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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.07.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960724019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896072401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896072401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-07
- Tag1896-07-24
- Monat1896-07
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Extra »veilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbrförderung SO.—, mit Postbrförderung ^l 70.—. Anzeiger. Ämtskkcttt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Rath es und Volizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Änaahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 UhL Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an dir Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Freitag den 24. Juli 1896. Sv. Jahrgang. Lustige Combinationen. * Als kürzlich die „Berl. Polit. Nachr." Mittheilunczen über die geplante Erhöhung der Beamtengehälter im Reiche und in Preußen machten, fügte das ofsiciöse Organ, wie er innerlich sein wird, diesen Mittbeilungen die Bemerkung hinzu, es sei „eine unabwendbare Nothwcndigkeit, einerseits die bestehenden Einnahmequellen auf das Pfleglichste zu be handeln, ihre Erträge thunlickst zu erhöhen und Minder einnahmen forgsam zu vermeiden, andererseits bei den dauernden Ausgaben so viel als möglich zu ersparen und jede sachlich zu rechtfertigende Verminderung herbeizuführen". Wir bemerkten (s. Tagesschau unserer Abendausgabe vom 14. d. M.) zu dieser Auslassung, die erste Hälfte dieses Recepts gehe Preußen allein an, denn sie beziehe sich auf die Veranlagung der direkten Steuern und die Staatseisenbahnen; bei der Ver minderung der Ausgaben fei aber vor Allem an die Renten umwandlung zu denken, die, abgesehen davon, daß bei dieser auch Reichsanleiben in Betracht kommen, ein großes volkSwirthschaftliches Interesse habe. Heute ver öffentlichen die „Berl. Polit. Nachr." einen anderen Artikel, aus dem hervorzugehen scheint, daß nun die Rentenumwand lung, bei der auch Reichsanleihen in Betracht kommen, in der That geplant wird. Das ofsiciöse Organ beschäftigt sich nämlich mit den Erörterungen einiger Blätter, welche die Frage einer Erhöhung der Biersteuer in Verbin dung mit Plänen wegen Vergrößerung der Flotte dringen, bezeichnet diese Erörterungen als „sehr luftige Com binationen" und fährt dann fort: „So bereit der Reichstag sich in letzter Session gefunden bat, im Etat Mittel für die quantitative und qualitative Verstärkung unserer Wehrkraft zur See zu bewilligen, und so gegründete Aussicht vorhanden ist, daß er dieselbe Bereit willigkeit auch in der Folge gegenüber wohlbegründeten Forderungen im Etat bethätigen wird, so wenig Aussicht würde die Forderung einer großen Anleihe für Flotten zwecke gehabt haben, und die Aussichten eines solchen Planes müßten sich mit jeder Session, mit welcher man den Neuwahlen näher rückt, naturgemäß noch verschlechtern. Noch ungleich weniges geneigt hat sich der Reichstag der Bewilligung neuer Steuern selbst zu einer Zeit gezeigt, wo die Deckung für den Ausgabebedarf nur unter schwerer Belastung der Bundesstaaten mit durch Ueber- weisungen nicht gedeckten Matricularumlagen zu beschaffen war. Wenn es auch richtig ist, daß mit der Ablehnung der Tabaksteuerpläne die Voraussetzungen gehoben sind, unter denen die Reichsregierung 1803 auf den Vorschlag einer Erhöhung der Biersteuer verzichten zu können erklärt hat, so liegt doch andererseits auch nicht das mindeste Anzeichen dafür vor, daß in der Folge auf eine größere Geneigtheit zur Be willigung neuer Steuern im Allgemeinen und der Biersteuer im Besonderen zu rechnen wäre. Im Gegentheil werden auch auf diesem Gebiete erst recht die herannahenden allgemeinen Wahlen einen starken Schatten vorauswerfen. Jeden falls darf man sich nicht der Illusion hingeben, von dem Reichstage in dieser Hinsicht etwas zu erlangen, bevor nicht alle anderen Mittel erschöpft sind, daS Gleich gewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben herzustellen. Freilich wird man dort nicht so thöricht sein, mit einem linksliberalen Blatt schon in dem Ueberschusse von 1895/96 um nicht volle 12 Millionen Mark eine ausreichende Deckung des Mehrbedarfs für die Erhöhung der Ossiciers- und Beamtengehälter zu erblicken. Man wird sich dort natürlich klar darüber sein, daß durch diesen Ueberschuß angesichts des Ueberschufses von 1894/95 von über 7 Millionen für das nächste Jahr die Finanzlage sich nur um 4h'r Millionen Mark bessert, daß aber die Gewähr der Dauer auch bei dieser Deckung fehlt. Das ist selbstverständlich, ebenso selbstver ständlich aber ist es, daß, wenn im Reichstage in der Folge das Bedürfniß erkannt wird, ein Mißverhältniß zwischen dem Ausgabebedarf und den Deckungsmitteln anSzugleichen, ganz von selbst zunächst dieFrage der Z in «Herabsetzung der Reichsschuld sich auswirft. So liegen die Dinge tbatsächlich. Combinationen der eingangs gedachten Art schweben daher völlig in der Luft." So die „Berl. P. N." Jedenfalls ist es erfreulich, daß das Reichsschatzamt den Gedanken einer großen Anleihe für Flottenzwecke verwirft; denn es ist — be sonders vom Abg. l)r. Hasse — überzeugend nach gewiesen worden, daß die Ausgaben, die zur nothwendigen Ergänzung unserer Wehrmacht zur See erforderlich sind, aus den ordentlichen Einnahmen des Reiches gedeckt werden müssen. Schlechterdings unerfindlich ist es aber, wie mit Hilfe einer Convertirung der Reichsschuld eine jährliche Summe erspart werden soll, die auch nur annähernd auS- reicht, um den Bau eines einzigen Kreuzers zu ermöglichen. Selbstverständlich könnte doch nur die 4- und die 3'/rpro- centige Reichsschuld in Frage kommen; die Umwandlung beider in 3procentige würde aber nicht mehr als eine jährliche Er- sparniß von 8^e Millionen Mark bereuten. Die Combination von Flottenplänen und Zinsherabsetzung der Reichsschuld ist also eine noch viel luftigere, als die Combination von Flotten plänen und Erhöhung der Biersteuer; eine solche Erhöhung würde wenigstens genügende Mittel ergeben, um eine dem Bedürfniß entsprechende Verstärkung unserer Flotte zu er möglichen. Sicherlich geht man in der Annahme nicht fehl, daß der ofsiciöse Versuch, die ZinSkerabsetzung der Reichsschuld als nothwendige Voraussetzung einer Flottenverstärknng erscheinen zu lassen, hauptsächlich den Zweck verfolgt, Stimmung für eine große Finanzmaßregel zu machen, in welcher die Con vertirung der Reichsschuld nur den kleineren, die Con vertirung preußischer und bayerischer Schuldscheine aber den Hanpttheil bildet. Ob solche Stimmungsmacherei ein ge schicktes Manöver ist, wollen wir nicht untersuchen. Aber darauf glauben wir Hinweisen zu müssen, daß durch die Zinsherabsetznng der Reichsschuld gerade solche Be völkerungskreise schwer getroffen werden würden, von denen man am wenigsten fordern sollte, daß sie vorzugsweise zu den Kosten der Flottcnvermehrung beitrügen. Brauchen der preußische und der bayerische Finanzminister für ihre Con- vertirungspläne Vorspann und glauben sie solchen in der Zinsherabsetzung der Reichsschuld zu finden, so mag das offen gesagt werden. Aber gegen eine Verquickung der Flotten pläne mit einer Convertirung der Reichsschuld muß Ver wahrung eingelegt werden. Durch eine derartige Verquickung wird lediglich die Frage verschleiert, welche Mittel zur noth wendigen Verstärkung der Wehrkraft zur See nötbig sind, auf welche Weise sie beschafft werden und auf welche Schultern die Lasten vorzugsweise gelegt werden müßten. Deutsches Reich. Berlin, 23. Juli. Als die Leiter des Bundes der Landwirthe in der Provinz Posen am 7. Juli die bekannte „Erklärung" erließen zu Gunsten des Herrn von Ploetz, des „ehrenhaften, selbstlosen Mannes, der im allgemeinen Interesse sein Alles einsetze für die Hebung der Landwirth- schaft und des Bauernstandes, für die Erhaltung von Thron und Vaterland", glanbten die Herren ohne Zweifel, den Anstoß zn einer lawinenartig anschwellrnden Vertrauens kundgebung für den ersten Vorsitzenden des Bundes zu geben. Hatte doch schon vor dem Bekanntwerden der Erklärung der Posener verlautet, daß überall im Bunde der Land wirthe Stimmung gemacht werde für Adressen und ähnliche Kundgebungen für Herrn von Ploetz. Seit der Posener Erklärung 'sind mehr als zwei Wochen vergangen, und man hat nichts davon gehört, daß das Beispiel anS Posen Nach ahmung gefunden hätte. Es bleibt demnach nur die An- nahme'übrig, daß die Kritik, welche der erste Schritt gefunden hatte, die Spitzen deS Bundes bewogen hat, die weiteren Schritte lieber nicht zu thun. Darnach zu urtheilen muß eS also mit der „festen Treue", dem „unveränderten Vertrauen" und der „verehrenden Dankbarkeit" gegenüber Herrn von Ploetz, deren die Posener sich rühmten, in anderen Kreisen des Bundes doch nicht so glänzend bestellt sein, wie man aus der Erklärung vom 7. Juli hätte schließen können. * Berlin, 23. Juli. Die Anarchisten Deutschlands werden dem internationalen Socialistencongreß in London einen mehrseitigen gedruckten Bericht über die deutschen Arbeiter, Gewerkschafts- und politische Bewegung überreichen. Er trägt den Titel: „Von Zürich bis London" und wird jedem Delegirten in der Sprache seines Landes zugestellt werden. Die Einleitung zu dem eigentlichen Situations bericht lautet nach der „Post" folgendermaßen: „Nirgends, in keinem anderen Lande, so wie in Deutschland, hat es eine einzelne Partei, eine kleine Secte, verstanden, sich als die einzige, die allein berechtigte Vertreterin des Proletariats auf. zuspielen. In allen Ländern, vor allem in denen, wo der Socia- lismus und auch die Socialisirung am weitesten vorgeschritten ist, in Frankreich und England existiren verschiedene Strömungen neben- einander, wenn auch nicht immer friedlich, so doch unter Anerkennung ihrer gegenseitigen Daseins. Berechtigung. Die Versuche, in Frankreich, England, Italien, Spanien, Holland die Lehren des Marximus oder Parteien nach dem Vorbild der into leranten und herrschsüchtigen deutschen Socialdemokratie als die allein in Betracht kommenden hinzustellen, sind bisher kläglich ge- scheitert, sie werden Dank der politischen Reife dieser Völker immer fehlschlagen. Nur in Deutschland giebt es eine solche streng disci- vliuirte und schablonisirte Arbeiterpartei, wo die Massen sich ge- wöhut haben, immer nach der Pfeife zu tanzen, die in den oberen Regionen des Parteiregiments gespielt wird. Deutschland ist das erste Land des Monarchismus und Militarismus, dieses cäsaristischen Geistes; die Unselbstständigkeit und Lenksamkeit der Massen ist in sehr hohem Maße auch in den untersten Volksmassen vorhanden, wider muß unumwunden gesagt werden, daß die deutsche Social demokratie es in sündhafter Weise verstanden hat, auf dem Grunde dieses niedergedrückten Bolkstemperamentes und dieser Ab hängigkeit der Massen eine außerordentlich straffe Parteiherrschast aufzubauen, die ost die Keime der Freiheit und des Ausbäumcns zertreten hat. Die Führer der deutschen Socialdemokratie, die in erster Linie gewiegte Poseure und Journalisten sind, haben es in äußerst geschickter Weise verstanden, ihre Partei vor dem Auslande in Scene zu setzen und die deutsche Arbeiter bewegung als die mächtigste der Welt hinznstellen. Diese künstliche Maske soll diesen Leuten aber herabgerissen werden, es soll bewiesen werden, daß der Glanz der Arbeiterbewegung in Deutschland nur äußerlich und scheinbar ist, daß aber die Schaar derer, die aus ganzer Kraft und mit klar bewußtem Verständnis für eine gänzliche Erneuerung der menschlichen Gesellschaft, für die Erkümpfung einer socialistischen Gesellschaft wirken, unendlich viel kleiner ist, als die Zahl der socialdemokcatischen Wähler." Aus der Einleitung geht der Bericht nun zur Aufzählung der Thatsachen über; so wird der focialdemokratischen Partei vorgeworfen, daß sie die Wähler mit Phrasen ködere und ihre Ziele verschleiere. Tas Hauptbestreben bei ter Wahlbewegung sei der Stimmenfang, für den mit allen Mitteln der Demagogie gearbeitet werde. Durch die Mit arbeit an de» Gesehen im Parlament werde lediglich der Staat und die Polizeigewalt gestärkt, auf diese Weise wolle man in den sogenannten „berühmten" Zukunftssiaat binein- wachsen. Dann geht der Bericht verschiedene Vorkommnisse durch, tadelt die Mitarbeit der Socialdemokraten am Bürger lichen Gesetzbuch und bedauert, daß sich die socialteinokratischen Blätter anläßlich der Pariser Attentate gehässiger als die bürgerliche Presse benommen haben. Es zeuge von „Gesinnungslumperei und seiger Lügenbastigkeit", wenn Caserio vom „Vorwärts" ein dem Wahnsinn verfallener Epileptiker genannt wird. Bei dem Rück zug bezüglich der Sedanfeier habe Auer so recht im Tone eines Ministercandidaten geredet. Die Maidemon stration sei nichts als feiger Schwindel, man wolle eben nicht die Probe aufs Epempel machen, da die Führer dann kläglich FiaSco machen würden. In diesem Tone fährt der Bericht fort. Den Socialdemokrateu wird entgegengehalten, daß der Ausschluß der Anarchisten vom Con^reß nur deshalb erfolgt sei, weil sie fürchteten, ans dem Congreß an den internationalen Pranger gestellt zu werden. Zum Schluß heißt es: „Wir Anarchisten in Deutschland fühlen uns alle sammt als Socialisten und diejenigen sprechen die Unwahr heit, die behaupten, wir seien keine Socialisten. Und wenn ihr euch auch die Ohren zustopfen werdet, es werden andere kommen, die uns hören und die uns verstehen; die Macht FairiHetoir. Zur Geschichte des Tabakrauchens. Die Mode des Tabakrauchens, welche jetzt die ganze Welt be herrscht, kam bekanntlich durch Spanier, die sie während der Er oberung Amerikas, also im 16. Jahrhundert, von den Indianern erlernt hatten, nach Europa und wurde bald bei allen see fahrenden Völkern heimisch. Zuerst wird der Tabak im Jahre 1496 von dem spanischen Mönche Roman Pano ge nannt, den Columbus bei seiner zweiten Rückreise aus Amerika dort ließ. Der Mönch lernte den Tabak in der Provinz Tabago auf Domingo kennen. Die Wilden in Panama rauchten den Tabak so, daß sie ein zusammen gerolltes Tabaksblatt an einem Ende anzündeten und sich durch das andere den Rauch von einem Knaben ins Gesicht blasen ließen, während dagegen ihre Stammesgenossen in Canada schon damals das „Calumet", eine große, mit allerhand bunten Läppchen und Vogelfedern gezierte Pfeife, benutzten. Auch die thönernen Tabakspfeifen, früher holländische Pfeifen genannt, sind überseeischen Ursprungs. Richard Greenville, der Virginien entdeckte, sah hier solche im Jahre 1585, worauf sie in England nach geahmt wurden. Fabrikmäßig fand deren Herstellung zuerst in Holland und zwar in Gouda statt; bald fertigte man sie aber auch in vielen Orten Deutschlands, doch galten die Hollän dischen immer für die besten. So wurde die holländische Thonpfeife zu einem bedeutenden Handelsartikel, der außer in Gouda auch in Rotterdam, Vliessingen, Leyden und Amster dam viele Fabriken beschäftigte. Seltsamer Weise bezogen aber die holländischen Fabriken ihr Material aus Deutschland. ES war dies ein feiner Thon, der in großen Lagern, etwa zwölf Ellen tief, in der Gegend von Köln am Rhein gefunden wurde. Man bezahlte für die Tonne Pfeifentbon im Gewicht von 450 Pfund fünf Gülden. Noch zu Anfang unseres Jahrhunderts gab eS in Gouda 280 Meister, von denen jeder 60 bis 70 Gesellen mit der Verfertigung von Tbonpseifen beschäftigte. Die noch jetzt gebräuchlichen Tabakspfeifen mit Mundstück, Rohr, Abguß, oder Stiefel und Kopf erfand vr. Johann Jakob Franz Vicarius, ein österreichischer Arzt, im Jahre 1689. Die Meerschaumpfeifenköpse kamen aus der Levante nach Europa. Die ursprüngliche Absicht deS Tabakrauchens mag zunächst eine zweckmäßige Betäubung des Kopfes, Heilung einiger Uebel und Vertreibung lästiger Jnsecten gewesen sein; bald aber fanden eine große Anzahl Menschen, auch in den Binnen ländern, soviel Geschmack daran, daß es sich zu einer Art von Genuß gestaltete. Als Walter Raleigh und John Hawkins dem Tabakrauchen in England um 1585 Eingang verschafften, beeiferte sich Jeder, der für einen weitgereisten Mann gelten wollte, eine Pfeife in den Mund zu stecken. Maa raucht« in den Schauspielhäusern und endlich sogar in den Kirchen. Daher fand der Tabak große Feinde in der Geistlichkeit, welche ibn stinkendes Unkraut nannte, das zur Ver- unebrung Gottes mißbraucht würde. König Jakob schrieb sogar ein Buch, betitelt Misokapnos, dagegen und befahl, daß kein virginischer Pflanzer mehr als hundert Pfund dieses Krautes anbauen sollte, während er auf fremden Tabakaeine Steuer von 6 Schilling 8 Pence für das Pfund festsetzte. Nun wnrde zwar das Rauchen dadurch weder abgeschafft noch ver mindert, indessen doch mit mehr Rücksicht auf äußeren An stand auSgeübt. Peter Campbell, ein Feind des Tabak rauchens, hängte seinem 1616 niedergesetzten Testamente eine Clausel an, daß der Universalerbe seines großen Vermögens, sein einziger Sohn Roger Campbell, sofort der ganzen Erb schaft verlustig gehen sollte, wenn einer seiner Verwandten ihn mit brennender Pfeife ertappte. König Karl I. dachte milder wie sein Vorfahre König Jakob, indem er 1637 gegen eine Abgabe Erlaubnißscheine zum Handel mit Tabak auS- thcilen ließ, was für England sehr ersprießlich war. Im Jahre 1559 kam der erste Tabakssamen nach Portugal und 1560 überreichte Jean Nicot, französischer Gesandter in Lissabon, die ersten Tabakspflanzen der Königin Katharina von Medici. Man versuchte zunächst im Botanischen Garten bei Paris den Anbau des Tabaks, der, zu Ehren Nicot's, Xicotirma oder auch „Königinkraut" benannt wurde. In Holland sing man den Tabak 1615 zu bauen an. In Deutsch land wurde er namentlich durch die spanischen Soldaten Kaiser Karl s V. bekannt und seit 1659 zu Suhl im Henne bergischen, seit 1676 in der Mark Brandenburg und seit 1697 in der Pfalz und in Hessen angebaut. Der Sitte deS Tabakrauchens wurde fast in allen Ländern mächtig entgcgengearbeitet. Zn Rußland verbot es die Re gierung im Iabre 1634 bei Verlust der Nase, in Glarus bestrafte man dieses unchristliche Laster mit einer Goldkrone Reugeld und 1690 that Papst Innocenz XII. alle Raucher in den Bann, ein Schicksal, daS auch Personen treffen sollte, die in der Peterskirche eine Prise Schnupftabak nehmen würden. Diese Verordnung wurde jedoch 1724 vom Papst Benedict XIII. aufgehoben, indem dieser selbst ein ebenso starker Raucher als Schnupfer war. Ergötzlich sind die sogenannten Tabakspredigten, welche die Geistlichkeit jener Zeit, katholische wie protestantische, gegen die TabakSraucker losließ. Deren Mund wurde mit einem SatanSracben verglichen, der Ranch und Feuer ausspie und durch seinen unausstehlichen Gernch die Luft in weitem Umfange verpestete. Ter liebe Gott und all die Heilig» aber sähen mit gewaltiger Entrüstung auf das teuflische Epielwerk, und die Zeit könne nicht mehr fern sein, wo der Teufel in eigener Person sich in die Sache mischen und den Fcucrspeiern ihre Tborheit vergelten würde. Am drolligsten dei der ganzen Sache war, daß viele Geistliche, welche so jämmerlich über den TabakSgenuß Herzogen, im Geheimen selbst Verehrer des verdammten KrauteS waren, und sich zur Erholung von der kirchlichen Anstrengung und fulminanten Dorspredigt ein Pfeifchen ansteckten. ÄlS ein Bauersmann einst seinen Pfarr herrn mit der brennenden Pfeife im Munde überraschte, erklärte dieser seinem staunenden Beichtkind?: „Er rauche diese Pfeife als Selbstbestrafnng, weil er am Morgen das Frühgebet verabsäumt hätte." In der Geschichte des Tabakranchens darf auch das berühmte „Tabakscolleginm" nicht unerwähnt bleiben, welches König Friedrich Wilhelm I. von Preußen zu seiner Erholung und Freude fast täglich Abends um 5 Uhr zu Berlin, Potsdam oder Wusterhausen um sich zu versammeln pflegte. Die Theilnehmer waren Minister, hohe Officiere, durch reisende Standespersonen und Gelehrte und Wohl auch ehrbare und erfahrene Bürgersleute, sowie Hofnarren und solche, die sich dazu gebrauchen ließen. Auch der Lehrer zu Wusterhausen gehörte zu den stetigen Mitgliedern des königlichen Tabakcolleginms. Alle Anwesenden mußten Tabak rauchen, und die welche nicht rauchten, oder wie man diese Kunst früher benannte, „schmauchten", die Pfeife wenigstens in den Mund nehmen. Dabei wurde Bier, daS in weißen Krügen vor den Gästen stand, getrunken und Butterbrod und Käse, später auch Wein herumzereicht, wobei Jeder sich selbst bediente. Die Unterhaltung bezog sich aus Lectüre von Zeitungen, Politik, Kriegsgeschichten und Besprechung von TageSneuigkeiten, auch wurden allerhand Späße, bisweilen sehr derber Art, getrieben, die aber Niemand übel nehmen durfte, und selbst der König sich gefallen ließ. Am übelsten wurde gewöhnlich dem Baron Jakob Paul von Gundling mitgespielt. Dieser, ein PfarrerSsohn aus Hersbruck, 1673 geboren, war 1705 als Professor an der Ritterakademie in Berlin ange stellt und vom König in den Freiherrnstand erhoben worden. Als der König, welcher weder Gelehrte noch Gelehrsamkeit sonderlich schätzte, von Gundling's gründlichen historischen Kenntnissen hörte, glaubte er in ihm einen brauchbaren Zeitungsreferenten und Historiographen zu finden und er nannte ihn zu diesen Würden. Gundling war gar nicht ungeeignet dazu, allein sein Stolz, seine Pedanterie und linkische Steifheit machten ihn zum Gespött des Hofes. Seine übertriebene Neigung zum Trunk und sein zänkisches Be nehmen, wenn er bezecht war, gestaltete ibn noch lächerlicher, wo durch er balv zum Hofnarren herabsank, wenn er auch diesen Titel nicht führte. So konnte es kommen, daß als Kurfürst August von Sachsen 1728 zum Besuch in Potsdam war, dessen Hofnarr Joseph Fröhlich auf Gundling gehetzt wurde, um einen Spaß zu haben. Aber Gundling gab sich nicht mit ihm ab, weil er glaubte, der höheren Region des Hoflebens anzugehören. Fröhlich setzte sich zwar an Gundling's Seite und trank ihm ein großes Glas ru, mit den Worten „Nun prosit Herr Bruder, Du bist doch mein Bruder und so wohl ein Narr wie ich!" Allein Gundling that keinen Bescheid und nahm auch die angebotene Brüderschaft nicht an. Als Gundling gestorben war, schickte man nach Dresden an Joseph Fröhlich ein ordentliches Notificationsscbreiben, welches dieser also beantwortete: „Ich condolire nicht allein wegen deS unglückseligen Todesfalles des nunmehr verstorbenen Herrn Gundlings, sondern bin auch zugleich selbst erzürnet, daß der interessirte verzweifelte Raubvogel der Menschen mir meinen werthen Confratcr so bald aus der Welt geschaffet. Ick kann hoch und theuer schwören, daß sobald diese traurige Post aus dem an mich abgelassenen und den 27. April er haltenen Schreiben ersehen, ich mir nicht nur alle Zähne im Maule abgeheulet, sondern auch zugleich mit einem Flor, welcher nach einer Voranpassung sich allemal noch 'n der dritten Gasse hinter mir umgesehcn, bekleidet habe. Der völlige Trauerhabit wird mit Ende dieses MonatS verfertiget sevn und werde sodann mit meiner ganzen Dorfschaft und Anhang mich in die tiefste Trauer einhüllen, auch alle Zimmer, so gar daS Narrenhäusel und der Schweinstrog in meiner Residenz Narrendors, soll schwarz wie die Altäre am Cbar- freitage bekleidet werden." Aus diesen Ileberliefernngen wird ebenfalls ersichtlich, daß zur allgemeinen Belustigung die vor nehmsten Herren des TabakScollegiumS sich mit Gundling die plumpsten und entehrendsten Scherze erlaubten. AuS Spott erhielt er eine Menge Titel der höchsten Staats- und Hof- ämter, aber einfältig genug, fühlte er den Spott nickt und wnrde nur noch stolzer. In den letzten Jahren seines Lebens kam er aus der Betrunkenheit fast gar nicht mehr heraus. Er starb am 11. April 1731 zu Potsdam und wurde „ans Kurzweil" zu Bornstädt in einem Weinfasse begraben. — Nach Gundling's Tode hatte auch das Tabakscollegium keinen langen Bestand mehr, und zwar wegen eines Verstoßes gegen die vom König ertheilte Gesellschaftsordnung. Nack ihr war das Kartenspiel verboten, dagegen Schack und Dame erlaubt. Der König selbst spielte bisweilen mit demGeneral von Flauß eine Partie Toccategli. Oftkam derKönig tiefsinnig und verdrießlich in daSTabakscollegium, verließ eS aber nie anders, als aufgemuntert und vergnügt. Als strenges Gesetz galt, daß Niemand auf stehen durfte, wenn ein anderer ins Zimmer trat, selbst wenn eS der König war. An dieser Bestimmung ging das Tabak collegium zu Grunde. Als einst, bei Anwesenheit deS Königs, der Kronprinz Friedrich cintrat und die Mitglieder des Collegiums sich von ihren Stühlen erhoben, gerieth der König darüber in solche Hitze, daß er fortlief und den Thcilnehniern der Gesellschaft das Schloß verbot. So endete das, auch für die preußische Geschichte insofern wichtige Tabakscollegium, weil in demselben der König zu Manchem überredet wurde, wozu er anderweitig sich niemals verstanden hätte, auch be richteten alle fremden Gesandten pünktlich an ihre Höfe, was daselbst zur Sprache kam und vorfiel. Auf das Tabakrauchen zurück zu kommen, so raucht man sitzt fast überall mit derselben Freiheit, mit der nian speist. Selbst die Lippen des schönen Geschlechts haben Geschmack gefunden am Genuß deS Krautes, welches, wie einst die eifernden Geistlichen predigten, „einem verpestenden Satans rachen erzeugte", oder wie man heut zu Tage sagen würde, den lässigen Mund nicht mit Roscndüften erfüllt. Die Cigarre im Munde gilt aber auch als Zeichen der Männlichkeit, Grund genug schon für den Jüngling im Consirmandenröckchen, trotz aller Protestation der Natur, eine Kunst zu üben, die, wie er meint, ihm männliche Würde verleiht. Otto Moser.
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