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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.07.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960728023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896072802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896072802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-07
- Tag1896-07-28
- Monat1896-07
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Die Morgen-A^sgabe erscheint um '/,? Uhr. hi» Abend-Ausgab« Wochentags um 5 Udr. Filialen: ttt« Klemm's Lortim. tAlfrr« Hahn). Upivrrsitätsstrabe 3 (Paulinum), LouiS Lösche. Kathannenstr. 14. Part, und KönigSvIat» 7. Ledariion rmL Erpe-ition: JohanneSgaffc 8. DieExpeMo» ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Bezugs-Preis t» der Hauptexpeditiou oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten AuS- aabesieveu abgeholt: vierteljährlich bei »weimaliaer täglicher Zustellung in« Laus ü.öO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliäbrlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung in« Ausland: monatlich 7.bO. Abend-Ausgabe. KipMcr TMlilalt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Natlses und Volizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen.Preis die -gespaltene Petitzcile 20 yfß. Reclame« unter dem Siedaction-strich (4ge- fpalten) üO^j, vor den Familtennachrichieo (6gespalten) 40/H. 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Ztg", der Niemand Uebelwollen gegenüber den Socialisten nachsagen kann, theilt hierüber Folgendes mit: „Nachdem die üblichen Formalitäten unter dem Vorsitze von Cowey erfüllt worden waren, wollte der Vorsitzende die Bestimmung der vorläufigen Geschäftsordnung, wonach Vorschläge zur Geschäfts- ordnung nur heute erörtert werden dürfen, zur Annahme bringen lassen. Wäre dieser Vorschlag angenommen worden, so wären die eingebrachten Amendement« gegenstandslos geworden und die Be- fchlüsse des Züricher CongresseS über die Zulassung der Delegirten hätten Geltung gehabt. Da inzwischen die für den Schluß de» Sitzung anberaumte Stunde herangerückt war, schlugen einige Telegirte Vertagung der Ange- legenhett bis morgen vor. Der Vorsitzende lehnte jedoch dies ab, und nun suchten die Anarchisten die ihnen drohende Gefahr dadurch abzuwenden, daß sie behaupteten, in Zürich sei über die Zulassung der Delegirten überhaupt nichts beschlossen worden. Der Holländer Cornelissen verwies auf die dort angenommene Decla ration Bebel's, wonach unter politischer Action, deren Anerkennung erforderlich ist für die Zulassung zum Congreß, nicht nur Theil- nähme am Parlamentsleben zu verstehen sei. Als Cornelissen auf der Tribüne erschien, um dies näher darzulegen, wurde er von dem Franzosen Bouillon von derselben verdrängt. Darauf sprach Malatrsta außerordentlich lebhaft, theilweise unter stür mischem Beifall, und die Unterbrechungen de- Präsidenten miß- achtend. Der Lärm wurde so groß, daß der Besitzer de- SaalcS mit der Entziehung der Erlaubniß zur Benutzung des Saales drohte. Der Präsident erklärte, daß er Polizei holen lassen werde, um die Ruhestörer zu entfernen. Als nun ein Anarchist auf der Plattform erschien, um zu reden, wurde er von Bouillon brutal die Treppe hinuntergestoßrn. Dies verursachte neue, höchst lärmende Scenen, deren der Präsident nur durch Vertagung Herr werden konnte. Auf der Straße kam es zwischen kleineren Gruppen zu Gewalt- thätigkeiten und die Polizei mußte die lebhaft Discutirenden auseinandertreiben." Während hier also die Polizei als rettender Engel der „brüderlich" gesinnten „Proletarier aller Länder" in Function trat, war eS am Sonntag der Himmel selbst, der einen Zank unter den Propheten des Weltfriedens durch da- recht zeitige Oefsnen seiner Schleußen verhinderte. Bekanntlich sollte eine Massenkundgebung für den Weltfrieden die Ein leitung des CongresseS bilden, eine Kundgebung, zu der auch nichtsocialistische Vereine mit entsprechender Tendenz geladen waren. Als Resolution hatte der vorbereitende, aus Socia listen bestehende Ausschuß ein ungeheuerliches Phrasengebilde ausgearbeitet, das, allgemeine auf die Erhaltung des Friedens gerichtete Wünsche mit socialistischen Forderungen vereinend, wörtlich folgendermaßen lautet: „Indem diese» Meeting anerkennt, daß der Friede eine wesent liche Grundlage internationaler Verbrüderung und menschlichen Fortschritts ist, und der Meinung Ausdruck giebt, daß Kriege nicht von den Völkern gewünscht, sondern lediglich durch die Gier und die Selbstsucht der herrschenden und der bevorrechteten Classen verursacht werden, um die Controle über die Mächte der Welt im eigenen Interesse allein und gegen Las Interesse der Arbeiter zu erlangen, er klärt es hiermit, daß zwischen den Arbeitern der verschiedenen Nationalitäten kein Streit ist (!!), daß ihr gemeinsamer einziger Feind die Classe der Capitalisteii und Bodenbesitzer ist und daß das einzige Mittel zur Vermeidung von Kriegen und zur Sicherung des Friedens die Beseitigung des kapitalistischen Gesellschaftssystems ist, in dem Kriege ihren Ursprung haben. Es verpflichtet sich deshalb aus die Zerstörung dieses Systems durch Vergesellschaftung der Productions-, VertheilungS- und Austauschwittel hinzuarbeiten. Es erklärt ferner als seine Ansicht, daß, bis dieses Ziel erreicht ist, Streitigkeiten unter de» Völkern durch Schiedsgericht und nicht durch brutale Waffengewalt erledigt werden sollen. Ferner anerkennt dieses Meeting, daß eiu internationaler Achtstundentag der unmittel barste Schritt zur endlichen Befreiuung der Arbeiter ist, und wünscht die Regierungen von der Nothwendigkeit eines gesetzlichen Achtstunden tags zu überzeugen. Schließlich verpflichtet sich Las Meeting mit aller Kraft auf Gewährung des allgemeinen Stimmrechts hinzuarbeiten, in der Erwägung, daß die arbeitende Classe ihre wirthschaftliche und gesellschaftliche Befreiung nur durch Uebernahme der politischen Maschinerie, die sich heute in Le» Händen der Capitalisten-Classe befindet, erreichen kann und in allen Ländern zahlreiche Männer und Frauen kein Stimmrecht besitzen und am politischen Leben nicht theilnehmen können." Wie diese Resolution auf die arbeiterfreundlichen, nicht- socialistischen Kreise in England gewirkt hat, darüber belehrt ein Artikel des „Daily Cbronicle". Das Blatt spricht seine Befriedigung darüber ans, daß der Regen verhinderte, daß der Congreß sich zum Narren machte durch Annahme der lächerlichen Resolution, welche ein thörichtes Comits für diese Gelegenheit vorbereitet habe. Der Geist der Sprache dieser Resolution sei ein schlechtes Omen für den Congreß; würden die Arbeiten in diesem Geiste geführt, dann werde er der Sache der Arbeiter einen schwer zu übersehenden Schaden in England zufügen: jedenfalls werde er beweisen, ob die englische Gewerkvereinsbewegung mit Systemen und Ideen verträglich sei, nach denen die continentalen Arbeiter organisirt sind. — Zur Kritik des sachlichen Inhalts der Resolution geben wir der „Franks. Ztg." das Wort. Das demokratische, bekanntlich auch für den Weltfrieden Propaganda machende Blatt erinnert zunächst daran, daß keiner der großen Kriege während des letzten halben Jahr hunderts durch wirthschaftliche Umstände veranlaßt worden sei, und fährt dann fort: „Die Verfasser der Resolution haben dabei vermuthlich an Jameson's Raubzug gedacht und sie besitzen nicht dasjenige Maß von geschichtlicher Bildung, um sich vorstellen zu können, daß es noch andere Interessen, als nur diejenigen des Geldsacks giebt, aus denen Völker in einen blutigen Conflict gerathen können. Recht tböricht aber ist eS, den modernen Staatsmännern vorzuwersen, daß sie nur deshalb „die Controle über die Märkte der Welt" zu erlangen suchen, weil dies den Interessen der Bourgeoisie diene und gegen die Interessen der Arbeiter gerichtet sei. Die Erweiterung des Absatzgebietes kommt Capitalisten und Arbeitern zu Gute, und selbst wenn es wahr wäre, daß die ersteren den größeren Nutzen daraus zögen, so ist jede Erweiterung des Marktes Loch zugleich auch ein Gewinn für den Arbeiterstand. Es macht dabei gar keinen Unterschied, ob die Staatsmänner in ihren Bestrebungen, neue Märkte zu gewinnen, von Rücksichten auf die capitalbesitzende Bourgeoisie oder von der Sorge um das Wohl der arbeitenden Klassen geleitet werden. Vielleicht geben die ersteren den Ausschlag, vielleicht aber giebt es in Europa auch Staatsmänner, die in ihrem Wirken das all gemeine Wohl im Auge haben, vielleicht giebt cs auch solche, die von der Hoffnung geleitet werden, daß jeder neue Markt die socialistjsche Armee um eine Compagnie verringert. Jedenfalls haben die Arbeiter jeder Regierung dankbar zu sein, die durch eine weise Handelspolitik oder durch Unterstützung von Schiffsahrtsunternehmungen oder durch eine verständige Tarifpolitik die Erwerbung neuer Märkte ermöglicht. Wenn die Verfasser der Resolution mit jener Phrase ihre wirkliche Ueberzeugung ausgesprochen haben» so werden ihre Freunde anS Ländern mit schwacher Industrie sie belehren, daß Hunger, Entbehrung, starke Mortalität, geringe Sittlichkeit und hohe Criminalität überall dort zu finden sind, wo die Staats männer es nicht verstehen, „die Cvntrole der Märkte der Welt zu erlangen." Vielleicht halten die italienischen Delegirten den Herren Verfassern darüber einen Vortrag. Dann dürften sie auch begreifen, daß, w>e die Dinge nun einmal in der Welt liegen, vernünftige und praktische Leute zuerst die Interessen ihrer Volksgenossen und dann erst die ihrer internationalen Classe zu sörderu suchen müssen. Ein Theil der englischen Arbeiter hat dies in einem Maße eingesehen, daß er ganz ungenirt von Zeit zu Zeit ein Gesetz gegen die Einwanderung von „mittellosen Fremden" verlangt. Dieses Gesetz soll sich jedoch nicht gegen ,.puup«?rs" im Sinne des amerikanischen Gesetzes richten, sondern gegen alle die jenigen, von denen anzunehmen ist, daß sie wegen ihres niedrigen Lebensmaßstabes einen unerfreulichen Druck auf den Arbeitsmarkt ausüben könnten. Zn erster Linie sind damit russische Juden gemeint, aber nicht nur russische Juden, sondern auch Deutsche. Wäre es nur nicht gar so schwer, ein Gesetz zu formuliren, das den Absichten seiner Befürworter entspricht, wer weiß, ob man es nicht wenigstens auf dem Programm der gegenwärtigen englischen Regierung fände, da Mitglieder desselben des Stimmenfangs wegen sich dafür bei den letzten Wahlen verpflichtet haben. An alles dies darf man wohl gegenüber den Phrasen der Resolution erinnern"... Der französische Minister des Aeußern Hanotaux bat dieser Tage bei der Einweihung des Denkmals von Jules Ferry in St.-Diö eine Rede gehalten, die in mehr als einer Hinsicht bedeutsam ist und besonders in Deutsch land Beachtung verdient. Der Redner hat das augen scheinlich selbst gefühlt, denn er hat dafür gesorgt, daß die zuerst vom Telegraphen, in Deutschland verbreitete kurze Meldung durch die später in Umlauf gesetzte „ausführlichere" in manchem Puncte abgcscbwächt wurde. Nach dem ersten Telegramm bat er z. B. gesagt, baß Frankreich die „engen Bande „mit dem großen Reiche noch enger ziehen werde, dessen Fürst Frankreich ans freiem Antriebe einen Beweis der Achtung und des Vertrauens gegeben habe". In dem zweiten Telegramm fehlt dieser Hinweis auf Rußland, an das Frankreich noch „engeren Anschluß" sucht. Der Grund, aus dem dieser Passus in der für Deutschland bestimmten „aus führlicheren" Meldung unterdrückt worden ist, liegt so klar auf der Hand, daß er nicht näher bezeichnet zu werden braucht. Aber auch daS, was in beiden Telegrammen ge meldet wird und wozu Herr Hanotaux sich also auch Deutsch land gegenüber offen bekennt, ist lehrreich. Es entspricht den französischen Traditionen, überträgt das in Lille geschriene Französisch ins Diplomatische und kann höchstens eine Verlegenheit für diejenigen Deutschen bilden, die voreilig die Ansicht vertreten haben, Deutschland habe, indem es seine Betheiligung au der Pariser Weltausstellung zugesagt, den Lethebecker gefüllt, aus dem die Franzosen früher oder später Vergessenheit trinken werden. Die Gedankenlosigkeit und Würdelosigkeit, die ein Theil der deutschen Presse bei der Auslegung der Erklärung deS Grafen Münster sich bat zu Schulden kommen lassen, erhält eine wohlverdiente Züchtigung. Der Mann, der von allen Franzosen am meisten zur Vorsicht in der Wahl seiner Worte verpflichtet ist, genirt sich nicht im Geringsten, zu sagen, daß Frankreich durch die Veranstaltung der Ausstellung sich nur „auf mehrere Jahre" dem Frieden geweikt habe, er macht aus seiner „befristeten" Friedensliebe kein Hehl. Die „Ham burger Nachrichten" hatten die Rede Hanotaux' noch nicht gekannt, als sie in einer ohne Zweifel Bismarck'sche Gedanken widerspiegelnden Darlegung unter Anziehung der Liller Vor gänge die Thorheit geißelten, die die Franzosen durch Entgegen kommen gewinnen zu können vermeint und die Gefahr, daß die Berührung im Jahre 1000 zu schlimmen Mißhelligkeiten sichren könne, geringschätzt. Derfranzösische Minister desAeußern bestätigt die Richtigkeit jenes Urtheils des Hamburger Blattes und vermeidet sorglich, diese seine Besorgniß zu vermindern. Wenn eS im Jahre IWO zu Ausbrüchen des Deutschenhasses kommt, so wird die französische Regierung Ernstliches nicht dagegen unternehmen können; denn keine französische Regierung kann, ohne ihre Existenz zu verwirken, auch nur den Schein anf^sich laden, in der Frage der Revanche minder „correct" zu denken, als Deroulede und Madame Adam. Das zeigt am besten das Beispiel JnleS Ferry's, der vieljährigem wilden Hasse bei seinen Landsleuten anheimfiel, nickt etwa, weil er auf die Revanche verzichtet, sondern weil er begonnen halte, noch an andere Dinge zu denken. Heute allerdings haben die Franzosen eingeschen, daß sie sich an anderen Orten betbätigeu können, ohne das „Loch in den Vogesen" aus den Augen zu verlieren, und sie danken dem Verstorbenen seine Initiative. Was Hanotaux über diesen sagte, verdient die besondere Beachtung der deutschen Colonialgegner: „Zu der Zeit, als Jules Ferry an« Ruder kam, fand er die ganze Wett von der Strömung »ach colonialen Unternehmungen getragen; Europa war voll von neuen thätigen und sich kräMg entfaltenden Nationalitäten und suchte nach neuen Bahnen. Man lauschte auf das, was sich in bisher unbeachteten Gegenden begab, und alle Blicke wandten sich nach derselben Richtung. Noch ein- mal, ohne Zweisel znm letzte» Male, sollte die Erde getheilt werde». Da war die Frage, ob Frankreich hierbei sich uubetbeiligt verhalten und mit gleichgiltigem Auge zujehen sollte." Jedenfalls ist es für Afrika richtig, daß eS in der Haupt sache zum letzten Male getheilt werden sollte, als jene be kannte Strömung entstanden war. Dennoch wurde Fürst Bismarck von den deutschen Radicalen als Thor oder als Werkzeug von Thoren gebrandmarkt, weil er, obwohl an sich „kein Colonialmensch", Deutschland nickt völlig leer ausgehcn lassen wollte, wo das kalt seinen Vorlheil berechnende Eng land und das bis dahin von einem übermächtigen Gedanken ab gezogene Frankreich ihren Autbeil forderten. Unter diesem Ge- sichlspunct, daß nämlick die Erwerbung von Colonien nicht etwa nur Wünschenswerth, sondern für eine nationale Großmacht wie Deutschland eine gebieterische Nothwendigkeit gewesen in, bat der „neue CurS" die deutsche Colonialpolitik wohl nie betrachtet. Wissmann hätte sonst wohl nie weichen müssen und Graf Caprivi wäre mit Zanzibar nicht verfahren wieder muntere Seifensieder mit dem beunruhigenden Beutel Goldes. Daß der Freisinn, der in Colonialsachen das Ohr des zweiten Kanzlers gehabt hat, durch den geschichtlichen Rück blick Hanotaux' zu einer andern Auffassung sich bekehren werde, ist natürlich ausgeschlossen. Eben je^t ist seine Presse dabei, Anschuldigungen gegen einen in den Colonien thätigen Mann als unumstößliche Wahrheiten zu verbreiten und daraus, ob wohl der Beschuldigie gar nicht Beamter ist, Capital gegen die Colonialpolitik zu schlagen. Jim Pinkerlon und ich. Roma» von R. L. Stevenson und Lloyd OSbourne. 2Sj Autorlsirte Bearbeitung von D. Kätscher. Nachdruck verboten. „Sprachen die Leute viel von dem Wrack?" „Nein, wahrscheinlich war's nicht der Rede Werth. Ihre Papiere schienen in Ordnung zu sein. Hardy pflegte zumeist von den Menschen zu erzählen, mit denen er umgegangen war: Buchmacher, Jockeys, Schauspieler u. s. w. — eine ziemlich geringwerthige Gesellschaft, wie Sie sehen. Nun aber bin ich hier angelangt, wo mein Roß sich befindet. Leben Sie wohl!" „Nur noch Ein- — ist Herr Sebright an Bord?" „Nein, beute ist er in der Stadt; ich habe ihm ein« Handtasche inS Hotel hinaufgetragen." Wir schieden, und alsbald sprengte er auf einem Mieth- pferd davon, daS den Reiter zu verachten schien. Ich aber blieb in dem von den Hufen aufgrwirbelten Staub zurück, eine Beute wirrer Gedanken. Ich schien an der Schwelle der Lösung der Midway-Rätbsel zu stehen. Bereits kannte ich den Namen de» vermeintlichen Dickson, — er hieß Earthew. Auch wußte ich uun, woher daS viele Geld kam, mit dessen Hilf« BellairS auf der Auktion den Preis deS Wracks in die Höhe trieb, — eS bildete einen Theil von Carthew'S Erbschaft. Meine Einbildungskraft sagte mir, daß dieser hochgeborene, hochgebildete Mann, den der „Sturm" aus den Fährlichkeiten, in die die Brigg gerathen war, gerettet und den der Klang seines eigenen Namens zu Boden ge streckt hatte, der Hauptschlüssel zu dem ganzen Gebeimniß der „Fliegenden Lerche" sein müsse. Wahrscheinlich besaß er ein empfindliches oder ein belastetes Gewiffen. Und als ich an den Zwischenfall am Telephon de« Occivental-Hotels in San Francisco zurückdachte, war ich meiner Sache voll kommen sicher. Wollte ich Nähere« erfahren, so mußte ich die Gelegenheit beim Schopf ergreifen. Ich mußte mich beeilen, Sebright kennen zu lernen, solange der „Sturm" in Honolulu vor Anker blieb. Ich ließ daher Herrn Fowler absagen, kehrte in die Stadt zurück und trieb mich auf den kühlen Veranden des Gasthofes herum. Allein erst um neun Uhr Abends erschien der Erwartete. Sobald der Contorbeamte mir sein Eintreffen mitgetheilt und mir ibn gezeigt hatte — er trug einen Anzug aus Halbtuch, hielt mit gezierter Anstrengung einen Stock in der Hand und legte eine unbeschreibliche Nonchalence an den Tag — trat ich auf ihn zu und sagte höflich: „Habe ich das Vergnügen mit Herrn Sebright?" „O ja, aber ich kenne Sie nicht, oder doch?" antwortete er in einer lächerlich gedehnten, trägen Tonart und Aus sprache, die mir sehr mißfiel. „Mein Wunsch ist ja, eben mit Ihnen bekannt zu werden", bemerkte ich etwas gereizt. „Es handelt sich um einen Gegen stand von gemeinsamem Interesse. Ich glaube, einem Ihrer Freunde von Nutzen zu sein, mindestens aber eine sehr will kommene Nachricht geben zu können." Das letztere fügte ick mehr zur Beruhigung meines eigene» Gewissens hinzu. Herrn Carthew-Dickson-Goddedaal wirklich dienen zu können oder zu wollen, das vermeinte ich nicht; Wohl aber dachte ich, daß er die Mittheilung Les Niederbrennens der „Fliegenden Lerche" mit großer Freude vernehmen würde. „Ich weiß nicht — ich verstehe nicht", stammelte mein Opfer. „Sie scheinen nicht zu wissen, daß ick in Honolulu keine Freunde habe." „Ich spreche von einem Freund, den Sie in England haben. Ich meine Herrn Carthew, den Sie bei der Midway- Jnsel gerettet haben. Meine Firma kaufte Las Wrack und ich komme eben vom Abbruch desselben. Um mich ganz kurz zu fassen — ich muß ibm etwas mittheilen und möchte Sie um seine Adresse bitten." Er stand wie auf Kohlen. Die Sache mußte ibm, das sab ich ihm deutlich an, sehr unangenehm sei», und er wünschte, mich möglichst rasch los zu werden. Offenbar nur darum schrieb er mir sofort die Adresse auf (sie lautete: „Norris Carthew, Stallbridgc-le-Cartbew, Dorsrishire, England") und — ließ mich stehen, so daß ich, was die ersehnten Aufschlüsse über die Vorgänge auf dem Wrack betrifft, ebenso klug war wi« zuvor. Was blieb mir übrig, als mich ins Unvermeid liche zu fügen? Am nächsten Morgen begegnete ick Sebright auf seinem Rückweg zum Schiss. Er grüßte mich mit einer so unver schämten Herablassung, daß ich th.it, al« säbe ich ibn gar nicht und raher srinen Gruß unerwidert ließ. Ties« Taktik hatte ich dem große» Netsyn abgeguckt. Nuumehr verzichtete ich für immer auf jede nähere Berührung mit dem „Sturm" und dessen Nätbsellösungen. Desto erstaunter war ich, schon nach drei Viertelstunden vom Kriegsschiff eine schriftliche Ein ladung zu empfangen, die den folgenden Wortlaut hatte: „Geehrter Herr! Naturgemäß nehmen wir Alle lebhaften Antheil am Schicksal der „Fliegenden Lerche". Sobald ich erwähnte, daß ich gestern das Vergnügen batte, Ihre Be kanntschaft zu machen, wurde allgemein der Wunsch laut, daß Sie bei uns speisen möchten. Es wird uns Alle ungemein freuen, Sie heute Abend zum Diner (6 Uhr) an Bord zu sehe». Sollten Sie verhindert sein, so wollen Sie morgen oder heute zum Frühstück kommen (12 Uhr). Ihr ganz er gebener Lascelles Sebrigbt." „Nein, mein Herr", dachte ich im Stillen, „mir sind Sie gewiß nicht ergeben, offenbar aber jemand Anderem, der Sie nach dem Anbören Ihres Abenteuers wegen der Leichtig keit, mit der Sie mir die Adresse gaben, ausgezankt und Ihnen diese Einladung in die Feder dictirt haben dürfte. Wahrscheinlich ist's der Schiffsarzt, der ja Carthew gepflegt haben muß, und die Einladung hat wohl nur den Zweck, daß der Doctor mich aushole." Ich antwortete, daß ich mich für die allernächste Gelegen heit entscheide und daher noch an demselben Vormittag um zwölf Uhr erscheinen werde. Ick war pünctlick, und die große Cajüte schien über meine Gegenwart erfreut. Weit mehr als Sebright interessirten sich die anderen Ofsiciere für meine Reiseabenteuer, und die „Fliegende Lerche" sowie die Midway - Insel boten uns Stofs für stundenlange Ge spräche. Tie Leute sprachen ohne jede Verlegenheit wieder holt von Cartbew und bemühten sich keineswegs, seine Er wähnung zu vermeide». Viel wußten sie freilich nicht über ihn zu sagen; aber ich hatte den Eindruck, daß sie eben nicht viel wußten und mir nichts von Dem, was sie wußten, verheimlichten. Dennoch konnte ick mich deö Gedanken nicht erwehren, daß wenigstens der Arzt, Vr. Urguart, mehr wissen müsse Dieser war ein schlanker, schlichter, kräftiger Mann in den sünsziger Jahren mit grauem Haar und buschigen Augenbrauen. Er sprach wenig, aber heiter, und sein etwas zitterndes, ruhiges Lachen wirkte ansteckend. Offenbar war er zwar der Spaßmacher der Gesellschaft, aber allgemein hochgeschätzt. Ich nahm wahr, daß er mich insgeheim beobachtete. Ich that ihm gegenüber da« Gleiche, denn wenn Carthew, was mir ja längst klar war, sich krank ge stellt hatte, so konnte dcr Arzt nicht umhin, Alle« oder doch Vieles zu wissen. Dazu kam, daß er durchaus nicht aus sah wie Jemand, der sich hinter« Licht führen läßt. Er schien mir vielmehr ein Mann von besonderer Strenge zu sein. Ich wurde immer neugieriger. Ich erklärte daher, als wir uns ins Rauchzimmer begeben hatten, mich unwohl zu fühlen und mit dem Arzt sprechen zu wollen. «Herr Doctor, mir fehlt eigentlich nichts", sagte ich, als ich mit ihm allein war. Er brummte „Hm, hm!?" seine Mundwinkel zuckten, seine grauen Augen blickten mich forschend an, aber er sprach kein Wort. Ich fuhr daher fort: „Ich möchte mit Ihnen über Herrn Cartbew und die „Fliegende Lerche" sprechen, das müssen Sie erwartet haben. Ich bin überzeugt, daß Sie Alles wissen, und da Sie ein kluger Beobachter sind, werden Sie errathcn haben, daß ick ebenfalls ziemlich viel weiß. Wie stehen wir nun mit ein ander? Und wie soll ich mich zu Herrn Carthew stellen?" „Ick verstehe nicht ganz, was Sie meinen. In welchem Geist, mit welcher Absicht legen Sie mir diese Fragen vor ?" „Ich kaufte in Folge deS Eingreife-i« eines Vertreters Cartbew's das Wrack zu einem Preis, der mich bankerott gemacht hat, ohne daß das Wrack einen besonderen Werth gehabt hätte. Wobl aber habe ick unwiderlegliche Beweise verbrecherischer Vorgänge entdeckt. Denken Sie sich in meine Lage hinein. Dieser Herr, den ich nie gesehen, hat mich zu Grunde gerichtet, und ich könnte ja den Wunsch hegen, mich an ihm zu rächen oder von ihm Entschädigung zu verlangen. Sie werden doch zugeben, daß ich Mittel und Wege hätte, mir zur Erfüllung eines oder de« anderen dieser Wünsche zu verhelfen?" Da er sich stumm verhielt, fuhr ich fort: „Begreifen Sie nun, in welchem Geist ich zu Ihnen, der Sie sicherlich ins Geheimniß eingeweiht sind, komme, um offen und ehrlich zu fragen, wie ich mich zu Herrn Cartbew stellen soll?" „Nein, ich verstehe noch immer nicht . . „Nun denn, mein Gewiffen ist nickt übermäßig zart, aber immerhin habe ick eine«. E« giebt Grade von Verbrechen, gegen die ich unter Umständen nicht viel einwenden würde. Ich lasse nicht gern «inen Vorthril fahre», wäre eines solchen bei Herrn Carthew auch sicher und bin überdies ziemlich neugieriger Natur. Andererseit« jrdoa» bin ich nicht v«rsolgung«süchtig und lieb« e« nicht, Unglücklich«»» unangeaebm zu werd«« " „Jetzt versteh» ick! Seyen Sir den Fall, ich gäbe Jbner-
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