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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.08.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-08-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960815029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896081502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896081502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-08
- Tag1896-08-15
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Reclameu unter dem Redacttonsstrich (4g». spalte») 50^. vor den Jamillennachrichte» ltz gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzelchnib Tabellarischer und Zisserusatz nach höherem Tarif. Extra-veslagcn (gefalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ÜO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschlvß fnr Anzeigen: Mbend-Ausgadr: Pvrmtttag- 10 Uhr. Plorgen-Aoegabr: Nachmittag« 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« Halde Stund« früher. Antetgen sind stets au di» Erpedtttoa zu richten. Druck und Veelaa nun E. Bolz in Lelvjlg 90. Jahrgang. Mitische Tagesschau. - Leipzig, 15. August. Fürst Hohenlohe bat sich heute Morgen auf seine Be sitzung Werki in Nuhlqnd begeben unv will von dort Anfang September direct nach BreSlau fahren, um beim Empfange des russischen KaiserpaareS zugegen zu sein. Hieraus ergiebt sich, daß die vor einer Woche verbreitete Nachricht von der „unmittelbar bevorstehenden" Demission deö Reichskanzlers nicht richtig war. Ob im Herbst die Demission des Reichskanzlers erfolgt, läßt sich beute noch gar nickl absehen. Daß Frage» existiren, wie die der Militair» strafproeeßordnung, die der Entscheidung noch harren, nnd an deren Erledigung sich eine Krisis knüpfen könnte, ist bekannt. Wie die Frage der Militairstrafproccßvrdnung aber erledigt werden wird, darüber liegen bis zur Stunde keine authentischen Mittheilungcn vor. Die „Köln. Volksztg." behauptet be kanntlich, ter Kaiser habe gegen die Einführung der Oeffent- lichkeit deö Verfahrens, selbst in dem beschränkten Umfange deö ausgearbciteten Entwurfs, die größten Bedenken, wolle aber nichts unversucht lassen, dem Fürsten Hohenlohe das Verbleiben auf seinem Posten zu ermöglichen. Die „Münch. N. N." dagegen stellen heute die Möglichkeit einer KanzlerkrisiS rundweg in Abrede. DaS genannte Blatt bat an „zuverlässiger Stelle" die Mittheilung erhalten, daß alle den Reichskanzler Fürsten zu Hohen lohe betreffenden Rücktrittsmeldungen vollständig aus der Lust gegriffen seien. Der Reichskanzler werde be stimmt in der Lage sein, die von ihm in Bezug auf die Militair-Strasproccßordnung gegebenen Versprechungen, und in der von ihm angegebenen Weise, ein zulösen. Es könne deshalb auch die Frage der Militairstrafproceßordnung nicht der Grund sein, aus welchem der Kriegsminister ein Abschiedsgesuch eingereicht habe. — Daß der Letztere sein Abschiedsgesuch eingereicht bat, ist eine Tbatsache. Herr von Bronsart ist dazu ohne Zweifel durch den Gegensatz bewogen worden, der zwischen dem KriegSministcrium und dem Militaircabinet besteht. Dieser Gegensatz ist aber anscheinend weniger aus die Frage der Militairslraf- proceßreform als auf Organisationsfragen zurück- rusühren. Das Militaircabinet oder, wie seine vollständige Bezeichnung lautet, das „Geheime Cabinet Sr. Majestät des Kaisers nnd Königs für die Militair-Angelegenheiten", hat zwei von einander verschiedene Aufgaben zu erfüllen. Es Hal einerseits die auf die Armee bezüglichen Entschlüsse nnd Anordnungen des Kaisers in seiner Eigenschaft als oberster Kriegsherr zu bearbeiten und bekannt zu geben, wobei eö ungefähr dieselbe Stellung einnimmt, wie das „Geheime Cabincl für die Civil-Angclegenhciten" in den übrigen Zweigen der Staatsverwaltung. Die andere Function, die dem Militaircabinet obliegt, ist die Bearbeitung der per sönlichen Angelegenheiten, also aller Beförderungen, Ver setzungen, Verabschiedungen sämmtlicher Officiere und Beamten des Heeres. Der Kriegsminisler bat nur eine beschränkte Verfügung über eine kleine Anzahl von Officieren, die er selbstständig versetzen kann, nachdem sie auf den Vorschlag des Militaircabinets zu einem bestimmten Dienstzwcig, z. B. zu den technischen Instituten der Artillerie, conimandirt worden sind, über die Subalternbeamten und über die Garnisonbanbeamten, die den übrigen oberen Militairbeamten demnach nicht ganz gleichgestellt sind. Die persönliche» An gelegenheiten der Officiere und Beamten bearbeitet das Militaircabinet indesfen eigentlich nur in seiner Eigenschaft als Abtheilung dcS Kriegsministeriums und zwar als die Ab- theilung „für die persönlichen Angelegenheiten". Als solche erfcheint eS auch in dem Etat für bas Reichsheer. I» Wirk lichkeit bat «ö sich freilich schon längst zu einer selbst ständigen Behörde entwickelt. Sein Ebef bar stets un mittelbaren Vortrag beim Kaiser gehabt, der Kriegsminister hat auf die Personalveränderunge» in der Armee keiuen direkten Einfluß, selbst wenn sie seine nächste Um gebung berühren, also seine Mitarbeiter, für deren Thätiakeit er die Verantwortlichkeit als Minister zu übernehmen bat. Diese Entwickelung des Militair cabinets zur thatsächlichen Unabhängigkeit vom Kriegsminister ist vor allem in dem Umstande begründet, daß der Ebef deö Militaircabinet- schon seit den Zeiten Friedrich Wilhelm'- IV. stets ein Generaladjutant gewesen ist, der schon in dieser Eigenschaft zur nächsten Umgebung deS Kaisers gehört und deshalb immer eine ganz andere Stellung eingenommen hat als ein bloßer Abtheilungs- chef deS KriegSmiuisteriumS. Zwischen den Chefs deS MilitaircabinetS und des Kriegsministeriums haben bereits in früherer Zeit nicht immer die besten Beziehungen be standen, weil die ersteren die erklärliche Neigung hatten, von ihrem Einfluß nach ihren, Ermessen Gebrauch zu machen, während die Kriegsminister nicht geneigt waren, auf den ihnen als den verantwortlichen Ministern zustehenden Einfluß zu verzichten. Jetzt hat sich der Gegensatz zwischen Kriegs ministerium und Militaircabinet um so schärfer zugespitzt, je größer die Armee geworden, je öfter der Chef des Militair cabinets in der Lage ist, auf die Entschließungen des obersten Kriegsherrn einen entscheidenden Einfluß auszuüben, während der Kriegsminister, obgleich er die verfassungsrecht liche Verantwortung trägt, in sehr vielen Fällen sich gar nicht in der Lage befindet, seine Meinung zu den Ohren des Kaisers zu bringen, und je mehr der dermalige Chef des Militaircabinets General v. Hahnke der typische Repräsen tant einer Entwicklungsperiode der Armee ist, die ihren mit Recht bewunderten und immer in bester Erinnerung zu be haltenden Glanzpunkt in den 60er Jabren erreichte. Der jetzige Kriegsminister dagegen hält den Blick, statt ihn zuriick- zuwenden, in die Zukunft gerichtet und rechnet damit, daß die Generationen einander folgen, aber nicht gleichen. Sollte e r es sein, der den Kürzeren zieht? So viel auf dem Gebiete des Arbeitsnachweises in den letzten Jahren auch geschehen ist, so läßt die Organisation dieser für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wichtigsten Einrichtung doch immer noch viel zu wünschen übrig. Es verdient deshalb Aufmerksamkeit, daß die Regierung des Herzogibums Lachsen-Meiningen sich entschlossen hat, von Staatswegen die Förderung dieser Einrichtung in die Hand zu nehmen. Bisher war der Arbeitsnachweis, wo er überhaupt Eingang gesunden hatte, auf örtliche Bezirke beschränkt, und es feblte an einem Bindeglied, welches diese vereinzelten Einrichtungen zu einer Organisation erhob, von der man einen einigermaßen bedeutenden Einfluß auf den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt erwarten konnte. Das Vorgeben der Negierung in Sachsen- Meiningen bedeutet den ersten ernstlichen Versuch, den Arbeitsnachweis für ein größeres Gebiet einheitlich zu organisireu: denn der dort geplante Arbeitsnachweis soll sich auf das ganze, allerdings an Einwohnerzahl hinter einer An zahl deutscher Städte zurücksteheuke Herzogthum erstrecken. Dieser Versuch wird kaum ohne Einfluß auf die Organisation des Arbeitsnachweises in Deutschland -überhaupt bleiben. Bis jetzt leiden die bestehenden Einrichtungen, abgesehen von ihrer Beschränkung auf einen verhältnißmäßig kleinen Wirkungskreis, noch unter einer nicht unerheblichen Verschiedenartigkeit in der Organisation und in der Handhabung. Wir haben «n Deutschland Arbeitsnachweise, die in der Hand von Privaten ruben, ferner solche, die von Vereinen mit und ohne com- munale Unterstützung eingerichtet sind, die sogenannten städtischen Arbeitsnachweise, die sich namentlich in Nord deutschland finden, und endlich Arbeitsnachweise, die im An schlüsse an die Gewerbegerichte gebildet sind und von einer Commission diese- Gerichtes geleitet werden. Die letztere Form herrscht in Süddeutschland vor. Die Errichtung von städtischen Arbeitsnachweisen hat namentlich in Preußen in den letzten Jahren Fortschritte gemacht auf Grund einer Ver fügung deS Ministerium« deS Innern vom Juli 1894, welche den Gemeinden die Einführung dieser Institution zur ernsten Pflicht macht. Zur Zeit bestehen etwa 50 städtische Arbeitsnachweise. Die innere Einrichtung derselben und ihre Handhabung ist im Allgemeinen die gleiche; in der Regel wird die Leitung durch eine zur Hälfte au- Arbeitgebern, zur Hälfte au- Arbeitnehmern ge bildeten Commission unter dem Vorsitze eines Un parteiischen ausgeübt. In Arbeitsnachweisen, die von Vereinen geleitet werden, überwiegen je nach der Zusammen setzung der letzteren entweder die Arbeitgeber oder die Arbeiter. Die Vermittelung der Arbeit erfolgt tbeils unentgeltlich, theils gegen eine Gebühr, die bis zur Höbe von 50 herausgeht. Straßburg hat einen vollständigen Gebübrentarif ausgestellt. Der von der Regierung in Sachsen-Meiningen unternommene Versuch stellt den Arbeits nachweis auf eine andere Grundlage. Wöchentlich zweimal soll als besondere Beilage deS Regierungsblattes ein Ver zeichnis sowohl offener Stellen und Arbeitsgelegenheiten als von Gesuchen um Stellen oder Beschäftigung ausgegeben und von allen OrtSvorständen an den für öffentliche An schläge bestimmten Stellen angeheftet werden. Die An- zeigen-Aufnahme erfolgt unentgeltlich und kann mittels Post karte bewirkt werden. Es sind demnach höchst einfache Mittel, mit welchen man in Sachsen - Meiningen die Lösung der Frage eine« wirksamen Arbeitsnachweise- versucht, eS ist aber anzunehmen, daß auf diesem Wege manches Gute geleistet werden kann. Vor Allem dürfte es gelingen, den Aus- gleich von Angebot und Nachfrage dadurch zu fördern, daß er auf ein größeres Gebiet ausgedehnt wird. Wir behaupten keineswegs, daß die von der Regierung in Sachsen-Meiningen vorgeschlagene Form für alle Verhältnisse paßt. In großen Städten wird man einen localen und permanent fungirendcn Arbeitsnachweis nicht entbehren können. Für alle anderen Verhältnisse dürfte der in Sacksen-Meiningen gewählte Modus indessen au-reichen. Der Befürchtung, daß durch denselben der Zuzug vom Lande in die Stadt werde gesteigert werden, braucht man sich wohl nicht hinzugeben. Notorisch überwiegt das Angebot von Arbeit in den Städten so bedeutend, daß die Veranschaulichung dieses UebergewicktS auf die Land bevölkerung eher abschreckend als anlockend wirken dürfte. Vorläufig wird man die Erfolge des Versuchs in Sachsen- Meiningen abwarten müssen. lieber die Reise deS Zaren nach BreSlau und — was nunmehr entschieden ist — nach Paris finden wir in einem Schweizer Blatte, der „Neuen Zürcher Ztg." Ausführungen, die unserer Auffassung der Angelegenheit durchaus conform sind unk die uns mit Genugtbuuug erfüllen, weil sie von ehr lichen Sympathien für die Haltung der öffentlichen Meinung in Deutschland im gegenwärtigen Augenblick getragen sind. Nachdem die „N. Z. Z." darauf hingewiesen, daß Rußland seit einem Jahrhundert einen unermeßlichen Einfluß auf die westlichen Staaten, namentlich auf Mitteleuropa anSgeiibr bade und daß auch Preuße», besonders unter Friedrich Wilhelm IV. in immer liefere Abhängigkeit von dem mach tigen Nachbarreiche gekommen sei, beißt es weiter: Wohl wurde diese- Joch etwas sanfter, als auf den selbstherr. licheu Kaiser Nicolau- I. sein etwa- sanfterer Sohn Kaiser Alexander II. folgte, der gegenüber seinem Obeim König Wilhelm I. große ErgebeubeU und Ehrerbietung bewies. Das Berbältniß wurde oder erst anders, d h. Preuße» u»d damit auch Deutschland kam zu Rußland in das Berbältniß der Gleichstellung erst durch seine Siege über Oesterreich undFrankreich und durch die Gründung des deutschen Reiches. Lange konnten es die maßgebenden Kreise in Petersburg nicht ver winden, daß sich Deutschland der russischen Vormundschaft entzogen hatte und sie grollen eigentlich noch heute deswegen Deutschland. Das deutsche Volk hat, wenigstens in seinen besten Elementen, sich der russischen Uebermacht nie unterworfen. Und heute freut e- sich der vollen Selbstständigkeit der deutschen Politik, welche mit Rußland gute Beziehungen unterhält, ohne deswegen der eigenen Würde etwas zu vergeben. Darum bespricht auch die deutsche Presse die bevornehendc Ankunst Les russischen Kaiser- in Schlesien mit aller Ruhe und wenn sie die Hoffnung ausdrückt, die Gäste möchten auch nach Berlin kommen, so ent spricht dieser Wunsch einzig der Befürchtung, ein Besuch des russischen Kaisers in Paris, nicht ober auch in Berlin, werde die revanchc- lustigen Gefühle der Franzosen verstärken und die FrieLeueaussichten trüben. Wie bedenklich diese Gefühle schon jetzt erhitzt sind, zeigt ein Blick in die Stichproben aus französischen Blättern, die sich bereits in offenen Drohungen gegen Deutschland er gehen. So giebt der „Jour" dem folgenden Nowrie-Geschrei des bekannten Deutschenfressers Lucian Nicot Raum: „Wilhelm 11. will zur nächsten Weltausstellung nach Pari- kommen. Wenn das wirklich die Absicht Wilhelm'- II. ist, so hat Wilhelm II. Unrecht; denn er wird, was er auch wünschen, wollen, sagen mag, nicht nach Pari- kommen. Er wähle nur die geeignetste Uniform und reise in einem Extrazuge bis nach Avri- court, an die Grenze, welche jein Großvater uns vor fünfundzwanzig Jahren gezogen hat. Aber weiter wird der Kaiser nicht kommen. Bon Jgney an werden alle Steine längs der Straße sich bei seinem Anblicke erheben, und wenn Wilhelm II. über LunSville und Nancy hinauskommt, so werden die verkohlten Ueberbleibsel deS DorscS Fontenor), das im Jahre 1871 von den teutonischen Horden eingeäschert wurde, ihm zurusen: „Nein, Du wirst nicht weiter gehen." Den Empfang, den der Kaiser in Toule, Bar-le-Duc, in CHLlvns, in Epernay und erst auf dem Pariser Ostbahnhose finden würde, der zwischen der Rue d'Alsace, der Rue de Metz und dem Boulevard de Strasbourg liegt, wollen wir lieber nicht auSmalen. Kaiser Wilhelm wird nicht »ach Paris kommen." Kaiser Wilhelm wollte nie und wird thassächlich nicht nach Paris kommen, dessen ist man sich in Paris doch wohl gewiß. Weshalb also ereifert man sich, wozu daS Gebelfer? Aber, so überflüssig cs auch ist, man sicht von Neuem daraus, daß cs ein Fehler war, die Ein- jadung zur Weltausstellung in Paris anzunebmen; ein Act des Entgegenkommens, von dem man hoffte, daß er versöhn lich auf die französischen Gemüther wirken werde. Bis 1900 sind eS noch rinige Jahre, aber wer bürgt dafür, daß kann die Revanchegier minder stark ist, nachdem ter Kaiser von Ruß land in Paris dem Präsidenten der Republik die Hand ge drückt hat! Und welcher Deutsche kann bis 1900 vergessen haben, was im Herbst 1896 geschehen ist! „Jeder dröhnende Schrei: „Rußland lebe hoch!", schrieb gestern die „Autorits", Hal keine andere Bedeutung als diese: „Nieder mit Deutsch land!" So ist cs beute und so wird es auch am Beginn des neuen Jahrhunderts sein. Sühne. 3j ' Roman von E. Halden. Nachdruck verboten. Drittes Capitel. Der Freiherr von Wildburg hatte die Nachricht von dem jähen Tode seines einzigen Sohnes besser ertragen, als man erwarten konnte. Hatten sie sich doch im Leben sehr fern gestanden: seine starre, hochmülhige Gesinnung, die der feudalen Uebcrbebung einer vergangenen Zeit entsprang, und die freien Ansichten des künstlerisch so hoch begabten SobneS waren sich ost feindlich begegnet, daneben trennte sie die Er innerung an die verstorbene Gemahlin des Freiherr», mit der er sehr unglücklich gelebt und die von dem Sohne hoch verehrt wurde. ES hatte nicht an heftigen Auftritten zwilchen ihnen gefehlt, bis der junge Mann eS durchsetzte, daß er, anstatt die militairische Laufbahn zu ergreifen, sich ganz der Kunst widmen konnte, und dann hat er viele Jahre lang in Italien gelebt, und die Verbindung zwischen Vater nnd Sohn war eine sehr lockere gewesen. Vielleicht hatte auch der Hauptmann von Wildburg, der mit seiner Familie auf Wildburg ein Asyl gefunden, nicht- gelhan, um diesen Zwiespalt zu versöhnen; er hatte nur danach gestrebt, sich dem kränkelnden, früh gealterten Manne, der voller Grillen nnd Wunderlichkeiten war und der den Ver kehr mit der Wclt miet, unentbehrlich zu machen. Dann waren plötzlich das Vatergesühl und die Sehnsucht nach dem Sodne in dem Freiberrn erwacht, er hatte die- in seinen Briefen ausgesprochen, warme Erwiderung gefunden, und Karl von Wildburg hatte sich nicht nur bereit erklärt, zu dcm Vater znrückzukehren, sondern batte ihm auch in ver lockenden Zukunftsbildern ein neues Leben geschildert, in dem er als das verehrte Familicnbaupt dastehen würde, umgeben von Sohn nnd Tochter und Enkeln. Der alte Herr freute sich daran nnd hielt im Geist Umschau unter den ältesten und reichsten Adclsfamilien, deren Töchter ihm allein in Betracht kamen; da fand sick manche vornehme Erscheinung, auf die er die Blicke seines Sohne- lenken wollte. Nun war daS Alles vorüber, und die Familiengruft hatte sich über dem wappengeschmückten Sarge geschloffen. Der Freiherr aber lebte und wollte noch lange heben; er wußte, daß nichts so sehr der Gesundheit schade als Grain nnd Kummer, und deshalb suckle er beide von sich abzustreifen. Erloscken war ja sein Geschlecht noch nicht, wenn er auch den Sohn verloren hatte, den er so wenig besessen; an den Haupt mann als nächsten Nachfolger zu denken, war ihm unbehaglich, aber dessen kleiner Sohn, der für lange Jahr noch nicht al- begehrlicher Erbe zu fürchten, wurde ibm lieb, und er betrachtete ihn fast wie einen leiblichen Enkel. Der muntere, aufgeweckte Knabe, gesund au Körper und Geist, muthig und kühn, gefiel ihm, er hatte ihn viel um sich, erzählte ihm auch, daß ihm einst Alles gehören und daß er hier der Herr fein würde. Jeden Wunsch, den der kleine Albrecht anssprach, erfüllte er ihm, der Knabe erhielt den hübschen Wagen mit den beiden stattlichen Ziegenböcken, den er so ungestüm begehrt, dann ein Pony zum Reiten, den großen!, würdevollen Leonberger und Le» weiße», gelehrigen Pudel, der durch seine Dressur so werthvoll war, der Freiherr ließ ihm ein Vogel haus für seine gefiederten Lieblinge bauen, unv batte eine fast kindische Freude über die erste Krähe, die der Vogelflinte deS jungen Schützen rum Opfer gefallen. Er verzog den Knaben in jeder Weise, aber er duldete keinen Einspruch, und wenn jener herrisch und iibermüthig auftrat, so freute ihn das, und er meinte lächelnd: „Besser für den Erben von Wildburg ein schneidiger Junker als ein träumerischer Farbenklcckser." Der Hauptmann ließ den alten Herrn gewähren, für den er jetzt überhaupt eine Nachgiebigkeit zeigte, die er früher ihm gegenüber nicht gekannt. Er war sehr verändert seit dem Unglück, er trug sich gebückt, al- ruhe eine schwere Last auf ihm, sein Haar war ergraut, er alterte zusehends, und wenn er bei Tage in unablässiger, fieberhafter Tbätig- leit Schutz gegen die auf ihn einstürmenden Gedanken suchte, so quälte» sie ibn um so mehr in schlaflosen Nächten, oder sie gestalteten sich zu angstvollen Träumen, in denen ihn seine Gattin wecken mußte, wenn sich seine Pein in lautem Stöhnen und Wimmern Luft machte. Oft saß er bei sorg fältig verriegelter Tbür vor seinem Schreibtisch, au- dessen Geheimfach er jene Papiere genommen, die der Fluch seines Leben- geworden und die er doch nicht zu vernichten wagte. So lange sie noch existirten, gab »S noch eine Entschuldigung für ihn, er konnte sein Unrecht wieder gut machen, jenes schattenhafte, ungeborene Kind, gegen das er gesündigt, zum Erben seiner Rechte machen. Und doch wußte er genau, daß er e- nie thun, daß er gegen daS Kind, daS er al- seinen Todfeind betrachtete; weil es ibm Alles raubte, den erstrebten Besitz, jede Lebensfreude, alle Seelenruhe, kämpfen würde bi- aufs Aeußerste, bis zur Vernichtung. Mit Angst durchflog sein Auge die Spalten der Zeitungen, noch hoffte er, daß jenes Kind nie inS Dasein treten würde, da fand er den Aufruf der schlesischen Be hörden, und eS blieb ihm kein Zweifel, der wahre Erbe lebte und bedrohte ihn. O, diese marternde Angst, diese peinvolle Sorge, die wie das Schwert des DamokleS über ibm schwebten! Wie leicht konnte nicht ein unberechenbarer Zufall die Ent deckung herbeiführen; er batte keine ruhige Minute mehr. So lebte er fort, von Augst und Gewiffenspein gefoltert, und nur der Gedanke, daß er für sich selbst nichts begehrte, daß er auf Alles verzichten und sein Sobn allein die Frucht des begangenen Frevels ernten sollte, vermochte ihm einigermaßen Trost zu gewähren. Sein eigenes Leben war gebrochen, ver nichtet, in diesem schönen, reichbegabten Knaben begann eS von Neuem, und Alles, was sei» Later der Sünde ab- aerungen, sollte durch diese reinen Hände entsühnt, ihm zum Fundament eines beglückten, ehren- und ruhmreichen Daseins dienen. Frau von Wildburg bemühte sich vergeben-, gegen die finstere Schwermut!) und die wechselnden Stimmungen ibre- Gatten anzukämpfen; sie konnte sein Vertrauen nickl er ringen, und dock war sie überzeugt, daß irgend ein dunkle- EtwaS der