Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.04.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990405021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899040502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899040502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-04
- Tag1899-04-05
- Monat1899-04
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr. hi» Lbend-Au-gabe Wochentag- um b Uhr. Nedartio» »»- Erpe-itio»: AshanniS-asse 8. Mir Expedition ist Wochentag- ununterbrochen -«öffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: vtt» Nlem»'» S-rtt«. (Alfred Hahn>, UniversitätSstrabe 3 (Paulinum). Lunts Lösche. Latharineustr. 14. Part, und König-Platz 7. Bezug-Preis U d« Hauptexpedttion oder den im Stadt. Dttirk uud den Bororten errichteten Aus- gobestelleu abgeholt: vierteljährlich ^-4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in- Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestährlich ^ll 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandirndnug tus Su-laod: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. MipMer Tagcblatt Anzeiger. Amlsölatt -es königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes nn- Molizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. AnzeigenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Rcdactionsstrich (4ge- spalten) 50-H, vor den Familiennachrichten (6 gespalten! 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung ./s 70.—. Annahmeschlnk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leivzig. 171. Mittwoch den 5. April 1899. S3. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, S. April. Die zur Ausführung der Militärgesetze erlassenen kaiser lichen CabinetSordreS haben zu einer nachträglichen Debatte über die Organisation der Armee Anlaß gegeben. Leitende CentrumSorgane geben sich hierbei auffallende Mühe, nach den Recepten der „Freisinnigen Zeitung" die in der Lieber'- schen Resolution ausgesprochene Bereitwilligkeit, im Be- dürfnißfalle die jetzt gestrichenen 7006 Mann vor Ablauf deS QuinquennatS nachträglich zu bewilligen, als möglichst unverbindlich zu behandeln. Darum ist eine kleine Rückerinnerung am Platze. Der Wortführer des CentrumS in der dritten Lesung, der Abgeordnete vr. Lieber, bat bei der Begründung der bekannten Resolution eine Er klärung der verbündeten Regierungen provocirt; sie sollten auf den vom Centrum eröffneten Weg treten. Der Reichs kanzler antwortete darauf, daß die verbündeten Regierungen dies thun wollten, aber „unter dem Borbehalt, daß dieselben ent schlossen sind, vor Beendigung der gesammten Organisation an das hohe Haus amt erneuten Anträgen heranzutreten, welche die Durchführung der gegenwärtigen Vorlage in ihrem vollen Um fange sicher stellen." Und dann fuhr der Reichskanzler fort: „Nach den eben gehörten Erklärungen des Herrn vr. Lieber glauben die verbündeten Regierungen die feste Zuversicht schöpfen zu dürfen, daß ihre in der Vorlage gestellten Forderungen, wenn auch nickt zur Zeit, so doch noch rechtzeitig'für die vorgeschlagene Organisation die Genehmigung des hohen Hauses finden werden." Diese Ausfassnng des Reichskanzlers hat keine Einschränkung seitens des Cenlrums erfahren ; der einzige CeutrumSvertreter, der später sprach, hat dann zwar den wortgemäßen Sinn der Resolution nochmals betont, aber dabei ausdrücklich die Auffassäng abgelehnt, die der Abg. Richter gern dahin festgelegt hätte, daß die Resolution die Brücke zu der von ihm vertretenen Militärconflictspolitik für vflg Centrum bedeute. In ihrem Osterartikel frohlockt die klerikale „Kölnische BolkSztg." über die „neue Auferstehung", die sie nicht nur auf kirchlichreligiösem Gebiet, sondern