Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960903026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896090302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896090302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-03
- Monat1896-09
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Di« Morgen-A»Sgabe erscheint um V«? Uhr. die Vbend-Au-gabe Wochentag- um S Uhr. Le-acttorr und ErpeMon: Johannr-gasse 8. Dir Expeoition ist Wochentag- ununterbrochen g«<än»t von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: vtt» Klemm'» Lortim. jAlfre» Hahn). Uuiversitüt-straße 8 (Paulinum), Louis Lösche, Kcitkannenstr. 14, part. und KönigSplah 7. Bezugs-Preis tn der Häupter-,ditio» oder den im Stad^ ve»trk «ch dm Bororten errichtet«» Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich bei zweimaliger täglicher Zustellung m» Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteuäbrlich 6.—. Dirrcte tägliche Kreuzbandsendua, ln» Au-la«d: monatlich >>l 7.V0. Abend-Ausgabe. MpMer TligMIt Anzeiger. Amtsblatt des L-nigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Polizei-Ämtes der Stadt Leipzig. SMSSSSSSMS« Donnerstag den 3. September 1896. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeik »0 Psg. Reklame« unter dem Redaktion,srrich (4g» spalten) bO^t, vor den FainiUennachrichte^ (6 gespalten) 40/>h. vrößerr Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfansatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage« (gefalzt), nur mit da Morgen-Ausgabe, ohne Poslbeförderuug >l 60.—, mit Postbefördernvg 70.—. Itnnahmeschluß fiir Anzrizea: Abend-Au-gabe: Bormittag» U) UhL Morgen-Au-gabe: Nachmittag» -Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle« je «i»e halbe Stunde früher. Anzrige« sind stet» aa di« GtzPehtttev zu richte«. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig SV. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. September. AuS fast allen größeren Städten des Reiches liegen Meldungen vor, die über festliche Veranstaltungen anläßlich des Scdnn- tageS berichten, so au- Hamburg, Breslau, München, Frank furt a. M., Dresden, Hannover, Braunschweig, Bromberg re. Es sind damit die Gesinnungen bezeugt, von denen die Bevölkerung des deutschen Reiches in ihrer weitaus größten Mehrzahl erfüllt ist. Doch fehlt es nicht an vereinzelten Vorkommnissen, die aufs Neue bekunden, wie schlecht cS noch hier und da im Reiche mit dem Nationalbewußtsein bestellt ist. So wird z. B. der „Boss. Ztg." unter dem 2. aus Kissingen geschrieben: „Der heutige Srdantag, der Tag, der jedem Deutschen immer wieder von Neuem die Ereignisse ins Gedächtnis bringt, welche die lang ersehnte Einigung Deutschlands herbeigesührt haben, der dazu bestimmt ist, in unserer Jugend die Liebe zum gemeinsamen Vater lande wach zu erhalten, — dieser weltgeschichtliche Erinnerungstag, für dessen festliche Begehung sonst im ganzen Reiche die glänzendsten Vorbereitungen getroffen worden, ist hier spurlos, ohne Sang und Klang vorübergegangen. Die hier anwesenden Fran zosen sollen in ihrem Nationalgesühl geschont werden, Alles soll ver mieden werden, ihre alten Wunden zu reizen, und kein Mißion soll die Curgäste verletzen. So will es die bayerische Re- gier ung und hat angeordnet, daß die Cnrcapelle an diesem Tage auch nicht einmal einen militairischen Marsch, ge schweige denn „Die Wacht am Rhein", „Deutschland, Deutschland über Alles" oder unsere Nationalhymne spielen darf. Ob diese zarten Rücksichten nicht zu weit getrieben, wird jeder Ihrer Leser selbst beurtheilen, jedenfalls würden die Franzmänner, wenn Einer von uns an ihren Quellen Heilung suchte eher das Gegen- theil thun." Wenn diese Mittheilung