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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990202024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899020202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899020202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
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Hie der über daS den Jesuiten in der Schweiz bereitete Schicksal abzuschwächen, dieses Land als ein solches bezeichnet, das „Königs- und Frauenmörder frei berumlaufen lasse". Darüber hatten sich Schweizer Blätter mit Recht entrüstet und man hätte erwarten dürfen, daß Or. Lieber gestern zurrst daS Wort erbitten werde, um jene Entrüstung durch die Erklärung zu be schwichtigen, er nehme jene unwahre und kränkende Behauptung zurück. Aber daran ließ sich der Führer der „Partei für Wahrheit, Freiheit und Recht" erst durch den Abg. Rickert mahnen und trotz dieser Mahnung vermochte er sich zu cmcr klaren und offenen Zurücknahme nicht zu entschließen. Er wollte seine Behauptung so schlimm nicht gemeint, eine beleidigende Absicht nicht gehabt und nur eine Kritik des Ashlrechts in der Sanveiz bezweckt haben. Und um diese Halbheit und Unzulänglichkeit seiner Zurück nahme zu bemänteln, erging sich Herr Or. Lieber in Vor- würsen gegen die Schweizer Blätter, die kein Recht hätten, sich in die Verhandlungen des deutschen Reichstages ein- zumischen und von einem deutschen NeichStagsabgeordneten die Zurücknahme einer Aenßerung zn verlangen. Das Letztere ist selbstverständlich. Nicht minder selbstverständlich aber ist cS, daß dem Auslande die Kritik unwahrer und kränkender Behauptungen, selbst wenn sie von deutschen Reichs tagsabgeordneten ausgesprochen werden, nicht verwehrt werden kann. Ebenso wie die deutsche Presse sich das Recht nicht nehmen läßt, amerikanische Frechheiten und tschechische Lümmeleien, selbst wenn sie in den Parlamenten sich absxiclten, beim rechten Namen zu nennen, ebenso steht den Blättern der Schweiz das Recht zu, eine beleidigende Be hauptung deS Hern I)r. Lieber zurückzuweisen. Daß dieser vaS bestritt, um seine Uebereilung in minder ungünstigem Lichte erscheinen zu lasten, kann bei einem so glühenden Verehrer der Jesuiten und ihrer Lehren nicht befremden, aber höchlich mußte es überraschen, daß der konservative Abg. Graf Limburg -> Stirnm Herrn Or. Lieber beisprang und in dem Rickert'schen Wunsche, die unwahre Behauptung des CentrumSfübrerS zurückgenommen zu sehen, eine „Parteinahme für das Ausland" erblickte. Es kann daS Ansehen des deutschen Reichstags weder im Jnlande noch im Auslande erhöben, wenn ein Tbeil seiner Mitglieder sich sträubt, eine Uebereilung gut zu machen, um dadurch seine Unabhängigkeit vom Auslande zu bekunden. Man bekundet dadurch nicht nur die Unabhängigkeit vom Auslande, sondern auch die von den nationalen und internationalen AnstandSpflichten. DaS Ende dieser keineswegs erbaulichen Debatte war die Annahme der „Jesuitenanträge" mit der bekannten Mehrheit. Hierauf fand eine lange Diskussion über den schon mehrfach vom Reichstag angenommenen, aber vom Bundesrathe noch nicht genehmigten Antrag Rickert aus Sicherung des Wahlgeheimnisses durch amtliche Umschläge für Vie Stimmzettel, Jsolirraum rc. statt. Während die Abgeordneten Rickert, Echädler, Bassermann, Auer, Ernst u. A. Namens ihrer Parteien dafür eintraten, widersprachen Herr von Stumm und Gras Limburg-Stiruni, der Erstere unter ausdrücklicher Anfechtung der geheimen Abstimmung. Ueber die Art, wie diese unter dem Einfluß dcS Herrn von Stumm gehandhabt wird, kam es zu einer lebhaften Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Abg. DaSbach. Der Antrag wurde in der zweiten Lesung, welche der ersten alsbald folgte, gegen die Stimmen der beiden konservativen Fraktionen wiederum angenommen. Beim Bundesrathe wird dieser Beschluß jedenfalls dasselbe Schicksal haben, wie seine acht Vorgänger. Im preußischen Abgeordnetenbause werden demnächst bei der Fortsetzung der Etatsberathunz die alten Parttäts- kkagci» des CcntrnmS wieder ertönen. Den richtigen Maß stab für diese Klagen giebt daS Verhalten zahlreicher in ihrer Mehrheit katholischer Selbstverwaltungskörper. Gerade die letzten Monate haben mehrere überaus kenn zeichnende Beispiele gebracht für die Thatsache, daß daS agitatorische Paritätsgeschrei der führenden Centrumögeister in der katholischen Bevölkerung selbst keinwcgS den erhofften Resonanzboden findet. Jin Oktober vorigen Jahres hat der überwiegend aus katholischen Mitgliedern bestehende Kreistag des Kreises Neuß mit 15 gegen 11 Stimmen den protestantischen Herrn von der Leyen zum Nachfolger des Herrn von Schorlemer im Landrathsamte gewählt. Im Decentber vorigen Jahres erhielt in Al len st ein bei der Ersatzwahl eines Kreistags-Abgeordneten der klerikale Bewerber nur 1 Stimme, obwohl Stadtverordnetencollegium und Magistrat 9 katholische Mitglieder zählen. Am 30. Januar dieses Jahres wurde in Colmar i. E. bei der Ergänzungswahl zum Landesausschuß der pro testantische RecktSanwall Abt gewählt, obwohl Colmar zu b/g katholisch ist. Ueber alle diese Fälle ruft die CentrumSpressc ein lautes „Wehe" auS, indem sie zugleich verzweifelte An strengungen macht, der Häufung so schmerzlicher Vorgänge einen Riegel vorzuschiebe». Bald läßt sie die katholische Be völkerung dadurch „peinlich überrascht", bald von „großem Unwillen" gepackt sein; bald wird der belrübsame Wahlaus fall auf niacchiavellislischc Künste der Negierung, bald auf mangelndes Selbstbewußtsein der sündigen Katholiken zurück- gefübrt; bald zeigt man als Schreckgespenst die Möglichkeit von Schädigungen katholischer Interessen; immer aber wird den katholischen Selbstverwaltungskörpern eindringlichst vorgehalten, zu zeigen, daßeS ihnen „bitterer Ernst" sei mildem so nachdrücklich ausgesprochenen Verlangen nach „Parität". Daß es nickt die Katholiken sind, die diese aus Agitationsbedürfniß erhobene Forderung stellen, sondern die Centrumspartei, verschweigt die CentrumSpressc natürlich mit derselben Beharr lichkeit, mit der sie den löblichen Entschluß der in Frage kommenden Selbstverwaltungskörper bekämpft, den geeig netsten Mann zu wählen und die Confession der Can- divaten als gleichgiltig zu betrachten. Da die Haltung der Selbstverwaltungskörper ihren wohlverstandenen Interessen entspricht, so ist zu hoffen, daß sie sich durch die Anzapsungen der ultramontanen Blätter nicht verleiten lassen werden, an Stelle fähiger Protestanten minder fähige klerikale Partei gänger zu wählen, deren CentrumS-Katholicismus unter Umständen doch recht tbeuer zu stehen kommen könnte. Ein Leitartikel im „Broad Arrow" bespricht die Flotten- ftützpuncte (-Uglands im Mittelmccr und meint, daß die selben für die im Kriegsfall dort stationirten Geschwader zu klein geworden seien. Besonders gelte dies von Malta, wäh rend die Beendigung der Vergrößerungsarbeiten in Gibraltar an Docks und Werften erst in einigen Jahren zu erwarten sei. In Gibraltar sei außerdem noch zu bedenken, daß Spanien in der Nachbarschaft deS englischen Platzes bei AlgrsiraS den Bau schwerer Batterien begonnen habe. Es habe damit angefangen, als während deS spanisch-amerikanischen Krieges die Stimmung des Landes gegen England sehr feindselig wurde. Außer von AlgesiraS auS könnten die neuen Anlagen in Gibraltar noch von Isla Verde und von Punta Carnero aus bedroht werden. Wenn auch eine Kriegserklärung von Spanien nicht zu fürchten sei, so könnte doch dir Lage Gibraltars in einem Kriege gegen mehrere verbündete Mächte bedenklich werden. Auf eine Abänderung der Grenzlinien, um Gibraltar dem feindlichen Feuer zu entziehen, werde sich Spanien nicht ein lassen; auch sei gegen den Bau der spanischen Batterien bei AlgesiraS im Frieden niattS zu machen. Der Artikel schließt dann mit den Worten: „Die Seeofficiere Englands können aber mit Sicherheit darauf rechnen, daß die Admiralität darauf vorbereitet ist, im Mittelmeere andere Flotten stützpunkte zu gewinnen, wenn der Friede in Europa ge brocken sein sollte. Im Frieden kann man nichts tbun, als warten und sich mit den zu klein gewordenen Stützpunkten behelfen." Welche Stützpunkte der Verfasser dabei im Auge hat, ist natürlich nicht angegeben, doch können für das westliche Mittelmeer nur die balkarischen Inseln und vielleicht auch Punkte an der afrikanischen Küste nicht weit von Gibraltar gemeint sein. Als letzte Ursache der bulgarischen Ministerkrise wird der Widerspruch bezeichnet, der sich unter Führung der Opposition im Lande gegen den von der Sobranje genehmigten Vertrag erhoben hatte, durch welchen die Übernahme der jetzt von der Gesellschaft für die europäischen Bahnen in der Türkei be triebenen bulgarischen Strecken durch Bulgarien stipulirt wurde. Diese Strecken sind Mustapba-Pascha-Philippopel- Jcktiman an der bulgarischen Grenze und Tirnowa-Jamboli. Gleichzeitig mit dieser Betriebsconvention wurde ein Ueber- einkommen wegen Convcrsion sämmtlicker bulgarischer Eisenbahn - Anleihen abgeschlossen. Die Agitation gegen diesen Vertrag ging hauptsächlich von den Bewohnern jener Gebiete aus, in welchen nach der ursprüng lichen Absicht der bulgarischen Regierung Concurrenz-Linicn gegen daS bulgarische Netz der türkischen Betriebsgesellschaft gebaut werden sollten. Diese Linien befinden sich zum Tbeile bereits im Bau, und eS sind auch einzelne kleine Strecken schon fertiggestellt. Sie sollen in Gegenden führen, wo einflußreiche Abgeordnete Grund und Boden besitzen. Durch die auf diese Art verletzten Interessen ent stand eine starke Opposition gegen die Verträge, welche ursprünglich zur Demission deS Finanzministers Theodorow und des Ministers des Innern Benew und im weiteren Verlaufe zur Demission des Gesammt- Cabinets führte. Es hatte sich nämlich eine Meinungs differenz von wichtigem politischen Charakter zwischen dem Fürsten und dem Minister-Präsidenten Stoilow ergeben. Stoilow wollte den Eisenbahnvertrag auch dann durchführen, wenn die Pforte ihre Zustimmung nicht ertheilt hätte. Er wollte es somit auf eiuen Conslict mit der Pforte, welcher ja die Bahnen als Eigentbum gehören, ankommen lassen. Der Fürst war entgegengesetzter Meinung und wollte die Verträge ohne Zustimmung der Pforte nicht durch führen, da er in richtiger Beurtheilung der seit den Ab machungen zwischen Rußland und Oesterreich geschaffenen Lage jeden Conslict mit der Türkei zu vermeiden strebte. Er sagte sich, da man in Petersburg wie in Wien Ruhe auf der Balkanhalbinsel um jeden Preis haben wolle, sei eine Unter stützung Bulgariens weder von der einen, noch von ver änderen Seite zu erwarten. Uebrigens melden die Berliner Morgenblätter aus Sofia, eS verlaute gerüchtweise, der ehe malige Ministerpräsident Stoilow wolle Sofia verlassen. Er habe erklärt, wenn man ihn für die finanzielle Corruption verantwortlich machen würde, dann würde er über die Vermögenslage des Fürsten Ferdinand Mittheilungen machen, die Manches erklären dürften. Hier nach scheint es doch, daß die jüngste Ministerkrise noch andere Ursachen als die oben angegebenen gehabt habe. Ueber die letzten Srcignifse au» tzaugo, welche die ExpcditionSführer Lothaire und Baron DHanis in äußerst gefährliche Lage brachten, bat König Leopold, wie der „Etoile Belae" meldet, beim Empfange einer hervorragender politischen Persönlichkeit etwa folgende Ansichten entwickelt: Tie Miliztruppen, welche sich der Disciplin nicht mehr unter ordnen wollten, hätten sich empört und wären, durch einige theilweise Erfolge ermuthigt, zum Angriff gegen vorgeschobene Posten des Congo- Staates geschritten. Die Zahl der Aufständischen betrage nicht taufend und die'Einwohnerschaft sympathifire nicht mit ihnen. Wenn man indeß mit der Möglichkeit rechne, daß die Aufständischen sich in Len Wäldern verstecken und regelrechten Schlachten aus dem Weg« gehen und sich aus den Krieg aus dem Hinterhalt Verleger, können, gegen welchen die Osficiere sich vielleicht nicht genügend sichern, so könne man eS sich erklären, daß der Kampf sich in die Länge ziehe. Immerhin sei der schließliche Aus« gang nicht zweifelhaft, denn es werde der Augenblick kommen wo die Aufständischen aus Mangel an Munition gezwunger. sein würden, sich zu zerstreuen und sich schließlich aus Gründen der Selbsterhaltung zu unterwerfen. Dann werde der Congostaat sein Werk der Civilisation in Manyema wieder ausnehmen können. Ter Staat würde das Vertrauen, welches die Mächte auf den Con- ferenzen in Berlin und Brüssel in ihn setzten, schlecht gerechtfertigt haben, wenn er sich nicht überall bemüht haben würde, so schnell als möglich der Barbarei ein Ende zu machen. Der Staat beab- sichtige, auf der Höhe seiner Mission zu bleiben, und sei überzeugt, mit Len Mitteln, über welche er verfügt, allen Ereignissen die Stirn bieten zn können. An den edlen Absichten deS Königs und dem ehrlichen Willen, sic zu verwirklichen, hat bisher Niemand gezweifelt, aber ebenso wenig daran, daß die Civil- und Militär-Ver waltunz deS Congostaates vielfach in Händen sich befindet, die an brutaler Vergewaltigung und Ausbeutung der Ein geborenen sich nicht genug tbun können. Hier müßte erst Wandel geschafft werden, sonst ist der Optimismus König Leopold'« eitel Selbsttäuschung. Deutsches Reich. /?. Berti»», 1. Februar. (Revision der Handels verträge.) Der CentrumSabgeordnete Graf Slrachwitz hat im Abgeordnetenhause vom Bund der Landwirthe mit Recht gesagt, er habe oft weit über das Ziel hinaus geschossen. Um so erstaunlicher ist es, daß Graf Strachwitz in demselben Athemzuge eine agrarische Forderung aufstellte, die nicht nur ebenfalls weit über das Ziel hinausschießk, sondern auch über daS gegenwärtige Begehren des Bundes der Landwirthe in dem fraglichen Punkte hinausgeht. Gras Strachwitz sagte nämlich: „Mit der Revision der Fenilleton. q Sterbendes Licht. Novelle von Robert Kohlrausck. vcrbcltn. Schon lange hatte mich im Stillen der Gedankt beschäftigt, eine neue Geschichte des alten Gepanzerten dort oben zu schreiben; jetzt sollte der Gedanke zur That werden, die mir helfen konnte, die plötzliche Leere meines Daseins auszufüllen. Mit einer großen Kiste voller Bücher, die ich zur Ausführung meines Planes ge brauchte, hielt ich meinen Einzug in Landshut und miethcte mir ein paar freundliche Zimmer im ersten Geschoß eines Hauses an der Bergstraße. Das Haus, daS ich auch heute bewohne, liegt schon über der Straße erhöht, an den grünenden Abhang des Berges geschmiegt; eine stattliche Anzahl von ausgetretenen Stufen aus rothem Backstein führt zu seiner schmalen, aber gothisch über wölbten Hausthür hinan. Dort war ich ganz nahe beim Aufgang zur Burg, und aus den Fenstern sah ich über die Dächer der Nachbarhäuser auf der anderen Seite der Straße hinweg im Frühling auf einen ganzen Wald von blühenden Kastanien. Ich selbst werde sie nun wohl niemals mehr blühen sehen, aber es hat mich damals mit be stimmt, mir die Wohnung zu wählen; es war gerade im Mai, als ich sie zuerst besichtigte, und der Ausblick auf den Kastanien wald gewann gleich mein Herz. Ich hatte diesen Baum immer besonder- geliebt und ihn den Christbaum des Frühlings ge nannt. Er war mir sogar lieber als der Weihnachtsbaum selber; denn in seinen weißen und rothen Kerzen ist ja das neugeborene, blühende Leben selbst, das der andere aus dem Dunkel der Winter, nacht hervor erst von ferne verheißt. Ich richtete mir dort zu Füßen der Trausnitz ein ganz behag liches Junagesellenheim ein; den Freiherrn von Wengern warf ich zu den Tobten und nannte mich zur Strafe für einstige Eitel, kett nur einfach Delius, wie meine bürgerlichen Vorfahren es ge. than hatten. Zur Bedienung hatte ich meinen Diener, der schon beim Militär rin paar Jahre bei mir gewesen war und mit mir zugleich die Uniform an den Nagel gehängt hatte. Er hieß An dreas Neumayer und wurde Ander! gerufen; als elternloser Bursche fand er in mir Familie und Heimath. Sein gutes, redliches Herz hat mir eine Menge von Liebe gegeben; auf seinem Gesichte war Immer ein Lächeln und auf seinen Lippen ein froh« liches Wort. Er bediente mich mit seinen großen, ursprünglich recht ungeschickten, allmählich aber gewandt und behutsam ge wordenen Händen mit der Sorgsamkeit einer Frau, und so fehlte mir nichts zum äußeren Behagen. Innerlich meinte ich abge schlossen zu haben mit der Welt, vergrub mich in meine Arbeit und erblickte in der Vollendung meines Buches das vorläufige End ziel meines Strebens. Menschen sah ich nur wenig; ab und zu ein paar Officiere, die bei den schweren Reitern standen und die ich von früher her kannte. So ging mein Leben ein Jahr lang seinen stillen Weg. Be hutsam, ohne es zu ahnen, trieb ich der dritten Station auf dem Wege meines Daseins, der dritten größten Erfahrung entgegen. Die beiden anderen lebten als Erinnerung in mir fort, die eine nur noch als Jugendtraum und Jugendthorheit, die zweite, nie mals ganz überwunden, zuweilen der Gegenstand angstvoller Träume, die mich alle Schmerzen der Vergangenheit von Neuem erdulden ließen. Nun kam Vas dritte, das letzte; denn ich fühle es bestimmt, daß.hiermit wirklich die bedeutsamen Ereignisse in meinem Leben erschöpft sind. Es war an einem Nachmittag am Ende des Mai, schon gegen Abend. Ein Frühlingsgewitter hing in der Luft; graublaue Wolken trieben zerfetzt und zerweht, nicht allzu dicht, am Himmel vorüber, der aus der Ferne schon wieder erhellt heruntersah. Ich war im Kloster Seligenthal gewesen, wo ich einige alte Inschriften zu entziffern versucht hatte, und ging nun durch die schwüle Luft gemächlich nach Hause. Es fielen einzelne große Tropfen, doch nicht genug, um mich zu stören, oder mich zu eiligerem Tempo zu treiben. Die Isar war graugelb und hoch, das Rauschen klang laut herauf zu den beiden Brücken, die ich passirte. Kaum hatte ich die zweite von ihnen verlassen, als ein röthliches Leuchten und rascher, knatternder Donner von oben herunterkamen, während zugleich ein starker Regenschauer nieder prasselte. Ich stand unmittelbar vor der offenen, hohen, gewölbten Vor halle der Heiligengeistkirch« und trat hinein, um die Regenwolke da droben vorüberziehen zu lassen. Außer mir war Niemand in der Halle, nur auf der anderen Seite der Straße sah ich ein paar Menschen eilfertig in ihre Häuser flüchten. Ich ging ein Weilchen auf und nieder und blieb dann stehen, um durch den Rahmen der Hallenpfeiler hindurch ein freundliches Schauspiel zu betrachten, das von dort aus zu sehen war. Die Straße, oie sich hier zu Marktplatz Breite erweitert und in einem schön geschwungenen Bogen nach Süden hinzieht, war von den grau weißen Linien des Regenschauers erfüllt; zurückgeschleudert, sprangen die mit Gewalt niederfallenden Tropfen vom Boden wieder empor. Dort unten war Alle» grau, naß und häßlich; hoch oben aber um die Giebel der Häuser, um diese bunten, krausen Linien dort in der Luft, so wunderlich aus Bögen, Schrägen, Abtreppungen, Ausbauchungen und Schnecken windungen zusammengesetzt, um die Thürmchen, Giebelchen und Wetterfahnen spielte ein freundliches Licht. Im Westen hatte die Sonne die Regenwolken schon wieder durchbrochen, und unter dem Wolkenvorhang hervorschauend ließ sie das blasse Weiß, Gelb, Roth und Grün der Mauern in sanftem Schimmer er strahlen. Es war wie eine Verheißung vom Siege des Lichtes, und ich mußte an ein Menschenleben denken, dem aus Gewitter dunkel solch mildes Abendlicht hervorstrahlt. Während ich noch dastand und schaute, that sich geräuschlos, von behutsamer Hand bewegt, die Kirchenthür auf und eine Frauengestalt trat hervor. Sie blieb, geradeaus blickend, einen Augenblick auf den Stufen, doch konnte ich nicht erkenne», ob Ton und Anblick des Regens ihr dort Halt geboten. In ihren Augen war ein so weltabgewandter, nach Innen gerichteter Blick, daß ebenso gut eine Erinnerung, ein plötzlich auftauchender Gedanke sie an die Stelle fesseln tonnten. Ich hatte im ersten Augenblick erkannt, wie schön sie war, und je länger ich sie be trachtete — ich durfte es ungestört, denn sie bemerkte meine An wesenheit nicht —, um so mehr begann ein seltsames, mir neu gewordenes Gefühl in meiner Brust sich zu regen. Ei war nicht nur Bewunderung ihrer Schönheit, ihrer hohen, schlanken, prächtig modellirten Gestalt, ihrer großen, dunklen Augen und der beinah« klassisch edlen Linie des Profil», — e» war zugleich ein tiefe», plötzlich emporquellrndeS Mitleid mit dem gewaltigen Schmerz, der in ihren Zügen wohnte. Sin Schmerz, der durco Stolz und Selbstbeherrschung bekämpft schien, aber darum nur um so gewaltiger wirkte. Sie kam nach einer kleinen Weile die Stufen herunter, wobei ein flüchtiger, achtloser Blick mich streifte, und trat in die mir gegenüberliegende Orffnung der Vorhalle. Dort blieb sie wieder stehen, halb von mir abgewandt, von den Linien der Pfeiler und des Gewölbebogens umrahmt. Sie war in tiefer Trauer, keine Spur von Weiß an ihrer ganzen Tracht, und stand so da, in den Regen hinauiblickend, über den das Sonnenlicht in der Höhe schon triumphirte. Während ich sie betrachtete, kam mir mit einem Male der Gedanke: „Wenn hier ein Menschenleben wäre, das Gewitter und Sturm zu durchkämpfen gehabt hat, und dem Du solchen Abendsonnenschein geben könntest!" Mein Herz begann zu klopfen, wie es nur vor langen Jahren geklopft hatte, und ein angstvoll freudige» Gefühl zog mir die Brust zusammen In den zarten Sonnenschein mischte sich zuweilen noch ein rasches Blitzlicht hinein, da» die schwarze Gestalt mit röthlichem Leuchten umgab, und dieser jäh herabfluthende Schein war dem Zucken meines Herzens verwandt. Ebenso unvermittelt, wie er begonnen hatte, ließ der Regen wieder nach. Auf der nassen Straße erglänzte der Widerschein des blauen, reingefegtrn Himmels. Die schöne Frau, die ich unverwandt betrachtet hatte, verließ die Vorhalle dec Kirche und ging langsam die breite Straße, die Altstadt, hinunter. Ich konnte dem Wunsche, sie noch länger anzuschauen, nicht wider stehen und folgte in angemessener Entfernung. Sie hatte mich kaum bemerkt und war sich des Beobachters, der sich an ihre Schritte heftete, nicht bewußt. Sic kannte offenbar Niemanven in der Siadt; auf der Straße war es wieder lebendig geworden, aber Keiner begrüßte di« schwarze Gestalt. Ohne rechts uno links zu blicken, mit gerade erhobenem Haupte und einem könig lichen Anstand verfolgte sie ihren Weg, den Bogen der Straße entlang, bis sie am mäckstigen Thurm der Martinskirche vor über war. Dann bog sie nach der linken Seite hin ab, und ich mußte meine Schritte beschleunigen, um ihre Spur nicht zu verlieren. Dort an der südlichen Langseite der Kirche liegt ein stiller kleiner, von Gebäuden rings umschlossener Platz. Kirchhofs ähnliche Einsamkeit und Oede weht darüber hin. Selbst die Pflanzen und Bäume auf den drei Rasenplätzen, die seine Mitte einnchmen — ein länglicher, von zwei kreisrunden flankirt — haben ein müdes Aussehen und scheinen sich nach dem Tode zu sehnen. Um die drei grünen Flächen sind niedrige Hecken aus wildem Wein gezogen, aber die holzigen Zweige treiben nur noch spärlichei Laub und sind vom Alter gekrümmt und zernagt. In ernstem Grauroth erhebt sich mit beängstigender Gewalt die Kirchenmauer mit ihren Strebepfeilern zur Linken, als drohe sic, sich auf den kleinen Platz niederzuwerfen und die Reste des Leben» auf ihm unter ihren Trümmern zu ersticken. Als ich den schmalen Zugang erreicht hatte, sah ich die Gesuchte noch langsamer, als sie zuvor gegangen war, an der Kirchenmauer entlang schreiten. Das ganze Gemäuer ist hier mit Leichensteincn bedeckt, und Todtenköpfe, Sanduhren, Kränze und andere Abzeichen deS Todes überdecken, in Stein gehauen, die röthlich düstere Mauerflächt. Ein ,8t« virttor" oder „8i<ts vitttor" wird dem Vorübergehenden auf Schritt und Tritt von der Stimme zugerufen, die unter zertrümmerten, verblichenen Wappen, unter kaum mehr lesbaren Namen fromme Lügen von den Tugenden vergessener Menschen erzählt: Eine lautlose Predigt, bei der Sterben und Vergehen das Thema bilden. Den Blick auf die von Leichensteinen erfüllte Sockelmauer der Kirche gerichtet, aber durch keine der Inschriften oder Bild«
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