Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.01.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990114028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899011402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899011402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-14
- Monat1899-01
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Dt« Morgm-AuSgab« «rschelut «n» '/,? Uhr. die Abrnd-AuSgabe Wochentag- um b Uhr. «e-actiou und LrpeMo«: AohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abeud- 7 Uhr. Filialen: Ltt» Klemm'» Surti«. Mlfretz Hah«x Universitütsstraßr 3 (Paulinuac), Louis Lösche, Katherinen str. I-, Part, rnd ASulgSplutz 7. VezugS-Prelr tz, H« -auptqpedttiou oder den km Gt^h»» begirk und den Vororten «richtet«, AuS» »abestrllen abgeholt: viertel jährlich »ei -westualiger täglicher Zustellung in» Hau« ^lS.üO. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Krrujbandiendung tnß Ausland: monatlich >l 7.50. Abend-Ausgabe. WiMM TagMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nottzei-Amtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigetr.PrelU die 6 gespaltene Petitzeile SO Nrclamen unter dem NedactionSstrich (-D0» svaltrnj SO^z, vor den Familiennachrtchtr» (6 gespalten) 40-<. Grohrre Schriften laut uiiserem Preis« verzeichnib. Labellanscher und Zissernsatz nach höherem Tarif. Pytr«-Beilage» (gefalzt), nur mit d« Morgen-Ausgabe, ohne PostbeförLerong ^l 80.—, mit Postbefürderuug 70.—. Rnnahmeschluß fir Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittags 10 Uhr. Mor-e«»Ausgabe: Nachmittag» -Uhr. Vei den Filialen und Annahmestelle« je ein« halb« Stuude früher. Anreihe» sind stet» an die Expehiti»» zu richten. Druck «ud Verla« von E. P oltz in Leipzig 25. Sonnabend den 14. Januar 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. Januar. Der socialdemokratische Platzcommandant von Berlin, Herr Singer, hat dieser Tage in einer Parteiversammlung angekündigt, die focialdemokratische NeichStagSfraction werde in dieser Tagung so scharf wie möglich auftreten. Nun, Herr Bibel hat bei den gestrigen ReichStagSvcrhantz- lungen über die Militairvorlage zwar ein Lorbeerdlättchen in der Gestalt eine» beinahe gewaltsam errungenen Ordnungs rufes gepflückt, sich aber der gemäßigten Temperatur, die im Hause bei der Berathnng dieses Gegenstandes herrschte, auch für seine Person nicht entziehen können. Mußte er sich doch einen Vergleich seiner Rede mit dem FriedenS- Gesäusel der Frau Bertha v. Suttner gefallen lasten. Man würde über seine Ergießungen kein Wort zu verlieren haben, wenn nicht die Komik der Erscheinung zu verzeichnen wäre, daß der socialrevolutionäre Republikaner immer wieder auf den Zaren und den diesem und seinem „Manifeste" schuldigen Respect zurückkam und dem Freiherrn v. Stumm, der ver- rathen hatte, daß die Note Murawjew'S vom 24. August ibn nicht auS der Fassung gebracht, beinahe entsetzt zurief: „Welchen Eindruck muß das in Petersburg machen!" Als Mann der bleichen Furcht rührte aber Herr Bebel den Reichstag so wenig, wie als militairischer und diplomatischer Sachverständiger. Er war der einzige Oppositionsredner der gestrigen Verhandlungen, die mit der Beendigung der ersten Lesung der Heeresvorlage und deren Verweisung an die Budgetcommission schlossen. Daß das Cent rum entgegen einer mehrjährigen Ueberlieferung nicht Herrn vr. Lieber, sondern den Freiherrn v. Hertling als seinen Wortführer vorschickte, ist bemerkenswerth. v. Hertling ist der einzige bayerische Centrnmsabgeordnete, der