richtig ist, so hoffen wir, dem nächst über einen öffentlichen Protest berichten zu können, der aus der Mitte der deutschen Curgäste KissingenS gegen eine derartige Verletzung ihres patriotischen Empfindens erhoben werden muß. Wie der Telegraph bereits gemeldet hat, veröffentlicht der „Reichsanzciger" den schon vor geraumer Zeit in Aussicht gestellten Gesetzentwurf, betreffend die „Abänderung von Ärbcitcrvcrsichcrungsgcsctzcn". Er umfaßt mit der allge meinen Begründung nahezu 3 l Spalten des amtlichen Blattes, obgleich er lediglich eine Novelle zum Jnvaliditäts- und AllerSv ersiehe rnngsge setz bildet. Die Revision der Un fallversicherung scheint also einer späteren Zeit Vorbehalten zu sein. Auch die Grundlagen des bisherigen Gesetzes über die Jnvaliditäts- und Altersversicherung werden nur in einigen Punkten geändert; es bleibt bei der besonderen Organisation dieses VcrsicherungsdiensteS, bei der Quiltungs- karte und dem Markenkleben, insoweit nicht die Landes regierungen, die nicht schon früher dieses Einsehen hatten, dies künftig haben und gemäß einer neu vorgeschlagenen Vollmacht örtliche Hebungsstellen einrichten lassen. Dann allerdings kommen diese Stellen auch der Einziehung der Krankencassenbciträge zu Statten. In allem klebrigen handelt es sich um technische Details. Wesentlich erscheint nur die ander- weite Berechnung der Rente und der Wartezeit, sowie die Ein fügung einer fünften, nach oben überhaupt nicht begrenzten Lohnclasse von mehr als N50 .-«l mit einem Beitragssatz von wöchentlich 36 Die Revision der Beitragssätze soll künftig für je zehn Jahre erfolgen, und zwar vom Beginn des nächsten Jahrhunderts ab. Die jetzt vorgeschlagene Berechnungsweise soll bis 3l.December 1900 gelten. Die Be gründung beschäftigt sich sehr eingehend mit der Frage, warum auf eine Zusammenlegung der Jnvaliditäts- und Alters versicherung mit anderen Zweigen der Arbcitervcrsicherung verzichtet worden ist; es heißt darüber: „So wünschenswert!) die Zusammenlegung im Grundsatz auch sein mag, so sind doch die Schwierigkeiten und Weiterungen, die einer solchen Maßnahme noch entgegenstehcn, schon deshalb sehr erheblich, weil die Meinungen über den hierbei einzuschlagenden Weg noch völlig auseinandergeben. Die ganze Angelegenheit erscheint im gegenwärtigen Zcitpunct noch nicht spruchreif. Bis zu ihrer endgiltigen Erledigung können die Aenderunqen des Jnvaliditäts. und Altersversicherungsgesetzes, die sich in der Praxis a!S dringlich erwiesen haben, nicht hinausgeschoben werden. Um aber das Jneinandergreisen der verschiedenen Zweige der Arbeiterversicherung schon im jetzigen Stadium möglichst zu fördern, sieht der Entwurf in mehreren Punkten eine noch nähere Verbindung der Jnvaliditäts- und Altersversicherung mit der Unfallversicherung und dec Krankenversicherung, wie sie schon gegenwärtig besteht, vor und erweitert damit die Grundlage, ans der im Falle einer umfassenden Revision der Arbeitcrversicherung möglicherweise wird weiter gebaut werden können. Hinsichtlich der Krankenversicherung wird dies durch weitere Ausgestaltung der den Versicherungsanstalten gestatteten vor beugenden Krankenpflege und durch die Förderung gemeinsamer Beitragserhebung erreicht, hinsichtlich der Unfallversicherung durch die Verwendung der Schiedsgerichte der Jnvalidilälsversicherung für die land- und forstwirtlsichaitliche Unfallversicherung, sowie für die Unfallversicherung bei Regiebauten der Conimunalverbände. Eine große Anzahl von Schiedsgerichten mit gleichen örtlichen Bezirken wird dadurch entbehrlich werden. Tie hieraus sich ergebende Vereinfachung der Gesammtorganisatiou wird das Ver- ständniß unserer Arbeiierversicherung und die Durchsichtigkeit der Verwaltung nicht unwesentlich fördern." Bei der Berathung des Entwurfs wird voraussichtlich in erster Linie die Frage aufgeworfen werden, ob die erstrebte Vereinfachung der Gesammtorganisation nicht eine noch weiter gehende hätte sein können und ob nicht durch die Einführung der vorgeschlagenen Aenderungen die ersehnte Zusammen legung in noch weitere Ferne gerückt wird. Bei dem Um fange des Entwurfs ist eine Antwort auf diese Frage noch nicht möglich. Durch die Vorgänge im Orient fühlt sich die „Voss. Ztg." veranlaßt, ihr Befremden darüber auSzusprecheu, daß „die deutsche Neichöregierung es nicht für nothwendig cr acktet hat, durch Entsendung von Kriegsschiffen nach Kon stantinopel oder Kreta in einer für die Machtstellung des Reiches entsprechenden Weise für die Wahrung der dort ansässigen Neichsangebörigen und deren Schutz Sorge zu tragen." Das fortschrittliche Blatt begründet dieses Befremden folgendermaßen: „Zu welchen Zwecken hat denn, so fragt man sich, das deutsche Reich seine Flotte, wenn ihre Schisse nicht bei solchen Gelegenheiten eine ihrer Bestimmung gemäße Verwendung finden sollen? Die deutsche Marine, die jährlich an 200 Millionen Mark kostet, ist Loch nicht dafür da, lediglich zu Manövcrn und zu be ¬ lustigenden Veranstaltungen verwendet zu werden. Als das aus wärtige Amt die Nachricht von dem Uebersall auf die Ottoman- bank und von den Metzeleien in Konstantinopel erhielt, wäre es seine Pflicht gewesen, auf das Nachdrücklichste darauf zu dringen, daß Kriegsschiffe zum Schutz der deutschen Untcrthnucn nach Kon stantinopel abgesandt wurden. Oder sollte etwa das Reichsmarine amt erklärt haben, daß keine Schiffe abkömmlich wären? Das wäre sehr befremdlich, würde aber allerdings der Thatsache entsprechen, daß die deutsche Marine dort, wo die Anwesenheit ihrer Schiffe am nothwendigsten erscheint, sehr dürftig vertreten zu sein pflegt. Diese Erscheinung hat sich auch während des Krieges zwischen Japan und China und bei Ruhestörungen in anderen exotischen Land strichen bemerkbar gemacht." DaS Blatt fühlt jedoch selbst, daß nock befremdlicher als die von ihm beklagte Unterlassung die Bemängelung derselben von einer Seite ist, die den Mehrforderungen für die deutsche Marine fast stels entgegengetreten ist und gerade in neuerer Zeit auch für die vernünftigsten und begründetsten Klagen über die Unzulänglichkeit unserer Webr- und Schutzmackt zur See nur Hohn und Spott gehabt hat. Das Blatt fährt daher fort: „Wenn die deutsche Kriegsflotte jetzt nickt ausreicht, um, wenn es noth thut, ein paar Schiffe nach Gegenden zu entsenden, wo deutsche Reichsangehörige in Folge politischer Verwickelungen jeden Augenblick in die Lage kommen können, den Schutz des deutschen Reiches in Anspruch nehmen zu müssen, so würde ihr eine Ver mehrung um einige Schlachtschiffe auch wenig helfen. Denn die Nolhwendigkeit einer Vermehrung der Flotte kann nur durch den Nachweis dargethan werden, Laß das ReichSmarineamt sich bemüht, allenthalben dort Kriegsschiffe hinzuschicken, wo der Schutz der Neichsangebörigen es erfordert, daß die vor- handenen Schiffe dazu aber nicht ausreichen. Diesen Be weis kann Las Marineamt nickt führen. Beweisen kann es nur, daß zu Manöver, und anderen Zwecken stets Schiffe in hinreichender Zahl und vielleicht mehr als Las zur Stelle geschasst werden. Oder sollte man etwa glauben, Las Reichsmarineamt wolle dadurch, daß man es unterläßt, in kritischen Augenblicken Kriegsschiffe zum Schutz deutscher Reichsangehvriger zu entsenden, Stimmung für uferlose Mariuevorlagen mit der Begründung machen, Laß Las zur Ver- sügnug siebende Cchisssmaterial nickt ausreicht? Die Nachrechnung ist zu leicht, als daß LaS Marineamt damit vor dem Volke und vor dem Reichstage Glück haben könnte". Wir hoffen, daß im „Reicksanz." demnächst der Beweis geführt werden wird, daß in der Tbat das Reichsmarineamt sich bemüht, allenthalben dort Kriegsschiffe hinzuschicken, wo der Schutz der Reicksangehörigen es erfordert, daß aber die vorhandenen Schiffe dazu nickt ausreicken. Der in Aussicht stehenden Marine-Vorlage würde dadurch eine Begründung vorausgesckickt, die vielleicht sogar für die „Voss. Ztg." und ihre für die im Orient ansässigen Reichsangebörigen angeblich so besorgten Gesinnungsgenossen überzeugend sein würde. Bei dieser Gelegenheit könnte der „Reichs- anxeiger" zugleich nachholcn» was er leider bisher ver säumt hat: eine auf zuverlässige Angaben sich stützende Schilderung der Vorgänge im Orient und wenigstens eine Andeutung über die diplomatische Stellung nahme deö Reiches zu diesen Vorgängen zu veröffentlichen. Die täglich von allen Seiten in überreicher Fülle ein- tresfenden Schilderungen sind so widersprechend, daß man nach authentischen Angaben förmlich lechzt, und um so beklagenswertster lassen sie den Umstand erscheinen, daß der Reichstag nickt versammelt ist, in dem der Reichskanzler um Aufschluß über die Schritte gebeten werden könnte, welche er im Verein mit den leitenden Staats männern anderer Mächte für nöthig cracktet, um die von den orientalischen Wirren drohende Gefahr abzuwend-n. In der parlamentarischen Stille könnte recht Wohl der „Reicks anzeiger" dazu benutzt werden, der deutschen Geschäftswelt die durch jene Wirren schwer beunruhigt und geschädigt wird, wenigstens durck Dementirung falscher Meldungen und Gerüchte einige Beruhigung zu schaffen oder Fingerzeige zu geben. Besonders dankenswcrth wäre eS, wenn der „Reicks anzeiger" baldigst Aufschluß darüber ertsteilte, welcher Grad von Zuverlässigkeit einer Enthüllung innewohnt, die heute die Wiener „Neue Fr. Presse" über das russisch-französische Bünduitz macht und die auf Informationen aus dem aus wärtigen Amte in Wien sich zu gründen scheinen. Das Blatt erörtert nämlich die Frage, wer der Nachfolger deS Fürsten ? obauoffsein werde, und sagt im Laufe dieser Erörterungen: „Wmn der Zar bald die Wahl trifft, so wird es an dem neuen Minister sein, schon in allernächster Zeit ein Zeichen zu gcben, ob er die Politik Lobanoff's fortzusetzen oder zu desavouiren gewillt ei. In einem Monate soll der Zar nach Paris gehen. Tie Staatsmänner, die Gelegenheit hatten, mit dem Fürsten Lobanoff vor einigen Tagen in Wien zu verkehren, bekamen Len Eindruck, Laß er, der das Zarenpaar an die Seine begleiten sollte, fest «nt- Ichlosjen war, etwaige zu heiße Huldigungen für die russische Waffenbrüderschaft nach Kräften abzuwehren und die Franzosen nicht mit Illusionen über den Grad des Entgegenkommens zu erfüllen, den sie, wenn es einst zur Entscheidung käme, bei dem Verbündeten an der Newa fänden. Die Cabinete der Tripel-Allianz sind, wenn nnsrre Informationen richtig sind, heute betreffs der französisch-russischen Allianz nicht nur beruhigt, sondern, was mehr ist — unterrichtet. Zunächst sollen die Dreibundmächte darüber ziemlich genaue Informationen haben, daß es thatsächlich einen ge- sch rieb en en Vertrag gicbt, in welchem Frankreich und Rußland das Maß Lessen sestsetzen, was sie für den Fall von Verwicklungen einander schuldig wären. Die beiden Verbündeten scheinen bei der Tripel-Allianz in die Schule gegangen zu sein. Der Allianz- vertrag, der zwischen Paris und Petersburg abgeschlossen ward, faßt nämlich nur die Defensive ins Auge. Er bestimmt, was Rußland zu leisten hätte, falls Frankreich von einer oder zwei Seiten angegriffen würde — und er be stimmt, in welchem Ausmaße Frankreich Hilfe an Rußland zu leisten habe, wenn dieses von einer oder zwei Seiten attaquirt würde. Form und Inhalt des Allianzvertrazes sollen den Franzosen alle Hoff nung auf Revanche in absehbarer Zeit nehmen. Nur der einzigen Erwartung geben sie sich hin, daß die Intimität mit Rußland eine Steigerung erfahren werde, so daß man sich in Petersburg von einem Defensivbunde zu einer Allianz auch für den Fall der Offensive herbeiließe. Denn darüber kann kein Zweifel sein, daß, wenn bei der französisch-russischen Allianz bisher die Grenzen des Defensivvertrages nicht über schritten wurden, dies Verdienst keineswegs den verschiedenen Herren zukommt, die im Laufe der letzten Jahre im Ministerpalaste am Quai d'Orsay residirt haben, sondern weit mehr Giers und dessen Nachfolger, dem Fürsten Lobanoff. Alle, die dem nun verstorbenen Minister in Wien nahe gekommen sind, versichern, daß er entschlossen war, sich nicht von den Sanguinikern an der Seine auf eine Bahn drängen zu lassen, die diesen auch nur durch eine schmale Spalte die Aussicht auf die Möglichkeit der Revanche eröffnete." Sollte Fürst Lobanoff selbst es gewesen sein, der vor dem Antritt der Reise deS Zaren den Cabineten der Tripel- Allianz diesen Aufschluß über das Wesen des russisch-franzö sischen Vertrags und das Programm seiner (Lobanoffs) Reise nach Paris gegeben hätte, so würde der Plötzliche Tod dieses Staatsmannes noch mehr zu beklagen sein, als er bisher beklagt worden ist. Um so wünschenswerlher wäre es, wenn der „ReickSanzeizcr" in irgend einer Form über die Mittsteilung der „N. Fr. Pr." sich äußerle. Wenn diese be stätigt werden könnte, so würde nicht nur jede Besorgniß vor allzuüberschwänglicken und deshalb bedenllicken Kundgebungen während des Besuches des Zaren m Paris schwinden, sondern Feuilleton» Sühne. zgj Roman von E. Halde«. N-Ltruck verboten. Sechzehntes Capitel. Die Beisetzung des Hauptmanns von Wildburg war vorüber. Sie hatte in der Familiengruft stattgesunden mit allem Prunk und aller Pracht, wie es der Name und das Ansehen deS stolzen Geschlechts erforderte. Der Freiherr hatte mit den Seinen die Hauptstadt verlassen und nahm die tiefe Familientrauer zum Vorwand, um auf dem Schloß zu bleiben, obwohl wichtige Verhandlungen im Reichstage seine Anwesenheit zu erfordern schienen. Seine Partei genossen waren verwundert und enttäuscht, man kannte ihn sonst nur eifrig und pflichtgetreu, jetzt versagte er sich ihnen in so bedeutsamem Falle und stellte seine eignen Angelegen heiten den allgemeinen voran; aber man batte in letzter Zeit manches Seltsame an ihm erlebt, und selbst treue Freunde und Anhänger waren fast irre an ihm geworden. Herr von Stadler war nach den Begräbnißfeierlichkeiten, denen er beigewohnt hatte, nickt wieder nach Berlin zurück gekehrt. Er befand sich in sehr schlechter Laune. So wenig wie er sich dort in letzter Zeit heimisch und Wohl gefühlt hatte, so wenig gefiel eS ihm auf Hobenwalde. Die Be ziehungen zu den Gutsnachbarn wie zu den Officieren der Garnison, die im Herbst so befriedigend gewesen, hatten offenbar «ine unangenehme Veränderung erfahren. Man hatte ibn kaum beachtet, und als er Besuche machte, hatte er mehrmals verschlossene Thüren und vielfach eine sehr kalte Aufnahme gefunden. Es war doch sehr schwer, in diesen Kreisen beimisch zu werden, wenn man überall schlecht ver hehltem Mißtrauen begegnete und der geringste Verstoß mit nachsichtsloser Strenge angerechnet wurde. Welch fatalen Querstrich hatte ihm nun wieder der Tod de» Hauptmanns von Wildburg gemacht! Er batte die feste Absicht gehabt, seine Bewerbung um Erna'S Hand sehr zu beschleunigen; der Freiherr mußte sie ibm ja gewähren, er befand sich in seiner Gewalt, und an der Seite einer solchen Frau würde seine Stellung eine ganz andere werden. Nun, wenigstens wollte er diese Zeit nicht ganz unbenutzt lassen, Erna sollte über seine Absichten nicht im Zweifel bleiben; die dumme Ge schichte mit dem Doctor, die er wohl bemerkt hatte, mußte sie sich nun doch auS dem Kopfe geschlagen haben, und er wollte all seine Liebenswürdigkeit aufbieten, sich ihr angenehm zu machen. Er stürzte ein GlaS deS schweren RsteinweinS nach dem andern hinab und klingelte nach einer neuen Flasche. Der Bediente erschien, und er rief ihm den Befehl vom Nebenzimmer auS zu. „Noch eine Flasche RüdeSbeimer?" wiederholte der Mann, der nicht recht verstanden hatte. „Natürlich, Du Schlingel! Wagst Du es, Dich über mich aufzuhalten?" fuhr ibn sein Herr wüthend an. „Den Augenblick jage ich Dich fort, wenn Du Dich so frech beträgst." Der Diener stammelte eine Entschuldigung, doch das brachte den Erzürnten noch mehr auf. „Hinaus!" schrie er. „Komm mir nicht mehr vor die Augen! Du bist ein frecher Bursche." Der Mann zog sich schweigend zurück, er wie die gesammte Dienerschaft waren an diese Ausbrüche maßloser Heftigkeit gewöhnt und nur der reichliche Lohn und die mancherlei Vortheile, welche eS auf Hobenwalde gab, bewogen sie zum geduldigen AuSharren; aber sie haßten alle ihren Herrn. „Wenn ich nur wüßte, ob ich den Wein bringen soll oder nicht", murmelte der Bediente. „WaS er in dem einen Augen blick will, daS versetzt ihn im andern in Wuth." Es erschien ihm doch räthlicher, sich jetzt nicht vor seinem erzürnten Herrn zu zeigen, und dieser hatte seinen Auftrag auch bereit» vergessen. Er durchschritt mit hastigen Schritten die Reibe der Gemächer und goß sich im Speisezimmer einige Gläser von dem alten Cognac ein, der sich auf dem Buffet befand. DaS war ein Genuß! Aber er füdlte sogleich, daß er sich ibm nicht ungestraft dingeben durfte, denn der fatale Schwindel, der ihn so häufig plagte, meldete sich sofort, und er mußte sich an dem Eßtisch festhalten, um nicht taumelnd niederzusinken. Es ging schnell vorüber» aber eS verstimmte ibn doch. So etwas würde i alles fortfallen, wenn er erst eine Frau hätte; dann hörte der ewige Aerzer mit den Dienstboten auf, und sie würde ibn auch von den schlimmen Angewohnbeiten, die feine Gesunrheit bedrohten, zurückhalten. Er wollte hinüber nach Wildburg; ein freundschaftlicher Besuch war dort jetzt angebracht, und wie konnte ein weinendes Mädchen besser getröstet werden, als wenn sich ihr für den hinfälligen Bater ein liebevoller Gatte bot? ES war gerade der rechte Moment, um sich bei Erna angenehm zu machen. Er klingelte nach seinem Groom und befahl Cäsar zu satteln, ein edles Pferd, das er erst vor Kurzem gekauft balle. Der Reitknecht wagte Vorstellungen. Das Tbier schien Fehler zu haben, es ließ sich schwer besteigen und wollte den Reiter durchaus nicht dulden. Stadler brauste auf. Er sah in der Warnung einen Zweifel an seiner Reitkunst, und das ärgerte ihn, um so mehr, als sein Sitz viel zu wünschen übrig ließ, und er sich seiner ungenügenden Geschicklichkeit wohl bewußt war. So wurde Cäsar vorgeführt, der den Kopf senkte, die Obren anlegte und heftig mit den Vorder beinen scharrte. Der Groom hatte Mühe, daS Thier ruhig zu halten, und es sprang wiederholt zur Seite, ehe Stadler in den Sattel kam. Dann stieg es in die Höhe und ver suchte, seinen Reiter abzuwerfen, es gelang ihm aber nicht, und nun stürmte es in wildem Lauf davon. Noch hielt Stadler's Hand die Zügel, aber er bereute bereits seinen Vorsatz, und wenn ihn nicht die Furcht, sich vor seinen Leuten lächerlich zu macken, verhindert hätte, so würde er abgestiegen sein. Aber das wollte er um keinen Preis, er hoffte, daS Tbier schon zu meistern, und es blieb ihm anch kaum etwas anderes übrig, als alles aufzubieten, um im Sattel zu bleiben. Ter Groom und einige Stall leute blickten ihm kopfschüttelnd nach. „Wenn das kein Unglück giebt!" murmelte der Erstere und fügte hinzu: „Ich habe ihn gewarnt, es ist sein eigner Wille." Es war indeß Stadler gelungen, Cäsar in seine Gewalt zu bekommen; aber nicht auf lange, denn von Neuem überfiel ihn der Schwindel, alles drehte sich um ibn im Kreise, vor den Augen flimmerte eS ihm und der Zügel entfiel seiner Hand. Der Anfall dauerte nun einen Moment, aber er wurde verbängnißvoll. DaS Pferd benutzte seine Führer- losigkeit, nm in rasendem Galopp davon zu sprengen, alle Anstrengungen deS Reiters blieben umsonst, er konnte den Zügel nicht wieder erfassen, wurde zu Boden geschleudert und blieb besinnungslos liegen, während der Braune weiter stürmte. In einem hohen, lustigen Zimmer des Wildburger Schlosses, das mit größter Behaglichkeit auSgestattet war, in dem aber jetzt die künstliche Dämmerung der Krankenstube herrschte, lag Stadler auf den seidenen Betten des von einem mächtigen Baldachin überwölbten Lagers, bleich und regungslos, ein dem Tode verfallener Mann, dem alle Kunst der Aerzte keine Hilfe zu bringen vermochte. Er fühlte keinen Schmerz, er konnte seit einiger Zeit wieder klar denken, aber sein Zustand war um so schrecklicher. Un fähig zu jeder Bewegung, hatte ihn eine tödtliche Lähmung ersaßt, und er wußte, daß er verloren war, daß der Tod, den er stets so gefürchtet hatte, ihn in seinen Armen hielt, daß sein Körper Zoll für Zoll von dem schrecklichen Feinde erobert wurde. Als man ihn bewußtlos vom Boden aufhob und auf LaS Schloß brachte, war äußerlich kaum eine nenncnswcrlhe Verletzungwahrzunehmen, aber dieAerzte, welche der Freiherr berbeirufen ließ, waren keinen Augenblick im Zweifel; der Bruch des Rückgrats mußte den Tod herbeiführn, und sie gaben ibm kaum noch einige Tage. Es unterblieb nickrs, WaS für den Verunglückten geschehen konnte. Auf den Wunsch des Sckloßberrn nahm einer der Aerzte ständigen Aufenthalt auf Wildburg, und die Baronin selbst wich nicht von der Seite des Kranken und widmete sich völlig seiner Pflege. Schmerzen hatte er nicht, aber diese dumpfe Gefüblslosigkeit, welche alle seine Glieder gefangen hielt, war quälender als jede andere Pein, und in seinem Gebirn jagte ein Gedanke den andern. Zorn, Haß, leiden schaftliches Verlangen zu leben, Angst vor dem herannabencen Ende kämpften um die Oberhand, und das dumpfe Stöhnen, das sich seinen Lippen entrang, zeugte davon, wie sehr er litt. Die ernsten, mitleidsvollen Mienen der Aerzte bestätigten die Befürchtungen, die der Kranke selbst hegte; sie sprachen tröstend und voll Theilnahme zu ihm, aber er vermißte jede Hoffnung in ihren Worten. Und dock konnte und wollte er daS Entsetzliche nicht glauben; eS mußte eine Genesung für ihn geben, er klammerte sich an das enteilende Leben fest, er wollte um jede Minute kämpfen, er wollte leiden, schwer leiden, wenn eS nicht anders sein konnte, nur nicht sterben, nur nicht in daS Grab, vor dem ihm so graute. Endlich wagte er die Frage. „Ich bin schwer verletzt, aber ich werde eS überstehen?" stammelte er mit bleichen Lippen. Die Aerzte schwiegen; endlich sagte der eine: „Wenn Sie etwa- zu ordnen haben, so thun Sie e»; Ihr Fall ist sehr ernst." „Aber nicht tödtlich?" flehte er angstvoll. „Gebe« Sie mir Hoffnung; kann cS wieder besser werden?" „DaS Rückgrat ist schwer, unheilbar verletzt", lautete di« Antwort. „Und wenn ich al» Krüppel lebe, wenn ich «in elendes,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite