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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.03.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990308025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899030802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899030802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-08
- Monat1899-03
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Reclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) 50-H, vor den Familiennachrichten (6gespalten) 40 A. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. vrtra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesörderung KO.—, mit Postbesörderung ./L 70.—. —— AnnalMeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Druck nnd Verlag von E. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Politische Lngesschau. * Leipzig, 8. Märrz. Nachdem das Plenum des Reichstags gestern durch Uebcr- weisung der beiden Gesctzcntivürfe über die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Tchuldverschreibnuge» und über die Hypothekenbanken an eine Commission die ohnehin nicht geringen Aufgaben der Kommissionen noch vermehrt hat, gönnt cs sich heute einen freien Tag, um die Commissionen arbeiten zu lassen. Nach den weiteren Dispositionen wird bas Plenum am nächsten Montag ober Dienstag die Berathung des Etats des auswärtigen Amtes vornehmen. Am Dienstag oder Mittwoch soll daun die zweite Lesung der Militärvorlage folgen. Schon Kierans geht hervor, daß eine ausgedehnte Debatte über Fragen der auswärtigen Politik kaum zu erwarten ist. Zn der Thal wüßten wir auch nickt, welches Bcdürfniß »ach einer breiten Auseinandersetzung bestehen sollte, nachdem der Staatssekretär des auswärtigen Amtes bereits bei der Generaldebatte über den Etat dem Wunsche nach einer Auf klärung über unsere auswärtige Lage ziemlich weit entgegen gekommen war und nachdem er soeben in der Budgetcommission über eine ganze Reihe von Specialfragen Rede und Antwort gestanden hat. Neue Aufschlüsse wird der Staats sekretär hiernach schwerlich zu geben haben, und etwaige schwebende Fragen, wie z. B die samoanische Angelegenheit, bei der sich der Staatssekretär schon in der Commission Reserve auscrlegte, durch eine Discussion im Reichstage zu gefährden, kann Niemand wünschen. — Nach den gestern im preußischen Abgcor-netentzansc gepflogenen Erörterungen darf es nunmehr als sicher angesehen werden, daß auch in Preußen in naher Zeit weiblicheHilfSkräfte imGe Werbe aussicht Sdien st tbätig sein werden. Socialdemokratische Zweifel werden hieran nichts ändern. Wenn daS Centralorgan der Umsturzpartci weiter eine Parallele zwischen der Anstellung dieser weiblichen Hilfskräfte und einer von ihm gewünschten Heranziehung von Arbeitern zur Bergwcrksaufsickt zu ziehen sucht, so vergißt es ganz, daß der Staat alle Veranlassung hat, der Socigldemokratie nickt nock weitere Stätten zum Unterschlupf zu gewähren, als sie schon in den Kranken- casjen, Gewerbegcrichten u. s. w. vorhanden sind, und daß er deshalb völlig berechtigt war, die ihm anzesonnene Ver sorgung socialdemokratischer Agitatoren in der Bergwerksaufsicht von sich zu weisen. Das wird auch künftig auf allen in Betracht kommenden Gebieten der Fall sein. Im klebrigen darf dock daran erinnert werden, daß die Ncichsverwaltung schon vor Jahren Erkundigungen über die Erfahrungen, welche im Auslande mit den weiblichen Gewerbeaufsichtsbeamten gemacht worden waren, eingezogen halte. Die Berichte aus England lauteten durchaus günstig, diejenigen aus Amerika indessen anders, jedoch wurde der letztere Umstand darauf zurückgefübrt, daß wegen des Wechsels der Präsidentschaft Vie weiblichen Angestellten sich in ihr Amt nicht genügend einarbeiten konnten. Die Reichsverwaltung hat natürlich, da die G-Werbeaufsicht in die Competenz der Einzelstaaten fällt, davon Abstand genommen, auf diesem Gebiete vor- zugehcn, jedoch darf wohl angenommen werden, daß die damaligen Erkundigungen mit zur positiven Lösung der Frage in verschiedenen Einzelstaaten beigetragen haben. Trotz der Unterwerfung des Professors Schell in Würz burg unter den Spruch der vatikanischen Jndexcongrezation scheint die wisseiifchaftlichc Beweg»«,, itt der katholische» Theologie nock nicht zum Stillstand kommen zu wollen. Wenigstens ist dem Würzburger Theologen in dem ordeut- l liehen Professor an der Universität München Or. tkool. Alois, Knöpfler, der neben Kraus als einer der bedeutendsten I Vertreter der katholischen Theologie an den deutschen Hoch schulen angesehen wird, ein Vertheidiger erstanden. Gegen Schell wandte sich, als seine Schrift „Der KatboliciSmus als Princip des Fortschritts" erschienen war, der Mainzer Dom- capitular C. Braun in zwei Gegenschriften, an denen nun Professor Knöpfler in der „Deutschen Literatnrzeitnng" eine schneidende Kritik übt, wobei er einen scharfen Strick zwischen „UltramontaniSmus" und „Katholicismus" zieht, genau so, wie cö unlängst KrauS in Freiburg der Döllinger-Biographie deö Innsbrucker Universitätsprofessors und Jesuiten Michael gegenüber gethan hat. Ueber Braun'S Schriften sagt er: „Es finden sich in beiden Schriften durchgängig so viel böswillige Unterstellungen und Verdrehungen, willkürliche Umdeutungen und Entstellungen, absichtliches Verschliessen gegen bessere Erkenntnis;, gepaart mit.widerlicher Berketzeruugssucht, wie sie nur einen nn- duldsamen Hierokraten kennzeichnen können. . Weit über die Abwehr dieses Treibens gehen die folgenden Ausführungen hinaus, die nicht allein gegen Braun sich wenden: „Wäre der Gegenstand nicht so ernst, man möchte es fast humorvoll finden, wenn Männer wie Braun über Freiheit reden. Wie die von ihnen zu erhoffende Freiheit beschaffen wäre, zeigt wahrlich erschreckend deutlich der Kampf gegen Schell, wie ihn ein Braun, Höhler u. A. führen. Jeden freien, offenen Gedanken möchten sie mit der Gewalt des Inquisitors nieder- treten und ahnen nicht, in welch bedenklicher Weise sie dainit die katholische Wissenschaft Liscreditirc». Und erst eine katholische Universität im Banne solcher Freiheitl Welche Förderung müßte da die Wissenschaft finden! Einen kleinen Vorgeschmack solch glücklicher Verhältnisse haben wir ja unlängst durch die Vorgänge in Freiburg in der Schweiz genießen können. Es gehört schon eine gewisse Unverfrorenheit dazu, angesichts derartiger Zustände noch Klage zu ergeben, daß die Regierungen solch ein Unternehmen nicht förderten. Am meisten wird sich ein ruhig Denkender bei der Lektüre obiger Schristchen angewidert fühlen durch die lieblose, gehüssig.inquisitorische Behandlung der Sache. Was wird da Herrn Schell nicht Alles angedichtet. Wer Br.'s Schristchen allein liest, muß zu der Ansicht kommen, Schell wäre der ausgesprochenste Anwalt des einseitigsten Liberalismus, religiösen Jndifferentismus, ja Atheismus, des Duellunwcsens und was dergleichen mehr ist, und doch will und vertheidigt Schell in Wirklichkeit das Gegentheil von all dem. Trotz seiner heftigen Ausfälle kann übrigens selbst Braun nicht umhin, Schell Anerkennung zu zollen als einem Manne, „der mit achtunggebietender Rüstung auf den Plan tritt und zwar allezeit ausdrücklich zur Ehre Gottes und dec Kirche". Ja wie ist es dann aber möglich, muß man sich fragen, daß er trotzdem mit solchem Haß und mit solchem Fanatismus verfolgt werden kann?" Den „Schlüssel zu diesem Räthsel" liefert Knöpfler in folgenden Sätzen: „Schell hat es gewagt, an den Jesuiten nicht alles so trefflich, vorzüglich und bewunderungswürdig zu sinden, wie Braun und seine Gesinnungsgenossen. Er hat ihre Exclnsivität, Ein. seitigkeit, Rechthaberei und Versolgungsliebhaberei aller nicht zu ihnen Schwörenden etwas beleuchtet. Das ist nun nach Ansicht einer gewissen Richtung — nennen wir sie die ultra- montane, — ein Vergehen, das Sühne verlangt. Ein solcher Mann muß mit allen, wenn auch »och so unerlaubten Mitteln be- kämpft werden, um seinen Einfluß zu untergraben. Hierbei können seine noch so großen Verdienste um die Ehre Gottes nicht in Betracht kommen, denn diese müssen gegen die Jesnitolatrie weit zurücktreten. Streng geuomnien hat nun freilich solch ein Gebühren mit der Lehre Jesu nnd seinem Geiste nicht viel gemein, steht vielmehr in geradem Gegensatz zu ihm. Ein sittlich unverdorbenes llrtheil wird darum ein solches Ge- bahren unzulässig finden, ob es nun mit dem ProbabilismuS, Aequiprobabilismus oder Tutiorismus vertheidigt werden mag. Daß man alle „gelehrten Purzelbäume" mitmachen soll, ver- langt Schell gewiß nicht, mit Recht hält er «S aber eines ver- nunstbegabten Menschen für unwürdig und auch für bedenklich, bei jeder neuen oder ungewohnten Idee sofort ängstlich nach dem Inquisitor zu rufen, wie Braun und die von ihm beweihräucherten Jesuiten thun. Hierbei dürste aber Schell alle jene auf seiner Seite haben, die nicht aus diesem oder jenem Grunde aus den Gebrauch der ihnen von Gott gegebenen Vernunft freiwillig Verzicht leisten." Man wird nun zunächst abzuwarten haben, ob die Jndex- congregation auch Knöpfler's Schriften aufS Korn nimmt und ob, wenn dies der Fall ist, der Münchener Gelehrte mehr Rückgrat zeigt, als sein Würzburger College. Jedenfalls hat der Beifall, mit dem Schell s Schüler und Freunde dessen Unterwerfung begrüßt haben, den Beweis geliefert, daß Knöpfler auf eine erhebliche Anzahl gesinnungstüchliger An hänger nicht rechnen darf. Die Ernennung deS Prinzen Heinrich zum Chef des K r e u z e r g e s ch w a d e r s au Stelle des Viceadinirals Diederichs wird in der amerikanische» Presse als der Wunsch der deutschen Regierung nach einer freundlicheren Gestaltung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten aufgefaßt. Das Verhalten des Admirals Diederichs habe diesem die Ungnade deS Kaisers zugczogen. Der „Voss. Ztg." wird hierüber aus London, 7. Marz, gemeldet: Der „Times" wird aus New Zock unterm 6. März gemeldet: Der Wunsch Deutschlands, freundliche Beziehungen mit den Vereinigten Staaten zu pflegen, bekundet sich wieder durch eine heute hierher (nach New Jork) aus Berlin gekabelte Meldung, die osficiös zu sein scheint. Darnach soll Admiral Diederichs thatsächlich in Un- gnade gefallen sein. Prinz Heinrich wurde zum Befehlshaber des deutjchasiatischeu Geschwaders ernannt, weil der Kaiser wünsche, sich gutgesinnt gegen die Vereinigten Staaten zu zeigen, und glaube, daß der Prinz hier populär sei. Die- derichs werde getadelt wegen Mangels an Takt und Unkenntniß der Höflichkeiten im internationalen Flottengebrauche. Er er- regte daher Anstoß, ohne eS zu beabsichtigen. Der Agent der amerikanischen „Associated Preß" in Berlin bezeichnet dies als erstes amtliches Eingeständniß, daß Schwierigkeiten vor Manila vorgekommen seien. Wie dem auch sein mag, Washingtoner Nach, richten lauten ebenso aus Berlin. „Philadelphia Preß", die bis vor Kurzem von einem Mitglied des Eabinets redigirt worden ist, sagt, der Kaiser habe die deutsche Politik gegenüber den Vereinigten Staaten plötzlich geändert. „Unsere eigene Sphäre ist klar markirt. Innerhalb dieser müssen wir die Vormacht haben, außerhalb dieser haben aus vielen Gründen deutsche Wohlfahrt und Fortschritt unsere herzliche Sympathie." Tb nnd inwieweit diese diplomatischen „Enthüllungen" auf Wahrheit beruhen, lassen wir dahingestellt sein. Jeden falls hätte eö nickt erst einer Aendcrung der deutschen Politik den Vereinigten Staaten gegenüber durch den Kaiser bedurft. Nickt wir waren schuld an der Entfremdung, welche unver kennbar während der letzten Jahre zwischen Deutschland und der Union eingetretcn war, sondern die berüchtigte „gelbePresse", welche unbesehen die Producte ver berüchtigten englischen Hetz- und Lügenfabrik verbreitete und schließlich sich selbst die eng lische Auffassung ungeeignet hatte, Deutschland nehme sich dreiste Ucbergriffe in den Jnteresfenkreis anderer Völker heraus, wenn es seiner wirthschafllichen und politischen Stellung in der Welk als eine der ersten Großmächte Rechnung trage. In den Vereinigten Staaten ringt sich jetzt immer mehr die Erkenntniß durch, daß Deutschland damit nur sein Recht anSübt und seine Pflicht gegen sich selbst thut und daß man sich von England bat aufhetzen und mißbrauchen lassen. Die Regierung der Vereinigten Staaten Hal schon, woran wir hier nachdrücklichst erinnern wollen, bei Beginn des Krieges mit Spanien und wiederholt während desselben ihrem Uumuth über die englischen Quertreibereien Aus druck gegeben und mit Deutschland stets correcte, ja freundliche Beziehungen unterhalten. Wenn in den Ver einigten Staaten immer weitere Kreise sich das Ver halten der leitenden Männer in Washington zum Muster nehmen, so kann nuS dies nur mit Freude uud Genuzthuung erfüllen, da wir die letzten sind, uns von England als Vor spann benutzen zu lassen, aber die ersten, welche den Vereinig ten Staaten vertrauensvoll die Hand reichen. Daß wir in Amerikas politische Loyalität, die Spanien gegenüber aller dings in sehr zweifelhaftem Lichte erschien, soweit Deutsch land in Betracht kommt, keine Zweifel setzen, beweist ja der Umstand, daß wir ihm den Schutz unserer Reicksangehörigen auf den Philippinen übertragen haben. Auch in der Samoa- Angelegenheit Hal sich die Washingtoner Negierung bis jetzt loyal gezeigt. Die europäischen Gesandtschaften in Marokko haben An fangs Februar beim Sultanat Protest gegen die seit einigen Monaten regelmäßig vorkommenden Ucbersälle und Plünde rungen der europäischen ttebrrlandposten erhoben und auf energische Abhilfe dieses Unternehmens gedrungen. Am 9. Januar wurden die Boten der von Casablanca nach Tanger abgegangcncn englischen uud französischen Post einige Stunden hinter Casablanca, im Bezirk Znetza, überfallen und der Postfäcke beraubt. Ebenso erging cs den Boten der englischen und der deutschen Post von Tanger nach Casa blanca, die man ebend.rselbst am l5. Januar und am 3. Februar anhielt uud ihnen die Postsäcke gänzlich entleerte. Zn manchen Fällen gelingt es allerdings, die Briefschaften nach einigen Wochen gegen eine finanzielle Entschädigung der Räuber auSgcliesert zu erhalten. Dieses geschieht nur mit Vermittelung der marokkanischen Behörden, denen also die gewerbsmäßigen Posträuber sehr gut bekannt sein müssen, von deren Bestrafung sic aber Abstand nehmen, da dieselben gegebenen Falles ihnen die Briefschaften der ausländischen Diplomaten zur „gefälligen Durchsicht" »überlassen. Ter Protest scheint insofern geholfen zu I haben, als jene Posträuber sich — wie ter Fall vom 5. Februar I (4 Meilen hinter Casablanca) lehrt — zukünftig nur auf die I Annectirung der „Einschreibebriefe" beschränken und die Feuilleton. Wang-hgau-Chö. Roman von Sylva Testa (L. Frfr. von Staöl-Holstein). Nachdruck vcrdotni. Shv-ma-Kuang lächelte: „Du bist zu gütig. Wenn Iber innere Werth Deines Werkes seinem Umfange entspricht, so ist keines der meinen oder irgend eines meiner großen Vorgänger ihm zu vergleichen. Würdest Du vielleicht die .Herablassung haben, mir einen Einblick z>u gestatlen?" „Die neun riesigen Bücher, die Du hier siehst, sind, wie Du we ißt, die fünf heiligen und vier cla (fischen, auf denen unser ganzes Negierungssysiem fußt," erwiderte der Gefragte. „Nun ccmment'ire ich Satz für Satz, nm eine Grundlage zu schaffen, die, von allem Mißverständlichen gereinigt, einen neuen Ausbau unserer veralteten G.'fehe und mangelhaften Verfassung gestatten würde. Zugleich, um das 'Verstündniß zu erleichtern, verfasse ich ein neues Wörterbuch unserer gesamMtrn Sprache mit, wo es Noth thut, veränloerten Schristzeichen." Der klug« Staatsmann begriff sosort, daß Wang es hiermit vollständig in der Hand habe, die seinem Gerste vorschwebenden Neuerungen mit 'den ältesten Uebeclieferungen in Einklang zu bringen, an denen der größte Thoil des Volkes noch mit aber gläubiger Zähigkeit hing. Er vertiefte sich nun in die Com- mentare der ihm wohlbekannten Texte uUd mit jeder Zeile stieg seine Bewunderung für den Scharfsinn des Verfassers. Wang entwickelte ihm, freimüthig auf jede Frage eingehertv, seine seltsamen Ideen. Utopien nannte sie der gereifte Denker. Niemals hätten sie seine Anschauungen beeinflussen können. Aber doch empfand er, daß sie in ihrer idealen Großartigkeit hinreißend wirken mußten, daß Wang's ganzes Wollen und Sinnen von einer Selbstlosigkeit und einer Menschenliebe getragen sei, der er noch nie begegnet war. Er fühlte auch, daß mit diesem Manne eine Macht ins staatliche Leben getreten sei, 'der weder er noch sonst Jemand Einhalt gebieten könne. Er versuchte es auch heute gar nicht, sich in Sine Polemik einzulaffen, war er doch ge kommen, sich zu belehren, nicht zu streiten. Als er sich endlich erhob, lag ein fast wehmüthiger Zug auf seinem guten Gesichte. Einen Augenblick verweilte er noch am Fenster und fragt«, auf die 'Jünglinge draußen deutend: „Was ist der Inbegriff dessen, was Du diesen da lehrst, mein Bruder?" „Stark sein und mikd« zugleich; sich selbst bezwingen und Anderen dienen," erwiderte Wang, „Erbarmen haben mit den Geringsten unseres Volkes; im Kampfe für Gerechtigkeit, wenn's sein muß, auch das Leben lassen. Das Leben — das erst einen Werth gewinnt, wenn wir seine Güter mit den Millionen Unter drückter theilen. Dann werden wir Alle frei — Alle glücklich — Alle Bürger eines in Wahrheit himmlischen Reiches sein." „Und Du willst dieses golvene Zeitaller herausbeschwören?" „Ja, ich will's und ich vermag's," ries der Fanatiker und seine Blicke sprühten Begeisterung. „Nicht Freiheit, nicht Gleichheit, sonvecn Eleno ohne Ende wirst Du dem Vaterlande bringen, nach^m Du eine kurze Frist vielleicht den Aufruhr wirst gebändigt haben, der uns heute um tobt. Darum wird der alte Shö-ma-Kuang, so lange er athmet, Dein Gegner sein; aber niemals Dein Feind — edler Träumer, leb' wohl." — Neuntes Capitel. Die Warnungen seiner Mutter und seines ersten Ministers, sowie die eigene geheime Furcht vor dem Neuen hatte es Ehen- Tsung von Tag zu Tag hinausschieben lassen, Wang vor sein Antlitz zu berufen, so sehr ihn auch verlangte, den Mann zu sehen, in welchen in den Wirren der Gegenwart das Volk und nicht wenige der höheren Classen ihr Vertrauen setzten; aber die Ereignisse drängten ihn -schließlich dazu. Die Unruhen in den Provinzen nahmen immer bedrohlichere Dimensionen an: Hunger, Kriegsfteuer, Bedrückung durch die Mandarine, die Leh ren der lawinenartig aNwachseckven llmsturzpartri brachten die Massen in eine Erregung, die N>ug-Pn und Genossen mit den grausamsten Hinrichtungen nicht mehr niederzuhalten vermach:en. Bis in die Straßen der Resivenz, bis an die Thore des Palastes wälzte sich das schreiende, tobende Volk. Hier trieben die Bogen schützen und Lanzenträger der kaiserlichen Leibwache es aller dings zurück, aber es lagerte auf den nächsten freien Plätzen und ging immer aufs Neue in gedrängtem Hausen zum Ansturm vor. Kein Funke des kriegerischen Geistes seines großen Ahnherrn Tai-Dsu, 'des Begründers öder vielmehr Wiedererweckers der Sung-Dynostie, lebte in Chen-Tsung, er wollte Frieden, und Kampf umtobte ihn. Hätte er di« Bewaffneten, di« alle Gänge und weitläufigen Höfe 'des Palastes anfüllten, einen Ausfall machen lassen, wie die alt« Kaiserin und Prinz Jo-'lu ihm drin gend anriethen, er hätte die ivaffenlos« Menge mit Leichtigkeit überwältigen können, zumal ein starker Trupp berittener Mand schuren seines Befehls gewärtig aus der Höhe des Gräberthales hielt; aber er wollte kein Blutbad unter seinen Kindern anrichten, und nie hätte ein solches die Nothstände verringert; daher macht« er eines Tages einen letzten Beschwichtigungsversuch, indem er den alten, alliverehrten Sho-ma-Kuang in die tumultuarische Volks masse Hinabsanlote. In der kaiserlichen Sänfte, mit acht Trägern und starker Escorte, verließ der würdige Mann den Palast und Hub an, so bald er sich vernehmbar machen konnte, auf die Versammelten ein zureden, sie dringend ermahnend, von der gnädigen Erlaubniß ihres 'allmächtigen und allgütigen kaiserlichen Baiers Gebrauch zu machen und sich zu entfernen, widrigenfalls sie der Vernich tung anheimfallen würden. Der So'hn der Sonne, die Allem, was Odem habe, Licht und Leben spende, 'der Oheim des Mon des, der über Alles, was Unruhe empfände, Frieden ausgieße, der Herr der Erde, die Alles, was Hunger habe, nähre, und war Durst fühle, tränke, werde die Noth der Gehorsamen lindern, sobald es an der Zeit sei. Drohungen und Schmähworie war, was er erzielt«, und nur mit Lebensgefahr konnte er seinen Rückzug bewerkstelligen. Da erhob sich von fern her em jubelndes Stimmengebrause, una der Ruf „Wang-hgan-'Che" erfüllte di« 'Lüft. — Der Kaiser, umgeben von sein'en Angehörigen, Rätbcn uns Palastbeamten, wohnte von seinem Altane aus der Scene vei. Er sah jetzt auch ein« weißgekleidete Männergestalt, auf den kräftigen Schultern zweier Jünglinge, die Köpfe überragen, sah Alles zuvückweichen, so daß der Getragene bis in die Mitte des Platzes gelangte, hörte eine gewaltige Stimme, mit dem Metall klange eines großen Gongs dahinrollend, Ruhe gebietend, worauf lautlose Stille eintvat. Jetzt redet« Wang zur Menge: einvringlich, gütig, zutraulich, als hätte er Kinder vor sich: „Sicherer Tcd harre ihrer im Pa last«," sagt« er, „und auch wenn dem nicht so wäre, alle Schätze des Kaisers vermöchten doch des Volkes Noth nicht zu lindern. Nur vor weisen und gerechten, streng gehandhabten Gesetzen win'de die Noth schwinden, wie Nebel vor der Sonn«. Diese da aber", rief er, auf einen gesonderten, wohl tausend Köpfe zählen- oen Haufen zerlumpter, hagerer Gestalten weisend, von denen Diele nur ein erheucheltes Elend zur Schau trugen, „machen es dem Kaiser unmöglich, euch in väterlicher Fürsorge beizustehen; überall drängen sie sich zwischen ihn »nd sein Volk, diese Feinde und Verderber, die ihr nicht zu den Euren zählen oürft. Diese Wahnsinnigen, die Alles verneinen und vern chten wollen. Jedes Heim, das sie zerstören, jeder Garten, den sie zertreten, ist Eigen tum der Nation; der Besitzer wechselt, aber der Besitz bleibt. Wir Alle wollen Theil am großen Baterlande 'haben, an einem schönen, blühenden; die aber mit frecher Hand das Eigentum verletzen, berauben uns und unsere Kinder." „Nieder mit ihnen!" schrie die Menge unv trieb die Umiturz- männer auseinander. „Nieder mit den Mandarinen!" riefen Anvere; „es lebe Wang, der Kaiser soll ihn hören!" Chen-Tsung sah die Bewegung ter Piaffen, sah die gefähr lichste Rott« zurückweichen und befahl, den Mann, dem er diese glückliche Wendung verdankte, in ter kaiserlichen Sänfte zu ihm zu bringen. Mühsam bahnten sich die Träger den Weg, Wang aber, als er vernahm, worum ec- lick banvel:«, lehnte die Ehre dankend ab und ließ fick auf den Scknltern seiner Getreuen in den Palast tragen. Das Volk jude!:e :y:n zu, uno rauseuvstimmig erschallte der Ruf: „Lana lebe der Kaiser. Ruhm und Ehre dem Vater des Volkes!" — Eben Teung ließ se:ne Umgebung zurücktreten, als Wang vor ihm erschien, und Üirzte, im Drange des Augenblicks, die Ehr- furchtsdezeugungen ab, indem cr ihn huldvoll anredete: „Ich sehe mit Staunen, o Sohn meines himmlischen Reiches, daß Vie Kraft Deines Odems stärker ist als der Sturm, der Vas Volk wie Meereswellen erregte, daß es brandend bis an meines Thro nes Stufen wogte; zum Zeichen meiner Anerkennung soll der rothe Knopf fortan Deine Mütze zieren." Wang verneigt; sich tief, allein kein Wort verrieth, daß er den Ehrenschmuck weiihschätzir; als ein Machtmittel jedoch mußte er ihn annehimen. „Was Du für mich geihan, vermochten meine erprobtesten Räthr nicht," fuhr ver Kaiser fort, „darum sollst 'Du der erste Vertheidiger ver kaiserlichen Rechte heißen." „Sie beoürfen keines Vertheidigers, o erhabener Herrscher, wenn Du ihren Widersachern durch gerechte und wirksame Maß nahmen die Waffen aus'der Hand schlägst." „Wie meinst Du das — speich!" „In den Worten des Kaisers, die seine» Willens Träger sind, liegt «ine geheime Wun'verkrast beschlossen: sie können sich in Gold und Brod für Millionen verwandeln; in Ströme des Frie 'vens, des Segens und Glückes; ooer auch in Fruerbrände, di« ein blühend Lano verheeren: Solch: lovern heute in den Provinzen, wo Deine Vollmachten es oen Mandarinen gestatten, im Blute Deiner Landeskinder zu schwimmen, weil sie thöricht genug sind, ihren Hunger stillen und ihren nackten Leib bedecken zu wollen. Und dieser' Thoren Zahl 'heißt Legion, Du wirst sie nickst ver- tilgen, sie aber werden Deinen Thron umwersen, wie sic im vorigen Jahrhunderte fecks Dynastien stürzten, wenn Du ihnen kein Brod giebst." (.iortseffniiq folgt.)
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