für daS neue Marinegesetz gestimmt hat. Seiner Wahl zum Vertreter der Gesammlpartci bei der ersten Verhandlung der Militairvorlage wird kaum die Erwartung serngelegen haben, eS könne durch ihn auf die bayerischen FractioaSgenosten im positiven Sinne eingewirkt werden. Privatim natürlich, nicht durch seine ParlamentSre-L Hirse war so gehalten, daß das Centrum schließlich zwar gegen Einzelheiten des Entwurf» stimmen, ihn aber im Großen und Ganzen annehmen muß, wenn anders eS sich nicht den gerechten Vorwurf zuziehen will, die Conseguenzen auS dem bestehenden, im Jahre 1893 geschaffenen Zustande nicht gezogen zu haben. Als solche Consequenzen hat Herr v. Hertling das Wesent liche der Vorlage ausdrücklich bezeichnet und mit Recht. Die — auch von dem nationalliberalen Abgeordneten vr. Sattler und Herrn Rickert abgegebene — Erklärung, daß die Beseitigung der verkürzten Dienstzeit unthunlich sei, besitzt angesichts dieser die zweijährige Dienstzeit auf Jabre hinaus aufs Neue festlegenden Vorlage nicht den Charakter eines Vorbehaltes. Daß Herr v. Hertling bei der Erwähnung des Dreibundes der „römischen Frage" gedachte, soll dem klerikalen Politiker unter den obwaltenden Umständen nicht zu sehr verargt werden. Er wollte wohl dem Hinweise auf die Wirren in Oesterreich auch etwas Italienisch-Inneres zur Seite stellen. Auf die Natur und den Zweck der in der Provinz Han nover von Beamten, also auf Anregung auS Berlin ins Leben gerufenen „Conservativcn Bereinigung" fällt ein zwar nicht neues, aber sehr scharfes Licht durch die Kritik, die das schon länger bestehende konservative Blatt Hannovers, die „Hannov. Post", dem Neugebilde angedeihen läßt. Dieses Blatt schreibt nämlich: „Die „Conservative Bereinigung" ist eine rein gouveroe- mentale Vereinigung, auS Herren zusammengesetzt, die der Regierungein Blatt zur Verfügung stellen wollen, das uuterallen Umständen das wiedergiebt, was die Regierung ihr gerade vor» schreibt. Waren die Herren wirklich echt consrrvativ gesinnt, lag ihnen wirklich an der Hebung der konservativen Sache in Hannover, so war ihnen Gelegenheit geboten, dieses durch kräftigen Anschluß an den bestehenden „Deutschconservativeu Wahlverein" zu bethätigen. Dieses aber thaten sie nicht — sondern gründeten die sogenannte „Conservative Bereinigung". Ist ihr Programm ein anderes als das, woraus der „Deutschconservative Wahlverein" stand nnd steht, so sind sie eben nicht echt consrrvativ. DaS bewies schon die Aus stellung des Programms, das an „Weitherzigkeit" nichts zu wünschen übrig läßt, daS nur nach einer Seite hin fast meisterhaft genannt werden darf — eS ist rin Kautfchuckprogramm, wie es eben nur in einem Blatte stehen kann, wie das Leiborgan der Herren Landräthe eS immer gewesen ist." Hiernach wird man nicht mehr daran zweifeln dürfen, daß die Erklärung des PreßorganS der neuen „Conservativen Vereinigung", die Welsen würden, „sobald sie das WelfenhauS im glücklichen Besitze des Thrones eines stammverwandten deutschen Bundesstaates wissen", ihre Feindseligkeit gegen Preußen einstellen, einem von „gouvernementaler" Seile ausgestellten Programme ent spricht. Und da es aus der Hand liegt, daß man die Feindseligkeit der Welfen nur noch steigern würde, wenn man ihnen die Besetzung des braunschweigischen Thrones mit einem Cumberländer nur vorspiegelte, so muß die feste „gouvernementale" Absicht bestehen, die Frage der braunschweigischen Thronfolge in einem den Wünschen der Welfen und der Ultramontanen entsprechenden Sinne zu lösen — um sie zu versöhnen! Wenn man nicht wüßte, daß Herr Professor HansDelbrück zur Zeit in den „gouvernementalen" Kreisen sehr übel angeschrieben ist, so könute man auf die Vermuthung kommen, er, der die Polen durch Einsetzung polnischer Beamten zu „versöhnen" anzerathen hat, habe Pathe bei dem Plane gestanden, das Welfenthum durch Besetzung des braunschweigischen Thrones mit einem Cumberländer preußisch-gouvernemental zu machen. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Wien über die Tuppelsprachigkeit in Böhmen und die RechtSgiltigkeit der Sprachenverordnungeu in Gautsch'scher Fassung wird von österreichischen Blättern, und wohl mit Recht, auf die „Säuberung" dieses höchsten Tribunals auf Grund der „Postulate" der Tschechen zurückgeführt. Nicht weniger als 12 Räthe haben im Laufe der letzten Monate um ihre Pensionirung einkommcn müssen nnd sind durch Angehörige der MehrheitSparteien ersetzt worden. — WaS aber ganz besonders den Unwillen der Deutschen in Oesterreich erregt und was auch außerhalb der schwarz-gelben Grenzpsähle wohl nicht ohne Kopfschütteln und starke Verwunderung gelesen werden wird, ist der Umstand, daß sich das höchste Gericht in seiner Entscheidung zweimal auf ein kaiserliches Rescript vom 8. April 1848 beruft, das folgende Entstehung batte: Eine in den letzten März tagen des Jahres 1848 im sogenannten St. Wenzelsbade tagende Volksversammlung wählte einen Ausschuß, der eine Petition mit einer Reihe von Postulaten verfaßte, die von einer Anzahl Prager Bürger unterschrieben und von dem Ausschüsse, der hierzu nach Wien reiste, dem Ministerium überreicht wurde. Hierauf erging das Rescript, das sich selbst in der Einleitung lediglich alsAntwort auf die Petition der Prager bezeichnet und daS keinen Moment darüber im Zweifel läßt, daß hier blo», gleichwie in einer Thronrede, Versprechungen, wie künftig die sprach lichen und politischen Verhältnisse in Böhmen geregelt werden sollen, gegeben werden. Hierzu führt u. A. die „N. Fr. Pr." au«: „Nur zwei Fragen wollen wir berühren. Kanu das ein Gesetz sein, da» sich ausdrücklich uur als eine Antwort auf eine Pe tition von Prager Bürgern bezeichnet und ausdrücklich nur ihnen als Antwort auf ihre Petition „im geeigneten Wege" bekanntgegeben werden fall? Dann ein Zweites. Die Ent scheidung des obersten Gerichtshofes beruft sich insbesondere auf Punct 1 LeS Rescript», der von der Gleichstellung der tschechischen Sprache mit der deutschen handelt, und behauptet, daß dieser Punct durch kein nachfolgendes Gesetz ausgehoben worden sei. Das ist unrichtig. Jeder Jurist weiß, daß ein früheres Gesetz durch rin nach folgendes, das denselben Gegenstand behandelt, aufgehoben wird, ohne daß das neue Gesetz diese Aushebung ausdrücklich statuirt. Nun haben wir ein solches neues Gesetz, da» denselben Gegenstand wie der obige Punct 1 regelt, und das ist der virlberufene 8 19 des Staatsgrundgesetzes, welcher lautet: „Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt und jeder Bolksstamm hat rin unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationaliät und Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffent- lichem Leben wird vom Staate anerkannt rc." Der Gegenstand der Gleichberechtigung der Sprachen und Nationalitäten, also auch der tschechischen und deutschen» ist also durch das Staatsgrundgesetz geregelt, und kein Mensch kann sich mehr aus dir durch Len Punct 1 des Rescripts vom Jahre 1848 erfolgte Regelung berufen» selbst wenn er die unglaubliche Idee hat, jene» Rescript sei ein Gesetz gewesen. Wie neben vielem Anderen der Oberste Gerichtshof gerade dies übersehen konnte, ist so unbegreiflich, daß man den Gedanken, dieser Theil der Motivirung sei am Ende apokryph, nicht los werden kann. Dieser Beweisführung ist nichts entgezenzuhalten. Sonder- abmachungeu in Bezug auf die Sprachverbältnisse einzelner Länder sind hinfällig, nachdem das Staatsgrundgesetz die Gleichberechtigung aller Sprachen der gesammten Monarchie statuirt hat. Diese Gleichberechtigung ist natürlich nicht so zu denken, daß jeder österreichische Staatsangehörige in jedem Orte der vielsprachigen Monarchie eine Verhandlung vor Gericht in seiner Sprache verlangen kann. Es wird ver bandelt in der landesüblichen Sprache, d. h. in der Sprache der überwiegenden Mehrheit de« betreffenden Gerichtssprengels. In diesem Sinne lautete auch die Entscheidung deS Obersten Gerichtshofes vom 3. November 1897. Beide Entscheidungen stehen sich schroff gegenüber, und dies in einer Frage, welche die Bevölkerung so mächtig bewegt. Solche Vorgänge müssen verwirrend auf die Rechtsprechung und auf daS RechtSbewußt- sein des Volkes wirken. Der Nachricht, eS sei bald soweit, daß in Petersburg eine päpstliche Nuntiatur errichtet werde, ist bald ein vatikanisches Dementi nach dem anderen gefolgt. Offenbar weil die von Rom gestellten Bedingungen, die wir letzthin ausführlich er örterten und die in der Jurisdiction des Nuntius über die russischen Katholiken gipfeln, in Petersburg als unannehmbar erklärt worden sind. Jetzt soll eS sich auf einmal nicht um einen ständigen Nuntius, sondern um einen Nuntius ml live bei den zwischen dem Vatican nnd der Petersburger Negierung schwebenden Erörterungen bandeln. Eine der Wiener „N. Fr. Pr." mitgetheilte Version besagt, der Cardinal StaatSsecretairRampolla habevor Kurzem dem beim Vatican be glaubigten russischenGesandten v.Kscharikowmitgetheilt,LeoXIII. beabsichtigte für die Dauer der Abrüstungs-Conferenz in Petersburg einen Cardinal als Nuntius zu bestellen, damit auch der Heilige Stuhl an diesem Friedenswerke theilnehmen könne. Darüber habe Graf Murawjew dem Zaren in zu stimmendem Sinne Vortrag gehalten. Der Zar aber habe erklärt, daß er gegen die Errichtung einer ständigen Nuntiatur in Petersburg zur Besorgung der kirchlichen Angelegenheiten zwar nichts einzuwenden hätte (?), da doch auch er zu diesem Zwecke einen Gesandten beim Vatican bestellt habe, daß aber ein Nuntius zur AbrüstungS-Conferenz keinesfalls zuzulaffen sei, weil der Vatican keine weltliche Macht mehr sei und kein Präjudiz geschaffen werden dürfe, da sonst auch der ökumenische Patriarch, der bulgarische Exarch und der armenische KatholikoS, die gleichfalls geistliche Oberhäupter sind, ein solches Verlangen stellen könnten. Nach einer andern Version befindet sich die Frage der Theilnahme des Vatikan« an der AbrüstungS-Conferenz in folgenden: Stadium: Sollten sich die Mächte bei der Conferenz in Petersburg lediglich durch ihre Botschafter vertreten lasten, so entfiele für den Vatican, der dort keine diplomatische Vertretung besitzt, die Gelegenheit, an den Beratbungen theilzunehmen. Würden aber hierzu noch besondere Bevollmächtigte entsendet werden, dann würde der Papst einen Cardinal, dessen Wahl bereits getroffen sein soll, mit seiner Vertretung betrauen. Uebec die Lage auf den Philippinen liegt uns heute folgende Meldung vor: * Ma-rid, 14. Januar. (Telegramm.) Nach hier im Drahtwegc eingegangenen Mittheilungeu brhaupten dir Ameri kaner die Herrschaft auf den Philippinen uur in der Gegend der Bai von Manila; alle- Urbrige ist mit Au-nahme von Min- danao, wo die Spanier bleiben, in der Gewalt der Aufständischen. Die amerikanischen Freiwilligen sind durch das Klima und die schlechte Nahrung entmuthigt und bekunden das Verlangen, nach den Bereinigten Staaten zurückzukehren. Die Nachricht stammt allerdings aus spanischer Quelle aber sie wird durch solche englischer und amerikanischer Pro venienz vollauf bestätigt. In Folge dessen wandelt die sieges trunkenen Amerikaner bereits etwas wie Katzenjammer an und die Chancen der Antiimperialisten sind so gestiegen, daß schon die Wahrscheinlichkeit deS Scheiterns des Friedens Vertrages mit Spanien, welcher die Abtretung des Archipels an die Union vorsieht, gemeldet werden konnte. Als letztes, freilich höchst prekäres und böchst ver werfliches Mittel, die Stimmung für den FriedenSvertraz hoch zu halten, muß nun die systematische Verdächtigung und Verleumdung Deutschlands in der Presse der Union herbalten. Unsere Leser sind schon darüber orientirt, was alles Deutschland vorgeworfen worden ist. Auch in den Uj Onkel Mlhelm's Gaste. Roman von A. von der Elbe. Nachdruck rrrbotea. Kurt raffte sich mühsam dazu auf und sprach dem Getreuen seinen Dank aus. Johannes fragte, ob er dann und wann schreiben dürfe. Mit wehmiithigrr Freude wurde diese Frage bejaht. Die Knaben gaben nun aber ihrem Trennungsschmerz in einem so wilden Geheul Ausdruck, daß Alle froh waren, als sich nach wenigen Minuten der Zug wieder in Bewegung setzte. Nella blieb mit einem dumpfen Gefühl von Leere zurück, daS nur allmählich in die Spannung überging, wie ihr Ankommen und ihre neue Lage sein werden. Gegen Abend langten die Ausgewiesenen auf der Station Neustadt am Fuße des Rusteberges an. Der Octobertag war immer unfreundlicher geworden, der Wind sauste in den Kronen der halbentlaubten Bäume, und die Blätter, in Menge herabflatternd, hielten auf dem kleinen Bahn hofe ihren wilden Abschiedstanz. Als die Reisenden ausstiegen und zweifelnd mit fragendem Umherblicken bestanden, wurden ihnen Hüte und Kleiber vom Sturme zerzaust. Dor sich sah Nella, hinter Häusern und Gärten, «inen sanft ansteigenden bewaldeten Berg, zu oberft mit einer hochragenden Burgruine gekrönt, die majestätisch und geheimnißvoll auf dem Hintergründe des graubewölkten Himmels hervortrat, Das war der vielbesprochene Rusteberg, die alte Heimstatt der Famili« und jetzt der einzige Zufluchtsort, der ihnen blieb. Kurt überließ ihr mit einem Wink den Dater, der während der ganzen Reise ruhig und in sich gekehrt dagesefsen hatt«. Nella nahm seinen Arm und schritt, während der Bruder nach dem Gepäck sah, freundlich plaudernd mit dem zerstreuten Manne auf und ab. Peter und Paul, ihre zärtlich gehüteten Geigenkästen in der Hand, schlossen sich neugierig dem großen Bruder an, der, nach Transportmitteln suchend, hiater das Stationsgebäude ging. Hier hielt ein niedrige» Leiterwägelchen, etwas Stroh lag darauf, und ein kleiner, dicker, rauhhaariger Brauner war davor gespannt. Ein langer, dürrer Mann, im blauen Leinenkittel und verbogenem Strohhut, an den er, militairisch grüßend, die Hand legte, stand neben dem Wagen und kam nun mit großen Schritten auf Kurt zu. „Eure Gnaden sind vielleicht ein hochwohlgeborener Herr von Rusteberg?" fragte der Lange. Kurt nickte und der Andere fuhr zungenfertig fort: „Mit gütigster Derstattung bin ich Dietrich Hahnewinkel Wohlgeboren, und soll unsere Familiensachen mit oben diesem Herkules ergeben st zu Berg holen." „Ah, also mein Onkel schickt Sie, Sie sind sein treuer Bursche, Hahnewinkel, das freut mich." „Freut mich gütigst auch, gewerthester Herr. Und wo sind der hochwohlgeborene Herr Vater, daß wir ihn und unsere Koffer zusammen hochachtungsvoll aufpacken." „Mein Vater wird schwerlich aufsteigen." „Mein gnädigster Herr Lieutenant meinten, fein hochwohl geborener Herr Bruder wären gütigst 'en biischen swacklich." „Ich denke, «r wird gehen können. Lassen Sie uns nur das Gepäck aufladrn." Entschlossen faßte Kurt mit an, freudig halfen die Knaben, und bald war das kleine Wägelchen reichlich bepackt. „Wie geht es meinem Onkel?" fragte Kurt während der Arbeit, „erwartet er uns oben?" „Mit gnädigster Verstattung gehen der Herr Lieutenant nie mals nach Sonnenuntergang hinaus. Und bis wir oben sind, könnte eS doch mit eben dieser Sonne gütigst aus sein." Wie um Hahnewinkel's Ansicht zu bekräftigen und den Nieder gang des leuchtenden Gestirns zu zeigen, brach zum ersten Male an diesem trüben Tage, zwischen grauen Wolkenmassen schon ziemlich tief stehend, ein Stück deS blutrothen Sonnenballes her vor und goß ein plötzliches grelle» Licht über die herbstliche Land schaft, welche in dieser Beleuchtung, die alles Welke, Verwehte und Struppige um so deutlicher hervorhob, noch trübseliger aussah. Der Vater ward an Nella's Arm ungeduldig, er wollte weiter, sprach von den sicherlich vorbereiteten Empfangsfeierlich keiten von Seiten der Vasallen, die er nicht warten lassen dürfe, da Präcision die Höflichkeit der Könige sei, und kam eben mit der Tochter um di« Ecke des Stationsgebäudes, als das Wägelchen zur Abfahrt bereit stand. Entrüstet wies er das höflichst vorgebrachte Anerbieten Hahne winkel's ab, sich zwischen die Koffer zu setzen und von Herkules, der schon manches schwere Fuder gezogen habe, zu Berg schleppen zu lassen. Und dann trat die kleine Gesellschaft ihren Gang zu d«r neuen Heimath an. Zurrst au Garten, dann an Stoppelfeldern und abgeernteten Kartoffeläckern vorbei, auf deren einem eben rin Haufen dürren Kraut«», das Kinder zusammen schleppten, vom Winde angeblasen, wild aufloderte, ging es sacht bergan. Nun kam man in den Wald, der auf beiden Seiten den Weg be grenzte und in dessen alten Kronen es geheimnißvoll flüsterte und sauste. Im Sommer mochte es ein schöner schattenspendender Weg sein, den man sich zu erreichen 'freute, jetzt mit raschelndem Laube bedeckt, hatte er etwas Düsteres, und wie Nella empfand, Unheimliches. Sie war's, die sich am sorglichsten mit all«n neuen Eindrücken beschäftigte. Kurt, bereit, für die Seinen vollauf alles Nöthige zu thun, wußte doch, daß sein Aufenthalt hier ein rasch vorübergehender sein müßte, und nahm daher flüchtiger auf, was sich bot. Er führte den Vater am Arm, der, von Jugenderinnerungen berührt, vernünftig und fast heiter über alte Zeiten plauderte und vielleicht vergessen hatte, unter welchen Verhältnissen er jetzt hierher zurück kehrte. Die Knaben gesellten sich zu Hahnewinkel, der ihnen sammt dem wacker vorwärts strebenden Herkules sehr gefiel. Er eröffnete ihnen verheißungsvolle Fernsichten auf Streifereien im Walde, Entdeckungen in der Ruine und auf den Verkehr mit Kühen, Hühnern und Hunden. Ein lebhaftes Fragen und Antworten nahm unter ihnen kein Ende. Hatten Peter und Paul auch ihren Doctor Feldhaus sehr geliebt, so erschien ihnen doch die Aussicht auf unbegrenzte Ferien, mit der sie sich schmeichelten, Ferien, die ohne Aufsicht in dieser Höhenwildniß verlebt wundervoll sein mußten, als eine köstliche Hoffnung. Nella schritt langsam und gedankenverloren hinterher, aber trotz allem Denken sah sie genau, was um sie her vorging. Unter die Bilder von d«r einstigen Größe ihres Geschlechts, das hier Jahrhunderte lang als Gewalthaber der Umgegend waffenklirrend auf stolzen Rossen emporgezogen sein mochte, mischten sich Hoffnungen und Pläne für die Zukunft, zugleich aber schwere Sorgen um die Neugestaltung ihres Daseins. Sie hatt« in der letzten Zeit zu rechnen gelernt. Die Noth und das Gefühl der Verantwortlichkeit zwang sie dazu, und sie wußte genau, auf welche knappen Mittel sie angewiesen sein würden. Wie das auf weiter hinausgehen mochte, wenn der Rest des Geldes und einzelne ihnen gebliebene Werthstücke verzehrt sein würden, das versuchte sie sich nicht klar zu machen, und dafür gab es auch vorläufig noch keine erlösende Antwort. Oder rauschte dort oben in den Wipfeln eine Antwort? Hieß eS da: neue Zeiten — neue Zeiten! Begreife sie — schicke Dich hinein. Sei vescheiden, arbeitsam. Ja, dieTagederRitterherrlich.eit waren vorüber. Einst mochten die Hörigen für das stolze Geschlecht derer von Ruftebrrge im Schweiße ihres Angesichts hier das Felo bebaut und sich gemüht haben, jetzt hieß es: Hilf Dir selber, greife zu. Du bist arm, las-, den Hochmuth fahren, sei «in Menschenkind wie Alle, schau, wa-> Du kannst, uns thue ohne Scheu Alles, was Dir und den Deinen helfen kann, ehrlich und ohne 'fremde Hilfe durch die Welt zu kommen. Nella's Gedankenreihe wurde von einem äußeren Hemmnis; unterbrochen, sie sah um sich, man hatte einen Schlagbaum er reicht, der den Weg versperrte, und den Hahnewinkel jetzt auf schloß und zur Seite schob. Nella richtete zufällig ihren Blick in die Höhe und erschrak. Auf einem Brette stand in ungeschickter, schwarzer Schrift: „Nicht weiter! Hier sind Selbstschüsse und Fußangeln gelegt." „Bester Herr Hahnewinkel", rief sie, zu ihm eiiend, „ist es denn hier nicht gefährlich?" Der Lange schmunzelte überlegen: „Die Edelgeborcne wollen gütigst verzeihen, wir bellen nur und beißen nicht." Nella begriff kaum. „Sind denn jene schrecklichen Dinge hier wirklich auf dem Wege?" „Mein hochwohlgeborener .Herr bisse sich gütigst lieber den kleinen Finger ab, als daß er einem Menschenkind« Schaden thäte. Aber von wegen der Jungxnsbande da unten, die gern Schlingen stellt, Vogelnester ausnimmt und im Schloß" — er sagte niemals Ruine — „rumrumort, sich todtfallen kann und meinen hochwohl geborenen Herrn Lieutenant erschreckt, habe ich man gütigst die Tafel geschrieben, und sage allen Leuten, sie sollten sich höllischen in Acht nehmen." Der Schlagbaum wurde durchschritten und sorgfältig wieder geschlossen, und dann ging es auf einem gebogenen Wege zur Ruin« empor, die stolz und düster, wie auf den verblaßten Himmel hmgezaubert, dastand, und die, an diesem stürmischen Abeno in der Nähe gesehen, erdrückend und gespenstisch erschien. Nella meinte, es müsse sich plötzlich die ganze Bergfläche, die sie jetzt betraten, mit den Gestalten ihrer Vorfahren bevölkern, hinter jedem Felsen oder Busch hervor erwarteten sie Geharnischte oder Ritterfrauen — Ur-Urahnrn — unter Staunen und Klagen über ihr Kommen in solch elender Lage hervortreten zu sehen. Und doch fühlte ihr tapferes, junges Herz, das freudig für eine bessere Gegenwart schlug, wenn ihm auch andere Kämpfe bevor stehen mochten, als man im Mittelalter bestanden, daß die Ge spenster der Vergangenheit keine Macht über sie besaßen und Un recht hatten, sie zu bedauern. In der weihevollen Stimmung diese» Augenblicke» schmolz»n
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite