Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.04.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990425018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899042501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899042501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-04
- Tag1899-04-25
- Monat1899-04
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis t> der Hauptexpedition oder den im Stadt» bezirk und den Bororten errichteten AvS- uabestellen abgeholt: vierteljährlich ^S4.öO, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haut ^l L.ÜO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestäbrlich 6.—. Dirrcte tägliche Kreuzbandiendung tu» Ausland: monatlich >tz 7-bO. Die Morgen-AuSgabe erschekut um Ve? Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentag- um b Uhr. Le-artio« vnL Erpedittoa: 2ohanni««afie 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filiale«: rits Klemm'» Sorttm. (Alfre» Haha), Universitätsstrah» S (Paultnmn), Louis Lösche, Katharinevstr. 14, pari, und König-Platz 7. Morgen-Ausgabe. WpMcr TagMM Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Ratßes und Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigerr-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter demRedactionsstrich (4go- spalten) bO/iZ, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- vcrzeichniß. Tabellarischer und ZiffernjaD nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuag SO.—, mit Postbesörderuag 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-An-gabe: BormittagS 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filiale» und Annahmestellen je eia« halbe Stund« früher. Anreigen sind stets an die Expedition zu richte«. Druck und Verlag vou E. Polz iu Leipzig. M. Dienstag den 25. April 1899. 93. Jahrgang, Kinderarbeit in England und Deutschland. Dr. L. Wenn manchestevlicher Freisinn und akademische Theorie uns aus socialpolitischem Gebiete gern Eng land als Muster hinstellen, so hat dazu unlängst ein« Nerhano» lung deS Unterhauses zu London eine drastische Illustration ge geben. Das Haus faßte nämlich einen Beschluß, nach welchem Vie Altersgrenze für Kinder, die in Fabriken beschäftigt werden dür fen, von II aus 12 Jahre heraufgesetzt werden soll. Das führt einmal wwder aller Welt vor Augen, wie sehr England im Kinderschuh gegen anvere Länder zurück ist, wie dort Kinder nicht nur in schnödester Weise materiell ausgebeutet, sondern auch zugleich in ihrem Schulunterricht geschädigt weiden dürfen. Die englischen Gesrtze erlauben, daß Kiwoer schon mit II Jahren den halben Tag in die Fabrik geschickt werden. ES sollen das regelmäßig nur die in den Schulkenntnissen vorgeschrittenen sein, es soll auch eine Art Examen gemacht werden; in der Thar ist diese Halbtags-Kinderarbeit in Fabrikstädten ganz allgemein; ohnedies ist es ein Skandal, gerade den fleißigeren und begabteren Kindern die weitere Ausbildung zu verkümmern oder unmöglich zu machen. Nach den Ermittelungen des Londoner Schulamts sind in London weit über 2000 Schulkinder durchschnittlich wöchentlich 27 Stunden in Fabriken thätig. Mit den Schul stunden Haden also dies« Kinder ein« ebenso lange oder längere Arbeitszeit wie erwachsene Arbeiter. Schon vor länger als einem Jahrzehnt ist auf den Generalversammlungen der englischen Handelskammern bittere Klage über die unwürdige und schädliche Kinderarbeit geführt worden. Bei der jetzigen Verhandlung des oben erwähnten Antrages bemerkte Unterrichtsminister Gorst in seiner Rede, von seinem Standpunkte aus müsse die — aus dem Hause heraus vom liberalen Abgeordneten Robson eingebrachte — Bill befürwortet werden, denn wenn man den im 12. Lebens jahre stehenden Kindern auch nur gestatte, Morgens einen halben Tag in der Fabrik zuzubringen, so sei -das keine gute Vor bereitung für den Nachmittagsunterricht. Nach der Schätzung des Ministers giebt es 50 000 solcher für die halbe Zeit beurlaubter Schulkinder. Wolle man diese in der Schule zurückbehalten, so verlören zwar die Eltern für ein Jahr den Arbeitslohn der Kinder, aber das Land gewinn« dafür an besserem Unterricht. Di« Sache sei zugleich eine Ehrensrage für das Land. Auf der Berliner internationalen Arbeiterschutzconferenz von 1890 habe England versprochen, das schulpflichtige Alter bis zum 12. Jahre zu erhöhen, aber bis heute sein Versprechen noch nicht ausgeführt. Das Londoner Blatt „Echo" schreibt bitter, wenn jetzt England das Gesetz annehme, gelange es glücklich auf das russische Niveau. Und zudem gebe es außer den „Halbzeitlern" ein« große irregu läre Menge städtischer Kinder, die der Schule ganz oder theil- wevse entschlüpfen; ihre Arbeit dauere länger und sei entsittlichen der, als die -der Halde Zeit arbeitenden Kinder; da liege das wirkliche Problem der Kinderarbeit. Es giebt also außer den vom Unterrichtsminister aufgefllhrten 50 000 „Hals-Timers" vielleicht noch eine größere Zahl 11 jähriger Kinder, di« der Schule ganz entgehen und voll in der Fabrik arbeiten. Und nun vergleiche man di« deutschen Verhältnisse! Durch die Göwerbevrdnungsnovtlle von 1891 ist nicht nur das Mindest alter der Kinder für Fabrikarbeit von 12 auf 13 Jahre herauf gesetzt, sondern daneben noch bestimmt, daß die gesetzliche Schul zeit vollständig absoloirt sein muß. Da dies fast überall in Deutschland erst mit 14 Jcchren der Fall ist, beträgt bei uns Vas Mindestalter für Fabrikarbeit der Kinder 14 Jahr« gegen II in England! Und in Deutschland werden die gesetzlichen Be stimmungen auch wirklich voll durchgeführt. Im Jahr« 1890 wurden noch 26 591 Kinder unter 14 Jahren beschäftigt; 1894, bis wohin di« in der Novelle von 1891 vorgesehene UebergangS» zeit reichte, nur mehr 4259 Kinder von 13 dahren, unter diesem Alter keine; in England abor nach ministeriellem Äugeständniß 50000 Kinder von II Jahren! In Deutschland herrscht gewiß betreffs der Kinderarbeit auch noch kein Ideal; in der Haus industrie und in der allerdings gesünderen Landwirthschaft werden Kinder stellenweise noch bedeutend zu viel beschäftigt. Aber gegenüber England sind die Zustände bei uns doch geradezu golden zu nennen. Auch dir Ursachen der englischen Mißstände und die Haltung der englischen Regierung sind wahrlich für unsere Conourrenten jenseits des Canals nicht schmeichelhaft. G«ralde weite Arbeiter kreise, besonders die Textilarbeiter von Lancashire, bekämpfen die Heraufsetzung des schulpflichtigen Alkers von II auf 12 Jahre, weil sie ihre Kinder so früh wie möglich zum Verdienst ausnutzen wollen. Wahrlich, auch kein Grund, um den englischen Arbeiter dem deutschen als Muster hinzustellen! Da gerade die Textil industrie die meisten Kinder beschäftigt, so haben die Mehrzahl der diese Kinderarbeit bekämpfenden sonstigen Gewerkvereine keinen Erfolg haben können-, zumal die englische Regierung in dieser Sache sich sehr lau und wenig schön benimmt. Es ist doch höchst charakteristisch, wenn der Unterrichtsminister bei der belegten Verhandlung erklären mußte, feine Befürwortung des Antrages Robson erfolge nur für sein« Person; das Ministerium scheute sich, Stellung Mi Sache zu nehmen. Schon vor drei Jahren hat Herr Gorst ein Schulgesetz eingebracht, wonach das schul pflichtige Alter auf das zwölfte Jahr erhöht werden sollte. Es fiel einfach unter den Tisch. Jetzt zog selbst der Hinweis auf -das nicht erfüllte englische Versprechen von 1890 bei feinen Ministercollegen nicht. Und doch hatte man die ursprüngliche Absicht, dem Gesetzentwurf sine Bestimmung einzufügen, wonach in drei Jahren der Schulzwang bis zum 13. Jahre verlängert werden sollte, fallen lassen, um der Regierung keinen Grund zur Ablehnung zu geben. Nun hat sie sich in kühler Neutralität verhalten und es ist zweifelhaft, ob der kümmerliche Fortschritt in England wirklich durchg-eführt wird, obwohl die Robson'sche Bill im Unterhaus« mit der starken Majorität von 317 gegen 59 Stimmen angenommen wurde und ihre Votirung in der konservativen wie in der liberalen Presse freudig begrüßt wird. In der Parlamentsdebatte wurde hauptsächlich neben der Be deutung für den Unterricht betont, daß die weit höhere Ein schränkung der Kinderarbeit auf dem Continent die industrielle Co-ncmrenz Deutschlands u. s. w. nicht beeinträchtigt habe. Man darf -begierig sein, wie sich schließlich das englische Gesammt» Ministerium zur Sache stellt; wenn abweisend, so will das „knick-tirvs-conrnaittse", dem außer Arbeitern, Lehrern und Philanthropen auch Fabrikanten angehören, «ine große Agitation im Lande entfalten, wobei besonders hervorgehoben werden soll, daß die elfjährigen „Halbzeitler", die bis 5ß Stunden in der Fabrik beschäftigt werden dürfen, gegenüber den anderen Kindern in ihrer körperlichen Entwickelung und geistigen Ausbildung -u-rückbleiben und daß auf diesem Gebiete England nicht ein Hemmschuh deS Fortschritts wevden dürfe. Schmeichelhaft sind diese Zustände und Verhandlungen für dar hochentwickelte, außer ordentlich reiche England jedenfalls nicht. Deutsches Reich. 6. II. Berlin, 24. April. (Der Berliner Arbeit- aeberbund.) Immer mehr zeigt eS sick,daß die Idee, einen Berliner Arbeitgeberbund in-Leben zu rufen,um der drohenden sociaidemokratischen Coalition der Arbeitnehmer gegenüber gerüstet zu sein, eine gesunde war. Unausgesetzt ist der Bund im Wachsen und heute zählt er bereits 1500 Arbeitgeber mit 48 000 Arbeitern. Den, Bunde geboren auch nun beide Bäckerinnungen „Concordia" und „Germania" an; vielleicht ist da- Einschwenken der streiklustigen Gesellen darauf zurückzusühren, daß sie erfahren haben, welchen Rück balt die Meister am Arbeitgeberbunde besitzen. Jetzt sind Verhandlungen im Gange, um den Anschluß der größten und einflußreichsten Arbeitgebervereinigungen an den Bund herbeizuführen. Seine Stellung zu einer der wichtigsten socialen Fragen der Jetztzeit, der Gründung von paritätischen Arbeitsnachweisen, wird der Verband demnächst darlegen; er steht den paritätischen Nachweisen mit sehr gemischten Gefühlen gegenüber. Soweit sich die Nach weise auf die Vermittelung und Unterbringung von ungelernten Arbeitern, Hausdienern, Laufburschen und Dienstpersonal be schränken, werden sie nach seiner Meinung sowohl den Arbeit gebern als auch den Arbeitnehmern zum Nutzen dienen; die Leitung von Arbeitsnachweisen fürFacharbriler aber will er aus schließlich den Arbeitgebern überlassen. Er ist der Ueberzeugung, daß eine Auswahl zwischen guten und schlechten Arbeitern ge- t, offen und den besonder« tüchtiger Arbeitern auch die kllr sie besonders geeignete Arbeit verschafft werden müsse. E» sei lediglich eine Pflicht der Selbsterbaltung, wenn der Arbeit geber das Recht beanspruche, socialdemokratische Agitatoren oder solche Arbeiter, welche die Werkstätte zum Tummelplätze socialdemokratischer Agitation machen oder auf andere Art Uusrieden säen, von der Werkstatt auszuschließen. * Berlin, 24. April. Auf den Uebergang einzelner Zwangsinnungen in die Hand der Socialdemo kratie kommen die „Berl. Pvlit. Nachr." in einem an scheinend officiösen Artikel zurück, in dem Folgende« auS- gefübrt wirb: „Bon Blättern, welche die Interessen der HandwerkScorporationen vertreten, werden den Regierungen Vorwürfe wegen der AuS- führung deS Handwerksorganisationsgesetze- gemacht, die dahin aus gelegt werden könnten, a!S hätten die Regierungen zu einer solchen Entwickelung der betreffenden Zwangsinnungen beigelragen. Tas Gesetz vom 26.Juli 1897 bestimmt, daß die höhere Verwaltungsbehörde auf Antrag Betheiligter die Errichtung einer Zwang-innung anordnen kann, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind, u. a. wenn die Mehr heit der betheiligten Gewerbetreibenden der Einführung de- Beitritl-- zwangeS zustimmt. In den Fällen, in welchen die Innung-- Verwaltungen in socialdemokratische Hände übergegangen sind, ist auf Antrag der früheren freien Innungen vorgegangen und zwar so, daß nach Anhörung der betheiligten Gewerbetreibenden die Erlanbniß zur Errichtung der Zwangsinnungen gegeben wurde. Bei den danach vorzunehmenden Vorstandswahlen stellte r- sich heraus, daß die Mehrheit der in der Innung vereinigten Gewerbetreibenden sich zur Socialdemokratie bekannte. Es ist da- bedauerlich, aber wahrlich nicht dadurch abzuändern, daß unbegründete Vorwürfe erhoben werden. Auch die Anschauung einiger Blätter, es könnten die Regierungsstellen bedingte Zwangsinnungen, d. h. solche, zu welchen nur Gewerbetreibende gehören dürfen, die der Rege! nach Gesellen oder Lehrlinge halten, zulasten, ohne vorher die betheiligten Gewerbetreibenden de- Bezirk- um ihre Meinung befragt zu haben, dürste kaum mit dem Wortlaut deS Gesetzes tn Einklang zu bringen sein. In tz 100 der Gewerbeordnung-novelle vom 26 Juli 1897 heißt eS zwar, daß von betheiligtrr Seite ein Antrag auch auf Errichtung der bedingten Zwangsinnung gestellt werden kann, jedoch ist dabei durchaus nicht die Executivbehörde von der Verpflichtung der Anhörung der sämmtlicben Gewerbetreibenden und der Feststellung der Ansicht der Mehrheit der letzteren entbunden. Alle in dieser Richtung in letzter Zeit an dem Vorgehen der Verwaltungsbehörden gemachten Ausstellungen sind deshalb hinfällig. Die Vorgänge bei der Hand« werkszwangSorganisation, wie sie in letzter Zeit zu beobachten waren, ergeben jedenfalls die Lehre, daß man bei dem Verlangen nach neuen Zwangsorganisationen recht vorsichtig sein soll. Sicher lich hat man doch beim Erlaß de» Besetze- vom 26. Juli 1897 nicht angenommen, daß ZwangSinnungen in socialdrmokratische Hände ge langen könnten. In Wirklichkeit ist S geschehen. Denn so etwa?, aber beim Handwerk Vorkommen konnte, so wird man anderweitig noch vorsichtiger sein müssen. Mit Zwangsorganisationen ist die Gefahr der unfreiwilligen Stärkung der socialdemokratischen Agitation verbunden, und man wird gut thun, dieser Gefahr unter allen Um- ständen für die Zukunft vorzubeugen." * Berlin, 24. April. Geschenke und Stiftungen an Arbeiter und an die unbemittelten Volks- classen im Gesammtbetrag von 5 804 3 l 7 Mark für die Zeit vom Januar bis März 1899 sind (nach einer im Heft 1 Jahrgang 1899 in der Ehrentafel des „Arbeiter freund" von P. Schmidt veröffentlichten Zusammenstellung) FeiröHeton« Oliver Cromwell. Es ist ein blutiges Blatt aus der englischen Geschichte, an daS wir heute erinnert werden. Mord und Todtschlag, Ver bannungen, Einkerkerungen, Hinrichtungen drängen sich fast auf jeder Seite uns auf. Wenn man in London den Tower besucht, Durch seine kleinen Treppen und Treppchen mit der Schaar der Besucher von einer Zelle zur andern gelangt und der Beefeater in kurzen Worten die einstigen Insassen dieser Zellen und Zimmer charatteri-sin, wenn er auf Kritzeleien in den Wänden aufmerksam macht, die irgend einervon-Königsmachthierher geschickten Großen des Reiches der Nachwelt überlieferte, kann man sich eines Schauerns nicht erwehren. Die alten Zeiten werden wieder lebendig, die Gegnerschaft zwischen Fürst und Volk und, was noch tiefer ging, die Gegnerschaft der religiösen Glaubensgemein schaften, steigen vor unS auf und erzählen uns von einem Wege langen Leids, eines Leids, das aber schließlich seine Belohnung in einer Verfassung fand, die eS dem Volke ermöglichte, eines der ersten der Welt zu wevden, die jeden Bürger mit Stolz erfüllte und die auf allen Meeren und in allen Ländern den Engländer so sicher auftreten läßt, wie vor anberthalbtausend Jahren den römischen Bürger. In diesen kleinen Höfen standen die Blut gerüste, auf die so mancher edle Mann sein Haupt legte, und bisse Manern -hallten wider von den rohen Lauten der Freude einer fanatischen Menge oder von dem dumpfen Stöhnen des zweifelnden Volkes. Die jungfräuliche Königin Elisabeth war gestorben, ihr Nach folger, Jakob I., hatte den Thron bestiegen und schon zeigte sich überall, wie wenig da» Volk mit ihm zufrieden war, wie «S vor Allem darauf bedacht sein muhte, seinen Glauben zu er halten. Bei jeder Gelegenheit wurden die Volk»i«chte betont, bei jeder Gelegenheit dem Könige zu verstehen gegeben, daß eine gleiche Macht wie er im Parlament vorhanden sei. Die Günst- iingswirthschaft erregte große- Mißtrauen, das zu solchem lawinenhaften Mißvergnügen anschwoll, daß der feile König Einen oder den -Anderen opferte. Unter seinem Sohne Karl I. war es nicht besser. Karl mochte dir beste Absicht haben, er hatte unter dem Hasse, der seinem Vater galt, zu leiden. Er war auch zu wankelmüthig und unaufrichtig. Die strenge Rechtgläubigkeit der Puritaner war ihm verhaßt, sein Hof wurde als ein Hort des Katholicismus angesehen. Die dauernde Geldnoth veranlaßte unzulässige Steuern und Abgaben, die Nichtberufung des Parlaments machte böses Blut, die Unterstützung und Bevorzugung der episkopalen Kreise führte zur Verweigerung der Gelder. Es kam zum Bürgerkrieg. Karl's Truppen bestanden zum Theil aus Söldnern, zum Theil aus dem treuen Adel und der treuen Gentry, aber das Heer war nicht diSciplinirt, eS sengte und Plünderte und Karl'» Neffe Rupprecht von der Pfalz war zwar «in guter General und Reiterführer, aber unabhängig und aus schweifend. Segen ein solch«» königlich«« Heer führte Cromwell keine Gchaaren. Oliver Cromwell war am 25. April 1599, also vor drei hundert Jahren, zu Huntingdon geboren. Früh verwaist, fiel ihm die Sorge für seine Anverwandten zu, und er mag des Lebens Noth ost genug gekostet haben, bis er nach seiner Ver- heirathung ein Landgut erwarb und nun auf eigenem Boden rüstig schaffte. Schon mit 29 Jahren wurde er ins Parlament gewählt, machte sich aber zuerst nicht bemerklich. Erst als der Kampf des Volkes mit dem König ausbrach, trat er hervor, und dieser kleine, unscheinbare Mann wurde bald der größte Mann Englands. Es war etwas Eisernes in Cromwell, vielleicht auch etwas Verbissenes, was sich hinter Bibelsprüche versteckte, eine unbezähmbare Sucht zum Herrschen, die mit dec Bibel die Gegner todtschlug. Nach einigen Niederlagen des Parlamentkheeres -bildete Cromwell seine Trupp«, seine gottseligen Dragoner, wie Vie Gegner spotteten, seine Eisenseiten, wie sie bald erfahren mußten. Mit ihnen errang er den Sieg bei Marston Moor, und nun wurde nach seinem Rath das ganze Heer umgestaltet. Seine größte Kriegskunst zeigte er am 14. Juni 1645 in der Schlacht bei Naseby, wo er -die Königlichen vollkommen vernichtete. D«r Landmann Cromwell war zum General geworden, zum sieg reichen General und Soldaten, und eS hätte einmal die Welt geschichte einen anderen Gang gehen müssen, wenn nicht das Heer für sich in Anspruch genommen hätte, was der verfassungs mäßigen Macht gebührte. Cromwell'» Soldaten waren Bürger und Landleutc, die für sich und ihre Ideen in den heiligen Krieg zogen, die für sich das Recht in Anspruch nahmen, das mit der Feder zu sichern, was sie mit dem Schwerte gewannen. Sie erkannten keine Gewalt über sich, sie nannten sich Inde pendenten und waren es im Glauben und im bürgerlichen und im politischen Leben. ES war Puritanerstolz, der in ihnen loderte und der selbst vor dem eigenen Götzen, wie Cromwell, nicht Halt machte. DaS erfuhr Cromwell, als er mit seinen Truppen dem Parlamente den in dessen Haft sitzenden König entriß, und als er diesen König, dem er einen Ausgleich anbot, da er wahrscheinlich selbst die Unzulänglichkeit seiner Stellung fühlte, nach Wight entfliehen ließ. Der König dankte ihm die Flucht nicht, er verband sich mit den Schotten und rief dadurch einen zweiten Bürgerkrieg hervor, den aber Cromwell's Sieg bei Preston vom 17. bis 19. August 1648 und die Einnahme Edinburgs bald beendete. Wenn ein Dritter gefährlich wird, so verbünden sich die früheren Feinde. So das Parlament mit dem Könige gegen daS independente Heer. Aber die Macht beider war gebrochen, Cromwell lieh am 6. und 7. September 1648 die preSbyterischen Mitglieder d«S Parlaments verhaften unv am 30. Januar 1649 wurde König Karl nach einem sum marischen RechtSverfahren enthauptet. Cromwell war d«r Erste im neugebildeten Staatsrath, und nun zeigte er sich auch als hervorragender Diplomat. Freilich war es noch schwer, die neue Staatsform zu vertheidigen. Ströme von Blut flössen in Ir land, wo man den KatholiciSmuS mit Stumpf und Stiel aus- rotten wollte, blutige Schlachten wurden den Schotten und dem ' König Karl II., der nach Schottland gerufen worden war, ge- ' liefert, sie endeten mit Cromwell's Siegen. Wie Cromwell zu Lande, so war sein Admiral Blake und später Monk zu Wasser siegreich uns machte den englischen Namen zu einem gefürchteten t bei den bisherigen Seevölkern, den Niederländern und den Spaniern. Im Innern mußte sich Cromwell der verschiedensten Widersacher erwehren, am gefährlichsten schienen die Levellers, ultraradikale Schwärmer, werden zu wollen, bis sie Cromwell vernichtete. Cromwell wurde Lordprotector, eine neue Würde, die ihm auch eine neue Aufgabe stellte. Man hatte ihm die Königswürde angetragen, die er ausschlug, die Lordprotector- schaft mit dem Rechte der Ernennung eines Nachfolgers nahm er an. Das Land hatte nicht vergeblich seine Hoffnung auf ihn gesetzt. Handel und Wanvel blühten, die Macht Englands wuchs, die inneren und äußeren Feinde waren zum Schweigen gebracht, nur die Mörder lauerten auf den Lordprotector und wollten ihre Rache üben. Es ist kein Wunder, daß Cromwell daran dachte, die alte Ordnung der Dinge, das Parlament mit Oberhaus und Unterhaus, wieder einzuführen. Er wollte das Neue mit dem Alten versöhnen, aber es gelang ihm nicht. Seine Gegner erspähten seine Schwäche, sie verftanben nicht die wahre Größe dieses Mannes, der mit Blut und Eisen den reinen Glauben erhalten wollte, für den Protestantismus eintrat und sein Volk in wenig Jahren mächtig und groß gemacht hatte. Die alte presbyterianische Partei wuchs wieder mächtig an und im neuen Unterhaus erhielt Cromwell im Januar 1658 eine Niederlage, so daß er zornig auch dieses Parlament heimschickte. Am 3. September desselben Jahres starb er selbst. Es kann nicht die Aufgabe einer Tageszeitung sein, geschicht liche Studien zu machen. Wenn sie auf besondere Gedenktage auf merksam macht, so thut sie es, um zur Betrachtung des Alten und zum Vergleich mit dem Neuen anzuregen. Die Regierung Cromwell's war kurz und Diele hatten ihm vorgearbeitet, aber sie ist ein Eckstein in d«r englischen Geschichte. Revolution unv Lordproteciorschaft kräftigten das Selbstbewusstsein deS Volkes, und dieses Selbstbewusstsein führt« eS zu Wohlstanv, Ansehen und Macht. Cromwell gehört in die erst« Reihe geschichtlicher Personen. Georg Weber schreibt in seiner Charakteristik von ihm: Wie Cäsar und Napoleon durch militärische Talente an der Spitze eines siegreichen Heeres emporgestiegen, hat er doch nicht wie diese die Krone auf sein Haupt gesetzt; mit der höchsten bür gerlichen Gewalt bekleidet, hat er sie nicht wie Washington wieder aus der Hand geben wollen. Durch die Natur und die mächtige Zeit auS rohem Stoffe zum Herrscher geschmiedet, suchte Crom well sich alle Kräfte des Landes dienstbar zu machen, nicht, um seinen persönlichen Ehrgeiz zu befriedigen, sondern um als „Zucht meister zur Frechen" ein Staatswesen zu schaffen, worin religiöse Selbstbestimmung nach protestantischer Auffassung mit bürger licher Ordnung und nationaler Größe und Unabhängigkeit auf dem Boden geschichtlicher Ueberlieferung und gewohnter Rechts formen verbunden sein sollte. Wie er im Anfang seines öffent lichen Lebens diese Ideen gegenüber den absolutistischen Ten denzen deS KönigthumS vertheidigt, so suchte er sie als Lord- Protector gegenüber den destruktiven Kräften der Radikalen und Schwärmer zu schirmen; daß er in diesem Streben durch den doktrinären Starrsinn seiner eigenen Genossen gehemmt ward, dass es ihm nie gelang, einen dauernden DerfasiungSbau ouf- -urichten, worin die civilen und militärischen Elemente sich in geordneten Bahnen bewegt hätten, daß er immer wieder zu Maß. regeln der Gewalt und Willkür greifen mußte, daß seine Regierung nie einen bürgerlichen Charakter zu »langen ver mochte, hat ihm -sein Leben verbittert. Wie ein Held der alten Tragödie hat Cromwell mit dem unerbittlichen Schicksal ge rungen, wie «in Fels den anstürmenden Wogen Wiverstand ge leistet und sie zuruckgeworfen: „Eine Kraft von tiefem Antrieb, ureigener Bewegung, breiter Mächtigkeit, — langsam und feurig, beständig und treulos, zerstörens unv conservativ, — die den un gebahnten Weg immer geradeaus vor sich hintreibt; Alles muß vor ihr weichen, was ihr widerstrebt oder es muß zu Grunde gehen." Keine geschichtliche Persönlichkeit ist von der nächsten Nachwelt so gehaßt und geschmäht worden wie Oliver Cromwell: er galt als Heuchler, Usurpator, Tyrann, Königsmörver; sein ganzes Leben wurve als eine Kette von Verbrechen und Grausam keiten dargistrllt; er wurde als ein moralisches Ungeheuer ver dammt. Dieses Urtheil ist in der Folge in seinen Gegensatz um geschlagen: die nachgeborenen Geschlechter erklärten ihn für einen der größten Männer der Weltgeschichte, der die Keime in die Erde gesenkt habe, aus denen der spätere freie Rechtsstaat Groß britanniens emporgewachsen. Weit entfernt, in seinem religiösen Auftreten Heuchelei und Scheinheiligkeit zu erblicken, hat man darin die Früchte eines gläubigen Gemüthes, einer strengen Gottesfurcht erkannt; gegenüber einer äußerlichen Werkheiligkeit und hierarchisch priesterlichen Kirchlichkeit habe er auf die innere Heiligung des Herzens, auf eine Religion des Gewissens, auf die freie Entfaltung der göttlichen Wahrheit gedrungen und stets zu dem Herrn gefleht, daß er ihm Kraft verleihe, immerdar groß« Werke zu seinem Preise zu vollbringen. Hat er doch selbst von sich gesagt, daß er sich fortgetragen fühle von einer wunder baren Kraft; daß er nichts thue, ohne den Herrn zu suchen, in ihm lebte die Ueberzeug-ung, daß sein ganzes Thun und Voll bringen auf einen ewigen Rat-Hschlutz und Erwählung Gottes gegründet sei. Man hob mit Recht hervor, daß er, ein zweiter Gustav Adolf, der protestantischen Welt als Schirmherr erschienen zu einer Zeit, da der Katholicismu? von den habsburgischen Mächten und selbst von Frankreich zur Alleinherrschaft geführt werden sollte und eine eifrige Propaganda ihre erfolgreiche Thätigkeit entfaltete. Und wenn au ch die Errungenschaften der Republik in»der reaktionären Zeit der Restauration wieder ver dunkelt oder unterdrückt wurden, der Samen religiöser Freiheit ist doch nie mehr ausgerottet worden. Und wie Cromwell den katholisirenden Tendenzen auf kirchlichem Gebiet entgegengetreten ist, so hat er mit sein«n puritanischen und independentischen Kriegsschaaren bewirkt, daß der königlich-hochkirchliche Absolutis mus sich nicht tn England auf die Dauer fefisehte; er hat die Vereinigung der drei Reiche zu einem großbritannischen Gemein- Wesen in einer Weise durchgeführt, wie sie di« Stuart» niemals zu bewirken vermocht, und ist dadurch der Bahnbrecher der Zu kunft geworden; und indem er eine kräftig« Marine schuf und die Nation auf ihr naturgemäßes Gebiet hinwies, ist er der Schöpfer oder Förderer der englischen Seemacht und Colonisation ge wesen und hat dem Jnselreich«, da» unter den Stuart» auf dem Wege war, zum Trabanten von Spanien herahusinkn, nationale Selbstständigkeit verliehen.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite