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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990222027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899022202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899022202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-22
- Monat1899-02
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Größere Schriften laut uujerem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. kkxtra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ^lt 60—, mit Postbesörderung 70.—. ^nnahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 87. Mittwoch den 22. Februar 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 22. Februar. Man hätte wetten können, daß der Rückkehr des Kaisers von Hubertusstock Zeitungsnieldungen von einem beschlossenen Wechsel in der Regierung folgen würden. Es entspricht dies einer Uebung der freisinnigen und der schlechthin sensationellen Presse. Die Mittheilungen, „von glaubwürdiger Seite" natürlich, sind denn auch prompt eingetroffen. Nachdem es mit dem Sturz des Herrn von Hammerstein nichts gewesen, soll Herr von der Recke schleunigst daran glauben müssen. Unmöglich ist ja gar nichts, aber der Rücktritt des preußischen Ministers des Innern scheint beute nicht wahrscheinlicher als vor einem kalben Jahre. Ja unwahr scheinlicher, denn Herr von der Recke ist soeben gerecht fertigten Angriffen im Abgeordnetenhaus: ausgesetzt gewesen und das wirkt auf einen Minister im jetzigen Preußen gemeiniglich kräftigend. In der Angelegenheit des Schieß erlasses hat er allerdings etwas wie einen Erfolg davon getragen, dieser war aber nur dem Ungeschick seiner frei sinnigen Gegner zuzuschreiben. Man will daS Gerücht von dem Rücktritte des Ministers stützen durch den Hinweis auf die scharfe Bemerkung, die der feinwitternde Abgeordnete und Ministerialbeamte Freiherr v. Zedlitz-Neu kirch an das Aus bleiben einer Entschließung über die Besetzung des Berliner Oberbürgermeisterpostens geknüpft hat. Aber die Be stätigung des Herrn Kirschner ist von Herrn v.d. Necke seit Langem beantragt und was der Minister wegen seiner Aussprüche überdie Berantwortlichkeit, richtiger Nichtverantwortlichkeit, der Regie rung von den Herren v. Zedlitz, Kardorff, nationalliberalen und anderen Abgeordneten zu hören bekam, ist nicht dazu angethan, seine Stellung zu erschüttern. Eine andere für die Glaub würdigkeit der Entlassungsmeldung herangezogene Thatsache ist eine Kritik, welche die Regierungsmännern nicht ferne stehende „Köln. Ztg." soeben an dem vorgestern mitgetheilteu Erlasse wegen des Friedhofes der Berliner Märzgefallenen übt. Aber das Blatt richtet seine Beweise nicht gegen den Inhalt der Verfügung, Verbot der Anbringung eines Portals, den eö vielmehr — und unseres Erachtens mit Recht — billigt, sondern gegen die Verzögerung der Entscheidung. Zu dieser dürfte aber Herr von der Recke genau so gestanden haben, wie er zu dem Nichterscheinen eines Bescheides in der Oberbürgermeistersache steht. ES ist nicht anzunekmcn, daß die Krone „ministerieller" — daS Wort im Sinne BiSmarck's gebraucht — als der Minister sei, und daß dieser gehen müsse, weil er seine Person nicht für seine bei der Krone gestellten Anträge eingesetzt hat. Indessen, es giebt kaum etwas Glcichgiltigeres, als das Verbleiben oder Ausscheiden des Herrn v. d. Recke. Die einzige von jenem Ressort auSgegangene Action, die die Gemülher heftiger erregt hat, die VercinSgesetznovellc, ist nicht sein Werk, wenigstens nicht sein Gedanke gewesen, lind wenn diese oder ähnliche Vorschläge unter einem Nachfolger wieder kehren sollten, so würden sie Wohl auch nicht dessen Gedanken sein. Weniger gleichgiltiz, aber ebenfalls nicht beiorgniß- erregend ist die vor Allen den Kriegsminister v. Gossler berührende Ablehnung der Neuforderungen für die Eavallerie durch die Budgetcommission des Reichs tags. Tie Vermehrung der Reiterregimenter war von An beginn der bestrittenste Punct der Militärvorlagc, und zwar sind cS die conservativen Organe gewesen, die hier mit scharfer Kritik cinsetzten. Die von dieser Seite aus gehende Bemängelung betraf allerdings nicht die Mehr belastung, sondern die Bildung von Regimentern mit nur vier statt mit fünf Schwadronen. Dieses Bedenken haben die Conservativen allerdings gestern, nachdem sie mit einem Antrag, über die Negierungsforderung hinauSzugehen, gegen die Stimmen aller anderen CommissionSmitglieder unterlegen waren, fallen lassen. Sie stimmten mit den Nationalliberalen und der freis. Vereinigung für die Re gierungsvorlage und brachten, nachdem diese abgelehnt war, einen unter dieselbe herabgebenden Antrag ein, jedoch mit dem früheren negativen Erfolge. Das Centrum gab natür lich den Ausschlag, aber für daS Centrum sprach nur Herr Gröber und dieser, wie er hervorhob, nur für seine Person und mit der ausdrücklichen Erklärung, daß er seiner Fraction freie Hand lassen wolle. Eine Erhöhung des Bestandes der Eavallerie ist also wohl nicht ausgeschlossen und man würde es kaum verstehen, wie eine auf dem Boden der Vorlage stehende Partei sich dieser Forderung widersetzen könnte. Die Verstärkung der Reiterei ist eine einleuchtende Conscguenz der Vermehrung der Infan terie und eine um so dringlichere, als ein arges Mißverbältniß zwischen der Stärke der Eavallerie und der der übrigen Waffen gattungen schon jetzt besteht. Herr Gröber glaubte die außerordentlich große Ansammlung russischer Reiterei an der Grenze als unbedenklich hinstellen zu dürfen, aber selbst ein Mitglied der freisinnigen Vereinigung erklärte, gerade im Hinblick auf den ungeschützten Osten für die Forderung stimmen zu wollen. Wie immer aber die cndgiltigen Ent schließungen fallen werden, den Keim zu einem ernsteren Eonflicte dürfte diese Differenz zwischen Negierung und Reichstagsmehrheit nicht enthalten. ttr. Karl PetcrS, der für ein englisches Colonialunternehmen gewonnen ist, scheidet mit Groll gegen Deutschland von Europa. Selbst wer sich der beklagenswerthen Nothwendigkeit, aus die Dienste dieser Kraft zu verzichten, nicht verschließen tonnte, wird diese Empfindung verstehen. Herr Peters giebt ihr in einer Broschüre Ausdruck, in der er, weil er Deutschland vielleicht nicht wieder sehen wird, sich über seine Dienstentlassung durch Lisciplinargerichtlichen Beschluß und insbesondere auch über seinen Conflict mit dem inzwischen als Mitglied des Reichs gerichts verstorbenen Colonialdirector 0r. Kayser ausspricht. Zu der Bcurtheikrng der Thalsachen, die jener Entlassung zu Grunde lagen, bietet die Schrift neue AuhaltSpuncte nicht. Aber schon ihr Titel verräth, daß sich Peterö weniger über den ihm ungünstigen Gerichtssprnch an sich, als über Gesetzes verletzungen beklagen will. Er lautet: „Mißbrauch der Amtsgewalt" und wäre vollauf gerechtfertigt, wenn die folgende Erzählung auf Thatsachen beruhte: „Theilwcise, nm dieser widerlichen Spionage zu entgehen, siedelte ich 1896 nach England über. Nun begann eine ebenso unheimliche Uebcrwachuug meiner Eorrejpondenz. Biele meiner Briefe verschwanden überhaupt, eine Reihe anderer trug unverkennbar Spuren des ErvsfnetseinS. Dies war besonders schlimm im Winter 1896/97. Ich war schließlich genöthigt, mich für wichtigere Correspondenzen einer Deckadresse zu bedienen. Ein besonders eclatanter Fall war der Diebstahl meiner Actcnkiste. Im December 1896 schickte die Firma v. d. Heydt L Co. in Berlin eine Kiste mit Acte» für mich ab, welche ich theilweise für meine Bertheidigung in dem Proceß, mit welchem die Herren Hellwig und Genossen mich be drohten, nüthig hatte. Die Kiste war eingeschrieben und versichert, wie ich es angegeben hatte, lag also im Verwahrsam der deutschen Post. Schon »ach zwei Tage» erhielt ich die Mittheilung von v. d. Hcydt's, daß »reine Actenkiste von, Hamburger Bahn hof in Berlin auf räthselhafte Weise verschwunden sei. Nach einigen weiteren Tagen erfuhr ich von derselben Firma, die Kiste sei erbrochen in einem Hof der Wilhelmstraße aufge funden und ihnen durch einen Polizisten wieder zugestellt worden. Gott sei Tank hatte ich meine wichtigen Acten dieser Kiste nicht anvertraut, aber ich vermißte hernach aus meinen Documenten unter anderen mehrere Privatbriefe des Herrn Kayser, ein sehr wichtiges Schreiben des Herrn von Bülow voni Kilimandscharo an mich u. a. Alle diese Documente waren sehr werthvoll gegenüber der Anklage. Ich bin nicht in der Lage, irgend Jemanden des Diebstahls und der Eröffnung meiner Actenkiste zu zeihen. Aber daß eine Hand dabei im Spiele gewesen ist, welche ein Interesse an meinem Proceß hatte, und zwar ein mir feindseliges, daS unter liegt wohl keinem Zweifel." Wäre das Wahrheit, so würde es eine begreifliche Ueber- treibung sein, wenn Peters sagt: „In Deutschland mokirt man sich über die scandalösen Enthüllungen im Zusammenhänge mit dem Falle Dreyfus. Nun meint man, daß es erheblich anständiger sei, Jemandem, der angeklagt ist, Documente, welche er zu seiner Bertheidigung braucht, zu stehlen, als Documente zu fabriciren, um ihn mit denselben anzuklagen." Die Ungerechtigkeit dieses bitteren Unheils liegt auf der Hand. Man hat bisher in Deutschland gar nichts gemeint, einfach weil man von einer Entwendung der Peters zugehörigen Aktenstücke, von Eröffnung seiner Briefe nnd dergleichen nicht das Mindeste wußte. Nun die furchtbare Anklage erhoben ist, würde der Vergleich mit gewissen französischen Vorgängen allerdings zu treffend sein, wenn nicht Alles geschähe, um die Wahrheit zu ermitteln und etwaige Schuldige zu bestrafen. Der Umstand, daß Peterö nicht in der Lage ist, Spuren des subjectiven Thatbestandes zu bezeichnen, ent hebt die Justiz selbstverständlich nicht der Pflicht, ihre Nachforschungen nach Lieser Richtung ohne Schonung Lebender oder Todter anzustellen. Daß gegenüber solchen Bemühungen, wie das „Berliner Tageblatt" bereits verräth, ein gewisser Theil der freisinnigen Zeitungen die Rolle der französischen Generalstabspresse zu spielen gedenkt, wird preußische Staats anwälte nnd Untersuchungsrichter hoffentlich nicht geniren. Der bekannte Marineschriftsteller Marc Landry widmrt der besonders durch seine Bestrebungen gegründeten Ltgue Maritime Fran^aise eine Abhandlung im „Llonitour clo la b'Iottb". Zunächst meint er, daß in einem Lande, das seit 1870 bis heute 35 Marineminister gehabt habe, eine Liga ras beste Mittel sei, die so nothwendige Stetigkeit im Ausbau der Flotte zu unterhalten. Es handle sich bei der Stärkung der Marine um die Zukunft des Landes; nur der Staat, der eine starke Flotte habe, könne eine hervorragende Nolle in der Welt spielen. Die Geschichte Frankreichs habe dafür Beispiele genug. Dann geht der Verfasser auf die Stellung Deutschlands zu seiner Seemacht über nnd stellt, den Auf schwung Deutschlands als SeehandelSmacht und seine Willensäußerung, auch eine stärkere Seemacht zu werden, seinen Landsleuten als nachahmenSwerthes Beispiel dar. Er schreibt: „Betrachten wir Deutschland! Es besitzt nicht wie England eine bevorzugte Lage, es hat viel kürzere Küsten als Frankreich und kann sich deshalb weniger als wir mit Seeleuten versorgen oder seine seemännische Industrie entwickeln. Deutschland hat vor 1848 nicht einmal eine Kriegsflotte besessen, und sein Seehandel war nur zweiten Ranges. Seine Organisation der Armee schien die ganze Thatkraft des Landes ans- zusaugen, eS schien sich durchaus auf eine Stellung als Landmacht beschränken zu wollen. Aber eines Tages strebte der deutsche Ehr geiz über die Grenzen des Landes hinaus, und zugleich sprach sein junger Herrscher in voller Erkenntniß der geschicht- licheu, unbestreitbaren Wahrheiten, zu seinem Volke: „Deine Zukunft liegt auf dem Meere." Empfänglich sürdie Stimme seines Kaisers, nahm daS Land mit Eifer überseeische Unter nehmungen auf, vermehrte feine Kriegsflotte und begründete auf fester Unterlage Len Vertheidigungsplan seiner Küsten. Heute ist der Fort schritt des Landes ein wunderbarer; seine Seestadt Hamburg ist Liverpool vorangeeilt: die Erzeugnisse seiner Gewerbe werden nach allen Weltgegenden zum Wettbewerb mit denen Les Auslandes ausgeführt. Deutschland ist für England auf dem Gebiet des Ceehandels ein beunruhigender Concnrrent geworden. Dieser wunderbare Aufschwung ist ganz offenbar das fühlbare Er- gebniß des Strebens und dec Weitsichtigkeit des deutschen Volkes, das dabei von einer Regierung geleitet wnrde, die zur Erreichung ihres Zieles keine Mühe gescheut hat. Und so festgewurzelt ist jepi im Kopfe dec Deutschen Las Berständniß von der Wichtigkeit der Seemacht, Laß ihr Flottenverein, der unserer Liga entspricht, im ersten Jahre feines Bestehens schon 14 250 Mitglieder aufweisen konnte. Was die Deutschen gekonnt haben, das müssen wir auch vermögen. Dieses Streben, das ihren See- handel verzehnfacht hat, müssen wir auch unseren Landsleuten bei bringen können. Die tüchtige Organisation, die sie ihrer Kriegs flotte gegeben haben, müssen wir ausgleichen können, indem die I-iAuo Karitiine I-'rauyaise, begünstigt durch die große Zahl ihrer Mitglieder, in wirksamster Weife die secmännifche Erziehung des Bolkes nnteruimmt. Alan komme also zu nus, wir arbeiten sürdie Macht, sür das Gedeihen Les Vaterlandes!" Wir bemerken zunächst, daß die Angabe Marc Landry's, der deutsche Flotteuvereiu zähle im ersten Jahre feines Be stehens 14 250 Mitglieder, nicht ganz zntrisft: der deutsche Flottenvcrein besteht seil 30. April 1898, also uock nicht ein Jahr und zählt heute fast 20000 Mitglieder. Im klebrigen guiltiren wir mit Genugthuung über das Lob dieser competenten Stimme. Möchte daS deutsche Volk aus dem Bestreben unserer Nachbarn, cS nus gleich zn thnn, einen neuen Ansporn empfangen. Alles zu thun, um sich nicht über flügeln zu lassen. Wir theilten vor einigen Tagen einen Auszug aus dem Brief des amerikanische» Oberrichters ans Lomaa, Cham- ber's, mit, der an schiefer Darstellung der letzten Vorgänge und der jetzigen Lage, sowie an Unverschämtheiten Deutsch land gegenüber das denkbar Mögliche leistet. In einem er kennbar officiöseu Artikel giebt die „Köln. Ztg." über diese neueste Leistung amerikanischer Anmaßung ihr Urthcil wie folgt ab: Wir begnügen uns mit folgender Erwiderung. Daß vr. Raffel den Rückzug des Herrn Chambers als endgiltige Erledigung des Richterftnhls anffaßte und seine sür solche Fälle vorgesehene Function als stellvertretender Oberlichter antrat, ist von der deutsche» Regierung als unrichtig bezeichnet worden. Im Nebligen hat selbst diese Auffassung sogar in Amerika Ver- thcidiger gesunden, nnd zwar, wie wir den englischen Zeitungen, mit der Bitte um Verbreitung, verrathen wollen, keinen geringeren als den amerikanischen Vorgänger des Herrn Chambers, der sich öffentlich zu der Ansicht bekannte, die Flucht des Richters auf den neutralen Boden de; englischen Kriegsschiffes habe eine wenigstens Ferrllletsn» Gräfin Marie. 13j Roman von Woldemar Urban. Nachdruck vcrbotm. Sie hätte Cesina über ihren Verkehr mit de Mattia direct be fragen und ausforschen können und hatte auch diese Absicht, als sie nach ihrer Unterredung mit Don Antonio wieder nach Hause kam. Sie wollte ihr frank und frei mit dürren, unzweifelhaften Worten vorwerfen, wessen sie Antonio beschuldigt. Aber als sie an jenem Tage ziemlich spät Nachmittags zurückgekehrt war, lag Cesina sehr matt und müde in einem Sessel und stöhnte vor Schmerzen. Sie war krank. Anunziata wußte nicht, was ihr fehlte, aber sie verschob ihre Frage. Erst zwei Tage später schien sich Cesina ziemlich plötzlich wieder vollständigen Wohlseins zu erfreuen. Als Anunziata sie am Morgen beim Frühstück sah, lachte sie ziemlich fröhlich und las mit dem Commendatore die Zeitung. Anunziata sah sie aufmerksam an. Die Züge ihrer Schwester waren reiner, klarer und schöner wie je, ihre süßen, engelhaften Augen frommer und unschuldiger denn je. Jedermann hätte auf die „Santa" ge schworen in Bezug auf ihre Reinheit, und doch hatte Anunziata in demselben Augenblick den Gedanken, daß eine directe Aus einandersetzung mit Cesina zu nichts führen würde, weil ihre Schwester Alles rundweg mit eiserner Stirn ableugnen würde. In den Augen Cesina's, so rein und fromm sie sonst erschienen, glitzerte doch auch manchmal eine sorglose Schrankenlosigkeit, ein glückliches Sichgehenlassen, eine kindisch-fröhliche Naivetät, die sich über Alles und Jedes hinwegsetzt. Diese allzu große Na türlichkeit ist den jungen Neapolitanerinnen nicht fremd, und Anunziata kannte ihre Schwester genauer als überhaupt irgend Jemand. Deshalb wußte sie, wie leicht sich ihre Schwester bei einem direkten Vorgehen in der ungezwungensten und un befangensten Weise herauslügen würde. Damit wäre aber Alles verdorben gewesen. Cesina hätte sich vor Anunziata gehütet — wenn sie schuldig war oder schuldig wurde, und Anunziata hätte nie im Leben erfahren, was an der Sache war. „Was ist denn, Anunziata?" fragte der Vater plötzlich. Die aufmerksame Gespanntheit, mit der sie Cesina beobachtet, mußte ihm ausgefallen sein. „Nichts!" antwortete sie leichthin und ließ ihre Absicht fallen. Sie wollte nicht ein zweites Mal sich breit schlagen lassen, wie damals, als sie mit ihrem Vater die Portinaia interpellirt hatte über die nächtliche Spazicrfahrerin, die Don Antonio ge sehen haben wollte. Dieser kleine Vorgang hatte aber die Wir kung, daß sie sich vornahm, in Zukunft noch mehr als bisher auf ihrer Hut zu sein, um sich durch keinen Blick zu verrathen, eine Situation, die ihr von Stunde zu Stunde unerträglicher werden mußte. Nur der feste Wille, die Wahrheit zu erforschen, hielt sie aufrecht. Was dann freilich, wenn dies geschehen sein würde, kommen sollte, darüber gab sie sich jetzt noch keine Rechen schaft. Das überließ sie zunächst noch der zufälligen Situation, die sich ergeben würde, und ihrem Jnstinct. Am nächsten Tag war ein kleines Heiligenfest in einem der engen winkeligen Vicoli an der Santa Lucia, und der Commen datore ging mit seinen beiden Töchtern zu Fuß dahin, um sich das Schauspiel anzusehen. Es ging dabei immer sehr laut und lustig zu. Feuerwerkskörper prasselten mit ohrbctäubendem Geknalle in den schmierigen Gäßchen auf, Processionen mit Lichtern, Fahnen und wackelnden Heiligenbildern zogen Straße auf, Straße ab, die Mönche und Priester sangen ihre frommen Litaneien, und das Volk machte einen Heidenlärm, trank sich in den benachbarten Tabernen voll und stach sich schließlich mit Messern, wenn es an das „Conto-Machen", ans Bezahlen, ging — zum größeren Ruhm seiner Special-Heiligen. Auf dem Wege dahin traf man in der Nähe des Palazzo Aquaviva, an dem man vorüber mußte, um von der Riviera di Chiaia nach Santa Lucia zu gelangen, unvermuthet auf den Director de Mattia, der soeben aus seiner Wohnung kam. Trotz aller Rücksicht, die ihr diese neue Situation auferlegte, konnte es Anunziata nicht vermeiden, daß eine leichte Blässe ihr Gesicht überzog. Sie beherrschte sich, so gut es ging, konnte es aber doch nicht verhindern, daß die innere Aufregung, dieses stumme, gespannte Lauschen und Horchen äußere Spuren hinterließ. De Mattia zog seinen Cylinder, sehr vornehm, sehr höflich. Man blieb auf dem Trottoir stehen und begrüßte sich. „Wohin?" fragte der Director. „Zum heiligen Damiano", antwortete der alte Cesarini, „wollen Sie mit?" „Hm, wissen Sie, Commendatore, Heiligenfeste sind nicht ge rade meine Specialität, indessen begreife ich wohl, daß sich die jungen Damen, besonders die „Santa" von solchen Feierlichkeiten angezogen fühlen. Ich stehe aber zur Verfügung", antwortete de Mattia galant. Anunziata beobachtete ihn, als ob sie ihn morden wolle. Der leicht spöttische Tonfall in seiner Stimme, der formgewandte, glatte Schliff in seinen Manieren und Bewegungen, die äußere tadellose Eleganz, nichts entging ihr. De Mattia war der voll endete Weltmann — und doch halte Anunziata Noth und Mühe, um ihre Abneigung vor diesem Manne zu verbergen. Sie begriff auf der Stelle, daß dieser Mann sich nie oerheirathet hatte, wenn sie auch nicht wußte, weshalb. Eine Kälte, eine abgebrühte Blasirtheit und übermüthige Rouvhaftigkeit ging von seinem Wesen aus. Seine Maske weissagte verborgenen Sinn, hätte man von ihm sagen können. „Und wie geht es Ihnen, Anunziata?" fragte er sie plötzlich, sie mitten aus ihren Beobachtungen und Reflexionen heraus reißend. „Gut", antwortete sie kurz. „Sie sehen etwas angegriffen aus, wenn ich mich nicht täusche", fuhr er launig und gesprächig fort, indem er ihr auf merksamer ins Gesicht sah, „ein — ich möchie sagen — inter essanter Zug liegt in Ihrem Gesicht, den ich früher nicht bemerkt zu haben glaube." „Sehr schmeichelhaft." „Ich bitte um Verzeihung, Anunziata; aber ich wollte Ihnen gewiß nur etwas Angenehmes sagen." Es mißfiel ihr auch, daß er sie so ungenirt Anunziata nannte. Für ihn war sie doch Signorina Anunziata. Auch kam ihr plötzlich die Idee, was wohl Don Antonio denken würde, wenn er ihr zufällig auf der Straße begegnete. Sie blieb unvermuthet stehen und wandte sich nach ihrer Schwester um, die mit ihrem Vater hinter ihr herkam. Dabei schien es ihr, als wenn ein scharf beobachtender, stechender Blick Cetsina's auf sie gerichtet gewesen wäre. Als sie aber genauer Hinsehen wollte, fenkte Cesina die Augen und sah wieder so fromm aus wie ein Heiligenbild. „Da wir übrigens gerade an meiner Wohnung vorüber gehen", sagte Director de Mattia verbindlich, „so möchte ich die Herrschaften höflichst ersuchen, einen Augenblick bei mir ein zutreten. Es wäre mir eine sehr große Ehre, Ihnen eine kleine Erfrischung offeriren zu dürfen. Zum heiligen Damiano kommen wir noch immer zeitig genug." „Sie sind außerordentlich liebenswürdig, Herr Director", sagte der Commendatore nach einem sonderbaren dummen Zögern, als ob er über die Einladung etwas verblüfft gewesen wäre, „aber ich weiß doch nicht, ob das so ohne Weiteres geht." „Und warum soll es nicht gehen?" „Hm, was meinst Du, Cesina?" fragte der Commendatore diese. Cesina hielt den Blick verschämt gesenkt und sah auch nicht auf, als sic leise, wie etwas verlegen, züchtig antwortete: „Ich denke, wir gehen weiter, Papa." „Und Du, Anunziata?" fragte dec Commendatore wieder. Es folgte eine kurze, kaum merkliche Pause. „Wenn Herr Director de Mattia die Freundlichkeit hat", sagte Anunziata dann fest und sicher, „uns einzuladen, so sehe ich durchaus keinen Grund, diese Freundlichkeit durch eine Zurückweisung zu belohnen. Mir wird es recht interessant sein, die Wohnung eines Junggesellen bei dieser Gelegenheit einmal ansehen zu können." In ffoulreui!" rief Herr de Mattia, „das lasse ich mir gefallen, Anunziata, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen für diese Unbefangenheit meine vollste Hochachtung ausspreche. Und nun machen Sie keine Umstände, Commendatore, kommen Sie. Um was oder wen hätten wir uns denn, beim Teufel, zu kümmern?" „Gehen wir weiter", rief Cesina, hastig weitcrgehend und mit plötzlich ausbrechender Ungeduld. Sofort folgte ihr der Vater. „Also ein anderes Mal, Herr Director. Sie sehen, wir stoßen hier auf entschiedenen Widerspruch", rief ihm der Com mendatore noch zu. De Mattia folgte langsam mit Anunziata. „Es thut mir leid, daß ich Ihr Interesse nicht befriedigen konnte, jetzt nicht befriedigen konnte, Anunziata", sagte de Mattia, sie in einer Weise ansehend, daß cs ihr heiß und kalt überlief, „aber ich hoffe doch, daß sich diese Gelegenheit noch einmal bieten wird." Sie ging stumm neben ihm her. Er sah sie immer fort an. „Sie sagen nichts, Anunziata?" fuhr er fort. „Was soll ich denn sagen?" flüsterte sie, ohne ihn anzusehen. Sie hätte es in dem Augenblick nicht vermocht und wenn man ihr Reichthümer geboten hätte. Die Aufregung schnürte ihr fast die Kehle zu. Er bemerkte das wohl, deutete es aber offenbar falsch, denn er redete ihr, heimlich lachend, weiter zu: „Ich finde Ihr Interesse begreiflich. Die Welt ist dazu da, daß man sie sich ansieht, und wenn Sie Interesse für eine Jung gesellenwohnung haben, so . . ." „Anunziata!" unterbrach ihn Cesina laut rufend, indem sie mit ihrem Vater stehen blieb und sich von seinem Arm losmachte, um den ihrer Schwester zu nehmen. „Was ist?" fragte Anunziata, indem sie mit der Santa weiterging. Die beiden Herren folgten ihnen jetzt.
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