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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.09.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960909010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896090901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896090901
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- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
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Reklamen unter dem ReÜactionSstrich (4ge- spalten) 5v^z, vor den Familiennachrichteo (8 gespalten) 40/>jj. Vrogere Schriften laut unserem Prris- verzeichniß. Tabellarischer und Zifserniah nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur Mtt der Morgen. Ausgabe, ohne Postbrförderung Ä).—, mit Postbeförderung 70.--. Annahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Ubr. Margen-Au-gabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund» früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von T. Pol» la Leipzig SO. Jahrgang. Ein Vorbild deutscher Treue. „Stoßt an, ein Hoch dem deutschen Reich", so beginnt ein kräftiger VcrS Victor s von Scheffel, des badischen Landes kindes. Seinem LandeSberrn, dem Großherzog Friedrich von Baden, war es vergönnt, das erste Hoch auf dieses neue deutsche Reich an jenem denkwürdigen 18. Januar 1871 im Spiegelsaale des Schlosses zu Versailles auszubringen. In jener Minute erfüllte sich diesem Manne, was die Sehn such seines LebenS gebildet batte. In weiten Kreisen des Volkes herrscht noch immer jene kind liche Vorstellung, daß ein Fürst, weil er von Glanz und Reich- tbum umgeben ist, glücklich sein müsse. Nicht vielen Menschen ist das Loos beschieden, so qualvolle Jabre verleben zu müssen, wie sie der Prinz, spätere Regent und dann Groß herzog von Baden in den zweiundzwanzig langen Jahren von 1848 bis 1870 durchlebt bat. Der Hoffnung auf die baldige Erreichung der deutschen Einigung voll, zog der junge Prinz im Jahre 1848 mit den badischen Truppen nord wärts, um mit den preußischen Truppen vereint für ein wahrhaft deutsches Ziel, für die Befreiung Schleswig- Holsteins, zu kämpfen. Aber noch war er unterwegs, als er die Nachricht erhielt, daß der Kampf für die gute Sache durch einen kläglichen Waffenstillstand ein schmähliches Ende genommen habe. Das war der erste Schlag, der seine leidenschaftlichen Hoffnungen auf Deutschlands Einigung brach. Nun sollten sie rasch aufeinander folgen; es kam das Jahr 1849, in dem preußische Truppen nicht mit den badischen Truppen vereint für eine deutsche Sache kämpften, sondern gegen sie kämpfen mußten, weil sie die Fahne der Rebellion ergriffen batten. Es kam das Jabr 1850 und mit ihm die Demülhigung Preußens in Olmiitz. Es kamen die Jabre der Reaktion und die Jahre jenes unglücklichen Ver- fasfnngS-Eonflictes in Preußen, der dieses Land, auf das Großherzog Friedrich unwandelbar seine Hoffnung für Deutschlands Zukunft setzte, den deutschen Staaten ent fremdete. Es kam das Jabr 1863 mit der Frankfurter Fiirstenconfcrenz, die Großherzog Friedrich'S Pläne zu durch kreuzen drobte. Es kam der Bruderkrieg der deutschen Stämme im Jahre 1866, und es kam das Jabr 1867, in dem daS Gesuch Badens uni Aufnahme in den norddeutschen Bund abgelehnt wurde. Wer cs weiß, mit welch glühender Liebe der Großherzog an dem deutschen Vaterlande Hinz, der kann ermessen, wie diese traurigen Ereignisse sein Herz zerfleischten. Aber mit unwandelbarer deutscher Treue hielt er an seinen Hoffnungen fest und that Alles, was in seinen Kräften stand, um sie der Verwirklichung entgegenzusühren. Und mit deutscher Treue war er der Erste, der das Schwert zog, als cs galt, den Entscheidungskampf für die deutsche Einheit zu führen. Keinen Augenblick schwankte er, wiewohl fein Land der Rache des Feindes am meisten ausgesetzt war. Hat er mit deutscher Treue an der Begründung des Reiches mitgcwirkt, so hat er sich später auch dem Ausbau des Reiches gewidmet. Wann immer Schwierigkeiten für das Reich sich ergaben — wir erinnern nur an die Zeit der Regierung Kaiser Friedrich'S —, da war er bereit, zu ratken, zu helfen, zu versöhnen. Und ebenso wie Fürst Bismarck bei seinem 80. Geburtstage die studirende Jugend Deutschlands mahnend beschwor: „Halten Sie fest am Reiche", so läßt Großherzog Friedrich keine Gelegenheit vor übergehen, ohne mit beweglichen Worten zu mahnen, an dem geeinten Vaterlande fest zu halten. Der große Mann im Sachsenwalde und der weise und gütige Fürst des Schwarzwaldlandes, sie haben ja Beide gleichermaßen unter dem Jammer der früheren Verhältnisse gelitten, sie haben ja Beide in gleicher Weise und in gemeinsamer Arbeit erfahren, welche Mühe es gekostet hat, das deutsche Reich wieder herzustellen. Und darum sind auch sie dazu berufen, getreue Eckarte des deutschen Volkes zu sein. Und sie sind es Beide. Wie dem großen deutschen Daterlande, so hat Großherzog Friedrich auch seinem engeren badischen Vater lande die Treue gewahrt. „Ich wüßte nicht, daß ein feindlicher Gegensatz vorhanden wäre zwischen den Rechten des Fürsten und den Rechten des Volkes", so äußerte er sich kurz nach seinem Regierungsantritte dem badischen Landtage gegen über. Dieser Auffassung gemäß ist er stets verfahren. Er hielt streng an seinen verfassungsmäßigen Pflichten fest und war stets bemüht, nicht nur zwischen sich und seinem Volke keinen Gegensatz auskommen zu lassen, sondern auch die Gegensätze, die zwischen den Parteien und Confessionen des Landes bestanden, auszugleichen oder wenig stens zu mildern. Er selbst verstand und versteht es, sich über den Parteien zu halten, und er hat ebenso Männern von konservativen Auffassungen sein Vertrauen geschenkt, wie dem politischen Flüchtling und früheren Radikalen Karl Matbh. Und an den Männern, denen er sein Vertrauen gegeben hatte und die er dieses Vertrauens für würdig erprobt batte, hielt er mit derselben deutschen Treue fest, wie einst Kaiser Wilhelm I. So ist er in jedem Zuge ein mustergiltiges Vorbild deutscher Treue und darum ist er schon durch seine Persönlichkeit geeignet, erzieherisch ans das deutsche Volk und auf die deutsche Jugend zu wirken. Deshalb ist es nicht nur eine Pflicht der Dankbarkeit gegen den Mann, der für Deutschlands Einheit gelitten und gekämpft hat wie wenige Andere, sondern es ist auch eine Pflicht gegen daS Reich, am heutigen Tage mahnend aus das leuchtende Beispiel hinzuweisen, das Großherzog Friedrich von Baden von jeher allen Deutschen gegeben hat und hoffentlich noch lange giebt Deutsches Reich. * Leipzig, 8. September. Aus Plauen wird unS von geschätzter Seile geschrieben: „Unser Nationalsesttag, das Sedanfest, wird doch überall zur Pflege der Vaterlands liebe gefeiert. Was sagt man aber dazu, daß in einer hiesigen Privat-Töchterschule an diesem Tage ein fran zösisches Lustspiel in französischer Sprache zur Aufführung gelangte? Derartige Vorführungen sind am Sedantage sicherlich nicht am Platze. Allgemein gefreut hat nian sich über den königlichen Bezirksschulinspector, Herrn Schulrath Seltmann, der nach Einsicht in die Festordnung sofort den Saal verließ." U Berlin, 8. September. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen ist die Höhe der Entscbädigungsbe träge, welche voraussichtlich im BeharrungSstavium bei der Unfall versicherung zu zahlen sein werden, amtlich festgestcllt worden. Dabei hat sich ergeben, daß der Betrag des Jahres 1894 für die g cwerblichen Berussgenossenschaslen sich in diesem Stadium wahrscheinlich um 360 Proc. und der für die landwirth- schaftlichen sich um 500 Proc' gesteigert haben wird. Es ist danach mit einiger Sicherheit die voraussichtliche dauernde Belastung der Arbeitgeber aus der Unfallversicherung zu berechnen. Im Jahre 1894 zahlten die gewerblichen Be- rufsgenossenschasten an Entschädigungen 31,1 Millionen, die landwirthschaftlichen 8,6 Millionen. Anter Anwendung der obigen Procentzahlen würde man für das BeharrungSstavium zu Summen von rund 112 und rund 43 Millionen, zusammen 155 Millionen gelangen. Außer den Entschädigungsbeträgen Haden die Berufsgenossenschaften aber noch andere Kosten zu bestreiten, wenn auch unter diesen mit Ende 1896 die Beiträge zu den Reservefonds in Fortfall kommen. Diese sämmtlichen übrigen Ausgaben betrugen im Jahre 1894 bei den gewerblichen Bernfs- genossenschastcn 16,2, bei den landwirthschaftlichen 3,2 Mill. Nimmt man nun an, daß sich bis zum Beharrungsstadium die ersteren aus 20, die letzteren auf 5 Millionen erweitern werden, was gewiß nicht hoch gegriffen ist, so würden zu den obigen 155» Millionen noch 25 Millionen hinznkommen, oder im Beharrungsstadium würde sich die Last, welche den Arbeit gebern aus der Unfallversicherung erwachsen sein wird, auf nicht weniger als 180 Millionen Mark belaufen. Unter diese Zahl wird die Summe sicherlich nickt geben, eher könnte sie noch etwas höher werden. Nimmt man die Belastung der AussübrungSbehörden und der Versicherungsanstalten der Baugewerks-BerusSgenossenschasten hinzu, welche für 1894 sich auf zusammen rund 8 Millionen belief, und erwägt man, daß diese fick natürlich auch noch steigern wird, so wird man schließlich zu einer Belastungssumme von rund 200 Millionen im Beharrungsstadium gelangen. Im Jahre 1894 betrugen die für die staatliche Unfallversicherung geleisteten Gesammt- ausgaben rund 67 Millionen. Eine Steigerung um das Dreifache wäre demnach zu erwarten. * Berlin, 8. September. Der „Pester Lloyd" kann keine Gelegenheit vorübergehenlassen, ohne dem Fürsten Bis marck einige Unarten zu sagen. So schreibt er in einem Artikel über die Breslauer Monarckenbegegnung: „ . . . Bismarck hat vor drei Jahren, als er das bittere Gefühl seiner Demission noch nicht ruhig überwunden hatte, ostentativ sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß der „Draht zwischen Berlin und Petersburg zerrissen" sei. Wohl war der Drabt aus schlechtem Material und riß schon darum; und dieses Material wurde unter der Rcichskanzlerfchast Bismarck s beigestellt: jetzt ist die Leitung eine teste und vollkommene und wird schwerlich so leicht reißen. Denn Fürst Hohenlohe spielt nicht mit „zwei Eisen im Feuer", er sucht nicht Oesterreich-Ungarn und Rußland fortwährend auseinanderzuhalten und so gegen einander mißtrauisch zu machen, er jucht nicht Situationen für „ehrliche Maklerjchast", in denen das Geschäft in die Brüche geht und als einziger Profit die — Ver- stimmung bleibt...." Dir „Berl. Reuest. Nachr." entgegnen hierauf: „Wir wissen uns sebr wohl der Zetz.zu erinnern, als die Politiker, die im „Pester Lloyd" dc Wort führen, Gdtt dankten, daß Fürst Bismarck „Oesterreich und Rußland auseinander hielt", d. h. verhinderte, daß sie einander in die Haare geriethen, und der „ehrliche Makler" ist nicht nur zur Zeit des letzten türkischen Krieges, sondern auck recht oft nachher eine von Wien ans sehr gesuchte Persönlichkeit gewesen. Die Politiker des „Pester Lloyds" befinden sich mit ihrer Ansicht auch sehr im Gegensatz zu der des Kaisers Franz Josef, der dem Fürsten Bis marck für dessen ehrliche Maklerschaft bis auf diese Stunde eine ehrende und aufrichtige Dankbarkeit bewahrt hat. Fürst Bismarck bat nicht Oesterreich und Ruß land im Sinne des „Pester Lloyds" „auseinander gehalten", sondern im Gegentheil zusammengeführt, wann und so oft cs nur irgend anging. Der Beweis dafür ist die Drei-Kaiser-Begegnung zu Skiernewice von 1884, für welche dem Fürsten der warme und unumwundene Dank der drei betheiligten Monarchen zu Tbeil wurde. Kaiser Franz Josef und Kaiser Alexander III. sandten ihm ihre lebensgroßen Bildnisse, die sich jetzt in Schönbausen befinden. Die deutsche Politik stand zur Zeit des Fürsten Bismarck stets auf dem Standpunkt, Allem zuzustimmcn, worüber Rußland und Oesterreich-Ungarn sich verständigten, und kompetentere Kritiker al« die des „Pester Lloyd«" haben der Loyalität dieser deutschen Politik stets volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Eß war der Ausgangspunct des deutsch ¬ österreichischen Bündnisses, daß Rußland nach dem Congreß bei verschiedenen Anlässen verlangte, die deutschen diplomati scheu Vertreter im Orient sollten bei den in der Schwebe befindlichen Fragen sich der Haltung der russischen Vertreter, im Gegensatz zu den Wünschen Oesterreich-Ungarns, an schließen. Kaiser Alexander II. gab diesem Verlangen mir directcn Drohungen und mit Unterlassung seiner Reise nach Berlin zur goldenen Hochzeit Kaiser Wilhelms Ausdruck, obwohl für ihn und ein sehr zahlreiches Gefolge bereits in Berlin Quartier gemacht war und der Monarch damit auch ans die persönliche Betheiligung an einem militairischen Jubi läum verzichtete, das ihm sebr am Herzen lag. Deutschland war damals zum ersten Male gezwungen, zwischen seinen beiden Freunden zu optiren, und zwar geschah dies zu Gunsten O.esterreichs. Worüber beklagen sich also die ungariscken Politiker? Als Fürst Bismarck am 6. Februar 1888 seine große Rede im Reichstage gehalten batte, war der „Pester Lloyd" wesentlich anderer Ansicht als heule — damals freilich war Fürst Bismarck noch im Amt. Wenn nach den, März 1890 der Draht riß, so geschah cs, weil man ein schlechteres Material an die Stelle des vom Fürsten Bismarck benutzten setzte, worüber allerdings in der Wiener und Pester Presse eitel Freude war. Als Fürst Bismarck damals von seinem Posten schied, standen unsere Beziehungen zu Rußland unbeschadet des Bündnisses mit Oesterreich auf einem durchaus vertrauensvollen Fuße, und die staunende Mitwelt würde weder Kronstadt noch Toulon gesehen haben, wenn der Nachfolger des Fürsten Bismarck den alten Draht nicht durch einen polnischen ersetzt hätte. Daß Fürst Hohenlohe als erfahrener Staatsmann den Staatswagen auf diesem Holzwege nickt weiter gefahren bat, verdient volle Anerkennung; aber Fürst Hohenlohe wäre der Letzte, der diese Anerkennung aus Kosten des Fürsten Bismarck auS der Hand von Leuten cntgegenzunehmen wünscht, denen das Bündniß mit Deutschland — namentlich seit den Handels verträgen — Wohl als eine geschäftlich praktische Einrichtung erscheint, die aber mit allen ihren inneren Sympathien doch aus der französischen Seite stehen, und zwar trotz des Grafen Andrassy. Völkergeschicke sind wandelbar. Wir wollen dem „Pester Lloyd" wünschen, daß für Oesterreich-Ungarn niemals der Augenblick kommen möge, wo eS nach einem so ebr licken Makler, wie Fürst Bismarck cS war, vergeblich rufen wird. Die Begeiferung des Schöpfers dc§ deutsch-öster reichischen Bündnisses gerade im gegenwärtigen Augenblick lägt die Politiker, die im „Pester Lloyd" zu Worte kommen, in einem ungemein charakteristischen Lickte erscheinen." * Berlin, 8. September. Herr Liebknecht richtete au die „Sächsische Arbeiterzeitung" folgendes bemerkenSwertbe Schreiben: „Sie finden meine Erklärung „unklar", weil ich nicht das ab solute Recht der Majorität in der Redaction anerkenne. Ich dächte, die Sache sei sehr klar, und gerade das von der Redaclion gegen mich angeführte Beispiel spricht für mich. In cinsachcn rcdaciioneüen Fragen hat natürlich, falls Meinungsverschiedenheiten hervortreien, die Majorität zu entscheiden; in Fragen, worin die Partei gespalten ist, die also sür die Partei Streitfragen sind, hat aber die Redaction des Centralorgans als solche meiner Auf fassung nach nicht Partei zu ergreifen, wndern die Frage als offen zu behandeln und beide Seiten zum Wort kommen zu lassen. Ich zwinge in derartigen Fragen Keinem meine Meinung auf und lasse mir keine andere anszwingen. Das ist demokratisch und i „gleiches Recht für Alle". Las absolute Recht der Majorität i ist der größte Despotismus und zugleich die größte Ab surdität. Tie Richter Galilei's hatten cs auf ihrer Seite. Und hätte ich 1894 nach dem Frankfurter Parteitag die Agrarfrage nicht als offene Frage behandelt, so wäre die i Partei wahrscheinlich gesprengt worden. Und die Frage der Gewerkschaften ist für die Partei ebenso wohl eine ofsenc Großherzog Friedrich von Vaden. 1826. — 9. September. — 1896. Von Joses Ettlinger. Nachdruck verboten. Aus dem populären Gemälde Anton von Werner's, das den Act der Kaiserproclamation in Versailles im Bilde ver ewigt, steht im Vordergründe der Fürstenversammlung, dicht neben dem greisen Helden des Tages selbst, der Großherzog Friedrich von Baden: mit hoch erhobener Rechten, im Be griffe, das erste begeisterte Lebehoch auf den neugekürten deutschen Kaiser anszubringen. In dieser Handlung, dieser Stellung, dieser gemalten Urkunde eines welthistorischen Moments symbolisirt sich Alles, was Badens Fürst dem geeinten deutschen Volke zn bedeuten hat, drückt sich sinnfällig und klar der unvergängliche Antheil auS, der an der Wieder aufrichtung des Reiches ihm zugemessen werden muß. Wie viel zu gering dieser Antbeil neben dem Werke eines Bis marck, eines Moltke und Roon meist veranschlagt wird, weiß und gewahrt Jeder, der mit der deutschen Staatengeschichte aus den fünfziger und sechziger Jahren sich genauer vertraut mackt; wie hoch er aber in Wahrheit sich beläuft, da« kann füglich erst die Geschichtsforschung einer künftigen Epoche in vollem Umfang aufklären und abfchätzen, wenn Archive und Eorrespondenzen sich der Veröffentlichung erschließen, die jetzt noch unter Schloß und Siegel liegen. Sicherlich reicht allein schon DaS, was heute ein Rückblick aus die vierundvierzig Regierungsjahre des greisen Fürsten auch nur flüchtig zu seinem Ruhme sammeln kann, in Ueberfülle hin, seine sieb zigste Geburtstagsfeier weit über die gelbrothen Grenzpsäble hinaus zu einem festlichen Ereigniß für das ganze Deutsch land zu weihen, zu einem schlichten Feste ehrlichen DankeS und warmer, herzlicher Verehrung. * * * An einem Apriltage deS Jahres 1852 erlag der Groß herzog Leopold von Baden seinem schweren Leiden, das ihn schon Monate zuvor regierungsunfähig gemacht batte. Er war der älteste Sohn Karl Friedrich s aus dessen zweiter Ebe mit der ReichSgräsin von Höchberg gewesen, Karl Friedrich s, der daS Land weit über rin halbe- Jahrhundert klug und segens reich regiert und unter dem eS aus der kleinen Markgrafschaft seine Wandlung zu dem Großherzogthum des heutigen Um- fangS durchgemacht batte. Die schweren Stürme des Jahres 1848, die den Fürsten zur Flucht aus dem eigenen Lande und zum Herbeiruf preußischer Truppen zwangen, hatten die letzten Lebensjahre des