Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.07.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960720011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896072001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896072001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-07
- Tag1896-07-20
- Monat1896-07
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS.PreiS bl der Hauptexprditton oder deu im Stadt« vezlrk und den Vororten errichteten AuS« gabestellen abgeholt: vierteljährlich^4.50. bei zweimaliger täglicher Zustellung io» Haut ^l 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich 6.—. Direkte tägliche Rreuzbandienduog tu» Ausland: monatlich 7HO. Die Morgen.AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentag» um ü Uhr. Ne-action und Expedition: Johannes,afie 8. Die Expevition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. —o«— Filialen: Dtt» Klemm'» Sortim. (Alfred Hahn>. UniversitätSslraße 3 (Pauliuum). Loni» Lösche. stathartnenstr. 14. »art. und KönigSvlatz 7. Movgen-Ausgabe. MMcr TagMM Anzeiger. Amtsblatt des A-niglichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Natkjes «nd Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. AnzeigenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile »0 Pfg. Reklamen unter dein Redactionsstrich (4ge- spalten) 50^, vor Lea Aamitieuiiachrichtev (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- derzeichnib. Tabellarischer und Zisseruiatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Poslbesürderung vO.-—, mit Poslbesürderung 70.—. I.»nalimeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Bet den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Druck nnd Ver'ag von Volz in Lelozi) Montag den 20. Juli 1896. SV. Jahrgang. Amtlicher Theil. Bekanntmachung. Die Verwaltung des die Stadt Leipzig mit umfassenden Maschinen-Brandversicherungs-JnspectionsbcjirkSDresden ist vom 15. lausenden Monats an den Izum Brandversicherungs-Jn- spector ernannten zeitherigen Gewerbe-Jnspections-Assistenten Rk- gicrnngSbanmeister Julius Aoige zu Dresden übertragen worden, was zufolge Verordnung der Königlichen Brandversicherungskammer vom 11. dieses Monats hiermit zur öffentlichen Kenntniß ge- bracht wird. Leipzig, am 15. Juli 1896. Ter Rath der Stadt Leipzig. — vr. Tröndlin. Frenzel. Die Vrd-, Maurer- und Steinmctzarbciten zur Trocken, legung des Kellers in der Kaserne des 106. Jnsanterie-Regiments in L.-Möckern sollen in einem Loose öffentlich verdungen werden. Der Termin wird Lonnabend, den 2». d. M., Bonn. 10 Uhr. Alexanderstrasze 10, I., abgehalten, woselbst die Bedingungen rc. zur Einsicht ausliegen. Angebote mit entsprechender Aufschrift sind versiegelt und Porto- frei bis zu obigem Zeitpunkt »inzusenden. Der König!. Äarnison-Vanbcamte. Aus dem Briefwechsel einer sächsischen Landesmutter. Die Originalbriese befinden sich auf Herzog!. S. Bibliothek zu Gotha. III. In den an die Herzogin Dorothea Susanns nach Frankreich gerichteten Briefen finden sich manche werthvolle Aeußerungen Anna's, welche sich auf die politische Lage des Reiches beziehen und aus denen wir deutlich wahrnehmen, mit welchem Eifer die sächsische Kurfürstin als eine gute und fromme Deutsche die Ehre des Vaterlandes und den Frieden des Reiches verfocht. Wenn Anna überhaupt eine Richtung in den politischen Unternehmungen jener Zeit herbeisehnte, so war es ihrem eignen Charakter entsprechend, die des Völker friedens. Alles unnütze Blutvergießen war ihr als guter Christin verhaßt, ebenso aller unerquicklicher Streit in den Sachen des Glaubens, der doch in jenen Tagen über Krieg und Frieden zu entscheiden berufen war. Die Leitung der politischen Angelegenheiten des eigenen Sachsenlandes ließ sie getrost in den Händen ihres mächtigen Gemahles ruhen. Sie kümmerte sich wenig oder gar nicht um die Hauspolitik; das überließ sie ihrem Gemahl. Seinen Entscheidungen fügte sie sich gehorsam. Bei seinen Unternehmungen, wir erinnern nur an Gotha, war sie indeß mit Leib und Seele dabei. Inter essant ist zunächst ihre Bemerkung über „die Krieg»- empoerung" in Frankreich i. I. 1567, ck. ck. 16. Decbr.: „Wir haben wahrlich E. L. halben ganz ungern vernommen, daß derselben geliebter Herr und Gemahl von der koenig- lichen Würde zu Frankreich zum Zuzug mit etzlich hundert Pferden erfordert sonderlich, daß S. L. willens ist eigener Person mitzureiten... Ob wir wohl zu Gott dem All mächtigen hoffen, er werde Mittel und Wege schicken, daß die Kriegsempocrung in Frankreich vertragen und friedlich ausgenommen werde, so achten wir doch, wann die koenigl. Würde zu Frankreich der Reiter bedarf, Ew. L. Herr und Gemahl koennte dieselben wohl andern Rittmeistern unter geben und sich mit solcher mühseligen Gefahr selbst verschonen." Am 14. Februar 1568 schreibt Anna nach Metz: „Ew. L. haben uns der Reuter halben bekümmerliche Gedanken ge macht. Denn wir haben gänzlich gehofft, der allmächtige Gott würde Gnade verleihen, daß dieser Krieg durch christ liche Mittel vertragen werden sollte. So wollen die Sachen leider noch viel weitläufiger werden. Gott wolle sich seiner armen Christenheit undsonderlich Deutsch lands erbarmen und gnädigen Frieden verleihen." Und am 30. März: „Es wäre wohl zu wünschen und von Herzen zu bitten, daß der ewige gütige Gott sich über seine arme Christenheit an dem und anderen Orten aus Gnaden erbarmen und die entstandenen beschwerlichen und gefähr lichen Kriegsrüstungen stillen und wiederum zu beständigem christlichen Frieden bringen wollte, damit so viel christliches Blut nicht jämmerlich vergossen und die Gewissen nicht be schwert werden. Wie wir dann freundlich bitten, sobald E. L. ichtwaß von einem beständigen Vertrag vernehmen, sie wolle uns damit freundlich erfreuen." Am 18. April empfing endlich die Kurfürstin durch ein herzogliche» Schreiben auS Metz, datirt vom 1. April, die Nachricht, „daß zwischen der königlichen Würde zu Frankreich und dem Prinzen von Conds ein Ver trag und Friede abgehandelt und geschlossen sei." Freilich schien dieser Friede nur von kurzer Dauer zu sein, wie Anna ck. ä. 19. Mai an die nunmehr nach Trier weitergereiste Herzogin schreibt: „Albereit wird hier davon geredet, daß der Duca de Alba von des KoenigS zu Hispanien wegen durch Herzog Erichen an vier bis sechstausend Pferde bestellt habe. Daraus denn allerlei Unheil in Deutschland zu befahren. Der liebe Gott schaffe Friede durch seine Kraft und erhalte uns bei seinem göttlichen Wort." Der Wunsch Anna's würde erhört, wenn auch nur auf kurze Zeit. Herzog Johann Wilhelm und Dorothea Susanna kehrten noch im Laufe des JahreS in die Heimath zurück. Ihr Töchterlein war be denklich erkrankt, wie aus einem Schreiben der Hanua von Königsfelder, der Hofmeisterin in Weimar, hervorgeht. Unterdessen entbrannte der französische Religionskrieg zu immer verderblicheren Flammen. Den Friedensschlüssen zu Osrmain eu folgte wenig Jahre später die Pariser Bluthochzeit. Es ist bezeichnend für den ganzen Charakter der edlen Kurfürstin, daß sie nur mit aufrichtiger Betrübniß Kenntniß von dem Blutvergießen um des Glauben» willen nimmt. Und dieser Zug entspringt nicht einer gewissen Lauheit und Gleichgiltigkeit ihres eigenen religiösen Empfindens, als viel mehr ihrem wahren, innerlichen, lebendigen Christenthum, von dem sie überzeugt ist, daß eS die höchste und reinste Offenbarung der Liebe Gottes ist und die Liebe unter den Menschen als Sein vornehmstes Gebot hinstcllt. Ge schichtlich sehr werthvoll sind Anna's Briefe, die sich auf die kirchlichen Ereignisse in der Kurpfalz beziehen, wo der Schwiegersohn Johann Casimir der Kurfürstin durch seine kalvinistischen Bestrebungen großen Kummer bereitete. In dieser Angelegenheit schrieb sie wiederholt an Dorothea Susanna. Am 12. Mai 1584 schrieb die Herzogin an Anna: „wir wissen, daß Herzog Johann Casimir Pfalzgraf, E. L. Sohn und Tochtermann, in der Pfalz in Rellgionssachen Übel haushalten und fast alle Praedicanten, welche seiner calvinischen Meinung nicht beipflichten, enturlauben soll . . und haben S. L. am nächst »erschienenen Sonntag Uiseri- eoräias vomiui daS junge Herrlein mit Gewalt in S. L. calvinische Predigt geführt, ungeachtet daß da» junge Herrlein mit weinenden Augen sowohl auch sein Hofmeister und Praeceptor zum heftigsten dafür gebeten. Aber solche Bitte hat bei Sr. L. gar nicht stattfinden wollen und hat daS Herrlein die ganze Predigt über in der Kirche sehr geweint, welche» wir denn mit hoher Bekümmerniß vernommen, daß das junge fürstliche, zarte und unschuldige Blut zu einer verführerischen Religion gedrungen worden und also da» subtile Gift deS sacramentarischen Schwarms in seiner Jugend durch Zwang bekommen soll." Anna möge doch den Kurfürsten August veranlasfen, daß er „nach seinem hohen Verstand auf Mittel und Wege sinnen wolle, wie solchem Vorhaben in der Zeit begegnet werden könne." Diese Bitte blieb nicht unerhört. Sofort nach Empfang de« Briefes meldet die Kurfürstin von EckerSberga auS ä. ä. 18. Mai 1584: „Daneben aber erfahren wir mit Betrübung ganz ungern, daß unser geliebter Tochtermann Pfalzgraf Johann Casimir in der Kurpfalz solche Verordnung in Religwnssachen vornimmt, auch das junge Herrlein mit Gewalt in seine lateinische Predigt zwingen. Tragen des wegen mit demselben ein freundliches, treuherziges Mitleiden, und laden S. L. diesfalls gegen den Allmächtigen schwere Verantwortung auf sich. Wir mögen aber E. L. freundlichst nicht bergen, daß sich unser herzliebster Herr und Gemahl, der Kuriürst von Brandenburg, S. L. Sohn der Administrator des Erzstiftes Magdeburg, Herzog Julius zu Braunschweig, Herzog Ulrich zu Mecklenburg und Herzog Ludwig zu Württc: berg eines Schreibens an seine Pfalzgrass Johann Casimir L. dieser Sachen selber verglichen, darin Ihre Lbd. S. L. vri- wahren und vermahnen, von solchem Ihrem Fürhabeu ad zustehen, damit nicht S. L. etwa ein Schimpf oder andere Ungelegenheit daraus erfolgen möchte, wie denn solches Schreiben allbereits tbeilS vollzogen, und den andern auck zugeschickt wird. Darauf wird man nun S. L. Erklärung erwarten müssen. Der Allmächtige helfe, daß S. L. solckc Verwarnung Ihr selbst zum Besten freundlich und gutwillig aufnehmen und diese gefährliche Veränderung der Religion und Beschwerung des Gewissens einstellen." Man sieht doch hieraus, wie fest und treu die Kurfürstin ihr eigenes evangelisch-lutherisches Glaubensbekenntniß ver tritt, ohne dabei den Vorwurf der Unduldsamkeit auf sich zu laden. Ihr Wahlspruch war: 8uum euigue! Jedem das Seine! Unsere ganz besondere Aufmerksamkeit nimmt indeß die Reihe der an Dorothea Susanne gerichteten Briefe in An spruch, deren Inhalt sich auf die Actionen des Kurfürsten August gegen Johann Friedrich den Mittleren, den Schwager der Herzogin von Weimar, beziehen. Schon in einem eigenen Handschreiben vom 21. Febr. 1565 berührt Anna die zwischen den beiden sächsischen Linien ge spannten Beziehungen. Sie schreibt: „WaS die gepflogene Unterhandlung betrifft, hat mein freundlicher, berzliebster Herr Gemahl neben mir herzlich gern erfahren, daß in der- selbigen zugeruckt würde und hoffen wir beide, daß der gütige Gott es nochmals zur freundlichen Vergleichung schicken werde und daß E. L. herrlichster Herr Gemahl will daran nicht wieder Mangel einlassen." Am 3. März schreibt Anna in derselben Angelegenheit: „Wir haben wahrlich ganz gern erfahren, daß sich die Sachen zwischen E. L. geliebtem Herrn Gemahl und Sr. L. Bruder dermaßen anlasfen, daß man sich gewiß einer brüderlichen, gütlichen Vergleichung zu er hoffen. Der allmächtige Gott aebe seinen Segen darzu, daß es zu beständiger Einigkeit, Friede und aller Wohlfahrt gereiche." Und am folgenden Tag, den 4. Marz: „wir haben mit nicht geringer Erfreuung vernommen, daß ter Vertrag zwischen E. L. freundlichem geliebten Herrn Gemahl und Sr. L. Brudern endlich noch erfolgt und voll zogen. Denn man bei brüderlicher Einig keit allezeit mehr Wohlfahrt, Aufnehmen und Gedeib' als bei unfreundlichem Mißtrauen und Zwietracht zu erstehen und gönnen E. L. von Herzen, daß solche Verträge und brüderliche Einigkeit zwischen S. Ll. beiderseits beständig und künftig gestalten werden mögen." Allein auch dieser Friede war nur von kurzem Bestand. Herzog Johann Friedrich d. Mittlere war nicht der Mann der Ruhe und deS Friedens. Er wollte nicht allein die ver- Feuilleton. Eine Pußtenfahrt. Bilder auS der ungarischen Tiefebene. Von Franz Woenig. IV. Auf der Locomotive durch die Steppe. (Nachdruck verboten.) „Guten Morgen, Müller!" Der Lokomotivführer, welcher vor dem Feuerraume der Maschine stand und mit einem Eisenhaken in der Kohlen- gluth herumwühlte, hatte mein Kommen überhörst und war daher nicht wenig erschrocken, als ich ihm aus nächtlichem Dunkel plötzlich meinen Morgcngruß entgegenschrie. „Alle Wetter, haben Sie'S aber heute eilig", rief er von der Maschine herunter und warf die Klappe zu. „Hätten ruhig noch eine Stunde schlafen können. Freilich, bei dieser bannigen Hitze liegt man auch lieber im Theißwasser als unter einem Deckbett. Puh! Heute können wir auf meiner ollen Karline wieder einige Pfund Fett los werden!" Die „olle Karline" war seine Locomotive. Alter und Herkunft dieses unförmlichen Kolosses waren unbestimmt. „Einen Tauf schein hat sie nicht auszuweisen gehabt", meinte Landsmann Müller aus Buckau, aber wenn nicht Alles täuscht, ist sie eine Russin: der dicke plumpe Kopf, die breite Brust." In welcher Herren Länder die eiserne Jungfrau schon seit ihrer Jugend gedient hatte, war nicht zu ermitteln. „In die Salons ist sie nicht gekommen. Als „Mädchen für Alles" hat sie — wie hier beim Bau der Steppenbahn von Debreczin nach Füzes-Abony — Steine, Erde, Bretter und Bauholz geschleppt. Sie hat nichts Feines an sich." DaS war Müller's Urtheil. Ich hatte seine alte Karline trotz ihrer großen Schwächen und Launen — die mit zu nehmendem Alter immer größer wurden — recht lieb ge wonnen, führte sie mich doch schon seit acht Tagen beim Morgengrauen in daS unendliche Bereich der HortobLgy- Steppe und ftand Abends sofort dienstbereit still, wenn ich — noch fern vom Bahnkörper — durch drei Revolver schüsse den Wunsch äußerte, von ihr nach Debreczin mit genommen zu werden! „Haben Sie sich auch reichlich mit Proviant versehen?" fragte der Locomotivführer, al» ich neben ihm auf der Ma schine stand und meine Apparate, Pflanzenmappen und Reise tasche unterzubringen suchte. „Denke doch, daß der Vorrath für uns drei reichen wird", erwiderte ich und hielt ihm eine 30 cm lange Leipziger Cervelatwurst hin, deren Zipfel sich aus der Reisetasche herauSdrängte. Müller betrachtete schmunzelnd das Meisterstück heimischer Kunst und sagte voll Rührung: Das soll »voll so sein, ver ehrter Herr Landsmann. Gotte doch, wenn ich an unsere Magdeburger-Iauersche denke, läuft mir immer das Wasser im Munde zusammen! Die ungarischen Fleischer möge» ja ihr Handwerk verstehen, aber eine gute Wurst ist nicht bei ihnen zu haben. Der reine Kuddelmuddel von Blut- und Fettstücken. Sehr nett von Ihnen, daß Sie mich immer so handgreiflich und eindringlich daran erinnern, wie viel Schönes unsere Heimath hat. Aber ich will mich auch nicht lumpen lassen. Sobald der Fülöp (Philipp) kommt, schicke ich ihn in die Tanya da drüben hinüber und lasse Zuckermelonen holen. Aber wo bleibt nur der Lump? Seit einer Stunde sollte er auf der Locomotive stehen und der ollen Karline Futter schütten. Ich habe ihr gleich selber die doppelte Ration gegeben, denn die wird heute Wasser schwitzen! Sehen Sie nur den Bandwurm von Wagen, der diesmal an ihren morschen Knochen saugt!" Ich betrachtete mit bedenklicher Miene das lange dunkle Wagenband, daS sich im Dämmergrau deS Morgens verlor. „Da dürften wir heute fünf Stunden bis Tisza-Füret brauchen." „Wird mit sechs Stunden nicht abgemacht sein, zumal wenn wir hier noch die kostbare Zeit und den Dampf ver streichen lassen müssen. Den Heizer soll der Teufel holen! Wer mag wissen, wo der wieder seinen Mordsrausch aus schläft!" Aergerlich öffnete Müller das kleine Ventil der Dampf pfeife, die alsbald ein so fürchterliches Getöse erhob, daß ihr andauernder schriller Schrei, der über die nehelumwogten Felder und über das schlummernde Debreczin hinschallte, wohl im Stande gewesen wäre, die Todten auf dem in unserer Nähe befindlichen uralten, verlassenen Friedhöfe auS hundertjähriger Ruhe zu Wecken. Nur den Heizer nicht! Vergebens spähten wir nach der taumelnden schwankenden Gestalt des Fülöp auS. Müller wetterte und fluchte und schwur bei dem qualmenden Haupte seiner Karline, den Lump und Saufaus von Heizer bei der Babnbauverwaltung anruzeigen. Während unseres eifrigen Disputs hatte sich ein Bauern knabe unserer Rosinande genähert. Die Hände in den schmutzigen Gatyentaschen vergraben, das arg zerfetzte Filz hütchen in den Nacken geschoben, stand er breitbeinig da und achtete mit aufmerksamen Blicken auf jede Aeußerung unseres ungeduldigen Steppenrosses. „Der kommt wie gerufen", meinte Landsmann Müller. „He, Bub, wem gehört das Melonenfeld da drüben?" „Meinem Vater", antwortete der Bub. „Ist Dein Vater schon auf den Beinen?" „Er pflückt Aepsel im Garten." „Schön! Lauf und sag' Deinem Vater, er möge uu« einige gute Melonen brechen und den Preis dafür sagen lassen." Schnell wie ein Wiesel lies der Bub davon und tauchte schon nach wenigen Minuten mit zwei Prachtexemplaren der gewünschten saftigen Frucht an der Maschine auf. „Belieben's? Jedes Melone! acht Kreuzer!" Müller zahlte. Der Knabe sprang abermals davon und kam mit zwei kleineren Wassermelonen angetrabt. „Belieben'-? Jedes Melonel vierzehn Kreuzer!" „Ei, Du Lump!" donnerte Müller den kleinen Gauner an, „schlechtere Waare und fast den doppelten Preis dafür? Nix da!" „Vater hat sich vorhin geirrt. Er kann sie nicht billiger geben!" „Na, meinetwegen", sagte der Locomotivführer. „Hier da» Geld, und nun noch zwei Proben von der ersten Sorte." Wir warteten längere Zeit, aber der Bub kam nicht wieder. Als sich Müller endlich unter herzhaften Flüchen entschloß, ohne seinen Heizer und da» dritte schon im Voraus bezahlte Paar Melonen davonzufahren, hörten wir plötzlich drüben in dem Melonenfelde eine Fluth von Schimpfworten, gleich darauf ein fürchterliches Geschrei und den Schall kräftiger Hiebe. „Heiliges Kanonenrohr", lachte Müller, „der pfiffige Meisterdieb läßt sich von seinem Adoptivvater den Empfang meiner sechsunddreißig Kreuzer bestätigen. Der Alte bat eine kräftige Handschrift! Wohl bekomm's, mein Söhnchen! Vater kann's nicht billiger geben!" . . . Die alte Karline erhob ihre Alarmstimme. Die lange Wagenschlange fuhr kreischend aus dem Schlafe und kroch langsam in den dichten Morgennebel der Steppe hinein . . . Ich breitete Müller's zottige Bunds (Schafpelz) über den Kohlenhaufen des Tenders und streckte mich darauf bin. Müdigkeit und Schlaffheit, die Eintönigkeit und Ruhe der verschleierten Einöde um uns her wirkten einschläfernd auf meine Sinne. Den Kopf in die Hand gestützt, paffte ich behaglich mein Thonpfeifchen und überließ mich süßen Träumereien. Der Nebel war so dicht, daß wir nicht bis fünf Schritt vom Bahnkörper klar sehen konnten. Der Locomotivführer fuhr daher sehr langsam und ließ bei jedem verdächtigen Geräusch sofort die Signalpfeife ertönen. Ja oftmals geschah es, daß die alte Karline halten mußte, denn Rinderheerden, welche den Bahnstieg passirten, blieben beim Herannahen des gemächlich dampfenden ZugcS neugierig auf den Schienen strängen stehen und glotzten stumpfsinnig das schwarze Steppenroß an, bis der gellende Zornruf der Dampfpfeife oder der Knüttel der fluchenden Gulyäsen die neugierigen Thiere der Isis und die sie bewachenden kläffenden Wolfs hunde zur Flucht zwangen. Die Thiere der Isis . . . Wie oft habe ich aus meinen Steppenwanderungen geglaubt, inbaltreiche Genrebilder der Gräberwände von Beni-Hassan, Gizeh, Saqqara, Theben rc. und biblische Scenen aus dem Leben der Patriarchen ver körpert vor mir zu sehen, denn dieselbe Rindviehrafse, welche vor 5000 Jahren die altegyptischen Steppen und Weideplätze des gesegneten Gosen belebte, ist noch heutigen Tags auf den Steppen des ungarischen Tieflandes zu finden. Ein verschwommener Lerchentriller, ... ein Zug tief streichender Schwalben und intensive Niederschläge, die uns zwangen, uns fester in Mantel und Bunde zu hüllen, kündeten das Erwachen des Tagesgestirns an. Scharf blies der Morgenwind in die starren Nebel-Coulifsen hinein. Sie be kamen Leben und Bewegung, rollten sich zusammen, Koben und dehnten sich zerrissen in Niesenfeyen, wogten bald hierhin, bald dorthin und vereinigten sich zu phantastischen Gestalten, die meine Phantasie zu beschäftigen begannen. Der Locomotivführer beobachtete mit stiller Befriedigung mein Erstaunen über diese interessante Naturerscheinung. „Ja, ja, LandSmann", sagte er, vergnügt schmunzelnd, „so etwas giebts nicht in Ihrem Pleiße-Athen!" „O doch, Müller. Solche fragwürdigen Figuren, wie da drüben das „Nebel-Gigerl", können Sie dort jeden Nach mittag zwischen 4 und 6 Uhr auf der Grimmaischen Straße promeniren und ihren „Pußtenknüppel" schleppen sehen." „Wahrhaftig", rief Müller, „rin Nebel-Gigerl! Die weiten Elephanten-Beinkleider . . . der plumpe Sack-Palctot... die Schnabelschuhe ... der lange Gänsebals ... daS Eierkütchen auf dem hohlen Schädel . . . Gotte doch! Selbst die Kilo- Cigarre hält der Kerl im Maule!" Wir lachten Beide au» vollem Halse, und die große Ver wandlungskünstlerin Natur fuhr fort, durch Vorfübrung ver schiedener Metamorphosen für weitere« Amüsement zu sorgen. Die Gestalt des Nrbelgigerl» beugte und streckte sich . . . AuS dem Zweifüßer ward ein Vierfüßer . . . Hals und Kilo-Cigarre erhielten eine schwunghafte Krümmung nach oben, der Sackpaletot schwoll unförmlich auf . . . und ein Riesen-Elefant schwebte durch die Luft! Müller freilich behauptete, eS sei ein Nilpferd, bekannte sich aber nach längerer Widerrede zu meiner Ansicht, da die Stoßzähne unseres ZaubertbiereS in» Unendliche zu wachsen schienen. Die wallenden Nebelflöre wurden leichter und durch sichtiger. Hier und dort tauchte .zwischen ihnen ein Stück der graugrünen Steppenfläche auf, und hinter den weißen, feuchten Schleiern begann es fern, weit fern im Osten am Horizonte zu glühen, als stünde am Rande der Pußta eine Stadt in Flammen... Bewundernd hingen meine Blicke an der seltsamen Erscheinung. „Potzwetter! Diese besondere Sorte „Morgenroth" kenne ich", erklärte Müller. „Wenn das so blutig leuchtet, dann giebtS Gewitter oder Sturm! Na, hoffentlich wird uns der Geist de» Alföld gnädig sein und nicht eher mit seiner Donnerstimme loSbrechen, bis wir im „Rothen Stier " in TiSza-Füred im Trocknen sitzen. Vorläufig macken wir an der Csärde Latokop Station und lassen unsere Trinl- flaschen füllen." Die Maschine gab Dampf, die Signalpfeife lärmte, und zwei verschlafene Zugführer, die auf den Erdwagen bockten, schickten sich zum Bremsen an. Der weiße Giebel einer großen seitlich stehenden Sckcnne . .. Strohfeime und dielangeFront eines von Akazien reich beschatteten Gebäudes traten mehr und mehr auS dem Nebel hervor. Der Csärda-Wirth, eine kleine, hagere Gestalt, stand am Graben, der sich am niedrigen Eisenbabndamme hinziebl. Er führte seine Kuh am Strick und batte Mühe, das beim Herannahen deS Zuge» ängstlich gewordene Thier zu zügeln. DaS rabiate Hornvieh drehte daS kleine Männchen wie einen Kreisel um und um. Nur mit Mühe gelang eS ihm, sein gestickte» Sammetkäppchen vom schneeweißen Haupte zu ziehen und uns ein reizest!" (Guten Morgen) und ,,l8teu hortal" (Willkommen) zuzurufen. „Euer fisten Iiv/ün" mögt Ihr mir für morgen auf sparen, ..ücckves LruLtnm!" rief Müller, „ich habe beute nieine eiserne Jungfrau zu hüten. Weiß Gott, vor welcher Cs-Irdatbür mein Haremswächter seinen Rausch auSschläst. Aber meinem Landsmann und Reisegefährten hier wird eine Taffe Kaffee oder eine Schale Milch gut tbun. Ist Euere Gnädige oder die Schaffnerin ZsOfi (Sophie) schon munter?" „Iff-n. igsn!" (Ja, ja> ries der Alte lebhaft und winkte mir zu. „Bitte, steigen Sie nur herab und spazieren Sie gefälligst in die Küche, die Zsüfi bat soeben den Morgentrank fertig." Ich sprang von der Maschine herab und eilt« in die
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite