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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.06.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960617020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896061702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896061702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-17
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Die Morgen-Au-gabr erscheint um '/,7 Uhr, dt« Abend-Ausgab« Wochentag» um ü Uhr. NeLartton und Lrprditiou: Johannes,affe 8. DteExpeottton ist Wochentag» ununterbrochen geMtt pog ftüh 8 bi» Ab«kd- 7 Uhr. ^ Filialen: vtt» Klemm'» Torttm. (Alfred Hahn), UuiversitätSstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Kathannenstr. 14, part. und König-Platz 7. Bezugs-Prel-S dl der Hauptexpedittou oder de» im Stadt- t«trk und den Vororte» errichtete» AuS« aaoestellen ab geholt: vierteljährlich ^l4.S0, bet twetmaliger täglicher Zustellung in» Han» ^l 5L0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertellährlich ^l 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandienduag in» Au»laud: monatlich 7.SÜ. Abend-Ausgabe. UchMr.TllMatt Anzeiger. NmisVlatt des Königliche« Land- und Nmlsgerichtes Leipzig, des Mathes und Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Mittwoch den 17. Juni 1896. Anzeigen-PreiS die S gespaltene Petitzelle SO Pfg, Reklamen unter dem RedactionSstrich (»ge spalten) bO^, vor den Familiennachrichte» (kgespaltrn) 40^. Srötzere Schriften laut unserem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Zisfrrnsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuvg SO.—, mit Postbrförderung 70.—. Ännahmeschlvß für Äozeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Marge n-An-gabe: Nachmittag» »Uhr. Bei den Filiale» und Annahmestelle» je ein» halb« Stund« früher. Anreisen sind stet» an die Expedition zu richte». Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig SV. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. Juni. Die bereits im Wortlaute mitgetheilte Interpellation des Centrums wegen der Jcsntten wird bereits heute im Reichstage als erster Gegenstand auf die Tagesordnung gesetzt und, wie die „Kreuzztg." hört, durch den Reichs kanzler selbst beantwortet werden. Da dieser gleich nachher seine Reise zur Kyffhäuserfeier antritt, so wird die SitzurH schon um 1 Uhr eröffnet werden. Das genannte Blatt glaubt auch bereits zu wissen, wie die Antwort lauten wird: ablehnend. „Das Centrum weiß ganz genau, daß die verbündeten Regierungen ihm in diesem Augenblicke weniger als je hinsichtlich der Jesuiten Concessione» machen können. Die „Kreuzzeitung" glaubt auch nicht, daß das Centrum sein Verhalten zum Bürgerlichen Gesetzbuche von der Antwort abhängig machen werde, die seiner Jesuiten-Jnterpellation zu Theil werden wird, und beruft sich für diese Ansicht auf den ultramontanen „Westfäl. Merk.", welcher schreibt: „Es soll uns nicht wundern, wenn in der liberalen Presse an gesichts der Interpellation die Behauptung auftaucht — irren wir nicht, so haben wir sie dieser Tage schon gehört —, das Centruin stelle jetzt den Kaufpreis für das Bürgerliche Gesetzbuch auf. Da» ist natürlich Thorheit, denn Jedermann weiß, daß seine Stellung zu dem Gesetzbuche von der Antwort nicht beeinträchtigt wird. Es ist es aber sich selbst und seinen Wählern schuldig, die Session nicht vorübergehen zu lassen, ohne sich nach dem Reichs- tagsbeschlusse zu erkundigen und die Regierung zu einem Entschlüsse zu drängen. Uebrigens würden seine Wähler es ihm schwerlich verübeln, wenn es erklärte: keine Jesuiten, kein Bürger liches Gesetzbuch. Aber an ein solches Handelsgeschäft denkt es nicht." Da der „Westfäl. Merk." schon manches versichert hat, was sich später als unrichtig herauSstellte, so wäre auch diese seine Versicherung für uns nicht beweiskräftig, wenn wir nicht stark bezweifelten, daß alle Centrumswähler mit dem Satze: „Keine Jesuiten, kein Bürgerliches Gesetzbuch" einver standen sein würden. Es kommt übrigens nicht sowohl auf den Zweck der Interpellation als auf ihren Er folg an. Und da man ver „Kreuzzeitung" wohl zu trauen darf, daß sie so bestimmt nicht behaupten würde, der BundeSrath könne in diesem Augenblicke weniger als je daran denken, dem Centrum hinsichtlich der Jesuiten Con- cessionen zu machen, so darf man wohl mit ziemlicher Zu versicht erwarten, der Reichskanzler werde zur Enthüllung des Kyffhäuserdenkmals nicht abreisen, ohne vorher zu ver sichern, daß der Bundesrath nicht daran denke, die der Gründung jesuitischer Rabennester im deutschen Reiche entgegenstehendell reichsgesetzlichen Hindernisse zu beseitigen. Die vorgestern im Reichstage ganz unerwartet wieder eröffnete Peters-Debatte wird in den Zeitungen mehrfach besprochen, und sowohl die Organe der Richtung deS Grafen Arnim, als auch die der Socialdemokratic sprechen von angeblich errungenen Erfolgen. Thatsächlich hat aber die Erörterung die Angelegenheit nur in einem Punkte gefördert; ihr Abschluß wird erst möglich sein, wenn das gesammte Untersuchungsmaterial zur Uebergabe an die Oeffentlichkeit vorliegt. Jener eine Punkt ist der,daß dieBehauptung Bebel's, der von ihm s. Zt. angeführte Brief des vr. PeterS sei in den Berichten der englischen Mission veröffentlicht worden, als hin fällig sich herausgestellt hat. Nach Verlauf von zwei Monaten bat Herr Bebel auch nicht den Schein eines Beweises für jene Behauptung beirubringen vermocht. Mit Recht ist er deshalb vorgestern im Reichstag der groben Leichtfertigkeit beschuldigt worden. Er mußte sich dabei auch an seine ebenso frivolen und falschen Anschuldigungen verschiedener Militair- personen erinnern lassen. Sein Fractionsgenosse Herr Stadthagen ist bekanntlich von dem Landrath Stuben rauch einer mit Vorsatz verübten Verleumdung deS Amts- vorstehers in Rixdorf überführt worden, und Herr Singer hat sich gegen eine von dem Abgeordneten v. Eynern erhobene Anschuldigung der Verleumdung lediglich durch den Kunstgriff formell zu vertheidigen gewußt, daß er die Zusammengehörigkeit des auf Theilnahme an dem Tanze ums goldene Kalb bezüglichen Satzes seiner Rede mit den vorher aufgefübrten Namen bestritt, obwohl die Hörer und Leser zu der Annahme kommen mußten und jedenfalls auch sollten, daß die vorher genannten Herren der gedachte Vor wurf treffe. An diesen Beispielen zeigt sich wieder, mit welchen Mitteln die Socialdemokraten arbeiten, wenn sie ungescheut die Tribüne des Reichstags zu ehrabschneiderischen Verhetzungen mißbrauchen und ohne eine Spur von sittlichem Ernst und von Wahrheitsliebe vorgehen. Die „ Poft" hat schon gelegentlich einmal daraus bingewiesen, wie zweckmäßig es sein würde, am Ende jeder Session die im Verlaufe derselben von ven Socialdemokraten zu Aushetzungszwecken im Reichstage vorgebrachten falschen Anschuldigungen und unwahren Äehauptungen zusammen- und dem wirklichen Sachverhalte gegenüber zu stellen. Wir bezweifeln nicht, daß solche Gegenüberstellungen sich zur Auf klärung des Volkes über seine Verführer sehr wirksam erweisen würden. Jetzt, wo auch die Reichstagssession sich ihrem Ende naht und gerade wieder ein neues Bündel von falschen Anschuldigungen vorliegt, erscheint cS an der Zeit, an die ernstliche Erwägung dieses Gedankens zu erinnern. Wenn wir gestern vor übertriebenen Hoffnungen, die sich etwa an den Besuch Lt-H«ng Tschang S in Berlin knüpfen konnten, warnen zu sollen glaubten, so werden wir heute darin durch folgende, wohl die Anschauung maßgebender Berliner Kreise widerspiegelnde Mittheilung der „Post" be stärkt. Es heißt darin: „Verschiedene Blätter glauben mittheilen zu können, die An wesenheit deS Bicckönigs Li-Hung-Tschang siebe mit der Ertheiluug erheblicher Aufträge an die deutsche Industrie für die chinesische Regierung in Zusammenhang. Wir können dem gegenüber erklären, daß das nicht der Fall ist. Ter Vice- könig bringt bestimmte Aufträge irgend welcher Art nicht mit; sein Zweck ist vielmehr zunächst nur der, durch eigene Anschauung unsere großen industriellen Etablissements und ihre Leistungen kennen zu lernen. Daß aus dem Besuch des Vicekönigs sich mit der Zeit sehr erhebliche Vortheile für unsere deutsche Industrie entwickeln können, ist in Anbetracht ihrer Leistungs fähigkeit nicht allein sehr wohl möglich, sondern sogar wahrscheinlich, und auch wir möchten ausdrücklich die Hoffnung aussprechen, daß für unsere Großindustriellen die Gelegenheit nicht fruchtlos vorübergeht, die chinesischen Gäste davon zu überzeugen, daß es auch im Interesse Chinas liegt, in Zukunft engere Handelsbeziehungen mit Deutschland als bisher anzu- knüpfen. Allerdings würden wir es nicht zweckmäßig finden, wenn jetzt einfach die nackte Frage aufgeworfen würde, was die Gesandtschaft Deutschland für die ehrliche» Makler dienste bei der Intervention gegen die Bestimmungen des Friedens von Schimonoseki gewähren will. Eine solche Behandlung dürfte wenig dazu beitragen, die Ziele erreichen zu helfen, die für uns Wünschenswerth sind. Vor Allem aber würde sie England in den Stand setzen, ei» Vorurtheil gegen Deutsch- iand in China groß zu ziehen; denn wir dürfen uns der Thatsache nicht verjchließen, daß, während man in Berlin der außerordent lichen Botschaft des Kaisers von China einen überaus glänzenden Empfang bereitet, die englischen Diplomaten in Peking nicht müßig zusehen, sondern vielmehr ihrerseits Cbina auch für das geringste Zugeständniß goldene Berge in Aussicht stellen. Unzweifelhaft ist jetzt die Zeit gekommen, wo für Deutschland große Inter- essen auf dein Spiele stehen. Wir dürfen aber der Umsicht unserer Diplomatie, die gerade letzthin wieder große Erfolge errungen hat, und dem Unternehmungsgeist unserer Industrie sicher vertrauen, daß sie es verstehen werden, diese Interessen für das Reich und die Allgemeinheit wahrzunehmen." Wir sehen die Sache so an, daß Li-Hung-Tschang doch feste Aufträge in der Tasche hat, daß er dieselbe» aber so lange zurückhält, bis er über das Entgegenkommen Deutsch lands den bekannten chinesischen Wünschen gegenüber im Klaren ist. Daß das die richtige Art ist, Stimmung zu machen, möchten wir freilich bezweifeln. China braucht uns, nicht umgekehrt, und darum wäre eS bei dem Handel — denn mit nichts Anderem als mit einem einfachen Handelsgeschäft hat man es zu thun — doch am Platze, daß Li sagt, was er uns bieten kann und will. Tbut er das nicht, so haben eben wir unsere Bedingungen ungefragt zu stelle», und dabei wird es allerdings unsere Sache sein, an die „ehrlichen Maklerdienste" von Schimonoseki zn erinnern. Rußland und Frankreich sind für die ihrigen gut bezahlt, wir hatten bisher das Nach sehen. Zu weitgehende Rücksichten auf England zu nehmen, erfcheint uns darum überflüssig, weil China sich kaum der mit seinem ausgesprochenen russischen Protektor concurrirenden Macht gefangen geben wird. Wir legen auf die beschönigenden Konstantinopeler Nach richten über die Lage auf Kreta wenig Gewicht, auch auf die letzte, daß die von Athen aus verbreiteten Meldungen über neuerliche Blutthaten gegen die Kretenser und Plün derung von 15 Ortschaften durch türkische Truppen unbe gründet seien; denn nach anderen unverdächtigen Quellen fehlt cS auch jetzt noch nicht an Ausschreitungen der türkischen Soldateska. Allein so viel scheint sicher, daß dieselben nicht im Entferntesten mehr den bedenklichen Charakter der ersten Zügellosigkeiten der „Pacisicirungs"-Truppen„ tragen. Gerade von amtlicher englischer Quelle wird eine Wendung rum Besseren constatirt, was nicht der Fall sein würde, wenn für das Gegentheil ein nennenswerther Anlaß sich darböte. In Konstantinopel zieht man entschieden gelindere Saitbn aus und sucht so bald als möglich eine friedliche Bei legung des Conflictes herbeizusühren, während noch bis vor Kurzem die Absicht der Pforte, den Ausstand in Strömen Blutes zu ersticken, offen zu Tage lag. Aus Athen, 16. Juni wird uns berichtet: Abdullah Pascha hat das vom Sultan an das Volk von Kreta erlassene Ira de bekannt gegeben. Der Sultan ladet darin die kretische Deputation ein, sich zur Tagung in Canea zu ver- sammeln, und erklärt seine Bereitwilligkeit, jede legale Beschwerde in Erwägung zu ziehen, welche die Versammlung Vorbringen sollte und welche mit den Suzeränitätsrcchten des ottomanischen Reiches EinklangAstehen werde. Der Sultan fordert die Aufständischen auf, in die Waffen niederzulegen, und verspricht eine Amnestie; ferner erklärt er, daß die türkische Armee nicht die Offensive ergreifen werde, außer in Fällen von Störung der öffentlichen Ordnung. Offenbar haben die Vertreter der Großmächte dem Sultan gegenüber diesmal eine ernstere und entschiedenere Sprache geführt, als während der armenischen Wirren. Sie werden ihm klar gemacht haben, daß Kreta zu Europa, nicht zu Asien gehört, daß es wie dem griechischen, so namentlich dem eng lischen Machtbereiche sehr nahe liegt, sozusagen unter den Kanonen von Cypern, Alexandrien und Malta, und daß eine Wiederholung der kleinasiatischen Greuel auf Kreta unter keinen Umständen zugelassen werden würde, daß ohne Erlaubniß der Mächte kein türkischer Soldat, keine türkische Patrone nach Kreta zu gelangen vermöchte. Ein erster Erfolg der Ein wirkung der Mächte scheint die Räumung der Küstenstädte durch die türkischen Soldaten gewesen zu sein, welche, z. Th. durch frühere Kämpfe fanatisirt und schlecht verpflegt, mit dem in die Städte geflüchteten mohamevanischen Landvvl^ im Plündern und in Gewalttbätigkeiten gemeinsame Sache machten. Mit ihrer Entfernung kehrte größere Ruhe ein. Möchte das Entgegenkommen des Sultans, zu dem ihn sicher lich auch das Wiederaufleben der Makedonischen Bewegung vermocht hat, ehrlich gemeint sein und möchten bald unzwei deutige Beweise für die Zuverlässigkeit seiner Versprechungen folgen, sonst wird die weitere Beruhigung, die in Folge des JradeS zu erwarten ist, nicht von langer Dauer sein. Vor läufig enthalten sich die Insurgenten jedes Schritte-, um für ihre Sache die europäischen Machte zu engagiren. Sie haben an das christliche Europa nur einen den Charakter einer politischen Kundgebung kaum streifenden Appell gerichtet, worüber uns Folgendes mitgetheilt wird: Das kretensische CentralcomitS in Athen hat an die Regie rungen der Großmächte telegraphisch das dringende Ersuchen um „Einmischung" des christlichen Europa gerichtet im Hinblick auf die Lage der Frauen und Kinder auf Kreta, von Lenen Tausende dem schlimmsten Elende ausgesetzt sind, nachdem ihre Behausungen Plünderungen und Feuersbrünsten zum Opfer sielen. Eine Abschrift dieses Aufrufs wurde auch dec griechischen Regierung zugestellt, deren Hilfe gleichfalls vom Comits zu Gunsten des ausschließlich philanthropischen Charakter tragen- den Zweckes erbeten wird. Der Appell ist an die falsche Adresse gerichtet. Die Regierungen werden sich mit dieser Seite der Sache schwerlich befassen, aber ein Aufruf an die europäische Christenheit zur Linderung der Noth auf Kreta wird sicherlich nicht ungehört bleiben. In den Vereinigten Staaten sind die Vorbereitungen für die Präsidentenwahl im Gange. Gestern trat, wie unS der Draht meldet, in St. Louis die Nationalconvention der republikanischen Partei zusammen, um die Candidaten für die Aemter eines Präsidenten und eines Vicepräsidenten der Union auf zustellen. Es gilt als ziemlich sicher, daß Mac Kinley als Präsidentschafts - Candidatjder republikanischen Partei aufgestellt werden wird und er hat auch Aussicht, im November gewählt zu werden, falls die Natipnal-Convcntion ihn zur Aufrechterhaltung der gegenwärtige» Goldwährung verpflichtet. Wahrscheinlich wird dies auch geschehen, denn eS hat den Anschein, als ob in dieser Bc- rathung die Mehrheit der 918 Delegirten viel gesundere An sichten hat, als die Führer der Partei, lieber die erste Sitzung der republikanischen Convention wird uns aus St. Louis, 16. Juni, gemeldet: In der heutigen Eröffnungssitzung erklärte der vorläufige Boi- sitzende Fairbanks, die Partei werde dem Versuche der Demo kraten, die Münzwährung Amerika's aus die Stufe der Währung Indiens und Chinas herabzudrücken, Widerstand entgegensetze». Unter dem Beifall der Versammelten erklärte er. die Republikaner würden den protektionistischen Tarif wieder Herstellen und das feststehende Münzsystem aufrecht erhalten. Schließlich gab Fairbanks der Hoffnung Ausdruck, die neue Republik Cuba er- stehen zu sehen. Tie Convention wurde alsdann auf morgen ver tagt. — Foraker aus Ohio wurde gegen die Stimmen der Silber- leute zum Präsidenten des Resolutions-Ausschusses gewählt. Nach der Erklärung Fairbanks und der Haltung der Delegirten ist es nicht wahrscheinlich, daß die Convention einen „stracläle" ausstellen wird, worunter man in der Sprache der amerikanischen Politiker eine zweideutige Er klärung versteht, in diesem Falle also eine solche, die sich weder zu Gunsten des Goldes noch des Silbers aussprichl. Fettilleton. Judas. 7f Roma» von Claus Zehren. Nachdruck verboten. Die Gattin des Präsidenten lächelt. Sie bat das Lächeln gelernt in der Ehe. Ihr Mann wollte nie stören, wenn sie krank war, — Rücksichten sind oft sehr bequem. „Du wirst müde sein, Evchen. Sonderbar, daß Du oft noch genau so aussehen kannst wie als kleines Kind." Sie streicht langsam über die auf den Bettrand gestützte Hand ihrer Tochter. „Nun erzähle — was bat denn der Doctor RaßmuS angefanaen? War cs ihm wirklich so unsympathisch, in eine Gesellschaft zu gehen?" „Ich weiß nicht recht, liebe Mutter, doch schien er ganz vergnügt. Leider habe ich nicht viel mit ihm sprechen können, aber eS war schon eine Wohlthat, sein ruhiges, ernstes Ge sicht unter all den anderen zu sehen." „So — war das eine Wohlthat, Eva?" Nun läßt diese leise den blonden Kopf auf daS Kiffen der Mutter sinken, und der Kranken ist eS, als ginge ein Beben durch den Körper der Tochter. Mit großen, glänzenden Augen blickt Frau von Karchhusen gerade auS über das Fußende des Bettes hinweg. E» ist eine Wdile sehr still, so daß man deutlich den Tropfenfall deS draußen niederrieselnden Regens vernehmen kann. „So, nun geh' zur Ruhe, liebe Eva!" „Gute Nacht, liebe, liebe Mutter!" * * * Harald bat mit Hansen eine Droschke genommen zur Heimfahrt. Nun lebnt anfangs Jeder in seiner Ecke, und die beiden glimmenden Cigarren leuchten durch das Dunkel. „RaßmuS!" „Ja — ?" Es klingt, als erwache der Angeredete aus dem Schlafe oder wenigstens aus einem Seelenzustand, der ihn vergessen ließ, daß noch ein Insasse das Gefährt theilte. „Sind wir schon da?" Kurt Hansen lachte. „Nein, erst an der Behrenstraße. D« hast Wohl geschlafen? Mir war es nur, al» müßte ich Dir danken sür da» Verschweigen «eine» Namens." „Ach so; nun, — sehr sympathisch ist mir diese Geheimniß- krämerei nicht, und ich würde an Deiner Stelle —" Hansen legt fest die Hand auf den Arm des Freundes. „Ich weiß, Harald, was Du sagen willst, aber es geht jetzt absolut nicht. Ich bin da in eine verteufelte Sackgasse hinein gelaufen! Meine Mitarbeiterschaft an den Plänen des Prä sidenten begann schon vor Iflr Jahren. Mit einem Male trittst Du an mich heran mit Deinen Ideen, gewinnst mich, überzeugst mich, so daß ich gewissermaßen in unserer Broschüre nur das logisch fortsetzte, was ich beim Präsidenten begonnen, und nun habe ich mich eigentlich festgefahren." „WeShalb ich meinen Namen nicht genannt wissen wollte, sagte ich Dir schon, aber das war noch nicht Alles." Er schweigt eine Weile, als versuche er durch das Dunkel hindurch das Mienenspiel des Freundes zu erforschen. „Die Sache liegt so —" fährt er dann fort, „im Fall daß der Präsident von meinem Mitwirken an dem „Recht der Armen" Kcnntniß erhält, so läßt er mich fallen, einfach glatt im Meere unbekannter Assessoren verschwinden, wenn nicht noch Schlimmeres sür mich daraus erfolgt." „Kurt!" unterbricht ihn der Freund lebhaft, „wo hast Du nur diese infame Manier gelernt, mit Wenns und Abers zu arbeiten? Ich sage es offen, das mißfällt mir. So dachtest Du früher nicht. Etwas ist an Dir abhanden gekommen, wie soll ich eS nennen? Nun, mit einem Worte: daS Rück grat! Zum Donnerwetter, seit Du in jenen Kreis lebender Halbheiten gerathen, hat Dich irgend ein Deinen ganzen Charakter verweichlichendes Fieber ergriffen, für welches eine tüchtige Krisis mit Krach und Schlag daS einzige Rcmedium bilden würde." „Ja, — ein Fieber", lacht Kurt hart auf, „das ist daS Wort! Aber ich sage Dir, eS ist nicht ein Fieber, wie Du eS Dir denkst! — Du sollst Alles wissen, Raßmus, Alles. Ich, — o, daß es so schwer ist, da- zu sagen, selbst dem besten Freunde! Nun, — ich — liebe die Tochter des Prä sidenten." Die Droschke rollt gerade an einem Trupp angetrunkener Studenten vorbei, welche laut johlen: „Heute lieb' ich die Johanne und morgen die Susanne!" Der Doctor beugt sich hastig vor und blickt hinaus, viel länger, als jene Sänger hörbar und sichtbar sind. „Ja, da» wirst Du wieder nicht verstehen, RaßmuS", meinte Kurt, „wa- weißt Du von Liebe zu einem Weibe!" „Nein, neia, da hast Du Recht!" klingt e» etwa» rauh zurück. „Ja, nicht wahr — also Du wirst versuchen?" „Es ist genug, Kurt Hansen, Du brauchst nicht mehr zu sagen. Das verstehe ich schon auch ohne Worte." „Nun, und Du wirst mich gerechtfertigt finden?" „Darüber habe ich kein Urtheil mehr, denn Du befindest Dich ja in einem Seelenzustande, in welchem die Menschen vielleicht abnorm denken und vielleicht auch — abnorm han deln. Doch Du sagtest selbst, ich könnte das nicht verstehen." Kurt, ganz eingenommen von seinen eigenen Gedanken, vernimmt gar nicht den eigenthümlichen Klang in des Freundes Stimme, auck der sonst ihm fremde Ton, fast ironisch, fällt ihm nicht auf. Und sein Antlitz kann er nicht seben, auch nicht die Blässe darauf und ein gewisses müdes Erschlaffen des sonst so fest gespannten Geficktes. „Es ist ekelhaft naßkalt", meint Hansen, „doch da sind wir schon am Ziele. Gute Nacht Harald!" „Gute Nackt, Kurt Hansen!" Des Assessors Schritte verklingen in der oberen Etage. RaßmuS hält lange den Doppelschlüssel in der Hand und versucht zerstreut den falschen Schlüssel an der Vorsaalthür, bis das Wachsstreichholz erlischt, welches er in der Hand hält. Dann steht er eine Weile unbeweglich auf dem dunklen Flur, um nun hastig ein neuS Licht in Brand zu setzen und wie getrieben von Eile geräuschvoll die Thür zu öffnen und eknzutreten. Auch nachdem er die Lampe entzündet, steht er wieder eine Weile mit eingezogenen Stirnfalten und starrt in die langsam am Cylinder aufstrebende Flamme. Seine Augen wandern im Zimmer umher, um dann festgebannt am Skeletmenschen in der gegenüberliegenden Ecke zu haften, während seine Füße sich den Blicken nachbcwcgen und dann dicht vor dem Knochengerüst Halt machen. Er nickt dem grinsenden Schädel einige Male zu. „Ja, ja, — Du bist wohl mein einziger guter Freund auS der Studentenzeit her! Immer treu geblieben, immer da, immer geduldig, immer zuverlässig, weil, — nun weil Dir Alles fehlt, was den Menschen ausmacht. Nur noch der leere Käfig, kein Herz, keine Seele, keine Wünsche, keine Vor stellung mehr des eigenen Ich. DaS Einzige, was am Menschen verläßlich ist, sind doch die Knochen, sofern sie sinngemäß behandelt werden." Raßmus' Augenbrauen haben sich finster zusammen- gerogen, doch bald schwindet der Ausdruck trostloser Melancholie aus seinen Zügen. ' „Narr! RaßmuS, wach doch auf!" sagt er laut zu sich selbst und wirst den Kopf zurück, wahrend er pch in einer Sophaecke niederläßt. „So, ich werde noch eine Cigarre rauchen. Ja, ja, — Klarheit muß geschafft werden im eigenen Innern. Also, nu» mal logisch, Harald RaßmuS, was willst Du eigentlich? Thatsache, daß Du Dich — nun ja verliebt — ja, das ist das richtige Wort, — also — verliebt hast Du Dich in ein Mädchen. WaS daS im Besonderen für ein Gefühl ist, bleibt Nebensache, man nennt es mit landläufigem Ausdruck — versiebt! Ein Anderer — Dein bester Freund — theilt Dir, unbekannt mit Deinen eigenen Gefühlen und Wünschen, eines Tages mit, daß er demselben Weibe seine Neigung zu wendet. DaS ist an stch ein Conflict in der Freundschaft. Jeder hat das Recht, um die Erwiderung solcher Liebe zu werben, angenommen, daß das zu erwerbende Gut den dann unausbleiblichen wenigstens äußeren Bruch der Freundschaft auswiegt. Nun kommt der Schluß." Er springt auf und ordnet auf seinem mit Instrumenten bedeckten Tisch hastigen Griffes einige Scheeren und Messer, um sich dann wieder auf den alten Platz zu setzen. „Klar sein, ganz klar, Harald! Also, vollständig unbekannte Größe ist jenes Mädchen seinem innersten Denken nach. Ich bin 37 Jahre alt. Jener 32. Ick ein Mann, der gar keine äußeren Vorzüge besitzt, innersick schon einmal dauernd Havarie erlitten hat. Jener ein frischer, hübscher Mensch, der nur einmal fast einen dummen Streich gemacht hätte, sonst aber den ersten weiteren Schritt im Leben machen will. Er eia eleganter, mit guten Manieren versehener Mann auS einer sehr angesehenen Familie, ich der Sohn eines kleinen Secre- tairS, mit recht holperigen Manieren und gänzlichem Mangel an Allem, was naturgemäß einem Weibe gefallen muß und soll. Er kennt sie seit Jahren, ist mit dem Vater befreundet, ich habe ihre Bekanntschaft zufällig am Krankenbette gemacht und bin ein Widersacher deS Vater» in gewisser Beziehung und zwar em öffentlicher." Es ist, als ob der Doctor eine« jüngeren Mann eine Vorlesung hielte. Jetzt schlägt er mit der Hand schwer auf die Sophalehne: „Himmel, Donner! was geht mich der Vater an! Gut, also nichts. Aber daS Andere, das bleibt! Also, will ich ver ständig, ein rechtlich und billig denkender Mann sein, dann kann ich nur Eins thun, das heißt: verdickten. Jetzt, jetzt, wo eS noch vielleicht leidlich gut von Statten gehen wird. Ich habe kein Recht, mich da hinein zu drängen, nein, kein Recht!" Er drückt die link« Faust fest auf di« Brust. .Stille, D«
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