auch in der Politik wabrnimmt; vorüher seien die Zeiten, wo die Katholiken in die ReichSacht erklärt waren und der eiserne Kanzler sich mit der „Jagd auf Schwarzwild" beschäftigte: „Wir haben zwar noch lange nicht unser Recht wiedergewonnen, das heißt den ststus quo nrrto wiederherstellen können, aber wir scheiten vorwärts. Wie in der Natur, so grünt und blüht cS im Garten der Kirche, und unter den Katholiken herrscht das ehrliche Streben, die Gleichberechtigung mit den Pro testanten nicht blos formell und gesetzlich, sondern auch im ganzen Reiche des Geistes, der Wissenschaft und der gewerblichen Gebiete des modernen Culturlebens zu erringen." — Der Hinweis auf dieses ehrliche Streben kann gerade gegenwärtig nicht vernommen werden, ohne die Schwierigkeit dieses Unternehmens mit besonderer Schärfe vor das Bewußtsein treten zu lasten. Erst wenige Wochen sind seit jenem 10. März vergangen, da das Würzburger Diöcesanblatt das nachstehende Schreiben des Professors Schell an den Bischof vr. von Schlör veröffentlichte: „Ehr würdigster Herr, Herr Bischof! Dem Decret, wodurch hie b. Congregation res Index die 4 von mir geschriebenen Bücher, nämlich: Die Dogmatik, Die göttliche Wahrheit des ChristenthumS 1895,1896, Katholicismus als Princip des fort- schrittS 1897, Die neue Zeit und der alte Glaube 1898, auf den Index der verbotenen Bücher zu setzen für Pflicht gehalten hat, unterwerfe ich mich mit dieser Unter schrift mit allem Gehorsam und aller Ehrfurcht, wie eS sich geziemt, vr. Hermann Schell, Professor der Theologie." — So lange die katholischen Gelehrten „mit allem Gehorsam und aller Ehrfurcht" sich einer Behörde der römischen Weltkirche blindlings unterwerfen, können sie, aller großen Worte ungeachtet, die Gleichberechtigung mit den Protestanten im Reiche des Geistes auch beim ehrlichsten Streben der Welt nicht erringen. Das Lutherwort: „Ich kann nickt anders!" darf eben im Sprachschatz eines katho lischen Gelehrten, sofern er ein treuer Sohn der römischen Kirche bleiben will, keine Aufnahme finden. Einer der deutschen Vertreter auf der AbrüstnngSconscrenz im Haag ist, wie gemeldet wurde, Prof. Frhr. v. Stengel, Staatsrechtslehrer an der Universität zu München. Zu dieser Ernennung wird der „Augsb. Abendztg." aus München ge schrieben: „Wenn wir nicht falsch unterrichtet sind, verhält eS sich damit folgendermaßen: Als es sich um die Beschickung des Friedenskongresses im Haag durch das Reick bandelte, bestand Minister vr. Frhr. v. Crailsheim darauf, daß ein Bayer an der Vertretung des Neickes betheiligt werde, und zwar principiell, ohne Bezeichnung einer speciellen Persönlichkeit. In Berlin erklärte man sich damit einverstanden, und die Wahl siel auf Frhrn. v. Stengel, wobei der Kaiser selbst direct die Ent scheidung gab. Die Stellung des Erkorenen zur Friedens bewegung und -Frage ist durch seine Auslassungen sattsam gekennzeichnet: er steht ihr keineswegs feindlich gegenüber, beurtbeilt sie aber vom national-deutschen Standpuncte aus sehr nüchtern-praktisch, deshalb skeptisch, unbeirrt von den Phantasien kosmopolitischer Träumereien oder Schwärmereien. Wir glauben demnach in seiner Ernennung eine Garantie dafür erblicken zu dürfen, daß im Haag die deutschen Inter essen auf das Beste gewahrt werden. Daß ferner außer Professor vr. Frhrn. v. Stengel noch ein Bayer von Geburt, Prof. vr. Zorn aus Königsberg, als Berrath des Bot schafters Grasen Münster fungirt, kann in Bayern nur schmeichelhaft herühren. In der Samoa-Angelegenheit hat England dem deutschen Vorschlag, eine Commission einzusetzen, um an Ort und Stelle die Zwistigkeiten und Meinungsverschiedenheiten bei zulegen, nur im Princip zugesiimmt. Staatssekretär v. Bülow hat nach seiner Ankunft in Berlin nicht blos mit dem Botschafter der Vereinigten Staaten White, sondern auch mit dem Englands, Lascelles, eine Unterredung gehabt, welch Letzterer erklärt hat, England wünsche, ehe es zustimmt, festgestellt zu sehen, ob die Commission durch Majorität zu beschließen haben oder ob Ein stimmigkeit erforderlich sein werde. Dies ist natürlich so zu verstehen, daß Lord Salisbury wünscht, in dieser deutsch englisch-amerikanischen Commission soll die Majorität ent scheiden und daß er nur mit diesem Vorbehalte der Ein setzung der Commission zustimmt. England will also wiederum die Majorisirung Deutschlands. Es weiß, daß wir uns eine solche unter keinen Umständen gefallen lasten werden und wenn cs trotzdem daran festhält und den durch die Samoaacte gewährleisteten Modus der Einstimmigkeit verwirft, giebt es zu erkennen, daß es eine güt liche Einigung überhaupt nicht will. DaS illustrirt auf das Schärfste die Versicherungen der eng lischen Presse und der englischen Staatsmänner, Groß britannien wünsche überall mit Deutschland Hand in Hand zu gehen, dessen Interessen den seinigen nirgends entgegen ständen! Einen Ausweg findet eine Londoner Meldung der „Berliner N. N." in dem Vorschlag, für den Fall, daß die Dreimänner sich nicht einigen, könne ja König Oskar von Schweden als Unparteiischer und Schiedsrichter fungiren; ihm sei ja bekanntlich schon in Artikel III, Abschnitt 2 der Samoa-Acte das Schieds richteramt für den Fall übertragen, daß zwischen den drei Vertragsmächten bezüglich der Person des von ihnen zu er nennenden OberrichterS ein Einverständniß nicht erzielt wird. DaS ist aber noch kein officieller Vorschlag der engliscken Regierung und es scheint uns sehr fraglich, daß diese ihn acceptiren wird. Uehrigens scheint auch die Regierung der VereinigtenStaaten nur suavitor in moäo, aber tortitei- in >6 aufzutreten. Wenigstens wird über London berichtet, der Washingtoner Correspondent des „New Aork-Iournals" melde: Der amerikanische Consvl in Apia erhielt die Instruction, einen umfassenden Bericht über die jüngsten Unruhen einzureichen, damit ein Entschädigungsanspruch für die Tödtung des amerikanischen Marinesoldaten aus dem Posten vor dem amerikanischen Consulat in Berlin unverzüglich überreicht werden könne. Großbritannien soll dasselbe beabsichtigen bezüglich der drei getödteten Matrosen. Man hält dafür, daß diese Todesfälle direct durch die aufreizende Proclamation des Consuls Rose veranlaßt sind, der die Mataafa-Leute auf stachelte, das brititische und amerikanische Consulat anzugreifen. Da auch Deutschland Entschädigungsansprüche angemeldet hat, muß man sich auf langwierige Verhandlungen gefaßt machen. Wir fürchten, daß sie zu keinem Ergebniß führen werden. Wie der Ausgang aber auch sein möge, er darf nicht in einer Demüthigung Deutschlands be stehen, ähnlich der, welche Frankreich soeben in der Sudan frage von England hat hiunehmen müssen. Hier handelt es sich nicht blos um die Besorgniß gewisser „colonial-chauvi nistischer" Kreise, sondern um die nationale Ehre Deutsch lands, die zu hüten jeder von uns berufen ist, ohne Unter schied der Partei, vorab die Reichsregierung! In den Osterfeiertagen sind in Oesterreich wieder zahl reiche Ucbertritte zum Protestantismus oder zur alt katholischen Kirche erfolgt. Der altkatholische Pfarrer Adalbert Schindelar in ArnSdorf ist ein eifriger Agitator für seine Sache. Aus Brenn bei Reichstadt (Böhmen) wird folgendes erzählt: Der katholische Pfarrer hatte in der Orts kirche Briefkästen anbringen lassen, in welche die Gläubigen ihr Anliegen an die verschiedenen römischen Heiligen einzuwersen hatten, natürlich mit Porto und Rückporto versehen. Das schlug dem Faß den Boden aus und die Gemeindevertretung berief Pfarrer Schindelar zu einem Vortrag über das Altkatholikenthum. In Gablonz traten 75 Personen der altkatholischen Kirche bei, in Warnsdorf in der verflossenen Woche 11, in Dessendorf-Tiefenbach 42, in Wien im März 31, in Graz neuerlich 19, in Leoben- Donawitz neuerlich 28 Personen. Die Uebertrittsbewegung scheint nun aber auch den römischen Klerus zu ergreifen. Seit Neujahr liefen beim altkatholischen Bischof vr. Herzog An meldungen von 21 römischen Priestern ein. — In Baden bei Wien haben 30 Ucbertritte zur evangelischen Kirche statt gefunden und heute wird uns gemeldet, daß der bekannte deutsch-nationale Abgeordnete Wolf am Charfreitag zum Protestantismus übergetreten ist. Der jungen evangelischen Ge meinde in Krammel-Obersedlitz bei Aussig sind zu den Feier tagen prächtige Altargeräthe, eine Bibel, eine Anzahl Lieder bücher, sowie ein ansehnlicher Geldbetrag als Geschenke aus dem Reiche zugekommen. Auch das Grundstück für die Kirche ist bereits geschenkt worden, so daß der Bau eines evangelischen Gotteshauses wohl bald zurAusführung kommen dürfte. DieZahl der Uebergetretenen ist auf 135 angewachsen. — Die katholische Geistlichkeit thut ihr Möglichstes, um der Bewegung im Volke cntgegenzuarbeiten. Der bekannte Weinbauser Pfarrer Deckert ließ eine Flugschrift erscheinen, die folgenden Titel führt: „Luthers Selbstmord eine historisch erwiesene Thatsache. Vade- mecum für Katholiken, die Luthrisck werden wollen." Mit scheinbarer Gründlichkeit erzählt ver Pfarrer jene längst wider legten Lügengerüchte, daß Luther von seinem Diener Ambros Ruthfeld am Abend vor seinem Tod berauscht zu Bett gekrackt wurde und am andern Morgen erdenkt gefunden worden sei. Man muß aber der Gerechtigkeit halber hinzufügen, daß es auch nicht an würdigeren Flugschriften aus der Feder katholischer Geistlichen fehlt, die das aus den Banden Roms losstrebende Volk über seinen „Irrtbum" zu belehren suchen. — Einen eingehenden vollständigen Ueberblick über den bisherigen Stand der Bewegung, die nicht nur in Oesterreick, sondern auch in Frankreich, Italien und Amerika unter Priester und Laien lebendig ist, bieten die von Pfarrer Bräunlich in Wetztorf berausgegebenen „Berichte über den Fortgang der Los von Rom-Bewegung" (München, I. F. Lehmann), von denen Heft 1 in stark vermehrter 2. Auflage erschienen ist. Auch empfehlen wir erneut das in Leipzig erscheinende, vom Pfarrer Kröber herausgegebene und vortrefflich redigirle „Neue Sächs. Kirch en blatt", welche« der Los von Rom- Bewegung einen breiten Raum widmet und dieselbe in ihren einzelnen Phasen fördernd und aufklärend verfolgt. Bei den Wirren in Süd-Schantung und der deutscken Expedition handelt es sich nicht um die Kreisstadt Itschon (oder Itsckonfu), welche ja bekanntlich als eine der Hauptstationen für die deutschen Schantungbahnen in Aussicht genommen ist, sondern den ebenfalls in Süd-Schantung, aber nur wenige Kilometer von der Küste liegenden Ort Jitschau, obgleich auch Itschaufou als Mittelpunkt der fremdenfeind lichen Bewegung schon wiederholt stark in den Vordergrund getreten ist. Ueber den Hafenplatz Antungwei (oder Ngan- tungwei), Itschou u. s. w. wird aus London berichtet: Ter Hafenplatz Ngan-tung-wei liegt gerade auf der Grenze der Provinzen Schantung und Kiangsu. Es ist viel Regsamkeit in dem Orte, und der Verkehr der Dschunken, welche Waaren aus dem Kaisercanale und dem alten Hoang ho bringen, ein lebhafter. Von hier führt eine breite, wenn auch nicht sehr gut erhaltene Straße nach der großen Kreisstadt Itschau-fu. Die Stadt liegt malerisch an einem Bergabhange und macht mit ihren hoben, von Thürmen überragten Steinwällen und den gewaltigen Thoren mit reich scnlpirten Pfeilern einen ganz mittelalterlichen Eindruck. Mitten durch die Stadt strömt der scknellfließende Mu-Ho, der auS dem Tai-schan-Gebirge herabkommt, und sich in einen der großen Seen, welche der Hoanz-Hs bei einer der furchtbaren Ueber- schwemmungen Ende vorigen Jahrhunderts zurückgelassen hat, ergießt. Von Itschau-Fu wird die deutsche Eisenbahn nörd lich über Tsui-Tschau entlang der Berge des Fu-Schan nach Kiautschau führen, wäbrend sie südlich sich anschließen werden an die anglo-deutscke Bahn, die von Tientsin, dem Kaiser canale folgend, nach Schanghai führt. Von letzterer Strecke wird bei dem Knotenpunkte Tunge der Nordring ver deutschen Sckantung-Babn sich abzweigen, und über die Hauptstadt von Nord-Sckantung, Tsinan-fu, Tschang-Kien, Tsing-Tschau, Wei-Tsien nach Kiautschau führen. Feuilleton. ISI Senzi. Roman von M. I m m i s ch. Nacbk.i:,« v.ii'.l.u. Ein paar Tage nach diesem Brief saßen Bertha und Senzi im Lesezimmer des Hotels, als Bertha plötzlich mit einem Ausruf der Ueberraschung auf die Zeitung in ihrer Hand starrte. Sie ent hielt einen Artikel über ein von Professor vr. Bruck, zur Zeit im Kloster Maria Einsiedeln, verfaßtes Werk, das zwar nicht durchweg günstig besprochen, doch für bedeutend und Aufsehen er regend bezeichnet wurde. Dem war die Mittheilung beigefügt, daß der Papst den kühnen und genialen Priester zu einem her vorragenden Posten in seiner Nähe berufen habe und daß vr. Bruck infolge dessen noch im Herbst dieses Jahres nach Rom übersiedele. Bertha las den Artikel ein paar Mal und dann brach sie in ein bitteres Lachen aus. „O, er wußte immer, was er wollte", sagte sie zu sich selbst, „es lohnt wenigstens, daß er über seinem Ziele alles Andere zertreten und von sich gestoßen hat. Er war von jeher bewunderungswürdig klug; kein Wunder, daß es nun Früchte trägt." „Was meinst Du, Bernhard, wir sollten seiner Hochwürden doch gratuliren", sagte sie zu ihrem Bruder, als dieser mit dem Hofrathe von einem Spaziergange zurückkam, indem sie ihm den Artikel zeigte. „Bitte, schreibe ihm und füge meine Glückwünsche gleich bei." Der Hofrath war ganz blaß geworden über diese Worte, noch mehr aber über den fieberhaften Glanz und den seltsamen Aus druck ihrer Augen. „Diese unglückselige Neigung und die Bitterkeit über ihre verschmähte Liebe beherrschen sie zeitweilig noch völlig", sagte er zu Bernhard, als sie wieder allein waren, „und es ist um so gefährlicher, als sie es im Allgemeinen sorgfältig verbirgt. Sie ist eine tief innerliche Natur, die mit unglaublicher Zähigkeit das fcsthält, was sie einmal erfaßt. Ich wünschte, dieser Mensch wäre im Pfefferland oder sonst irgendwo gestorben und ver dorben, so daß sie nie mehr etwas davon hörte, vielleicht hätte sie dann mehr Ruhe! Nebenbei kann ich ihn nicht einmal verdam men, denn er ist so ziemlich schuldlos an dem Unheil, das er an- gerichtet. Ebensowenig trifft Bertha eine Schuld, denn sie ist am wenigsten verantwortlich für ihre unglückseligen Anlagen und ihren Hang zum Tiefsinn. Wenn Du wüßtest, welchen Kummer und welche Sorgen mir dieses sonst so gute und sanfte Wesen dadurch schon bereitet hat! Ich glaube, ich vermag nicht ruhig zu sterben, aus Furcht, daß sie doch noch einmal dem Wahnsinn er liegt. Mein Trost ist, daß sic an Dir und Senzi wenigstens immer noch eine Stütze haben wird." Nach dem unheimlichen Ausbruch ihres geheimsten Empfin dens zog sich Bertha auf ihr Zimmer zurück und blieb für mehrere Stunden unsichtbar. Dann aber schien sie Alles wieder vergessen zu haben. Aeußerlich wenigstens zeigte sie wieder eine gleich- giltige Gelassenheit, obschon sie innerlich nichts weniger als ruhig war. Die ewig nagende Sehnsucht war wieder voll ent facht, sie war nun einmal ihr Verhängniß, dem sie nicht ent rinnen konnte, außer in der Betäubung ihres künstlich herbei geführten Schlafes, der ihr Freund und Helfer war, aber leider ein grausamer und falscher Freund, denn das Mittel, dessen Bundesgenosse er war, ruinirte heimlich ihre Nerven auf eine furchtbare und heimtückische Weise. Die vier Wochen, die sie in Lausanne verleben wollten, waren zu Ende. Bernhard mußte wegen dringender Berufsgeschäfte nach Genf zurück, und die Bergaus gaben ihm mit Senzi das Geleit; denn Letztere sollte ihre zukünftige Heimath kennen lernen, ehe sie dem herrlichen See wieder den Rücken kehrten. Das Dampfboot legt die Strecke von Lausanne nach Genf in wenigen Stunden zurück. Senzi und Bernhard saßen auf der lang hinlaufenden Bank des Verdeckes. Sie hatten sich noch so viel zu sagen, denn die Bergaus wollten nur zwei Tage in Genf bleiben. Es sollte nur eine kurze Trennung sein; schon in vier Wochen sollte Senzi nach ihrer neuen Heimath übersiedeln. Wie ihr Herz pochte bei dem Gedanken daran! Das Glück bäuchte ihr so groß und schön, daß sie es noch jetzt zuweilen für einen Traum hielt, und sich in beklemmender Scheu vor dem Erwachen fürchtete. Auch diese kurze Trennung erfüllte sie mit unerklärlicher Furcht. Sie hatte zu herbe empfinden müssen, wie verhängnißvoll das un bedeutendste oft zu werden vermag. Der bevorstehende Abschied lag ihr schon heute schwer auf der Seele, und sie hatte Mühe, den zagenden Kleinmuth, der sie zuweilen beschlich, von sich zu weisen, und den Blick frei zu hallen von Thränen, die heute merkwürdig zudringlich waren. Der Mensch gewöhnt sich leicht an das Gute, und selbst eine vorübergehende Entbehrung oder Verminderung desselben fällt ihm dann schwer. Es war ihr schon jetzt viel mehr zu Theil geworden, als sie in ihren sehnsüchtigsten Träumen zu hoffen gewagt; aber das unersättliche Herz war durch diese Ver wöhnung undankbar genug, selbst die kurze Trennung als ein niederdrückendes Opfer zu empfinden. „Wenn doch noch irgend etwas passirt, was Alles wieder zu Nichte macht, ich ertrüge es nicht", sagte Senzi mit ungewohnter Leidenschaft in Ton und Blick. „Viel lieber möchte ich sterben, als noch einmal die Qualen des Entsagens durchmachen. Ich werde Angst und Furcht nicht los, ehe ich ganz und für immer bei Dir bin. Ach, wären doch die nächsten Wochen erst vorüber, mir erscheinen sic wie eine Ewigkeit." Er drückte leise ihre Hand, die sich in die seine geschlichen hatte, und sprach ihr beruhigend zu. Aus seiner festen Zuversicht schöpfte sie wieder Muth und Vertrauen. Bertha ging inzwischen am Arme ihres Gatten langsam auf dem Verdeck hin und her. Ihre stahlgrauen Augen blickten sehn süchtig, mit feuchten Glanze nach der blauen, den Horizont be- genzenden Ferne. Sie kämpfte wohl zum hundertsten Male mit sich selbst, um den brennenden Wunsch, der sich ihr auf die Lippen drängte, dem gütigen Manne an ihrer Seite nicht anszusprechen. Doch er kannte sie zu gut, um nicht zu bemerken, daß etwas sie mehr als sonst innerlich beschäftigte und quälte. In seiner selbstlosen Liebe, nur darauf bedacht, ihr Erleichterung zu verschaffen, ruhte er nicht eher,' bis sie der Versuchung erlag, und ihn auch jetzt zum Vertrauten ihrer Wünsche machte. „Sage mir, was Dich bedrückt", bat er, als sie immer noch zögert«. „Du weißt, daß es nichts giebt, was mir zu schwer er schiene, wenn es zu Deinem Glücke oder zu Deiner Ruhe nöthig ist." Sie hatten sich in den Verschlag zurückgezogen, der gegen Zug oder Regen auf dem ersten Platze angebracht ist, und dessen nur durch schmale Holzleisten getrennte Fenster doch nach drei Seiten einen freien Ausblick gestatten. Sie waren ganz allein in dem kleinen Raum. Bertha's schmale Finger zupften nervös an den Handschuhen herum, die sie abgezogen hatte, und ihre feinen Lippen zuckten in heftiger Erregung. „Du bist viel, viel zu gut mit mir", sagt« sie, und es lag ein unsäglich gequälter Ausdruck auf dem feinen, schönen Antlitz.'„Du hast alle Zeit einen schlechten Lohn dafür bekommen, und doch, Gott weiß es, ich leide mehr darunter, als Du. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber zuweilen packt es mich wie mit Geierkrallen, in meinem Herzen schmerzt es, als würde ein glühendes Eisen bineingestoßen, und mir ist es, als zischten tausend giftige Schlangen auf mich ein. In solchen Augenblicken überkommt es mich wie wilde Verzweiflung, jede Fiber in mir pocht.in einem einzigen, schmerzlichen Drange, und jeder Gedanke concentrirt sich in einer brennenden, unaustilgbaren Sehnsucht. Es ist ja nicht meine Schuld, aber ich kann, kann nicht vergessen, und wenn es mir wirklich eine kurze Zeit gelungen, so lehrt die Sehnsucht dafür um so verzehrender zurück." All' der verheimlichte Schmerz, die versteckte Leidenschaft ihrer Seele lagen in dem bebenden Klang ihrer Stimme, in dem heißen, fieberhaften Ausdruck der traurigen Augen. ,-Du weißt es ja doch", fuhr sie fort, „so laß es mich auch einmal aussprechen: Ich halt' ihn so lieb, so unsagbar lieb. Schon in den Kinderschuhen war er der Abgott meines Herzens. Und auch er hatte mich gern. Ob es nur Freundschaft war, ich weiß es nicht, und das ändert auch nichts. Die wahre Liebe fragt nicht darnach, was sie als Gegenwerth bekommt; sie läßt sich nicht nach Belieben regeln, sie ist da und bleibt; sie liebt, weil sie nicht anders kann, weil sie ein überirdisches Feuer ist, das nur mit dem Leben erlischt. Und so ist cs auch bei mir, nur mit meinem Leben wird die Sehnsucht erlöschen, die mich quält" Noch nie hatte die schweigsame, anscheinend so kühle Frau freiwillig ihm «inen Einblick in ihr Inneres gestattet, und di« Leidenschaft, mit der es jetzt geschah, ängstigte ihn un beschreiblich. Was mußte sie gelitten Haber, ehe sie ihre verschlossene Natur so verleugnete. Schreck und Sorge überwältigte ihn beinah', aber er bezwang sich, und sanft ihre Hand erfassend, redete er ihr liebevoll zu, nicht wie ein verschmähter Gatte, sondern wie ein zärtlicher, besorgter Vater. „Ich vertrage nicht die Luft desselben Landes", fuhr sie nach einer Pause fort. „Wenn er fort ist, wird es wieder besser wer den. Der Gedanke, ihm so nahe zu sein, peinigt mich unbe schreiblich. Ich wollte, einer von uns Beiden, er oder ich, wäre todt, das wäre das Heilsamste. Das Bewußtsein, daß er so stolz und selbstherrlich auf dem Wege, den er sich oorgezeichnet, weiter wandelt, zweifellos ohne mit einem Gedanken davon abzuirren, während ich mich in namenloser Pein verzehre, könnte mich rasend machen. Und daß ich diesen herzenskalten, correcten Menschen nicht vergessen kann, daß ich jeden Tag, jede Stunde an ihn denken muß, das empört mich um so bitterer. Mein armer, lieber Freund, die Sünde, die ich an Dir begehe, ich muß sie tausendfach ar mir selbst bezahlen! — Und doch, wenn ich ihn jetzt wieoersähe, wer weiß, ob er nicht ganz anders ist, als er in meiner Erinnerung lebt. Vielleicht diente es dazu mich zu heilen. In Kurzem geht er fort und unsere Wege werden sich sicher nie mehr kreuzen, und deshalb — ach, ich weiß, es ist viel, um was ich Dich bitte, und doch, ich glaube, ich fände keine Ruhe, wenn es nicht geschähe; ich möchte ihr nur ein ein ziges Mal noch Wiedersehen, nur die kurze Zeit, da er am Altar
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite