Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960905029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896090502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896090502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-05
- Monat1896-09
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
6.—. Dirrctr tägliche Kreuzbcuidsen i>« Ausland: monatlich 7.bO. Bezugs-Preis «lptegpe-itioa ich« dm da Stadt. > dm Vororte» errichteten Au«- abgeholt: vierteljährlich aliger täglich« Z»ft»1l«»a tu« Die Morgm-Av-gabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentag« nm ü Uhr. Ne-artim und Erpe-Mo«: Johannedgafse 8. Di» Expedition ist Wochentag« ununterbrochen ge^Snet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: DU« Rkemm's Lortim. (Alfred Hahn). UoiversitätSstraße 3 (Paulinnm), Laut» Lösche, lkcitbannenstr. 14. pari, und Königsplad 7. Abend-Ausgabe. UchMr Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes un- Polizei-Amtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamrn unter dem RedartionSstrich (4ge spalten) 50^, vor den Familirnnachrichteo (bgejpalten) 40/^. Größere Schristrn laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsa, nach höherem Tarif. kxtra-Beilagen (gesalzt), i,ur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mrt Posrbesörderuug 70.—. cs»»»-. Ännahmeschluß fir Jinzeizen: Abrnd»Ausgabr: Bormittag« 10 UhL Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Lei den Filiale» und Annahmestelle» je »la« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« a» di« Srpedtttin zu richte». Druck nnd Bering von Bolz i« Leipzig ^ 453. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. September. Unter der Neberschrift „Da« Zentrum und die Regie rung" veröffentlichen die dem Fürsten Bismarck nahe stehenden „Hamb. Nachr." einen längeren Artikel, der sich zunächst mit der diesjährigen „Generalversammlung der Katholiken Deutschland«" und ihren Beschlüssen beschäftigt, dann darauf hinweist, daß der Verlauf der Versammlung die hier und da gehegte Hoffnung auf einen Zerfall der CentrumSpartei al« trügerisch erscheinen läßt, und endlich die Frage aufwirft, wie lange das Centrum in seiner gegen wärtigen parlamentarischen Position sich zu behaupten im Stande sein wird. Diese Frage beantwortet der Ver fasser folgendermaßen: „Der Verlauf der Dortmunder Versammlung läßt keinen Zweifel darüber, daß das Centrum die Taktik der letzten Session fortzusetzen entschlösse» ist. In der Presse der radikalen Linken macht sich beißender Hohn und bitterer Tadel bemerkbar über Las reichliche Maß der Regierungssreundlichkeit, über die „Verbeugungen nach Potsdam", darin sich die Dortmunder Redner erschöpft hätten. Diese naiven Seelen sind wohl der Meinung, das Centrum habe früher mit ihnen zusammen in der Opposition gestanden um der Opposition bezw. um der einzelnen Sache willen, unter deren Namen die Opposition gemacht wurde! Nachgerade könnte doch jedes Kind wissen, daß für das Verhalten des Centrums diese oder jene Sache als Aushängeschild und maßgebend in letzter Instanz, direct oder indirect, lediglich das Herischastsinteresse der Kirche ist. Das Centrum hat Opposition gemacht, so lange dies Interesse das zu erfordern schien; jetzt glaubt cS Lurch eine freundlichere Haltung gegen die Regierung der Kirche besser dienen zu können. Die Hoffnung der Demokraten, Laß die auf diesem Wege nothwendigen Opfer die ultramontanen Wähler rebellisch machen würden, beruht wieder auf einer voll ständigen Verkennung der Macht der kirchlichen Idee und der hinter derselben stehenden radikalen Hilfsinittel. Nun, die Wähler werden der Regierungssreundlichkeit des Ccntrums kein Hinderniß in den Weg legen. Sie verstehen durchaus den Plan, von der Regierung als Erwiderung für werthvolle Dienste allmäh lich in kleinen Dosen, dafür aber um so sicherer zu erlangen, was man in der Opposition auf absehbare Zeit niemals erlangen würde. Man wird sich also nicht wundern, wenn das Centrum sich dem nächst noch regierungsfreundlicher zeigt, als in der letzten Session. In einer überaus fatalen Lage befindet sich dem gegen über die Regierung. Sie muß sich die Freundlichkeit des Centrums gefallen lassen, weil sie anders mit dem Reichstage der malen nicht auskommen kann, und andererseits muß sie das Centrum mit seinen Hoffnungen Hinhalten, ohne in ihm Las Gefühl des Dupirtseins aufkommen zu lassen. Auf die Tauer wird eine solche Situation unhaltbar. Es bleiben dann nur zwei Wege: entweder die Regierung begiebt sich wirklich auf die schiefe Ebene der Zugeständnisse, oder sie sucht sich eine andere Majorität, welche die Mitwirkung des Centruins unnöthig macht. Der erstere Weg ist, wenn man das auch in Dortmund wieder in dankenswerther Vollständigkeit und Ungemrtheit ausgestellte Register der ullramontanen Forderungen überblickt, sür die Re- gicrung des deutschen Reichs unseres Erachtens nicht gangbar. So wird also Alles darauf ankommen, die Zauberformel sür die Schaffung einer neuen Majorität zu finden. Hier aber am allermeisten könnte man vom Centrum lernen. Was diese mächtige Partei zujammenhält, alle Gegensätze in ihr zum Schweigen bringt, ist, wie es ein Dortmunder Redner bezeichnete, das „katholische Ideal". Eine feste, allezeit zuverlässige parlamentarische Stütze der Rcichspolitik wird erst gewonnen werde», wenn die nichtultramon- tanen Elemente in genügender Anzahl wieder verstehen werden, die sie trennenden Gegensätze auch einem allbeherrjchenden Gedanken unterzuordnen: dem nationalen Ideal". Wir fürchten, der Herr Verfasser täusche sich über das, WaS die Regierung des deutschen Reiches sür „gangbar" hält. Wir hatten unlängst Gelegenheit, die Ansicht einer mit den Sonnabend den in den maßgebenden Kreisen herrschenden Anschauungen ver trauten Persönlichkeit kennen zu lernen, und diese Ansicht ging dahin, man glaube in jenen Kreisen keine andere Zauber formel für die Schaffung einer neuen Majorität zu haben, als die Formel weitgehender Zugeständnisse an das Centrum. Nicht eher würden die nichtultramontanen Elemente, besonders die katholischen, es wieder verstehen lernen, die sie trennenden Gegensätze dem nationalen Ideal unter zuordnen, als bis sie den Druck ultramontaner Tyrannei gründlich verspürt hätten. Man könnte sich wahrhaftig nickt wundern, wenn die Männer, die jetzt die Geschicke des Reiches und seiner Glieder lenken, an der Fähigkeit der Gegner einer solchen Tyrannei, zur Abwehr derselben sich ohne Zwang zu vereinigen, verzweifelten und sich entschlossen hätten, das letzte Mittel zu versuchen, das beim deutschen Michel nöthig zu sein scheint, um ihn zum Bewußtsein seiner Kraft und zum Handeln zu zwingen. Die soeialdemokratischen Bäckergesellen von Berlin haben am Mittwoch Abend Gelegenheit genommen, die Reichstagsverhandlung vom 28. Januar und 22. und 23. April über die Verhältnisse in Ve» Bäckereien bezw. über die Bäckereiverordnung vom 4. Marz weiterzuspinnen. Die äußer? Veranlassung dazu wurde durch die Bäcker-Innung „Germania" gegeben, welche die Versammlung einberufen hatte. Doch verlor der Einberufer und Leiter der Versamm lung, Obermeister Bernard, vollkommen das Heft aus den Händen. Die Begehrlichkeit der Gesellen, die das Wort allein führten und auch allein Recht haben wollten, machte sich in stürmischer Unruhe oder auch in nn- geberdiger Heiterkeit geltend. Die Meister hätten vorbringen mögen, was sie wollten, — bei dieser Art von Bekennern der Freiheit und Gleichheit wäre doch jedes vom Slandpunct deS Meisters aus gesprochene Wort umsonst gewesen. Doch dies nur nebenbei. Gelegentlich muß neben ans solche Vor fälle wieder einmal hingewiesen werden, damit nicht aufs Neue die gute Meinung aufkommt, als lohne es sich, mit den Socialdemokraten zu discutiren. Was besondere Aufmerksamkeit verdient, ist die Art und Weise, wie die „Genossen" mit der Rede Bebels vom 28. Januar sich abfanden, soweit sie die ReinlichkeitS - Verhältnisse im Bäckereiberriebc betraf. Wieweit Bebel danials über trieben hat, bleibe dahingestellt. Jedenfalls erhoben nach ihm andere Redner, so namentlich der Abg. Siegle (nat.-lib.) am 22. April ebenfalls die Forderung, daß hier vom Stand- punct der Nahrungsmittel-Hygieine aus durchgreifend bessere Aufsicht geführt werde. Man müsse die Kranken- cassen-Aerzle ermächtigen, jeden Arbeiter auszuschließeu, der mit ansteckender Krankheit (Hautkrankheit u. s. w.) solcher maßen behaftet sei, daß durch daS Hanliren mit der Back- waare der Ansteckungsstoff übertragen werden könnte. Die Statistik der Krankencassen, auf welche damals bei den Reichö- tagöverhandlungeu mehrfach Bezug genommen wurde, gewährt einen nichts weniger als erbaulichen Einblick in diese Ver hältnisse nnd rechtfertigt durchaus, daß hier Abhilfe verlangt wurde. Wen da die Schuld zumeist trifft, hat weder Bebel noch sonst ein Redner im Reichstag untersuchen wollen. Es genügte ihnen allen, das Bedürniß des Einschreitens der Gesundbeitspolizei erwiesen zu haben. Auch die Berliner Bäcker-Innung verfuhr dann folgerichtig. Zwar bestritt sie die Richtigkeit der Bebel'schen Behaup tungen in dem Umfang, in dem sie aufgestellt worben waren, und beanstandete auch die Genauigkeit der Statistik der Krankencassen. Aber das Bedürfniß einer besseren Rück sicht auf die hygieinischen Anforderungen wurde an und für 5. September 1896. sich anerkannt. Tie Innung beantragte deshalb bei der Polizei, daß diese vom I. October ab eine regelmäßige gesundheits behördliche Untersuchung der in die Arbeit gebenden Gesellen einrichten möchte. Das brachte denn die Gesellen aus dem HäuSckeu. Als „eine Schmach für die Gesellen" zollte es „entschieden" zurückgewiesen werden, daß man sie ver pflichten wollte, sich einer ärztlichen Controle zu unterwerfen. Wenn der Gewerbe- und Fabrikbetrieb aller nur irgend erdenklichen Aussicht durch Staatsbeamte unterworfen wird, damit die Vorschriften zum Schutz der Gesundheit und des Lebens der „Genoßen" selbst aufs Strengste innegehalten werden, u la dondeur! Aber den „Ge nossen" eine ärztliche Aufsicht von Staats wegen zu- muthen, daß auch das Publicum seinen gesundheitlichen Schutz nickt entbehre, — ja Bauer, das ist ganz etwas Anderes! Hier hört das StaatsaufsicktSreckt auf und fängt für den unentwegten Verfechter von Freiheit und Gleich heit die „Schmach" an — wenn nicht im praktischen England, wo solche Sckmack seit dem Mai 1895» gesetzlich eingeführt ist, ohne daß der englische Geselle darüber murrte, so doch im idealen Deutschland. Und nun mit einem Male entdeckten die „Genossen" auch, daß in den Darlegungen Bebel's zwischen den Zeilen so mancher bittere Vorwurf zu finden sei, der sich gegen die werthen „Genossen" selbst, nicht nur gegen die Meister richtete. Das mußte denn vertuscht werden. Wie kann einen „Genossen" überhaupt ein Vorwurf treffen, selbst wenn er nicht gerade ein Muster von Reinlich keit ist! Auf jeden Fall hat dann doch der Meister die Sckuld zu tragen — und richtig brachten es die Ge nossen in der Versammlung am Mittwoch Abend zu Wege, sür Alles, waS Bebel vorgebracht, einzig und allein die Meister verantwortlich zu machen. Der eine Redner wußte zu er zählen, baß zu wenig Waschwasser und Waschgcfäße bereit gehalten würden; der andere klagte über den Mangel an reinen trockenen Handtüchern, der dritte über den