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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.03.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990317025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899031702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899031702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-17
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Neclamen unter dem Redactionsstrich (4ge» spalten) 50-H, vor den Familiennachrichlea (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderung X 60.—, mit Poslbesörderung ^ll 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end «Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen uud Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreisen sind stets an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Einschlägigen, selbst der geringsten Detail-, bemerkte. Die ^»stündige Audienz sei ihm wie im Fluge geschwunden, zumal da das Gespräch keine Secundc gestockt habe und der Kaiser in seinen Fragen ein diplomatisches Geschick allerersten Ranges entwickelt habe. Nicht genug konnte Rbodes außerdem die Liebeuwiirdigkeit des Kaisers gegenüber allen Tkeilnehmern rühmen, die zu dem von Sir Frank Lascelles am Dienstag gegebenen Diner geladen waren. Einen strikteren Gegensatz könne man sich nicht denken, der Kaiser bei der Audienz und der Kaiser als Gast des groß britannischen Botschafters, hier die Leutseligkeit und dort jeder Zoll ein Kaiser. Zn seinen Unterredungen mit den Herren von Bülow, von Richthofen und den Herren deS Colonialamtcs traten Herrn Rbodes, wie er selbst zugiebt, große diplomatische Reserve und noch größere Wahrung der deutschen Interessen gegenüber. Es sei in der Tbat beängstigend gewesen für einen allen Diplomaten, wie er cö sich schmeichle zu sein, wie kühl und doch wie aufmerksam diese Herren seine Borschläge aufnahmen und verfolgten. Mit solchen Ver tretern hätten die früheren englisch-deutschen Ver träge über Zanzibar u. s. w. für England wohl weniger befriedigend abgeschlossen werden können. Angesicht- dieser Haltung könne — was ja auch nie beabsichtigt worden sei — von einer Uebervortheilung deutscher Inter essen absolut keine Rede sein. Im Gegentheil, es Kälten sogar einige Puncte, auf die die englischen Interessen besonders basirten, zumBortheil der deutschen fallen müssen, um dieVerhandlungen bis zu einem bindenden Vertrage zu bringen. Um so mehr sei Rhodes über die Haltung der Presse in dieser Angelegenheit verwundert und peinlichst berührt und noch mehr über die einiger Neichstagsabgcordneter. Man werfe ihm seine „Vergangenheit" vor, der er sich nie zu schämen brauche, zumal da diese, wie seine Zukunft der culturellen Er schließung Afrikas uneigennützig gewidmet sei. So Herr Rhodes. UuS scheint, als wenn der ganze Hochmuth der Briten in diesen Anschauungen zum Ausdruck kommt. RhodeS bat erwartet, der Kaiser werde ibm einen cordialen Empfang bereiten, ihm, dem Arrangeur jene- verbrecherischen UeberfallS eine? friedlichen Landes durch eine Räuber bande, und er ist noch heute davon überzeugt, daß er als Hintermann Iameson'S uneigennützig nur der Eultur, d. h. seinen und Englands Interessen gedient hat. Andere Ideale Hal er ja nie gekanut, andere kennt er auch beute nicht bei seinen Berliner Verhandlungen. WaS die deutsche Presse betrifft, so bätte sie entschieden noch viel deutlicher werden und in viel festerer Geschlossen heil RhodeS entgegentreten sollen. In dieser Beziehung schreibt die „Nheinisch-Westf. Ztg.", der man doch gewiß nicht die Vernachlässigung der Interessen deutschen Handels und deutscher Industrie nachsagen kann: Sonderlich erhebend ist die Haltung des größten Theiles der deutschen Presse gegenüber dem gegenwärtig in Berlin weilenden „ Napoleon Süd«Afrika-" gerade nicht. Vor genau drei Jahren, unmittelbar nach dem verunglückten Freibeuterzug deS vr. Jameson, einer Drahtpuppe in der Hand deS ehrgeizigen Cecil Rhodes, war dieser die Seele der wüthenden Deutschen hetze und der abscheulichen Angriffe gegen den deutschen Kaiser in der englischen Presse. RhodeS war nach London geeilt und bot dort seinen ganzen Einfluß auf, um gegen den deutschen Kaiser, gegen Deutschland und namentlich gegen den deutschen Colonialbesitz in Afrika zu wühlen und zu Hetzen. Er legte sich kn seinem blinden Deutschenhaß nicht Lke geringste Zurück- Haltung auf uud machte kein Hehl daraus, daß seine Anstrengungen auf die HinauSmanöoerirung deS deutschen Reiches, wenigstens aus Südafrika, gerichtet seien. Dieser nämliche Mann, der in zwischen keine Beweise dafür gegeben hat, daß er etwa seine Ge sinnung gegen Deutschland von Grund aus geändert habe, wird nun von fast allen Berliner Blättern mit geringen Ausnahmen und von dem überwiegenden Theil der anderen deutschen Presse so überaus freundlich nnd entgegenkommend behandelt, daß man sich verwundert fragen muß, welche Thatsachen denn eigentlich zu diesem überraschenden Umschwung beigetragen haben? Wir haben uns ja allerdings nachgerade daran gewöhnt, daß in unserer Politik nichts dauernd ist, als der Wechsel. Aber selten hat fast die gesammte Presse einen so gründlichen Wechsel mit solcher Kritiklosigkeit und Prrisgebung der eigenen besseren Ueberzeugung mitgemacht, wie in diesem Falle. Wie man hört, soll die deutsche Reichsregierung sich bereit erklärt haben, die gewünschte Erlaubniß der Babnlegung durch Deutsch-Ostafrika zu ertheilen, vor allein unter der unumgänglichen Bedingung der vollen Hoheitsrcchte der deutschen Regierung über die auf deutschem Boden laufende Linie; ebenso sollen ganz bestimmte Grundsätze für den Erwerb und Verkauf derauSzugebenden Bahn act ien festgestellt werden, damit eine ähnliche Ueber- raschunz wie die deS Ankaufes der Snez - Canal- Aclien durch Lord Beaconsfield ein für allemal unmöglich gemacht werde. Besonders dieser letzte Ge sichtspunkt soll für seine praktische Durchfübrun g mannigfache Schwierigkeiten bieten; dagegen sei be treff- aller übrigen Puncte (wie beispielsweise über den Lauf der Strecke) bereit- ein grundsätzliches Uebereinkommen er zielt. Danach wäre die wichtige Forderung, daß die Bahn innerhalb deS deutschen Gebietes in deutscher Ver waltung sein soll, nicht erreicht! Dagegen wußte gestern die „Kreuz-Ztg." zu melden, daß die Bahn durch Deutsck- Ostafrika von Deutschen mit deutschem Capital erbaut und von deutschen Beamten geführt werden würde. Nach dem Abschluß der Verhandlungen wird man hoffentlich bald erfahren, wie die Sacke eigentlich steht. Bis dahin schließen wir unS mit allen Colonialfreunden der ernsten Warnung deS oben citirten rheinischen Blatte- an, „zu den bisherigen riesigen Concesfionen an die Briten nicht neue hinterdrein zu werfen und so für da« kommende Jahrhundert tausend Gruben, Fallen, Fußangeln und Zwick mühlen zu schaffen, in denen das Deutschlhum in unseren Colonien elend zu Grunde gehetzt wird." Treffend vergleicht die „Rheinisch Wests. Ztg." das britische Capital, die britiscken Gesellschaften, die britische Regierung, RhodeS, Chamberlain e tutli qunnti mit einer einzigen Riesenspinne, welche still nnd geräuschlos die Fäden um unsere Glieder in Afrika webt. Ganz in demselben Sinne schrieben wir kürzlich: England ist lüstern nach unfern afrikanischen Colonialbesitz, nament lich nach Dentsch-Ostafrika, dem Ausfuhrthor deS schwarzen ErdtheilS! Das längst erwartete Ereigniß, da- Ende dtr neuen ra-tcalen focialistischen Brüsseler Universität Hut sich voll zogen. Als vor siinf Jahren die von den Gemäßigt-Liberalen I geleitete freie Universität Brüssel dem Pariser Geographen Elissc IReclusdie Besteigung des ihm zugedachten Lehrstuhles wegen 1 seiner anarchistischen Gesinnungen versagte, erhoben die Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. Marz. Ende voriger Woche, als die alarmirenden Meldungen über eine bevorstehende Reichstagsauflösung bereits die ganze Deutsche Presse Lberflutheten, hatten wir darauf hingewiesen, daß in der -weiten Lesung im Plenum die Militärvorlagc der Regierung bei voll besetztem Hause nicht mit „einigen wenigen Stimmen" abgelehnt werden würde; die Ablehnung erfolgte mit 68Stimmen Mehrheit. Deshalb durfte von vornherein daran gezweifelt werden, ob es die Regierung auf eine Auflösung ankommen lassen werde. Die Negierung hat erfreulicher Weise 'die Gefahr einer Auflösung richtig gewürdigt und sich deshalb, statt die 7000 Mann, um die sich der Streit drehte, sofort zu erhalten, mit einem Wechsel auf die Zukunft begnügt. Da dieser Wechsel wohl ziemlich sicher honorirt werden wird, so ist materiell nichts verloren. Man könnte also ganz zufrieden sein, wenn nicht übereifrige Freunde der Regierung ihr durch das Auflösungs getöse einen üblen Dienst erwiesen hätten. Zwar hat die Regie rung selbst weder im Parlament, noch in der ihr direct unter stehenden Presse (die „Nordd. Allgem. Ztg." deutete mit keinem Wort eine Auflösung an) den Entschluß, den Reichstug auf zulösen, angekünldigt, aber die übereifrigen Freunde wußten in der öffentlichen Meinung den Eindruck zu erwecken, als ob die Regierung diesen Entschluß gefaßt hätte. Die Folge davon ist 1) daß die Berständigung als eine Schlappe der Regierung an gesehen wird, 2) ist durch den Lärm die Aufmerksamkeit des Auslandes erregt worden und auch dort wird man den Eindruck haben, als ob das deutsche Volk nicht hinter den auf die ge steigerte Wehrhafligkeit gerichteten Absichten der Reichsregierung stünde; fo ist der moralische Erfolg der Heeresoorlage zum guten Theil coupirt worden; 3) ist der Erfolg des Cenlrums noch über höht worden, denn es kann sich jetzt als eine Partei uufspielen, die der Auflösungsgefahr muthig ins Auge gesehen und auf ihrem Willen bestanden und ihn durchgeführt hat. Imst not loast nützen die radicalen Parteien die Vorgänge der letzten Woche in ihrem Sinne aus. Es ist durchsichtig genug, wenn die „Freis. Ztg." schreibt: „Der Verlauf der Angelegenheit zeigt, wie unhaltbar die Zustände in den oberen Regionen sind.... Wäre die Regierung in oberster Instanz einheitlich geordnet, so würde, die ganze Episode von vornherein vermieden worden sein." — Roch deutlicher und massiver wird der „Vorwärts": „Es gicbt Kräfte in unserem Staatsleben, welche sich so stark dünken, daß sie in tollem Ansturm alles, was sich ihnen entgegenstellt, über oen Haufen zu werfen sich einbilden. Werden diese Kräfte ge bändigt weiden? oder werden sie frei schalten und einen Wahl kampf entfesseln? Sie mögen sich in Acht nehmen." Es tritt also hier Dank der taktischen Ungeschicklichkeit übereifriger Freunde der Fall ein, daß die thatsächlich besiegte radikale Oppo sition — denn diese radicalen Elemente waren ja gegen das zu Stande gekommene Compromiß — sich in der Pose des Siegers gefallen kann. Es sei nochmals wiederholt, daß die Regierung selbst nicht mit der Auflösung gedroht hat, aber sie hat sich des Fehlers schuldig gemacht, ihren Freunden nicht einen Wink, sich etwas vorsichtiger zu verhalten, zu geben; deshalb muß sie es nun über sich ergehen lassen, daß sie vom Klerikalis- mus und vom Radicalismus mit Spott überhäuft wird. — Einige Worte verdient übrigens noch die Episode des patrio tischen Herrn von Liebermann. Der Abg. v. Lieber mann hat eine große That vollbracht: er hat gegen den 8 2 der Militärvorlage gestimmt, weil ihm das Compromiß zwischen Regierung und Reichstagsmehrheit nicht ausreichend erschien. Da sich eine Mehrheit von 90 Stimmen ergeben hat, so hat die i, Sen,i. Roman von M. Immisch. Nachdruck Verboten. Erstes Capitel. Es war Montag, der vielgeliebte, vielgefeierie blaue Moniag, auf den alle halben und ganzen Bummler, alle Geschäftsleute und hauptsächlich alle Wirthc des kleinen Landstädtchens M. mindestens fünf Tage in der Woche mit Sehnsucht warten. Von allen Seiten ziehen die Landleute herbei, Ochsen und Kühe vor sich hertreibend oder einen Wagen mit Schweinen fahrend. Auf dem ziemlich großen Marktplatz drängen sich Menschen und Vieh. Handelnd, feilschend und schimpfend stehen Käufer und Verkäufer um ihre lebendige, brummende oder quiekende Waare, und dazwischen schreiten, bedächtig Alles über sehend und beobachtend, «ine Anzahl Gütermäkler, mit Falken blick den Moment erspähend, wenn einer ihrer zahlreichen Schuld ner ein Geschäft abgeschkossen hat und im Begriffe ist, die Gold- und Silberstücke dafür in seiner Tasche verschwinden zu lassen. Wie den Vogel der Schlangenblick, so bannt sein Auge den un glückseligen Landmann, und ein leiser, kaum merkbarer Wink bedeutet ihm, daß er ihn „nachher" zu sprechen wünsche. Er hat nicht nöthig, mehr hinzuzufügen; nur selten kommt es vor, daß einer der Schuldner der unsichtbaren Kette, die ihn mit seinem Gläubiger verbindet, entrinnen will.. Sie wissen wohl, daß ein solcher Versuch sich nicht lohnt, und 'ziehen eS vor, nach Beendi gung des Marktes, der bis nach Mittag dauert, gehorsam und demüthig in den „Adler" oder den „Ochsen" zu wandern, wo die Geldverleiher vom Sonntag Abend bi- Dienstag früh ihr .Hauptquartier aufgeschlagen haben. Die ganze Gegend ist diesen tributpflichtig. Fast alle die kleinen Bauern und Häusler haben ihr Conto bei ihnen. Es ist «ine industriearme Gegend. Die Landleute sind auf den Er trag der Obst-, Getreide- und Weinernte, sowie auf dir Vieh zucht angewiesen; ein schlechtes Jahr wirft sie weit zurück und unerbittlich in die stets geöffneten Arme der Geldverleiher, in die sie sich dann gewöhnlich immer mehr verstricken. Wenigstens war dies so zum Beginn dieser Geschichte. Dies sind zwar zwanzig Jahr« her, und es ist möglich, aber kaum wahrscheinlich, daß sich seitdem Manches darin geändert hat; höchsten», daß „Thai" des Wg. von Liebermann ja weiter keinen Schaden an-1 gerichtet, wohl aber hat der Abgeordnete damit bewiesen, daß er I auf demselben Standpuncte politischer Reife steht, wie seine j intimen Gegner von der Fortschrittspartei, die auch die Sätze abzulehnen pflegen, wenn sie ihnen nicht genug zu bringen scheinen. Ende April d. I. soll unter dem Vorsitz des Freiherrn v. Berlepsch in Berlin eine Versammlung stattfinden, welche sich die Errichtung einer internationalen Vereinigung zur Förderung der Arbtiterschulznesetzaebung in den einzelnen Staaten zum Ziele setzen wird. Daß diese Versammlung gerade in Deutschland stattfindet und von deutschen Socialpolitikern ausgeht, kann insofern nicht auffallen, als ja gerade Deutschland in dem Ausbaue des Arbeiterschutzes den anderen Ländern vorangeyangcn ist und im Gegensatz zu anderen die Forderungen, welche seinerzeit auf dem inter nationalen Arbeiterschutzcongreß zu Berlin aufgestellt worden sind, bereits lange weit überschritten hat. Deutschland hat das Verbot der Kinderarbeit, die Einschränkung der Arbeit jugend licher Arbeiter, den Mafimalarbeitstag für erwachsene Arbeiterinnen, den Schutz der erwachsenen männlichen Arbeiter in denjenigen Betrieben, deren zu langeArbeitszeit der Gesundheit schädlich werden könnte. Auf letzteren Gebiete wird gerade in jüngster Zeit außerordentlich eifrig gearbeitet. Wir erinnern nur daran, daß der Schutz der Angestellten in offenen Ver kaufsläden in der neuesten Gcwerbeordnnungsnovelle angestrebt wird und daß die Müllereiarbeiter ebenso durch den dem Bundes- rathe zugestellten Gesetzentwurf geschützt werden sollen. Jeden falls wird man nach alledem nicht abstreiten können, daß der Arbeiterschutz in Deutschland sich auf alle Kategorien von Arbeitern und Angestellten erstreckt, und da die Regierung sich nach wie vor bemüht, über etwaige Mißstände in einzelnen Er werbszweigen Aufklärung zu erhalten, um denselben abzuhelfen, so ist nicht recht einzusehen, in welcher Weise die internationale Vereinigung für Deutschland in Thätigkeit treten will. Man wird deshalb wohl in der Annahme nicht fehlgehen, daß die Vereinigung ihr Hauptaugenmerk darauf richten wird, daß das Ausland bewogen wird, Deutschland auf dem Gebiete des Arbeiterschutzes allmählich zu folgen. Würde dazu noch die An feuerung des Auslandes zur Befolgung des deutschen Beispiels bezüglich der Arbeiterdersicherung treten, so könnten die Arbeit geber Deutschlands sich mit den Zielen dieser neuen Vereinigung nur einverstanden erklären. Die neue internationale Vereinigung würde sich dann allerdings nicht verhehlen können, daß sie eine schwere Arbeit auf sich nimmt; denn, soweit bisher ersichtlich, hat sich die Arbeitgeberschaft keines fremden Staates so opfer willig und fürsorgend für die Arbeiterschaft gezeigt, wie die deutsche. Jedoch ist es ja möglich, daß hierin infolge des Auf tretens der neuen Vereinigung eine Aenderung eintritt. Zu wünschen wäre es schon im Interesse der Erhaltung der Wett bewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auf dem Weltmärkte. Herr bccil Rhodos bat sich über seinen Aufenthalt in Berlin mehrfach interviewen lassen. Er liegt sebr ge mischte Empfindungen über den ibm in der deutschen Reichs hauptstadt bereiteten Empfang, nur von seiner Audienz beim Kaiser ist er sebr entzückt, „obgleich diei'e durchaus keinen herzlichen (!) Cbarakter gehabt habe". RhodeS äußerte fick darüber, zwar habe eö ihm Anfangs kühl entgegengeweht, doch sei bald dieses Gefühl einer aufrichtigen Bewunderung gewichen, al- er beim Kaiser hohes Interesse für alles Coloniale und eine geradezu verblüffende Kenntniß alles die Landleute immer ärmer und ihre Gläubiger immer reicher wurden. Vor dem „2ldler" und dem „Ochsen", die Markt und Straße in einer Weise begrenzten, daß Jeder, der kam und ging, an einem der beiden Gasthöfe vorbei mußte, standen ebenfalls vom frühen Morgen an einig« Mäkler, meistens die Söhne der auf dem Markt operirenden Väter, auf Posten. Mit mehr oder weniger liebenswürdigem Lächeln, mit Handschlag und freund lichem Entgegenkommen begrüßen sie die Landleute, von denen sie nicht nur die Namen, sondern auch deren Verhältnisse bis ins Kleinste kannten. Die Gaststuben des „2ldler", des „Ochsen" und der gegenüberliegenden „Krone" füllten sich immer mehr. Münch« der Bauern, die um eine Stundung oder gar um eine neue Anleihe bitten wollten, tranken sich erst Muth zu, während Andere ihre Trübsal über die bevorstehend: Entleerung ihrer kaum gefüllten Börse vertranken. Einer nach dem Anderen ver schwand dann in den Zimmern des oberen Stockes, wo die hilfs bereiten, gefürchteten und doch so nöthigen Geldverleiher ihre Empfangsstunden abhielten. Es war ein ewiges Kommen und Gehen, und manches faltig«, wettergebräunte Antlitz trug den Stempel jahrelanger, nagender Sorge, oder einer dumpfen Er gebung in «in unvermeidliches Geschick. Einer der gefürchtetsten unter dieser Gesellschaft menschen freundlicher Wohlthäter war Daniel Guckenheim, ein kleiner, magerer, graubärtiger Mann mit listigen, freundlichen Aeuglein und einem liebenswürdigen Lächeln, das ihn nie verließ, selbst wenn er zu seinem Kummer gezwungen war, einem armen Bauern seine letzt'e Kuh oder die Kartoffelernte auf dem Felde wegpfänden zu lassen. Man sagte ihm nach, daß er von min destens einem Drittel der Bauernhöfe, auf zwei Meilen im Um kreis, der eigentliche Herr sei, während die nominellen Besitzer nur das Vergnügrn hatten, das ganze Jahr hindurch kostenlos für ihn zu arbeiten und ihm obendrein noch Ehrerbietung und Dankbarkeit dafür zollen mußten, daß er ihnen gestattete, den eigenen Herrn zu spielen. Aber nicht nur auf dem Lande, auch im Städtchen selbst hatte Daniel Guckenheim eine Menge Schuldner, und man munkelte sogar davon, daß auch die beiden Nachbarstädtchen ihm in hohem Grade tributpflichtig seien. Jedenfalls war er enorm reich. Sein erprobter Verstand, sein gewiegter Geschäftssinn und sein Marmorherz, das sich unter einer so glatten und liebenswürdi gen Außenseite verbarg, halfen ihm selbst die gewagtrsten Sp«- culationen zu einem guten Ende führen. Er war trotz seiner an scheinenden Geschmeidigkeit und Biegsamkeit ein Mann von Eisen, und wenn seine Langmuth einem Schuldner gegenüber einmal erschöpft war, so hätten ihn hundert Kniefälle, von Thränen und verzweiflungsvollen Bitten begleitet, nicht zu er weichen oder ihn nur um Haaresbreite von seinem Entschlüsse abzubringen vermocht. Nachdem di« Fluth seiner Schuldner sich verlaufen, stand Daniel Guckenheim am Fenster seines Zimmers und trommelte gedankenvoll mit den mageren Fingern an die Scheiben. Schräg gegenüber ragte das alte Schloß, das eigentlich mehr ein riesi ger, viereckiger Thurm war, hoch über die ein- und zweistöckigen Bürgerhäuser hinweg. Auf dem grünlich-schimmernden Dache lag blendendes Sonnenlicht, und die schadhafte Vergoldung der Wetterfahne erstrahl:« trügerisch in dem erborgten funkelnden Glanz«. Der alte Guckenheim dachte darüber nach, wie doch die Zeiten sich gründen hatten. Vor einigen Hundert Jahren hatten stolze Ritter und hochgeboren« Edeldamen da oben gewohnt, die Seinesgleichen viel geringer ach:eten als ihre Hunde; heute war er der eigentlich: Beisitzer da oben. Jeder Siein des Schlosses gehörte ihm, und Diejenigen, denen es dem Namen nach gehörte, waren völlig seiner Gnade preisgegeben. . . . Aus diesen an genehmen Gedanken störte ihn ein rasch wiederholtes Klopfen an seiner Zimmerthür. Auf seinen Zuruf öffnete sich dieselbe, und «in Mädchen kam herein, das so anmuthig und liebreizend war, daß selbst das Lächeln des alten Guckenheim, der sich auf Der artiges verstand, aufrichtig herzlich wurde. „Ah, sieh' da, Fräulein Senzi! Was verschafft mir das Vergnügen?" sagte er, auf sie zugehend und ihr freundlich die Hand entgegenstreckend. „Ich freue mich immer, Sie zu sehen. Auf mein Wort, es ist «in Genuß! Fräulein Senzi ist das schönste Mädchen weit und breit, und ich bedaure nur, daß ich nicht dreißig Jahre jünger bin." Nach dieser zarten und so überaus schmeichelhaften Anrede, die Senzi lächelnd, aber ohne Störung ihrer Seelenruhe anhörte, nahm er den Brief, den sie ihm reichte, setzte seine Schildpatt- lorgnettc auf und begab sich wieder ans Fenster, um zu lesen. Senzi sah sich mittlerweile im Zimmer um. Sie war schon oft hier gewesen, und die außerordentliche Einfachheit desselben bot ihr nichts Neues. Zwei Betten, ein Tisch, ein Waschtisch miteinem kleinenSpiegel, ein Pult und einige Rohrstühle bildeten die Ausstattung des Raumes, der für Daniel Guckenheim gleich zeitig als Schlafzimmer, Empfangszimmer nnd Contor diente. Weder ein Teppich, ein Sopha, noch andere überflüssige Dinge waren hier zu sehen. Daniel Guckenheim war äußerst zart fühlend, und er scheute sich daher, die armen, hilfesuchenden Landleute durch übermäßigen Comsort zu blenden ober ein- zuschüchtrrn. Er verkehrte mit ihnen ohne alle Herablassung ganz auf dem Fuße der Gleichheit, und der Erfolg hatte seine Methode glänzend gerechtstrtigt. Senzi betrachtete di: kahlen Wände. Kein Bild, nicht ein mal eine Uhr unterbrach die Einförmigkeit der grau gemustenen Tapete. Senzi dachte, daß dies doch ein recht geschmackloser und armseliger Auf-nchalt sei für einen so reichen Mann; — um die maßgebenden Gründe zu erkennen und zu würdigen, war sie zu jung und zu harmlos —, und daß sie, wenn sie das Glück häkle, nur den zehnten Theil seines Vermögens zu besitzen, ganz gewiß schöner und angenehmer wohnen würde. Sie war nur ein armes Mädchen, aber ihr Stübchen war im Vergleich zu diesem kahlen Wirthshauszimmer so nett und reizend, daß sie nicht ohne Be friedigung den Vergleich zog. Sie hatte auch keine Kostbar keiten darin, aber doch würde sic um keinen Preis getauscht haben. Senzi hätte in eine so nüchterne Umgebung auch schlecht ge paßt. Sie sah aus wie eine Frühlingsülüthe. Ihr Antlitz war von einem gerundeten Oval und ihre Züge waren von so feinem und regelmäßigem Schnitt, wie man es nur sehr selren findet; d.e Augen groß, dunkelblau und von schimmerndem Glanz, das Näschen fein, die Wangen von einer zarten Rundung, der Mund klein und voll, mit erdbeerroth-n, feingeschwungenen Lippen, zwischen denen beim Lachen — und sie lachte gerne — kleine, weiße Zähne hervorschimmerten. lieber den Augen, die von dichten dunklen Brauen überwölbt waren, thronte eine schönge formte, kindlich-reine Stirn, die von dunklen Haaren umrahmt war. Die schlanke, biegsame Gestalt war von einem ganz ein fachen, jedenfalls schon oft gewaschenen rosafarbenen Kattunkleid umschlossen, aber der weiße Malrosenkragen zeigte einen so reizenden, blüthenweißen Hals, die kleinen Ohren hoben sich so rosig und zierlich ab, daß gewiß manch: vornehme Dame mit Freuden die kostbarsten Roben gegen das einfache Kleid um getauscht hätte, wenn sie einen nur halb so großen Reiz damit hätte gewinnen können. Daniel Guckenheim hatte inzwischen den Brief zu Ende gelesen. Bedächtig steckte er das Lorgnon wieder in seine Tasche, rieb sich die Hände und trommelte in einem Anflug von Nervo sität wieder an die Scheiben. „Ich kann im Augenblick keinen bestimmten Bescheiv geben", sagte er dann zu Senzi, „doch will ich es mir überlegen. Sagen Sie Fräulein Clärchen, daß ich oder mein Sohn heute selbst noch aufs Schloß kommen; dann können wir ja die Sache be sprechen." Damit war Senzi entlassen. Sie hatte daS Zimmer noch keine zehn Minuten entlassen, als die Thür sich abermals öffnete und ein junger Mann hereinkam. Es war Moritz, der einzige Sohn von Daniel Guckenheim, ein hübscher, flotter Mensch, von etwa achtundzwanzig Jahren, mit einem blassen Antlitz, das an Wangen und Kinn den bläulichen Schein «ine» glatt rasirttn,
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