Großherzogs Leopold tief beschattet. Dem Prinzen Friedrich aber, seinem zweiten Sohne, waren sie die herbe Schule geworden, in der seine Jugend früh zeitig politische Reife und Ernst gewann. Sein ganzes Re- äierungssystem, darf man sagen, ist durch die Eindrücke jener Revolutionsjahre dauernd bestimmt und beeinflußt worden. Von seiner Mutter, einer geborenen Prinzessin Stephanie von Schweden, mit drei Brütern liebevoll erzogen, batte Prinz Friedrich zunächst in Heidelberg und Bonn wissen schaftliche Studien betrieben und sich dann dem Waffen handwerk zugewandt j in Wrangel'S Hauptquartier nahm er als zweinndzwanzigjahriger Major am schleSwig-holsteinischen Feldzug Theil, trat dann in das von Roggenbach reorganisirte badische ArmeecorpS zurück und ward Commandeur des ersten Reiterregiments in Freiburg, später in Karlsruhe. Am 2. Februar 1852 mußte er für den erkrankten Vater die Regentschaft übernehmen und, als dieser zwei Monate später verschied, auch für seinen schwer leidenden älteren Bruder Ludwig. Vier Jahre und ein halbes regierte er so al- Prinzregent; erst als im September 1856 die Geisteskrank heit deS älteren Thronerben für unheilbar erkannt worben war, nahm er selbst den Titel und die Würde eines Groß- herzogö an, unmittelbar vor seiner Vermählung mit der Prinzessin Luise von Preußen, deS nachmaligen Königs Wilhelm einziger Tochter. Kurz nach dem Regierungsantritt deS Großherzogs Friedrich begann für Baden ein durchgreifender GenesungS- und Ent- wickelunzSproceß, dessen stetiges und planvolles Fortschreiten dem kleinen Staate mit der Zeit den heute noch unverlorenen Beinamen „das badische Musterländle" eingebracht hat. Die wirtbschaftliche Lage des Landes war vamalS besonders durch den erst kurz zuvor überstandenen Bürgerkrieg gedrückt genug; nahezu acht Millionen Gulden hatte allein der Aufstand und seine Niederwerfung durch die preußischen Truppen verschlungen. Aber mehr noch als auf die Ordnung der leidenden Finanzen ging die unablässige Sorge des tbatkraftigen jungen Fürsten dahin, dem Lande in kurzer Zeit eine moderne, brauch bare Gesetzgebung zu schaffen und mit verzopftem und ver staubtem Paragrapbentrödel gründlich aufzuräumen. Zahl reiche wichtige Reformen — auf die näher einzugehen hier der Ort nicht sein kann — in der Rechtspflege, der inneren Verwaltung, dem Unterricht und Gesundheitswesen wurden eingeführt, die Steuergesetzgebung nach Vernunft und Billig keit nmgestaltet, neue Verkehrswege und Verkehrsmittel ge schaffen und bei alledem niemals das bureaukratische Gut befinden des „grünen Tischs", sondern stets daS unmittelbare praktische Bedürfniß der einzelnen Landestbeile, Stände und Berufsclassen zum Maßstab gemacht. Dazu kam eine Reibe wichtiger Verordnungen und Gesetze auf dem Gebiete des kirchlichen Lebens, die Theils durch daS vorhandene Be dürfnis, TbeilS indirect durch fortgesetzte schwere Conflicte zwischen Regierung und der Curie bervorgerufen wurden. Das zweite Jahrzehnt in der NegierungSzeit war das bedeutsamste und glorreichste, soweit es seine Vor- und Mit arbeit an der nahe bevorstehenden Neugründung deS Reiches betraf. Schon im Schluß der Thronrede von 1860 trat seine alldeutsche Gesinnung klar und sicher zu Tage, und mit der Berufung des Freiherrn von Roggenbach, eines überzeugten Anhängers des „engeren" Reichsgedankens, zum Minister präsidenten, lenkte die Politik Badens ihre Wege mit Be stimmtheit auf das große Ziel von 1871 zu. Als im August 1863 Oesterreich zu einem deutschen Fürstentage nach Frank furt a. M. einlud, folgte der Großherzog diesem Rufe — während Preußen die Theilnahme abgelehnt hatte — weil er es für seine Pflicht hielt, sich etwaigen verhängnißvollen Be schlüssen an Ort und Stelle zu widersetzen. Mit Entschieden heit legte er denn auch alsbald dagegen Verwahrung ein, daß die von Oesterreich voraelegten Beschlüsse ohne Mit wirkung Preußens und obne Kenntniß der Volksvertretungen gefaßt würden, und als der Kaiser von Oesterreich gleichwohl die Abstimmung verlangte, stimmte der Großherzog obne Be denken dagegen. Offen verlangte er schon damals eine Nationalvertretung, die aus direkten BolkSwablen bervorgeben sollte, und die unvergessenen Worte, die er bei jener Gelegen heit zu Protokoll gab, sind zu bezeichnend für seine fürstliche Gesinnung, um nicht wenigstens zum Theil hier eine Wieder gabe zu verdienen. „ . . . Wie bereit ich auch wäre, jeder Zeit Opfer meiner Rechte und meiner Stellung zu bringen, wo dieselben dem Zustandekommen des großen nationalen Werkes, der Einigung Deutschlands, gebracht sind, ja wie bereit ich wäre, denselben auch das schwere Opfer der Ideen zu bringen, wonach sich nach meiner festen Ueberzeugung die künftige Verfassung Deutschlands zum Wohle des deutschen Volkes und Landes gestalten muß, wenn unter allen meinen hohen Verbündeten, wenn vor der Ge sa mm theit der deutschen Souvcraine ein Einverständniß über eine davon verschiedene neue Verfassnngsrrsorm des deutschen Bundes hergestellt wäre, — so halte ich mich so lange zu dieser Hingebung weder sür berechtigt noch sür verpflichtet, als nicht seststeht, daß dadurch das Zustandekommen einer solchen neuen, den gerechten Ansprüchen des badischen Lande? und deS deutschen Volkes entsprechende Bundesreform auch wirklich zum Abschluß gebracht werde." Durch diese entschlossene und unbeugsame Haltung den österreichischen Plan damals vereitelt und die Rechte des ganzen deutschen Volkes als Sachwalter vertreten zu haben, ist eines der vielen Verdienste des Großherzogs, die feine Popularität und Beliebtheit außerhalb seines eigenen Landes erklären und rechtfertigen. AuS Baden selbst ward ihm der allgemein empfundene Dank in Form einer gemeinsamen Adresse der sieben größten Städte des GroßherzogthumS dar gebracht. Einen ähnlichen Sieg hatte die badische Politik schon im Jahre zuvor zu verzeichnen gehabt, als Preußen einen auf freihändlcrischcn Grundsätzen basirenden Handels vertrag mit Frankreich abschließen wollte und süddeutsche Staaten dagegen mit dem Verlangen protestirten, daß Oester reich in den Zollverein mit ausgenommen werden solle; auck in diesem Falle drang die Auffassung Badens zu Gunsten Preußens schließlich durch. Und ebenw war die Regierung Les Großherzogs Friedrich auch die erste unter den deutschen Bundesstaaten gewesen, die — dem preußischen Beispiel folgend — daS neue Königreich Italien anerkannte. Nicht die gleiche enge Fühlung mit Preußen ließ sich in Len innerpolitischen Fragen aufrecht erhalten. Schon während Les sogenannten VerfassungSconflicteS hatte die II. badische Kammer auf Häusser'S Antrag ein Votum zu Gunsten des preußischen Abgeordnetenhauses gegen Len Ministerpräsidenten v. Biömarck angenommen und so eine gewiße Entfremdung zwischen den beiden Staaten herbeigeführl. Bedenklich ver schärft wurde diese Differenz mit dem Auftauchen der schleswig- holsteinischen Frage. In dieser stand ganz Baden rückhaltlos auf Seiten des Augustenburgers, der auch dem badischen BnndrStagsgesandten Robert von Mohl die holsteinische Stimme am Bundestag übertragen hatte. Man verstand deshalb die Haltung Preußens gegenüber Len für unbestreit bar angesehenen Reckten deö Herzogs durchaus nicht, und wie tief die Erregung schon vor dem schleswig-holsteinischen
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