Mangel an reiner, frischer Bettwäsche — kurzum, die Meister trifft die Sckuld, und der Gedanke, daß ein Geselle mit ansteckendem Krankheitöstoff die Arbeitsstelle betritt, ist ein unerhörter, gegen den gar nicht entrüstet genug protestirt werden kann. So wird denn einstimmig beschlossen, daß mit der ärztlichen Controle „die von Bebel gerügten Mißstände in keiner Weise abzeslellt werden, sondern nur daö Publicum über die wahren Thatsacheu hinweggetäuscht werden soll". Dann kann man mit dreimaligem Hoch auf die Socialdemokratie nach Hause gehen. In der That, dieses Gebühren ist beachtenSwertb, und wir zweifeln keinen Augenblick, daß Bebel dazu still hält, weil er den Genossen nicht sagen — darf, wie er sie im ZukunstSstaat einer dreimal schärferen gesundheits ärztlichen Controle unterwerfen würde. „Denn wüßten sie's, was würde draus entstehn!" In welcher Weise die Tschechen zu tschechisiren wissen, welche großen Mittel sie zum Angriffe verwenden, das geht aus dem Bericht des tschechischen Schulvereins in Wien hervor, eines Vereins, der dem deutschen Schulverein uackgebildet ist, der aber nicht zur Vertheidigung der Sprache und Sitte, wie der deutsche, gegründet wurde, sondern der, in jeder Beziehung aggressiv, dem Tsckechenthum weitere Gegenden erwerben soll. Die Resultate sind denn leider auch recht ansehnliche. Der tschechische Schul verein, der sich in etwa 200 Ortsgruppen gliedert, bat bis jetzt im Ganzen 2 Obergymnasien, 00 Volksschulen, 49 Kleinkinderbcwahranstalten und Kindergärten, zusammen also 111 Anstalten in 73 tbeils rein deutschen, theils über wiegend deutschen Orten Böhmens, Mährens und Schlesiens 9Ü. Jahrgang. errichtet. Von den beiden Gymnasien wurde eins in die staatliche Verwaltung übernommen, von den 60 Volksschulen wurden 16 — Dank dem Entgegenkommen der Regierung — den deutschen Gemeinden aufzehalst und 2 ausgelassen, da sic nur ganz wenige Schüler zählten. Von den 49 Kinder gärten gingen 7 in die Verwaltung anderer Vereine über, 1 ging wegen zu schwachen Besuchs ein. Im 16. Jahre seiner Wirksamkeit hatte der tschechische Schulverein demnach 1 Obergymnasium, 42 Volksschulen mit 109 Classcn und 41 Kindergärten mit 54 Abtbeilungen zu unterhalten. Dieses Resultat wärenicht möglich gewesen,wenn nicht verreiche böhmische Adel mit den kerndeutschen Namen, die tschechische Geistlichkeit und die tschechischen Geldinstitute den Verein alljährlich mit bedeutenden Summen unterstützt hätten. Während der deutsche Schulverein ein Schutzverein ist, der daS zu erhalten trachtet, was seit alter Zeit deutsch ist, geht der tschechische Schulverein auf Eroberungen im deutschen Sprachgebiet aus und suckl sprachlich gemischte Orte an der Sprachgrenze und in Len Sprachinseln rein tschechisch zu machen, rein deutsche Orte aber mit tschechischen Elementen zu durchsetzen. Unter stützt wird der Verein durch die tschechische Geistlichkeit, die jetzt schon mehr als die Hälfte aller deutschen Pfarreien in Böhmen, Mähren und Schlesien in ihre Gewalt bekommen bat. Es ist wabrlick mehr nöthiger denn je, daß sich die Deutschen eng zusammenschließen und dem tschechischen An sturm wehren. Die seit dem Thronbesteigungsfeste herrschende Ruhe in Konstantinopel bat einen unheimlichen Charakter. Neben den Versicherungen der türkischen Regierung, daß die Ordnung wieder hergestellt sei, sind auch die Ankündigungen des arme nischen NevolulionS-ComitsS bekannt geworden, worin erklärt wird, daß die Armenier nicht eher ruhen, als bis die ver beißenen Reformen ins Werk gesetzt werden. Daß diese Drohungen ernst zu nehmen sind, beweist die Meldung, daß in Galata abermals von Armeniern Bomben ans die türkischen Truppen geworfen worden. Unter viesen Um ständen wird die Frage mit jeder Stunde dringender, welche Schritte von den Großmächten in Aussicht ge nommen sind, um eine Katastrophe zu verhüten. Einig sind die Mächte augenscheinlich darüber, daß zunächst die Entsendung der zweiten Sta tions schiffe nach Kon stantinopel nöthig sei. Hierfür wird, wie wir sckon gestern erwähnten, von den einzelnen Mächten die Zustimmung des Sultans, die eingeholt werden muß, nachgesucht werden, und man darf annehmen, daß, wenn sämmtlicke Mächte dieses Ansuchen stellen, der Sultan demselben auch Folge geben werde; denn eine Ablehnung würde die Ausführung dieser Absicht umsoweniger aufhallen, als ja nicht daran zu denken ist,daßvonti'irklschcrSeite zu einem tbatsächlichcnAushaltenihres Einlaufens geschritten werden könnte, und zwar um so weniger, als, wie berichtet wird, auch Rußland das zweite Stationsschiff nach Konstantinopel zu entsenden beabsichtigt, worin sich die Verschiedenheit der gegen wärtigen Haltung Rußlands von der, die cs im vorigen Jabre beobachtet batte, ausdrückt. Daß die Pforte in ihrer Antwort auf die Collectivnote der Botschafter es mit einer Beschönigung und Rechtfertigung des Vorgehens der türkischen Organe versuchte, verräth wohl die Absicht, die Lage so dar zustellen, als wäre kein Grund für die Entsendung der zweiten Stationsschiffe vorhanden. Das sofortige Hervor treten der Botschafter in ihrer Rückantwort mit den Belegen für die Berechtigung der gegen die türkischen Organe erhobenen Anschuldigungen wird indeß die Pforte wohl darüber belehrt haben, daß die Botschafter über den FenNleton Ziihne. 21s Roman von E. Halden. Nachdruck verboten. Die Verhältnisse Stadler's hatten sich so zerrüttet er wiesen, daß Hohenwalde verkauft werden sollte, um die An sprüche der Gläubiger zu decken, nnd der Freiherr dachte nun daran, das schöne Gut, von dem er sich so schwer getrennt batte, von Neuem zu erwerben. Seine Finanzen hatten durch die maßlosen Anforderungen, welche der Verstorbene an ihn gestellt batte, sehr gelitten, aber nun würden sie sich unter geordneter und sparsamer Verwaltung wieder erholen, und sein Credit war ungeschmälert und ermöglichte ihm Das, wo zu seine Mittel zur Zeit nicht ausreichten. In verwickelte Berechnungen vertieft, saß er vor seinem Schreibtisch; vielerlei Pläne gingen durch seinen Kopf. Die Zukunft gehörte ihm nun wieder, und er wollte sie nutzen, er wollte wirken und schaffen unermüdlich und klug, nicht für sich selbst, sondern für seine Mitmenschen. Ihnen sollte sein ganzes Leben ge widmet sein, als ihr Verwalter wollte er über seine reichen Mittel verfügen, und was ein Mann thun konnte, um durch tausend gute Thaten die eine Frevelthat, die er in schlimmer Stunde begangen hatte, abzubüßen, das sollte von ihm ge schehen. Mit einem tiefen, erleichternden Athemzuge stand er von seinem Sitz auf, richtete sich hoch auf unv blickte sich in dem alterthümlicken Gemache um. Jetzt war es wieder sein eigen, er war der Herr des Schlosses, der Erbe deS Namens, er brauchte sein Äuge nicht niederzuscklaaen, weil es dem zu begegnen fürchten mußte, der ihm die Maske ab reißen und ihm in jeder Minute Alles rauben konnte, WaS er so schwer errungen batte. Ja, er wollte sich seines Be sitzes würdig machen, Keiner sollte eS edler verwenden, nnd seinem Sohn wollte er dereinst das reiche Erbe hinterlassen, geseit und entsühnt durch die Segnungen von Tausenden. Wie liebte, wie verehrte er Melanie, deren ganze Seelengröße sich ibm im tiefsten Unglück enthüllt! Gott fei Dank, er hatte ihre Liebe nickt verloren, aber sie sollte auch wieder mit Stolz auf ihn blicken können, in dem Wohlthäter der Menschheit sollte sie das Verbrechen an dem Einen vergessen lernen! Dann würde sie das gestörte Gleichgewicht ihrer Seele wieder erlangen, sie würde genesen an Leid und Seele, und in neuer Schönheit und Holdseligkeit würde sein Weib neben ihm stehen, die Gefährtin seines Strebens, die Spenderin alle« Gnten, das sie vollbringen wollten. Aber um das Ziel zu erreichen, bedurfte es der Arbeit; Tag und Nacht mußte er thätig sein, und so kehrte er an seinen Schreibtisck zurück und begann seine Berechnungen und Ueberlegungen aufs Neue. Nur wenn er selbst auf festem Boden stand, in klarer Erkenntniß seines Könnens, vermochte er daS Große zu wirken, das er sich vorgesetzt hatte, und so rechnete er seine Einnahmen zusammen, über schlug die Ausgaben und dachte über die Kosten nach, welche die geplanten großartigen Unternehmungen erfordern würden. Mitternacht war längst vorbei, und noch immer öffnete er die Actenbündel, welche er den Schubfächern seines Arbeits tisches entnahm und studirte eifrig darin. Da fiel ihm ein Bündel Papiere in die Hände, das ganz unten in dem Fache lag, in welchem er seine wichtigsten Familiendocumente be wahrte. DaS Wappen der Wildburgs leuchtete ihm auS den großen rolhcn Siegeln, die noch unberührt waren, entgegen, die Aufschrift des Packeis war von der Hand seines Vaters, an ihn gerichtet und trug den Vermerk: „Erst nach meinem Tode zu eröffnen." Plötzlich tauchte lange Vergessenes in seiner Erinnerung auf, wie eS ihm der Vater vor Jahren übergeben hatte, damals, ehe — er mochte nicht weiter denken. Damals war der Geist des Kranken sckon oft so getrübt gewesen, daß er, der Sohn, in diesen Aufzeichnungen kaum etwas Anderes zu finden erwartete, als die Ausgeburten einer gestörten Ein bildungskraft; er hatte ihnen wenig Werth beigelegt, sie über den dann eintretenden erschütternden Ereignissen völlig ver gessen und sein Auge war nie wieder auf sie gefallen. Nun drängten sich diese Papiere plötzlich in sein Leben, ein selt samer Schrecken ergriff ihn, und er brach mit vor Erregung bebender Hand die Siegel, welche den Inhalt bisher ver schlossen batten. Einige Blätter, welche die Handschrift seines VaterS zeigten, flatterten ihm entgegen, dann folgten zusammen gefaltete große Bogen von starkem Papier, mit Unterschriften und Stempeln versehene Dokumente. Er schlug sie aus einander, sein Blick überflog sie in zitternder, gieriger Hast — kein Zweifel, eS waren die Zeugnisse, welche sich aus die Trauung des MajoratSerben Karl von Wildburg mit Annunziata Ferrari bezogen! Nicht« fehlte, die Ehe war in gütigster Form nack allen Vorschriften de« Gesetzes geschloffen worden. Nach vermochte der Freiherr nicht alle Consequenzen seines Fundes zu erwägen, er griff hastig nach den Auf zeichnungen seines Vaters und versenkte sich in die Bekennt nisse, die sie enthielten. Der kalte Schweiß trat ihm auf die Stirn, es flimmerte ihm vor den Augen und die Buchstaben tanzten wie rachgierige Kobolde vor ihm auf und ab, ihm balv furchtbare Wahrheit enthüllend, bald wieder in un löslicher Verwirrung ihre Geheimnisse verbergend. Das war also der Schlüssel zu dem Leben seines Vaters! Auch ihn hatte die Schuld niedergedrückt! Auch er hatte durch eine Frevelthat das Erbe erringen wollen, auch er hatte nur den Fluch der Sünde geerntet! Aber er war noch nicht zu Ende; er hatte erst die Unterschlagung der Dokumente gelesen, vie Niederschrift ging noch weiter, und sich gewaltsam ermannend, zwang sich der Freiherr zur Fortsetzung seiner Lectüre. Ein Sohn war aus zener Ehe geboren, der wahre Erbe von Wildburg; aus einer kleinen schlesischen Stadt erließen die Behörden einen Aufruf, der die Auffindung des ver schwundenen Vaters bezweckte; ein Zweifel, daß es sich um daS Kind Karls von Wildburg handelte, konnte nickt entstehen. Es gab also einen rechtmäßigen Erben, und er, der jetzige Inhaber deS Majorats, er war ein Betrüger! Das, was er durch Mord gewonnen hatte, behauptete er durch Betrug! WaS kam es in Betracht, daß sein Vater nichts Weiteres von diesem Kinde wußte, daß dessen Schicksal ihm verborgen geblieben! Er las diese Bekenntnisse wieder und wieder, die von Reue und Gewissensvorwürfen sprachen und dann wieder von Bitterkeit und Haß Überflossen. Umsonst hatte der Hauptmann dem Tobten sein Wort gebrochen, umsonst hatte er ein hilfloses Kind, das ihm ein sterbender Vater ans Herz gelegt, seiner Erbschaft und Rechte beraubt, ein un geahntes Geschick hatte ihm den Preis seines Frevels ent rissen, und da hatte er diese Documente seinem Sohne hinter lassen, vielleicht in der Hoffnung, durch ibn der Wahrbeit zum Siege verhelfen zu seben, wohl nock mehr in der Ab sicht, ihn» eine furchtbare Waffe gegen Erwin in die Hand zu geben, der damals als der Erbe von Wildburg den Sohn seines älteren Bruders, wenn auch unwissentlich, aus seinen Rechten verdrängte. Lange saß der Freiherr und sann über die unselige Ver kettung der Verhältnisse nach. Dann stieg die Frage in ihm auf, wo und wie dieser Erbe zu finden sein möchte, und auf einmal stand eS in flammender Klarheit vor seiner Seele, daß er den wahren Erben kannte, daß e« kein anderer sein konnte, als jener Doctor Blanden, dessen Ansprüche er so verächtlich zurückgewiesen hatte! Was blieb ihm nun zu thun? Sollte er ihm die Docu mente ausliesern und damit auf Alles verzichten, was durch so schwere Verbrechen errungen war? Sollte er herab steigen von der Höhe, für die er geboren, sollte er arm und schmachbedeckt von eigener und ererbter Schuld zu Boden geschmettert, ein gebrochenes, elendes Dasein hiuschleppen, auS dem es nur eine Erlösung durch den Tod gab? Wo blieben dann alle seine großen Pläne? Wie konnte er dann all die edlen und großen Ideen ausfübreu, die den unrecht mäßigen Besitz entsühnen sollten? Und würde er allein büßen? Würden nickt die ihm theuersten Wesen unrettbar in den Strudel hineingezogen, der ihn verderbenbringend verschlang? Was hatte Melanie gelitten, wie lag sie nock darnieder an Körper und Geist, wie war erst jetzt ein Hauck von Rnhe und Frieden in ihr erschüttertes Gemüth zurück gekehrt, und er sollte sie neuen Kämpfen aussetzen? Sie, die zarte, verwöhnte, von Luxus und Reichthum umgebene Frau, sollte er Armuth und Entbehrungen, Schmach unv Temüthizungen aussetzen, die sie, so heldenhaft sie auch war, nicht zu ertragen vermochte? Und seine Kinder, seinen Sohn, den er so zärtlich liebte, auf den er so stolze Hoffnungen setzte, sie sollten nur die Erben seiner Schande werden, sie sollten erröthend den Namen ihre« Vaters als ein Brandmal tragen? Woran waren denn sie Beide, sein Vater und er, gesckeilert? An ihrer Armuth und Niedrig keit, die die Versuchungen, denen sie erlagen, in sich trugen. War es da nicht seine Pflicht, seinen Sohn vor gleichem Loose zu bewahren, selbst wenn er neue Schuld auf sich laden, oder vielmehr eine alte nicht tilgen sollte? Nein, er lag fest in den Banden des Verhängnisses, er mußte weiter, für ibn gab eS kein Zurück, nur ein Vorwärts, und mit starkem Mannesmuth mußte er die neue Bürde auf sich nehmen, die sein Gewissen belasten würde. Aber was er thun konnte, um das große Unrecht zu mildern, das sollt geschehen! Zeigte ihm ein günstiges Geschick nicht selbst den Weg und gab es ihm nicht dadurch den Fingerzeig, daß der Frevel zu sühnen, der Fluch der Sünde, den er so oft schaudernd gefürchtet hatte, abzuwenden war? Erna liebte diesen Blanden; er wollte die Schwester zu gleicher Zeit glücklick macken, wie er ihn zu seinem Bruder, zum Gliede seiner Familie erbob. Den Namen, der ihm zukam, konnte er ibm nicht zugesteben, aber nichtsdestoweniger würde er zur Familie der Wilvburg « g«hör«n, und seine «blichen An-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite