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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.04.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189904094
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18990409
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18990409
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-04
- Tag1899-04-09
- Monat1899-04
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.04.1899
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Größere Schriften laut unserem Preis vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsap nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördrrung 60.—, mit Postbrförderung ^l 70.—. Itunahmeschluß für Anzeigen" Ab end-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richte«. ——» Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 178. Sonntag den 9. April 1899. 93. Jahrgang. Aus der Woche. Der Reichstag, der bis zu den Osterferien außer dem Etat so gut wie gar nicht» zu Wege gebracht hat, tritt in dieser Woche wieder zusammen. Wa- er von nun ab schaffen wird, steht dahin. Was man mit ziemlicher Gewißheit nicht von ihm erwarten darf, ist eine auS der nationalen Seele heraus quellende sachgemäße Erörterung der Samoa-Angelegen heit. Die Möglichkeit übrigen», daß der Reichstag für eine Strecke einer englischen Afrika-Eisenbahn ZinSgarantie bewilligt, darf man keineswegs rundweg ablehnen. Diese Körperschaft, an der sich mehr als einmal der von höchster staatsmännischer Ansicht geleitete Wille deS bewährten Kaisers Wilhelm I. brach, ist heute — anders. Da» Centrum vor Allem blickt nach oben — natürlich nur um des deutschen Reiches und seines protestantischen Kaiserthums willen. Auch in dem übermorgen gleichfalls wieder zusammen tretenden preußischen Abgeordnetenhaus« sieht man der Wirkung außerparlamentarischer Einflüsse entgegen. Dort bandelt es sich um den Mittellandcanal, eine Angelegen heit, die, wenn Lord Salisbury dem nicht entgegen ist, für die nächste Zeit die Aufmerksamkeit von ganz Deutschland in Beschlag nehmen wird. Wie eS scheint, wird sich eine Mehr heit für das große Projekt unter der Bedingung finden, daß dem Osten — nicht nur der Landwirlbschaft, sondern auch der Industrie deS Ostens, insbesondere Schlesiens — „Compen- sationen" gewährt werden. Vorläufig allerdings läßt di« Regierung in ihrer Presse die Forderung nach auSglrichenden Maßregeln als ein übertriebenes Verlangen brand marken, und andere Preßorgane helfen mit. Namentlich die schlesische Industrie muß sich eine schlechte Behandlung gefallen lassen. Schon ist in vorwurfsvollem Tone das geschmack volle Wort „Kuhhandel" gefallen. Es ist aber nicht einzusehen, warum dir Compensationsansprüche des OstenS als unsittliche bezeichnet werden. Die cko-ut-ckes-Politik ist verwerflich, wenn sie Ungleichartiges in Beziehung bringt. Also z. B., wenn für eine HeereSverbesserung eine Ordensniederlassung verlangt und bewilligt wird. In dem Mittelland-Canal bandelt es sich aber um — wirkliche oder vermeintliche, wir Nichtpreußen dürfen das dahingestellt sein lassen — wirth- sch östliche Nachtheile, deren Ausgleichung durchaus nicht verwerflich wäre. Als eS sich darum bandelte, den preußischen Osten für die Beseitigung der Staffeltarife durch die Aus hebung des Identitätsnachweises bei der Getreideeinfuhr zn entschädigen, hat sich auch Niemand über einen „Kuhhandel" entrüstet. Wenn Schlesien verlangen sollte, daß gleichzeitig mit dem Bau des Mittelland-Canals aus der Oder ein besserer Wasserweg gemacht werde, so wird die Moral davon gar nicht berührt. Was die Compensations ansprüche der Landwirthschaft betrifft, so gehen die bis jetzt erhobenen auch das außerpreußische Deutschland an. Man spricht von handelspolitischer Vergütung, von höheren landwirthschaftlichen Zöllen. Nun ist es zwar sehr wahrscheinlich, daß der deutsche Getreidezoll in seiner jetzigen Höhe oder Niedrigkeit daS Jahr 1899 nicht überleben wird. Aber die Zollpolitik ist eine ReichSangelegenheit, und eS versteht sich von selbst, daß die preußische Regierung für preußische Dienste, wie die Bewilligung des Canals einer wäre, nicht eine Bezahlung in Reichsgeld versprechen darf. Einem Theile der Bevölkerung deS Westens ist natürlich an dem Bau der großen Wasserstraße sehr viel gelegen. Dennoch bezweifeln wir, daß dort Viele die Art billigen, wie eben irgend Einer in der „Köln. Ztg." das Projekt ver treten hat. Die Sprache de« neuen CurseS ist nie mals deutlicher gesprochen worden, als in diesem Hymnus, und deshalb sollen sich auch unsere Leser daran erbauen dürfen. Nachdem eine mitteleuropäische Zollunion gegen England, Rußland und Amerika wie eine halbvollendete Thatsache besungen wird, heißt eS in dem Kölnischen Blatte weiter: Die Frier zur Eröffnung des Verkehrs auf dem neuen Großen Canal wird ein Reichsfest sein, wie es nie dagewesen ist. Die Phantasie erschaut lebendige Zukunftsbilder, die in alten Zügen zur Wirklichkeit werden können. Der preußische Inhaber der deutschen Kaiserkrone besteigt mit den deutschen Fürsten am alten Schlosse in Berlin, unter dem Denkmal deS Großen Kurfürsten, dir für die Wasserreisen im Binnenland erbaute Pacht „Hohenzollern II", um durch den Mittellandcanal zum alten Zoll nach Bonn zu fahren. Seine Fahrt durch die Mark Brandenburg, durch Braunschweig, Hannover, Lippe, Westfalen und die Rheinlande gleicht einem Triumphzuge. Von den Ländern am Rande des Canals strömen die festlich geschmückten Bevölkerungen heran und huldigen dem Kaiser. Sie jubeln dem Vertreter der Monarchie zu, die wieder einmal ihre Mission für da« deutsche Volk bewährt hat und den Preußen wenig liebenden Herrn H. Riehl nach dem Jahre 1870 zu dem Bekenntnis brachte: „Die Dynastie, die Eljaß-Lothringen wieder zum Reiche gebracht hat, hat verdient, die deutsche Kaiserkrone zu tragen." Die einzig« That, Norddeutschland den großen Canal, den parallelen Strömen Elbe, Weser und Rhein die befruchtende Quer verbindung gebracht zu haben, würde genügen, die Negierung eines Monarchen zu einer geschichtlich denkwürdigen zu machen, schwere Verstimmungen im Lande zu vertreiben, unzählige Herzen zu gewinnen. Aber diese That, die das östliche Preußen jetzt erst innig mit dem historischen alten „Reich", d. h. dem geschichtlichen Westen, verbindet, weist über sich selbst hinaus. Die Phantasie darf weiter schwärmen: sie sieht den Kaiser in Bonn die Deputation empfangen, die ihn nach Krefeld einladet, um den ersten Spaten stich zum Canalnetz nach Holland und Belgien zu thun: zum Wasserwege: Berlin - Paris. Und dann wird sie ernst und ge- dankenvoll. Ein Wort erregte «inst die Grmüther der besten Männer im Lande zu böser Stimmung. Dem freien Sinn ging «S nicht ein, Laß es rin erträglicher Wahrjpruch sein dürfe, da- suproma lex rexis voluntas. Würde und Gewissen waren pro ratione. Aber jetzt sann der Patriot nach. Er fand. Laß, um Unheil von den Völkern abzuwenden und sie zu großen Thatcn zu befähigen, eS vor Allem der Einheit des Willens bedarf, deS größten Problems menschlicher Culturgrnossenschaft. Und er sah die auseinanderfahrenden Dämonen in Frankreich und di« Zerstörung wirkenden, entzweiten Geister in Oesterreich, und — angesichts des fertigen Großen Kaisercanals ging ihm das Versiändniß auf für den irrationalen und doch rettenden Satz: Suprema lex rexis aoluotas. Man könnte den Menschen, der da« geschrieben, für einen „Großen" Satiriker halten, er ist aber ein klug berechnender Höfling. Und die Männer, die im Stande gewesen wären, ihn gebührend mit der Geißel zu züchtigen, Bismarck und Heinrich v. Treitschke, ruhen im Grabe. Es wird auch an Stellen viel Aufhebens davon gemacht, daß die „konservative Vereinigung" Hannover- in einem Wahlaufruf für die Berufung der Welfen auf den braun- schweigischen Thron eingetreten ist, wo die darüber ge zeigte Empörung pure Heuchelei. Die Einsetzung der Welsen ist der Zweck, der einzige Zweck der nicht von denConservativen ausgegangenen Begründung der „conservativen Vereinigung". Aber gegen die Begründer sich zu wenden, fehlt der Muth. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß daS hannoversche Welfenorgan sich ganz unnöthiger Weise über ein Echo er regt, das die Wiederbelebung der hannoverschen Traditionen im lv. Armeecorps bei den Osficieren der ehemaligen hannoverschen Armee erweckt haben soll. Der Aufruf, betreffend der Darbie tung einer Ehrengabe an den Kaiser, ist ausschließlich von preußischen Osficieren, die allerdings bereits früher der han noverschen Armee angehört haben, unterzeichnet. Die Gedankenlosigkeit eines obskuren Socialdemokraten wird voraussichtlich Gedankenlosigkeiten in der bürgerlichen Presse nach sich ziehen. Auf einer socialdemokratischen Ver sammlung in Görlitz hat ein Thrilnehmer bemerkt, der Freisinn, der „kleine Kläffer", müsse weg, damit die Socialdemokratie an die großen Gegner heran könne. Hierin werden Politiker, die keine sind, ein für sie vollgiltigeS Zeugniß erblicken, daß der Freisinn ein Hinderniß der Aus dehnung der socialvemokratischen Partei bildet. In Wahrheit würde die gänzliche Vernichtung der Demokratie einer Verstärkung der bürgerlichen Widerstandsfähigkeit, ja sogar der bürgerlichen Angriffskraft gleichkommen. Deutsches Reich. * Leipzig, 8. April. Herr VerlagSbuchhändler Walther Fiedler ersucht uns um Aufnahme folgender Zuschrift: „In der gestrigen Nummer Ihre- geschätzten Blattes geben Sie einer Auslassung der „Berliner Neuesten Nachrichten" Raum, der ich die nachstehenden Bemerkungen gegenübrrstelle. Ich big und mit mir wohl alle diejenigen, welche aufmerksam die Angelegenheit verfolgt haben, der Meinung, daß es sich ledig lich um die Frage der Authenticität des dem Werke „Fürst Bismarck nach seiner Entlassung" zu Grunde liegenden Material handelt und dieser gegenüber alle anderen als nebensächlich in den Hintergrund treten. Bisher ist der von mir erbetene Nachweis derjenigen Artikel, di« dem Fürsten fälschlich aufs Conto gesetzt wurden, nicht erbracht, und meiner durch die Briese vr. Hofmann'» gestützten Behauptung der Echtheit aller als biSmarckisch bezeichneten Artikel steht nicht- gegenüber, al- die Erklärung de» Fürsten Herbert Bismarck, „daß außer ihm alle Herren der näheren Umgebung seines Vaters wiederholt Zeugen seiner protestirenden Aeußerungeu gewesen sind, mit denen er sich dagegen verwahrte, alle ihm in dem Penzler'schen Werke zugeschriebenen Artikel inspirirt zu haben." Ich habe nun in meiner letzten Zuschrift an da» „Leipziger Tageblatt" der Gründe ausdrücklich Erwähnung gethan, die zu dem Proteste deS Fürsten führten, der mir bereit- am 11. October 1898 Yon vr. Hofmann mit den Worten avisirt wurde: „Außer dem wird unter Anführung deS Zeugnisse» von 3 Personen aus der nächsten Umgebung des verstorbenen Fürsten mttgetheilt werden, daß dieser wiederholt dagegen protestirt habe, daß alle Artikel" u. s. w. Die Schutztruppe für Liese wiederholten Proteste ist inzwischen noch um einige Herren verstärkt worden, ohuedaßichwüßte, wie dadurch meine Behauptung: „vr. Hosmann hat all« von dem Fürsten herrührenden und inspirirten Artikel reinlich von seinen eigenen geschieden, das gesammte Material für das Werk geliefert und jede Einzelheit sorgfältig überwacht", entkräftet werden könne. Daß der alte Fürst nicht wünschte, sich zu den Artikeln zu bekennen, die er nach seiner Entlassung aus dem Staatsdienst« veranlaßte, wird durch Len in der Nummer vom 2. April des „Leipziger Tageblatt" mitgetheilten Passus aus vr. Hosmann's Brief vom 20. März 1897 bewiesen. Der Verfasser deS Artikels in den „Berliner Neuesten Nachrichten" ist durchaus irriger Meinung, wenn er sagt, „daß man bei Lebzeiten des Fürsten nicht gewagt habe", die Artikel als authentisch zu be zeichnen. Ich habe in meiner Reclame von Anfang an die Authen- ticilät des Werkes betont und in dem Vorwort zum 1. Bande, der bereits 1897 erschien, steht klipp und klar, in gesperrter Schrift „daß keine Kritik, von welcher Seite sie auch kommen möge, im Stande fei, dem Werke Jrrthümrr nach- zuweisen". Es wird schwer sein, sich noch deutlicher auszudrückenl Das Vorwort zum 7. Bande hatte lediglich den Zweck, vr. Hofmann, der nicht wünschte bei Lebzeiten des Fürsten als derjenige bezeichnet zu werden, dem das Werk seinen Ursprung verdankt, in seine Rechte eia- zusetzen und aus den Antheil aufmerkam zu machen, den er an dem Zustandekommen des Werkes genommen hat. Ob man das Werk als „politisches Testament des Fürsten" bezeichnet, ist durchaus gleichgilig, — es ist dies übrigens eine Bezeichnung, die ich dem Wunsche deS Fürsten Herbert Bismarck gemäß in meinem Vorwort gern fallen ließ —, hauptsächlich ist nur die Authenticität der mitgetheilten Artikel, die ich aufrecht erhalte, so lange man nicht „die mehrfach nachweisbaren Fälle", in denen es sich von der Wahrheit entferne« soll, namhaft macht. In jedem Falle ist dieser Nachweis belangreicher, als der Unterschied zwischen „kann" und „könne", bei dem dir verehr!. Redaction der „Berliner Neuesten Nachrichten" nur übersieht, daß da» HilfSverbum „kann" in der bedingten Form und der indirekten Redeweise grammatikalisch unrichtig ist. Um dies an einem Beispiel klar zu machen: Die Redaction der „Berliner Neuesten Nachrichten" hat erklärt, daß sie dem Werke einige Unrichtigkeiten nachweisen könne und ich fordere sie hierdurch auf, «S zu thun, denn ich weiß, daß sie es nicht kann!" Die Antwort auf das, was Herr Fiedler von den „Berl. N. Nachr." fordert, muffen wir natürlich der Redaction dieses Blattes überlassen. Wir selbst sehen un» genöthizt, darauf hinzuweisen, daß Herr Fiedler irrt, wenn er be hauptet, außer der Erklärung deS Fürsten Herbert Bismarck, „daß außer ihm alle Herren der näheren Umgebung seine» Vaters wiederholt Zeugen seiner protestirenden Aeußerungen gewesen sind, mit denen er sich dagegen verwahrte, alle ihm in den« Penzler'schen Werke zugeschriebenen Artikel inspirirt zu haben", stehe nichts der durch die Briefe des vr. Hofmann gestützten Behauptung der Echtheit aller als biSmarckisch bezeichneten Artikel dieses Werkes gegenüber. Am Schluffe des am 1b. September 1897, also lange vor dem Tode des Altreichskanzlers geschriebenen Vorworte zum vierten Bande deS „BiSmarck-Jahr- bucheS" schrieb dessen Herausgeber: „Ausdrücklich will ich hierbei wiederholen, wa» ich schon früher erklärt habe, daß r» Artikel der „Hamburger Nachrichten", die der Fürst selbst verfaßt hat, nicht gtebt. AIS „authen tisch" im eigentlichen Wortsinne ist demnach kein einziger anzu sehen und das große Werk von Johanne» Penzler ist in Wirklichkeit nichts weiter al» eine Sammlung von Zeitungsartikeln, von denen einige auf gelegentlichen Informationen beruhen. ES ist nvth- wendig, die» festzustellen, damit da- Conto des Fürsten Bi-marck nicht mit Zeitungsartikeln belastet werde, für die er jede Verant wortlichkeit ablehnen muß." Wir wissen — und Herr Fiedler könnte eS gleichfalls wissens bezweifelt auch angesichts der Hosmann'scheu Infor mationen au» FriedricbSruh cS schwerlich —, daß diese Er klärung vom Fürsten Bismarck gewünscht und gebilligt worden ist. Tdatsächlich steht dieser authen tischen Erklärung, sowie den Kundgebungen deS Fürste« Herbert Bismarck und aller Herren der nähere» Umgebung seines Vaters nichts gegenüber, als die von Herrn Fiedler mitgetheilte Behauptung seines Gewährs mannes Vr. Hofmann, denn auS eigener Kenntniß kann Herr Fiedler keine Kenntniß von dem Verhältniß haben, in dem Fürst Bismarck zu den angeblich von ihm inspirirten Artikeln stand. Herr vr. Hofmann, der, wie sich jetzt berauS- stcllt, der eigentliche Vater des sog. Penzler'schen Werkes ist und als solcher ein persönliches Interesse an dessen Reputation und der Verbreitung hat, aber auS wohl zu errathenden Gründen bei Lebzeiten deS Fürsten Bismarck zu dieser Vaterschaft sich nicht bekennen mochte, ist als» der einzige Mensch, der nach den von Herrn Fiedler mitgetheilten Briefstellen den tobten Recken, der sich nicht mehr verant worten kann, indirect der Lüge und der Feigbeit zeiht! Wir sind fest überzeugt, daß selbst die geschworenen BiSmarck- gegner, die diese ihnen hochwillkommene Anklage öffentlich nach Kräften auSbeuten werden, im Innern keinen Augenblick im Zweifel darüber find, wer Glauben verdient. * Leipzig, 8. April. In dem „Wegweiser durch Bis marcks Gedanken und Erinnerungen" von Professor Vr. Horst Kohl ist in dem Capitel über 1848 gesagt: „Aus die nachher zu Tage tretende Schwäche de» König-, der aus den Rath feiger oder verrSihrrischrr Minister vor der Revolution capitulirte in dem Augenblicke, da er durch die todeSmuthige Tapfer keit seiner Soldaten des Sieges über den Aufruhr sicher war, ist er (Bismarck) offenbar nicht gefaßt gewesen." Da sich dieser Satz wörtlich in einem der Aufsätze findet, die Herr Professor vr. Kohl über die „Gedanken und Er- Ver Meßftand. Skizze von Georg Hiller. Nachdruck vkritten. Als ich ein kleiner Knabe war, war es eine meiner Be schäftigungen, aus dem Schulwege, wahrend deS Marktes oder der Messe durch die Budenreihrn zu streichen und weniger die auSgelegteN Stoffe, al» die Gesichtet der Verkäufer zü studiren. Waren Käufer an drtt Ständen, so war ich kaum fort- zubringen. Mit größter Aufmerksamkeit verfolgte ich den Handel uüd Vie Redtn. Die Anpreisungen der Waare schienen Mit so ehrlich und gut gemeint, daß ich Niemals be greifen konnte, warum die Käufer nicht gleich zugriffrn, sondern allerlei Ausstellungen zu Macken hatten, warum sie an dem Preise rüttelten, warum sie weniger für die Elle boten, al» dtr Handel-Mann verlangte, wie schließlich der Kaufmann nackgab und ganze Groschen voM Preise abließ, und al» er die' Waare abschnitt, doch ein fröhliches Gesicht machte. Auch dir Käuferin War zufrieden, sie »ahm ihr Packet fest in den ArM, verließ aber noch lange Nicht den Stand, sondern unterhielt sich mit dem Handelsmann und sprach von Diesem und Jenem, bi» eine ander« Käuferin hrrantrat, kritisch die Waaren besichtigte und sich der Verkäufer nün dieser zuwandtr. Dann drückten sich noch einmal Käuferin und Verkäufer Vie Hand und mit einem „Wiedersehen zur nächsten Messe" ging die Käuferin von dannen. Eine ganz besondere Freude hatte ich, wenn eS gerade Mittagszeit war und die Mädchen und Frauen mit großen Menagen und Körben kamen und die Schüsseln und Terrinen auSpackten, au» Venen die Marktleute ihr Mittag-brod löffelten. So manche freudige Ueber- rasckung gab eS da, wenn es gerade die Lieblingsspeise war. Die frische, oft scharfe Luft macht hungrig und es war kein Ver gnügen, im Regen und bei Schneegestöber von früh acht oder neun Uhr bis zur Dunkelheit in der Bude auszubaltrn. Freilich, eS gab auch darin recht anheimelnde Fleckchen, die mich immer anzogen und mit dem Wunsche erfüllten, ein mal dahinten eS mir recht gemüthlich zu machen, wenn auf der Straße die Leute mit hochgesteckten Rockkragen und rothen Nasen fröstelnd vorüber eilten. In jener Ecke stand nämlich der Koblentopf mit glühenden Holzkohlen und darüber war nur eine dünne eiserne Platte gelegt, auf die die Leute in der Bude ihre Füße stützten und sie erwärmten; dann wurde wohl der Koblentopf bervorgebolt und mit vollen Backen daS Feuer angeblasen, während die Hände sorgsam den heiße» Topf umspannten. Natüriich batte ich unter den Verkäufern auch meine Lieb linge, denen ich mit besonderem Interesse zuschaute und die cS mir überhaupt angethan hatten. Da war eine kräftige Frau in mittleren Jahren, die mich interessirte. Sie verkaufte Weißwaaren und Vorhänge, und an ihrem Schild stand, daß sie anS einem kleinen erzgebirgischen Ort« sei, einem Orte, so klein, daß wir in der Schule von diesem Orte nickt» zu hören bekamen. Sie batte ich ganz besonder» lieb. Sie war so freundlich und gut, jagte mich nicht fort, wenn ich ihre schönen Gardinen ansab und sehr nahe an ihren Stand herantrat, um etwa» von den Gesprächen zu erlauschen. Da erfuhr ick denn, daß sie verheirathet sei, daß ibr Mann zu Hause drei Gardinenstühle besaß und fleißig arbeitete, während sie mit der Waare unv anderem Zugekauften auf dir Messen und Märkte zog, daß sie oftmals ein viertel u»d ei« halbes Jahr nicht zu Hause war, daß während dieser Zeit ibre neunjährige Tochter schon daS Hauswesen besorgen mußte, daß aber daS Geschäft gut ging, daß sie sich schon rin Häuschen und rin Stück Feld erarbeitet batten und daß sie recht zufrieden sei. Eine Klage kam nie über ihr« Lippen, immer war sie freundlich, und da» hatten auch die Leute gern, denn ihr Stand war voller Käufer und eigentbümlicher Weise schienen ihre Nachbarn ihr das Glück zu gönnen, denn sie besuchten sie oft und waren mit ihr vertraut. Ich bemerkte auch, daß die Frau, sie hieß Müller, manchmal Käufer zu dem Nebenstand schickte Und daß über haupt in dieser kleinen Welt deS Handels und Verkehr» ein ruhiges Zufriedrnsein herrschte. Man war auf sich an gewiesen» beschränkte sich mit dem, wa« man hatte und lebte genügsam, über jeden ersparten Tbaler sich freuend. Sogar der Kaufmann, der auf dem Markte ihr gegenüber einen Laden hatte und darin Kaffee und Zucker, Heringe, Band, Zwirn» Leinwand, Lampen, Nägel, Bürsten, Körbe u. s. w. verkaufte, war mit ihr gut Freund, rief hin und wieder ein Scherzwort zu ihr herüber und empfing darauf in der barten und so trauten erzgebirgischen Sprache prompte Antwort. Niemals versäumte ich zu Messen«- uüd Marktzeiten bei ihr vorüberzugehen, und al- ich ihr schließlich die Kundschaft meiner Mutter zugkwandt unv Mit ihr selbst gesprochen hatte, dann grüßte ich sie und wir wurden gute Freunde. So ging r« Jahre lang. Auch als der Schulranzen längst der Mappe gewichen war, diese Mappe immer dicker wurde, blieb ich meiiierFreundin treu und vergewisserte mick, wenn auch nickt mehr Tag für Tag, ob ibr Geschäft ging und ob sie noch ge- sund sei. Die Tochter kam, al« sie confirmirt war, mebr- mal« mit zum Markte, indessen schien e< mir, äl« ob ibr der Verkauf nicht so von der Hand ging, als ob sie, eingebildet auf ibre frischen Wangen, ihr Stumpfnäschen und die Fülle schwarzer Haare, dir Kunden etwa« schnippisch bediente und sie mehr von sich stieß al« anzog. Die Mutter machte darüber oft rin recht betrübte« Gefickt und ich merkte, daß sie manch mal die Tochter sckarf anfuhr. Da« half nun frtilich nicht», Vie Tochter wurde «och schnippischer und widersprach noch mehr. Der Laden am Markt, dem Stand gegenüber, war vergrößert worden, die alten Schaufenster, dir noch FeNster- kreuzr zeigten, waren tntfrrnt worden und neue -roße Spiegel scheiben eröffneten einen weiten Blick auf die auSgelegten Herrlichkeiten; Kaffee und Zucker, Rosinen und Mandeln, auch Bürsten und Körbe wurde» nicht mehr verkauft. Der neue Inhaber stellte ein Schild auf, auf dem die damals mir noch rätbselhaften Worte: „Mode« und Confectivn" standen und es schien mir fast, als ob zur Marktzeit immer mehr Leute in den Lade» gingen Und meine Freundin reckt oft ihren Verkaufsstand leer sah. In dem Laden war ein Ge hilfe angestellt, ein schneidige« Kerlchen, mit dem schien unsere erzzebirgische Maid zu poussiren, wie unser Ausdruck lautete. Die Mutter sah das keineswegs gern und zum nächsten Markt brachte sie die Tochter nicht wieder mit. Dann zog ich in die Welt hinaus und vergaß Messe und Markt unv meine alte Freundin. Wieder kehrte ick einmal zur beimathlichen Scholle zurück, und da gerade wieder Marktzeit war, sucht« ich den Gardinen stand auf. Ja, da saß sie noch. Die Bude war noch dieselbe, auch das Schild war noch da, aber e» war recht verwittert, lange Riffe zogen sich durch die WackSleinwand, aus der die ebemals goldigen Buchstaben den Namen Müller verkündeten, Nur war mit neuer weißer Schrift dahinter rin kleine«, be deutungsvolle« gemalt: Wittwe. Ich konnte mich nicht ent- ballen, näher zu treten. Ein paar Fenslervorhänge für die junge Frau zu Hause al« Meßgescvrnk konnten' schließlich meiner Casse nicht zu viel schaden. Ich war mit der Frau Müller bald handelseinig, denn ich feilschte nicht. Meine Freundin war recht alt geworden, ihr frische» runde» Gesicht, e« war nicht mehr. Tiefe Furchen und Falte» zogen sich über Stirn, Wangen und Kinn, und da» rhemal« so glänzend schwarze Haar war schon recht grau. Sie kannte mich nicht mehr. Sie händigt« mir mein Packet au», ich zögerte, zu geben. Ich wollte sie so gerne fragen, wie e» ibr ginge, wa» ihre Tockttr mache, aber eine gewisse Scheu hielt mick zurück. Daß e« mit ihr und ihrem Geschäft nicht mehr zum Vesten war, sah ich selbst und ich schämte mich, neugierig vielleicht, eine vernarbte Wunde auszureißen. Schließlich faßte ich doch Muth. E» war ja keine persönliche Neugierde, e» «ar da»
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