Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990208024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899020802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899020802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-08
- Monat1899-02
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-AnSgabr erscheint «m '/,? Uhr, di» Ilbeud-AuSgab« Wochentag» nm L Uhr. Ledaction uv- Erpeditto«: JobanneSgafie 8. Li« Expedition ist Wochentag« onnuterbroche» geösstret von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. vezugS-Pre» At h« Hanptrxpeditioll oder den 1» Stad»» bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^4.50, »ei zwetmaltger täglicher Zustellung in« Han« ^l 5.S0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich S.—. Dirrcte tägliche Kreuzbandsendung In« Lu«laud: monatlich 7.S0. Filialen: Ott» Klemm'« Tortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinus. Louis Lösche, Katharineukr. 14, Part, und König-Platz 7. Abend-Ausgabe. UpMer.Tageblatt Anzeiger. Amtsklatk des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Volizei-Ämtes -er Stadt Leipzig. Nnzetgen-Prei- die S gespaltem Petrtzeile SV Pf^ Reklamen unter demRedactionSstrich («ge spalten) üO^j, vor den Familirnuachrichte» (k gespalten) 40^. Brühere Schritten laut unserem Preis« verzrichnitz. Tabellarischer und Zifferosatz uach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Lcorgen - Ausgabe, ohne Postbeförderunz 60.—, mit Postbeförderuog 70.—. Annalmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Dolp in Leipzig 71. Mittwoch den 8. Februar 1899. S3. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. Februar. Als gestern im Reichstage derPräsidentGraf Ballestrem dem verstorbenen Grase» Caprivi einen Nachruf widmete, erhoben sich gleich den übrigen anwesenden Mitgliedern des Hauses auch die socialdemokratischen von ihren Sitzen. Am Beginne der Tagung hatten die Socialdemokraten bei dem dem Fürsten Bismarck gewidmeten Nachrufe den Saal verlassen und erst dieser Tage hat der Abg. Singer das Haus darüber belehrt, daß die „Genossen" in ihren Reihen keine Leute dulden, die ihre Versammlungen mit einem Hoch auf den Kaiser beginnen und schließen. Was bat Wohl gestern die Herren bewogen, von ihrer Gepflogenheit abzugeben? Pietätvoller sind sie in der jüngsten Zeit nicht geworden und daraus, daß der zweite Reichskanzler der Socialdemokratie den ihr vom ersten Kanzler wie von seinen drei kaiserlichen Herren vorenthaltenen Ehrentitel einer „nationalen" Partei beigelegt hat, läßt sich ihre veränderte Haltung auch nicht erklären. Was giebt ein zielbewußler Socialvemokrat auf Titel überhaupt und insbesondere auf einen, der mit dem internationale» Charakter der Socialdemokratie sich nicht vereinbaren läßt? Aber bei der soeben erst beendeten zweiten Berathung deS Postetats war es zu Tage getreten, waö die Socialdemokratie an dem zweiten Reichskanzler verloren hat: nicht nur den Verleiher eines Titels, sonder» auch den Träger eines Verwaltungs systems , das den Aposteln des Umsturzes das Hineintragen ihrer Agitation in die Kreise der Unterbeamten erleichterte und sie mit ausschweifenden Hoffnungen auf die Zukunft er füllte. ' So entschieden, wie der neue Staatssekretär des Reichspostamtes gegen die socialdemokratischen Agitatoren in seinem Ressort vorgeht, hätte er während der Aera Caprivi nicht Vorgehen können. Die Socialdemokratie begräbt also mit dem zweiten Kanzler einen Theil ihrer Hoffnungen, und aus diesem Grunde trugen gestern die parlamentarischen Ver treter der Partei eine Pietät zur Sckau, die ihnen sonst fremd ist' Hoffentlich versteht man in dc» Kreisen, von denen die Ein dämmung der socialdemokratischen Hochfluth am meisten abbängt, die Mahnung, die in dem gestrigen Verhalten der social demokratischen Reichstagsmitglieder bei dem Nachrufe auf den Grafen Caprivi liegt. — AnS dem, waS gestern nach Er ledigung des Nestes des Postetats und deS Etats der Reichs druckerei noch über die Lankgesetzvorlage geredet wurde, läßt sich ein sicherer Schluß auf das Schicksal dieser Vorlage noch nicht ziehen, da außer dem Staatssekretär Grafen Posadowsky und dem Reichsbankpräsidenten Koch nur der freiconservalive Abg. Gamp, der nationalliberale Bank director Büsing aus Schwerin und der bimetallistisch- agrarische Abg. Gras Kanitz zum Worte kamen. Es gewinnt aber doch den Anschein, als ob die Zahl der Verstaatlichungöfrcunde sich gemindert und ihre Zuversicht sich abgeschwächl hätte. Herr Gamp streifte die Verstaat lichung nur leicht, Graf Kanitz, der sie empfahl, schien der Zustimmung nur eines TheileS seiner conservativen Freunde sicher zu sein, und Herr Büsing stellte die principielle Zu stimmung seiner Partei zur Vorlage und zur bisherigen Bankpolitik in Aussicht. Es müßten fick' also heute nicht nur die Conservativen, sondern auch das Centrum auf die Seite des Grafen Kanitz schlagen, wenn die Commission, an welche die Vorlage gewiesen iverden wirb, von der Mehrheit des Hauses die Directive erhalten sollte, grundstürzende^Ver- änderungen au der Vorlage vorzunehmen. Bald wird wieder die Zeit kommen, in der erfahrungs mäßig des öfteren Sitzungen deS Reichstags ausgehoben werden müssen, weil das Parlament nicht beschlußfähig ist. In Hinsicht auf die mangelnde Neigung der Abgeordneten, an den Reichstagssitzungen theilzunehmen, hat sich bereits in der Presse eine Erörterung darüber entspannen, wie sich der Beschlllizunsähigkett am besten eutgegenwirken ließe. Der Vorschlag, die Zahl der zur Beschlußfähigkeit erforderlichen Mitglieder erheblich herabzusetzen, wird oft als reaktionär bekämpft. Es ist anscheinend in Vergessenheit gerathen, daß dieser Vorschlag keineswegs neu ist, sondern vor fast einem Menschenalter bereits vom Fürsten Bismarck gemacht wurde, und zwar in der Zeit der liberalen Aera, in der ersten Hälfte der 70er Jahre, als der Fürst mit den Conservativen bitter verfeindet und ganz gewiß nicht zu reactionärcu Vorschlägen geneigt war. Am l6. Juni 1873 erklärte Fürst Bismarck: „Ich wage nicht das Feld der Kritik über die Frage zu betreten, in wie weit der Reichstag durch seine Geschäftsordnung und durch die Art seiner Verhandlungen seinerseits dazu beitragen könnte, eine bequemere Zeit zu ermöglichen, vielleicht die Verhand lungen abzukürzcn, das liegt außerhalb meines Berufes. Eine Herabsetzung der Beschlußfähigkeit, glaube ich, würde eher dahin wirken, die Vollzähligkeit des Reichstages sicherer zu stellen, als sie bisher ist; wenigstens wenn wir nach dem Beispiele Englands uns richteten, wo 40 Mitglieder in der Lage sind, giltige Beschlüsse zu fassen, wo also Jeder sich getrieben fühlt, zu er scheinen, damit nicht etwa die Vierzig, deren Zusammen setzung er nicht kennt, hinter dem Rücken der anderen Be schlüsse fassen, deren Legalität er nachher nicht anfechten kann." Wenn gegen die Herabminderung der Besckluß- fähigkeitsziffer immer angeführt wird, daß dann durch Zu- fallsmehrbeiten über die wichtigsten Gesetze entschieden werden könnte, so hat Fürst Bismarck als praktischer Poli tiker von vorn herein den Grund angegeben, der diese Befürchtung widerlegt. Wenn die Beschlußfähigkeits ziffer erheblich herabgesetzt wird, so ist eben dann nicht zu befürchten, daß bei Abstimmungen, die von irgend welchem Belang sein könnten, nur eine geringe Zahl von Abgeordneten anwesend sein würde, weil schon die Möglichkeit, von den Gegnern überrumpelt zu werden, den einzelnen Abgeordneten das Gewissen schärfen würde. Jetzt weiß der saumselige Abgeordnete, daß, wenn ein seiner Partei unerwünschtes Abstimmungsergebniß droht, die erfolgreiche Anzweifelung der Beschlußfähigkeit durch einen Fractionsgenossen genügt, die Entscheidung über den Antrag oder Entwurf hinauszuschieben. Selbstverständlich wäre es keineswegs nolhwcndig, die geringe, in England erforderliche Ziffer für die Beschlußfähigkeit auch für Deutschland als bindend anzusehen. Fürst Bismarck hat selbstverständlich England nur als Beispiel angeführt, ohne zu verlangen, daß auch in Deutschland 40 Abgeordnete auöreichen sollen, um die Beschlußfähigkeit herzustellen. Letzthin verbreitete die vatikanische Presse die Mittheilung, Kaiser Nicolaus habe den Papst zur Abrüstungskonferenz eingeladen und dieser habe die Einladung angenommen. Im Anschluß an diese Nachricht wurde gemeldet, Italien habe erklärt, die Conferenz nicht zu beschicken, da die an den Papst ergangene Einladung eine Anerkennung desselben als weltlicher Herrscher bedeute. Beides ist nach einer römischen Correspondenz der „Nat.-Ztg." nicht richtig. Hiernach hat der russische Ministerresident beim Vatican, v. Tscharykow, dem Cardinal-StaatSsecretär Rampolla nur eine Abschrift der russischen Circulardepesche vom 20. August mitgetheilt. In dieser Höflichkeit erblickten Papst und Cardinal eine Ein ladung zur Beschickung der Conferenz und das Haupt der Kirche sowohl wie die vatikanische Presse verkündeten, die Einladung sei acceptirt worden. Der genannte Correspondent schreibt nun weiter: War die Mittheilung der russischen Circulardepesche eine Rati fication oder eine Einladung? Darüber wird sich die italie- nische Regierung wohl eine positive Aufklärung verschafft haben, und diese konnte nur darin bestehen, daß es sich bloS uni eine Ratification handle. AIS man dies im Batican erfuhr, wußte man erst keinen Rath zu finden. Nicht nur die vatikanischen Blätter, sondern der Papst selbst hat italienischen und fran- zösischen Cardinälen und Bischöfen erzählt, daß er zur Confe renz eingeladen sei und sie beschicken werde, damit sein Ber- treter die unveräußerlichen Rechte des Papstthums auf den ihm geraubten Kirchenstaat reclamiren und einen günstigen Beschluß der Conferenz erwirken könne. Wenn nun Rußland behaupten sollte, daß die Ratification keine Einladung gewesen sei, würde der Papst coinpromittirt. Um dem vorzubeugen, mußte die Inter vention der französischen Regierung beim russischen Hofe angerufen werden. In der That gab sich die französische Regierung zu diesem Liebesdienste her, und es begann in Rom, Paris und Petersburg ein Jntriguenspiel. Die italienische Regierung verhielt sich, wie eS scheint, als ruhiger Zu schauer, wahrscheinlich auS Rücksicht auf Frankreich, möglicher Weise weil die russische Regierung ihr versicherte, daß von der Ein ladung des Papstes keine Rede sei. Daß Admiral Canevaro dem russischen Cabinet erklärt haben sollte, Italien mache seine Theil- nahme an der Conferenz von der Ausschließung des Papstes ab hängig, ist schon deshalb nicht glaublich, weil die russische Regierung sagt, daß sie an den Papst keine Einladung gerichtet habe. Canevaro konnte daher in Wahrheit in der Kammer sagen, daß Italien keinen Einspruch gegen die Theilnahme des Baticans an der Abrüstungs konferenz erhoben hat. So ist auch dieser Hoffnung deS „Herrschers" im Vatican, der außer seinen Garden und Gendarmen keine Armee und außer seiner Vermietbeten Fregatte „Immacolata Concepzione" keine Flotte hat — WaS soll ein solcher Souverän auch auf einer Abrüstungskonferenz! — wieder bittere Enttäuschung gefolgt. Der Papst bat eben mit der römischen Frage, wo und wann immer er sie anschneidet, kein Glück. Er wird sie nicht lösen. Ueber die Entwickelung der Dinge in der Provinz Schantung, besonders im Hinterlande von Kiautschau, die schon durch die Mißhandlung des Paters Stenz grell beleuchtet wurden, erhält die „Köln. VolkSztg." von dem k. Volpert einen Bericht vom 6. December v. I., in dem die Lage der Christen im Kreise Iitschau (nahe bei dem deutschen Tsintau) in sehr trübem Lichte geschildert wird. Es heißt in dem Berichte: „Der Fremdenhaß ist unerschöpflich in der Erfindung von allerlei Verleumdungen über die Europäer. Die Besetzung Kiautschaus wird als Raub überfall dargestellt. Die gewalt same Erwerbung der Häuser und Ländereien in Tsintau wird als Ungerechtigkeit verschrien. Die grobe Behandlung der niederen Arbeiter wird gar übel genommen. So entstand in Iitschau, Tschutschöng und Umgegend eine geheime Ver schwörung zur Vertreibung der Europäer. Es bildete sich im Stillen eine Secte, „Che-chni" (die schwarze Sectr) genannt, die natürlich von den Mandarinen begünstigt wird. Auch wird der Rachegeist im Volke geschürt und letzteres bewaffnet, in dem von der Obrigkeit eine Bolksmiliz, Lien-tschuang-chni, ein geführt wird, angeblich zum Schutze gegen Räuber und Rebellen. Doch das Volk merkt die Absicht und wird so selbst rebellisch gegen die Europäer. Kaum war das Trauerspiel mit k. Stenz zu Ende, als sich eine Rotte fanatischer Heiden über die Christengemeinden von Iitschau hermachte, die Christen mißhandelte und zersprengte und ihre Habe raubte. Bon da ging der Aufstand weiter nach dem benachbarten Djölsckau, wo an 20 Gemeinden von einer tausend köpfigen Menge zerstört wurden. Auch anderorts wird die Gefahr immer größer. Meine Station Wangtschuang in Jschni schwebte in großer Gefahr. Der Ortsmandarin thut sein Möglichstes, allein wer weiß, ob es ihm gelingt, das Unheil sernzuhalten." Mit der gleichen Post erhält die „Köln. VolkSztg." einen Brief des k. Stenz aus Tsintau vom 23. December, dem Folgendes entnommen sei: „Augenblicklich ziehen Banden von mehreren hundert Mann in den Grenzgebieten des deutschen Besitzes Iitschau, Djötschau u. s.w. umher und zerstören die Christengemeinden, vertreiben die Christen, flecken deren Häuser in Brand, und nichts geschieht von der chinesischen Regierung, um diesem Treiben Einhalt zu thun. Ma» will die Euroväer und Christen fangen. (Christen heißen jetzt Oel Jankuize, d. h. die zweiten europäischen Teufel.) In meinem Mijsionsbezirke sind fämmtliche Gemeinden zerstört, mit Ausnahme einer einzigen. Einen Christen hat man Nachts im Schlafe mit Steinen todtgrworfen, Frauen hat man gebunden und den Christen dann wieder verkauft. In dem Bezirke Djötschau sind bis jetzt achtzehn Gemeinden zerstört und dem Erd- bodeu gleich gemacht. Tas Land der Christen hat mau theilweise den Götzentempeln zugewiesen. Und bei allem diesen sieht die chinesische Regierung ruhig zu." In einem weiteren Briese des k. Stenz auS Tsintau vom 25. December 1898 beißt eS: „Gestern Abend kamen Flüchtlinge aus der letzten Station, di« noch übrig war. Mehr als 1000 Mann haben sie überfallen. Mehrere Christen haben einen schrecklichen Tod auSgestanden. Kirche und Häuser sind bis auf den Grund zerstört. Meine Hab seligkeiten sind geraubt. Christliche Frauen und Mädchen sind wahr- scheinlich in den Händen der Rotte. Und von der chinesischen Regierung geschieht nichts!" Wie ein Refrain kehrt in diesen Briefen die Klaae wieder, daß die chinesische Regierung dem Auflodern des Fremden- und ChristenbasseS ruhig zusieht, die Bewegung also begünstigt. Da die betroffenen, südwestlich an den deutschen Besitz von Kiautschau anschließenden Gebiete theilweise zur deutschen Einflußsphäre gehören, darf wohl erwartet werden, daß deutscherseits in Peking das Nöthige veranlaßt wird. Als Grund für die Erwerbung KiautschauS wurde ja s. Z. auch die feste Absicht angegeben, weiteren Christenverfolgungen vorzubeugen. In Washington wird eS als selbstverständlich angesehen, daß der Feldzug gegen die Filipino« mit Nachdruck durchgefübrt werden wird. DaS Cabinet berieth gestern eingehend über diese Frage und beschloß, daß, ehe ein dauernder Frieden, sowie Leben und Eigenthum sichergestellt werden könnten, erst die Aufständischen gezwungen werden müßten, die Waffen niederzulegen. Man erwartet, daß General Otis zusammen mit General Dewey unverzüglich vorstoßen wird, um den Insurgenten keine Gelegenheit zu geben, die Verluste vom vorigen Sonntag wieder einzubringen. Die Seestreit kräfte werten sofort Ilo-Ilo besetzen. Man erwartet von General Otis, daß er unverzüglich nach Malolo« marschiren wird und die Regierung der Filipinos gefangen nimmt oder auseinander treibt. Das Transportschiff „Polace" FerirHetoir» Gräfin Marie. 1j Roman von Woldem ar Urban. Nachdruck verboten. I. Docior Zander tam eben von einem Krankenbesuch nach Hause. Seine Frau erwartete ihn mit einer Taffe heißen Thee. „Wie lange Du bleibst, Siegmund. Es ist schon Mitternacht vorüber und draußen ein wahres Hundewetter." Der Arzt zuckte die Achseln, stellte den nassen Schirm in einen Ständer uns zog den Ueberrock aus. „War es ein ernster Fall?" fragte seine Frau nach einer Pause. „Bah, ernster Fall! Die 'Geheimräthin konnte nicht schlafen, weil sie zu viel gegessen und zu wenig Bewegung gehabt. Nun sollte das wieder durchaus «in Herzfehler sein. Na, die Weiber!" entrüstete sich der Arzt seufzend. „Ich finde es unverantwortlich, einen Arzt mitten in der Nacht bei solchem Wetter um ein Nichts zu incommodiren." Doctor Zander setzte sich nieder und streckte sich behaglich in einem Sessel aus. „Laß sie nur. Ich werde sie zu Neujahr auch einmal in commodiren, daß ihnen die Augen übergehen. Hast Du keinen Rum da?" Natürlich hatte Frau Doctor als fürsorgliche Hausfrau Rum da. Sie goß ihm selbst davon ein und eben wollte der Arzt sich darüber machen, das dampfende und fein duftende Getränk zu schlürfen, als die Klingel, heftig und hastig gezogen wurde. Er setzte vor Schreck die Taffe wieder hin. Frau Doctor Zander nahm die Lampe und ging damit fort. Draußen sprach sie einen Augenblick mit Jemand, aber nach kaum einer Minute kam sie zurück in Begleitung einer älteren Frau. „Ach Herr Doctor !" schluchzte die Letztere, brach aber ab, weil die Thränen ihre Stimme erstickten. „Sie, Brigitte? Was ist denn passirt?" fragte Doctor Zander. „Wer ist denn krank? Doch nicht etwa schon wieder die Justizräthin?" „Kommen Sie nur rasch, Herr Doctor. Um Gotteswillen, es ist nur gut, daß ich Sie anaetroffen habe." Doctor Zander hatte «s nicht so eilig. „Hat sie denn die Pulver nicht genommen, die ich ihr ver schrieben?" fragte er zunächst ärgerlich zurück. „Ach du lieber Himmel", sagte die Frau wieder schluchzend, „eS ist nicht die Justizräthin, Herr Doctor, es ist der Justiz rath selbst." Sofort stand Doctor Zander, ohne seinen Thee zu berühren, auf und griff nach seinem Ueberzieher. „Was ist mit ihm?" fragte er kurz. „Er kriegt keine Luft. Oh, bitte, beeilen Sie sich, sonst stirbt er, ehe Sie ihn sehen." ' Der Arzt schien schon zu wissen, um was es sich handelte. „Erwarte mich nicht, Sophie", sagte er kurz und ernst zu seiner Frau, „nöthigenfalls trinke ich eine Tasse Thee bei der Justiz räthin." „Haben Sie einen Wagen, Brigitte?" „Ja, Herr Doctor. Er wartet unten." „So kommen Sie." Unten vor der Wohnung des Doctor Zander hielt eine Droschke. „Charlottenstraße Nummer 11", rief der Arzt dem Kutscher eilig zu, „fahren Sie, so rasch Sie können, Kutscher." Dann stiegen die Beiden ein. Der Kutfcher murmelte hinter seinem hochgeschlagenen Rockkragen etwas hervor und fuhr dann im Trab durch das Schneegestöber davon nach der ihm auf gegebenen Adresse. Im Wagen richtete der Arzt einige kurze, bestimmte Fragen über den Zustand des Kranken an seine Begleiterin, Vie diese, so gut es ihr möglich war, beantwortete. Der Justizrath Was- muth litt schon seit zwei Tagen an Athemnoth, aber er hatte gehofft, daß es sich wieder bessern sollte und den Arzt deshalb nicht incommodiren wollen. Solche Anfälle waren schon häufiger ausgetreten, besonders bei dicker, nebelkalter Luft, aber sie waren auch immer wieder vergangen und in dieser Hoffnung batte er es auch jetzt unterlassen, seinen alten Hausarzt bei Zeilen zu rufen. „Das ist immer so", murmelte der Arzt ungeduldig „der Eine schickt um nichts und der Andere erst, wenn es zu spät ist." Dann starrte er eine Weile stumm zum Wagensenster hinaus in das wüste Wetter. Es war ihm unsäglich peinlich und furchtbar, an ein Krankenbett gerufen zu werden, wo er als Arzt nichts mehr auSrichten konnte. Dieses Bitten und Schreien der An gehörigen um Hilfe, wo doch nicht mehr zu helfen war, diese stummen Thränen und ängstlichen Blicke, dieses Jammern bei eingetretener Katastrophe, die doch nicht zu vermeiden war, war ihm das Gräßlichste, was ihm in seinem ärztlichen Berufe passiren konnte. Und bei alledem mußte er als gewissenhafter Mensch und Arzt bis zum letzten Augenblick am Bett des Sterbenden aus halten, auch wenn er absolut nicht mehr helfen konnte. Die An gehörigen sehen darin «inen Trost, den Arzt im letzten Moment am Bette des Kranken zu wissen und ahnen nicht, wie entsetzlich es für einen Menschen ist, auch wenn er Arzt ist, dem letzten Todeskampf eines Kranken, den er vielleicht stunden- oder tage lang voraussieht, rathlos ohnmächtig zusehen zu müssen. Die Natur geht ihren Gang, wie das Schicksal, unbekümmert um das leidenschaftliche Jammern, um die schmerzliche Verzweiflung der von ihren Schlägen Betroffenen. Als der Wagen hielt und der Arzt rasch ausstieg, fand er den alten Diener des Justizraths im Hausgang wartend stehen. Das ganze Haus schien in Aufregung zu sein. Die Treppe war hell erleuchtet. Als der Arzt in das Krankenzimmer trat, da saß der alte Justizrath, ein 62jahriger, schon seit längerer Zeit stark astbma- tischer Herr mit weißem kurzgeschorencn Haar, in einem Sessel und rang mit den fürchterlichen Angstblickcn, die diesen Kranken eigentümlich sind, um Athem. In den krampfhaft erregten Zügen lagen schon die Todesschatten, die Augen blickten wohl noch bewußt und klar umher, aber gerade das machte bei dem hilf- und hoffnungslosen Zustand des Kranken einen um jo furchtbareren Eindruck. Vor ibm lag auf den Knien seine Frau, ein junges Wjähriqes Gescköpfcken mit großen naiven Augen, frischem zarten Teint und rübrend kindlichen Zügen. Wer es nicht wußte, daß sie seine Frau war, hielt sie für seine Tochter, um so mehr, als die Justizräthin mehr wie ein Mädchen als wie eine Frau auSsab. Diese hübschen rundlichen Züge, diese großen ausdrucksvollen Augen, die, obwohl lebhaft und sprechend, doch einen durcdaus mädchenhaften, schüchternen Blick hatten, ihre ganze e:was üppige Gestalt bot in ihren frischen, kräftigen Linien dock? wenig Frauenhaftes. Obwohl seit drei Jahren mit dem Justizrath verheirathet, hatte ihre Ursprünglichkeit und Frische durchaus keine Einbuße erlitten. Das Haar, das ihr aufgegangen war, fiel in dicker Fülle und prächtiger, rothblonder Färbung über die Weißen runden Schultern, die von dem Neglige nur wenig verhüllt wurden. In ihren schönen Zügen lag Bestürzung, Angst, Schreck und ihre Augen ruhten furchtsam auf ihrem sterbenden Gemahl, der in dieser Welt ihr einziger — Freund war. Doctor Zander untersuchte den Kranken, was kaum nöthig war, da er auf den ersten Blick sah, wie es stand. Es handelte sich nur darum, die letzten Erleichterungen zu gewähren. Das that er denn auch gewissenhaft. Er brachte ihn in «ine bessere Lage, schrieb etwas auf und schickte damit die alte Brigitte nach dem Apotheker. Händeringend und leise schluchzend sah die junge Frau Justizräthin den Hantirungcn des ArzteS zu. „Marie!" rief der Justizrath wieder, „wo bist Du?" Es schien, als ob sich seine Blicke schon verschleierten. „Hier, Robert", antwortete sie hastig und trat zu ihm, „was willst Du?" „Gieb mir Deine Hand. Mir ist, als ob mir Wohler wäre, wenn ick Deine Hand in der meinen halte. Und dann" — fuhr er sckwer nack Athem ringend fort, „muß ich Dir noch sagen —" Er konnte nicht weiter und mußte wieder eine Pause machen. Gespannt blickten ihn die schönen tiefblauen Augen seiner jungen Gemahlin an. Was hatte er ihr noch zu sagen? Es gab doch, wenn ihr Mann sterben sollte, woran sie, wie eS schien, noch immer nicht glauben konnte, so Mancherlei zu ordnen und sie hatte sich während ihrer Ehe um nichts gekümmert. Ihr Mann war ihre Vorsehung gewesen, ihr Schicksal. Er hatte sie heraus gerissen aus dem wüsten, wilden Kampfe ums Dasein der Armutb und sie auf die sorglose Höhe behäbigen Reichthums gestellt. Wenn er sie nun plötzlich wieder allein ließ — was sollte dann werden? „Du bist meine einzige, letzte Sorge, Marie", fuhr der Justiz - rath fort. „Ich habe ja gethan, was ich konnte. Du List meine einzige Erbin. Das ist Alles in Ordnung. Das Testament liegt auf dem Amtsgericht. Wenn wenn ich nicht mehr bin, List Du unbeschränkte Erbin meines Nachlasses." Er schwieg erschöpft und die Justizräthin schluchzte wie in Verzweiflung auf und warf sich wieder vor ihm auf die Knie. „Du hast meinen Verwandten gegenüber keine Ver pflichtungen", begann der Kranke wieder, mit Aufbietung seiner letzten Kraft; „sie haben nie von Verpflichtungen mir gegenüber gewußt, also brauchst Du auch nichts davon zu wissen. Aber gleichwohl macht mir Dein Schicksal große Sorge, Marie. Du weißt, ich meine es gut. Höre also zu. Wenn Du Dich wieder verheirathest, Marie " „Ack, Robert, sprich doch nicht davon!" „Unsinn", unterbrach er sie ärgerlich, „man wird Dir schon beibringen, wie die Welt geht. Eine junge, hübsche reiche Wittwe, ohne Verpflichtungen " „Es ist ja keine Rede davon, Robert. Du wirst wieder gesund werden, und —" „Sei vorsichtig, sage ich Dir", fuhr der Justizrath noch mit den letzten Athemzügen hartnäckig wuchernd fort. „Die Welt ist voller Heuchelei, voller Betrug und Schwindel. Glaube es nicht, Marie, wenn Dir Jemand von Heiligthümern spricht. Es giebt
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite