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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.02.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990225022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899022502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899022502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-02
- Tag1899-02-25
- Monat1899-02
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichuiß. Tabellarischer und Zifferniap nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit dec Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderung .6 M—, mit Postbefördrrnug 70.—. Ännahmeschlnß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Alljei-e« sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. m. Sonnabend den 25. Februar 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. Februar. Im Reichstage hat sich gestern der zweite Vicepräsident Schmidt, bevor da» HauS feine Berathungen fortsetzte, an den Socialdemokraten, die ihn vorgestern durch die Zurufe „Unverschämtheit" und „Frechheit" gröblich beleidigt hatten, edel dadurch gerächt, daß er nachträglich die vor gestrige Arußernng de» sächsischen GeneralstaatSanwalteS Rüger, der Abgeordnete Heine babe eine Lüge de» „Vor wärts" aufflattern lassen, rügte. Diese Aeußerung, daS muß zugegeben werden und vr. Rüger selbst wird da» am wenigsten bestreiten, war nicht parlamentarisch. Aber wenn man bedenkt, daß die Herabsetzung der säch sischen Beborden und Richter bei der socialdemokratischen ReichStatzSfraction längst zu einer stehenden Gewohnheit ge worden »st und daß bei der Besprechung de- sog. Löbtauer Falle- die Redner dieser Fraction einander in der Ver dächtigung und Beschimpfung dieser Behörden Überboten, so muß man die Erregung begreifen, die auf die Lippen des berufenen Vertreter- der in so schnöder Weise Angegriffenen ein verpönte- Wort rief. Es würde zu einem solchen wohl auch nicht gekommen sein, wenn die gleiche Strenge, die diese- Wort rügte, im Verlauf der ganzen Debatte gegen Alle in Anwendung gebracht worden wäre, die ehrenrübrige Vorwürfe gegen Einzelne und gegen einen ganzen Stand richteten. Freilich ist eS schwer, bei dem Toben einer leider allzustarken Fraction jede Ausschreitung sofort al- solche zu erkennen, und nicht leicht, da» terroristische Gebabren einer Menge, die sich als „Macher" de- Präsidiums fühlt, mit den gegebenen Disciplinar- mitteln zu zügeln. Es wird daber von mehreren Seiten eine Erweiterung der DiSciplinarbefugniß des Präsidiums befürwortet. UnS wird darüber geschrieben: „Man mag vielleicht verschiedener Ansicht darüber fein, ob eine Verstärkung der Disciplinargewalt des Reichstagspräsidinms unter allen Umständen und für alle Fälle ungebührlichen Benehmens er forderlich ist; man wird aber darüber einer Ansicht sein muffen, daß brutale Angriffe gegen das Präsidium selbst durch scharfe Maßregeln unmöglich gemacht, oder, wenn sie sich trotzdem ereignen, gebührend gesühnt werden sollten. Jeder Reichstags- abgeordnete muß daran denken, daß ebenso wie der Reichstag die Verkörperung des ganzen Volke-, das Präsidium wiederum die Verkörperung des Reichstags ist. Tas Präsidium ist also gewissermaßen die potenzirte Verkörperung des deutschen Volke». Wer also das Präsidium oder rin einzelnes Mitglied des selben beleidigt, beleidigt zugleich das deutsche Volk und setzt die Würde und daS Ansehen der Volksvertretung herab. Dieses Ver gehen» an der Majestät des deutschen Volkes haben sich am letzten Donnerstag gerade Diejenigen schuldig gemacht, die die VolksmajestSt immer im Munde führen. Socialdemokratische Ab- geordnete haben sich erdreistet, dem Vicepräsidentcu Schmidt, der die Socialdemokraten aussorderte, ihre Plätze wieder einzunehmrn, „Frechheit" und „Unverschämtheit" zuzurufen. Beiläufig sei bemerkt, daß Herr v. Levetzo w die Socialdemokraten, die die Neigung haben, ihre Plätze zu vrrlaffrn und die Rednertribüne störend zu umdrängen, zur Zeit seine» Präsidium» oft genug sehr energisch ausgefordert hat, zurückzutrrten, und daß dieser Aufforderung auch stattgegeben wurde. Vicepräsident Schmidt hat also weder eine neue, noch eine un berechtigte Forderung erhoben, und er ist trotzdem nach Gaffen- bubenart beschimpft worden. Er hat freilich, als der freche Ruf gar noch wiederholt wurde, mit weiteren Maßregeln gedroht, aber er hätte nach den dem Präsidium jetzt zustehenden Befugnissen nicht viel thun können. Wir meinen, daß die Möglichkeit gegeben sein müßte, Abgeordnete, die sich so weit ver- gessen, Anordnungen des Präsidiums mit groben Beschimpfungen zu erwidern, auf längere Zeit von den Sitzungen auszuschließen. Dies ist die einzige empfindliche Strafe, weil sie den Abgeordneten für einige Zeit seiner parlamentarischen Rechte beraubt. Es ist gegen die Ausschließung angeführt worden, daß die Wählerschaften das Recht hätten, bei Abstimmungen durch den von ihnen gewählten Abgeordneten vertreten zu sein. Einmal aber ist e» fraglich, ob es sich nicht gerade empfiehlt, einer Wähler schaft gründlich klar zu machen, daß sie einen Mann in den Reichstag entsandt hat, der der hohen Ehrenstellung nicht würdig ist, zweitens aber würden sich schließlich Mittel finden lassen, eS auch einem ausgeschlossenen Abgeordneten zu ermöglichen, an Ab stimmungen theilzunehmen. Man möge doch bedenken, daß gröb- liche Beleidigungen des Präsidiums im Auslande keinen besseren Ein druck machen, als die Prügelscenen im österreichischen und im französischen Abgeordnetenhaus« auf uns machen. Für die radikalen Parteien ist Engla n.d immer das Vorbild des wahren Parlamentarismus. Wir können aber ohne Uebertrcibung sagen, daß ein Benehmen gegen den Präsidenten, wie es die Socialisten am letzten Donnerstag beliebten, in England vollständig undenkbar ist. Ein Abgeordneter, der sich unterstände, den „Mr. Speaker" in ähnlicher Weise anzu greifen, würde, welcher Partei er auch immer angehörte, von seinen Parteigenossen mit Schimpf und Schande aus der Partei hinaus gejagt werden, und auch vom Volke würde er nicht mehr für würdig erachtet werden, rin Vertreter des Volkes zu sein. Da unsere Socialdemokraten die natürlichen guten Manieren der Eng länder nicht haben, so müßte eben durch eine gesteigerte Disciplinar gewalt ein Zwang auf sie ausgeübt werden." Das ist richtig; aber wie, wenn von der größeren Macht- befngniß in dem einen oder dem anderen Falle nicht Gebrauch gemacht wird? Herr Schmidt ist eine Zierde der freisiunigen Volkspartei und schon lange vor der Eröffnung der Reichstagssession bat die „Freisinnige Zeitung" mit rübrcndem Eifer die Wiederwahl Schmidt'» zum Vicepräsidenten zu betreiben gesucht, was ihr denn auch Dank der Unterstützung des CentrumS gelang. In dem Stimmnngsbilve aus dem Reichstage erwäbnt aber die „Freis. Zt g." nichts von der Kränkung, die ihrem Partei genossen durch die Socialdemokraten wiederfahren ist. Sic sagt nur, die Stimmung der Socialdemokraten sei eine so erregte gewesen, daß es mitunter zu stürmischen Scenen gekommen sei. Es scheint dem Organe des Herrn Richter sehr peinlich zu sein, einen Conflict zwischen einem Partei genossen und den Socialdemokraten constatiren zu sollen, und e-vscheint ihm noch peinlicher zu sein, den Social demokraten ein kräftiges Wort wegen der von ihnen be gangenen Flegelei zu sagen. Man mag daraus ersehen, wie stark da» Abhängigkeitsgefühl gegenüber der Socialdemokratie entwickelt ist. Man wird sich angesichts dieser Demnth nicht darüber Wundern können, wenn wir von einer Er weiterung der DiSciplinarbefuznifse deS Reichstagspräsidiums allein noch keine Garantie für die Verhütung groben Unfug- und seiner Folgen erblicken. Die WahlprüfungS-Couemisfiou deS Reichstage- hat den Bericht über Vie von ihr für giltig erklärte Wahl des Abg. Rickert (3. Danzig, Freisinnige Vereinigung) erscheinen lassen. DaS socialdemokratische Wablcomit« in Danzig hat einen Wahlprotest eingereicht, der sich auf den vom Ober werftdirector von Wieter-Heim gegen den Candidaten der Socialdemokratie gerichteten Tagesbefehl stützte. Dieser Tagesbefehl ist in der NeichStagSsitzung vom 30. Januar d. I. mehrfach erwäbnt worden; Staatssekretär Tirpitz theilte mit, er babe dem Oberwerftdirector die Ansicht zum AuSdrucke gebracht, daß die Werft bei den Wahlen nicht in der Weise hätte hervortreten dürfen, während die Abgg. Frbr. von Stumm und Graf Klinckowström den Oberwerstdirector in Schutz nahmen. Der Erlaß, der durch diese parlamen tarische Erörterung ein größeres Interesse gewonnen bat, lautet nach dem Bericht der Wahlprüfungscommission wie folgt: Danzig, den LI. Juni 1898. Tagesbefehl. Nochmal» wird von Euch Arbeitern verlangt, zu einer Stichwahl an die Wahlurne zu treten. Wem von beiden Candidaten Ihr Eure Stimme geben sollt, kann Euch nach dem, was ich Euch im Tagesbefehl vom 10. Juni d. I. gesagt habe, nicht zweifelhaft sein. Ich möchte aber vor dieser Stichwahl nochmals die wahren Ziele der Socialdemokratie etwas niedriger hängen, da Ihr durch die letzthin vertheilten, harmlos erscheinenden Flugblätter verleitet werden könntet, den Verlockungen und Versprechungen dieser Partei zu folgen. Die Socialdemokratie strebt den Umsturz der von Gott ein gesetzten Weltordnung, der Vernichtung der christlichen Familie, Les Staate» und des Vaterlandes an; sie leugnet Glauben und Religion und will die Monarchie stürzen. Und nur durch eine kräftige Monarchie ist das deutsche Reich in seiner Vereinigung stark und mächtig zu erhalten und dauernd gegen Angriffe von außen zu bewahren. So lange daS deutsche Reich noch nicht bestand, sehnte sich Alle» danach; alS es im glorreichen Kriege in Herrlichkeit errichtet wurde, jubelte man ihm zu, und jetzt, wo eS besteht und seinen Segen in allen Berufszweigen mehr oder weniger auSbreitrt, arbeitet die Socialdemokratie darauf hin, seine Grundlagen zu unter graben, um es zu Fall zu bringen. Handel und Wandel haben in den letzten 10 Jahren mächtigen Aufschwung genommen, und durch eine Vergrößerung der Flotte haben nicht nur die Werftarbeiter gewonnen, sondern vielen Hundert tausenden von Arbeitern im Jnlande fließt der Vortheil vergrößerten Verdienstes zu. Das werdet Ihr am besten selbst beurtheilen können! Wer noch einen Funken von Liebe für sein deutsches Vaterland hat, wer in Treue zum Kaiser und Reich steht, der trete mannhaft am 24. d. M. an die Wahlurne und gebe seine Stimme dem staats erhaltenden Candidaten Danzigs, dem treuen Bürger dieser Stadt. Berechtigte Forderungen und Wünsche der Arbeiter wird die Regie- rung mit solchen Männern von Ueberzeugung und patriotischer Gesinnung berathen und zum Wohle der Arbeiter und des gesammten deutschen Vaterlandes berücksichtigen. Der Ober-Werst-Director. von Wietersheim. Nachdem man diese Belehrung gelesen hat, wird man ihren Inhalt billigen müssen, während allerdings zu tadeln ist, daß sie in ofsicieller Form, al» Tagesbefehl, erfolgte. Der Präfitzcnlcnwkchsel in Paris hat nun doch einen Staatsstreichversuch gezeitigt, aber eS war ein Lpcretten-Pronuncianiiento. Held D6roulc.de, der stets zum Krakchl bereite Präsident der Patriotenliga, der die Betheiligung an der Begräbnißfeier für Faure verboten worden war, weil man von ihr scandalöse Demonstrationen befürchtete, bat, wie gemeldet, assistirt von seinem Frennce Hadert, und umjubelt von nationalistischen, antisemitischen und antidreyfusistischen Bacchanten, den Versuch gemacht, mit der Brigade des Generals Roget, als diese nach der Beisetzung des Präsidenten in die Easerne Remilly zurückkebrte, zu fraternisiren, ist dem General mit dem Rufe „Nach dem Elysve!" in die Zügel gefallen und mit etwa 14 Mann in die Easerne eingedrungen, wo er, freilich vergeblich, die Armee zur „Tbat" rief. Das Intermezzo, über das wir an anderer Stelle ausführlich berichten, ist den Herren D6rcu- l6ve und Hadert freilich nicht besonders gut bekommen. Tie Kammer beschloß, ohne irgendwie erregte Debatte, die Genehmigung der Strafverfolgung der beiden StaatS- streichler zu geben und seit gestern Abend sitzen sie hinter den Gardinen des Prisson de la Sant6 in Untersuchungshaft. Deroulöde, der sich bereits als Märtyrer fühlt, gesteht selbst zu, daß er die Truppen babe mit sich nach dem Place de la nation ziehen, sie zum Ausstand anreizen und die parla mentarische Republik habe stürzen wollen, um an ihre Stelle eine plebiScitäre Republik zu setzen. Schon bei der Präsidentenwahl forderten die Generalstäbler und ihr Anhang ei» Plebiscit, in der Hoffnung, dabei die Leidenschaften deS Volkes bis in die tiefsten Schichten auf zuwühlen, Verwirrung anzurichten, daS Unterste zu oberst zu kehren, den Aufruhr anzufachen und so für Einen, der den Muth hätte, mit starker Faust zuzufassen, den Boden zu bereiten. Dasselbe bezweckte D6roulöde mit seinem Ruf nach einer plebiScitären Republik. Sein Streich ist mißglückt, völlig mißglückt, denn die Truppen ließen sich weder durch Cigarren noch Umarmungen von ihrer Pflicht abbringen machen und General Roget wendete sein Pferd nicht, sondern schlug Herrn D6roulöde trotz seiner Eigenschaft als Deputirter der Nation jmir dem Degen auf die Finger und richtete ibn dann nach der Easerne. Er hätte den Aufwieglern noch viel energischer entgegentreten können, und man wundert sich, daß es diesen gelingen konnte, in die Easerne einzudringcn und dort längere Zeit zu verweilen. Warum hat Roget nickt kurzen Proceß gemacht nnd die dreisten Burschen sofort wieder an die Luft gesetzt! Er scheint sie viel zu glimpflich behandelt zu haben. Wie hätte sonst Dsroulöde zu ihm sagen können, der General habe persönlich Unrecht, die Sache nicht so ernst zu nehmen, wie sie sei, denn dieser Umstand könne ihn nur compromittiren und ihm, Döroulöde, nickt nützen. Das sieht ganz so auS, als habe Roget doch An fangs eine etwas zu zärtliche Rücksicht gegen den „Freund der Armee" geübt und als habe er die Sache so ernst nicht ansrhen wollen, um Deroulöde zu „nützen", d. h. >um ihn vor einer Verurtheilung wegen Aufwiegelung des Heere» oder gar wegen Attentats aus die Staat-Verfassung zu be wahren. Aber D6roul6de hält eS offenbar unter seiner Würde, nur wegen eines gewöhnlichen OrdnungSdelictS be langt zu werden, er will sich als „politischer Verbrecher" vor den Richter gestellt sehen. Allerdings weiß er, daß er bis zu 5 Jahren Gefängniß, wenn nicht lebens längliche Deportation riskirt, aber er hofft!, baß der Proceß, den man ihm machen wird, ein neues Ferment ab- giebt, da- den Hexenkessel, in dem das Gift für die Republik Gräfin Marie. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck Verboten. Ms er am Abend des Meilen Tages nach Hause kam, müde, abgehetzt, ärgerlich, verzweifelt, trat der Krach ein. Der Commen- datore Cesarini hatte sich in seiner Ungeduld telegraphisch nach Berlin gewandt und erfahren, daß die Anweisung Starace'S nicht bezahlt werden würde. Er war bereits zwei Mal im Laufe de» Tages dagewesen und zeigte seinem lieben Freunde jetzt brieflich an, daß er noch heute Deckung für seinen Wechsel er- warte, anderenfalls er morgen pfänden lassen würde. Starace laS den Brief, den ihm sein Diener bei seiner Rückkehr gab, wie geistesabwesend. Die Buchstaben tanzten ihm vor seinen Augen. Er verstand kaum, was er laS, und hörte nicht, was ihm sein Diener sagte. „Was willst Du?" fuhr er ihn endlich zornig an. „Der Herr, der im Salon auf den gnädigen Herrn wartet" — meldete der Diener gewiß schon zum dritten Male. „WaS für ein Herr?" „Hier ist seine Karte", antwortete der Diener. Auf der Karte stand: Antonio Caruso, Advocato. WaS wollte Don Antonio bei ihm? fragte sich der Graf. Handelte e» sich um eine neue Schreckenspost oder kam endlich einmal Nach richt von seiner Frau? Der feurigste, sehnsüchtigste Liebhaber konnte nicht schneller nach dem Salon laufen als Starace. Er dachte gar nicht mehr daran, daß er Don Antonio hatte zur Rechenschaft ziehen wollen wegen seiner Aeußerungen zur Gräfin Maria und daß er sich bereit» in seiner Weise an ihm gerächt hatte. Er wußte bloß, daß er jetzt unter allen Umständen Nach, richten von seiner Frau haben mußte. „Don Antonio", rief er lebhaft im Salon eintretend und dem Rechtsanwalt in herzlichster Werse beide Hände zum Gruße entgegenstreckend, „mein liebster Freund! Sieht man Sie auch einmal in Billa Monrepo»? Ich war bei Ihnen. Hat man e» Ihnen gesagt? Ich war leider so unglücklich, Sie nicht an- zutreffen." „Herr Graf, ich bin in Geschäften hier. Haben Sie die Güte^ — unterbrach der junge Advoeat ihn kühl und gemessen in seinem Hhmnu». „Zn Geschäften?" fragt« Starace etwa» betreten, fuhr dann aber sofort laut und aufgeräumt fort: „Ah ja, natürlich, kann mir's denken. Die Herren Juristen pflegen wenig Zeit zu reinen Freundschaftsvisiten zu haben. Bitte, behalten Sie Platz, Don Antonio. Um was handelt es sich?" „Ich bin als Vertreter der Frau Gräfin Maria di Monte- santo hier", antwortete Don Antonio kühl und einfach. Der Graf fuhr von seinem Sitz, den er soeben erst ein genommen, wieder auf, wurde doppelt freundlich, doppelt herzlich und würde seinem alten Freund auch gern um den Hals gefallen sein, wenn das schicklich gewesen wäre. „Also Sie wissen, wo sich meine liebe Frau jetzt befindet, mein werthester Freund? Oh, Sie müssen es mir sagen —" „Sie werden es später wissen, Herr Graf", meinte Don Antonio ernst und gemessen. „Später! Was sagen Sie da? Sie wissen nicht, wie mir zu Muth ist. Vermuthlich hat Ihnen Maria Alles erzählt. Ich brauch« also nicht darauf zurückzukommen. Aber Sie sehen ja wohl, daß ich verzweifelt bin über ihr Verschwinden. Ich kann nicht ohne sie sein. Ich liebe sie grenzenlos und habe sie immer auf den Händen getragen. Wie ist sic nur auf den un glücklichen Einfall gerathen, unser hübsches Nestchen am Posillipo, wo wir so glücklich und selig waren, zu verlassen? WaS habe ich gethan? Kann sie eine momentane Verstimmung, ein in der Hitze begangenes Unrecht nicht vergessen? Nicht ver schmerzen? Mein Himmel, wir sind doch Alle Menschen und besonders wir Neapolitaner Nein, sagen Sie noch nichts. Sie sollen wissen, daß ich ohne Maria nicht leben kann. Oh, wenn Sie wüßten, mein lieber Freund, was ich in den letzten Tagen seit ihrem Verschwinden gelitten habe. Ich glaubte, wahnsinnig zu werden. Diese fürchterliche Angst, e» könnte Marie ein Unglück zugestoßen sein, irgend eine Un- annehmlichkeit, wenn sic allein, ohne männlichen Schutz, in ihrem leidenden Zustand den Zufällen der Fremde preisgegeben ist, wird mich tödten. Ach, Sie sind ja selbst Neapolitaner, mein herzlieber Freund, Sie kennen uns und mich. Rasch, leidenschaftlich, ungestüm, leicht einmal sich vergessend, aber schnell versöhnt und immer gut, immer herzlich, treu und zu verlässig. Bitte, Don Antonio, sagen Sie mir, wo ich Maria sprechen kann. Ich will Alle» thun, was sic verlangt, unbesehen willige ich in Alles, was Sie mir etwa zu sagen beauftragt sind, ich sage zu Allem ja, was es auch sei, Don Antonio, nur sprechen will ich mit ihr, zu Füßen fallen will ich ihr und ihre hübschen zarten Händchen küssen, bi» sie mir vergiebt, bis sie wieder zu mir zurückkehrt." Leidenschaftlich, lebhaft gesticulirend, mit zitternder Stimme, schluchzend und mit Thränen im Auge sprach Starace, wie ein Kind, das sich geirrt hat und mit wildem Ungestüm verlangt, daß Alles wieder gut, Alles vergeben und vergessen sein sollte. Seine Stimme klang herzlich, überzeugend, wahr, seine Er regung, seine leidenschaftliche Angst war echt. Er selbst glaubte, was er sagte. Aber Don Antonio war eben auch ein Neapolitaner. Er kannte sie wohl und blieb fest. „Ich bin hier, Herr Graf", fuhr er gelassen fort, „um Ihnen mitzutheilen, daß Sie binnen achtundvierzig Stunden die Villa Monrepos, die sich durch Miethvertrag augenblicklich im Besitz von Gräfin Maria befindet, zu verlassen haben " „Don Antonio " „Nöthigenfalls werde ich sie polizeilich schließen und Ihre Effecten, sofern Sie sie als Ihr Eigenthum nachweisen können, aus die Straße sehen lassen." „Aber ums Himmelswillen " „Ich habe ferner den Auftrag, Ihnen mitzutheilen, daß ein Antrag auf Scheidung Ihrer Ehe mit Gräfin Maria bereit» eingereicht ist und sich diese Letztere bereit» als von Ihnen ge schieden betrachtet." „Und das wollen Sie al» Jurist verfechten? Sie müssen wissen, daß eS in Neapel keine Ehescheidung giebt." „Sehr wohl weiß ich das, Herr Graf. Ich habe ja auch nicht gesagt, daß die Ehe in Neapel geschieden werden soll." Damit ging auch eine von den stillen Hoffnungen dei Grafen in die Brüche. Seine Frau war keine Neapolitanerin, nicht ein- mal «ine Katholikin, sondern eine Preußin. Wie dort sich der Proceß gestalten würde, entging vollständig seiner Kenntniß. Er wurde also immer mürber und sagte im weinerlichen Ton: „Sagen Sie mir, wo Maria ist, theuerster Freund, und ich versichere Sie, daß ich in zwei Minuten persönlicher Aussprache alle Hindernisse für eine Aussöhnung beseitigen werde." „Ich bezweifle das, Herr Graf. Außerdem habe ich dazu keinen Auftrag. Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen." „Don Antonio, ein Wort!" rief Starace rasch und faßte den Rechtsanwalt bei der Hand. „Sie sehen, daß ich zu Allem bereit bin und unter jeder Bedingung die Hand zur Ver söhnung biete. Ihre Pflicht al» Mensch und al« Rechtsbeistand wäre es, diese Versöhnung anzubahnrn. Ich versichere Sie außerdem meiner ewigen Dankbarkeit, wenn Sie da» thun wollen. Sie brauchen mir nur anzugeben, wie ich Ihnen die- selbe aubzudrücken habe." „Ich habe dazu keinen Auftrag, Herr Graf", erwiderte Don Antonio zurückhaltend. „Thun Sie es aus Freundschaft, aus Menschenliebe. Ich will und kann nicht ohne Maria sein", rief Starace leiden schaftlich. „Addis, Herr Graf." Der ?ldvocat ging. Mit geballten Fäusten, die Augen fest und finster auf den Boden geheftet, blieb Starace in seinen: Salon stehen. Nach einer kleinen Pause stampfte er wild auf den Boden und murmelte für sich: „Verdammter Pfuscher!" Er hatte offenbar heute einen unglücklichen Tag. Wohin er griff, griff er ins Pech. Es war, als ob sich Alle gegen ihn ver schworen hätten. Nirgends wollte man etwas von ihm wissen, Niemand ihm helfen in seiner Noth. Ihm fehlte eben der nervus rerum, Das, was in Neapel Alles bewegt. Sollte denn Alles, Alles, was er so mühsam aufgebaut, in wenigen Tagen wieder in Schutt und Trümmer sinken? Mußte er dock wieder in die Via Sant' Anna dei Lombardi, zum Don Gaetano und seinen Kastanien? Mußte er wieder Lectionen für zehn Saldi geben? Er mußte mit Maria sprechen, das lag auf der Hand. Aber wie? Und wo? Er suchte sich gewaltsam zu sammeln. Das; sie noch in Neapel war, das schien ihm immer wahrscheinlicher, denn nur, wenn sie noch am Ort war, konnte sie mit Don Antonio berathschlagen und so fix und prompt gegen ihn vor gehen. Aber wo war sie? Er lief einige Zeit im Zimmer hin und her, dann blieb er plötzlich wieder stehen und schlug sich vor die Stirn. Was hatte ihm der dämliche Schreiber bei Don Antonio gesagt? Er sei zu einer Kranken nach dem Inter nationalen Hospital gerufen worden. Diese Kranke war Maria! Nur so war Alles zu erklären. Sie war also in dem Hospital. Diese Calculation genügte, um Starace wieder zuversichtlicher, hoffnungsvoller, elastischer zu machen. Ein lebhafteres Lcuch:en seiner Augen, eine festere, straffere Haltung zeigten, wie sehr er zufrieden mit seiner Entdeckung war. Sofort nahm er wieder Hut und Rock und ging au». Keine Minute wollte er versäumen, und obgleich schon Abend, wollte er seinen Besuch dock auch nickt für eine Minute verschieben. Wer konnnte wissen, ob nicht gerade an dieser Minute Alles hing? Er mußte Maria versöhnen, un: der Schwierigkeiten, die sich von allen Seiten um ihn aufthürm ten, Herr zu werden, und er wußte auch, daß e» ihm gelingen würde, sie zu versöhnen, wenn er eben nur erst die Verbindung mit ihr wieder hergestellt hatte. Eine Frau zu versöhnen, war für Starace kein großes Kunst stück. Ein Kirchen Geschrei, ein birchen Leidenschaft und Liebe, ein paar Thränen und Schwüre, Händedrücke und Küsse und s»
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