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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.04.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990404011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899040401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899040401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-04
- Tag1899-04-04
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Tii Mlirpn «schedü « »/,7 Uhr. W Uhrl^WGDihG Wh^h»1<il» 6 Etz«^ RÄ«ttß» «» C«Er«: B<tz<MrtDO<R» E^ /Ml«: ktt» M«m»'» Ssrtt». (Alfretz Wch»), Uuwersttätsstratz« S (Vautiamn), Lot» Ltsche, Kathardunstr. 14, -art. nnd KSnkgSplntz 7. Morgen-Ausgabe. MpMer JaMM Anzeiger. AmtsktatL -es königlichen Land- ««- Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes nn- Nalizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Aazeigea-Prel- -ie 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem RrdactionSstrich (4ge spalten) b0^4, vor den Familtennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Prris- vrrzeickmiß. Tabellarischer und Zifiernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Posrbesörderung M.—, mrt Postbeförderung ^ll 70.—, Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Bei den Filiale» und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anreigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^W. Jahrgang. Dienstag den 4. April 1899. Vor sechzig Jahren. 8«r Erinnern«, an die Eröffnung der Leiprig-Tresdner Eisenbahn, a» 7. April 1839 Don vr. Richard Markgraf in Leipzig. Am 7. April werden es gerade 60 Jahre, daß rin Dampf- wagmgug -um ersten Mal« auf der di« Städte Leipzig und Dresden vervindendeer Eisenbahn dahin brauste. Es war di« Eröffnungvfahrt der zweiten deutschen, durch Dampfkraft befah re«» Efffenlbahn, nachdem die Mrnberg-Fürther bereit» Im Derember 1836 dem Betriebe Übergeben worden war. Von welch ungeheurer WichtiiyDeit diese» Ereignitz trotz mancher Hindernisse für alle Eultur- und WivchschaftSverhöltniff« geworden ist, be darf wohl jetzt keiner näheren Ausführung. Schon denkt man kaum mehr an dbe Hemmnisse und Schwierigkeiten, welche die ersten Bahnen farmen. E» dürfte daher von Interest« sein, die ersten Anfänge de» deutschen Eisenbahnwesen» wieder einmal vorzuführen und di« Erinnerung an jene Tage wachzurufen. Bereit» im Jckhre 1830 sprach der Kramermeister Tenner in Leipzig die Idee «u», Leipzig durch eine Eisenbahn mit der Ekbe bei Strehla in Verbindung zu setzen. Doch ließ die stür mische Zeit von 1830 da» Projekt wieder in den Hintergrund treten. Da war e» denn der in dieser Hinsicht äußerst thätige und auf ganz Deutschland einflußreiche Nordamerika»ische Con- sul zu Leipzig, Friedrich Lift, der den Gedanken 1833 wich»er aufnähm und bei Bielen ein« lebhaft« Theilnahme dafür zu erwecken wußte. Der nächste Anstoß zur Verwirklichung dieser Idee ging von Wilhelm Seyfferth au». Dieser, auf seinen Reisen in England mit den Vorzügen der Dampf wagen bekannt geworden, war e», der sich im Herbst 1833 zuerst mit Friedrich List in» Einvernehmen setzt« und im Verein mit Albert Dufour-Fßronce, Gustav Harkort und C ar l Ä ampe, wozu noch die Kaufleute W. Groß und Aug. OleariuL kmnea, die Frage zur Derathung brachte, wie die Ide« einer Eisenbahn von Leipzig nach Dresden verwirklicht werden könnte. List wie» hierbei darauf hin, daß vor Allem die Regierung wi« Stände für die Sache gewonnen werden müßten. In seiner Schrift über «in sächsische» Eisenbahnsystem, „als Grundlage «ne» allgemeinen deutschen Eisenbahnsystems und insbesondere über die Anlegung einer Eisenbahn von Leipzig nach Dresden" slLeipzig 1833, bei A. G. LiebeSkind), hatte er sich deshalb auch an die hohen und höchsten Behörden