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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.05.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960508012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896050801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896050801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-05
- Tag1896-05-08
- Monat1896-05
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Reclamen unter demReLactionsslrich <4ge- spalten) 50^, vor den Familiennachrichten (6 gespalten- 40 Größere Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis,. Tabellarischer und Zisfrrujotz nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmrlchluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 232. Freitag den 8. Mai 1896. so. Jahrgang. Ein Jubiläum für Großbritannien. „Häng du keinen Dieb, wenn du König bist." Sir John Falstaff zum Prinzen Heinrich. Da» Erinnerungsjahr des deutsch-französischen Krieges geht nicht zu Ende, ohne daß unsere Vettern jenseits des EanalS auch ein Jubiläum feiern. Freilich kein Jubiläum kriegerischer Großtbaten, wie wir es begangen haben; viel mehr da» Jubiläum einer Züchtigung^ die das Bank- und Handelshaus England von den Vereinigten Staaten von Amerika zwei Tage vor dem Abschluß des Frankfurter Friedens hat hinnehmen müssen, das Jubiläum des Vertrages, der, am 8. Mai 1871 zu Washington unterzeichnet, dem Alabamastreit ein vorläufiges Ziel setzte. Ihren Ursprung batte die Alabamastreitfrage in dem profit srohen robusten Gewissen der englischen Regierung, das während des deutsch-französischen Krieges seinenRiesenumfang aufs Neue offenbaren sollte. Wie England die am 19. Juli 1870 zugesicherte Neutralität fortgesetzt brach, indem es sowohl das kaiserliche als auch das republikanische Frankreich mit Waffen, Schießbedarf, Kohlen, Lebensmitteln rc. versah, so verletzte es während des amerikanischen Bürgerkrieges die Neutralität, indem es duldete, daß englische Firmen in eng lischen Häfen Kaperschiffe für die Conföderirten erbauten, auSrüsteten und ibrer Bestimmung entgegenführten. Das berühmteste dieser Kaperschiffe war die „Alabama". Unter dem Commando des verschlagenen Capitains SemmeS stehend, hat sie allein 65 Handelsschiffe, die mit ihrer Ladung einen Werth von 10 Millionen Dollars repräsentieren, ausgebracht oder zerstört, auch das Blockadeschiff der Union „HatteraS" in den Grund gebohrt. *) Erst am 19. Juni 1864 gelang eS der Unionscorvette „Kearsarge", die „Alabama" im Angesichte von Cherbourg zu erreichen und zu vernichten. Die englische Regierung batte das Auslaufen der in Liverpool gebauten „Alabama" wie der anderen Kaperschiffe verhindern können und müssen, denn Gesandtschaft und Con- fuln der Union hatten sie auf den bevorstehenden Bruch der Neutralität rechtzeitig aufmerksam gemacht. Aber die Achtung des Völkerrechts lag damals so wenig im englischen Geschäfts interesse, wie beute die PreiSgebung der Politik des ehren- werthen Cecil Rhode» in Südafrika. Außerdem täuschte sich Gladstone nicht minder als vorher Palmerston über die Zukunft der Union. In einer Rede vom 7. October 1862 hat Gladstone gesagt: **) „Wir können mit Gewißheit den Erfolg der Südstaaten Voraussagen, soweit es ihre Trennung vom Norden angebt. Ich kann nur glauben, daß dies Ereigniß so gewiß ist als irgend ein künftiges und doch unausbleibliches." Die Thalsachen belehrten Gladstone eines Besseren, und sehr bald mußte er eS erleben, daß das Cabinet von Washington für den Schaden, den die- in Eng land gebauten und ausgerüsteten Kaperschiffe der Union zu gefügt hatten, von Großbritannien Ersatz forderte. Nach langwierigen Verhandlungen, die einige Male eine sehr drohende Gestalt annahmen, kamen beide Mächte überein, die Streitfrage durch eine gemeinschaftliche Commission erledigen zu lasten. Diese einigte sich über den oben schon erwähnten Vertrag vom 8. Mai 1871, dem zufolge die Angelegenheit einem in Genf tagenden Schiedsgericht übergeben wurde. Der Spruch deS Schiedsgerichts machte England sür die durch die südstaatlichen Kaper „Alabama", „Florida" und „Shenondoah" herbcigeführten Verluste haftbar und legte England die Zahlung einer Ent schädigung von 15Vr Millionen Dollars auf. Demüthigender indessen als die Einsetzung deS Schieds gericht» Warrn für Großbritannien die im Washingtoner *) Hopp, Bundesstaat und Bundeskriea in Nordamerika. S. 718. 754. **) Oncken, Das Zeitalter des Kaisers Wilhelm, H, S. 857, Anmerkung 4. Vertrage aufgestellten Grundsätze über die Neutralität im Seekriege, die als allgemein geltende Normen angesehen werden dürfen.*) Jetzt zum ersten Male bequemte sich England dazu, Pflichten der Neutralität im Seekriege anzuerkennen, die eS bisher beharrlich geleugnet hatte. Im Eingang des Vertrages sprach die Negierung der Königin Victoria „in freundschaftlichem Geist" ihr Bedauern auS über das Entrinnen der Kaperschiffe aus britischen Häfen und über die Räubereien, die von diesen Schiffen begangen waren. Um die Wiederkehr solcher Vorkommnisse zu verhüten, wurde festgesetzt: „Eine neutrale Regierung ist verpflichtet: 1) sich alle Mühe zu geben, daß im Bereiche ibrer Gerichtsbarkeit die Ausrüstung, Bewaffnung oder Be mannung von Schiffen unterbleibt, von denen vernünftiger Weise geglaubt werden kann, daß sie bestimmt seien, gegen eine Macht zu kreuzen oder Krieg zu führen, mit welcher sie im Frieden lebt; ebenso das Auslaufen eines in solchem Ver dacht stehenden Schiffes zu verhindern, wenn dieses im Bereich ihrer Gerichtsbarkeit ganz oder theilweise zu kriegerischen Zwecken besonders hergerichtet worden ist: 2) keinem der Krieg führenden Tbeile zu gestatten, ihre Häsen oder Gewässer zu Flottenunternebmungen gegen den anderen Tbeil oder zur Erneuerung oder Vermehrung von Vorräthen, Waffen oder Mannschaften zu Kriegszwecken zu benutzen; 3) in ihren Häfen und Gewässern und unter allen ihrer Gerichtsbarkeit unterstehenden Personen jede Verletzung dieser Vorschriften zu verhindern." „So viel Worte", bemerkt Oncken**) hierzu, „so viel Schuldbekenntnisse Englands. Denn Alles, waS hier als Verletzung der völkerrechtlichen Pflichten eine- neutralen SeestaateS ausgestellt war, daö hatte England entweder sich wirklich erlaubt oder sür erlaubt gehalten, immer unter der fadenscheinigen Ausrede, die Regierung habe keine Mittel, ihren Untcrtbanen Geschäfte dieser Art zu verbieten, und nun war, sozusagen auf Befehl der Amerikaner, da- Alles doch möglich geworden, wenigstens auf dem Papier, da» eine der ärgsten Niederlagen Englands verzeichnete." In den fünfundzwanzig Jahren, die seitdem verflossen sind, ist die Achtung Englands vor dem Völkerrecht nicht größer geworden. Gerade in unseren Tagen lehrt der Transvaalskandal, daß olä Lnglauä zum Heile seiner unternehmungslustigen Söhne nach wie vor bestrebt ist, die Staatsweisheit des edlen Sir John Falstaff zu Ehren zu bringen, an die wir oben erinnerten. Hoffentlich winkt diesem löblichen Bemühen derselbe politische und diplomatische Lohn wie im Jahre 1871. Den moralischen Lorbeer mag Sir Cecil Rhodes getrost schon heute um sein« hohe Räuber stirne winden; Mr. Chamberlain dürfte nicht» dagegen haben, wenn er auch bei dem Gedenken an den so plötzlich vom Tbemsestrand nach Afrika verdufteten Premierminister a. D. der Capcolonie schwermüthig vor sich hinmurmeln wird: „Ich wollte, Du und ick, wir wüßten, wo ein Borrath von guten Namen zu kaufen wäre." Or. -h>. L. *) H-ffter, Völkerrecht, 8 148. **) Das Zeitalter des Kaiser» Wilhelm, II, S. 858. Deutsches Reich. 42. Berlin» 7. Mai. So ziemlich alle Fragen de» brauch baren Hexameters yuis? quick? udi? rc. könnte man aus Anlaß der an dir preußischen Beamten puncto „Agitation gegen die Durchführung der Regierung-Politik" gerichteten Verwarnung aufwerfen. Aber es empfiehlt sich nicht, denn man riskirt die Entgegnung: Ein Narr kann mebr fragen, als neun preußische Minister beantworten können. Neuerdings ist nichts vorgekommen oder doch bekannt geworden, wa» den Beschluß desMinisteriumsmotiviren könnte. BerlinerBlättermeinenübri gens, die Ordre sei gar nicht ausführbar, da die Regierung-Politik sich beständig in der krummen Linie bewege und ein Beamter, der sich loyal zu Bette lege, leicht als Öppositioneller auf wachen könne. Um die politische Ueberzeugung bandelt eS sich aber bei dieser Mahnung nicht, sondern um Agitationen, und auf solche sollten die Beamten, will sagen die Vermal- tungßbeamten im engeren Sinne, allerdings verzichten. Diese Enthaltsamkeit ist in Preußen seit dem Jahre 1890 nickst mehr Mode. Warum sie aber gerade seht ein geschärft wird, ist freilich nicht ersichtlich. Wenn die Regierung die oft geradezu excessiv gewesene Agitation für den Antrag Kanitz und gegen die Hande lsvert räge im Auge haben sollte, so müßte sie sich sagen lassen, daß sie den Brunnen zugedeckl bat, nachdem das Kind hineingesallen war. Doch nein, es ist schon zum dritten Male seit dem gedachten Jahre, daß die Beamten gewarnt werden, die Negierungspolitik zu bekämpfen. Und das ist wohl das Schlimmste an der Sache. Wenn Polizei verordnungen immer wieder in Erinnerung gebracht werden müssen, so hat dies nichts zu sagen; wenn aber die Regierung die Erneuerung von Verboten bekannt giebt, so ist das sehr bedenklich, falls Grund zu der Warnung vorhanden ist, und wenigstens nicht nützlich, falls sie nicht dringend nöthig war. Q. Berlin, 7. Mai. Ein ständiger oder, wie der Arzt sagen würde, konstitutioneller Gegensatz innerhalb der Socialdemokratie ist der zwischen der politischen Partei und den entschiedenen Vertretern des Gewerk schaftswesens. Er tritt, da es bisher gelungen ist, das Gewerkschaftswesrn niederzuhalten, weniger hervor, alS z. B. die häufig wiederkehrenven Differenzen mit der starken Vollmar'schen Richtung, aber er gehl tiefer, weil er nicht nur mit der Tactik zusammenhängt, sondern den Charakter der Socialvemokratie als rein politische Partei uns damit die Alleinherrschaft der Parteileitung bedroht. Auch auf dem z. Z. in Berlin tagenden zweiten Congreß der (social demokratischen) Gewerkschaften Deutschlands macht sich dieser Gegensatz stark bemerkbar, obwohl und vielleicht weil man sich ersichtliche Mühe giebt, conciliante Formen zu beobachten und einen Zank zu ver meiden, wie er auf dem Kölner Parteitage zwischen Auer und dem an der Spitze der Generalcommission der Gewerkschaften stehenden Herrn Legien ausgebrochen war. Den Freunden der Parteileitung auf dem Congreß wird die Höflichkeit erleichtert durch die derzeitige Schwäche der General- Commission, di« dieser auf dem ersten (Halberstädter) Congreß ringennpft worden ist, und Herrn Legien ist Zurückhaltung dadurch auferlegt worden, daß man ihn in die Reichstags- fraction und damit scheinbar in die Parteileitung ausgenommen hat. Aber die verkältnißmäßig diplomatische Sprache, zu der man sich zwingt, kann über den bestehenden Zwiespalt nicht hinwegtäuschen. Die Generalcommission will „hienieden" etwa- Erkleckliches im Arbeiter-Interesse leisten, die Parteileitung sieht in jedem Arbeiter nur ein Partikelchen der Leiter, auf der sie eine gewisse Höhe der Macht erklommen hat und weiter zu klettern gedenkt. Die Parteileitung hat deshalb ein Interesse daran, die Gewerkvereine, die al» solche zu wirken ent schlossen sind, zu beeinträchtigen, und diejenigen zu fördern, die im Gegensatz zur Generalcommission die fachgenossen- schaftliche Thätigkeit gleichfalls als eine lediglich politisch agitatorische aufsasien. Der größere Erfolg ist gegenwärtig ohne Zweifel auf der Seite der politischen Partei. Die Tabakarbeiter sind im Begriff, sich von der General commission loszusagen, die Handschuhmacher und die Schuhmacher planen da» Gleiche und von dem Metall arbeiter-Verband, der sich neuerdings besonders in der Be kämpfung der Unterstützung von Arbeitslosen hervorgetban hat, ist auf dem Berliner Congreß dir Aufhebung der General commission beantragt worden. Dahin ist eS jedoch nicht ge kommen. Der Congreß hat sich principiell mit „einer zu sammenhängenden Vertretung sämmtlicher Gewerkschaften" einverstanden erklärt und eine Commission niedergesetzt, die aus „sämmtlicken Anträgen" ein Statut für die Organisation der Generalcommission auSarbeitcn soll. Die Zusammen setzung der Commission ist nicht derart, daß sie dem Wunsche der Generalcommission nach Erweiterung ibrer aufs Engste be grenzten Vollmachten Erfüllung verhieße. Immerhin finden sich unter den Gewählten auch Vertreter des Gedankens einer ernsten genossenschaftlichen Thätigkeit, die von einem Mün chener Delegieren wie folgt befürworte! worden ist: ,,. . cs ist nothwendig, daß die deutschen Gewerkschaften eine Spitze haben, die den Bestrebungen entgegentreten muß, die die Ge wirtschaften zum Hausknecht der politischen Partei machen wollen. Wir muffen beute klar werden: wollen wir nur die politische Seite bervorheben, dann brauchen wir keine Generalcommission; ich meine aber, die Hauptsache muß sür uns sein, innerhalb der heurigen Gesellschaftsordnung bessere wirtbschafrliche Lebensbedingungen zu erhallen." Mit diesen Worten ist die Art, wie die Parteileitung das Berdältuiß zu den Fachgenossenschaflen auffaßt, richtig gekennzeichnet. Da dieses in der Hauptsache auch thatsächlicb so liegt und das Wirthschaftliche in den Gewerkschaften der Partei in abseh barer Zeit nicht gegen da» Socialdemokratische anfkommcn wird, so würde vielleicht der Parteileitung etwas Abbruch, namentlich finanzieller Natur gethan, die socialdemokratische Bewegung an sich aber nickt beeinträchtigt werden, wenn mau ihren Gewerkschaften ausgedehnte Rechte verliehe. * Berlin, 7. Mai. Wegen Ber ä ck t lick in achung von StaatSeinrichtungen durch Behauptung erdichteter und entstellter Thatsachen wurde gestern der verantwortliche Redacleur der hier erscheinenden polnischen Arbeiterzeitung „Gazeta Robotnicza", Johann Pichocki, vor der 3. Straf kammer des Landgerichts I zur Verantwortung gezogen. In ihrer Nummer vom 14. März brockte die genannte Zeitung einen Artikel „Preußischer Katechismus, an den Jeder, der nicht ins Gesängniß kommen will, glauben muß". In dem Artikel war in der Form von Frage und Antwort eine „Satire" auf den Militairstaat gegeben, und es wurden Seitenbicbe gegen das von den Polen gehaßte Preußen ausgetbeilt. So hieß es u. A.: Wozu schufGott den Menschen? Antwort: UmSoldatzuwerdcn und da» Repetirgewebr zu tragen! — Frage: Woraus besteht der Mensch? — Antwort: Aus Leib und Montur. — Frage: Wozu gab Gott dem Meuscken den Leib? — Antwort: Damit er ihn zum Ziel für Gewehr- und Kanonenschüsse hergcbe. — In dem gleichen Frage- und Antwortspiel wurden weiter als „preußische Glaubenssätze" bingestellt: „daß der Herrgott die Erde für die Preußen geschaffen babe", „daß die Sonne nur leuchte, damit die Soldaten beim Schießen besser sehen können", „daß Fürst Bismarck auf die Erde gekommen ist, um die Preußen auS der Bedrückung durch die Pole» zu erretten", „daß Jeder bestraft werden muß, welcher singt, daß Polen noch nicht verloren sei" rc. Der Angeklagte wies darauf hin, daß der Artikel aus einem amerikanischen Wockenblatte abgedruckt und von ibm lediglich als ein Scherz aufgefaßt worden sei. Der Staatsanwalt hielt dir Tbatbestandsmerkmale des 8 131 für gegeben, da der Artikel erdichtete Tbatsachen ansstelle, welche geeignet seien, das Heer als Slaalseinrichtung verächtlich zu macken. DerjStaatSanwalt beantragte vier Monate Gesängniß. Rechts anwalt Herzfeld bestritt, daß hier überhaupt von „Tbatsachen" die Rede sein könne und beantragte daher die Freisprechung. Der Gerichtshof schloß sich l er Auffassung des Vertbeidigers dahin an, daß es sich bei dem Artikel nicht um Tbatsachen, sondern um einen mehr oder weniger schlechten Witz handele, und sprach deshalb den Angeklagten frei. Berlin, 7. Mai. (Privattelegram m.) Beim Kaiser fand gestern Abend im Neuen Palais anläßlich des Geburtstages de» Kronprinzen ein kleineres Diner statt. Heute früh hört« der Kaiser den Vortrag des Kriegsministers und Feurllrtsn. Julius Sturm. Am 2. Mai ist, wie schon berichtet, der Dichter Julius Sturm hier in Leipzig gestorben. Fremd ist ihm unsere Pleißenstadt, wo ihn der Tod ereilte, nicht gewesen. Denn an Leipzig knüpften ibn die für jeden Schriftsteller wichtigsten Beziehungen, diejenigen zu seinem Verleger. Seine meisten und erfolgreichsten Gedichtsammlungen sind hier im Verlage von F. A. BrockhauS erschienen. Der Lebenslauf von Julius Sturm bietet keine über raschenden Ereignisse, Wendungen und Wandlungen; er ver läuft in der Idylle des deutschen Pfarrhauses. Uno anf den gleichen Ton wie sein Leben ist auch sein Dichten ge stimmt. Geboren am 21. Juli 1816 zu Köstritz im Fürstentbum Neuß, bat er dort auch später die letzten Jahr ¬ zehnte seine- 8ed«nS zugedracht. Im Jahre 1829 besuchte er, nachdem er bi» dahin die Erziehung feine» Vaters, eines vielaebildetrn Manne-, genossen, da- Gymnasium zu Gera, studirte von 1837 bis 1841 in Jena und nahm bann rineHau»- lehrerstelle in Heilbronn an; hier im Beriich d«r schwäbischen Dichtrrschule fand er Wohl die ersten Anregungen zu eigener dichterischer Thätigkeit; er machte die Bekanntschaft von Justinu» Kernrr, und dieser originelle Po«t von jovialer Naturanlage und mystischer OeisteSrichtung hat jeden- sall» auf ihn wie auf Alle, mit denen er in Be ziehung trat, einen starken und bleibenden Eindruck gemacht. Auch mit Nikolaus Lena» wurde er bekannt, der damals auf der Höhe seine» Ruhme» stand, in dessen glanzvolle Dichter laufbahn aber bald die Schatten deS Wahnsinn» herein dunkelten. Bon Heilbronn begab er sich nach Friesen in Sachsen, wo er ebenfalls eine HauSlebrerstelle bekleidete, bis er zum Er zieher de» Erbprinzen von Neuß jüngerer Linie ernannt wurde und theil» in Schleiz, tbeil- in Meiningen sechs Jahr« lang verweilte. Sein Erzieh«rberuf führte ihn in Hofkreise, verschaffte ihm einen Einblick in mancherlei gesellschaftliche Kreise und einen freieren geistigen Horizont, als seine früheren Hauslehrerstellen. Im Jahre 1851 wurde er dann j Pfarrer in Göschitz bei Schleiz, und 1858 übernahm er daS Pfarramt in feinem Geburtsort Köstritz. Schon 1850 batte er Gedichte veröffentlicht, doch dichte rischen Ruf gewann er erst durch seine „Frommen Lieder" (1852, 12. Auflage 1893); er ließ dem ersten Theil 1858 einen zweiten und 1892 einen dritten folgen. Hier sind bereits alle Grundröne seiner religiösen Lyrik angeschlagen, die er auch in zahlreichen späteren Sammlungen al« der würdigste Ge nosse des Stuttgarter Karl Gerok vertrat. Wenngleich aus kirchlichem Boden stehend, ist er doch frei von engherziger Strenggläubigkeit, von jedem Fanatismus, der Anders gläubige verurth«ilt. Dagegen erklärt er sich in einem schönen Sonett zwar nicht gerade gegen die Asketen, doch er bekennt, daß er srlbst nicht in der Freud losigkeit, nicht in der Entsagung ein Lebensziel suche: Nicht tadl' ich euch, ihr düsteren Asketen, Die ihr drn Frieden suchet im Entsagen Und gern euch übt im Dulden und Ertragen, Und eure Zeit umbringet mit Gebeten. Ich mag ja auch die Straße nicht betreten. Auf der die Thoren wallen, ringen, wagen Und, um rin Schattenbild sich zu erjagen, Von Neid getrieben, rastlos sich befehden. Doch thrilen kann ich auch nicht eure Loose, Da ich mich gern im Strom der Freude b'dr Und gern dem Glücke ruhen mag im Schooße. Drum wandt' ich singend stille Lebenspfade Und lausch' der Nachtigall und pflück' die Rose Und prrisr fröhlich meines Gotte« Gnad«. Doch wenn «r drn Askrtrn gegenüber nur seine ab weichende Gesinnung und religiöse Anschauung hcrvcrhebt, so richtet er gegen die Heuchler «ine energisch« Philippika: In Mönchrrei und Muckrrel Hucht' ich nie meinen Rudi» Und nie hing ich der Heuchelei Beliebten Mantel um. Hab' nie ein fein studirt Gesicht Dem Markt zur Schau gestellt, Mit eiteln Heuchelworten nicht Geflunkert vor der Welt. viele Gedichte, in denen der religiöse Entwicklungsgang des Dichters poetisch dargestellt wirb; andere, in denen er sich polemisch gegen viele Tendenzen der Zeit wendet. In dem Gedichte „Dem Herrn mein Lied" (l884) tritt mebr die Reflexion hervor; manches persönliche Erlebniß auf religiösem Gebiet ist ansprechend geschildert; einzelne Gedickte, wie „Starre Felsen, lichte Auen", haben schöne, volltönende Strophen wie: Starre Felsen, lichte Auen, Will mit Thronen ich bethauen, Meinen Kummer euch vertrauen, Helfet mir dos Leid beklagen, Das ich muß seit langen Tagen In der Brust verborgen tragen. Ach, ich kann es selbst nicht fassen. Daß ich meinen Herrn verlassen, Den ich sah am Kreuz erblassen. Nein, o nein! Noch nicht erkaltet Ist mein Herz, und Liebe wallet. Die mir'« wieder neugestaltel. Dieser tiefempfundene Bußpsalm ist in VerSmaß und mit dem Reimfalle des ckies irae, ckies ill» gedichtet. Andere religiöse Gedichtsammlungen sind: „Ick bau' auf Gott" (1883) und „Palme und Krone" (1888). In den religiösen Er güssen aller dieser Gedichtsammlungen zeigt sich Wärme und Anmuth der Empfindung und die Glätte melodischer Form; in ibrer Schlichtheit, Knappbeit und Innigkeit erinnern sie bisweil«n an Aquarellbilker, blsweilen auch im freiergegossenen Schwung an die religiösen Harmonien Lamartine'S. Dock Julius Sturm ist nickt bloS religiöser, er ist auch profaner Dichter, wobei allerdings nicht irgend «in Gegensatz ausgesprochen kein soll in Bezug auf Grundstimmung und Gesanimtdeleucktung, da doch alle Gedichte gleichmäßig das Gepräge der einen Persönlichkeit tragen und von allen das gilt, was der Dichter selbst einmal sagt: Ta» ist der Lieder bestes, DaS aus dem Herzen dringt. Wir möchten sogar anf Sturm'« andere Gedickte mindestens den gleichen Nachdruck legen. Di« religiös« Dichtung, in des Wortes enger Bedeutung, bat immer erbaulichen Charakter , und erbauliche Zwecke; eS ist gleichsam eine Sonntag-poest« Der eig'nen Würde mir bewußt, Gilt gleich mir Ruhm und Svoti; Denn in den Tiefen meiner Brust Wohnt der lebend'ge Gott. Und werth gilt mir nur seine Gunst Und nicht der Welt Geschrei; Nur ihm verdank' ich meine Kunst, Und meine Kunst ist frei. Ich bin die Harfe, die erbebt. Wenn er sie tönen heißt, Und >va« in meinem Liede lebt, Ist Geist von seinem Geist. Der Sonntag ist ihm ein Tag humaner Weltverbrüderung: Du rufst, du nahst, die Schranken fallen. Ein heil'ger Geist weht in un» allen, Kein Bruder steht dem andern fern, Und wa» di« Woche hielt geschieden, DaS einigt sich in deinem Frieden Und dienet liebend einem Herrn. Inniges Gottvertraurn kommt in den Gedichten „Sorge nickt", „Wohnt Gott in mir, so bin ich stark" und vielen anderen zum Ausdruck; seine Frömmigkeit, mag sie auch oft an die Bibel sich anlebnen, biblische Sprüche nackdickten und umschreiben, bleibt immer frisch und gesund und hält sich frei von jeder Süßlichkeit, von allem Augenverdreben. Der Dichter schöpft auS einem sehr reichen Born reli giösen GefühlS; darum ist er so uner chöpflich an frommen Liedern, wie etwa Rückert an Weisheit» prüchen. Die Lieder dichtung begleitet ihn durch» ganze Leben und kommt in immer neuen Gedichtsammlungen zur Sprache. Es ist begreif lich, daß bei diesem verschwenderischen Ausstreuen poenscber Gaben manche Wiederholung, auch manck-eS Matte mit unterläuft; zu bewundern bleibt e» immerhin, daß in jeder Sammlung bi» in di« spätesten Lebensjahre sich noch immer religiöse Lieder von glüalichem Wurf finden und daß in sebr vielen der Ausdruck religiöser Empfindung nicht verblaßt ist. Wir erwähnen di» „Israelitischen Lieder" (1861), die an Lord Byron s llodre« Melockies erinnern, nur daß sie mehr als diese sich an dir Bibel anlebnen und auch kurzatbniiger sind, „Von der ^Pilgerfahrt" (1868), „Gott grüße Dich" (1876). In der Sammlnng „Aufwärts" (1884) finden sick ¬ polemisch gea< Gedichte „Dem Herrn mein Lied" Reflexion hervor; manches persönliche Starre Felsen, lichte Auen", haben schöne, volltönende
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