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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.03.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990324014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899032401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899032401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-24
- Monat1899-03
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Reckamen unter dem Redaetionsstrich (4gr- spalten) 50^, vor Len Familieuuachrichteu (6gespalten» 40^. ktzrößere Schrisle» laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Zisscrniatz nach höherem Taris. Extra-Bcilagcu (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Poslbesörderung 60.—, mit Poslbesörderung 70.—. Annahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anjeigeu sind stets an die Erpeditiou zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 151. Freitag den 24. März 1899. 93. Jahrgang. Die Gewerbegesetznovelle. ii. Sehr wesentliche Bestimmungen enthält der letzte Theil der Gcwerbcgesetznovelle. Seit Jahren hort mau die Klagen der Angestellten in kaufmännischen Geschäften, seit Jahren petilioniren die Gehilfenverbände nm eine Besser stellung der Gehilfen in Bezug aus Arbeitszeit und ArbcilS- räumlichkeiten. Die Klagen sind denn auch zum großen Theile von der Regierung anerkannt worden, nachdem die Befragung von der Arbeilerschutzcommission Material zur Beurtheilung der Lage geliefert hat. Wenn wir un» in Leipzig verbältniß- mäßig recht günstiger Zustände erfreuen, so ist das gewiß aller Anerkennung werth, und gerade diese günstigen Zustände, auf die die Novelle wenig einwirken wird, sind es, die uns vorurtheilslos die Znstände im übrigen Deutschland betrachten lassen. Es ist nur ein zufälliges Zusammentreffen, daß auf Zeile 4 der betresfenven ReichStagSdrucksache von den Pausen der jugendlichen Arbeiter in Fabriken die Rebe ist unv daß daselbst eine tägliche Arbeitszeit sür diese von acht Stunden vorausgesetzt ist, während einige Zeilen weiter die Ruhe der Handlungslehrlinge, also auch jugendlicher Arbeiter auf zehn Stunden festgesetzt und damit eine gesetzlich anerkannte Arbeitszeit von 14 Stunden ge schaffen avird. Zugegeben mag werden, daß diese Arbeitszeit nickt immer mit schwerer Arbeit ausgefüllt wird, wer aber Gelegenheit hat, in kleinen StädtendasGeschäft eines Kaufmanns zu beobachten, wird finden, daß der Lehrling immer beschäftigt ist, auch wenn e» einmal eine leichte Arbeit ist. Daß durch ein solches Uebermaß von Anstrengung nicht die fachliche Bildung, die auS Büchern und FortbildungSunterricht geschöpft wird, gefördert wird, liegt aus der Hand, und man kann es daher weder den Gehilfenverbänden, noch den zahl reichen einsichtigen Principalen verdenken, wenn sie die Kauf leute, die aus der Lcbrlingsausbeutung ein Geschäft machen, treffen wollen. Aehnlich liegen die' Verhältnisse für die Gehilfen. Durch die Erhebungen der Commission sür Arbeiter statistik ist festgestellt worben, daß bei den in die statistische Aufnahme einbezvgenen Ladengeschäften — etwa 10 Procent der im Reiche vorhandenen Betriebe, welche durch Detail verlauf in offenen Verkaufsstellen der Befriedigung täglicher Bedürfnisse dienen und in denen mindestens ein Gehilfe thälig ist — die Ladenzeit, d. h. die Zeit, innerhalb welcher der Laden geöffnet ist, nur bei 14,9 Procent weniger als 12 Stunden, dagegen bei 22 Proceut bis zu 13, bei 17 Proc. bis zu 14, bei 18 Proc. dis zu 15, bei 21 Proc. bis zu 16 nnd bei 6,5 Proc. über 16 Stunden beträgt und somit in mehr als der Hälfte der Geschäfte länger als 14 Stunden dauert. Die Ausdehnung der Ladenstunden bis in den späten Abend scheint im Norden des Reicks weit mehr verbreitet zu sein als im Süden, wo namentlich Ladenzeiten bis zu 16 Stunden und mehr nur vereinzelt angetroffen worden sind: im Uebrigen aber kommen Labenzeiten von der ange gebenen Dauer sowohl in den großen und mittleren Städten als auch in den kleineren Orten und auf dem Lande vor. Die vorstehenden Angaben enthalten Durchschnittszahlen sür die Dauer der Ladenzeilen in den befragten Geschäften. Noch ungünstiger ist das Bild, welches sich bei der Be trachtung der Verhältnisse in einzelnen Arten von offenen Verkaufsstellen ergeben hat, insbesondere für die Geschäfte mit Tabak und Cigarren, frischen Nahrungsmitteln, Colonial- und Materialwaaren. Bei den Tabak- und Cigarrengeschäften ist eine Ladenzeit von mehr als 14 Stunden in 72,2 Proc.,! von mehr als 16 Stunden in 9,6 Proc. der befragten Be triebe ermittelt worden. Zn den Nahrungsmittelläden fand sich bei 73,4 Proc. eine Ladenzeit von mehr als 14 Stunden, und in 48,4 Proc. der Geschäfte war der Laden länger als 15 Stunden geöffnet. Bei den Colonial- und Material waarengcschäften steigt die Zahl der Geschäfte, in denen der Laden länger als 14 Stunden offen bleibt, aus 81,4 Proc.; bei 63,9 Proc. dieser Geschäfte wurde eine Ladenzeit von mehr als 15 Stunden festgestellt, in 16,5 Proc. dauerte sie länger als 16 Stunden. In Betracht kommt hier auch, daß die Geschäftsräum lichkeiten nicht immer den Anforderungen entsprechen, die man in gesundheitlicher Beziehung an sie stellen muß. Vom kaiser lichen Gesundheitsamt ist, und die Statistik der Kranken- cassen beweist eS, anerkannt worden, daß der Mehrzahl der Geschäfte nur beschränkte Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, in denen die Luft durch die Ausdünstung der Waaren den Staub und die künstliche Beleuchtung und den Menschen verkehr zum Schaden für das Wohlbefinden der beständig sich in ihnen aufbaltenden Personen oft in hohem Maße ver schlechtert wird. Hierzu kommt, daß die Bedienung der Kunden nicht wohl anders al« im Stehen erfolgen kann und daß es für die Zeit, wo keine Kunden zu bedienen sind, vielfach an der nöthigen Sitzgelegenheit für das Personal fehlt. Zn manchen Geschäften ist demselben daS Niedersiyen im Ladenraum über haupt nicht gestattet. Diese Verhältnisse heben nickt nur einen großen Theil der Vorzüge wieder auf, welche die Laden angestellten im Vergleiche mit den in Fabriken und Werk stätten beschäftigten Personen durch die häufigeren Unter brechungen ihrer Beschäftigung genießen, sondern sie sind auch, insbesondere für die jugendlichen unv weiblichen Angestellten, die Ursache häufiger und oft schwerer Gesundheitsschädigungen. Mehrfach sind bei den Erhebungen auch Klagen darüber laut geworden, daß in manchen Geschäften die Verkaufsräume während der kalten ZahreSzeit aus Rücksicht auf die feil gehaltenen Waaren auch dann nicht erwärmt zu werden pflegen, wenn der Boden ungedielt oder mit Fliesen belegt ist. ES wird zuzugeben sein, daß auch hierin gewisse Gefahren sür die Gesundheit deS Personals liegen können. Die Maßnahmen, die hiernach zum Schutze der Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter in den offenen Läden erforderlich er scheinen, machen den Erlaß neuer gesetzlicher Bcftimniuuacn nothwend'g. Denn die bisher unternommenen Versuche, die Ladenzeit und damit die Arbeitszeit der Angestellten auf dem Wege freiwilliger Vereinbarung der Geschäftsinhaber unter einander zu verkürzen, sind bisher an dem Widerstreben eines Theiles derselben, nicht selten nur einzelner Ladeninbaber, geslcheiert. Dieselben Erfahrungen bat man im Auslaute gemacht. Zm H 139o des Entwurfs ist daher eine gesetzliche Regelung für die Verkürzung der Arbeitszeit in Aussicht genommen. Ferner ist durch H 62 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches vom 10. Mai 1897 in Anlehnung an die Vorschriften der ZA 120» und 1201) der Gewerbeordnung und des tz 618 des Bürgerlichen Gesetzbuches für den Geschäftsinhaber die Verpflichtung begründet worden, die Geschäftsräume und die für den Geschäftsbetrieb bestimmten Gerätbsckaften so einzu richten und zu unterhalten, auch den Geschäftsbetrieb und die Arbeitszeit so zu regeln, daß der Handlungsgehilfe gegen eine Gefährdung seiner Gesundheit, soweit die Natur des Be triebes es gestattet, geschützt und die Aufrechterhaltung ver güten Sitten und des Anstandes gesichert ist. Nach Absatz 3 a. a. O. hat jedoch die Mißachtung dieser Vorschriften ledig lich die Verpflichtung zum Schadenersätze nach den für uner laubte Handlungen geltenden Bestimmungen der tzA 842 bis 846 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Folge; dagegen kann der Geschäftsinhaber nicht wie die übrigen Gewerbetreibenden mit Hilfe des staatlichen Zwanges angehaltcn werden, jenen Verpflichtungen durch geeignete Einrichtungen und Vor kehrungen gereckt zu werden. Die Befolgung der im Artikel 62 Abj. 1 des Handelsgesetzbuchs ausgestellten Grundsätze ist daher gegenwärtig dem Belieben des Verpflichteten überlassen. Hierin kann ein ausreichender Schutz für die Angestellten und Arbeiter nicht gefunden werden; es bedarf daher einer Er gänzung der civilrechtlichen Grundsätze durch die Aufnahme besonderer gewerbepolizeilicher Vorschriften in die Gewerbeordnung. Diese Bestimmungen sind in den ZZ 139k und 139 g des Entwurfs vorgesehen. Die gesetzlichen Bestimmungen, welche in Anbetracht dieser Erörterungen die Novelle vorschlägt, sind kurz gefaßt: eine Ruhezeit von mindestens zehn Stunden, eine »angemessene" Mittagspause, Ausnahmen gelten bei der Inventur, Arbeiten zur Verhütung des Verderbens von Waaren, während der letzten zwei Wochen vor Weihnachten und an zehn örtlichen bestimmten AuSnahmetage.n Ferner enthält die Novelle die Befugniß der Polizeiehörden zu Maßnahmen, welche die ArbeitSräumlichkciten gesundheitlich bessern, und analog der Bestimmungen für Handwerkslehrlinge, die Anhaltung zum Besuch von Fachschulen rc sür Gehilfen und Lehrlinge unter 18 Jahren. Von einem gesetzlichen Ladenschluß hat die Novelle abgesehen, dafür setzt sie fest, daß die Verwaltungsbehörde, wenn eS zwei Drittel der betheiligten Geschäftsleute verlangten, anordne» kann, während bestimmter Stunden, in der Zeil zwischen 8 Uhr AbendS und 6 Uhr Morgens oder 9 Uhr AbendS und 7 Uhr Morgens die Verkaufsstelle für den geschäftlichen Verkehr zu schließen. Ob diese Bestimmung den Werth hat, den man ihr beimißt, steht dahin, richtiger wäre ein allgemeiner Schluß gewesen, indessen die Zurück weisung, welche dieser Vorschlag bei der weil überwiegenden Mehrzahl der Geschäftsinhaber und in der öffentlichen Meinung erfahren Hal —, sie mag zwar inzwischen hier und da einer günstigeren Beurtheilung gewichen sein —, ist so stark, daß die Regierung für die Regelung der Arbeitszeit in den offenen Läden einen Weg sucht, der weniger tief in das Geickäflöleben eingi eift, und dabei doch den Angestellten und Arbeitern das ihnen billigerweisc znkonimendc Maß von Ruhe nnd Erholung sichern soll. Wie schon bemerkt, für unsere Stadt ist diese Novelle ohne große Bedeutung, weil hier die Zustände günstiger sind, für andere Stätte des deutschen Reiches ist sie von ein schneidender Bedeutung. Die Wünsche der Handlungsgehilfen find aber durch diese neuen Bestimmungen, die noch ter Ge nehmigung des Reichstages unterliegen, nicht völlig erfüllt. Die Ruhezeit von zehn Stunden ist zu gering, die „an gemessene" Mittagspause zu unbestimmt. Ganz besonders er scheint die Arbeitszeit für weibliche Personen, im Znteresse der Gesundheit und Sittlichkeit zu hoch, auch ter 8-Uhr-Laden- schluß, deu mau bis vor wenigen Jahren auch in unserer Stadt noch beinahe ohne Ausnahmen hatte, wird empfohlen, zur Uebcrwachung der gesetzlichen Bestimmungen über die Einrichtung der Geschäfts räume werten besonvere Aufsichtsbeamte, wie bei den Fabriken, verlangt, die Verpflichtung zur fachlichen Erziehung der Lehr linge erscheint nickt im Gewerbegesetz präcisirt und macht neue Bestimmungen nölbig, nnd eine Erweiterung der Sonntagsruhe wird für dringend nöthig erklärt. Daun aber wünsckt man die Bestimmungen, die geeignet sind, ci- Lage der Gehilfen zu verbessern, nicht nur ans die Gehilfen in offenen Verkaufsstellen ausgedehnt, sondern auf alle Ge hilfen in Couloren, Magazinen, Lägern ec. Es sind dies Wünsche, die in Anbetracht der zahlreichen Schutzbestinimungeii sür Arbeiter nicht unbescheiden sind. Zu ihrem Sprachrohr hat sich auch ter angesehene Verband Deutscher Handlungs gehilfen gemacht. Bei ruhiger Prüfung der Sachlage wird man finden, daß gerade die drückende Coucurrenz der selbst ständigen Geschäftsleute einen Schutz der Angestellten fordert, damit nicht durch gewissenlose Ausbeutung der Arbeitskraft seitens des Einen die wirtbschaflliche Situation des Andern, deS humanen PrincipalS, geschädigt wirt. Befremdlich wirkt auf den ersten Blick die gewerbcpolizeiliche Regelung gewisser Zustände im Kaufmannsstande, umgehen läßt sie sich aber nicht mehr, da auch der Kaufmannsstand sich vielfach geändert hat und die Organisation der Geschäfte eine andere geworden ist. Deutsches Reich. * Berlin, 23. März. Zur Vorgeschichte der von der Reichs^ost geplanten Einrichtung eines all gemeinen Check- und Ausgleichungsverkehrs wird dem „Schwäb. Merc." geschrieben: Der Vorschlag der Ein richtung eines allgemeinen Check- und Ausglerckungsverkebrs bei der deutschen Reichspost ist schon im Zahre 1877 unc zwar in einer von der deutschen Verkehrszeitunz in ihrem ersten Zahrzang mitgetheilten längeren Abhandlung über Vie englische Post an die Oeffsntlichkeit getreten. Der Ver fasser derselben faßte seinen Vorschlag in der folgenden Be trachtung zusammen: Bei der Lage Ler deutschen Privatbanken ist an eine Per- allgeniciiieruiig des Checkverkehrs durch diese nicht zu denken. ES führt dies darauf, sich nach einer öffentlichen Einrichtung umzusehen, die nach ihrer wirklichen Beschaffenheit jene bankmäßigen Dienst, leistungen übernehmen könnte. Ohne weitere Umschau zu halten, finden wir eine solche Einrichtung in der deutschen Post. Tie Post mit ihren Hilfsmitteln bietet alle Eigenschaften, die sic zu der be zeichneten Nolle befähigen: Vertrauenswürdigkeit, GeschüstSkenntnist und neben einer au Allgegenwart streifenden Ausbreitung eine Cen- tralisation, wie sie, nachdem ihr noch die Telegraphie zugewacksen ist, eine andere Verwaltung weder besitzt noch besitzen wird. Tie hieraus zu ziehende Schlußfolgerung ist die, daß die Post sich nickt mit dem Geldanweisungs- nnd Incassogeschäft zu begnügen, sondern auch einen Theil deS Tepositengefchüsts, Les Contocorrents und den Eheckverkehr zu ihren berufsmäßigen Functionen zu zählen habe. Der Beamte, der vor nunmehr 22 Jahren solches ge schrieben, ist Ler frühere Postdirector Becher, der in un mittelbarer Anschauung englischer Verhältnisse sich von deni Nutzen der in Frage stehenden Einrichtungen überzeugt unv seiner Ansicht über die Zweckmäßigkeit einer Uebertrazung auf deutsch: Verhältnisse in der angegebenen Form Ausdruck verliehen hat. Der genannte Beamte batte als geborner Württemberger um Vie Mitte der 60er Zahre in Tübingen eamerali» stukirt, war 1866 Finanzreferendar geworren und in der Folgezeit bei der Verkebrsverwaltung eingetreten. Im Jahre 1870 zu der deutschen Postabministration in Reims beordert, kam er nach Schluß der kriegerischen Episode als bereits in Württemberg angestellter Beamter in den Fenilletsii. Das echte Recept. Skizze von Stephan Szomahazy. Deutsch von C. Langsch (BreSlau). Nachdruck verboten. I. Im Jahre 1825 erfand Johann Golf die conservirte Ein brennsuppe. Dies war ein weißes Pulver, von dem ein halber Löffel, in einem Liter kochendes Wasser verrührt, genügte, um eine vorzügliche Nahrung für zwei Personen zu geben. Johann Golf, der bis dahin als armer Gastwirth in einem entlegenen Theile von Graz lebte, schloß zehn Jahre später als angesehener, reicher Fabrikant seine Augen zum ewigen Schlummer. Die kleinen Haifischen Blechschachteln wurden bald populär, und in fast allen Cantinen löffelten die Soldaten vergnügt ihre wohlschmeckende Einbrennsuppe. Als sich nun Johann Golf der Aeltere in seinem eleganten nach dem Garten zu gelegenen Schlafzimmer zur letzten Reise anschickte, übergab er mit geheimnißvoller Geberde das vergilbte Recept der Suppenconserve Johann Golf de m Jüngeren. „Ich lege Millionen in deine Hand", sagte er dabei mit verlöschender Stimme. Johann Golf der Jüngere leitete rund 25 Jahre, also bis 1860, die mächtig emporblühende Fabrikcolonie. Die Schutz marke seines Fabrikate-, eine auf einem Mörser sitzende Angora katze, war nun schon in allen mittleren Haushaltungen Europas zu finden und die Kinder von Tattaro und Lettinje brockten mit demselben Behagen ihre Semmeln in die bräunliche Suppe, wie die aus Tromsö oder Kopenhagen. Golf II. konnte schon in einem der vornehmsten Seebäder von den Anstrengungen der Wintersaison ausruhen, und als er eines Juliiages am Strande deS Meeres seine letzte Stunde her annahen fühlte, reichte er mit zitternden Händen seinem Sohne Johann Golf III. ebenfalls das zerschlissene Recept. „Hier übergebe ich Dir unseren Reichthum", sagte er. „Keine lebende Seele, außer uns Beiden, kennt die Bereitung der Lon- seroen. Die einfachen Verrichtungen der 600 Arbeiter wirst Du im Besitze diese- Papiers leiten können. Johann Golf III. erwarb sich in kurzer Frist ebenfalls ein großes Vermögen und legte schon bei Lebzeiten dar Recept in die Lände seines Sohnes Johann IV. Dieser stand bis in die achtziger Jahre der Fabrik vor und spielte gleichzeitig als vor« züglicher Reiter auf den Derbyrennen eine bedeutende Rolle. Sein Fabrikat erhielt selbstverständlich zahlreiche erste Preise und Medaillen und viele Concurrenzunternehmungen versuchten es nachzuahmen. Das Publicum aber, das nun schon an 60 Jahre die Einbrennsuppe schlürfte, ließ eine Firma nach der anderen eingehen, denn, sagie man jedesmal, das sei nur eine schlechte Sudelei gegen die aromatische echte Golfsuppe. Unter Johann Golf IV. aber geschah es, daß der Storch hart näckig ein Mädchen nach dem anderen ins Haus brachle, bis es ihrer neun geworden waren. Noch eine Zeit lang hoffte man auf den kleinen Buben, dann aber fügte man sich in das Unabänderliche und begann resignirt Kristina, das älieste der Mädchen, als Erbin des Golf'schen Familicngeheimniffes zu erziehen. Kristina verstand auch die ihr zukommende Münde mit dem gehörigen Stolz zu tragen, und Anfang der neunziger Jahre erbte das reizende, dunkeläugige Mädchen wirklich die Quelle der Größe ihrer Familie, nämlich das gelbe, befleckte und abgegriffene Recep:, nachdem ihr Johann Golf IV. in seiner Sterbestunde gcheimniftvoll flüsternd gesagt hatte: „Zeige niemals irgend Jemandem dieses Papier. . . Seine Wunderkraft besteht eben darin, daß Niemand außer dem Fa milienhaupte darum weiß." Dann starb er, und Kristina bezog die prächtige Familien wohnung, deren Fenster nach der Fabrik hinaus gingen. Das kostbare Recept hatte sie achselzuckend in einer Arnheim- cassette verschlossen. II. Alsbald engagirte Kristina einen jungen Mann, Namens Karl Müller, der bisher in einer Stettiner Pulverfabrik den Posten eines Jnspectors bekleide, hatte, als Director ihrer Werke. Und so flogen denn die kleinen Conservenschachteln weiter fröh lich auf die Tische der civilisirten Familien, ja, der neue Director bezog sogar die afrikanischen Colonien mit Glück in den riesigen Kundenkreis der Fabrik noch ein. Die reizende Kristina öffnete lächelnd den Millionen ihre Fenster, sie flogen herbei und die Einbrennsuppe verwandelte sich in kostbare Seidenroben, blitzende Brillanten und andere Ge schmeide für die junge Erbin, die bisweilen, wenn sie den Fenchel- und Brenngeruch der Fabrik einsog, hochmüthig dachte: „Was mögen das für Menschen sein, die dieses elende Gericht essen mögen!" Eines Septembermorgens saß Kristina in einem abgelegenen Theile ihres Parks und la» eine Ohnet'sche Erzählung, al- plötz lich eine bekannte Stimme neben ihr sprach: „Verzeihung, gnädiges Fräulein. Ist «r erlaubt, Sie «inen Augenblick zu stören?" Es war Karl Müller, der junge Director. Erstaunt musterte ihn das Mädchen und fragte dann: „Wünschen Sie eiwas?" „Allerdings, Fräulein Kristina. Es ist eine wichtig: An gelegenheit, in welcher ich Sie aufsuche. . . . Nach zwei schlaf losen Nächten habe ich endlich beschlossen, mich Ihnen zu offen baren. . . . Seit dem ersten Tage, da ich hier eintrat, verehre ich Sie, liebe ich Sie. ... Es ist keine kindische, vorübergehende Neigung, sondern ein ernstes, norddeu.sches Herz spricht in diesem Augenblick zu Ihnen. . . . Sie stehen allein und haben Nie manden, außer Ihren Millionen! Möchten Sie nick: eine hin gebende Seele, einen treuen Freund, einen liebenden Gatten be sitzen? . . . Auch für die Fabrik ist es wünschenswenh, daß ein starker Mann an ihrer Spitze stehe, um die Firma mir Energie zu vertreten. . . . Fräulein Kristina, — ich lege mein Schick sal in Ihre Hände. . . ." Kristina blick:« dem Director ruhig in die Augen und frag:e dann lächelnd: „Lieber Müller, Sie müssen schleunig Eisen einnehmen, denn Ihr Gehirn scheint sehr blutarm zu sein. . . Ich sage blutarm, mit e:waS bösem Willen könnte ich es noch anders bezeichnen." „Wie anders?" „Daß Sie ein bischen dumm, ein bischen sehr dumm sind, lieber Müller." Der Director hob seine Hand empor, wie einst der erbitterte Coriolan, und sagte zitternd: „Gut. . . Ich werde bald zeigen, daß ich nicht dumm bin, und Ihnen sowohl Ihre Fabrik als die Millionen unter den Füßen fortreißen. Denken Sic an mich!" Kristina nahm das Buch wieder zur Hand und sagte höflich zu Herrn Müller: „Reisen Sic, soviel Sie wollen. . . . Heule Abend aber schnüren Sie Ihr Bündel, damit ich Sie morgen nicht mehr hier zu sehen brauche." III. Am anderen Morgen suchten die Aufseher der Fabrik ein: Audienz bei ihrer jungen Herrin nach. „WaS giebi es denn?" fragte Kristina verdrießlich. „Der Direktor ist heut' nicht im Bureau erschienen", sagten sie ehrerbietig, „und es ist Niemand da, der das rothe Pulver herausgebe. 600 Arbeiter stehen müßig an ihren Maschinen." Kristina zog den eleganien Schlafrock fester zusammen. „Warten Sie einen Augenblick, ich werde daS Recept suchen." Sie durchwühlte die Arnheimcassett«, zog alle Schubladen und Seitenfächer heraus, — umsonst, da» geheime Recept war verschwunden. Wo konnte e» hin sein? Plötzlich fuhr sie sich nach der Stirn. Der rachsüchtig: Müller mußte eS mitgenommen haben! Es war klar, daß die Quelle der Golf'schen Millionen in fremde und böswillige Hände geralhen war. Was sollte nun aus der Fabrik, den Arbeitern und den harrenden Aufsehern werden? . . . Einen Augenblick stand Kristina rathlos, dann zuckte sie leich: mit den Schultern. „Man muß ja nicht immer nach der alten Schablone arbe: ten", Lachte sie Warum soll sich nicht nach einem neuen Recepl auch eine gute Brennsuppe fabriziren lassen?" Und zu den Arbeitern sagte sie: „Nehm: also drei Theile Kümmel und einen Theil Anis, oder auch umgekehrt . . . Das ist gan; gleich. . . . Schlechter kann es nicht werden, als es vorher war/ Tie Maschinen gingen nun wieder. Aber guter Gort, wa- war au» der prächtigen Brennsuppenconserve geworden? T - braune wohlschmeckende Brühe hatte sich in eine unangenehm schmeckende Flüssigkeit verwandelt. Erschrocken sagten die Aufseher: „Das ist keine Suppe mebr, Las schmeck: wie Arzenei." Was sollte nach alledem aus dem schlechten Fabrika: weroen, da doch im Laufe von 50 Jahren sie vielen Uniernehmungeu, die die Golfconseroen zu verdrängen suchten, rrotz der vorzüglichen Empfehlungsschreiben Ler Chemiker vom Publicum unbarm herzig zurückgewiesen wurden? Zu allem Ueberfluß erschienen nun auch die Müller'schen Conscrvenreclamcn mit einem Wolle wickelnden Lindwurm als Fabrikzeichen, und 100 000 Liechschachteln flogen im Verlauf zweier Monale mit dem echten Golf'schen Recept, das die schöne Enkelin so leichtsinnig aus den Händen gegeben hatte, nach allen Richtungen in die Welt. Tas Publicum aber, das die Müller scheu Conserven zu kosten bekam, sagte mißmuthrg: „Das ist wieder so eine verunglückte, geringe Nachahmung. O, wir lasten uns nicht so leich: be trügen." Dann öffneten die Fanatiker ihrer Ueberzeugung die Golf scheu Schachteln und nickten, währens sie die unangenehme Brüh schlürften. befriedigt mit dem Kopfe: „Ja, das ist das einzig Wahre! Es geht doch nichrs über eine aromatische, echte Golfsuppe!" Und die Müller'schen Conserven verdarben in den Kaufläsen als Ladenhüter, die Golf'schen hingegen behiel:en ihre gewohnte Dolkschümlichkeit in der cioilisir:en Wel:. Nach einem Jahre machte die Firma „Karl Müller" Banke rott. Kristina aber konnte die Hauptbücher der Sparkasse mit neuen Einlagen belasten und heirathe:« »in paar Monate später Sen Herzog von Monrefalko.
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