Friedlosigkeit zu Grunde lag, die ibn verzehrte. Die unablässige Sorge nagte an ihrer zarten Gesundheit und erschütterte diese noch mehr als der Gram über den Verlust ihrer beiden kleinen Mädchen, deren von Geburt an schwache Lebensflammeii schon im ersten Jahre ihre- Dasein- wieder erloschen. Die zarte, kränkelnde Frau verbrachte ihre Tage in einsamem, wortlosem Kummer. Den Hauptmann nahmen die Geschäfte, welche mit der Oberleitung deS großen Besitze« verbunden waren, vielsach in Anspruch, außerdem vermied er, wie sie wohl empfand, die Gegenwart seiner Frau, für Gäste war da- Schloß mit seinen trübsinnigen Bewobnern kein Aufenthalt, und Albrecht, der jetzt die ersten Lehrstunden bei einem Hauslehrer empfing, schweifte mit diesem durch Feld und Wald, sobald er frei war, und die Mutter batte wenig von ihm. Um so lästiger waren die Ansprüche, welche der Freiherr an die beiden Ehegatten für seine Unterhaltung machte, er wollte auf Spaziergängen begleitet sein, die Zeitungen vor gelesen Haben, und durch endlos« Spiele, Domino, Schach, Billard erschöpfte er die Geduld seiner Verwandten. Da kam der Hauptmann auf den rettenden Gedanken, für seine Frau eine Gesellschafterin zu engagiren, die sich auch dem alten Herrn widmen sollte. Zahllose Bewerbungen gingen um die Stelle ein, und ihre Menge erschwerte die Wahl. Die meisten hatten, wie es gewünscht worden war, ihren Zeugnissen eine Photographie beigelegt, und der Hauptmann studirte eifrig die Gefickter, um dasjenige herauszusinteu, das am meisten sympathisch wirkte, den» nach seiner Ansicht war das Aeußcre ter neuen Hausgenossin nicht gleichgiltig, und er hielt Jugend und Anmut für unerläßlich, um eine erheiternde Wirkung hervorzubringen. Noch schwankte man bin und ber, al- sich eine Dame bei Frau von Wildburg melden ließ. „Emilie von Weber" stand auf ihrer Karte. Sie wurde in den Salon geführt nnd ob wohl ihr ter Diener aufmerksam einen Sessel hingesckoben, stand sie dock noch in demükbiger Haltung nabe der Tkür, als die Hausfrau eintrat. Die kleine» schmäckligr Gestalt in dem unscheinbaren grauen Kleidchen, dem man trotz ängst licher Sauberkeit und Accuratesse seine langjährigen Dienste ansah, daS magere, gelblich bleiche Gesicht mit den früh gealterten scharfen Zügen gaben da- Bild vollendeter Häßlich keit, nnd die grauen, sehr Hellen Augen, die meist von ten Lidern bedeckt wurden, hatten einen halb scheuen, halb stechenden Blick; Haar und Augenbrauen waren von hcllcm, stumpfem Blond, und so fehlte dem nüchternen, unschönen Grsickt jeder Reiz. Frau von Wildburg ließ sich in einen Sessel nieder, mußte aber ihre freundliche Aufforderung an die Besucherin mehr mals wiederholen, ebe diese ein Gleiche- that nnd sick be scheiden auf einen Stubl setzte. „Ich komme al- Bewerberin für di« ausgeschriebene Stelle", sagte sie leise. Frau von Wildburg erschrak, war aber keinen Augenblick im Zweifel über ihre Entschließung, so peinlich eS ihr auch wurde, eine ablehnende Antwort zu geben. „Da bedaure ich, daß Sie zu spät kommen", erwiderte sie; „wir haben unsere Wahl schon getroffen und sind fast ganz entschieden." „Ich dachte e- Wohl", sagte da- Fräulein traurig und ergebungsvoll, „so ist e- immer mein LooS. Ich batte meine Photographie nicht einsenden wollen, denn ick weiß aus Er fahrung, daß mein Bild keine wirksame Fürsprache für mich ist. Allerdings kann ich mir von meiner Persönlichkeit auch nicht mehr versprechen, aber ich hoffte, daß eS Sie vielleicht bewegen würde, gnädige Frau, wenn ich Ihnen selbst sagte, wie schwer eS für ein nicht mehr junges Märchen voa
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