der Schweiz, da« auch Herwegh'« Gedichte publicirt hatte. In diesen Liedern trat Gottschall lange vor Geibel für ein neues deutsche« Reich, wie wir «S heute errungen haben, ein, wenn er unter Anderem in dem Gedicht „Barbarossa" singt: „Gieb unk zurück, wa» wir mit Schmerz vermissen! Das Reichspalladium, da- man un» entrissen! Dein ein'geS, einz'ge- Banner wehe wieder Zm Morgenroth von Deutschland- Höhn hernieder!" Diese Lieder machten den Dichter schnell populär. Außerdem sorgte noch eine damals erschienene Caricatur, auf welcher sein Portrait mit angebracht war, für diese Popularität. Wie wir aus den „Erinnerungen" erfahren, ist Gottschall nicht erst in späteren Jahren, wie man stimmt, Roman schriftsteller geworden, sondern hat schon damals in Königsberg einen Roman: „Stand und Schicksal", dessen Held ein militairischer Weither war, erscheinen lassen. Schon damals trat Gottschall, wa« er bis heute gethan, al« Anwalt einer in modernem Geiste dichtenden Poesie auf, wenn er in dem Roman schreibt: „Die Poesie wächst mit der Menschheit auf. Die Dichter dürfen und können keine Separatistengemeinde bilden, keine Kaste. Die Nation, di« Zeit muß da« Herz ihrer Gefühle bilden, worau» ie Alle hervorgehen, wohin sie Alle zurllckkehren. Und das Gesetz der Zeit ist lein stummes, verschwiegenes. Aus dampfenden Wettern heraus hat es vom Sinai der Geschichte das Jahrhundert den erschreckten Völkern gepredigt, und jedes goldne Kalb, das verstockter Eigensinn den veralteten Götteri» erbaut, findet seinen Moses, der es zertrümmert. Die Helden unserer Dichter brauchen nicht mehr in Löwenhäuten zu erscheinen, um das Interesse unseres Publikums zu wecken. Wir selbst, wir Söhne des Jahr hunderts, die wir mit dem geflügelten Sehnen der Brust gegen kleine beengende Schranken kämpfen, wir sind die Helden der Zeit geworden, und entvölkert ist der alte Heroen-Olymp. Wir haben die tiefe Bedeutung der Gegenwart erkannt, und unsere Poesie hat in den modernen Zuständen ihre Erlösung von altem Kram, ihr Auferstehungsfest aus einer mittelalterlichen Per gament-Romantik gestiert." Auch ein neues Drama „Ulrich von Hutten" dichtete Gottschall und ließ es zum ersten Male unter seinem Namen in Königsberg 1843 erscheinen. Auch dieses Drama war ein Kampfruf für die Freiheit! „Der Erzbischof von Trier vertritt die freiheitsfeindliche Partei; ihm sind alle die StichwörterindenMundgelegt, welchedamalsbei denVorkämpfern deS Cultusministeriums Eichhorn im Schwange waren." Eine Reihe von Blättern der „Erinnerungen" sind der Freundschaft ge widmet, welche Gottschall in Königsberg mit dem Rhapsoden Wilhelm Jordan verband. Mit diesem zusammen verließ er auch bald die Albertina am Pregel, er freilich nicht unfreiwillig. Den Studenten war ver boten worden, die Vorlesungen deS Humoristen Lud wig Wälesrode zu besuchen. DaS gab Veranlassung zu einer Demonstration, und Gottschall erhielt al» einer der Haupt- rädelSfllhrer daS conmlium ndsunäi. Er verließ die Stadt der reinen Vernunft, um in seiner Vaterstadt Breslau sein Heil zu versuchen. Dort schloß er sich den Burschenschaftern, den RazekS, an, obwohl er zunächst nicht inscribirt werden konnte. Wer daS eoueilium ndenncki erhalten, durfte an die Universität, die eS ihm ertheilt hatte, erst nach drei Jahren zurückkehren, an jeder anderen aber erst nach einem halben Jahre wieder aus genommen werden, wenn er die Genehmigung dazu erhalten. Diese Genehmigung traf zwar ein, aber nun mußten wieder Papier« von der Königsberger Universität beschafft werden, und dies verzögerte sich so lange, daß inzwischen Gottschall schon wieder aus BreSlau — ausgewiesen wurde, weil er al« Redner an einer tumultuarischen Studentenversammlung theilgenommen hatte. Man bereitete ihm ein glänzendes Comitat, an welchem auch Ferdinand Lassalle theilnahm, der ebenfalls in der Ver sammlung al« Redner aufgetreten war. Don Lassalle giebt Gottschall folgende interessante Charakteristik: „Lassalle war eine durchaus aristokratische Natur. Er besaß eine geistige Vornehmheit, wie sie den Vertretern der Hegel'schen Philosophie eigen ist, welche die Masse und ihren gesunden Menschenverstand verachten. Sein« gelehrten Werke sind nur der exklusivsten Gelehrsamkeit zugängig und trägen für daS profane Publicum die Inschrift der Dante- schen Hölle: „Die Ihr hier eingeht, laßt die Hoffnung draußen!" Er hatte übirdie» aristokratische Lebensgewohnheiten, und gehörte durchaus nicht zu den Männern, die sich in der Atmosphäre deS ArbeiterpublicumS wohl fühlen, oder die durch Bonhommie, äußere« Kraftgefühl und di« Vorlieb« für KraftauSdrück« sich die Sympathien diese« Publicum« gewinnen können. AIS er sich indeß einmal mit dem heißen Ehrgeiz und der fieberhaften Energie, die ihn beseelten, auf die Arbeiterfrage geworfen hatte, zu welcher ihn seine Bedenken über die Berechtigung des Capitalgewinnes in seinen größeren Werken hinführten, da vermochte er durch seine Neigung für das Extreme, das die Massen begeistert, durch die Unermüdlichkeit, mit welcher er die Sturmglocke läutete, durch die scharfgeschliffenen Sätze, die er hin- und herschleuderte, wie ein Jongleur, auf die Massen einen Zauber auszuüben, der ihn überlebt hat und ihn zum Gegenstände eines Todtencultus seitens der deutschen Arbeiter machte. Vergessen darf man indeß nicht, daß er keineswegs den staatsfeindlichen Theorien der Inter nationale huldigte, daß er in seinen politischen Broschüren und in seiner Fichte-Rede den Beruf Preußens zur Wiederherstellung deutscher Macht und Größe energisch hervorgehoben, daß er weit entfernt war von einer Allianz mit dem Particularismus und den jetzigen reichsfeindlichen Mächten. Er hatte von Hause aus, wie Wenige, eine eiserne Stirn und den Glauben an seine Un fehlbarkeit — und das ist schon die halbe Bürgschaft des Erfolges. Hat er doch dadurch selbst dem Dichter Heinrich Heine, dem kranken Aristophanes in Paris, imponirt, der in ihm den Ver treter einer „neuen Jugend" erblickte, die rücksichtslos mit allen Ueberlieferungen und stder Gefllhlsschwärmerei gebrochen hat. Sein Lebenslauf indeß bewegte sich in einer gebrochenen Linie. AuS dem Gelehrten entpuppt sich der Agitator und der Abenteurer geht durch beide Epochen hindurch. Mindestens beweist das inter essante Phänomen, daß die Zeit der deutschen Faust-Don Juane nicht vorüber ist, eine so große Rolle auch gegenwärtig die ge lehrten und poetischen — Wagner spielen." Zu der Maßregelung Gottschall's mochte wohl auch sein in zwischen in BreSlau vollendetes, 1845 in Neiße auch im Buch handel erschienenes Drama „RobeSpierre", dessen Aufführung ver boten worden war, beigetragen haben. Er machte sich abermals auf die Wanderschaft, uminLeipzigseinGlückzuver- suchen. „In Leipzig", schreibt er, „sand ich ein Unterkommen in der Wohnung eines Studenten, dessen Bekanntschaft ich in Dresden gemacht hatte und der für die Ferien verreist war. In der Pleißestadt gefiel es mir damals wenig, e« war die echte Lite- ratenstadt. „Wenn man", schrieb ich meinem Vater, „hier einem Menschen mit einer Brille auf der Nase begegnet, der sehr welt schmerzlich, arrogant und süffisant auSsieht, so ist eS ein Literat — Fabrikarbeiter, Schöngeister, im Cliquenwesen ersäuft, ohne Gesinnung." Doch traf ich hier meinen Schicksalsgenossen, Wil helm Jordan, welcher fleißig arbeitete, übersetzt« und correspon- dirte, und sich so güt stand, daß er seine Braut bald heimzufiihren gedachte. Er führte mich bei Otto Wigand ein, dem Herbergs vater der Jung-Hegelianer, dem Verleger Feuerbach's, einer ener gischen Persönlichkeit, die mir sehr wohl gefiel. Auch spielte er fleißig Schach, ebenso wie Jordan. In dem Hause, in welchem er wohnte, im „Gutenberg" aus der Windmllhlenstraße, hatte sich damals der Leipziger Schachclub einquartiert. Auch Albert Dulk kam nach Leipzig und besuchte mich sogleich, so daß das junge Königsberg eine Zeit lang dort beisammen war. Dulk war ein Kraftmensch durch und durch; keiner der früheren Stürmer und Dränger, von denen die Literaturgeschichte berichtet, konnte genialer in seinem ganzen Wesen sein. Eine Empfehlung deS Buchhändler« Burkhardt in Neiße führte mich in da» Hau» der Besitzer» der Hartknoch'schen Buchhandlung, Herrn Baumann, rin. Hier traf ich di» Schriftsteller Held und Corvin, wie ich denn auch allmählich mit allen damaligen Leipziger Berühmt heiten bekannt wurde. Meinem Vater schrieb ich damals ihr Signalement in einer rrgistermäßigen Aufzählung: 'Held, Redakteur der „Lokomotive", mit einem furchtbar langen, rothen Bart und kleinen Augen. 'Corvin, Novellist, ziemlich nichtssagend, preußische Lieutenantsnatur, Sallet's Freund. Or. Eiler, der wegen Majestätsbeleidigung ein Jahr auf Festung saß, ein Berliner, sehr witziger Kopf und angenehmer Gesellschafter, Jordan's Freund. Binder, Redakteur der „Eisenbahn", nicht bedeutend, eben falls ein naher Bekannter Jordan's. R ob e r t B l u m, an den ich Briest von Reichenbach hatte, Theatercassirer, Centrum der politischen Partei, ein Autodidakt. Seinem Aussehen nach ein behaglicher Bicrphilister mit einer impertinenten rothen Nase, die keck in die Welt hinausspringt, und die ich den konstitutionellen Leuchtthurm Sachsens zu taufen be liebte. Er ist ein sehr tüchtiger Kerl, mit viel Phlegma und großer Redegewandtheit. Ich war oft mit ihm zusammen. Er will für die Aufführung des „Hutten" sorgen. Für „Robespierre" stellt er kein günstiges Censurhoroskop. Oettinger, eine PavianSfigur; er ist der Redakteur des Witzblattes „Charivari". Heinrich Laube, Freund des Fürsten Pückler, der Heros der Leipziger Literaten. Er würdigte mich einer Unter redung im Literatenvereine, dessen Sitzungen ich einmal be wohnte. Eine schwarze Kalmückenphysiognomie mit stechenden Augen, gesetzte Figur, sehr determinirteS, aber auch aristokratisch Wesen. DaS Ensemble gefiel mir weit besser, als ich geglaud. Laube ist vermögend durch seine Frau. Sein Drama „Struensee" ist auf zwei Bühnen mit Erfolg aufgeführt worden. Wuttke, Privatdocent, den ich von Brieg aus kannte, ziemlich renommirter Historiker, ein kleine», kratziges Männchen, raisonnirt und schwadronirt, ein wenig arrogant, aber ganz liberal." Mit dem Studium in Leipzig wurde e» freilich nichts. Man eröffnete Gottschall nach langen Verhandlungen, daß er sich al- consslrirter Student in einer Universitätsstadt wie Leipzig nicht aufhalten dürfe, und er kehrte über Dresden nach Schlesien zurück. In BreSlau wurde ihm ein kurzer Aufenthalt gewährt, doch durfte er sich nicht mit Studenten zusammen sehen lassen, bei Strafe der Verhaftung. Auf ein erneutes Gesuch an den preu ßischen Minister Eichhorn wurde ihm endlich die Erlaubnis! zu Theil, in Berlin weiter zu studiren, wo er zugleich auch bei den Gardeschützen sein Jahr abdiente. Gustav von Moser, dem Lustspieldichter, hatte er damals militairisch« Ehrenerweisungen zu leisten. Moser stand als Lieutenant bei den Gardeschützen. Der Berliner Aufenthalt brachte die Bekanntschaft mit Theodor Mundt und seiner Gattin Luise Mühlbach, Fürst Pückler, Varn Hagen von Ense, Feodor Wehl, Bruno Bauer, Or. Kaspar Schmidt (Max Stirner), Bettina von Arnim, Ludwig Tieck, Ernst Raupach, TituS Ulrich und der emanciprrten Luise Aston, welcher der Dichter seine LiebeSdithyramben „Madonna" und „Magdalena" widmete, die im Jahre 1845 in Berlin erschienen. Auch an einem Drama „Thomas Münzer" arbeitete Gottschall in Berlin weiter. Mit dem LandwehrlieutenantSexamen endete die militairische Laufbahn Gottschall's in Berlin. Er ging nach Königsberg zurück, um dort zu promovirrn.
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