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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.06.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960603013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896060301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896060301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-03
- Monat1896-06
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Die Morgea-AuSgabe erscheint nm '/,7 Uhr. di« Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaction und Lrpe-Mo«: Johannes,affe 8. DieExpeoition fft Wochentags nnnnterbrochea geöffnet von früh 8 bis Abend« 7 Uhr. Filialen: vtto Klemm's Sortim. (Alfred Hahn). Universitätsstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche. Kathartnenstr. 14, part. und Königsplatz 7. Bezugs-Preis Dt der Hauptexpedition oder den im Stadt» beeilt und den Vororten errichteten Aus. gavestrllen abgeholt: vierteljährlich^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: viertel,aki^ch 6.—. Directe tägliche Kreuzbandlendung in« Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. KWigcr Tageblalt Anzeiger. MtMatt des S-mglichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nokizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen'Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Nrclamrn unter dem RrdactionSstrich (4ge- spalten) 50/H, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40/H. 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In einer der Specialconferenzen, die während deS Tagens des VN. evangelisch-socialen CongresseS in Stutt gart stattfand, sprach Frau Geheimrath Lippmann aus Berlin über die Thätigkeit der Frau im Gemeinde dienst und stellte folgende Thesen auf: 1) Man muß die vielen Kräfte des weiblichen Geschlechtes im Communaldienste verwenden. 2) Auf die Posten der Armen vorsteher und Waisenpfleger müssen Frauen gestellt werden. 3) Die Frauen müssen Mitglieder der Schulcommissi onen werden. 4) Die Frauen eignen sich zu Mitgliedern der Siitlichkeits- und Gefängnißvereine. 5) Den Frauen muß die Fürsorge für die weiblichen Irren der Gemeinde übertragen werden. 6) Auch die Pflege der unterstützungsbedürftigen Siechen muß von Frauen überwacht werden. 7) In allen Krankenhäusern müßte dem leitenden Arzte eine Dame zur Seite stehen, um die Verwaltung, Ordnung und Sitte zu überwachen. Sämmtliche Redner, die das Wort ergriffen, stimmten den Ausführungen der Referentin bei und die Bersammlung beschloß einstimmig folgende Erklärung: „Die Versammelten erklären sich mit den Ausführungen der Referentin einverstanden und befürworten die berufliche Verwendung der Frau im communalen Dienst nach einer entsprechenden beruflichen Vorbildung, in der Zuversicht, daß durch diese Verwendung der Frau brachliegende weibliche Kräfte nützlich verwendet und das Wohl der Gemeinde gefördert würde." In Weiteren Kreisen wird besonders die Heranziehung der Frauenthätigkeit zur Armenpflege im Interesse dieser Pflege befürwortet werden. Der systematische Ausbau der communalen und privaten Armenpflege nach gesunden social politischen Grundsätzen gehört zu den erfreulichsten Zeichen der Zeit. Bahnbrechend für die Umgestaltung des modernen Armenwesens war das Aufkommen des Elberfelder Armen pflege - Systems. Das mit ihm verbundene Eindringen ehrenamtlicher Helfer in das bis dahin rein büreaukratisch geleitete Armenwesen hatte eine zweckmäßige Ausgestaltung auch der Privatwohlthätigkeit und Gemeinnützigkeit und eine organische Verbindung der freien VereinSthätigkeit mit der communalen Armenpflege zur Folge. Es wurden Ver bände der gemeinnützigen Vereine mit der Armenbehörde gegründet, AuskunstSstellen für Armenpflege und Woblthätig- keit im Armenamte geschaffen, Aufgaben, welche, wie z. B. die Errichtung von Arbeitsstätten und Arbeitsnachweisen, von Einzelnen nicht erfüllt werden konnten, von der Gesammtheit in die Hand genommen u. s. w. Zu diesem organischen Ausbau von Armenpflege und Wohllhätigkeit gehört nun auch die Eingliederung der gemeinnützigen Frauenthätigkeit. Es ist dies um so mehr eine Frage der Zeit, als so viele gegenwärtig brach liegende Kräfte in der Frauenwelt immer ungestümer nach Bethätigung im öffentlichen Leben drängen. Die Mitwirkung der Frauen bei der Armenpflege ist in Elberfeld selbst im Jahre 1880 organisirt worden. Es hat sich daselbst ein Verein von Frauen und Jungfrauen aller Stände und Confessionen mit dem Zweck gebildet, sich helfend und ergänzend in den Dienst der öffentlichen Armenpflege zu stellen. Derselbe zählt gegenwärtig über 1200 Vereinsmitglieder und Vereinsfreunde und verfügt über eine IahreSeinnahme von weit über 20 000 Entsprechend den 34 Armenbezirken der Stadt hat er sich in 34 einzelne Gruppen von Helferinnen mit ebenso vielen Bezirksvorsteherinnen und Stellvertreterinnen getheilt. Der Frauenverein wirkt aber auf die Geschäfte der städtischen Armenpflege selbst nicht ein, er will nur in den jenigen Fällen außergewöhnlicher und dringender Hilfsbedürftig keit, in welchen die städtische Armenverwaltung nach den Be stimmungen der Armenordnung und der Geschäftsordnung für die Bezirksvorsteher und Armenpfleger nicht einsckreiten kann, nach dem Maße seiner Mittel Hilfe gewähren; insbesondere stellt er sich die Aufgabe, durch zweckentsprechende Einrichtungen der Verarmung vorzubeugen und aus der Verarmung heraus zu eigener Erwerbung des Unterhalts und zu bürgerlicher Selbstständigkeit zurückzuführen. Anders ist das Verhältniß der gemeinnützigen Frauenthätigkeit zur amtlichen Armenpflege in Cassel vor etwa 15 Jahren geordnet worden. Dort fft in jedem Armenbezirk neben den ehrenamtlichen Armenpflegern zu vollkommen gleichen Reckten mit denselben mindestens eine freiwillige Armenpflegerin angestellt, welche gemäß der Armen ordnung von der Armendirection auf Vorschlag der Bezirks armencommissionen gewählt wird. Gegenwärtig sind etwa 20 tbätig. Diese Pflegerinnen bilden eine Section des Vater ländischen Frauenvereins in Cassel. Die Vorsitzende dieser Section wird zu allen Sitzungen der Armendirection zu gezogen und führt in denselben eine berathende Stimme, zu gleich ist sie die Vermittlerin zwischen den Organen der städtischen Armenpflege und dem Vaterländischen Frauen verein. Zur Unterweisung der Armenpflegerinnen in den Grundzügen einer gesunden und zweckmäßigen Armenpflege werden jährlich besondere Sitzungen der Armenpflegerinnen- abtheilung des Vaterländischen Frauenvereins abgehalten, auch wird der „Helfer" für sie gehalten. In neuester Zeit nun — und zwar vom 1. Januar 1896 an — ist in BreSlau, nachdem daselbst seit 1. Januar 1894 die Armenpflege nach dem Elberfelder System reorganisirt ist, ein Breslauer Armenpflegerinnen-Verein ins Leben ge treten, der eine Betheiligung der Frauen an der städtischen Armenpflege ermöglichen soll. Der Verein besteht aus bei tragenden und thätigen Mitgliedern. Beitragendes Mitglied kann jeder werden, welcher einen Jahresbeitrag von mindestens 3 Mark zahlt. Thätiges Mitglied (ohne Verpflichtung zur Beitragszahlung) kann jede Breslauer Einwohnerin über 21 Jahre ohne Unterschied des Glaubens und Standes werden, welche für die Vereinszwecke zu wirken bereit ist und sich ver pflichtet, nach Bestimmung des Vorstandes einer Vereins gruppe beizutreten und nvtbigenfalls einige von der Stadt zu überweisende arme Familien oder Kostkinder als Pflegerin in besondere Obhut zu nehmen. Die BereinSgruppen, welche in Anlehnung an einen oder mehrere der 157 städtischen Armenbezirke gebildet werden, sollen mindestens 8 und höchstens 20 thätige Mitglieder des Armenpslegerinnen- Vereins zählen. Die Bestimmungen über ihre Thätigkeit, Sitzungen u. s. w. werden den für die städtischen Armen pfleger geltenden Bestimmungen nachgebildet. Die Armen- Direction hat einen Hauptvertreter jeder DereinSgruppe zuzuordnen, unter gewissen Verhältnissen haben auch ein zelne städtische Armencommissivnen das Recht, eines ihrer Mitglieder als Vertreter in die Gruppe zu entsenden. Bis Anfang März 1896 sind dem Verein insgesammt 872 Mitglieder, darunter 556 nur zahlende, 188 zahlende und thätige und 128 nur thätige Mitglieder mit insgesammt 3745 Jahresbeiträgen beigetreten. Aus den 316 thätigen Mitgliedern sind bis jetzt 22 BereinSgruppen von Armen pflegerinnen gebildet worden. Inzwischen hat aber die Zahl der Mitglieder und Beiträge weiter zugenommen, so daß in der am 13. März 1896 stattgefundenen außerordentlichen Generalversammlung deS Armenpflegerinnen - Vereins, in welcher zugleich ein belehrender Vortrag über die Invaliditäts und Altersversicherung der Waschfrauen, Näherinnen und Bedienungsfrauen gehalten wurde, die IahreSeinnahme deS Vereins bereits auf 5565 veranschlagt werden konnten. BemerkciiSwcrth an dieser Neugründung ist nun dasVer- hältniß des Vereins zur städtischen Armenpflege. Es nimmt in dieser Richtung ungefähr eine Mittelstellung zwischen dem schon erwähnten Casseler Verein, der ganz innerhalb, und dem Elberfelder Frauenverein, welcher ganz außerhalb der städtischen Armenpflege steht. In erster Linie soll auch der Breslauer Armenpflegerinnen-Verein wie derjenige in Elberfeld nur diejenigen hilfsbedürftigen Personen unter stützen, welche noch nicht der städtischen Armenpflege anbeimgefallen sind, — er soll also mehr vorbeugend thätig sein. Aber eS ist auch — und hierin liegt der Unterschied von dem Elberfelder Princip — in Aussicht genommen, daß die Armendirection in geeigneten Fällen zum Zwecke besonderer Aufsicht und Controle, auch nach haltiger Fürsorge a. städtische Kostkinder und b. städtische Almosengenossen weiblichen Geschlechts (alleinstehende oder Wittwen, die mit ihren Kindern unterstützt werden) unter das Patronat deS Vereins stellen kann. Insoweit über nehmen dann die betreffenden Mitglieder der Armen- oflegerinnen - BereinSgruppen auch die städtische Armen pflege, sie entlasten damit die städtischen Armenpfleger in der Fürsorge für kindliche und weibliche Arme. Da bekanntlich Wittwen ein großes Contingent zur städtischen Armenpflege 'teilen, bedeutet diese Einrichtung eine erhebliche Er leichterung der Arbeit der Armcnpflcger und eine intensive Heranziehung der gemeinnützigen Frauenthätigkeit zur städtischen Armenpflege. Da die Breslauer Armendirection mit dieser Einrichtung ein neues Gebiet betritt, so hat sie in dem zwischen ihr in dem Armenpflegerinnen-Verein geschlossenen Abkommen gewisse Vorbehalte gemacht. Die Ueberweisung städtischer Armen an die Bezirksgruppen des Frauenvereins ist in das Belieben der Armenverwaltung gestellt. Denjenigen Vereinsgruppen, welchen solche unterstützungsbedürftige Personen überwiesen sind, werden männliche Vertreter der Armenverwaltung beigegeben. Im Allgemeinen aber erscheint das von der Breslauer Armen verwaltung eingeführte Princip, für männliche Arme männ liche, für weibliche Arme und Kinder weibliche Pfleger, durch aus gesund. Möchte dem aussichtsreichen Versuche der Er folg nicht fehlen! Deutsches Reich. ^2. Berlin, 2. Juni. Der Vorstand des Deutschen Zuckerexport-Vereins hat sich an den Reichstag mit einer Petition gegen die Einführung des Waaren- Terminregisters gewendet, die, wenn man den vor nehmsten Einwand gegen das Register überhaupt gelten lassen will, als gut begründet bezeichnet werden muß. Wir allerdings glauben nickt, daß der solide Geschäftsmann, wenn sein Name im Register steht, sür einen Spieler gehalten und in seinem Credit geschädigt werden wird. Jeder, der mit Zuckerfabriken geschäftlich zu thun bat, weiß, daß diese unter Umständen Termingeschäfte behufs Rückdeckung, ab schließen müssen, und eS wird ihm nicht einsallen, den Credit zu entziehen oder zu schmälern, wenn er daS, was er weiß, ,m Register bestätigt sieht. Das Börsenregffter wird das Renommö der soliden Geschäftsleute, die auf Termingeschäfte hingewiesen sind, nicht schädigen, es wird aber freilich auch den Zweck, diejenigen Gewerbetreibenden zu bezeichnen, deren Spekulationsgeschäfte keine wirthschaftliche Berechtigung haben und tatsächlich Spiel sind, nicht erreichen. Diese Geschäfts leute werden sich, weil ihr Credit wirklich Schaden leiden könnte, einfach nicht eintragen lassen und doch spcculiren. Nimmt man dies an, so hat man allerdings so wenig Grund, das Register zu wünschen, wie der Zuckerexport-Verein, der im Gegentheil glaubt, es werde die soliden Geschäftsleute gcniren. Nachdem die Eintragung nicht einmal einen sicheren Schutz gegen reu Spieleinwand gewährt, so ist das Register so gut wie ganz werthlos geworden und es besteht deshalb kein Grund, Bedenken gegen dasselbe, auch wenn man sie nicht theilt, nicht Rechnung zu tragen. Der Reichstag würde unseres Erachtend wohl daran thun, dieses Schaugericht aus dem Gesetze zu entfernen. Berlin, 2. Juni. Nock ehe sie den ganzen Verhand- lungsbcricht und die Beschlüsse gekannt, haben Ultra - montane und Conservative die zu Pfingsten in Ham burg abgehaltene deutsche Lehrerversammlung „ver dammen" zu müssen geglaubt. Die „Kreuzztg." hat allerdings ihr erstes, vorschnell gefälltes Urtbeil erheblich gemildert, nachdem die Debatten und Beschlüsse des letzten VerhandlungStages die Verantwortung für einzelne Reden, die auch außerhalb der Kreise deS Ultramontanismuö und der starren Orthodoxie wenig Bei fall finden können, von dem Lehrertag abgewälzt hatten. Es ist fast unvermeidlich, daß in einer Versammlung von nahezu 8000 Personen sich Auffassungen das Wort verschaffen, die der großen Mehrheit der Theilnehmer völlig fremd sind. Die Meinung der Mehrheit kam in den Resoiutionen zum Aus druck, und diese sind in vem principiell wichtigsten Puncte sehr maßvoll. Es war beantragt worden, zu erklären, die Hauptaufgabe des Religionsunterrichts sei, „unter min derer Betonung deS Dogmatischen in die sitt lichen Grundsätze einzuführen, von denen die Gesammtheit in ihrem Zusammenleben geleitet werden soll". Statt deffen hat die Versammlung gefordert, „daß der Religionsunterricht es mehr als bisher als seine Hauptaufgabe betrachtet, in die sittlich religiösen Grundsätze einzusühren, von denen u. s. w." An Stelle der negativ religiösen ist mithin eine positiv religiös-sittliche Forderung getreten. Ein solcher Beschluß verliert nicht, sondern gewinnt an Werth, wenn ihm eine rabiat-darwinistische Rede mit großen Worten gegen den „verrosteten Dogmenglauben" vorhergegangen ist, eben jene Rede, aus der die „Köln. Volksztg." und der „Reicksbote" den Strick für die ganze Lehrerversammlung drehen möchten, obwohl der Redner gar kein Volksschullehrer gewesen ist. V. Berlin, 2. Juni. (Telegramm.) Der Kaiser unternahm gestern Nachmittag mit der Kaiserin und den fünf ältesten Prinzen eine Spazierfahrt im Landaulet nach dem Bayerischen Häuschen, wo der Thee eingenommen wurde. Die Rückkehr nach dem Neuen Palais erfolgte gegen 8 Uhr Abends. Heute früh machte der Kaiser bereits um 6^ Uhr einen Spazierritt in die Umgegend von Potsdam, verabschiedete sich nach der Rückkehr im Neuen Palais von den beiden ältesten Prinzen, welche um 8 Uhr mit ihrer Begleitung die Rückreise nach Ploen antraten, und arbeitete sodann mit dem Chef des Militair-Cabinets. Mit dem fahrplanmäßigen Zuge um l0 Uh« 10 Min. fuhr der Kaiser von der Wildparkstation nach Berkm und begab sich vom hiesigen Potsdamer Bahn hofe nach dem Opernhause, um der Generalprobe des unter Leitung des Capellmeistcrs Or. Muck demnächst in Moskau beim deutschen Botschafter Fürsten Radolin concertirenden Philharmonischen Orchesters beizuwohnen, welches in dieser Generalprobe das dort zur Ausführung gelangende Programm deS Kaisers vortrug. Nach dieser Musikauffübrung begab sich der Monarch mit dem fahrplanmäßigen Zuge um 1 Uhr lO Minuten wieder nach dem Neuen Palais zurück und nahm während der Rückfahrt im Zuge den Vortrag des Handelsministers Frhrn. v. Berlepsch entgegen. Berlin, 2. Juni. (Telegramm.) Die „Nordd. Allgem. Ztg." veröffentlicht auszugsweise einen Artikel der Svnntagsnummer der „Schles. Ztg", betitelt: „Ter ikartcll- gcdanle". Das Blatt bemerkt dazu, der Artikel erörtere die von der „Nordd. Allgem. Ztg." neuerdings wieder angeregte Frage des Zusammenschlusses der Ordnungspartcien gegen die Socialdemokratie auf einer breiten Grundlage. Wenn die „Schles. Ztg." aber anzunebmen scheine, daß es sich um das Cartell, wie es früher bestanden habe, handele, ,so möchte die „Nordd. Allgem. Ztg." wiederholen, daß daran nicht zu denken sei, daß vielmehr alle auf dem Boden der bestehenden Rechtsordnung stehenden Parteien gegen die Socia lde ni o kralie fick) zusammeiffinden sollten, ohne etwas von ihrem Programm aufzugeben, oder Ver pflichtungen auf bestimmte Fragen zu übernehmen. Die Socialdemokratie strebe nach der Eroberung einer parla mentarischen Macht, wodurch sie hoffe, auch die politische Macht in die Hand zu bekommen. Die Thätigkeit der Social demokratie ip den letzten Monaten sei die Vorbereitung für die Reichs tagswab len. Hierin liege die Mabnung für die staatserhaltenden Parteien, sich rechtzeitig für die kommenden Ereignisse vorzubereiten, indem sie sich zur Be kämpfung der gemeinsamen socialistisch-revolutionairen Gefahr zusammenschließen. Die Aussicht aus den Erfolg sei um so größer, je zeitiger damit begonnen werde und je größer die Zabl der in dem staatserhaltenden Streben sich zusammen findenden Parteien sei. — Ter zu Anfang des JabreS 1894 begründete Verband der Verwaltungsbeamten der Ortskrankencassen und Be- rufsgenosfenschaftsbeamten Deutschlands (Sitz Berlin), der zur Zeit weit über 1000 Mitglieder zählt und während seines 2V« jährigen Bestehens erfolgreich an seiner Hauptaufgabe, Sicherung der Stellung und Zukunft seiner Mitglieder, gearbeitet hat, wird seinen diesjährigen Verbandstag am 16. und 17. August in Köln abbalten. Im Vordergründe der Berathungen werden diesmal wirthschaftliche Fragen stehen, namentlich die Unterstützung der Mit- Die Katastrophe in Moskau. Bon dem grauenvollen Unglück, welches auf die KrönungS- feiern deS russischen Kaiserpaares einen so düsteren Schatten geworfen, enthält die „N. Fr. Presse" aus der Feder mehrerer Augenzeugen eine erschütternde Schilderung, datirt vom 30. Mai, der wir Folgendes entnehmen: Ich hatte mich früh mit meinem Manne eingestellt. Wir hatten die Sehnsucht, auch einen KrönungSbechcr als An denken zu erhalten. DaS Gedränge war sehr groß. Man glaubt, e« seien drei Viertelmillionen Menschen dagewesen. Gestern Abend noch kam eine Masse Arbeiter an« den benachbarten Fabriken. Die Fabrikanten hatten ihnen Extrazüge gestellt, und so sollen 200 000 gekommen sein. Vor denen haben wir in Moskau Furcht, Sie sind roh, und selbst die Bauern wollen nichts mit ihnen zu thun hahen. Darüber sprachen wir in Erwartung der Vertheilung. ES war so nach 4 Uhr und auch darüber, als so viele Leute auf dem Felde übernachteten. Plötzlich fühlte ich, daß das Gedränge doch zu groß werde. Es schien immer ärger um uns zu werden, man konnte sich nickt mehr bewegen. „Mir wird schlecht!" rief ich ganz ängstlich. Ich sah, daß ich nicht mehr einen Schritt machen konnte. „Laßt meine Frau zurück!" ruft mein Mann. „Ach was" — antworteten die Leute (ich glaube, eS waren die, vor denen wir uns fürchten) — „sie soll n^r zu Grunde gehen! Wenn sie herkam, ko soll sie das auch aushalten." Ich sah und hörte nichts mehr und fiel in Ohnmacht. Mein Mann begann wie verrückt um sich zu stoßen und zu dränaen. Man hob mich in die Lüfte. Ich gewann mein Bewußtsein wieder und fühlte nun, wie man mich Händen zuwarf, die sich hinter uns erhoben batten. So kam ich in die Richtung, wo das Gedränge endlich kleiner war. Man hat mich wie einen Ball mehrmals in die Luft geworfen. So ist eS vielen Anderen auch ergangen. Alle Ohnmächtigen suchte man so zu retten, ebenso die Kinder. Ich sah viele hinaufhebcn und über die Schultern und Köpfe der Er wachsenen wegkriechen. Mein Mann war an- dem Knäuel nicht herausgekommen. Ich hatte Todesangst um ihn, um so mebr, als ich fand, daß daS Drängen immer größer werde. Die Leute hatten geglaubt, die Vertheilung beginne um 8 Uhr. Sie wollten die Ersten fein und die Vertheilung früher er zwingen. Es war ein fortwährendes Rusen und Schreien. Plötzlich schien die Vertheilung zu beginnen. Die Leute stießen wie wahnsinnige, wie wild gewordene Thiere vor. Die ArtelschikS in den Buden waren förmlich eingekeilt. Sie warfen im Glauben, daß daS Gewühl bierdurck kleiner werde, die Geschenkpäckchen in die Menge. Jetzt bückten sich die Leute und fielen, Andere stürzten in Brunnen und Gruben. E« war entsetzlich. Ein Geschrei und Geheul, wie ich eS nie gehört — ein Ruf von so vielen Tausenden: Xaraoul! Xunwul! Laraouil (Hilfe! Hilfe! Hilfe!) Die Hilfe kam aber nicht. E- gab schon sehr viele Todte. Die Leute umstellten sie und ließen, soweit eS anging, ihnen nichts geschehen, sie nicht berühren und nicht auf sie treten. So ist mein Mann gerettet worden. Er legte sich auf einen Tobten und fand dann eine Lücke, durch die er davonkommen konnte. DaS Werfen der Päckchen dauerte noch fort, aber nicht mehr von den ArtelschikS; eS waren Leute aus dem Volke in die Buden gedrungen und warfen die Sachen hinaus. Die Hinten- stehenden wußten vielleicht nicht, wa- sie machten; sie drängten immer noch wie wahnsinnig vor Ohnmächtigen, die bald Todte sein sollten, fielen die Geschenkpäckchen auf den Kopf. Manche Leute in der Nähe kamen dadurch zu vier und fünf Bechern. Polizei war nicht zu sehen. Eine Kosakenwache kam aus der Höbe herbei, vier Mann. WaS konnten sie gegen drei Diertelmillionen? Sie waren selbst in Gefahr. Da« große Unglück schien aber die Leute doch zur Einsicht zu bringen. Es gab schon Leute, welche die Menschen zur Ruhe beschworen, leider zu spät. Alle diese schrecklichen Scenen von Geschrei, Lärm und einem entsetzlichen Hin- und Herstoßen hatte eine Stunde gedauert. Als die Gefahr am größten war und diese Tausende eine große Kugel geworden schienen, ging aus ihr ein Dampf und Dunst heraus, wie auS einem erhitzten Sa movar. Der Schweißgeruch wurde unerträglich; man roch ihn noch viele Stunden später. Um 6 Uhr kamen Wache und Militair. Es wurde volle Ordnung schnell geschaffen. Jetzt erst ging der Jammer los — das Weinen, Schluchzen und Wehklagen. Kinder suchten ihre Eltern, Eltern ihre Kinder, Männer ibre Frauen, Frauen ihre Männer. Zärtlich, drohend, ängstlich weinend riefen sie die Namen der Ihren. Einzelne erzählten, wie sie gerettet worden waren; Andere, wie Nachbarn von ihnen verunglückten, die auf ein Dach, auf daS Carroussel oder auf Wasserfässer gestiegen waren, die einbrachen. Wasser! Wasser! Wie ein Tropfen unS gelabt hätte! In der staubigen, stinkenden Luft klebte unsere Zunge am Gaumen. Die Leichen, die man im ärgsten Gedränge nicht mebr schonen konnte, wurden jetzt au« dem Gewühl gebracht. Die Aermsten gaben etwa- von ihrem Gelbe her, zwei oder vier Kopeken. Man bedeckte die Gesichter der Leichen mit diesem Gelde, das die Beerdigungskosten decken sollte. Jeder, der gab, machte daS Zeichen deS Kreuzes. Man war wieder bei Besinnung und Vernunft. Unter den Tobten waren reiche Frauen; eine batte Brillanten, eine ander« eine schöne Uhr. Die Leute, die so viel Opfer brachten, um Brod und Bier zu bekommen, rührten nicht« an. Der Russe ist gutmüthig, und eS fft nur ein Unglück, daß viele Leute sich so vergessen und dies Unheil geschaffen haben. Bei unserer späten Wanderung gelangten wir vor die 140 Häuschen oder Buden, welche die Geschenke bargen. Vor denselben sieht man ein Menschengewühl, daS von Kosaken bewacht wird; durch dasselbe dringt man mühsam zu dem Schauplatze deS Unglücks. Er macht im Augenblicke noch den Eindruck eines Schlachtfeldes. Todte und Verwundete sieht man allerdings nicht mehr, aber auf dem durchwühlten und zerstampften Boden liegen chaotisch Zöpfe, Stiefel, Schuhe auS Stroh, Bast und Saffian, zertretene Körbe sür Proviant, zerdrückte Blechflaschen, Fetzen von Kleidern, Strümpfen, rothen Tüchern und Schürzen, die dem Costüni der russischen Bauern Farbe geben, Fragmente von Stöcken und Schirmen. Theilweise sind diese Spuren deS Unglücks auf Haufen zusammengekehrt, theilweise liegen sie noch da, wie sie der Kampf hingeworfen, auS dein dürren, zertretenen Grase unheimlich herausragend. Leute, die aus der Stadt gekommen sind, stehen traurig und einsilbig vor diesen Spuren menschlicher Kleidung und Geräthschaften. Dichtere Ansammlungen siebt man vor einem kleinen Graben; er sollte zu einer Wasserleitung dienen. Die Bretter, die ihn deckten, wurden durch die Menschenhaufen, die darauf gc- riethen, zerdrückt. „Man holte eben 28 Todte heraus" — sagt man — „vielleicht liegen noch welche darin." ' Die Gefahr für die andrängenden Massen wurde auch angeblich durch einen artesischen Brunnen erhöht, ker- fest der letzten Ausstellung besteht. Der Deckel brach ein und hierdurch wurden viele Opfer gefordert. Nach einer Version entstand das erste Gewirr durch einen Streit einzelner Leute mit den ArtelschikS, die sie beschuldigten, bei der Ver- tbeilung nicht gerecht vorzugehen. Noch während ter Katastrophe stürmten die Leute die Buden mit den Bier fässern, zerschlugen dieselben und tranken das Bier aus Mützen, Hüten und Stiefeln. Die kleinen Häuser sind einfach aus Brettern zusammen- gcschalt. In ihrem Innern gleichen sie Verkaufsstätten, Läden für Brod. Hinter den Tischen für den Bier-AuSschank war der Platz für die vertheilenden Beamten. Einzelne von den Häuschen — etwa zwei, höchstens drei — sind zersprengt; die Latten stehen heraus, die Dächer sind ein- aedrückt. Der freie Raum zwischen ihnen ist nicht groß. Die Häuser sollten gleichzeitig wie ein Wall gegen den Andrang des Volkes dienen. Nun hatte man zwischen
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