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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.01.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990107014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899010701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899010701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-07
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BtzrrgS-Pre^ K, H« Hanptrxpedttto» oder de» im Stadt« bezirk und den Bororten errichteten AuS- oabestellra abgeholt: vierteljährlich^4^0, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« HauS^l 5E0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direct« tägliche Kreuzbandienduag las Ausland: monatlich 7.50. Vie Morgen-AnSgabe erscheint nm '/,? Uh«, di« Hkbend-AuSgabe Wochentag« um b Uhr. NeLactio« und ErvedUio«: JohanneSgaffe 8. vir Expedition ist Wochentag« ununterbroche» »«öffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Mialrü: Otta Slrmm's Lortim. (Alfred Hahn)z UniversitätSsrraße 8 (Paulinus), Laut« Lösche, vatbarinenstr. 14, vart. und KSAgSplatz 7!« 11. Morgen-Ausgabe. MMn JagMlL Anzeiger. AmLsbkaLt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Sonnabend den 7. Januar 1899. Aazelgen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg, Reklamen unter dem RrdactionSstrich (4 g«» spalten) bO^j, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfrrnsatz nach höherem Tarif. Srtra-Beilagen (gefalzt), nur mit dee Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbefördrruug 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AnSgabe: Dormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 UHL Bei den Filialen und Annahmestelle» je ein« halbe Stund« früher. Anzeigeu sind stets an de« Erpeditio» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in LelpztL 93. Jahrgang. Amtlicher Theil. Ausschreibung. Für die Neubauten auf dem städtischen Schlachthofe und zwar: 1. des 2ten Kühlhauses soll die Lieferung des ThonplattenfutzbodenS und de« glasirten FliesenbelageS der Wände im Erdgeschosse, 2. der 2ten Grotzviehschlachthalle die Lieferung des glasirten FlieseubelagcS der Wände u. f. w. vergeben werden. Die Bedingungen und Arbeitsverzeichnisse können vom Baubureau des Erweiterungsbaues zum Schlachtdofe, Altenburger Straße, gegen Porto- und bestellgeldfreie Einsendung von je 1 50 zu 1. und 2., dir auch in Briefmarken erlegt werben können, bezogen, oder auch nebst den Plänen dort eingesehen werden. Die Angebote sind verschlossen und mit der Aufschrift: „Fliesenbclag und Platteusuftboden rc. für das Kühlhaus, bez für die Großvieh,chlachthalle", versehen, bis zum 30. Januar d. I., BocmiltagS 10 Uhr auf dem Nathhause, 2teS Obergeschoß, Zimmer Nr. 3 portofrei einzureichen. Der Rath brbält sich jede Entschließung vor. Leipzig, am 2. Januar 1899. Der Rath der Stadt Leipzig la. 6421. vr. Tröndtin. Lindner. Holzauktion. Montag, den 1(l. Januar 1899 sollen auf dem Mittelwald schlage IV im Schanz des Ärasdorfcr Forstreviers 59 Laughaufen und 40 Abraumhanfcil unter den im Termine öffentlich auShängenden Bedingungen und gegen die übliche Anzahlung an Ort und Stelle an den Meist bietenden verkauft werden. Zusammenkunft: Vormittags S Uhr auf dem Holzschlage daselbst. Leipzig, am 30. December 1898. Des Raths Forftdeputatiou. Oeffcntliche Zustellung. Der Accordeon- und Musikinstrumentenfabrikant V. Dienst in Leipzig-Gohli-, vertreten durch den Rechtsanwalt R. Rößner in Leipzig, klagt gegen den kaufmännischen Reisenden Oscar iSürler, zuletzt in Leipzig wohnhaft, jetzt unbekannten Aufenthalts, wegen Feststellung nach 8 6 des Gesetzes vom 27. Mai 1896 mit dem Anträge, den Beklagten zu veruriheilen, sich der Wiederholung oder Berbreitung der Behauptung: „daß der Kläger früher der SociuS des Herrn von Mayen- bürg, Mitinhabers der Firina Zuleger L Mayenburg in Leipzig gewesen sei und daß daher die Firma Zuleger L Mayenburg berechtigt sei, die klägerische Fabrikmarke nach zumachen und die klägerijchen Modelle zu imitieren", zu enthalten. Der Kläger ladet den Beklagten zur mündlichen Verhandlung deS Rechtsstreits vor die I. Kammer für Handelssachen des König lichen Landgerichts zu Leipzig aus Ven 4tcn März 18SS, vormittags Ist Nhr, mit der Ausforderung, einen bei dein gedachten Gerichte zugelassenen Anwalt zu bestellen. Zum Zwecke der öffentlichen Zustellung wird dieser Auszug der Klage bekannt gemacht. Der «rrtchtSschreiber beim Königlichen Landgerichte Leipzig, am 3. Januar 1899. Wündisch, Aktuar. Der städtische Lagerhof i» Leipzig lagert Waaren aller Art zu billigen Tarifsätzen. Die Lager- scheine werden von den meisten Bankinstituten beliehen. Leipzig, den 7. Januar 1899. Die Deputation zum Lagerhose. Zur Geschichte -er Juden in Leipzig. Von vr. Richard Markgraf. Es ist eine historische Thatsache, daß die Handelsstädte von Alters her auf die Juden eine starte Anziehungskraft ausübten. Auch die Handelsmetropole Leipzig lenkte schon frühzeitig das Interesse des jüdischen Elementes auf sich. Bor Allem führten die Messen viele Juden nach Leipzig. In Leipzig gefiel es den Juden so gut, daß sie zähe darnach strebten, sich hier dauernd niederzulassen. Obwohl die christliche Kaufmannschaft und ver schiedene Jnnnungen, z. B. die Goldschmiede- und Tuchmacher innung, durch Petitionen an den Rath und an den Kurfürsten ihre Niederlassung zu verhindern suchten, so liehen sich die Juden in ihrem Bestreben doch nicht irre machen. Sie wohnten am Ende des vorigen Jahrhunderts nicht nur in der innneren Stadt, sondern auch in den Vorstädten, und hatten ihre Handels gewölbe am Ende des 18. Jahrhunderts und in den ersten Decennien des 19. Jahrhunderts nicht blos im Brühl und in den unteren Theilen der Ritter-, Nikolai- und Reichsstraße, sondern überall, wo es ihnen beliebte. Von dem Bestreben der Juden, immer festeren Fuß in Leipzig zu fassen, zeugt auch der Umstand, daß sie im Jahre 1818 an den Landeshrrrn die Bitte richteten, zünftige Handwerke erlernen zu dürfen. Der Landesherr entsprach am 20. Juli 1818 ihrem Wunsche, allein am 20. October 1819 entzog er ihnen auf Drängen der christlichen Handwerksinnungen die Erlaubniß wieder. Die Juden schienen diese herbe Bloßstellung bitter empfunden zu haben; denn mehr als ein Jahrzehnt verging, ehe sie Muth fanden, mit der Frage der Niederlassung und dem Bestreben, ungehindert Handel und Gewerbe treiben zu tonnen, wieder hervorzutreten. Erst nachdem Sachsen eine Verfassung erhalten hatte, wagten sie diese Forderung wieder geltend zu machen. Auf die in der Constitution ausgesprochene Gleichstellung aller Glieder des Staates sich berufend, unterbreiteten sie im Jahre 1833 der ersten constitutionellen Ständeoersammlung in Dresden eine Petition um bürgerliche Gleichstellung mit den Christen. Anfangs fand dieselbe wenig Anklang. Obgleich der Professor Krug aus Leipzig in der Sitzung der Ersten Kammer am 1. März sich der Juden warm annnahm und infolgedessen die Bittschrift der dritten Deputation zur Begutachtung überwiesen wurde, ging man doch nicht auf die Wünsche der Petenten ein, da man der Ansicht war, daß der Emancipaiion der Juden ihre moralische Verbesserung voraus gehen müsse. Trotz dieser Bedingung wurde die Angelegenheit, wie ein Schreiben der königlichen Landesdirection vom 28. November 1834 an den Rath beweist, nicht »et» gelegt. Die königliche Behörde wünschte zu wissen, 1) ob die israelitischen Kinder in Leipzig bisher Erlaubniß zur Erlernung zunftmäßiger Ge werbe erhalten hätten; 2) ob die Bestimmung für die Leipziger Juden noch existire, welche denselben verbot, in den Vorstädten zu wohnen, und 3) ob die Juden in Leipzig vom Betriebe Itzer Speise- und Schankwirthschaften ausgeschlossen wären. Hierauf antwortete am 26. März 1835 der Stadtrath Friedrich Müller in einem Schreiben, dem er zugleich sein Gutachten zufügte, daß die Juden ihre Wohnungen und Handelsräume ganz nach Belieben wählen könnten. Bezüglich der Beschränkung im Gewerbe theilte er mit, daß die Juden vom Betriebe zünftiger Gewerbe ausgeschlossen wären, ferner, daß die in Leipzig wohnenden Juden außer der Messe nur Kleinhandel und die fremden Juden nur während einer Woche der Messe diesen betreiben dürften. Die Ausschließung der Juden vom zünftigen Gewerbe läge darin begründet, daß ein jüdischer Lehrling bei seiner Aufnahme in die Lehre eines Taufzeugnisses oder eines ausführlichen Geburtsbriefes bedürfe. Am Betriebe unzünftiger Gewerbe seien die Juden nicht gehindert, doch hätten sie bisher keine besondere Neigung hierzu gezeigt. Einmal nur hätte sich ein Jude zur Fabrikation von Cigarren bequemt, jedoch nur, um unter dem Deckmantel eigener Fabrikation die Ge legenheit zum Handel zu erlangen. In Bezug auf die Gleich- stellung der Juden mit den Christen sprach sich der Stadt rath Müller gegen eine sofortige Bewilligung derselben aus. Zunächst solle man den Juden nur im Gewerbe einige Rechte zugestehen. Im Einzelnen wünschte er, 1) daß jeder Jude, wenn er sich selbstständig machen wolle, also bei seiner Mündigwerdung und bei seiner Verheirathung. die Erlaubniß der Regierungsbehörde vorlege. Dadurch bleibe er immer unter Aufsicht: 2) dürfe kein Jude vom Besuche christlicher Schulen aus geschlossen sein. Würde der Unterricht durch Juden ertheilt, so müsse er durch Christen beaufsichtigt werden, 3) bewillige man den Juden die Aufnahme in Innungen, deren Gewerbe den Handel ausschließen, 4) wäre es von Vortheil, wenn die Staatsregierung dem Meister, der einen jüdischen Knaben in die Lehre nimmt, eine ansehnliche Prämie gewähre; denn ohne bedeutende Belohnung würde sich ein Meister schwerlich dazu verstehen, dem Lehrling die jüdischen Sitten und Gebräuche zu gestatten. Von dem Rechte eines Meisters, Lehrlinge und Gesellen halten zu dürfen, müsse der Jude ausgeschlossen bleiben. Diese Bestimmung hätte vielleicht den Nutzen, daß der Jude eiir Handwerk wähle, bei dessen Betrieb er auch schon als Geselle einen eigenen Herd haben könne. Da dieser Vortheil besonders bei Handwerken vorhanden sei, die Körperkraft in Anspruch nehmen, so würde dadurch zugleich auch der dem Juden eigenthümlichen Verweichlichung entgegengearbeitet. Ferner dürfe der Jude nicht zum Handwerke der Schlosser und Schornsteinfeger zugelassen werden, weil er hier leicht Gelegenheit zum Diebstahl fände. Im Handel seien dem Juden auf keinen Fall weitere Rechte als bisher einzuräumen. Wie der Rath, so entschied sich auch das Stadt verordnetencollegium in zwei aufeinander folgenden Plenarsitzungen (am 20. und 29. Juli 1836) mit großer Stimmenmehrheit gegen eine sofortige bürgerliche Gleichstellung der Juden mit den Christen. Die Stadtverordneten waren der Ansicht, daß die Juden einen besseren Unterricht und eine bessere Erziehung genießen müßten, ehe man ihnen ohne Nachtheil für die christlichen Bewohner dauernde Aufnahme in die Stadt und das volle Bürgerrecht gewähren könne. Die Zulassung jüdischer Lehrlinge zur Erlernung eines Handwerks sei un bedenklich, sofern das Handwerk nicht zu denjenigen gehöre, mit denen ein Handel verbunden sei, so lange ferner kein Hand werker gezwungen würde, Lehrlinge anzunehmen, die während der Lehrzeit nicht von ihren Mischen Gebräuchen lassen wollen, und sobald der jüdische Lehrling nicht eine geringere Schulbildung aufweise als der christliche. Jüdischen Gesellen, welche die er forderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten besäßen, könnte das Meisterrecht ertheilt werden. Bei Verehelichung und Selbst - ständigmachung sollte jeder Jude die zuständige Behörde um Genehmigung ersuchen. Im Sinne dieser Begutachtung des Rathes und der Stadt verordneten fielen auch die Beschlüsse der beiden Kammern des Landtages aus. In der Hauptsache wurden die Verhältnisse der Juden durch zwei Gesetze geregelr. Das erste Gesetz, gegeben am 18. Mai 1837, gestattete den jüdischen Glaubensgenossen in Leipzig, sich in eine Religion? gemeinde zu vereinigen und als solche für den gemeinschaftlichen Gottesdienst ein Gebäude anzukaufen. Das zweite Gesetz, er lassen am 16. August 1838, ordnete die bürgerlichen Verhältnisse der Juden. Laut desselben wurde den in Leipzig wohnenden Juden der dauernde Aufenthalt gestattet. Die Niederlassung fremder Juden bedurfte der Genehmigung des Ministeriums des Innern. Den seßhaften Juden gewährte man das Bürgerrecht, jedoch mit Ausschluß der Municipal- und politischen Rechte. Ferner durfte jeder Jude nach freier Wahl ein Gewerbe treiben; nur der Klein-, Ausschnitt-, Schacher- und Trövel- handel, das Halten von Apotheken, die Betreibung von Gast, Speise- und Schankwirthschaften, sowie das Branntweinbrennen blieben ihnen untersagt. Die Zahl der jüdischen Meister sollte nie das Verhältnis; der jüdischen zur christlichen Bevölkerung übersteigen. Als Lehr linge durfte der Meister nur jüdische Knaben annehmen; auch war er verpflichtet, nur selbstgefertigte Waaren zu verkaufen. Endlich stand auch jedem Juden das Recht zu, ei n Grund- st ll ck zu erwerben, jedoch durfte er dasselbe nicht vor Ablauf von zehn Jahren veräußern. Nur bei Eintritt einer Erbtheilung trat diese Bestimmung außer Kraft. Die erste Anwendung fand das Gesetz in Leipzig am 7. Januar 1839, also gerade vor 60 Jahren, indem an diesem Tage der Jude Salomon Veith das Bürgerrecht erlangte. Veith war 1804 in Dresden geboren und seinem Berufe nach Graveur. In Bezug auf den BUrgereid, den er zu leisten hatte, heißt eS nach einem Aktenstücke des Leipziger Rathsarchivs: „Sie sollen schwören, daß Sie dem Allerdurchlauchtigsten, Großmächtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Friedrich August, Könige von Sachsen, Ihrem Allergnädigsten Herren auch dessen Erben und Nachfolgern, sowie den Gesetzen des Landes jederzeit treu und gehorsam seyn, auch die Landesverfassung treu beobachten wollen." Auf diese „Der Haltung" hatte der Jude nach folgender Formel den Bürgereid zu leisten: „Ich X. X. schwöre hiermit im Namen des Gottes Israel, daß ich das, war mir vorgelesen, von mir auch Wohl verstanden worden ist, fest, treu und unverbrüchlich halten will." Dabei war vorgeschrieben, daß der Jude diesen Eid stehend, mit bedecktem Haupt und mit Erhebung der rechten Hand ab zulegcn habe und daß die bürgerlichen Vornamen und der erbliche Geschlechtsname des Schwörenden einzuschalten seien. Durch die Erlangung des Bürgerrechts waren die Juden in Leipzig in ihrem Bestreben einen bedeutenden Schritt vorwärts gekommen. Sie sahen sich nicht nur dem Zustande der still schweigenden Duldung entrückt, sondern erfreuten sich auch im Handel und Gewerbe theil weise derselben Rechte wie ihre christlichen Mitbürger. Ihre volle bürgerliche Gleichstellung mit den Christen sollte jedoch einer späteren Zeit Vorbehalten bleiben. Feuilleton. Straßenleben in Äthen. Von Rudolf Dietz-Athen. Nachdruck verbeten. Obwohl Athen, dank seinem reichen Schatze an Alterthümern, sich eines starten Fremdenverkehrs erfreut, so bleibt die moderne Stadt, die ihrer merkwürdigen und schnellen Entwickelung halber ohne Zweifel die Aufmerksamkeit des Reisenden verdiente, doch fast unbeachtet. Das Eigenthümliche des Athener Lebens, die äußerliche europäische Erscheinung und der im Grund orientalische Geist, dieser auch heut« noch wie vor Jahrzehnten trotz aller Fortschritte vorhandene Widerspruch in der Natur des Griechen, übt einen eigenen Reiz auf den Beobachter aus. Werfen wir von der Akropolis, dem antiken Wahrzeichen Athens, einen Blick auf das weit vor uns ausgedehnte Stadt bild, so empfangen wir den Eindruck einer durchaus modernen Stadt, die sich von unseren Großstädten dadurch Vortheilhaft unterscheidet, daß sie nicht an Raum spart und den Cultur- fortschritt der „Miethskasernen" noch nicht kennt. Die fast durch gängig ein- oder zweistöckigen Häuser erhalten durch die viel fache Verwendung des Marmors ein vornehmes, ansprechendes Aussehen. Die Straßen sind, abgesehen von der Altstadt dicht zu unseren Füßen, regelmäßig, die Verkehrsstraßen breit und zum Theil mit Baumanlagen versehen. Fast während des ganzen Tages herrscht hier ein lebhafter Verkehr, dessen Rauschen deutlich bis zu unserer Warte heraufdringt. Nur in der drückenden Mittagshitze im Sommer ist das Leben wie ausgestorben, so daß dann auch der ärmste Mann sein Mittagsschläfchen halten kann. Beim Abstieg von der Akropolis nach der Stadt durchwandern wir die Altstadt mit engen, schmutzigen Gassen, die terrassen artig am Abhange entlang führen. An vielen Häusern fällt uns auf, daß man über der Thür ein ausgegrabenes antikes Bildwerk oder ein Säulenstück eingemauert hat, an daS sich abergläubische Vorstellungen knüpfen. Wie fast überall im Orient besitzt auch hier jedes Haus seinen Söller, wo di« Bewohner während der kühleren Tagesstunden sich aushalten. Wir wandern weiter und stoßen auf die Ruinen deS alten römischen Marktes, bis wohin der Lärm d«S Verkehrs d«S modernen „alten Marktes" dringt, zu dem wir nunmehr unsere Schritte lenken. Hier fällt uns be sonder- auf, daß nur Männer den Markt besuchen, um die nöthiarn Einkäufe zu besorgen, denn wir hätten gern die Athener HauSftau beim Eistkufe studirt, um vergleich« anzustellen. Wir können den Athener Hausfrauen indeß nur zustimmen, wenn sir sich von diesem Markte fernhalten, denn so schmutzig und un appetitlich wie hier, dürfte es in einem anderen cultivirten Lande kaum zugehen. Es gehören in der That auch starke Nerven dazu, um mit anzusehen, wie an derselben Stelle, wo das Fleisch ver kauft wird, ganze Schaaren von Hammeln abgeschlachtet werden. Zudem verbietet eine alte türkische Sitte ja den Frauen, in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Von besonderem Vortheil ist dies für die „fliegenden" Frucht- und Gemüsehändler. Auch sieht man selbst in den feinsten Straßen noch Ziegenhirten ihre Heerden vor sich her treiben und frische, warme Ziegenmilch, die bei den Athenern sehr beliebt ist, verkaufen. Dies« Sitte verdankt wohl ihre theilweise Erhaltung in erster Linie der Bequemlichkeit der Athenerinnen. Wir lassen nunmehr das Getöse des Marktes hinter uns und gelangen durch verkehrsreiche Straßen, in denen sich Laden an Laden reiht, auf den Verfassungsplatz vor dem Schloß, dessen Promenade und Parkanlagen in den kühlen Abendstunden viel besucht sind. Zur besseren Beobachtung des an uns vorüber strömenden Verkehrs begeben wir uns in «ins der großen Kaffee häuser und genießen dort einen L I» turquo gebrauten Kaffee aus einer niedlichen, etwa fingerhutgroßen Schale. Auffallend ist zunächst der ununterbrochene Wagenverkehr auf der Straße, zu dem die Einwohnerzahl Athens — etwa 140 000 — in keinem Verhältniß steht, und der hauptsächlich den vielen Fremden zu verdanken ist. Eine viel bespöttelte Figur im Athener Straßenleben ist der Oricntfahrer im Tropenanzug mit Bädeker und Krimmstecher. Unter den Promenirenden ist hier in hervorragendem Maße das Officiercorps vertreten, was dem Ganzen ein eigenes Gepräge giebt. Der Staat unterhält nicht nur eine Unmenge Reserve- officiere, sondern verfügt auch über weit mehr activc Officiere, als für das Heer nothwendig ist. Was uns besonders beim griechischen Militair auffällt, ist die Gemächlichkeit, mit der Alles zugeht. Den Drill kennt man nur aus haarsträubenden Ge rüchten über deutsches Militair; für den Griechen giebt es nur die hundertmal des Tages sich wiederholende Loosung: „Das genirt nicht". Das ist seine Antwort auf jede Bemerkung, auf jeden Vorwurf. ES genirt auch nicht, daß die Officiere zum Beispiel nicht selten recht abgetragene, ja selbst durchlöchert« und geflickte Uniformen tragen. Der militairischen Vertretung auf der Straße steht die geistliche an Menge kaum nach. Der lange schwarze Talar und der etwa dreißig Tentimeter hohe, chlinderartige Priesterhut geben der Erscheinung des orthodoxen Geistlichen etwas Abschreckendes, was noch dadurch verstärkt wird, daß, wie bei den alten jüdischen Wüstenpredigern, mit seinem Kopfhaar und seinem Barte nie eine Schiere in Berührung kommt. Die widerlichste Erscheinung sind die griechischen Mönch«, deren zerrissenes Gewand von Schmutz starrt. Diese von der Welt Abgekehrten scheinen auch dem wichtigsten Culturmittel, der Seife, entsagt zu haben; und Kamm und Bürste gehören bei ihnen zu den Luxusgegenständen. Eine weitere, für das öffentliche Leben Athens wichtige und nicht zu unterschätzende Persönlichkeit ist der „Lustros" oder Stiefelputzer, so unansehnlich auch seine Beschäftigung ist. Der „Lustros" ist gewöhnlich ein intelligenter Bursche im Alter von 10 bis 20 Jahren. Sein Putzkasten ist der Gegenstand seiner Liebe und Dankbarkeit. Sobald der putzende Jüngling etwas erübrigt hat, versieht er seinen Kasten mit einem blitzenden Messingbeschlag; dann fügt er ein Fach für farbige Lacke hinzu; die besonders wohlhabenden Lustri bekleiden die Wände ihres Kastens sogar mit Spiegelglas; und die Höhe ihrer Laufbahn haben sie erreicht, wenn sie die Passanten durch Anschlägen einer kleinen Glocke auf sich aufmerksam machen können. Der Lustros ist strebsam, und nicht wenige Großkaufleute Athens sind aus diesem Stande hervorgegangen. Der Lustros ist dabei der ehr lichste Mensch und der willigste Arbeiter von der Welt und wird deshalb zu den mannigfachsten Verrichtungen herangezogen; er ist außerhalb seiner eigentlichen Bestimmung als Schuhputzer auch Bote, Hausreiniger, Zeitungs- und Loosverkäufer u. s. w. unv findet, wenn er geschickt ist, einen guten Verdienst. Die Promenaden Athens sind im Sommer zur kühleren Tageszeit von Spaziergängern ungefüllt, und der moderne Arbeitsmensch sieht hier ein Völkchen vor sich, das den Genuß des Lebens zu schätzen weiß. Diesen Leuten ist es ein Bedürfnis sich wegen ihrer neuen Toiletten beneiden zu lassen, Bekannte im Vorübcrgehen zu begrüßen, in unversiegbarem Flusse von tausend nichtigen Dingen mit großem Aufwand von Pathos zu reden, dabei etwas französisch zu parliren, Kaffee zu trinken, Süßig keiten zu naschen, Cigarette auf Cigarette zu rauck;en, oder sich an einer Wasserpfeife zu berauschen. Eine Militaircapelle spielt dazu deutsche Walzermelodien oder italienisch« Opern; und während die Jugend schwatzt und flirtet, sitzt das Alter beim Schach oder Domino. Man wundert sich, wie sich solcher Müßiggang ernährt; die Antwort auf eine derartige Frage ist ein vielseitiges Achselzucken. Die Lebensanschauung der Neugriechen läßt folgendes Sprichwort erkennen: „Arbeite mäßig, denn Arbeit im Ucbermaß frißt ihren eigenen Herrn auf." Die Kleidung des modernen Griechen ist immer nach dem neuesten Schnitt, und die Damen, das muß ihnen der Neid lassen, verstehen sich charmant zu kleiden; selbst die Ausdrücke „chic" und „ttistin^uöe" werden gar nicht als Fremdwörter em pfunden, und das jüngste Modistenfräulein kennt deren Sinn sehr wohl. Beinahe auffallend wirkt die Erscheinung eines „Patrioten", der die alten Traditionen seines Landes bewahrt und dies durch Tragen der Nationalkleidung zum Ausdruck bringt, die sonst nur noch von den albanesischen Bauern und Hirten und von den Leibjägern als Uniform getragen wird, außerdem aber als Carnevalsmaske sehr beliebt ist. Die an das Ballet erinnernde faltenreiche Fustanella, und die Zaruchia, lange Schnabelschuhe mit einer Quaste auf der Spitze, dürften unseren Lesern bekannt sein. Beim Carneoal und an hohen Festtagen kommt auch die kleidsame, von goldenem Schmuck strotzende Nationaltracht der Frauen zur Geltung. Die vereinzelt sichtbaren Jnselgriechen unterscheiden sich von den modernisirten Athenern durch die weite, sackartig herab hängende Pluderhose und den schlappen Fez, während der Grieche aus der Türkei europäische Kleidung trägt und nur durch den hohen, steifen Fez seinen Ursprung verräth. Während wir diese Beobachtungen machen, kommt langsam ein Zug die Straße herauf, dem mehrere Priester in seidenen, buntfarbigen Talaren mit hoher Stimme Choräle singend vorangehen. Die Menge macht ehrerbietig Platz unv be kreuzigt sich. „Es ist ein Leichenbegängniß." Nach alter Sitte wird der Leichnam, allem Volle sichtbar, im offenen Sarge ge tragen. Auch die Sitte der Klageweiber hat sich hier noch er halten, und oft hört man in einem Hause, das einen Tobten birgt, ein ohrenzerreißendes Geheul, das von diesen Klageweibern her rührt, die durch ihr „Gesänge" die bösen Geister von dem Todten- bette hinlvegscheuchen wollen. Wie im ganzen Orient, so ist auch in Athen das Bettelwesen sehr ausgebildet; nach alter Sitte darf des Sonnabends keine Bitte abgeschlagen werden, daher gehen die Bettler an diesem Tage von Haus zu Haus, überall für die empfangene Gabe ein Sprüchlein sagend, worin dem Geber Freude an seinen Augen, die Seligkeit verstorbener Angehöriger oder die Belohnung des Himmels gewünscht wird. Im Ausdruck von Bitten und Wünschen ist dir Sprache des griechischen Bettlers außerordentlich bilder reich. Wenn man von den armen Flüchtlingen aus Kreta ab sieht, so giebt es kein wirkliches Elend in der lebenslustigen Stadt; Jeder findet sein tägliches Brod, so kärglich es Manchem auch bemessen sein mag. Auch die ärmste Familie kennt ein ge wisses Maß von Luxus und versteht cs, ihr Heim gemächlich zu machen. Daher sind auch auf der Straße elende, verhungerte und zerlumpte Gestalten eine Seltenheit. Wenn sich die Sonne über Salamis herabsenkt, die Berge im Abendroth erglühen und ein frischer Luftzug vom Meere herüber weht, dann erwachen in der Brust des Athener Jünglings die sanfteren Gefühle der menschlichen Natur, die sich in schmachten den Liebesliedern vor den Fenstern der Angebeteten äußern; meist ziehen dann die jungen Liebhaber, zu einem Chore vereint, durch die Straßen und lassen bis nach Mitternacht die gerade beliebten Melodien erschallen. Hier preisen sie die schwarzen Gluthaugen der Schönsten, dort singen sie in schmelzenden Klageliedern von der Herzenshärte einer Kleopatra oder von der Treulosigkeit einer Kalliope.
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