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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990206021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899020602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899020602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-06
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AnzeigenPre!- bie 6 gespaltene Petitzeile SO Pf-, Reklamen unter dem Redaktion SsirtL spalten) 50^, vor den FamiUrmiachrick» > (6 gespalten) 40/4- Größere Schriften laut unserem Preis- vcrzeichniß. Tabellarischer und Zifsernjap nach höherem Tarif. Extra-veUaqkt- (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörder»!/ 60.—, mit Postbeförderung ./t 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgab«: Bormitksz- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. >— Druck und Verlag von L. P olh in Leipzs^ 93. Jahrgang. Montag den 6. Februar 1899. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. Februar. Wenn auch da und dort ein socialdemokratischer Vogel sich mausert, so bleibt sein Beispiel dock ohne jede Wir kung auf die Führer. Cie hebalten ihr altes Federkleiv wie sie innerlich die Alten bleiben. DaS haben die Herren Singer und Bebel am Freitag und Sonnabend im Reichstage in der Debatte über das Thema „Socialvcmokratte und Vc- amtcnthum" überzeugend nachgewiesen. Wer diesen Herren noch nachredet, sie seien im Begriffe, ihre Partei auS einer Umsturzpartei in eine Reformpartei zu ver wandeln , der verdient eine DerleumdungSklage und eine exemplarische Bestrafung. Wer, wie Herr Singer offen erklärt, die Socialdemokratie dulde Leute, die ihre Ver sammlungen mit einem Hoch auf den Kaffer beginnen und schließen, nicht in ihren Reihen, und trotzdem über den Aus schluß von Leuten, die von der Socialdemokratie als „Ge nossen" behandelt werden, auS dem Reichspostkienste wie über ein fluchwürdiges Verbrechen zetert, der will nicht nur den Umsturz, sondern ist auch in feine Umsturzideen so verrannt, daß er vom Staate sordert,er solle mit «ignerHand seineGrundsäulen zerstören helfen. Und wer wie Herr Bebel sich und seine freunde, unter denen Herr Singer doch einer der ersten ist, für berufen erklärt, über staatserhaltende Elemente und Grund sätze wie em Eilzug über einen Strohhalm Hinwegzuzehen, der ist von vernünftigen Reformbestrebungen ebenjo fern, wie Herr Eugen Richter vom EonservaliSmuS. Gerade deshalb aber fanden die bestimmten Erklärungen des StaatssecrelärS v. Podbielski, daß er Socialvemokraten unter den Postbeamten nicht dulden und socialremokratischen Agitationen unter diesen Beamten mit allem Nachdruck ent- gegcntreien werde, den Beifall der großen Mehrheit des Hauses. Selbst Herr Stöcker gab am Sonnabend alS ganz selbstverständlich zu, daß ein monarchischer Staat Beamte nicht dulden könne, die sich zu einer anti monarchischen Partei bekennen. Doch meinte er statt der Repression die Bekämpfung der Socialdemokratie durch Be° lhätigunz äußersten Wohlwollens empfehlen zu sollen. Wie er fick das denkt, hat er freilich nicht gesagt. Sollen Leute, die im begründeten Verdachte socialdemokratischer Gesinnung und heimlicher Agitation stehen, mit demselben oder wohl gar mit noch größerem Wohlwollen behandelt werben, al- Be amte, die iede Verführung an sich abgleilen lassen oder gar bekämpfen? DaS wäre denn doch höchst bedenklich und würbe ter Neichspostvcrwaltung dieselben Erfahrungen eintragen, die Herr Stöcker selbst gemacht hat, dessen An hänger zum großen Thcile zur Socialdemokratie übergegangen sind. Allgemeine Regeln über bie Behandlung von Leuten, die nur als „Mitläufer" der Socialdemokratie bei Wahlen zu betrachten sind, lassen sich überhaupt schwerlich auf stellen. Zn dem einen Falle mag Strenge, in dem anderen Nachsicht die sicherere und nachhaltigere Wirkung üben. Die beste Garantie für die richtige Handhabung der Dieciplin bleibt unter allen Umständen der Geist, den der Ressvrlchef seinen Oberbeamien einzuflößen versteht, weil er seine eigenen Handlungen leitet. Und Liese Garantie scheint Herr v. Podbielski zu geben, denn aus allen seinen Aus führungen ging hervor, daß er zwar mit unerbittlicher Strenge gegen notorische Umstürzler vorgeben werke, aber auch zu individualisiren verstehe und vor dem Fehler sich hüten werde, Leute, die bei rechter Behandlung zu lenken und für den Reichsdienst zu retten sind, in die Reihen der Gegner der staatlichen Ordnung zu stoßen. Ob da-1 Verbot, die Fachzeitschrift „Deutscher Postbote" zu lesen und I al- Znsertionsorgan zu benutzen, mehr schaden als nützen werke, wird der Reichstag schwerlich mit Sicherheit ent- scheitcn können, da der Präsident dem nationalliberalen Abg. Franken das Verlesen einer Reihe von Artikeln auS diesem Blatte verbieten zu müssen glaubte und den einzelnen Mitgliedern deS Hause- doch wohl nicht zugemuthet werden kann, die einzelnen Zahrgänge LeS Blattes durchzustudiren. Wie Preußen, so soll nun auch Bayern vom Kleri- kaliSmus mit dem ParitütSjammcr beglückt werden. Auf beiden Seiten des Mains wird es im klerikalen Lager für unerläßlich gehalten, daß auch in Bayern eine Statistik, namentlich für die höheren Aemter aufgestellt werde. Nur das KriegSministerium soll vorläufig noch ver schont bleiben, dafür aber daS Finanzministerium fürchter lich gemustert werden, denn — man denke — der Finanz minister von Riedel ist nicht nur Protestant, sondern sogar PfarrerSsohn und führt conscguent die „Verprotestan- tisirung" des Ministeriums durch. Und selbst die Justiz unter dem katholischen Minister v. Leonrod wird „ver- protestantisirt"! Besonder- bezeichnend für diesen ParilälS- jammer ist LaS schon bei der Ausnutzung der vom Prinzen Ludwig von Bayern am letzten Geburtstage deS Kaisers hervorgetretene Bestreben, die Krone Bayern» gegen daS verhaßte Ministerium von Crailsheim auszuspielen. „An Anwärtern zu hohen, ja zu den höchsten (I) Posten fehlt eS in Bayern nickt in dem Maße, daß man uu- etwa mit der Einreke LeS BiltungSrückstandes kommen konnte", so droht die „Köln. Volkszlg." und fügt dem hinzu: „Manches hat sich in der neuen Aera gebessert, die Besserung sckreuet auch, Dank der an den maßgebendsten Stellen herrschenden Gesinnungen fort, aber in Len Ministerien und Kreisrezierungcn ist LaS relative Vorherrschen LeS pro testantischen Elementes geradezu auffallend." Der Sperr druck, der das „renitente" Ministerium in dieser Weise an di« „maßgebendste" Stelle erinnert, ist ebenfalls nach der „Köln. Volkszeitung". Herr v. Crailsheim wird sich durch solche Anzapfungen Le« rheinischen Centrum-blatte- Wohl ebenso wenig „amtsinüve" machen lassen, wie seine Collegen v. Riedel und v. Leonrod. Es fragt sich nur, ob die „maß gebendste" Stelle in Bayern ebeniv wie die in Preußen das Bedürfnis fühlt, dem Partität-jammer CentrumS ein williges Ohr zu leihen. Ein höchst sonderbare» Stück tschechischer „Rechts pflege bildet LaS Urtheil im Proceß Biberle. Zn der Verhandlung gegen den Techniker Biberle bestätigte der WirtbsckaflS-Adjunct Schmid, der Freund LeS erschossenen tschechischen Studenten Linhart, als Zeuge auch mündlich, daß Linhart mit einem unbekannten tschechischen Burschen ohne Veranlassung den Biberle verfolgte, ihm von rückwärts mit einem Ochsenziemer drei Hiebe über ten Kopf versetzte, worauf Biberle bewußtlos zusammen stürzte. AlS dann Biberle sich zu erhebe» versuchte, seien Beide nochmal» auf ihn gestürzt. Schmid fügte hinzu, jener Bursche, der nicht mehr ermittelt werden konnte, da er flüchtete, habe den Eindruck gemacht, daß er angestiflet ge wesen sei, den deutschen Studenten zu provociren, eine An nahme, der auch wir s. Zt. sofort Ausdruck gaben. Biberle selbst sagte aus, er habe Linhart tschechisch zuzerufen: „Warum schlagen Sie mich, ich habe Ihnen doch nicht« zelhan!" Trotzdem habe Linhart weiter geschlagen, worauf Biberle bewußtlos zusammenstürzte. Er habe gefürchtet, erschlagen zu werken, und deshalb, als er zu sich kam, auf dem Boden liegend, den Revolver gezogen und abgefeuert, wie oft, wisse er nicht. Seine Augen seien von Blut ganz verklebt gewesen. Sein vorgewiesener Winterrock ist mit Blut getränkt. Nichtsdestoweniger erkannte der Gerichtshof Biberle für schuldig LeS Vergehens gegen die Sicherheit de» Lebens und verurtbeilte ihn, wie gemeldet, zu drei Monaten strengen Arrests. Unter den Gründen deS Urtbeils machte der Gerichtshof geltend, Biberle habe da» Recht der Nothwehr über schritten, da eS nickt notbwendig (!!) gewesen sei, Noth wehr mit der Schußwaffe zu üben, und die Drohung deS SckicßenS genügt hätte, die Angreifer abzuschrecken. Der Vertheikiger Dibcrle's meldete die Nichtigkeitsbeschwerde an. Auf Ansuchen desselben wurde Biberle, wie gleichfalls schon mitgctheilt, gegen eine Cautiou von dreitausend Gulden auf freien Fuß gesetzt, bi- die Entscheidung über die Berufung seines Vertbeidizer» erfolgt. Er gebt in der Zwischenzeit zur Erholung nach Italien. — Durch dieses scandalöse Urtdeil, welches das Recht der Nothwehr illusorisch macht, wird sich, wie kie „Tägl. Nksch." zutreffend bemerkt, daS tschechische Gesindel in Prag sicher nur um so mehr er- mutbigt fühlen, kie kort tbatfächlich für vogelfrei erklärten Deutschen auf alle mögliche Weise zu belästigen und zu miß handeln. ES ist wirklich schon herrlich weit gekommen an jenem alten Sitze deutscher Bilcung. Nun hat auch Rumänien seine agrar - socialistischc Be wegung. Wir erhalten folgende officiöse Meldung: * Bukarest, 6. Februar. (Telegramm.) Unter der Land bevölkerung in den Distrikten Teliorman, Olt und No- manatsi machte sich in der letzten Zeit eine gewisse Währung bemerkbar, der indessen keine große Bedeutung brizulegen ist. In folge der allgemein den Socialisten zugeschriebenen Propaganda stellten die Bauern auf Grund von Versprechungen übertriebene Forderungen, ohne daß sich irgendwo Unruhen von einiger Bedeu tung ereigneten. Lurch di« Intervention der Livilbehörde wurde die Aufregung beschwichtigt und die Ordnung wiederher gestellt, ohne daß es nothwendig gewesen wäre, das Militär ein schreiten zu lasten. Nichtsdestoweniger werden die Urheber der Pro paganda gerichtlich belangt werden. Im ganzen Lande herrscht vollkommen« Ruhe. E» ist richtig, daß e» bi-her zu blutigen Eonfticten mit der bewaffneten Macht nicht gekommen ist und vor Allem ist dir Meldung falsch, daß ein Bataillon Zager in die Flucht geschlagen worden sei. Allein der officiöse Draht stellt die Sach« doch entschieden zu optimistisch dar, denn die Bewegung ist noch im Zunrhmen, nicht im Abnehmen begriffen. Der Aufstand umfaßt vierzehn Kreise, fast die ganze ehe malige Walachei. Unter den Bauern circulirt eine Petition, Vie Klage erbebt gegen den König wegen der vorherrschenden Agrarüdelständr. Der Aufstand ist thatsächlich socialfftischer Natur und zielt auf Dodenvertbeilung ab. Die socialistischen Agitatoren knüpfen die Agitation unter den Bauern an den in der Kammer eingedrachtra Gesetzentwurf über die Gründung einer Nuraldank an, welche da» Vorkaufs recht auf alle zwangsweise oder freiwillig zur Versteigerung gelangenden Großgrundbesitze erhalten, dieselben parcelliren und an Bauern gegen Amortisation de« Kaufpreise» verkaufen sollte. Dieser Gesetzentwurf wurde vom Senat verworfen. Tie socialistische Agitation verbreitet nun unter den Bauern das Gerückt, daß dieser Gesetzentwurf, durch den der Grunkbesi tz den Latifnndicnbesitzern entrissen und unter die Bauer» vertdeilt werken sollte, dem Wunsche des Zaren, des höchsten Protectors Rumäniens, entspreche, und wenn kie Bauern den König Karol zwingen könnten, dem Wunsche des Zaren zu entsprechen, so würde der Großgrundbesitz in die Hände ker Bauern übergehen. An der Spitze der Bewegung steht Johann Nadeibe, der Redacteur des Blattes „Lumea Nona". Angeschwollen ist die Bewegung dadurch, daß dir Liberalen inr letzten Herbste anläßlich der Gemeinderaths wählen sich zum Sturze der conservativen Candidaten mir den Socialisten verbündeten, wobei diese den Sieg ernteten. Sie bildeten in der Provinz über 70 agrarsocialistische Clubs. Auf den Philippinen bat, nachdem alle Verhandlungen zur Herbeiführung einer Verständigung gescheitert waren, ker- erste ernstere Zusammenstoß zwischen den Amerikanern und den Eingeborenen stattgefunden. Gleichzeitig hat der Ver treter Aguinaldo'S in Washington, Agoncillo, wie uns tele graphisch gemeldet wird, in der Nackt vom Sonnabend zum Sonntag die Stadt verlassen. WaS man in Washington amtlich über die ersten Kämpfe bei Manila bekannt werden lassen will, ist in folgenden kurzen Meldungen enthalten: * Washington, 5. Februar. Nachfolgende amtliche Depesche ist von dem Admiral Dewey aus Manila vom ö. d. Mts. ein getroffen: „Die Insurgenten begannen einen allgemeinen Angriff gestern Nacht; das Gefecht wurde heute fortgesetzt. Im Allge- meinen waren die Amerikaner erfolgreich; die In surgenten wurden zurückgetrieben und die Linie der Amerikaner gewann an Boden." * Washington, 5. Februar. Die Cabinetssekretäre Lang und Alger hatten heute eine Unterredung mit dem Präsidenten Mac Kinley im Weißen Hause. Nach der Unterredung erklärten sie, die Regierung habe außer der bekannten Drahtmeldung Les Admirals Dewey keine weiteren Nachrichten über Len Zusammenstoß mit den Filipinos bei Manila erhalten; Instructionen seien weder an Admiral Dewey noch an General OtiS gesandt worden. Eine weitere, anscheinend halbamtliche Meldung auS Manila lautet: * Rew Pork, 5. Februar. Die amerikanischen Kreuzer be- schießen die Aufständischen im Norden und Süden der Stadl. In der Stadt selbst sind keine Unruhen ausgebrochen. Tie Frauen wurden an Bord der Transportschiffe gebracht. General Otis ist vollkommen Herr der Situation. Im „Allgemeinen" werden diese Nachrichten ja richtig sein, die Einzelheiten aber verschwiegen, und diese dürften nach unserem im Morgenblatte wiedergegebenen Telegramm aus Manila und nach der Fassung der beiden amtlicken Wasbingtoner Meldungen in nicht unerheblichen Verlusten der Amerikaner bestehen. Fouilletsn. y Sterbendes Licht. Novelle von Robert Kohlrausch. Ä!a<i>d>u«k vrriotm. Mir gegenüber blieb er immer gleichmäßig dienstwillig, heiter und freundlich, und ich werde es niemals vergessen, was er an mir gethan hat. Allmählich gewöhnte ich mich daran, mit ihm über meine Arbeiten — die ich nun mutzt« liegen lassen — und über sonstige geistige Interessen zu sprechen; wa« er nicht ver stand, schob er mit einem Scherzwort von sich hinweg. Noch unvergessen ist mir der Augenblick, in dem er mich zum ersten Male wieder in jener Zeit zum Lache« brachte. Ich beschäftigte mich viel mit dem Gedanken an die Vergänglichkeit des Irdischen und mit den dunklen Fragen der Ewigkeit; mein Schicksal selbst hatte mich an dies« verschlossenen Pforten ge führt. Ein Problem, das mich häufig beschäftigte, war da» der Seelenwanderung, und ich versuchte, meinem Diener und Ge nossen Aar zu machen, was er darunter zu verstehen hake. Lange Zeit hatte er geschwiegen, und ich glaubte, er grübele tief und eindringlich über die schwierige Frage nach. Plötzlich sagte er mit einer gewissen Feierlichkeit: „Ich, wenn noch amal zur Welt komm', werd a Gockl." „Warum denn daS?" fragte ich sehr erstaunt. „Da führ' ich Morgen- meine Weiber auf'm Mist spazieren, und Nachmittags bin ich fertig." Dies Wort hat mich zum ersten Mal wieder lachen gemacht. Ich erschrak beinahe, als ich den ungewohnten Ton meiner Stimme vernahm, aber das Eis war gebrochen, und seitdem ge lang eS dem guten Burschen öfter, mich für Augenblicke zu er heitern. Er steckte bis oben hin voll von solchen Scherzen, die wohl nicht alle fein Eigenthum, sondern hier und da aufgelesen waren, die er aber mit einer Frische und Fröhlichkeit vorbrachte, al« rutz sprängen sie unmittelbarer Eingebung. Mir waren sie alle neu, da ich mit seines Gleichen ehemals nur vom Standpunkt« de« Vorgesetzten au» verkehrt hatte, und so war da« heitere Rieseln der Quelle des Dolkkhumors daS Erste, wa« mir in meiner Ver einsamung und in der immer lieferen Dunkelheit, die mich um gab, ein wenig Erfrischung und Freude gewährt«. Lange freilich sollte ich auch dies nicht mehr hören. Mein L«ben mutzte erst noch einsamer und elender werden, bevor «in Strahl von Licht wieder hineittfallen durste. Niemals hatte ich daran gedacht, Latz Ändert, der scheinbar kerngesund« Bursch«, krank werden könne. Daher beunruhigte eS mich auch nicht, al» er eines Morgens über ein Uebelbesinden klagte, daS von Stichen in der Brust begleitet war, das er aber gleich selbst wieder hin wegzulachen versuchte. . Um so mehr erschrak ich, als der Arzt, zu dem ich Ander! mit Müh« und Noth hatte hindirigiren können, die Krankheit für eine heftig« Lungenentzündung erklärte. Der Bursch« wurde sofort in« Bett gesteckt — er hielt sich wohl ohne dies kaum mehr auf den Füßen, so tapfer er gegen die'Krancheit ankämpfte, — und ich selbst übernahm die Pflege, soweit meine geschwächte Sehkraft «S zuließ. Nun saß ich Lag und Nacht an dem Lager de» guten, treuen Menschen, der mir sein einfacher Dasein so gern und willig gewidmet hatte, und rang um ihn mit dem Tode. Er selbst war viel mehr mit mir und meinem Leiden beschäftigt als mit der eigenen Krankheit, und suchte auch jetzt noch alle schwer- müthigen Gedanken von mir mit gewohnten Scherzen hinweg zuscheuchen. Einmal, als ich, von Angst ergriffen, seine rauhe Hand in di« meine nahm uud zu ihm sagte: „Nicht wahr, Ander!, sterben thust Du mir nicht?", da versuchte er zu lachen und antwortet«: „Na, Herr Major, 'S Sterben heb' ich auf bis zuletzt." Aber seine Stimme war so schwach geworden, und in seiner Brust röchelt« es so laut, daß mich bei diesem Versuch zum Scherzen ein Grausen überlief. Und al» «L dann wirklich so weit kam, alp er selbst et fühlte, daß der Lod an seinem Lager stand, da bemerkte ich, wie er mit erkaltenden Fingern nach mir tastet« und ganz leise, in abgerissenen Worten, bracht« er noch hervor: „Ich wenn den Herrn Major wirklich alleinig lassen müßt', — deet wär' z'rund für meinen viereckigen Kopf." Bald darauf starb er und ließ mich allein. Er, der mich ge leitet und beschützt hatte in meiner Dunkelheit, der mir durch 2r«u« und Heiterkeit noch ein wenig vom Sonnenschein der Welt gegeben hatte, er schloß die freundlichen Augen und ging nun selbst biniiber in die Dunkelheit. Zudrücken konnte ich dem treuen Ander! seine guten, hell braunen Augen, die mit dem Ausdruck einer unvergänglichen Treue zu mir aufgeschaut hatten, — zu sehe» vermocht« ich sie nicht mehr. Sein bleiche» Todtengesicht war für mich nur noch eia Weltzer, verschwimmender Fleck, und ich empfand «», ohne «» zu sehen, daß er mich wirklich verlassen hatte. E» war an einem windigen Aprilmorgen, der Weiße Schlotzenschauer auf die Erde warf, als er zu Grabe getragen wurde. Ich hatte mich noch nicht entschließen können, mir einen neuen Diener zu nehmen, und so stand ich, aus den Arm eine» mir befreundeten OfficierS gestützt, an der offenen Gruft und sah den Sarg, den ich mit einer Menge von Blumen hatte be decken lassen, wie «in gestaltlose», in verschiedenen Farben schillerndes Phantom an mir vvriiberschwanken. Dann sah ich nichts mehr, sondern hörte nur mit betäubten Sinnen di« Worte des Geistlichen und hörte Vie Erdschollen, einen dumpfen Wider hall weckend, auf den Sarg niedrrfallen. So ganz verlassen und vereinsamt, wie in der ersten Stunde, die ich nach diesem Bcgräbnitz in meinem Zimmer verbrachte, habe ich mich niemals sonst gefühlt. Aber dieselbe Stunde hat mir denn auch «in Glück gebracht, auf daS meine Seele für immer meinte verzichtet zu haben. Ich hatte mich ein wenig auf mein Sopha gelegt und die Augen geschlossen, ohne doch Schlaf und Ruhe finden zu können, als ich draußen zwei weibliche Stimmen vernahm, von denen die «in« mich jäh emporfahren und horchen ließ. Und während lch noch dcpsatz, gelähmt von einem Gefühl, daS halb Freude war und havb Angst, öffnte sich leise die Thür. Eine schwarze, hohe Gestalt trat herein — sie schwebte nur wie ein dunkler Schatten vor mir, aber ich erkannte sie mit untrüglichem Ge fühl — und sie kam langsam aus mich za». Zuerst vernahm ich nur die sanften, gedämpften Schritte, dann aber hörte ich auch sprechen, und mild«, gütige Worte drangen zu mir her. „Sie sind nun ganz allein; ich hab« gehört, wa» ge- schchen ist." , Ach vermochte nicht -u antworten oder mich -u erheben, und während ich noch dasatz, um Worte ringend, holte Frau von Jttingbofen sich geräuschlos «inen Stuhl herbei, setzte sich neben den Tisch, nicht sehr weit von mir entfernt, und sagte: „Sie müssen mir schon erlauben, jetzt «in wenig bei Ihnen zu bleiben und Sie zu pflegen, bi» Sie einen neuen, zuderlässigen Diener gefunden haben. Ich werde täglich für mehrere Stunden kommen, Ihnen dorlesen und Sie in» Freie führen. Ich bin mit mir zu Rathe gegangen und habe erkannt, daß r» meine Pflicht ist, so zu handeln." Waren die letzten Worte auch dazu angeihan, mein« gewalt sam wieder emporquellende Empfindung in ihre Schranken zurück zuweisen, so war doch daS Gefühl «ine» überwalleirden Danke», einer neuen Glückseligkeit so stark in mir, daß ich nun auch Wort« fand, um ihr auSzudriickrn, welcher Glück ihr« Nähr für mich be deutete. Sorgsam vermied ich dabei, Töne der Leidenschaft in den Dank hineinklingen zu lassen, aber den Jubel meiner Seele muß sie doch vernommen haben. Und al» mir trotz dieser Jubel» der Gedanke kam, ob fie auch genau überlegt habe, wa» sie unternahm, als ich sie auf LaS Gerede der Menschen hinwie-. und sie bat, sich nicht übler Nachrede cruSzusctzcn, da beruhigte sic mich mit freundlichem und zugleich festem Wort. „Lassen Sie meinen Stolz doch auch einmal etwas Gute? stiften, lieber Freund. Er hat mir Schlimmes genug gebracht, nun soll er's gut machen und uns hinweghelfen über Klatsch und Verleumdung. Ich weiß, was ich thue und frage nicht nach oen Menschen." Di« Beziehung auf die Vergangenheit, die in diesen Worte» lag, blieb unwiederholt und vereinzelt. Niemals erwähnte Frau von Jttinghofen seitdem, was wir -mitsammen erlebt hatten und wa» zwischen uns getreten war. Eine unsichtbare Scheidewand war zwischen uns aufgerichtet, und WaS wir auch thun und sagen mochten, sie wurde niemals hinweggeväumt. Wenn ich zuweilen die Hand gern erhoben hätte, um an ihr zu rütteln, so hielt mich immer die sichere Empfindung davon zurück, daß ich mir selbst mit solchem Thun daS unschätzbare Glück wieder rauben würde, da» unvermuthet und unverhofft zu mir niedergestiegen war. Eine Zeit de» Glückes war c», die an jenem Tage begann! Dic Leidenschaft war in Fesseln gelegt, sie durfte sich niemals wieder davon befreien; die ruhigen Empfindungen aber konnten sia> täglich schöner und reiner entfalten, — Hingebung, Dankbarkeit, Achtung und Bewunderung durften die Seele mit Wärme uns Licht immer mehr erfüllen. Die zurückgewoanenr Freundin kam täglich zu mir, ihrem Versprechen getreu. Auch als ich einen neuen Diener engagirt hatte, der sich als gutwillig, aber ungeschickt erwies, blieb sic nicht aus, wie ich goftirchtet hatte. Sie kannte und theiltr meinen Geschmack in Bezug auf die Literatur, und mit sicherem Jnstinct wußte sie solche Bücher zum Verlesen zu wählen, die mich so stark beichäftigten, datz ich die Krankheit darüber vergaß. Und wenn sie mich hinauSführte in die wieder aufblühende Natur — sie lieh mir tüglich den Arm zu diesen Gängen, aber sie gab mir niemals zum Willkommen oder Abschied ihre Hand — van» zoigte sie sich als Malerin in Worten. So lebhaft wußte sic mir zu schildern, was ich nicht sah, datz ich in ihrer Nähe den Verlust der Sehkraft nicht empfand und, wenn der Wins mir irgend «inen Duft rntqegentrug, die Blllthen zu erblicken meinte, denen er entströmt«. So ist für mich durch den Opfermuth dieser Frau, der Ich ihr Kind getodtet hatte, die Zeit des sterbenden Lichtet, in der mein Auge sich mehr und mehr mit Finsternis-, umgab, zu einer Zeit de» wiedererwachenden Glücket, de» neu geborenen Vertrauens, der im Innern aufleuchtenden Helle ge worden. Im wachsenden Dunkel hat mir die Sonne von Neuem zu strahlen begonnen, und an diesem Lichte, da» mächtiger und
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