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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.06.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960623026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896062302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896062302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-06
- Tag1896-06-23
- Monat1896-06
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Nachmittags Z Uhr sollen im Gasthof znr Lberfchänle in Leipzig-Gohlis eine größere Partie bessere Möbel, darunter ein Buffet mit Marmor- platte, Pfeilerjpiegel, Regulator-Uhren, Bilder, eine Nähmaschine, ein Pianino, eine Ziehharmonika, Stubenteppiche, Kleidungsstücke, Gardinen, ein Unterbett, zwei eiserne Geldschrünke, Jalousien, Holz- rouleauxstoffe, zwei Lorbeerbäume, verschiedene LadeneinrichtungS- gegenstände, Schriftkasten und Pulte mit Schriften, ein Werktisch mit Schraubstock und Schneidemaschine, zwei Lowrywagen, zwei Hand- wagen, zwei Grudeöfen, Lacke, Firnisse, Farben u. A. m. meistbietend gegen sofortige Baarzahlung versteigert werden. Leipzig, am 22. Juni 1896. Der Gerichtsvollzieher beim Künigl. Amtsgerichts. — Steinbeck, Secr. Versteigerung. Donnerstag, den 25. Juni 18V6, Nachmittags 4 Uhr sollen in Leipzig-Gohlis 100 Stück Mistbectfenster meistbietend gegen Vaarzahlung versteigert werden. Bieter wollen sich bis Nachmittags 3'/, Uhr im Gasthaus zum Lindhof, Ecke der Lindenthalcr- nnd Hallcscheu Stratze, daselbst sammeln. Leipzig, am 22. Juni 1896. Der Gerichtsvollzieher beim Kgl. Amtsgericht. Steinbeck, Secret. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. Juni. Da der Reichstag gut besucht ist, darf man bis zum Sonnabend der Beendigung seiner Arbeiten mit Bestimmt beit entgegensehen. Ter Umstand, daß aus Mittwoch ein katholischer Feiertag (Johannisfest) fällt, wird das Ergebniß nicht aufhalten. Dabei wird die zweite Lesung des Bürger lichen Gesetzbuches keineswegs überhastet, die Abänderungs anträge, die meist von Svcialdcmokraten gestellt sind, werden, sofern sie nicht von vorn herein völlig aussichtslos sind, eingehend discutirt. Wenn die Mehrzahl der Paragraphen ohne Debatte angenommen wird, so ist das durchaus nicht eine Folge der Sommerberathung — gestern war es übrigens, beiläufig be merkt, auch in Berlin recht kühl —; wenn man noch zehn Jahre gewartet hätte, so würde Herr Jskraut sich doch nicht im Stande gesehen haben, zu Capiteln, wie beispielsweise dem des Sachenrechts, Anträge zu stellen oder zu fremden Anträgen eine in der Sache begründetere Stellung zu nehmen. Und so wie ihm, geht eS naturgemäß einer großen Anzahl von Abgeordneten, die sich jetzt auf Autoritäten verlassen und noch nach Jahren würden verlassen müssen. Der Lärm, den die Anti semiten in jeder Sitzung wegen der Gewerbeordnungs novelle erhoben haben, war eitel Schaugepränge. Sie wußten recht gut, daß die Abstimmung über diesen Gegen stand vor Abschluß der zweiten Lesung des Bürgerlichen Gesetzbuchs stattfinben werde. Wenn es gestern bereits ge schehen ist, so ist damit ein Wechsel aus die Loyalität der konservativen gezogen worben, den diese hoffentlich honoriren werden. Dienstag den Wenn der bayerische Thronfolger, Prinz Ludwig, sofort nach seiner Moskauer Rede nach München zurückgekehrt wäre, so würde er sicherlich durch einige mehr oder minder taktlose Huldigungen der eine solche Gelegenheit nickt leicht versäumenden Leute von politischem Ehrgeiz in Verlegenheit gesetzt worden sein. Durch seinen Auf enthalt auf den großen ungarischen Besitzungen seiner Gemahlin (einer geborenen Erzherzogin von Oesterreich) wird eS ihm freilich nickt erspart, nach geeigneten Antworten auf Adressen zu suchen, die von begeisterten Versammlungen an ihn abgesandt worden sind. Eine solche ist dieser Tage in Wasserburg von einer Agitationsversammlnng der unter der Leitung des bekannten vr. Kleitner stehenden oberbayerischen Abzweigung des Bauernbundes beschlossen worden; sie wimmelt von Dankesbezeugungen, für die der Prinz unmöglich dankcnd quittiren kann. Am unan genehmsten wird es ihm sein, daß Herr Dr. Kleitner in der Ansprache, in der er die Resolution begründete, frischweg be hauptete, CamesaSca's Ausdruck „Gefolge" müsse vorher von den maßgebenden Personen gebilligt worden sein. Aber als schneidiger Redner wird Prinz Ludwig Herrn vr. Kleitner nicht minder energisch und noch treffender zu antworten wissen, als in Moskau dem unglücklichen Herrn Camesasca. Bemerkcnswerth ist übrigens die Wirkung, welche die Moskauer Rede des Prinzen in Braunschweig hervorgebracht hat, oder vielmehr die Art, wie dort die Welfen Partei die prinzliche Verwahrung für ihre Zwecke ausbcutet. Man benutzt nämlich diesen Anlaß, nm über die „Borussificirung" der deutschen Bundesstaaten durch Preußens Militairwesen und Staatsbahnen Ach und Weh zu schreien. So z. B. sagt das in Braunschweig erscheinende Welsenblatt in Sigl'scher Tonart über jenes Thema Folgendes: „Auch an uns Braunschweigern nagt preußischer Einfluß seit mehr als einem Jahrzehnt. Doch es hilft nichts, ein Braunschweiger wird nie Preuße werden, wie es verlangt wird. Warum bleibt der Preuße nun nicht hübsch daheim, wcnn's dort so schön ist, und verlangt, daß wir uns in unserem eigenen Vaterlande ihm anpassen sollen, wovon die Reichsversassung gar nichts wissen will.... Nach Bismarck's Grundsatz „Gewalt geht vor Recht" hat man auch bet uns in Braunschweig das Berpreußen angefangen. Wir wurden nicht gefragt, ob uns die „kratzige Wolljacke" wohlthue, sondern gerade so, als ob wir in Deutschland überhaupt als Kleiner ein Recht nicht besäße», wurde decretirt und reformirt, bis sich Männer zusammenfanden, die wie Prinz Ludwig von Bayern riefen: „Halt, bis hierher und nicht weiter!" Wir sind nicht Vasallen des deutschen Kaisers und auch nicht in seinem Gefolge, sondern wir sind Braunschweiger und als solche eben so sehr berechtigte Deutsche, wie die Preußen selbst u. s. w. u. s. w." Es verlohnte nicht, solche Thorheiten auch nur zu er wähnen, wenn nicht die „herrschende" Partei im Reichstage, das Eentrum, hinter den Welfen ebenso schirmend und schützend stände, wie hinter den Polen, und wenn nicht die preußische Regierung aus Rücksicht auf das Centrum den welfischen Hetzern ebenso weiten Spielraum ließe, wie den polnischen. Sie nährt dadurch die Agitation ihrer unver söhnlichen Gegner, die „nie Preußen werden wollen", wie sie durch die Verhätschelung des Centrums selbst den ultramontanen bayerischen Particularisten den Nacken steift. Wirkt die preußische Regierung im Bundesrathe dahin, daß daS Jesuitengesetz dem Abbröckelungsprocesse noch mehr verfällt, so wird sie bald genug die Erfahrung machen, daß Alles, was das Centrnm unter seine breiten Flügel nimmt, Preußen dafür durch verstärkte Agitation gegen die „Borussi- ficirung" dankt. 2:;. Juni 1896. In Arankrcich beginnen sich die Klerikalen m der Hoffnung, au dem Ministerium MSline eine Stütze zu haben, wieder zu fühlen, daS hat die Mißachtung des bürgermeister lichen Verbots von Fronleichnamprocessionen m mehreren Gemeinden, in welchen dasselbe mit Rücksicht auf die Straßen ordnung oder in Voraussicht von Gegendemonstrationen erlassen werden mußte, deutlich geuug gezeigt. Die Radikalen waren schon voller Wuth über daS Ministerium, das mit derKleriiei angeb lich unter einer Decke steckte, nnd wollten am Sonnabend in der Kammer über die Angelegenheit interpelliren. In zwischen hatte sich aber die Negierung gerührt, nm durch eine Thatsache dem radikalen Angriff die Spitze abzubrechen. Eie stellt, wie gemeldet wurde, den Erzbischof von Cambrai vor das Disciplinargericbt des Staatsralhes und erklärt, daß sie den an der Procession beteiligten Geistlichen die Tem- poralien sperren werde. Das genügt nun freilich den Oppositionellen der Linken weitaus nicht. Sie zweifeln an der Entschiedenheit der Temporaliensperre und be haupten, daß die Citation des Erzbischofs vor den Staats rath eine unwirksame Formalität sei, da dieser dem hohen Prälaten gegenüber nur ein Urtheil abgebcn könne, daß er seine Amtsgewalt mißbraucht habe. Wie soll sich nun die Re gierung verhalten? Sie muß immer den offenen Kampf mit der Geistlichkeit zu vermeiden suchen, da ihr hierzu die rechten Waffen fehle». Sie muß diplomatisch verfahren und hinter rücks einen Druck auf die Geistlichkeit ausüben. Nur wird ihr das jetzt sehr schwer fallen, da die Radikalen zu eklatanten Thaten des Culturkampfes drängen und anderer seits die Monarchisten und Klerikalen der Kammer durch die angedrohten Maßregeln stutzig geworden sind. Die Blätter der Rechten ermahnen ihre Parteigenossen in der neuen Kammer, unter allen Uniständen für das Ministerium zu stimmen, selbst wenn dieses die schärfsten Maßregeln gegen die Geistlichkeit „in — Aussicht stellt", denn immer noch besser sei mit MSline als mit Bourgeois auszukommen. So würde die Regierung bei der Ankündigung eines neuen CulturkampfS die Klerikalen für sich und die Radikalen gegen sich haben und schließlich würde es seine Rettung nur dem Umstand verdanken, daß man weder von rechts noch von links seinen Worten Glauben schenkt. Die Gesammtlage Spaniens ist zur Zeit eine höchst unerfreuliche. Seine auf Cuba stehenden Truppen sind durch das Klima zu einer mehrmonatigen absoluten Unthätigkeit verurtheilt. Innerhalb dieser Zeit aber nimmt der Wachs- thumsproceß des Aufstandes seinen ungestörten Fortgang, und desgleichen schwillt die Ausgabenlast des Mutter landes mehr und mehr an. Jeder Tag verschlingt an Unter haltungskosten der spanischen Civil- und Militairverwaltung auf Cuba Millionen vonPesetas; im Herbst sollen weitere 50 000 Mann dorthin geworfen und die Flotte in den kubanischen Gewässern soll ebenfalls vermehrt werden. Dabei nehmen Vie Rüstungen ihren Fortgang, es ist von kostspieligen Schiffs- ankäufen die Rede — aber woher der spanische Staatsschatz die Deckung für alle an ihn herantretenden Bedürfnisse nehmen soll, ist aller Welt, außer der spanischen Regierung, und vielleicht auch dieser selbst, ein Geheimniß. Die Deficitwirthschaft hat schon jetzt einen permanenten Charakter angenommen. Der den CorteS vorgelegte Budgetentwurf beziffert den Fehlbetrag für das vorige Jahr auf 25 Mill. Pesetas und nimmt für daS laufende Jahr einen Fehl betrag von 22 Mill, an; in Wirklichkeit aber sind diese Zahlen viel zu niedrig gegriffen. Das außerordentliche Budget des laufenden Jahre- ist mit 236 Mill. Pesetas veranschlagt. Druck und Verlag "nn E. Polz kn Leipzig so. Jahrgang. Für die Entwickelung der materiellen Hilfsquellen Spaniens ist in den letzten Jahren, namentlich seitdem die kubanische Krise alle Aufmerksamkeit, alles Interesse und alle Thatkrast der spanischen Staatsmänner absqrbirt, so gut wie gar nichts geschehen. Die Production hat zu kämpfen mit der Concurrenz LeS Weltmarktes und mit der ungünstigen Lage, in welcher der spanische Export durch die Repressalien versetzt ist, mit welchen ras Ausland auf die spanischen Prohibitiv zölle geantwortet bat; der Consum geht ständig zurück, weil der wachsende Steuerdruck nebst Verringerung ter Erwerbsquellen die große Masse der Bevölkerung zur Einschränkung ihrer bürgerlichen Lebenshaltung nöthigt. Dazu tritt noch die Erschütterung des Vertrauens auf die Stabilität der inneren Verhältnisse, das Umsichgreifen der anarchistischen, sowie daS Wiederauftreten carlistischer Um triebe. Auch der Versuch, mit Deutschland wieder handels politisch auf leidlichen Fuß zu kommen, bekundet, daß der Zwang der Verhältnisse in Madrid sich gebieterisch geltend macht. Im englisch«» Unterhause hat sich gestern ein Vorgang abgespielt, der für das Cabinet Salisbury verbängniß- voller werden kann, als seine Mißerfolge auf dem Gebiete der auswärtigen Politik. Es hantelt sich um die Niederlage des Cabinets in der Frage der rückschrittlichen Unterrichts bill, zn deren vorläufiger Zurückziehung dasselbe sich ge nöthigt gesehen hat. Es wird uns darüber berichtet: In der Montagssitzunq beantragte der erste Lord des Schatzes Balfour die Vertagung der Berathung der Unterrichtsbill. Die Regierung habe nicht vorausgesehen, daß die Bill solche Opposition finden werde, nach Len Erfahrungen der letzten Woche sei nicht mehr zu hoffen, die Bill noch vor Beginn der neuen Tagung zu erledigen, die Negierung habe daher beschlossen, die Bill Ansang Januar nächsten Jahres wieder ein zubringen. Der Rest der jetzigen Tagung werde der Erledigung der nothwendigen Vorlagen gewidmet werden. Balfour erklärte schließlich, er bedauere ties die Beweise des parlamentarischen Verfalls, der eine unvermeidliche Veränderung weissage. Harcourt erklärte unter dem Beifall der Opposition, die Opposition sei nicht allein Schuld an dem Falle der Unterrichtsbill, anch die Mitglieder der Regierungspartei Hütten Las Ihrige dazu bei getragen. Nach dreistündigcr Debatte wurde der Antrag Balfour's angenommen. Es ist ein schlimmes Eingesländniß für eine Regierung, daß sie über die Ausnahme eines Gesetzes selbst bei den eigenen Anhängern sich nicht vergewissert hat. Harcourt bat ganz Recht mit seiner Behauptung, daß nicht die Opposition allein an dem Fall des Gesetzes die Schuld trage; denii unter den 1500, sage fünfzehnhundert Zusatz- und Abänderungs anträgen, welche zu dem ominösen Unterrichtsgesetz gestellt worden sind, befinden sich sehr viele auch von regierungs freundlicher Seite. Schon die ungeheure Zahl dieser Amendements macht cs ganz unmöglich, daß die Schul vorlage noch in dieser Session erledigt wird, da die Regierung so unklug gewesen ist, dem Parlament zuviel gesetzgeberische Arbeiten auf einmal aufzubürden. Tie eine oder die andere Vorlage mußte also, da schon der Mitte August beginnenden —Hühnerjagd wegen an eine Weiler tagung oder Wiederzusammenberusung des Parlaments nach dem officiellen Schlußtermin (l3. August) in England nicht zu denken ist, zurückgezogen werden, und da die Schulvorlage die meist umstrittene ist, so mußte nothwendig auf diese die Wahl fallen. Bei dem sehr bedeutenden Uebergcwicht des »monistischen Elementes in beiden Häusern war cs immer noch möglich, daß die Regierung die tiefeinschneidende Vorlage noch durchbrachte, wenn sie dieselbe noch in dieser Session Feuill-ton. Judas. - 18j Roman von ClauS Zehren. Nachdruck »«rboten. Sein schmerzlich verzogenes, trauriges Gesicht gewahrend, legt sie ihm leicht die Rechte auf den Arm. „Machen Sie nicht ein solch hoffnungsloses Gesicht, bitte. Ich habe unbegrenztes Vertrauen zu Ihnen und ich sehne mich nach dem Leben mit einem Menschen, nein — mit einem anständigen Menschen, in dessen Nähe ich mich ruhig fühle, ganz sicher, nicht verletzt zu werden. — und eine gute, treue Frau will ich Ihnen werden, wenn Sie mick so nehmen wollen." Er wagt nicht, sie zu küssen, trotz deS mondstillcn warmen FrühlingSzauberS ringsumher, trotz deS Schmettern- der Vögel. Er wagte cs nicht, aber sie gingen Hand in Hand hinauf und als sie oben standen, die Welt so weit unter sich — ganz allein auf steilem Felsen, da sah er ihr in die Augen und sagte mit einem herzlichen, männlichen Tone in der Stimme: „Ich will Aich auf Händen tragen, Eva!" Sie lehnte sich müde an ihn und er küßte vorsichtig ibre Weiße Stirn, auf welcher die krausen Härchen im Windhauche zitterten. Der Präsident war sehr einverstanden und sagte mit einem scheuen Blick auf Frau Moblen: „Natürlich habe ich das schon lange vorauSgesehen." Lola nickte huldvoll. Jeder wäre ihr recht gewesen als Eva'S Gatte, nur nicht der Doctor RaßmuS. Dieser war vielleicht der einzige Mensch, vor welchem sie sich selbst ein gestand, Angst zu haben. Ueber den Freund wurde zwischen den Verlobten selten gesprochen. Eva brach das Gespräch stets sehr rasch ab und ihre Gleichgiltigkeit verletzte Kurt nicht im Geringsten. Er selbst konnte sich bei Nennung von Harald'S Namen nie eine- unbehaglichen Gefühls erwehren. Doch lud er ihn zur Hochzeit ein, welche in Berlin im Sep tember stattfinden sollte. Keine Antwort. — Er schrieb noch einmal. — „Adressat sei verreist, ohne Angabe deS Aufenthaltes" — mit diesem Vermerk kam da- Schreiben zurück. Hansen schüttelte den Kopf, aber es gab so viel zu denken und zu berathen wegen der Hochzeit. Der Polterabend war vorüber. Frau Lola hatte nicht Theil nehmen können wegen plötz licher Migräne und nachdem Kurt von Eva Abschied ge nommen, wandert er in froher Stimmung seinem Hotel zu. Der Portier überreicht ihm bei seinem Eintritt einen Brief. „Aha, von Harald," sagt er, die charakteristischen Buch staben erblickend. „AuS Bardowiek bei Lüneburg" entziffert er aus dem Poststempel. DaS war Harald « Geburtsort. Sehr nachdenklich geht Hansen die Treppe hinauf. Das grelle Licht der durch einen Fingerdruck herbeigeführten elektrischen Beleuchtung blendet ihn. Einstweilen legt er den Brief auf den Tisch und beginnt sich zu entkleiden. Sein ganzes vergangenes Leben geht an seinem Geist vorüber. Unwillkürlich haktet sein Blick mehrere Male an der Taschen uhr. „Zwei Uhr zwanzig Minuten", sagt er mit einem erleichternden Athemzug. Und dock, es läßt ibn nicht loS. O, diese beiden Lügen! Ach, Unsinn! Es waren keine Lügen. Und schließlich — wenu auch, wem schadete er damit? Niemanden in der Welt! Seine Hand zuckt nach dem Briese. Woher nur die« plötzliche Frösteln? Er hat mehrere Male beute am Polterabend getanzt mit den Brautjungfern, auch mit Eva, — ja, auch mit Eva und es war heiß in den vollen Zimmern. Wie schwer der Brief ist. — Endlich öffnet er ibn. Schon stiehlt sich daS Morgengrauen durch die Fenstervorhänge und Hansen sitzt noch immer ohne Nock auf dem Lehnstuhl, immer noch, — nur daß er den Brief aus der Hand gelegt hat und daß seine Augen darüber hinweg schauen in das Licht der Glühlampen. Seine Arme hängen schlaff an den Seiten herab. Keine Bewegung schon seit geraumer Zeit, nur seine trocknen, blaffen Lippen bewegen sich dann und wann. So sitzt er schon Stunden lang, seitdem er den Brief la-, diesen Brief, welcher Harald'S Bekenntnisse enthielt, mit welchen dieser sein Fernbleiben von der Hochzeit entschuldigte. „Nun suche und finde, waS Du gewünscht und mache Deine Frau glücklich. Vielleicht sehe ich Dich noch einmal wieder im Leben, wenn ich alt und grau und ganz, ganz kalt geworden bin." DaS waren die Schlußworte von Harald'S Brief. Zuerst, ehe Hansen in diese- stumpfe Hinbrüten versank, war er fest entschlossen, di« Hochzeit müsse abgesagt werden, er müsse Eva diesen Brief geben, — nein, nicht geben, — hinschicken. Er selbst wollte zu Harald gehen und bekennen Alle-, — Alles! Nur diese entsetzliche Last loSwerden. Das war der Hansen von ehemals, der das thun wollte, dann kam der Hansen, so wie er geworden war, und dieser war stärket als der andere, weil neben ihm die Liebe stand, diese nun fast verbrecherische Liebe, und auf der andern Seite der Ehrgeiz, an welchem sein besseres Selbst hängen blieb. Aber das dumpfe, abscheuliche Gefühl wich nicht von ihm, das Gefühl deS unerkannten Betrügers, desjenigen der getäuscht hat und zwar diejenigen, welche er nie täuschen durste. Er fährt zusammen beim Klopsen des Zimmerkellner«. „Ah so — ja gewiß — heute war sein Hochzeitstag!" Eiskalt schleicht es ihm durch die Glieder. Eva! — er sieht sie vor sich stehen gestern Abend, als er sie fragte, ob sie zu ihm volles Vertrauen habe. Da hatte sie beide Hände auf seine Schultern gelegt. „Ja, Kurt, viel, viel Vertrauen — ich weiß, ich werde Dich lieb haben." Er nimmt ihr Bild auS einem Etui. „Und ich, Eva, bei allem WaS mir heilig ist — ich werde —" Aber nun stockt er. Bei allem was ihm heilig — o Gott, was denn? Nein, nein, sie soll ManneSliebe haben, ich will um sie werben mein Lebelang. Die HochzeitSgäste sind sehr zufrieden mit Hansen - Aus sehen^ bleich, ernst, mit einem unsicheren Blick in den sonst reichlich selbstbewußt blickenden Augen. Besonders alle Damen freuen sich darüber. Ja, ja, Ihr Herren der Schöpfung, es ist doch eine ernste Sache, wobei Euch die Witze auf der Zunge ersterben! Freilich, al« Hansen dieselbe Gesichtsfarbe und denselben Ausdruck während deS HochzeitSdinerS behält, findet man das doch etwas zu viel. Herr Gott, eine Hochzeit ist doch ein frohe« Fest! In der Kirche, gewiß, da war da« Gesicht sehr angebracht, aber nun — man möchte doch da« Glück in seinen Augen sehen. DaS war nickt so, wie eS sein mußte. Am Hochzeitstage soll die Braut leidend, als Opferlamm erscheinen, aber der Mann soll siegessicher in die Welt schauen. Hier ist eS um gekehrt. Eva beiter und fröhlich, nur wenn ihr Blick auf den Vater und die anwesende Cousine fällt, dann ist e« ihr, als sagte sie den, Vater, der tobten Mutter, jedem Möbel in diesem Hause Lebewohl. Als das junge Paar zur Bahn fährt, ist es schon Abend Dankbar küßt er ihre Hände. „Mir fehlte Deine Mutter heute, Eva", sagt er leise. Das war ein gutes Wort, und sie lehnt sich an ihn mit einem Gefühl, als sei sie geborgen. Nur mit ihm batte sie über die Tobte sprechen können, mit dem Vater nicht mehr, schon lange nicht mehr. * . * * Vor einem massiven, eichenholz-geschnitzten Schreibtisch sitzt ein Mann, eifrig arbeitend. Fliegend geht die Feder über da« Papier des vor ihm liegenden Actenbefte«. An den Fenstern tollen Schneeflocken am und ab mit einem gleich mäßig anhaltenden Rauschen. Die Lampe mußte schon um 3 Uhr Nachmittags gebracht werden. „So!" — Kurt Hansen richtet sich Atbem holend aus. Ueber sein etwa« mager gewordenes, kluges Gefickt fliegt ein Schimmer aufrichtiger Freude, das Behagen an einer sertiggestellten Arbeit, einer Arbeit, die dieser Mann nickt als Mahnung de« VerbannungSflnchs aus dem Paradiese empfunden hat. Er reibt sich zufrieden die Hände. Nur Orientalen konnten in der Arbeit einen Fluch finden — ibn hat die Arbeit nie gedrückt als solche. Damals, kurz nach der Hochzeit, war alle Welt höchst erstaunt, zu vernehmen, daß der junge Hansen die Richtercarriere plötzlich abbrach nnd als Arrocal nach Berlin zog. Manche glaubten, dahinter stecke die Fran, welche gern mit dem Vater an einem Ort bleiben wollte, doch die« mußte ein Jrrthum sein, denn ein Vierteljahr darauf zog das ältere Paar, er, der Präsident außer Dienst, und sie, Lola, die verwittwete Moblen, von Berlin fort, um wie man behauptete, ein Jabr in Paris zn leben. „Sie wird den alten Narren so lange über Pariser Parquets und durch Pariser Salons schleppen, bis irgend ein Fremder ihn selbst einmal fragt, ob er wisse, wer der Gatte der schönen Frau von Karchhusen sei", medisirte der Hofrath Koschrodt, welchen da« Alter und die zunehmende Gicht noch bissiger gemacht hatten. Als aber Hansen s nicht, wie man vermuthet batte, ein großes Hau« machten, sondern sich eine hübsche kleine Villa mietheten, still und ziemlich zurückgezogen lebten, als der Advocat nicht seine Praxi- in sogenannten hoben Kreisen suchte, sondern merkwürdiger Weise nur Strafsachen armer Leute vertrat, da hörte man nicht auf, sich zu wundern. Alle Berufsgenossen waren einig, daß Hansen der beste Advocat, der geschickteste Redner in Berlin sei. Tie Welt
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