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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.03.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990328028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899032802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899032802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-28
- Monat1899-03
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsay nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mrt Postbeförderung 70.—. Anuahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 158. Dienstag den 28. März 1899. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig. 28. März. Auf die Grund- und Zwecklosigkeit des nachträglichen LtnrmlaufS in Ser baherischen Kammer gegen das Neichs- militärgerichtsgesetz sind wir bereits ausführlich eingegangen; cs erübrigt sich aber noch eine Beleuchtung der Motive, welche die beiden Parteien, Klerikale und Socialdeuivkraten, zu ihrem Borgehen veranlassen. Bezüglich der Ersteren ist da wohl zunächst ein kleiner Rückblick am Platze. Hätten wir im Deutschen nicht die Nedefigur vom „Hornberger Schießen", so konnte man von einem Unter nehmen, das nicht ausginz, sehr wohl sagen: „ES ging aus wie eine bayerische Ministerstnrz-Eampague." Seit des Fürsten Hohenlohe, des jetzigen Reichskanzlers, Rücktritt, den )ie veranlaßten, aber nicht erzwangen — der damalige Ministerpräsident betrachtete sein Verbleiben im Amt als der Entwickelung der deutschen Frage nicht dienlich —, haben die bayerischen Klerikalen unzählige Male an Ministersesseln gerüttelt oder, vielleicht besser ausgedrückt, an Ministerfräcken gezerrt, und jedeSmal ist es nichts gewesen. Selbst die Ministerschaft des ihnen so tief verhaßten und so ost „be- rannten" Frhrn. v. Lutz fand ein natürliches Ende durch unheilbare schwere Krankheit. Am letzten Freitag wurde nun einfach wieder einmal gestürmt gegen den, beiläufig be merkt, protestantischen, Minister Frhrn. von Erails- beim und wegen des bayerischen Senats am Neichs- militärgerichtsbof. Zwar hatte vorher Frhr. v. Hertling im Reichstage und hatte auch das bayerische Eeutrumsorgan aner kannt, daß das Abkommen für Bayern befriedigend sei, aber die Herren vr. Daller und v. Walter gebrauchten eine andere Ansicht. Namentlich der letztgenannte Herr zeigte sich sehr ent rüstet und beunruhigt. Zn seiner feinen Weise gab er der Be fürchtung Ausdruck, da die bayerische Negierung die Sonder rechte in Sachen der Militärgerichtsbarkeit nicht scst genug gewahrt, werde mit der Zeit ein Neservatrecht nach dem anderen „flöten" gehen. Der Abg. v. Walter erging sich auch in vielleicht nicht ganz unanfechtbaren Erörterungen über die deutsche Nechtseinheit überhaupt. Er meinte: „Man hat von der Förderung der Rechtseinheit gesprochen. Aber die RechtSeinhcit besteht in der Einheit der Gesetze, darüber hinaus hat cs nie eine Nechtseinheit gegeben und wird eS nie eine geben. Das Reichsgericht in Leipzig weiß die Rechts einheit weder in den einzelnen Senaten noch im großen Ganzen aufrecht zu erhalten." Diese Sätze scheinen etwas überS Ziel zu schießen, aber darauf kommt bei dem Juristen v. Walter nicht viel an. Noch weniger darauf, daß er die bayerischen Liberalen, die zumeist auch die ReservatSrechlauffassung haben, aber das Abkommen über den Senat billigen, des UnilariSmus beschuldigte. Nicht verwunderlich ist es, baß die Socialdemokratie mit dem Eentrum die Ansicht vertritt, cs sei ein bayerisches Kron recht verletzt worden, und demgemäß Tadel spendete. Der Beweggrund ist bei beiden Parteien derselbe. Da die Landtagswahlen vor der Thür stehen, haben die Klerikalen seit vielen Monaten die Angelegenheit des Militärgerichtshoss als Agitationsmittel benutzt, und es ist ihnen gelungen, in starkparticularistischen Kreisen der Bevölkerung damit Erfolg zu erzielen. Es ist, wie auch von liberaler Seite anerkannt wurde, auf künstliche Weise Erregung und Verbitterung erzeugt worden. Diese Stimmung will auch die Social demokratie bei den Wahlen für sich nutzbar machen. Daher ihre Stellungnahme. Die ganze Action wäre nicht der Rede Werth, wenn sie nicht zeigte, wie der UltramontaniSmuS ü ckeux mairw Politik macht. Im Reichstage war man mit dem Abkommen über den bayerischen Senat zufrieden, hat es sogar gelobt, und in der bayerischen Kammer verdammt man es, um für die Gegenwart nach unten und für die Zukunft nach oben Eindruck zu machen. Unter dem jetzigen Regiment war freilich nichts nach oben zu erreichen und die „Germania" sieht sich nicht ohne Grund veranlaßt, die bei der neuesten Ministerstürzerei erlittene Blamage des Kammer- centrumS zu verschleiern. Die Entscheidung des DisciplinarhofS gegen Professor Delbrück wird vom „Verl. Tagebl." in einer geradezu ver wegenen Weise zur Irreführung der öffentlichen Meinung be nutzt. Das genannte Blatt schreibt nämlich: „Also ledig lich formale Gründe haben zu einer Verurteilung Delbrück's geführt, so daß seine Ausführungen in der Sache selbst als gerechtfertigt anzusehen sind." — Sollten nicht sogar unter den Lesem des „Berl. Tagebl." einige nach denkliche Leute zu finden sein, welche die Redaction des „Berl. Tagebl." darauf aufmerksam machen, daß der Disciplinarhof lediglich über die Form der Delbriick'schen Ausfüh rungen zu befinden hatte, daß die sachlichen Ausführungen Delbrück's aber den Disciplinarhof gar nicht beschäftigen konnten? Lobsprüche, die im Hinblick auf den spanisch-amerikanischen Krieg ein amerikanischer General den katholischen Bavmh rzigc» Schwestern gespendet haben soll, verwerthet die „Germania" zur Schürung der Unzufriedenheit der katholischen Masten. Das genannte Blatt stößt nämlich im Anschluß an jene an geblichen Lobsprllche den Zornesruf aus: „Es istbeschämend für die preußischen Katholiken, daran zu denken, welchen Polizeibestimmungen die Engel der Barmherzigkeit, deren Wirken im Dienste der Nächstenliebe in der alten wie in der neuen Welt über alles Lob erhaben ist, bis heute im preußischen Staate unterworfen sind. Wie lange noch?" — Als die „Germania" also in heiligem Zorn entbrannte, mußte sie oer - g essen haben, mit welcher Genugthuung sie vor kurzer Zeiterst über die Entwickelung des katholischen Ordens wesens im Reiche sich ge äußerthat. Am 10. Februar d. I. druckte die „Germania" die Statistik der katholischen.Orden und Congrcgationen im deutschen Reiche ab, welche der klerikale Schriftsteller Paul Maria Baumgarten in dem Werke „Die katholische Kirche und ihre Diener" damals soeben veröffentlicht hatte, und die „Germania" schrieb in dem betreffenden Artikel: „Von den Congregationen hatte die Gruppe der K r a n k e n s ch w e st e r n (14 verschiedene Gesellschaften) nicht weniger als 18598 Mitglieder in 1791 verschiedenen Niederlassungen." — An einer anderen Stelle desselben Artikels hatte die „Germania" ge sagt: „In 206 Niederlassungen wirkt . . die i m p o n i r e n d e Zahl von 4116 männlichen Ordensleuten." — Wenn die „Germania" schon 4116 männliche Ordensleute eine „impo- mrende Zahl" nennt, sp muß sie von den 18 598 Kranken schwestern doch erst recht einräumen, daß dies eine imponirende Zahl ist. Die Schaar der Krankenschwestern ist so „imponirend" angewachsen trotz der Polizeibestimmungen, denen die Kranken- schwesterncongregationen in den deutschen Staaten unterworfen sind. Kann es einen schlagenderen Beweis für die Nichtigkeit aller Klagen über jene Polizeibestimmungen geben, ajs die „imponirende" Ausdehnung der Krankenschwesterncongre- gationen? Aber es kommt dem Ultramontanismus ja auch gar nicht darauf an, daß seine Beschwerden sachlich begründet sind. Unersättlich, wie er ist, ist ihm auch der fadenscheinigste Vorwand willkommen, die Katholiken gegen den Staat zu verhetzen. Das Anlaufen des Kreuzers „Bussard" in Tanger ist auf eine Reclamation der in Marokko lebenden Deutschen zurückzuführen, die allerdings von dem deutschen Geschäftsträger unterstützt wurde. Einer der Haupt gründe zu jener Reclamation ist folgender: Im Juni 1896 befahl der Sultan, den Gouverneur (Kaid) von Ecm-sab (un weit Casablancas) zu verhaften. Dieser Befehl wurde mit un zulänglichen Mitteln auszuführen versucht, so daß der Kaid Wind davon bekam und entfliehen konnte. Kaum hatten die Nachbarstämme diesen Sachverhalt erfahren, als sie in einen allgemeinen Aufruhr eintraten, der mit vollständiger Plünderung und Zerstörung dieser Stadt endigte. Hierbei wurden die Abgesandten des Sultans ver trieben und den europäischen Kaufleuten, die in der von Casablanca nicht weit entfernten Stadt Filialen ihrer Waarendepots unterhielten, unermeßlicher Schaden zugefügt. Die geschädigten Europäer, darunter auch viele Deutsche und deren Schutzbefohlenen, wandten sich an ihre Konsuln und diese nach Untersuchung der Reclamation an ihre Gesandten in Tanger. Der Sultan sah den von den Gesandten einmüthig beförderten Klagen als zu Recht bestehend an und versprach, nach der Züchtigung der Rebellen die Verluste durch Contribution zu er sehen. Erst im letzten Quartal 1897 konnte sich der Sultan von seinem Harem trennen und im März 1898 endigte die Straf expedition mit einer völligen Niederlage der Auf rührer. Von diesen wurde der angerichtete Schaden mehr als zwanzigfach bezahlt, aber trotz der energischsten Mahnungen der Gesandten ist bis zum heutigen Tage nicht ein Heller davon für die berechtigten Schadenansprüche der Deutschen zu erlangen gewesen. Der allgewaltige Minister Bu Ahmed hat die Contribution verschlungen und vertröstete die auswärtigen Geschäftsträger von Monat zu Monat. Der seiner Zeit entflohene, inzwischen aber wieder ein gesetzte Kaid von Eem-sab habe die Verpflichtung, den »schaden zu decken, übernommen und würde dies in allernächster Zeit auch thun. Diesem fällt es natürlich nicht im Traume ein, sich auch nur von einem Theile seiner versteckt gehaltenen Schätze zu trennen. Die englischen Ansprüche sind inzwischen erfüllt worden, über die von den Deutschen er hobenen aber hat man sich lustig gemacht, man glaubt nicht, daß Deutschland denselben den nöthigen „Druck" geben könnte. ' Zur Samoa-Frage wird dem „Hann. Cour." aus Berlin geschrieben: Die Verhandlungen der drei Vertragsmächte nehmen bedauerlicher Weise einen sehr langsamen Verlaus. Das liegt einerseits an dem Umstande, daß drei Regierungen an den Ver handlungen betheiligt sind. Die Verhandlungen der drei Cabinette unter einander sind mit vielen Unzuträglichkeiten ver knüpft, es stellt sich fortwährend die Nothwendigkeit neuer Rück fragen und weiterer Erhebungen heraus, dazu kommen die Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung einzelner Be stimmungen der Samoa-Acte, die sich in mancher Hinsicht gerade zu als ein Hinderniß einer Einigung herausgcstellt hat. Die Erzielung eines Einvernehmens über verschiedene Streitpunkte stößt unter diesen Umständen auf die größten Schwierigkeiten. Andererseits steht die Regierung zuWashington auf dem Standpunkt, daß die Samoa-Inseln, seitdem die Philippinen in amerikanischen Besitz übergegangen sind, ein erhöhtes politisches Interesse für die Vereinigten Staaten haben; sie scheint infolge dessen jetzt noch weniger als früher geneigt, den auf der Inselgruppe über wiegenden wirtschaftlichen Interessen der Deutschen irgend welche Zugeständnisse zu machen. Richtig ist, daß die Samoa-Inseln für die Nord amerikaner eine wichtige Etappe auf dem Wege von Sau Francisco über Honolulu nach den Philippinen bilden. Lei dieser Sachlage wird man sich darauf gefaßt machen müssen, daß der bisherige trostlose Zustand in Apia noch eine Weile an dauert. Gerade die Erledigung der schwebenden Personalfragen scheint die meisten Schwierigkeiten zu machen. Es ist schon bei früheren Gelegenheiten festgestellt worden, daß sämmtliche (?) Vertreter der Vertragsmächte in Apia sich Unbesonnenheiten haben zu Schulden kommen lasten. Die gegenseitige Gereiztheit hotte einen so hohen Grad erreicht, daß beim Eintritt der letzten tumultnarischen Ereignisse in Apia auch der amtlichen Persönlich keiten sich eine begreifliche Aufregung bemächtigte. Es liegt auf der Hand, daß unter solchen Umständen die Abberufung aller Betheiligten das einzig probate Mittel zur Wieder herstellung normaler Verhältnisse wäre. Aber nicht einmal über diese relativ einfach liegende Personenfrage hat bisher eine Verständigung erzielt werden können. Wie soll es da erst mit anderen, schwieriger liegenden Puncten werden? — Gegenüber anderweitigen Meldungen, die bereits eine Theilung der Samoa-Inseln unter die drei Mächte in Aussicht stellen, erfährt die „Post", daß die Verhandlungen sich zur Zeit in dem Sinne einer Beibehaltung der Samoa-Acte bewegen. Wir haben wiederholt auf die englisch-amerikanische Pretzhelzc gegen Deutschland und darauf aufmerksam ge macht, daß sie cs ist, welche eine Verständigung mit den Vereinigten Staaten erheblich erschwert, weil sie die öffent liche Meinung diesseits und jenseits deS großen Wassers mit Mißtrauen erfüllen muß. Officiell versichern uns die Regierungen in Washington und London rückhaltlosen Wohlwollens und dabei sucht ein nicht unerheblicher Theil der Presse dieser Länder fortgesetzt Deutschland zu verdächtigen und namentlich Feindschaft zwischen uns und den Vereinigten Staaten zu stiften. Zn erster Linie waren eS die officiös bereits widerlegten Behauptungen englischer und amerikanischer Blätter über taktloses, ja feindseliges Verhalten deutscher Schiffe gegen Amerika in den Gewässern der Philippinen, welche systematisch in die Presse lancirt und in England und der Union auch geglaubt wurden. Von amtlicher amerikanischer Seite wurde einmal die Quelle jener Nach richten gekennzeichnet. Es fiel das Wort: „Die Hong konger Lügenfabrik." Jetzt melden, was freilich auf fallender Weise fast die gesammte deutschfeindliche Presse in den genannten Ländern verschweigt, die „Japan Daily Mail", daß die amerikanischen Consuln in Hongkong und Singapore plötzlich von ihrer Negierung abberufen seien. Der „Ostasiatische Lloyd" knüpft daran folgenden Commentar: „Wir haben von Anfang an den Standpunkt vertreten, daß die ganzen Hetzereien gegen Deutschland von einer Seite in Scene gesetzt worden seien, die sich im schroffsten Gegensatz zu ihren Regierungen befinden müßte, trotzdem aber eS ver stände, auf die amtlichen Kreise in einem deutschfeind lichen Sinne einzuivirken und überall den Verdacht zu erregen, als spiele Deutschland eine zweideutige Rolle in der Philippinenfrage. Es ist durchaus nicht das erste Mal, daß der Uebereiser amerikanischer Consulatsbeamten, denen bekanntlich jede Vorbildung für die ver- Lrriilletsn. ,0s Senzi. Roman von M. Immisch. Nachdruck verboNn. Bei ihren schmerzlichen Träumereien wurde sie müde und schläfrig. Während noch die Weihnachtsglocken ertönten, ging sie zu Bett und fiel 'bald in einen tiefen, traumlosen Schlummer, den vielleicht das barmherzige Christkind ihr bescheerte. Srnzi hatte angegeben, daß ihr Mann eine größere Reise unternommen habe, aber das Ziel derselben verschwieg sie. Rechtsanwalt Toner kam wiederholt darauf zurück. Er behaup tete, daß es für den Gang der Angelegenheit wichtig sei, dies zu erfahren; dlber Senzi ließ sich nicht irre machen. „Haben Sie denn 'schon von dem neuesten Schiffsunglück ge hört?" fragte er, als er zwei Tage nach Weihnachten mit einer unbedeutenden Ausrede in der Dämmerstunde in Senzi's Woh nung kam. „Der Hamburger Dampfer ist im Nebel mit einem englischen Schiff zusammengestoßcn und schwer beschädigt worden. Es werden auch vierzig Menschen vermißt; hoffentlich hat sich die Reise Ihres Mannes nicht so weit erstreckt, sonst wär« es möglich, daß auch ihm ein Unglück zugestoßen ist." Er hatte sich diesmal auf ein Verhör vorbereitet, das er mit Aufbietung seines ganzen Scharfsinnes zu dem gewünschten Re sultat führen «wollte; aber er konnte sich den bereit gehaltenen Aüftvand an Schlauheit ersparen, denn Senzi's Erschrecken, die tödtliche Blässe, die ihr Antlitz überflog, und der entsetzt«, angst volle Ausdruck ihrer Augen verriethen genug. „ES ist also, wir ich vermuthet", sagte er nach einer Weile, als Senzi, außer Stande, sich länger zu beherrschen, in fassungs loses Weinen auSbrach. „Meine liebe, junge Frau, weshalb machen Sie denn ein solches Geheimniß daraus? So, wie oie Dinge liegen, blieb ihm ja gar nichts weiter übrig. Wissen Sie denn, ob er ein Passagier des verunglückten Schiffes war?" Senzi schüttelte den Kopf; nein, sie wußte es nicht, darüber hatte Martin nichts geschrieben; aber sie war so an Unglück ge wöhnt, daß sie es beinahe natürlich fand, wenn sie noch mehr davon betroffen wurde. Mit einem eigenihümlichen Flimmern in den matten Augen betrachtete I)r. Toner die junge Frau. Sie hatte sich in die Ecke d«S Sophas gesetzt und verbarg ihr Antlitz schluchzend auf den übereinander gelegten Armen. Er sah nur den weißen schönge formten Hals, das weiche Ebenmaß des jugendlichen Körpers, und das brennende Verlangen nach ihrem Besitz, das ihn schon die ganzen Tage erfüllt, steigerte sich dabei bis zur Unerträg lichkeit. Was kümmerte ihn ihre Angst und ihr Schmerz, was das Leben oder Sterben ihres thörichten Mannes, der sein herr lichstes Gut schutzlos allen Unbilden des Lebens und der Armuth überließ. Der Herr Rechtsanwalt war ein Cyniker. Er dachte, daß sie sich bald trösten werde, so oder so, und daß es eigentlich ein gutes Werk sei, ihren Schmerz so schnell als möglich abzu lenken. Eben stand er auf, um sich ihr zu nähern. Da erhob sich Senzi. Mit einer leidenschaftlichen Bewegung kniete sie zu dem Kinde nieder, das sorglos am Boden spielte, und es mit ihren Armen umfassend, benetzte sie sein Köpfchen mit Thränen und Küssen. Es lag etwas über der kleinen Gruppe, was selbst das fiebernde Blut l)r. Toner's besänftigte. Es fiel ihm plötzlich ein, daß Uebereilung