im Königreich Sachsen gewendet, von der Ueberzeugurrg ausgehend, daß sowohl di« Gesetzgebung al» der StaatScredit erforderlich seien, um die Erbauung von Eisenbahnen zu ermöglichen. Man hatte hierbei zwar zunächst die Anlegung einer Eisenbahn zwischen Leipzig und Dresden im Auge, dachte sich diesekbe aber zugleich im Zusam menhänge mit «non norddeutschen Eisenbahnsystem und Leipzig al- Mittelpunkt desselben, wie «S Mittelpunkt de» deutschen Bin nenverkehrs und des Buchhandels mit seinen Messen war. Der deutschnationale Gesichtspunkt wurde hierbei wesentlich hervorge hoben. Der der gedachten List'schen Schrift brigefügte Wan ging noch weiter, indem er die Limen für «in allgemeines deutsche» Cisenbahnsystem enthielt, und zwar in einer mit den späteren Ausführungen ziemlich übereinstimmenden Weise. Für die Eisenbahn von Leipzig nach Dresden wurden darin die Kosten auf 1 Million resp. 600 000 Thaler geschätzt. Di« genannten Manner setzten sich nun zunächst mit dem da maligen königl. RegierungS-Eommissar in Leipzig, dem Hof- und Justizrath vonLangean.in Verbindung, der von An fang an daS thätigste Interesse für da» Unternehmen bezeugte, und beschlossen, di« für unbedingt erforderlich erachtete Theil- nahm« der Regierung durch «ine Petition zu erwirken. Durch Aussätze im „Leipziger Tageblatt«" und den Einfluß der Presse war da» Publicum vorbereitet worden. Die Petition, von dem damakigen Handettconfutlenten Wiesand entworfen, ging denn auch mit 316 Unterschriften der angesehensten Personen und Handelshäuser Leipzigs unterm 20. November 1833 an den ge nannten königl. Regierungs-Commissar zur Vermittelung oder Uoberreichung bei der Regierung ab. Gleichzeitig ging di« Pe tition an die zu gleicher Zeit tagende Ständeversammlung. In den beiden Kammern erfolgten hierauf den Gegenstand aner kennende Erklärungen, wie auch die Regierung die Petition gün stig aufnuhm. Der Landtag beriech noch vor seinem Schlüsse das nothwendig« Expropriatronsgesetz. Am 10. Mai 1835 konnte daS Comits mit chatsächlichen Resultaten seiner Vor arbeiten auftreten. In der Ostermeffe desselben Jahres fand di« Zeichnung der erforderlichen Aktien statt, und binnen einiger! Stunden war «in Capital von mehr als einer Million Thalern gedeckt. Leipzig erschien bei Weitem über di« Hälft« an dem Unternehmen betheiligt. Unter Harkort' S umsichtiger Lei tung schritt daS Unternehmen langsam, aber sicher vorwärts. Tüchtige Techniker wurden berufen und zuerst über den Lauf der Bahn berathen. Zwei Richtungen jparen endlich ermittelt wor den, nämlich über Meißen, mit einem Kostenanschläge von 1956 000 Thalern, und die ander« üb«r Strehla mit 1808 500 Thalern Kostenaufwand. Dazu trat später noch ein dritter Plan, in einer Richtung zwischen den beiden projectirten Bahnlinien mitten inne. Bei den streitigen Ansichten über dir Richtung der Bahn unternahm daS Directoriumstnitglied vr. CrusiuS «ine Reise nach Belgien und England. Ihn beglei tete der Hauptmann Kunz, auf den als bauleitenden Techniker man von Anfang an sein Augenmerk gerichtet hatte. Di« beiden Herren kehrten Anfang September 1835 von ihrer Reise zurück mit festem Vertrauen auf da» Gelingen deL vaterländischen Unternehmens. Sie hatten «inen Eisenhcchntechmker von Ruf und Erfahrung, dm Ingenieur James Walker, President of the Institution vf the Tivil-Engineers, gewonnen, der die Linie besichtig«» und seinen Ausspruch über die Wahl des Trakts und die weitere Ausführung thun sollte. Am 13. Oktober 1835 traf derselbe in Begleitung eines Assistenten Namms Hawkshaw in Leipzig ein. Walker erklärte den Aahngug über Meißen mit großen Schwierigkeiten verbunden und wirkte dahin, daß sich da» Direktorium für den Trakt entschied, der wie jetzt unterhalb Meißen die Elbe überschreitet und auf dem rechten ENufer bei Neustadt-DreSden ausmündet. Am 16. November 1835 begann di« Erwerbung deS zur Bahn nüthigen Grund und BodenS, Lieferungicontrarte wurden geschlossen und der Bau begann zwischen Wurzen und Leipzig, vorzüglich mit der Brücke über die Mulde oberhalb Wurzens, namentlich unter der Oberleitung des verdienten königl. Wasserbauinfpectvrs Hauptmann Kunz als Oberingenieur. Vielen ging das Vorfchreiten der Bauarbeiten nicht rasch ge nug; doch stellt« man sich schon zufrieden, als endlich die Bahn von Leipzig aus am 24. April 1837 bis zu dem zwei Stunden von der Stadt entfernten Dorf Alth« n eröffnet ward. Ein hölzerner Schuppen für den Personenverkehr war auf dem hiesi gen Bahnhöfe erst prvjectirt, in Althen aber auf einem von der Gemeinde «pachteten Areal ein« interimistische Restauration au» ein«r Art hölzerner, mit Sand gefüllter Kasten aufgebaut. Die erste Fahrt erfolgte am gedachten Tage früh 9 Uhr und wurde nur von dem Direktorium, den Ausschußmit- gliedern und eingeladenen Gästen benutzt. An derselben nahm noch Prinz Johann Theil, der sich überhaupt für den Bau lebhaft interessirte und di« Erdarbeiten schon vorher besucht hatte. Die übrigen Fahrten erfolgten in Zwischenräumen von einer Stunde. Die Fahrpreise waren zu 8 Groschen in der I., zu 6 Groschen in der II. Classe und zu 4 Groschen in der III. Classe berechnet; die Fahrbillets, welche in der Regel zur Rückfahrt von Mrhen, jedoch an eine Person auf einmal nicht über fünf, auSge- geben wurden, lauteten wie bei den Fahrposten auf «inen be stimmten numerirten Platz. Die sonstigen Bestimmungen für Aufrechterhaltung der Ordnung hatten bei ver Neuheit der Sache viel Schwierigkeiten gemacht. Namentlich handelte es sich um die Instruction deS Bahnwärter-Personals und die erforderlichen Signale, welche damals von Wärter zu Wärter mit kleinen Flaggen gegeben wurden. Des erwarteten Andranges wegen hatte die Beihörde zuerst sogar die Bewachung der an die Bahn angrenzenden Felder verlangt. Die ersten Fahrten gingen glück lich von Statten und ergaben am 24. April 1837 «inen Erlös von 268 Thalern 8 Groschen, am 25. April von 254 Thalern 1 Groschen. Wurden in der folgenden Zeit dieselben auch mit unter unterbrochen, ereignete «s sich namentlich auch zuweilen, daß von Leipzig nach Althen mit dem Dampfwagea gefahrene Passagiere wegen Mangels an Platz oder plötzlich eintretender Betriebsstörungen mit irgend einer anderen Gelegenheit wieder zurück mußten, so war doch «in großer Schritt vorwärts gethan und «in bedeutsamer Erfolg erzielt. Man sammelte Erfahrun gen über den Oberbau, über Wagen und Maschinen, bildete einen Stamm für das BetrieLspersonal aus und erweckte neues Vertrauen zu dem Unternehmen. Welches Interesse diese Fahrten hatten, zeigt der Umstand, daß im Laufe des Jahres viel« aus wärtig« fürstliche Personen Gebrauch machten. Viel« schwiegen von nun an, als sie den Riesewdurchstich bei Machern zu beobachten Gelegenheit hatten, dessen Vollendung her kulische Anstrengungen verlangte. Endlich Anfang Mai 1838 war Machern erreicht und die gewöhnliche Redensart: „Wenn wir nur erst Machern erreicht haben, dann ist viel erreicht", bestätigte sich; denn rasch ging eS jetzt vorwärts von Ort zu Ort. Im Juli befuhr man die Bahn -von Leipzig aus bis Wurzen, von Dresden bis zur Weintraub«. Die am 31. Juli desselben Jah res ausgegebenen Eisenbahncassenschein« wurden überall, selbst in öffentlichen Casten, mit dem nöthigen Vertrauen beehrt. Gegen den Herbst dehnten sich die Fahrten schon bis über Oschatz aus, und am 21. November erreichte man das Ufer der Elbe bis Riesa. Noch waren der Viaduct bei Röderau, die Elb brück« bei Riesa, der Tunnel bei Oberau zu überwinden. Rüstig wurde daran gearbeitet. Der Winter 1838 auf 1839 hindert: wenigstens den Tunnelbau nicht, und der 7. April 1839 er schien endlich als der festliche Tag, an welchem die beiden Haup: stÄdte Sachsens durch die Eisenbahn auf die Nähe weniger Stunden zusamenenrückten. Außer an den König und das königl. Haus waren an distin guirte Personen Leipzigs und Dresdens, sowie der dazwischen gelegenen, durch die Bahnlinien mittelbar oder unmittelbar de rührten Ortschaften, namentlich an die Gemeindevertreter Ein ladu-ngen ergangen. Von Damen nahmen außer den Mit gliedern der königl. Familie und des Hofs die Frauen der Di rectoren und einiger Ausschussmitglieder an der Festlichkeit Theil. Dieselben Hatter als Ehrengeschenk eine kostbare, von ihnen gestickte Fahne dargebracht, welche den für die königl. Fa milie bestimmten Wagen schmückte. Allen Theilnehmern waren die Plätze in den Wagen angewiesen; auch war genau der Em pfang und die Begrüßung des Königs und des königl. Hauses durch die Direktoren, einige Ausschußmnglieder und derer Frauen vorgeschrieben. Die technischen Dispositionen hatte Oberingenieur Hauptmann Kunz mit großer Umsicht getroffen. Jeder Zug fuhr mir zwei Lokomotiven und Hütte einen Zugs- commandanten, sowie einen Schaffner und das erforderliche Zug personal. Ausserdem waren auf den Hauptstationen Wurzen, Oschatz, Prrstcwitz und Dresden Reservemaschrnen aufgestellt und die Ingenieure auf den verschiedenen Stationen placirt. lieber den Verlauf der Festlichkeit selbst sei Folgendes miige- theilt. Um 1 Uhr versammelten sich in dem reich geschmückten Bahnhofe, in welchem zwei Compagnien der Communalgarde mit ihrem Musikcorps ausgestellt waren, Vie Mitglieder des Direc toriums und der Gesellschaftsausschuß, die zu dieser ersten Fahrt eingeladenen Gäste und die, welche so glücklich gewesen waren, für diestlbe Fahrkarten zu erhalten. Aber schon lange vorher hatten Tausende von Zuschauern die Umgebungen des Bahnhofes umstellt. Ganz Leipzig feierte den Tag als einen Festtag. Ueberall herrschte in der Stadt unendlicker Jubel. Der erste Wagenzug, in welchem die geladenen Gäste ihre Plätze angewiesen erhielten, bestand aus 14 Wagen zu 24 und aus 2 Wagen zu 18 Personen; alle Wagen waren mit Fahnen und Laubgewn- den geschmückt. Der zweite Wagenzug bestand aus 4 Wagen zu 18 und aus 10 Wagen zu 24 Personen, und der dritte Zug aus 2 Wagen zu 18, aus 1 Wagen zu 24 und aus 13 Wagen zu 36 Personen. Jeder dieser Züge wurde vor 2 Lokomotiven ge führt, und dem letzten Zuge folgt« noch eine Rrservemaschine. Den Zug eröffnete die schöne Lokomotive „R. Stephenso n". Nachdem sich auf dem Bahnhöfe Alles geordnet und durch Musik daS Fest eingeleitet worden, trat der Kreisdirector I)r. v. Fal le n st« i n , zugleich in seiner Eigenschaft als königl. Commissar bei der Leipzig-Dresdner Eisenbahn, vor und sprach mit kräf tiger Stimme ungefähr folgende Worte: „So ist er denn erschie nen uad mit Jubel begrüßt worden, der herrliche Tag, dem Alle mit Sehnsucht entgegengeharrt, die die Wichtigkeit großer Er eignisse aufzufassen im Stande sind; gekommen ist er, der schöne Tag, an dem jeder Sachse mit edlem Nationwlstokze ausrufen FerriHetvn. Zwei LaiserLeplttatioiuu. 184--187». «in Blatt zur fnnfzi»jihrt,eu Erinnern»» an »en Empfang »er K«iser»ep»tatta« »nrch Artetzrich Wilhelm VI., K. April, vo» Norbert Oberhuber. NachdnUk «ertet«. Wie wunderlich hat doch die Geschichte im 19. Jahrhundert unserem Volke mitgespielt! Welch' ungeheure Umwege hat e» seine Geschicke nehmen lassen, — Eurven, deren Anfang»- und Endpunkt nicht eben weit von einander entfernt find, nur der Weg liegt zwischen ihnen, der wette Weg bitterer Erfahrung, schwerer Arbeit und blutigen Kampfe», den da» deutsch« Volk zurücklegen mutzte. Diese Erscheinung wird lebhaft vergegen wärtigt durch die Erinnerung an den Tag, an dem vor 50 Jahren die Abordnung de» deutschen Parlamente» vor Preutzen» König -rschien, um ihm die Kaiserkrone anzubietrn. Damal» war die Antwort ein „Nein", da» in weiten Kreisen Deutschland» schmerzliche Niedergeschlagenheit erweckte; 31 Jahre später er widerte ein anderer Preutzenkönig in der Präfektur zu Versailles auf den gleichen Antrag mit „Ja". Und doch standen die beiden Antworten ihren Gedankengängen einander nahe genug, und mancher Mann von 49 erschien auch 1870 wieder zu Versaille». Gerade darin spiegelt sich am deutlichsten die un geheure Wandlung, die unser Geschick in diesen drei Jahr zehnten durchgemacht hatte. « * » Am 28. März 1849 hatten 290 Abgeordnete in der Paul»- kirche zu Frankfurt a. M. König Friedrich Wilhelm IV. -nm deutschen Kaiser gewählt. In einem lauten JUbelruf machte sich die tiefe Bewegung der Deputirten Luft, durch di« Straßen der alten Reich»haupi>stadt pflanzte sich der Jubel fort, und Glockenklang und Kanonendonner mischten sich darein. Die kaisrrlofe, schreckliche Zeit war überwunden, der erbittert« Streit der Parteien entschieden, und Aller Hoffnung«, und wünsche begleiteten die 32 Minner, die dem Könige die Wahl anzeige» und seinen Bescheid entgegen nehmen sollte». Wackere, besonnen« Minner hatte man für diese Aufgabe auberwre», wie Vrseler, Rietzer, Biedermann: an ihrer Spitze aber stand Marlin Eduard Simson, der Königsberger 2ribunal»rath, der seit dem 19. Derember da» Präsidium der Versammlung führte und durch die, energisch« und geschickt, Erfüllung diese» Amte» sich ebenso wie durch sei» BaterlandAied, die allgemein, Achtung erworben hatte. E» tst hier nicht der Ort, di« streitenden Einflüsse zu charak terisier» «ad zu schildern, die auf di« Entscheidung de» König» in dieser Sache wirkten und die darum abwechselnd bei ihm die I Oberhand gewonnen, «eil er mit jeder der kämpfenden Fraktionen I etwa» gemein hatte. Der Kaiserruf schmeichelte ihn, aber der ß Revolutiontgeruch der dargedotenen Krone entsetzte ihn. Er stand auf der Seite der Mirstemnacht, aber er erkannte wieder, datz «» gerade in diesem Augenblicke nicht räthlich war, die Fühlung mit dem Parlamente aufzugeben. So schwankte er zwischen sich ausschließenden Wünschen und Rathschlägen. ES hieß damal», er habe auch den alten Humboldt gefragt, was er thun solle, und Humboldt habe geantwortet: „Ew. Majestät Groß onkel (Friedrich II.) würde sich keinen Augenblick besonnen haben." Worauf der König: „Wenn ich mein Großonkel wäre, so würde ich mich auch nicht besinnen; ich bin eS aber nicht." Jedenfalls herrschte im Berlin«! Schlosse nicht die Wärme der Stimmung, die der Deputation erwünscht gewesen wäre; und um sie zu erhöhen, beschloß sie, auf ihrer Reife einen großen Umweg zu machen, um so Kundgebungen de» allgemeinen En thusiasmus hevvorzurufen, die zu Berlin bestimmend in die Waagschale fallen könnten. Zurrst schlug diese Absicht gänzlich fehl. Am Rhein ward die Deputation kühl empfangen, in Köln mußte sie sogar eine Katzenmusik über sich ergehen lassen. Dann aber ward'» besser. In Magdeburg, Hannover, Braunschweig schlug ihr Enthusias mus entgegen; hier bildete die Bürgerwehr Spalier, dort wurde ihr eia Festmahl gegeben, und in Potsdam empfingen sie be freundete Mitglieder de» preußischen Landtages. Am 2. April war e», al» die Deputaten in Berlin eintrafen. In diesem Augenblicke lagen die Verhältnisse anscheinend günstig; bi» zum nächsten Lage aber — „zwischen Lipp' und Kelche»rand" — machte sich wieder «in entgegengesetzter Einfluß geltend und führte die Entscheidung herbei. . . . Mittag war». Die Deputaten subren nach dem alter»grauen Schlosse an der ^>ree. Städtisch« Gouipagen, keine Hofwagen .... «in bSse» Zeichen, meinten die Schwarzseher; und unserm würdigen Biedermann fiel di« bemerkliche Kühle der Hofdiener schaft auf, die dem Präsidenten Stmson sogar ein Gla» Wasser deoweigerte. Schlimme Zeichen, — und doch, al» dir 32 in den großen Rittersaal traten, da konnten sie wohl glauben, datz Alle» gut ablaufen müsse. Im Strahle der Frühlingssonne stand da der König, hoch aufgerichtet, den Helm im Arme, um ihn ein glänzende» Gefolge von Prinzen, Ministern, Hofleuten, Militär» — der Prinz von Preußen an ihrer Spitze. Der aufgebotene Glanz schien anzuzrigrn, datz man die Bedeutung de» Augen blick» fühle und ihr Rechnung trage. Und bedeutete da» nicht vielleicht schon halb gewonnene» Spiel? Simson hielt eine kurze bewegte Ansprache uNd übergab da» Verfassung»- und Wahlprotokoll. Dann ergriff der König da» Wort. Er sprach frei, und laut klang seine Stimme durch den Saal. Er sprach von seiner Befriedigung, seinem Danke, seiner Bereitschaft zu Deukschland» Schutz und Schirm; und die Hoff nung der Deputirten wuch». Aber dann, seine Stimme be sonder» erhebend, erklärte er, die Krone erst dann annehmen zu können, wenn die deutschen Fürsten dieser Würde zugestimmt und sich auch über die jetzige Gestalt der Reichsverfassung unter einander verständigt hätten. Das war die Absage. Die Fürsten — sie waren vielleicht zu gewinnen; die Reichsverfassung aber, die unter den erbitterter Kämpfen der Parteien nothdürftig unter Dach und Fach gebracht war, verändert — im Sinne der Fürsten verändert — noch ein mal in Frankfurt vorzulegen, in erneuten endlosen Berathungen um sie zu kämpfen, den ganzen Fanatismus der Parteien wieder zu entflammen, — das war aussichtslos. Bestürzt zogen sich die Deputirten zurück, „in vielen Augen von sehr ruhigen, ja kalten Männern sah man Thronen". Abends war die Deputation zum Prinzen von Preußen geladen, der gerade und frei über die Sach« sprach und darauf himvies, man könne doch z. B. den König von Bayern nicht mit Waffengewalt zur Einwilligung zwingen. Die Prinzessin aber kam tiefbewegt immer darauf zurück, die Sendung der Deputation könne unmöglich schon ab gebrochen sein, handle es sich doch um „etwas so Gutes, so Großes, so NochivendigeS". Ja, eS war etwas Gutes, Großes, Nothwendiges. Mer noch waren die Zeiten und der Mann dafür nicht da. Am 5. April brach die Deputation von Berlin auf — der Kaiser traum war au». * * -- Und wieder hatte ein deutsches Parlament den Preußen könig ersucht, die deutsche Kaiserkrone anzunehmen, der Nord deutsche Reichstag, der die betreffende Adresse in der Abend sitzung vom 10. Derember 1870 angenommen hatte; und wieder wurde eine Kaiserdeputation gewählt. ES waren diesmal 30 Männer, — viel in Anbetracht des Umstandes, daß für die letzte Strecke bi» Dersaille» die Transportmittel rar waren und «» nicht leicht fiel, so viele Morschen angemessen zu befördern. An ihrer Spitz« aber stand wieder Eduard Simson, jetzt Gerichts präsident und Leiter des Norddeutschen Reichstages, „ein Mann, der feit 1849 in jeder Parlaments-Versammlung den Vorsitz oder da» Wort führte, wo immer gebaut ward am Kaiser und Reich, in Frankfurt, wie in Erfurt, in Berlin, wie jetzt in Versailles; der Präsident, der die Kunst der Leitung großer Parlamente zur wahren Meisterschaft entwickelt und den deutschen Parlamentaris mus tn akademischem Geist« erzogen hat." (Oncken.) Kein Triumphzug war die»mal die Reise, aber eine Fahrt über Strecken deutschen Ruhme», durch erobertes Feindesland. Ueber Straßburg und Epernay ging» nach Lagny; dort übernahmen preußische Postillone die Deputirten in ihre Wagen und Dragoner Ecortirten den Zug, vor dem hier und da aufkauchende Franc- ftrcur» scheu wichen. Am 16. Derember Abend» war man in der französischen Königsstadt. Der 18. war «in Sonntag. Doch lein Ruhetag für die Waffen: vom Mont Valerien her dröhnten die Kanonen und die deukschen Geschütz« blieben die Antwort nicht schuldig. Dor der Schlotzcapelle, auf der „Plare d'ArmeS", da, wo da» Denkmal de» Sonnenkönig» steht, herrscht reges Leben. Die hochragende Gestalt de» Kronprinzen wird inmitten einer glänzenden Schaar von Fürsten, Prinzen, Generalen sichtbar; Soldaten, deren Uni ¬ formen vom Kriege zeugen, halten den Platz besetzt. Jetzt wird der greis: König sichtbar, ein militärisches Grüßen hinüber und herüber, und hinter ihm und seinem Gefolge schließen sich die Thüren der Eapelle, auf deren linker Seite die Depurinen de- Reichstages Platz genommen hatten. Uno in ernster Bewegung horchen König und Volksmann, Fürst und Soldat auf den Chor „Ehre sei Gott in der Höhe", und gedenken all des Suchens und Ringens, all des Mißverstehens und Nachgebens, all des Kampfe- und Blutes, das nöihig war, ehe zum zweiten Male «ine Kaiser deputation vor einem Preuhenkönig erscheinen konnte. Und nun — es ist in der Mittagsstunde — stehen die Ab geordneten vor dem Könige. Der große Saal der bescheidenen, aber vornehmen Versailler Präfektur bildet den Schauplatz der Scene. Schon ein Blick auf die Männer, die den Monarchen um geben, erinnert die Deputirten an den ungeheuren Wechsel der Dinge: jeder Name historisch, jeder Mann durch That und St. gekrönt. Da steht der fürstliche Sieger von Wörlh, da sieben Bismarck und Moltke, Noon, Blumenthal, Kirchbach. Eine tieie Stille herrscht — Simson beginnt zu reden. Nie war sein Schwung so wohl angebracht gewesen, wi« in diesem Momente. Er erinnerte au vergangenes Unglück, in Lieser Staat Versailles geplant; an den überraschenden Umschwung: er spricht von jenen Benennungen des künftigen deutschen Staates und seines Oberhaupts, „auf denen die Ehrfurcht lange Jahrhunderte geruht, auf deren Herstellung das Verlangen de- Deutschen Volte» sich zu richten nicht aufgehört habe", er liest endlich den Wortlaut der Adresse. Uno er liest sie mit so viel Wärme und Nachdruck, daß di« Zuhörer, vor Allen der König selbst, tief bewegt sind, und mehr als Einem Thränen im Auge stehen. Der König antwortet. So schlicht, so sachlich, wie immer, aber seine Stimme bebt vor Ergriffenheit und Thränen steigen ihm in die Augen. Auch er erinnert an die großen Thaten der jüngsten Monate, er gedenkt der Opferwilligteit der Volksoer tretung, der bevorstehenden großen Wandlung der Staat verfassung; aber er bekennt auch: „Nur in der einmüthigen Stimme der deutschen Fürsten und freien Städte und in dem damit übereinstimmenden Wunsche der deutschen Nation und ihrer Vertreter werde ich den Ruf der Vorsehung erkennen." Erklang da nicht der Ton, den auch 1849 sein königlicher Bruder an gestimmt hatte? Ja, er erklang wieder; aber damals eine Chamade, war er heute eine Fanfare, und der König konnte mit der Mittheilung schließen, baß eben dies verlangte Einverständnis: ver Fürsten und freien Städte erzielt sei. Eine Ordensverleihung Simson, ein Hoch auf König Wilhelm, schloß die Feier. Heller Freude voll ging man au? einander; Fürst und Volk hatten sich verstanden, ein großer Augenblick war würdig begangen worden und jeder Theil blick!« mit Befriedigung und Stolz auf den anderen. Mahl mochte es so manchem Deputirten Abends wie ein Märchen Vorkommen, I daß er in einem Versailler Bette liege und die Kanonen rw-n I Mont Valerien donnern hör«. Doch das Märchen war Wirklich- I leit, die Zeit war vvHendil — per Kaiftrtraum erfüllt.
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