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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960915021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896091502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896091502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-15
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Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ^li 60.—, mit Pojtbefordrrung 70.—. Anzeiger. Ktnlsbkatl des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzigs des Ratljes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Dienstag den 15. September 1896. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anreigen sind stet« an di« ExpeSitt«» zu richten. Druck und Verlag von E. Bolz in Leipzig SV. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. September. Die „Nationalliberale Correspondenz" schreibt beute: „Aus Anlaß des bevorstehenden nationallibcralen TclegirtcntancS werden in der Presse die von einem Berliner Blatt angeregten Erörterungen über die Stellung der national liberalen Partei zu den wirthschaftlichen Tagesfragen fortgesetzt. Verschiedene Interessengruppen scheinen die Auf fassung, welche bisher in der Partei geltend war, daß un vermeidliche wirthschaftliche Gegensätze in den Fraktionen nach Möglichkeit zu einem Ausgleich gebracht werden müßten, nicht anerkennen zu wollen. Es scheint, als wollten sie der nationallibcralen Partei nur in dem Sinne eine Berechtigung zuerkennen, daß diese die wirthschaft- lichen Interessen nicht der Gesammtheit, sondern be stimmter Kreise vertreten sollte, in denen sich die eigenen bezw. diejenigen Interessen bewegen, welche die Petenten zu übersehen vermögen. Mit dem Sieg solcher Bestrebungen würde die Gesammtpartei, welche sich auf nationalem Gebiet und auf dem Programm eines liberalen Aufbaues unseres Verfassungslebens zusammengesunden hat, sich in kleine Inter essengruppen auslösen müssen und damit zu jener Be deutungslosigkeit für die praktische politische Arbeit herunter gedrückt werden, welche die nach links stehenden Vereinigungen kennzeichnet. Für die Parteileitung dürfte es richtig sein, diesen Erörterungen ihren klärenden Gang gehen zu lassen." Auch wir glauben, daß die Parteileitung am besten thut, diesen Erörterungen auf dem Delegirtcntage einen breiten Raum zu gönnen. Es wird sich dann sicherlich Herausstellen, daß die Zahl der Parteigenossen, die wirklich die Partei nicht zur Vertreterin der wirthschaftlichen Interessen der Gesammtheit, sondern be stimmter Kreise machen möchten, eine verschwindend kleine ist. Männer, welche ihre nationalen Pflichten über alle anderen stellen, können gar nicht die Absicht hegen, die wirth schaftlichen Interessen einzelner Kreise auf Kosten der wirth schaftlichen Gesammtinteressen zu fördern; sie würden dadurch ihre nationale Pflicht verletzen. Allerdings kann es vor kommen, daß einzelne Abgeordnete, denen der große Ueberblick fehlt, der Ansicht sind, sie förderten die Gesammtinteressen, wenn sie zu Verfechtern der Forderungen einer Interessengruppe sich machen. So ist die Stellung, die einige Mitglieder zu dem Antrag Kanitz eingenommen haben, sicherlich lediglich auf die Ansicht dieser Herren zurückzuführen, man müsse mit allen nur denkbaren Mitteln die Landwirtkschast fördern, um von der Gesammtheit eine schwere Gefahr abzuwenden. Aber eben weil solche Männer, deren nationales Pflichtgefühl keinem Zweifel unterliegen kann, eine solche Ansicht hegen, wäre es grundfalsch, diese Männer von der Partei abzudrängen und in das Lager der extremen Agrarier zu stoßen, wo sie den Blick für das Allgemeine vollends einbüßen würden. Und die meisten ihrer Gegner haben im Grunde auch nicht die Absicht, nur die wirthschaftlichen Interessen einzelner Kreise von der Partei vertreten zu sehen. Sie sind nur der Meinung, die Partei habe jenen „agrarisch angehauchten" Elementen gegenüber nicht genug gethan, um sie von ihrem einseitigen Interessenstandpuncte auf den höheren Standpunkt der Gesammtwohlsahrt zu erheben. Eine offene und gründliche Aussprache wird nun darthun, daß in FractionSversammlungen alles Mögliche geschehen ist, die wirthschaftlichen Gegensätze zum Ausgleich zu bringen. Und tritt das zu Tage, so wird sich auch Herausstellen, daß das anscheinend hcrvortretende Bestreben, die Partei zur Ver treterin bestimmter wirthschaftlicher Kreise zu macken, nur ganz vereinzelt besteht und in den meisten Fällen nichts ist, als eine in unklarer Weise sich äußernde Unzufriedenheit mit dem Nichtgelingen der versuchten Ausgleiche und ein Ver langen nach erfolgreicheren Ausgleichsversuchen. Und kommt auf dem Delegirtentage dieses Verlangen zum klaren Aus drucke, so ist das nur zu begrüßen. Zu der Erklärung deS „ReickSanz." über die „ufer losen Flottenpläne" wird der „Voss. Ztg." aus Marine kreisen geschrieben: Admiral Hollmann stellte im vergangenen Winter in Aus sicht, daß dem Reichstage in diesem Herbste eine Vorlage zugehen würde, die Ausschluß über die weiteren Bauten, mögen sie Neu bauten oder nur Ersatzbauten unserer Kriegsschiffe sein, auf eine Reihe von Jahren hinaus bringen sollte. In der neuesten Erklärung des „Reichsanz." dagegen wird besonders hervor gehoben, daß es nicht in der Absicht der Marine-Ver waltung liege, von dem bisherigen Gebrauch, durch den Etat dasjenige zu fordern, waS die Marine zur Erfüllung ihrer Aufgaben gebraucht, abzugehen und den gesetzgebenden Körper- schäften einen weitausschauenden Plan oder eine besondere Marinevorlage zu übergeben, die durch die unübersehbare weitere Entwickelung der Dinge in kürzester Zeit werthlos werden könnte. Bisher ist allerdings kaum ein Flottengründungsplan zur vollen Ausführung gekommen; ja, es ist zwischen den verschiedenen Auf stellungen der KriegSschiffsbauten ein derartiges Durcheinander entstanden, daß der Staatsjecretair felbst bemerkte, diese An gelegenheit sei schwierig. Der Etat der Marineverwaltung für das Jahr 1897,98 wird mithin — und hierin dürfte ein Kernpunkt der abgegebenen Erklärung des „Reichsanzeigers" zu suchen sein — nur wieder direkte Forderungen sür ein Etatsjahr enthalten, um die sich die Debatten drehen werden. Aber ebenso dürfte auf der Hand liegen, daß der nächstjährige Etat nicht „exorbitante Forderungen" für Kriegsschifssneubauten in Gestalt von ersten Raten wird bringen können, da dieser Etat schon durch die weiteren Raten der im Bau begriffenen Schiffe recht erheblich be lastet erscheinen muß, weil wir nicht weniger als neun Neubauten schon auf den verschiedenen Werften auf Stapel liegen haben, ganz abgesehen von Folgeraten des Torpedobootsmaterials und jenen zur Erneuerung von Maschinen und Kessel der Schiffe der „Sachsen"-Classe. Das Organ des Bundes der Landwirthe, die „Deutsche Tagesztg", glaubt an die Erklärung des „Reichs anzeigers", so bescheidene Forderungen diese in Aussicht stellt, die Versicherung knüpfen zu müssen, „daß bei der augenblick lichen wirthschaftlichen Lage des Mittelstandes, besonders der Landwirthschaft nur das bewilligt werden kann, was un bedingt und unerläßlich nöthig ist — nicht ein Pfennig mehr". Das klingt ganz wie eine Umschreibung des Wortes: „Kein Kanitz, keine Kähne!" Wir hoffen jedoch, daß die parlamentarischen Gesinnungsgenossen des Blattes nach dieser Parole nicht handeln. Sie sind Wohl klug genug, um zu wissen, daß selbst der einfachste Bauer Bedenken tragen würde, sich in die Kähne der Kanitzianer verladen zu lassen, wenn diese bei einer Frage, bei der es sich um das Ansehen, die Würde und die wichtigsten materiellen Interessen des Reiches handelt, schnöde Schacherpolitik treiben wollten. Die Nachricht von der Flucht Dreyfus' bat, wenn sie sich auch nicht bewahrheitet, in Frankreich viel Staub auf gewirbelt. Man beschäftigt sich heute wieder mit der geheimniß- vollen Angelegenheit. Denn geheimnißvoll bleibt nun einmal die Verurtheilung des Hauptmanns, weil man Wohl weiß, daß es sich um Spionage gehandelt hat, aber nickt auf welche Gegenstände und Mittel sich das Vergehen ausgedehnt hat. Es dürfte daher kein Wunder nehmen, daß die Erzählung, welche jetzt der, manchmal von höheren Officieren zum Sprachrohr ihrer Meinungen gemachte „Eclair" bringt, große Aufregung verursacht und wir müssen, obgleich wir die Darstellung nicht für wahr halten, auch hier davon Notiz nehmen. Nach dem „Eclair" ist es die deutsche Botschaft, welcher DreyfuS militairische Informationen ge liefert habe. Der „Eclair" erzählt, daß aus einer chiffrirten Eorrespondenz zwischen dem deutschen und dem italieniscken Militair-Attach« hervorging, daß Dreyfus Verbindungen mit einer fremden Macht hatte und daß er Deutschland militai rische Geheimnisse auslieferte. Man mußte jedoch diesen auf- gesangenen Brief geheim halten aus Gründen der Staats räson und andere Beweise für die Schuld DreyfuS' suchen. Nun fährt er fort: In den letzten Septembertagen des Jahres 1894 war Oberst Sandierr, welcher die Untersuchung führte, in der Lage, dem Kriegs minister Mercier einen nicht unterschriebenen Brief zu überreichen, welcher aus der deutschen Botschaft gesunden wurde und der aus trüber Quelle herrührte. Während der erste Brief, der auf die Spur Dreyfus' führte, blos in photographischer Reproduktion zur Verfügung stand, lag jetzt ein Originalbrief vor, welcher die Schriftzüge des Capitains Dreyfus zeigte. Dieses Schreiben kündigte die Auslieferung von fünf militai- rischen Aktenstücken an Deutschland an, darunter Projekte des Schießreglements für die Artillerie und Infanterie, das Projekt der Mobilisirungs-Maßregeln für die Artillerie in Durch führung des Gesetzes vom 29. Juni 1894, wodurch die Pontonniers aufgehoben und 28 neue Batterien geschaffen werden, endlich den Operationsplan des Generals Renard sür die Mada- gaskar-Expedition. Dreyfus wurde verhaftet. Man wußte, daß er einen Mitschuldigen im Civil habe, aber man unterließ dessen Verfolgung, weil sonst auch Dreyfus hätte vor die bürger lichen Geschworenen gestellt werden müssen. Es ist richtig, schließt der „Eclair", daß Dreyfus nicht wußte und vielleicht auch jetzt noch nicht weiß, Laß der Kriegsminister die Photographie jenes Briefes besaß, welcher vom deutschen an den italienischen Militair-Attachö gerichtet wurde, und daß er somit die Photographie des einzigen Aktenstückes in Händen hatte, in welchem Dreyfus' Name ausdrücklich erwähnt wurde, da er die Phrase enthielt: „veeickement cet nuiwal cko Oro^tuz äevient trop «xiZermt." Dieser Brief wurde auch bei der Verhandlung nicht producirt und wurde lediglich den Richtern vertraulich in den Berathungssaal mit gegeben. Bezüglich des andern Brieses, welcher als Begleitbrief der militairischen Acten erschien, haben zwei Experten, Bertillon nud Charavey, die Schriftzüge des Capitains Dreyfus festgestellt, drei andere Experten gaben dagegen ein unbestimmtes Gutachten ab. Die Richter gewannen die Ueberzeugung von der Schuld und schöpften ein einstimmiges Verdikt Wenn etwas gegen diese Erklärung einnimmt und sie zweifelhaft macht, so ist es die Hereinziebung der deutschen Bot schaft, eines Briefes den der deutsche MilrtairattachH an den italienischen geschrieben haben soll und daß in diesem Briefe der Spion Dreyfus nicht nur genannt, sondern auch mit dem Ehrentitel „Rindvieh" belegt worden sein soll. Wenn übrigens die erzählten Gründe die einzigen sind, die zur Ver urtheilung des Hauptmanns führten, so erscheint er fast eher ein Opfer der Parteipolitik als ein Staatsverräther. Das schwere Unglück auf dem Cbodinskyfelde bei Moskau hinterläßt Nachwirkungen, die für einige russische Beamte und Würdenträger verhängnißvoll sind. Zunächst wurden bekanntlich der Moskauer Oberpolizeimeister Wlassowsky und einige andere Beamte entlassen; jetzt ist ferner Lurch kaiserliche Ordre dem Adjuncten des Polizei großmeisters von Moskau, Obersten Rudnew, ferner dem Polizeimeister von Moskau, Obersten Baron Budberg, und dem der Person des Polizeigroßmeisters attachirten Oberst lieutenant Pomeranzew ein strenger Verweis ertheilt worden, weil sie, wie die Untersuchung über das Unglück aus dem Chodinskyfelde ergeben hat, ihre Pflichten vernachlässigt hatten. Aber doch noch höher hinaus soll der berechtigte Unwille des Zaren reichen. Es soll nämlich dem Großfürsten Sergius, dem Oheim und Schwager des russischen Kaisers und dem gegenwärtigen Generalgouverneur,_ ein Haupttheil der Schuld an dem Unglück auf dem Ehodinskyfelde zufallen. Soll er doch die dreimal nach einander am Tage vor dem Festmahl für das Volk telephonisch an ihn gerichtete Bitte des Ministers des kaiserlichen Hofes, Grafen Woronzow-Daschkow, ihm Militair zur Aufrechterhaltung der Ordnung unter der stündlich ungeheuer anwachsenden Menschenmenge zuzustellen, einfach mit dem Be merken abgelehnt haben, die Polizei würde diese Aufgabe aus führen können. Die Erklärung der so auffallenden Haltung des Großfürsten lag in dessen Mißstimmung gegen den Grafen. Diesem war die Oberleitung des gesammten Krönungsfestes übertragen, und das nahm der Großfürst in seiner Stellung als Generalgouverneur als Kränkung auf. Er mischte sich trotzdem in die Sacke, Woronzow führte Beschwerde beim Kaiser, und dieser gab ihm Recht. Darob noch größerer Aerger bei dem Großfürsten, der sich in kleinen Nörgeleien aller Art Luft machte. Nun erfährt die „Schlesische Ztg." zu der Angelegenheit: Von der dem Großfürsten nahe stehenden Seite wurde Alles daran gesetzt, die Untersuchung des betrübenden Falles so kurz als möglich abzumachen. Erst ward vom Kaiser bestimmt, daß die Angelegenheit unter seinem Vorsitz vom Ministercomittz abgeurtheilt werden sollte. Bon jener Seite ward nun, um den Kaiser von der Prüfung der Affaire fern zu halten, geltend gemacht, die Vorunter suchung wäre in diesem Falle der wichtigste Theil, und der Urtheils- spruch wäre von denjenigen Personen zu fällen, die der Untersuchung am nächsten gestanden. Ter Kaiser ging auf diesen Antrag ein und — wählte den Grafen Pahlen, früheren Justizminister (unter Alexander II.) und Oberkrönungsmarschall bei der Krönung Alexandcr's III. und Nikolaus' 11., einen durchaus selbstständigen und unabhängigen Charakter, welche Eigenschaft von so manchem Minister in den Reichsrathssitzungen unangenehm gefühlt ward. So war denn jene Clique ans dem Regen in die Traufe ge kommen. Es gelang ihr aber doch, die Untersuchung von der Prüfung des Falles zu trennen, und erstere war dem derzeitigen Justizminister Murawjew übergeben. Nach deren Abschluß wurden die Acten freilich dem Grafen Pahlen zugestellt, als er aber die Sache energisch in die Hand nahm, gelang es, sie ihm abzunehmen. Endlich kam aber doch der Kaiser hinter diese Machenschaften, und die Acten wurden nochmals dem Grafen zugestellt. In dem Gutachten Pahlen's hat nun für den Großfürsten der Passus Bedeutung er langt, in welchem es heißt: es hätte auch dir vorliegende Sache ge zeigt, daß cs unzuträglich wäre, wenn ein Glied des Kaiserhauses aus einen Posten wie der eines Generalgouverneurs gestellt wäre. So hat sich denn der Großfürst schnell auf Urlaub ins Ausland begeben, nm, wie man versichert, nicht mehr auf seinen Moskauer Posten zurückzukehren. Er hatte es da mit so eilig. Laß er den zugesagten Besuch des Archäologischen Congresses, dessen Ehrenpräsident er ist, zu Riga, woselbst die kaiserlichen Gemächer im Schlosse für ihn und die Großfürstin schon in Stand gesetzt waren, ganz plötzlich redressirte und sich direkt ins Ausland begab. Deutsches Reich. Berlin, 14. September. Dem früheren Reichstags und Landtagsabgeordneten Landschafts-Director a. D. Sombart überbrachte heute zur Vollendung seines 80. Lebensjahres eine parlamentarische Deputation die Glückwünsche der nationalliberalen Reichstags- und Landtagsfraction und des Eentralvorstandcs der Partei, denen Herr Abg. von Eynern in einer Ansprache Ausdruck verlieh. Der Jubilar, dessen Verdienste um die praktische Förderung landwirthschaftlicher Interessen Herr von Eynern besonders bervorgehoben hatte, bemerkte in seiner DankeSerwiderung namentlich auch, er boffe, daß er die Zeit noch erlebe, in der die Landwirthe den Miß brauch ihrer wirthschaftlichen Angelegenheiten zu Zwecken der politischen Demagogie erkennen und zurückweisen würden. Fenilletoir- Die Tochter des Geigers. 6j Roman von A. Brüning. Nachdruck verboten. Sie schnellte empor. Ein Schimmer wieder erwachender Hoffnung glitt über ihr blasses Gesicht. „Ich hole welches," stieß sie hervor, und eilfertig Walter'S Hut vom Boden auf raffend, stürzte sie fort in das Dickicht hinein. Was kümmerte es sie, daß die Zweige ihr ins Gesicht schlugen'? Sie wußte, daß sie auf diese Weise schneller zum Weiher gelangte, als wenn sie den gebahnten Weg nahm. Es war ein beschwer liches Vorwärtsdringen in dem langen Reitkleide, dessen Schleppe sie über den Arm geschlagen, aber sie ließ sich nicht aufhalten; den Schleier, der sie hinderte, riß sie vom Hute, und nach unsäglicher Anstrengung war endlich der Weiher erreicht. Ohne Besinnen schöpfte sie den Hut voll Wasser, tränkte Tuch und Schleier mit dem belebenden Naß und flog dann den Weg zurück, den sie gekommen. Erschöpft und athemlos stand sie nach kurzer Zeit wieder bei dem Ver unglückten und vereinte nun ihre Bemühungen mit denen Walter s, den Fürsten inS Leben zurückzurufen. Sie wuschen ihm die Schläfen mit kaltem Wasser und preßten ohne Unterlaß die nassen Tücher auf seine blutende Stirne. Sie wechselten kein Wort, aber Lia bewegte unauf hörlich die Lippen in stummem Gebete. Nack Verlauf einer halben Stunde hob ein tiefer Athem- zug die Brust des Bewußtlosen, und allmählich kehrte die Lebensfarbe in sein bleiches Antlitz zurück. „Mein Gott, ick danke Dir", flüsterte Lia Rose aus tiefster Seele. Dann verließ sie die Kraft, mit krampfhaftem Auf schluchzen sank sie in Walter « Arme und ließ wie todtmüde einen Moment ihr Haupt an seiner Brust ruhen. Wortlos stützte er da- weinende, ack so sehr geliebte Mädchen, da- sür ibn nun unwiderbringlich verloren war. Wilder Schmerz zerriß sein Inneres, da er nun zur vollen Erkenntniß der Lage kam, in welcher die Beiden und in welcher er sich selbst befand. Solche Stunden sind Marksteine auf dem Wege unseres Lebens, indem sie einen neuen Abschnitt bezeichnen. Walter hatte diese Stunde zum Manne gereist. Lia faßte sich rasch, und Beider Aufmerksamkeit wandte stck wieder dem Fürsten zu, der jetzt die Augen aufschlug. Zuerst blickte er wie abwesend um sich her, bald aber er innerte er sich des Geschehenen. Dort sein Pferd, — der Abgrund, — ein Schauer bebte durch seinen Körper. Dann sah er auf den Freund, auf die Geliebte, und ein Lächeln glitt über seine Züge; das Gefühl des wiedergeschenkten Lebens strömte warm durch seine Adern und stählte die er schlafften Nerven. Kräftiger als man hätte erwarten sollen, richtete er sich empor. Von Walter unterstützt, machte er emiste Schritte. „Wie fühlst Du Dich, Edgar?" fragte dieser letzt. „Ganz wohl und gesund," — versicherte der Fürst, „die kleine Schmarre dort", — er deutete auf die Stirn, um die Lia ihm ihr Tuch als Binde geschlungen, — „ist nicht der Rede Werth." „Das war eine unverhoffte Unterbrechung unseres Aus fluges. Nun, ich bin noch glimpflich genug davongekommen, und Fräulein Lia hat sich bei dem halsbrechenden Ritt die Sporen verdient", versuchte er die ersichtliche Bewegung der Beiden hinwegzuscherzen. Lia Rose antwortete nicht. Sie fürchtete Wohl, daß der Klang ihrer Stimme ihr süßeS Gebeimniß verrathen könne, aber in ihren Augen schimmerte ein Strahl von beseligendem Glück. „Ja, nun werden wir Wohl an den Heimweg zum Forst haus denken müssen," sagte der Fürst, sonst hält man uns dort am Ende gar wirklich für verunglückt." Sie stiegen zu Pferde; Edgar bestand darauf, den „Almansor" zu reiten, der in der Thal sich jetzt ganz lamm fromm und lenksam zeigte. Während des Rückweges mußte Edgar fast allein die Kosten der Unterhaltung tragen. Seine Begleiter waren einsilbig, beiden schloß ein übermächtiges Gefühl den Mund, nur daß es bei dem Einen Glück und bei dem Andern stille Entsagung war. Spät am Nachmittage, als Pferd und Reiter längst die Folgen des Unfälle- überwunden hatten, als der Fürst auS- ruhend auf dem Sopha lag, und Lia Rose auf ihrem Kämmerlein weilte, da rang unter der Rothbuche am stillen Waldsee ein einsamer Mann im schwersten, bittersten Kampfe. Dort an der Stelle, wo sie, die er liebte, und der er nun entsagen sollte, ihm zuerst erschienen war in allem Zauber ihrer jungfräulichen Lieblichkeit, hatte Walter sich zn Boden geworfen. Die beiße Stirn in da« feuchte, kühle Moos gepreßt, suckle er die Kraft zu sammeln zu ^er schweren Entscheidung zwischen Freundschaft und Liebe. Sie war ja schon getroffen, diese Entscheidung, aber das rebellische Herz wollte sich noch da gegen auflebnen. Mußte es denn sein? Wenn er nun die Entfernung des Fürsten forderte, war eS nicht möglick, daß ihr Herz sich dereinst ihm zuwandte? Dock sein Glück bauen auf dem Unglück des Freundes! Weg mit dem häßlichen Gedanken! Nein, die Beiden sollten glücklich sein, von nun an war er ihr treuer Verbündeter. Leben um Leben! Einst hatte der Fürst sein Leben um ihn gewagt, er gab ihm jetzt dafür das Leben seines Lebens, gab ihm seine Liebe zum Opfer. AIS er sich endlich aufrichtete, war sein Gesicht wobl bleich und verändert, ein schweres Unglück schien darüber binwegegangen zu sein, jeder Zug war tief eingcgraben, jede Linie fester geworden, aber auf der breiten, hohen Stirn thronte der Friede eines hochherzigen Entschlusses. Am Abend, es war der achte nach jenem Gespräch unter dem Lindenbaum, als der Fürst ihm gute Nackt wünschte, faßte Walter denselben bei der Hand, und diese fest drückend sagte er: „Bleib — und wirb um sie." In dem kleinen halbverfallenen Iagdschlößchen Hubertus burg, das sich im Besitz des Fürsten v. R. befand, war außer der großen, reich mit Iagdemblemen decorirten Halle, in ter sich einst zahlreiche Jagdgesellschaften zum fröhlichen Banket zu versammeln pflegten, nur noch ein runder Seitenthurm bewohnbar. Das Schlößchen hatte längst aufgehört, seiner ursprüng lichen Bestimmung zu dienen, der jetzige Fürst war kein Jagd liebhaber. Dagegen war es wegen seiner schönen Lage, mitten im Walde, ein Lieblingsausentbalt der fürstlichen Damen geworden, die fast in jedem Sommer einige Wochen darin verlebten. Die Fürstin Agnes holte sich in der reinen, stär kenden Luft stets Kräftigung für ihre schwache Gesundheit, und ihre Tochter, Prinzeß Therese, freute sich nach ihrem eigenen AuSspruche das ganze Iabr hindurch auf ihr Wald schlößchen, wo sie einmal wieder ganz ihren Neigungen leben konnte, die sie weit ab von dem Glanz und dem geräusch vollen Treiben des Hofes führte. Beide Damen hatten wenig Bedürfnisse, sie pflegten daher auch keinen überflüssigen Troß von Lakaien und so weiter mitzubringen. Für einen solchen hätten die beschränkten Räumlichkeiten des alten Schlößchens auch keinen Platz geboten, hatte eS doch schon Mühe genug gekostet, die Wagen und Pferde der Prinzessin notbdürftig unterzubringen. Es war kurze Zeit nach den im vorigen Capitel geschil derten Ereignissen. Die letzten Tage hindurch war es auch fast unerträglich schwül gewesen; auch heute lag die Lust wie eine compacte, flimmernde und kochende Masse über der vertrockneten Erde, auf die der Himmel aus wolkenloser Bläue seine sengenden Strahlen gleich spitzigen Pfeilen herniedersandte. Die fürstlichen Damen befanden sich in dem runden Thurmgemach, das ihnen zum Wohnzimmer diente, und das verhältnißmäßig kühl zn nennen war. Durch die bunten, gemalten Bogenfenster floß das Licht nur gedämpft in gebrochenen Strahlen über den parquettirten Fußboden und die bis zur Hälne der Höhe in Eichenholz ge täfelten Wände, was den anheimelnden Eindruck des mit kunstvoll geschnitztem Meublement ausgestatteten Raumes noch verstärkte. Die Fürstin lag auf den grünen Seidenpolstern einer Ebaiselonzue und Hörle mit halb geschlossenen Augen ihrer Tochter zu, die ihr gegenüber, in einem tiefen Arm sessel ruhend, mit wohlklingender Stimme aus einem Buche vorlaS. Prinzeß Tberese stand in ihrem zwanzigsten Lebensjahre, dock ein gewisser sinnender Ernst, der auf den feinen, etwas blaffen Zügen lag, ließ sie eher älter erscheinen. Das läng liche, ausfallend schmale Gesicht war keineswegs schön zu nennen, dazu war die Stirn zn niedrig und der Mund ent schieden etwas zu groß; doch wußte sie ibn beim Sprechen anmuthig zu bewegen. Schön waren nur das leicht gewellte aschblonde Haar, das sie in reichen Fleckten am Hinterkopf aufgesteckt trug, und interessant waren die großen, grauen Augen. Wie sie so da saß in dem einfachen Seidenkleide, das keine andere Verzierung zeigte, als um den Hals eine fein gefältete Krause und an den feinen Handgelenken breite, um gelegte Spitzenmanscketten, hatte ihre ganze Erscheinung, die sich so harmonisch in den Rahmen des Zimmer« einfligte, etwas unleugbar Anziehendes, WaS vielleicht gerade in ihrer Anspruchlosigkeit seinen Grund batte. Sie legte jetzt das Buch bei Seite. „Willst Du nicht lieber schlafen, Mutter," sagte sie, „Du siebst wieder recht müde und abgespannt aus." „DaS macht nur die Hitze, liebes Kind, sorge nicht um mich, ich fühle mich sckon merklich gekräftigt, feit wir hier sind", entgegnete die Fürstin. „Sckade, daß diesem stillen Aufenthalte, der mir so wobl tbut, eine so geräuschvolle Zeit folgen muß", fuhr sie seufzend fort. „Doch verzeib, ich wollte
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