nie gut sei, und daß es vielleicht auch in diesem Falle gerathener wäre, seine Gefühle zu zügeln und sich von allen Dingen das Vertrauen des jungen Weibes zu erwerben. „Arme Frau", sagte er so sanft, als es ihm nur möglich war. „Ihr trauriges Schicksal flößt mir die größte Theilnahme ein. Ich bitte, betrachten Sie mich als einen aufrichtigen und ergebenen Freund. Ich werde Alles thun, um sobald als mög lich Nachricht über Ihren Mann zu erhalten. Roch heute werde ich nach Hamburg schreiben, damit in den Schiffslisten nachge forscht wird. Hoffentlich bin ich im Stände, Ihnen recht bald eine beruhigende Mittheilung zu überbringen." Auf Senzi's dankbaren Blick drückte er ihr scheinbar tief ergriffen die Hand; dann ging er. Die arme Senzi war in einer trostlosen Angst und Urruhe. Schrecklich« Bilder und Befürchtungen quälten sie und verfolgten sie bis in den Schlaf, um ihr auch diesen besten Freund zum Peiniger zu machen durch die entsetzlichen Träume, die sie dabei beunruhigten. Meistens befand sie sich dann aus «mein lecken Schiffe auf stürmisch bewegter See, wo grauschwarze Wogen sie zu verschlingen drohten, oder statt der Wasser umgab sie ein Meer von Felsgestein. Die grauen Kolosse hatten Leben und Bewegung; sie rollten auf das Schiff zu, versperrten ihm den Weg und drohten es zu zermalmen. Seltsamer Weise war sie immer allein unter Fremden; sie hatte ihr Kind verloren und suchte es in fiebernder Angst, und die Todesfurcht wurde ver schärft durch den Gedanken, daß ihr Kind in dieser Steinwüste allein zurückblieb. Aufs Höchste ermattet und wie zerschlagen wachte sie dann auf und war froh, wenn der Morgen graule, weil mit der Finster- nitz wenigstens die schlimmsten Beängstigungen schwanden. Sie konnte die Unthätigkeit ihres jetzigen Lebens, die durch die völlige Einsamkeit noch erschwert wurde, nicht länger er tragen. In einem entfernten Städttherl, wo sie Niemand kannte, miethete sie sich eine Stube und schaffte ihre wenigen Hab seligkeiten dahin, zum großen Verdruß ihres bisherigen Haus- wirthes, der ihr am liebsten auch dies Wenige noch genommen hätte und sie dafür mit gemeinen und demüthigenden Reden ver folgte. Dann ging sie in die Nähmaschinenhandlung und gab ihre letzten paar Mark als Anzahlung für eine Nähmaschine. Senzi's Gedanken wurden durch diese 'verschiedenen Besorgungen immer hin abgelen'kt und ihr Körper ermüdet. Am Sylvesterabend erhielt sie von Liese einen Brief und ein Kistchen mit allerlei kleinen Geschenken für sie und das Kind. Heiße Dankbarkeit und Rührung erfüllte sie dabei. Rein, sie war doch nicht ganz verlassen, so lange es ein Wesen gab, das mit liebevoller Zuneigung ihrer gedachte. „Gegen sein Schicksal'kämpft der Mensch nun einmal ver gebens an", schrieb Liese. „Du bist nicht die Einzige, die unter dieser Erfahrung zu leiden hat. Auch bei uns hat sich dies in diesen Tagen recht deutlich gezeigt. Seit vierzehn Tugen war Doctors Bertha mit ihrem Manne hier, um ^das Weihnachts fest bei den Eltern zu verleben. 'Sie wollte dieses Jahr nicht nach dem Süden; sie habe Heimweh, hatte sie dem Hofrath ge sagt. Sie war auch recht verändert; weniger in ihrem Aeußeren, als in ihrem Wesen. Seit Jahren habe ich sie nicht anders ge kannt als in stiller, gleichmäßiger, etwas stolzer Ruhe, die selbst durch ihre Schwermuth nicht beeinträchtigt wurde. Jetzt aber schien es, als habe sich ihre Natur völlig umgestaltet. Sie, die sich z. B. selbst als Mädchen nur selten herabließ, meine Stube zu betreten, kam jetzt häufig zu mir, plauderte auffallend viel und alles Mögliche durcheinander, lachte so sonderbar nervös, um dann plötzlich wegen eines Nichts aufs Höchste gereizt auf zufahren. Einmal kaufte sie mir wohl die Hälfte meiner Maaren ab, und auch in anderen Geschäften, namentlich beim Gold arbeiter, kaufte sie große Posten ein. Sie wollte es verschenken, sagte sie, sie wolle sich zu Weihnachten auch einmal einen Spaß machen. Sie sei morphiumsüchtig und in Folge dessen hochgradig nervös, sagte mir die alte Agnes, die Köchin, an die Du Dich gewiß noch erinnerst. Der Hofrath habe schon alles Mögliche versucht, um ihr das Morphium, das er ihr ganz im Anfang nach ihrer Heirath gegen Schlaflosiigkeit verschrieben habe, wieder ab- zugrwöhnen; aber sie wisse es sich immer wieder zu verschaffen, und wenn sie es wirklich mal ein paar Tage entbehren müsse, sei sie völlig hinfällig und krank. Dec Hofrath sei viel zu schwach ihr gegenüber, und vor energischen Mitteln schrecke er zurück, denn er liebt sie noch immer über Alles, obschon sic sich gar nichts aus ihm macht, und ihn mehr wie einen Vater re spectirt, was man dem armen Kinde nicht verdenken kann. Sie ist kaum ein Jahr älter als Du; im Frühling wird sie Fünf undzwanzig, und ihr Mann ist beinahe Siebzig. Er Hai recht gealtert, denn er sorgt sich um sie. Die Frau Bruck, die Mutter des jungen Geistlichen, der früher so befreundet mit den Doctorskindern war", — Liese vermied hier, Bcrnhard's zu erwähnen, dessen specieller Freund Stephan doch gewesen — „war diesen Winter recht leidend. Bertha hatte sie einmal besucht, und als sie zurückkam, kehrte sie bei mir ein, sagte, ich solle Dir schreiben, daß Du zu Weih nachten hierher kommst; Stephan wolle auch kommen, und sie wolle «auch noch Jemand für Dich bestellen; es müsse recht lustig werden. Und als ich sagte, daß es Dir nicht möglich sein werde, jetzt zu kommen, wurde sie sehr zornig, nannte mich eine heim tückische, alte Person, und gebrauchte Reden, die bei einer sonst so feinen und wohlerzogenen Dame in Erstaunen versetzen. Zwei Tage darnach kam auch wirklich der junge Priester, um seine kranke Mutter, die ihn sehr darum gebeten haben soll, zu besuchen. Bei DoctorS war er aber nicht. Seit Clärle's Ver heirathung hat er sich hier nicht wieder sehen lassen; er kann halt den „Juden", der in die Familie gekommen, nicht verwinden. Er ist jetzt Ordensgeistlicher, oder vielmehr, er ist Professor im Kloster der Benedictiner zu Mario-Einsiedeln. Er soll so sehr geschridt sein, und seine Mutter hofft, daß er einmal Abt in einem verwandten Kloster werden wird. Bertha soll früher wie wahnsinnig in ihn verliebt gewesen sein, wenigstens hab' ich öfters davon reden hören, und Viele be haupten, ihre Schwermuth rühre davon her, weil Stephan nichts von ihr wissen wollte, und weil er Priester wurde. Es war am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages. Ich wollte zur Frühmette gehen und wundert« mich, daß die Haus- thür aufgeschlossen war und im Schnee sich frische Fußspuren zeigten. Als ich an der Apotheke vorbti kam, sah ich vor Reh bein's Haus eine Gruppe Menschen stehen. Ich ging natürlich auch hin, um zu sehen, was es' gäbe. Und da saß denn die Frau Hofrath barfuß im Nachtkleide auf der beschneiten ^tufe vor der Hausthür. Ihre langen Haare hingen in den Schnee herunter, und als ich sie auffordertc, dock) nack> Hause zu gehen, sie werde sich hier erkälten, da lachte sie und sagte: sie habe heißes Blut und friere nicht; sie warte hier auf ihren Liebsten und gehe nicht von der Stell« bis sie
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