Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.01.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189901227
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18990122
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18990122
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-22
- Monat1899-01
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.01.1899
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-PreiS D» Ur Hempkerprdition oder den im Stadt- b«irk und den Vororten errichteten Aus- oabestelle« abgrholt: vierteljährlich ^14.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Han» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich »i 6.—. Dirrcte tägliche Kreuzbandiendimg tu» Ausland: monatlich ^l 7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint um V»? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. UeLactton und Lrveditio«: JohanueSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: vtt» Klemm S Sortim. (Alfred Hahn), Uuiversitätsstrahe 8 (Paoltnum), L-ni» Lösche, Kalhariuenstr. 14, part. »nd KönigSplah 7. 39. Wp Mr Tagtblall Anzeiger. ÄttttsvM des Könitzlichev Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aatyes und Notizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile SO Pitz. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4g- spalten) 50^, vor den FamiUeanachrichtrn (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzejchniß. Tabellarischer und Ztffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), uur mit der Morgen. Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4UHL Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig- Sonntag den 22. Januar 1899. 93. Jahrgang. Aus -er Woche. Der Mensch und gerade der an autoritativer Stelle stehende Mensch, der etwas zu sagen hat, müßte ver stummen, wollte er seine Worte nie und nirgends mißbraucht wissen.Die- allgemeineLooS kann kein bedeutender Mann scheuen und auch dem namhaftesten Historiker unsererHochschule, Professor Lamprecht, wird eS nickt schwer aufs Herz fallen, zu erfahren, daß die von Vaterlandsliebe und echtem Freiheitssinn einge gebene Ansprache, die er am GründungStage des Reiches an die Studentenschaft gehalten hat, von dem — „Berliner Tageblatt* auSgebeutet wird. Diese mit vollem Bewußtsein außerhalb des nationalen Gedankenkreises sich haltende Zeitung glaubt zu den ernsten Betrachtungen Lamprecht'- daS Folgende bemerken zu dürfen: „Tiefe Mahnungen sollten überall da, wo Nationaldünkel und Chauvinismus überhand genommen haben, gebührend berücksichtigt werden. Es ist gut, wenn gewisse Richtungen von Zett zu Zeit einmal daran erinnert werden, daß die rein menschlichen Empfindungen durch allzu starke Betonung des Nationalgefühls nicht erdrückt werden dürfen." Um bequeme Gelegenheit zur Beurtbeilung des socialen und politischen Industrialismus des Beriner Blattes zu geben, wollen wir wiederholen, wie die Mahnungen Prof. Lambrecht s gelautet haben. Die Studenten hörten: „Der monarchische Gedanke hat schon dadurch eine außerordent- liche Stärkung erfahren, daß sich die Einheit der Nation in ihm verkörpert; daS Bürgerthum hat zunächst in seinem eigentlichen Berufskreise aus der politischen Einheit alle die wirthschastlichen Consequenzen gezogen, die in dem außerordentlichen Aufschwung unserer Industrie und unseres Handels zu Tage treten. Ist aber in diesem Aufschwung das Verhältniß beider Faktoren zu einander, vom Standpunkte der nationalen Zukunft aus betrachtet, ein ganz befriedigendes geworden? Hier vor Allem liegt der Punkt vor, der bei einer ernsten Geburtstagsfeier des Reiches zu eingehendster lieber- legung auffordert. Sollten die Träger des monarchischen Gedankens sich nicht fragen, ob alle ihre Handlungen darnach eingerichtet sind, die großen nationalen Strömungen, wie sie nun einmal einen wesentlich bürgerlichen Charakter haben, zu begünstigen? lind ist die entschieden wirthschastliche Wendung der bürgerlichen Berufsthätigkeit nicht von einer Unterschätzung der im weitesten Sinne geistigen Seite des Lebens gefolgt gewesen? Hat nicht das öffentliche Leben einen Zug steigender Charakterlosigkeit erhalten, wie er in Byzantinismus nach oben, in Rücksichtslosigkeit nach unten zu Tage tritt? Haben wir uns nicht zu sehr Les Denkens ent- wöhnt, des Denkens auch über unsere eigenen Angelegenheiten? Haben wir nicht nach außen hin theilweis einen ideenlosen Chauvi nismus entwickelt, und stehen nicht unsere Anschauungen über die innere Politik jetzt gerade bei nationalgesinnten Männern in höchst betrübender Weise unter dem Zeichen der Ideenlosigkeit? Ist es nützlich und fördernd, statt eigner Gedanken stets nur Gedanken des Fürsten Bismarck zu wiederholen und sich damit zum geistigen Sklaven eines Maunes zu machen, der, wie jede, so auch diese Feuilleton. Der König -er Tanze. Von Alfred Neumann. Nachdruck verboten. „Es giebt nichts (sagt Moliöre), was den Menschen so nothwendig wäre, wie der Tanz." Freilich legt der Dichter diesen Satz einem Tanzmeister in den Mund, aber die Geschichte zeigt, daß die Völker diese Ansicht des begeisterten Freundes des Tanzes theilen. Im Ton und im Tanz giebt der Urmensch seinen Empfindungen zuerst Ausdruck, und in der Liebe zum Tanz begegnen sich noch heut die höchst civilisirten Nationen und die barbarischen Urvölker, trifft sich die große Dame der modernen Gesellschaft und die mit dem Lendenschurze sich be gnügende Negerin. Wie tief das Bedürfniß zum Tanze in der menschlichen Natur wurzelt, zeigt am besten wohl der Um stand, daß in ihren Tänzen die Völker ihre Charaktere treu und beredt zum Ausdruck gebracht haben. Der Spanier, der Schotte, der Böhme — sie alle haben ihre Nationaltänze, in denen ihre Temperament und ihr Geschmack sich klar widerspiegelt. Und in dieser Reihe fehlen auch wir Deutsche nicht; ja, wir stehen in ihr voran. Denn unser Nationaltanz ist an Ruhm und Verbreitung über alle anderen gestiegen und hat sich zum Könige der Tänze aufgeschwungen, unser „luft'ger deutscher Tanz", wie Goethe ihn nennt, unser Walzer. Ja, er hat sich die ganze Welt erobert und alle anderen Tänze überflügelt. Keiner kann sich der Unwiderstehlichkeit seines Rhythmus rühmen, der unsere Füße zur tactmäßigen Bewegung zwingt, unseren Körper unwillkürlich in die Schwingungen des Tanzes versetzt. Jene bannende Gewalt, jener zwingende Zauber des Tanzes, von dessen dämonischer Macht so manche Historie und Legende erzählt, — sie hat im Walzer ihre höchste Höhe erreicht. Unendlich einfach in seinem Wesen, verlangt er doch vom Tänzer die feinste Kunst, enthält er die größte Mannig faltigkeit. Der Walzer ermüdet nie; so manche Dame hätte nichts dagegen, eine Tanzkarte nur mit Walzern besetzt zu sehen, eine Concession, die man nie einem anderen Tanze machen würde. In dem Namen des Tanzes selbst liegt etwas Sug gestives, das bunte Bilder vor unsere Augen zaubert: graziöse Rococodamen in feierlichem Schleifschritt; Urgroßvater und Urgroßmutter mit schelmischer Anmuth langsam den Brauttanz führend; johlende Bauern, die auf der Tenn« den Erntewalzer stampfen; feurige Wiener, in heißer Umarmung dem schmachten dem Rhythmus folgend. Denn die Zahl der Nuancen und Charaktere in diesem einfachen Tanze ist Legion, und man könnte das wohlbekannte französische Wort mit Fug dahin variiren: „Zeige mir, wie Du Walzer tanzest, und ich werde Dir sagen, wer Du List.* Sklaverei verachtet haben würde, und dessen ehrfurchigebieiender Gestalt sich jeder Deutsche nur in freier Bewunderung nahen sollte ?" Wie man sieht, läßt die Anmerkung des „Berliner Tage blattes" die beiden Puncte außer Acht, von denen der Warner auSgcgangen ist: dieBetonung m o n a r ck i s ch e r P fl i ck t und der Hinweis auf dieUeberwuckerung desgei st i g e nLebens derNation durch zu weit gehende Hingabe an den wirthschastlichen Inter essen. Sehr erklärlich. Die Bevölkerungsschicht, die das „Berliner Tageblatt" vertritt und die — wofür mit Beispielen gedient wer den kann — unter dem Kaiser Wilhelm I. vorsichtig, aber unab lässig Haß gegen die monarchische Spitze des Vaterlandes pflegte, glaubt die Zeit gekommen, wo durch Schmeicheleien gegen die Krone dasselbe erreicht werden kann, was sie früher durch versteckte Unterwüblung versucht hatte. Und die sehr gefahrvolle Ueberschätzung der Erwerbung von Neichthum, die wir zu beklagen haben, ist das Lebenselement der Leute vom und hinter dem „Berliner Tageblatt". Die Zustimmung aber, die der Leipziger Hochschullehrer von dieser Seite erfährt, bat eine Fälschung zur Grundlage. Die „rein mensch lichen Empfindungen", die sie im Auge bat, sind bornirt nationale, nur keine deutschnationalen, und der Chauvinismus, den die bis zum Auftauchen der Dreyfus-Asfaire zur Ver heimlichung ihrer Vorliebe für Frankreich unfähig gewesenen Herren mit Prof. Lamprecht zu verurtheilen sich den Anschein geben, ist in Wahrheit die Abkehr von der Quelle deö früheren deutschen Elends, dem nationalen Jndifferentismus, zu dessen verdienstvollen Gegnern der Eitirte gehört. Ohne die Mißdeutung seines Weckrufes wären wir auf diesen nicht zu sprechen gekommen. Da der Anlaß gegeben ist, so soll die dankbare Anerkennung, daß daS der Jugend Gesagte auch für die im praktischen Leben Stehenden beherzigenswert!» ist, auf die Gefahr hin nicht unterdrückt werden, daß die Billi gung des über steigende Charakterlosigkeit und Byzantinismus nach oben Ausgesprochenen auch in Kreisen unserer politischen Freunde, namentlich Preußens, Mißbehagen erregen wird. Das kommende Geschlecht wird in der That, wenn nicht manches Grundübel unheilbar und besonders der ruchlose Trost, daß andere Länder auch ihre Skelette im Hause haben, nickt verbängnißvoll werden soll. Vieles von den Epigonen der großen Zeit Bewirkte und Zugelassene zu bessern haben Aber in ein em Punche scheint Professor Lamprecht ungerecht: in dem Tadel, daß die nationalgesinnten Männer sich in dem Gedankenkreise des Fürsten Bismarck zu bewegen suchen. Die Behauptung ist zu einem guten Tbeile grundlos. Wie weit ist, um einige Beispiele anzufllhren, dieNeuzeit von den Ausfassungen des ersten Kanzlers über Arbeiterschutz und direkte Steuergesetz gebung abgewichen? Wo aber der Zeitkrititer richtig beobachtet, da ist er doppelt ungerecht. Wir suchen uns nach Bismarck vor allen Dingen in Fragen der — nun einmal die nationale Zukunft bestimmenden — auswärtigen Politik zu richten; aber fällt es nicht in die Augen, daß dies als Nothbehelf dient gegenüber einer selbst eigner Gedanken baaren und von sprunghaften Einfällen hin und her be wegten Leitung? Ein Historiker kann unmöglich der Gesammtheit der nationalgesinnten Männer und auch nicht einer tausendfach gesiebten Elite derselben ansinnen wollen, auswärtige Politik und dazu gute auswärtige Politik zu machen. DaS ist, mag die Siaatsform welche immer sein, Sache der Eingesetzten. Die Kritik aber, der sich Patrioten Mit so manchen andere» große» Erfindungen theilt der Walzer die Eigenthümlichkeit, daß man die Zeit seiner Ent stehung nicht genau feststellen, auch noch den Namen seines Erfinders nennen kann. Was den Erfinder angeht, so steht es außer Zweifel, daß nicht in einem einzelnen Kopfe die große Idee des Walzers entstanden ist, sondern daß (wie an Homer's Gesängen, wenn der Vergleich erlaubt ist) das ganze Volt an ihm mitgearbertet hat. Denn so weit wir auch in der Geschichte des deutschen Tanzes zurückgehen, so erkennen wir in aller Manigfaltigkeit zwei Grundtypen der deutschen Tänze: den Schleifer und den Hopser ; von ihnen ist der Schleifer der Vater des Walzers geworden. Es ist sehr zeitig empfunden worden, daß in dieser Tanzart der Charakter des Deutschen sich deutlich auspräge. Im Gegensätze zu dem Sinne der Franzosen für das Leichte, Gewandte und Graziöse, bekundete der deutsche Tanz schritt — denn alle Tänze waren ja ursprünglich ein Schreiten, nicht ein Drehen — die Vorliebe für das Würdige, Gemessene und Sichere. So hat auch in neuester Zeit ein ungarischer Dichter den Walzer als den eigenthümlich deutschen Tanz recht glücklich in den Versen charakterisirt: Mit drei Schritten walzet der Deutsche und dreht sich im Kreise, Hat die Gefährtin im Arm, führt sie die schwebende Bahn, Einfach ist der Deutsche in Allem und freuet sich ruhig. Eine umarmet er nur; liebt er» so ist er auch treu. Es ist Grund zu der Annahme vorhanden, daß Ober deutschland die Heimath des Walzers ist, der „Schwäbische", von dem wir oft hören, ist, wenn nicht identisch mit dem Walzer, so doch ihm jedenfalls nahe verwandt gewesen, und »oenn eine adelige Dame iin Jahre 1731 vom preußischen Hofe vermeldet, sie habe mit dem Kronprinzen Schwäbisch tanzen dürfen, so ist es höchst wahrscheinlich, daß darunter allerdings ein Walzer zu verstehen ist. Es war aber Schwaben von jeher ein tanzfrohes Land, wie denn ein alter Tanzrerm auffordert: „Tanzen wir den Firlefanz, Den Firlefanz aus Schwaben." Um aber zu dem alten Schleiftanz zurückzukehren, so finden wir, wie sich aus ihm mannigfache Formen entwickelten, wie der Zweitritt und der Ländler, die aber alle als Abarten der Walzergrundform anzusehen sind. Der Ländler ist ja auch noch bis in unser Jahrhundert hinein als schneller Walzer bezeichnet worden. Die Fremden fühlten das Gemeinsame aller deutschen Schleiftänze bald heraus, und ins Ausland wanderte darum der deutsche Tanz ganz berechtigter Weise nur in einer Form, die sich eben auf den Grundmotiven des Walzers aufbaute. Da war die berühmte Allemande, Allemanda in Spanien genannt, wo Lope de Bega den Niedergang dieses Tanzes bedauerte. In Frankreich ist die Allemande seit dem sechszehnten Jahrhundert und noch früher ein sehr beliebter Tanz gewesen. „In ihrer wiegenden melodirnreicken Musik, in der Einfachheit des Lanz' auch auf diesen, schwierigsten Gebiete nicht entschlagen dürfen, hat das Recht, die Abkehr von bewährten, von goldenen Traditionen zu tadeln. Man kann nun sagen, auch in der principiellen inneren Frage, obeinneuesSocialistengesetz anzustreben sei, werde häufig auf den Fürsten Bismarck recurrirt. Es geschieht dies namentlich neuerdings wieder in Anknüpfung an die Be tracklungen, die der nationalliberale Abgeordnete Basser mann bei der ersten Lesung des ReickSetatS über die Socialvemo- kratie angestellt hat. Unseres Erachtens kommen aber hier nicht so sehr die Gedanken, als die Praxis des ersten Kanzlers in Betracht. Ein Ausnahmegesetz muß kräftig, aber als Ausnahmegesetz gehandhabt werden. Nun aber hat Bismarck, gewiß auch seiner nichtsocialdemo- kratischen Opposition kein schonender Gegner, das Socialisten- gesetz mit peinlicher Berücksichtigung der Nalur und des Zweckes deS Gesetzes handhaben lassen. Uns ist nur ein einziger bemerkenSwerther Fall eines Versuchs der An wendung auf damals nicht notorisch socialistische, mittler weile aber inS Lager der Bebel und Singer übergegangene Publicisten bekannt. Es handelte sich um einen empörenden Schandartikel zum ersten Erinnerungstage an den Tod Wilhelm s I. Der Versuch wurde unterdrückt. Von dem heutigen Regiment, das aus phantastischen Anschauungen heraus da- Socialistengesetz beseitigen ließ und auS phantastischen An schauungen heraus es wieder zurückbringen möchte, ist weder eine kräftige, noch auch eine die bürgerliche Freiheit un gestört lassende Anwendung eines Ausnahmegesetzes zu erwarten. Der Gegenstand würde wahrscheinlich zwischen den nationalen Parteien weniger Streit entfachen, weun man sich gewöhnte, ihn unter diesem praktischen, statt unter einem allgemeineren Gesichtspunkt anzusehen. Ist eS doch sogar glücklich dahin gebracht worden, daß die Ver wirklichung des vor weniger als Jabressrist unzweifelhaft populären Gedankens einer besseren Sicherung der Arbeits willigen durch die seitdem erweckte Furcht vor staatlichen Ausschreitungen zum Schaden der gesammten Arbeiterschaft ernstlich gefährdet scheint. — Das seit dem Zusammenbruche der deutschfreisinnigen Partei separirte politische AuSzüglerpaar hat sich wieder zu einer „Action" zusammengefunden. Der Ruhm der sieben Schwaben hat eS nicht schlafen lassen, cs interpellirt wegen der Ausweisungen im preußischen Abgeordnetenhause. Aber ist der vereinigte Freisinn muthig, wie seine besungenen süd deutschen Vorbilder waren, so ist er auch besonnen wie sie. Seine Interpellation erwäbnt die anfänglich entschul digten, wenn nicht belobten dänischen Agitatoren nicht, sondern nur die Ausweisungen von Dienstboten, durch die deren agstirende Herrschaften getroffen werden sollten. Von den Hetzern dänischer Staatsangehörigkeit ge traut man sich nicht zu reden, wegen der Dienstboten «. s. w. hofft man wobl auf die Thranendrüsen zu wirken. Herr Richter ist ein literarischer Knownothing, aber Herrn Rickert ist es zuzutrauen, daß er mit Citaten über die armen Ver triebenen auS „Hermann und Dorothea" aufwartet. Aber Citate oder nicht, der Feldzug wird, mag selbst das Centrum an dem Schwabenspicß mit anfassen, mit einer gediegenen Blamage endigen. Die Regierung wird die Frage, ob sie die Verantwortung für die Maßregeln des Herrn v. Köller schritte-, in der Verschlingung und Entwickelung der Arme und in dem langsamen Walzertempo stellte sie den Charakter der deutschen Nation dar, wie er dem Auslande erscheint." Die Allemande hatte in Frankreich drei Blütheperioden: zunächst im Mittelalter, wo sie in ihrer einfachen Form erschien; sodann unter Ludwig XIV., als sie aus dem Elsaß importirt und in die höfische Tanzkarte gewissermaßen als ein Symbol der Ein verleibung der deutschen Provinzen aufgenoinmen wurde; endlich zur Zeit des Empire, wo dieser reizvolle Schwebetanz mit einem Male auf der Bühne zu einer außerordentlichen Beliebtheit ge langte, die er vielleicht dem pikanten Gegensätze seiner Natürlich keit zur Sittenverderbniß jener Zeit verdankte. Die eigentliche Entstehung des Walzers schreibt Cserwinski jener Zeit zu, da die Tänzer zuerst den Versuch machten, den Langaus zu tanzen. So hieß der Tanz, weil der Tänzer einen sehr langen Raum mit den wenigsten Umdrehungen zu durch tanzen hatte. Der Langaus aber ist nichts anderes als der Walzer, und im 18. Jahrhundert wechselte er nur noch den Namen. Das 18. Jahrhundert bezeichnete die Blütheperiode des Walzers älteren Stiles, des langsamen, etwas feierlichen und farblosen Walzers, in dem der bescheidene Ländler noch un verkennbar war. Wie er damals aussah, schildert uns die folgende Erklärung: „Zuerst führt der Tänzer seine Dame in der Kreisfigur am Arme herum, bald aber umfassen sich Beide und setzen Vie Bewegung fort, indem sie sich um sich selbst herumdrehen. Bei diesem Tanze ist Alles kreisförmig-wirbelnde Bewegung und Alles dazu, geschickt Taumel zu erregen und die Sinne zu verführen." Wenn der unbekannte maKr«? ck« cinns^, oer diese Zeilen schrieb, hinzufügt, daß das Versetzen der Füße beim Walzer einige Schwierigkeiten habe und daß die Pas des Tänzers und der Dame ineinandergreifen müßten, damit sich ihre Beine nicht stoßen oder verwickeln, so hat die tiefe Wahr heit dieser Bemerkung mancher angehende Jünger Terpsichores mit Schmerzen (psychischen und auch physischen) auch im neun zehnten Jahrhundert erfahren müssen. Es hat der Walzer schon im vorigen Jahrhundert sich an Höfen und in Bürgerkreisen zum ersten aller Tänze aufgeschwungen; Goethe hat ihn gepriesen, Bürger in einer galligen Stimmung als unzüchtig verlästert. Aber sein bitteres Epigramm gegen den Walzer hat den Sieges zug des Tanze- nicht zU hemmen vermocht. Vielmehr war dem Walzer noch vor dem Abschlüsse des Jahrhunderts ein neuer gewaltiger Aufschwung beschieden. Im Jahre 1787 wurde zu Wien eine Oper „Una oosa rara" von V. Martin aufgeführt, die verdeutscht unter dem Titel „Lilla oder Schönheit und Tugend" über die Bühne gegangen ist. In diese Oper, die übrigens s. Z. über Mozart s „Figaro" den Sieg davongetragen hat, war rin Walzer eingelegt, der un geheuren Beifall fand und den Triumph des Walzers über alle anderen Tänze endgiltig entschied. Die Cosa rara oder der Langaus, wie man zuerst wohl nock sagte, wurde mit einem Schlage überall Mode, und noch hat sich aus jener Zeit »in trägt, mit einem vernehmlichen Ja beantworten und die nationalen Parteien werden der Blellerei das klebrige besorgen. Obgleich der Freisinn, zumal der des Ab geordnetenhauses, eine czuautit« uozlizeudls geworden ist, wäre es doch interessant, die Vorgänge zu kennen, die den, Beschlüsse, diese Interpellation einzubringen, in beiden „Fraktionen" vorangegangen sind. Glatt abgelaufen, das steht fest, ist die Sache nicht. Einmal nicht, weil es doch auch freisinnige Abgeordnete giebt, die sich deS Treibens der Berliner Hetzpresse schämen und Wohl wissen, daß der Lärin über die nordschleswigischen Ausweisungen hauptsächlich aus Aerger über die Entfernung einiger galizischer ,Handlungs beflissenen" auS Schlesien geschlagen worden ist. Andere wiederum fürchten die Niederlage, die sie angesichts der mehr als günstigen Beurtheilung der RegierungS maßregel durch die Deutschen Schleswigs für unab wendbar halten. Natürlich mit gutem Grund. Haben sich dock sogar, wie wir mitgetheilt, die Kieler Freisinnigen — Volkspartei wie Vereinigung — gegen die im Fahr Wasser der Berliner schwimmende „Kieler Ztg." und damit, beiläufig bemerkt, auch gegen den während seiner auf gedrungenen politischen Muße nicht gerade jünger gewordenen Herrn Prof. Hänel erklärt. DaS Bedeutsamste an dieser Kundgebung ist, daß die sonst so abkanzlungsbereite „Freis. Ztg." Richter s über sie — schweigt. Es steht in der That besonder- schlimm um die Interpellation. Die von unS ebenfalls wieder gegebene Erklärung von etwa 100 Vorstandsmitgliedern de- 3000 Mitglieder zählenden deutschen Vereins für das nördliche Schleswig bestätigt, daß alle Deutschen der Nordmark über die Zwecke und den Charakter der dänischen Agita tion und über die Nützlichkeit und Nothwendigkeit der Ausweisungen genau so denken wie Herr v. Köller. Sie zollen ihm „lebhafte und rückhaltlose Zustimmung" und er warten „konsequentes und ausdauerndes" Verharren auf dem eingeschlagenen Wege. Diese Erwartung spricht auch der nationalliberale Abgeordnete v. Eynern in der Erklärung auS, die ihm der geäußerte falsche Verdacht, er habe bei der bekannten Unbesonnenheit der Barmer Handelskammer mit gewirkt, abgenöthigt hat. Die eindringliche Aufforderung zum AuSharren erhält die Regierung hoffentlich auch im Ab- georduetenhause. Denn der neue CurS bewegt sich gern in Ex tremen und ein vorzeitiges Nachlassen in der Repression gegen die dänische Agitation würde das Schicksal deS Deutsch- thums in NordschleSwiz besiegeln. Außerdem darf man erwarten, daß der nationalliberale Redner zur frei sinnigen Interpellation im Hinblick auf die Rickert'schen „liberalen" Emignngsbestrebungen in den vom Polenthuni bedrohten Landestheilen laut und deutlich die Thatsacke würdigt, daß die freisinnige Vereinigung deS Abgeordneten hauses in der Unterstützung deS fremden deutschfeindlichen VoltsthumS in Schleswig gegen die eigenen StammeSgenossen hinter der Partei der Richter und Blell nicht zurück geblieben ist. Deutsches Reich. X Leipzig, 21. Januar. (Die Socialdemokratie bei den Gemcinderathswahlen in Sachsen.) Nach der „Sächs. Arbeiterztg." sind bei den kürzlich vollzogenen E r g ä n z u n g s w a h l e n zu den Gemeindc- Lieblingswalzer bis in unsere Tage herübergerettet: die bekannic Melodie vom lieben Augustin. Leicht erkennen wir an Lieser Weise, wie bescheiden und simpel der Walzer damals noch in der Musik wie im Tanze sich darftellte; der alte Ländler giebt nock immer das hauptsächlichste Charakteristikum ab. Aber in Wien ging das Samenkorn jener Oosa rara von 1787 glänzend auf. Hier war es, wo der Walzer im modernen Sinne umgebildet, wo er ungemein bereichert und vertieft wucoe Riehl hat die Wandlung des Tanzes ausgezeichnet charakterisirt, wenn er darauf himveift, daß in der Tanzmusik des 19. Jahr Hunderts die Würde und die Gravität, die schäferliche Spielerei und der barocke Humor verschwinden und daß sie alle aufgehen in dem berückenden Pathos der Liebe. Das energische Aus brausen, das süße Träumen und das schmachtende Wiegen, die glänzende Koketterie und wallende Leidenschaft, das sentimentale Tändeln und Seufzen, die im modernen Walzer in einem feurigen Gesammtton zusammenstimmen — sie alle stempeln ihn zu einen, berückenden, bannenden, Sinne und Glieder bezwingenden Tanze der Liebe. Diesen Ton hat zuerst Weber in seiner „Aufforderung zum Tanz" angestimmt, und dann haben die Wiener Meister die Strauß und Lanner, ihn zur höchsten Vollendung gesteigert und ihn durch mannigfache Contraste der reichsten Wirkungen fähig gemacht, so daß er ja nachher in den Händen Chopin s Liszsts und Brahms' sich ganz vom Tanze lösen und zu einem eigenen, dem Ausdrucke himmelhoch jauchzender und zu Tove betrübter Liebesleidcnschaft gewidmeten Musikstücke werden konnte. So ist der moderne Walzer zu dem schmelzenden, schwach tcnden, sehnsüchtigen Tanze der Liebe geworden, der die zäri lichen und leidenschaftlichen Empfindungen junger Herzen besser ausdrückt und befriedigt, als irgend ein anderer Tanz. Uno darum ward er der allgemeine Liebling, vor Allem der Liebling der Frauen. Dann eroberte er sich die ganze Welt, weil im Ballsaale, wo die Paare sich vornehm drehen, wie auf der Tenne, wo der Bauer jauchzend seinen Tanz vollführt, die Liebe es dock eigentlich ist, die die Paare einander in die Arme treibt und ihnen den Rhythmus dictirt. Wie der Walzer eines Landes aussieht, so sieht auch seine Liebe aus. Feurig und schmachtens im Lande der schönen blauen Donau, sittig und bescheiden im deutschen Daterlande, nüchtern und steif in Albion, graziös und tändelnd in Frankreich, glühend und verzehrend in den Ländern des Südens. Und wenn ein Wort eines Denkers sagt, daß der Tanz gleich dem Gesänge seinen Ursprung in den Tiefen der menschlichen Natur hat, so zeigt uns nichts so deutlich die Wahrheit diese- Satze- als die Geschichte des Walzers, der gleich sam einem unentwrichbaren Naturgesetze folgte, indem er sich vom schlichten Schleiftanze des Landvolkes zum Ausdrucke der leiden- schaftlicken Sehnsucht der Liebe im Tanze entwickelte.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite