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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.10.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961003018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896100301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896100301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-03
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«sch-Ut '/.7 Uhr. bi» Ab«b^l»-gabe »ochmtag, nm 5 Uhr. Rrdurtt«» «ch Lrpettttr«: -stz««»s,hG« S. Di»Ezp«»ittm» tst vochentag« unmiterbroch« S^Lnet »»» früh S bi« >b«d» - Uhr. Filiale»: Vito Klemm'- Forti«. lAlsre» Fuhn), UniversitätSsttaß« 3 (Paulinumz L-ni« Lösche, lkatbarni«,str. 14, part. und K-»i-«platz 2» Morgen-Ausgabe. MMer TagMM Anzeiger. Amtsblatt des Aömgüchen Land- «nb Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes «ad Notizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. 5VL Sonnabend den 3. October 1896. die »gespaltene Petttzeile LV Pfg. Neelam«, untre dem SiedacttoaSstrich (4g» ipalt«) ÜO^, vor den Famüteunachrtchk, (s-espaltn.) 40 GrSßerr Hchristen^ laut uifirrrm Vret«- VMtzetchutß. Tabellarischer uich ztffrrasetz nach h-hmu» Tarss. Am»lch«eschl»ß für AryeigiM: Abend-Au-gab«: Boemttwv» LS Uhr. Mor„, «»«gab« Xachmiltap» 4VHu Hit den Filialen nab Annahmestelle» s» halbe Stunde frühe». Anreisen fim> stet« an die GhpeUtta» zu richt«. l . H«ck nnd Verlag von L Pol» M Leipzig 9V. Jahrgang. Staatlicher Schutz für sittliche Güter. Auf dem internationalen Frauencougreß in Berlin ist Manche« geredet und gefordert worden, wa« den Führerinnen der Frauenbewegung weder weibliche, noch männliche neue Anhänger zuführ« wird. Jedenfalls aber ist die Sittlich- keitSfrage mit einem Ernst und einer Gründlichkeit verhandelt Word«, welche die volle Anerkennung nicht nur de« gesammten weiblichen Geschlechte«, sondern auch aller ehrenhaften Männer und besonder« der Gesetzgeber verdient. E« giebt kaum ein wichtigere« Gut für einen Staat, al« die weib liche Ehre. Wa« bedeutet nicht die ehrbare Frau im Volk«- leben! Wenn ein Geschlecht mit reiner Gesinnung, mit Sinn für Zucht und Sitte, Ordnung und Gerechtigkeit heran wächst, dann ist die« dem Geist der Mütter zu dank«, welche dies« Kinder geboren und erzogen haben. Wie ander«, wenn verführten, verdorbenen Geschöpfen die Aufgabe der Mutter zu Theil wird! Wie kann der Sina für Ehrbarkeit in der KindeSseele geweckt werden, wenn die Mutter sich der Ehre lo« gesprochen hat? Wie kann da«, wa« züchtig ist und wohllautet, in einer Umgebung gedeihen, auf welcher der Druck der Unlauterkeit, der Unsittlichkeit, der Druck einer weggeworfenea Ehr« und eine« verfehlten Leben« lastet? Da gilt der furchtbare Satz, daß da« Böse fortzeugend Böse muß gebären. Ein Geschlecht unsittlicher Töchter und ver worfener Söhne tritt in die Fußtapf« der verführten und verdorbenen Mutter. Wa« thut nun der Staat, um die« wichtigste und heiligste seiner Güter, Vie weibliche Ehre der künftigen Mütter, vor Verführung und Verderbniß zu schützen? Mit Strenge bestraft er die Vornahme unsittlicher Handlungen an Mädchen unter 14 Jahren. Die größere Gefahr für die weibliche Ehre beginnt aber bei der Mehrzahl der Töchter unsere« BolkeS erst nach der Consirmation, wenn sie sich außerhalb de« Elteruhause« ihren Lebensunterhalt ver dienen müssen. Sie kommen meisten« mittelbar oder unmittelbar unter die wirthschaftliche Abhängigkeit eine« fremden Manne«. Hat nun der Staat diesem Manne irgend welche Schranke gesetzt, ihn von der Verführung eine« jungen, unerfahrenen, von ihm abhängigen Mädchen« abzuhatten? E« ist die« gegenüber Geistlichen, Lehrern und Erziehe«, also gegenüber einem an und für sich schon sittlich ge festigteren Stand, geschehen, für den Fall, daß sie sich an ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen vergehen; im Uebrigen aber ist nur die Verführung eine- Mädchen« bi« zu ihrem 16. Lebensjahre unter eine verhältnißmäßig geringe Strafdrohung gestellt, welche um deswillen wenig abschreckend wirkt, weil die Strafverfolgung nur auf Antrag eintritt. Der Staat schützt also in durchaus ungenügender Weise die weibliche Ehre während einer Zeit, in der sie am schwersten bedroht ist. Trotzdem hat die Verführung junger Mädchen durch die Männer, von denen sie al- von Dienstherren, Principal«, Arbeitgebern u. s. w. wirthschaftlich abhängig sind, in Deutsch land emen erschreckenden Umfang noch nicht angenommen. Noch immer gilt eS für einen beutschen'Mann al- große Unebrenhaftigkrit, seine Macht über ein junge« Mädchen zu mißbrauchen, sein eigene« Hau« nicht rein zu halten, sich zu einer Unsittlichkeit in seinen bürgerlichen Recht«- Verhältnissen hinreißen zu lasten. Aber da« schließt nicht au«, hänaig« Verführung ausgesetzt sind. Allerdings stehen die jungen Mädchen und insbesondere die Arbeiterinnen den Angriffe» auf ihre weibliche Ehre nicht mehr ganz schutzlos gegenüber. In Berlin übernimmt, falls Deutsche- Reich. S V. Berlin, t. Octobrr. Die Erimiaalstatistik für da- Jahr 1893 weist im ganzen Reiche die Berur- theilung von 430 387 Personen wegen 534 973 strafbarer Handlung« nach, gegen da« Vorjahr 8076 (1,9 Procent) Personen und 970 (0,2 Procent) Strafthat« mehr. Gegen daß die wenig beschränkte Macht de« Manne- über die Ehre eine- von ihm abhängigen jung« Mädchen- in viele» Fällen von ihm mißbraucht wird und zahlreiche weibliche Wesen schutzlos der Verführung anheimfallen. Wer die Act« der Gericht-- und Polizeibehörden kennt, wird um Beispiele nicht verlege» sein. Vielleicht ist e« etwa« übertrieben, waS Frau Gnauck - Kühne, die eifrige Kämpferin für Frauen- Emancipation, vor einiger Zeit in der „Socialen Praxis" über die sittlichen Gefahren der Arbeiterinnen schrieb, aber jedenfalls gründet eS sich auf thatsächliche Fälle: „Von der Ausdehnung, in welcher die wirthschaftliche Abhängigkeit der Arbeiterinnen benutzt wird, kann sich nur Der eine Vorstellung machen, welcher die Räumlichkeiten in Fabrikanlagen, sowie die Art der Arbeit al- Gelegenheit«- macher und dazu die selbstherrliche Stellung der Vorgesetzten kennt. Findet der Vorgesetzte an einer Arbeiterin Gefallen, so kann er sie leicht isoUren. Mit einem geschäftlich« Auf trage schickt er sie auf den Boden, in den Keller, in eine« entlegenen Lagerraum; unter irgend einem Vorwande folgt er ihr und versucht die erste Annäherung. Findet er ein ge fällige« Entgegenkommen, da» ihm Erfolg verspricht, so hat die betreffend« Person eme gut« Zeit. Er nimmt e«, wenn sie im gewissen Gelde steht, mit der Control« ihrer Arbeit nicht genau; steht sie im Äccord, bekommt sie allemal die Arbeit, welche gerade gut bezahlt wird. Er spricht sie auch wohl von der Pflicht, reinzumachen, loS, vertuscht eS, wenn sie zu spät kommt oder Material verdirbt. Sie hat als Freundin de» Vorgesetzten Vortheile, welche in dem Leben der Arbeiterin als tägliche Vergünstigung angenehm empfunden werden und da« Gewiss« rmschläfern. Erschweren örtliche Umstände in der Fabrik die Annäherung, so giebt der Vorgesetzte etwa der betreffenden Person Arbeit mit nach Hause und bietet ihr an, ihr zu helfen. Weist die Arbeiterin seine Hilfe ab, so weiß er, daß sie sich ihm widersetzt. In diesem Falle verliert er — insonderheit wenn er schon durch Erfahrungen gewitzigt ist — kein Wort weiter, ladet sie höchsten« noch einckal zu einer Landpartie ein, aber wenn sie auch diesen Weg ablehnt, be ginnt eine stillschweigende Quälerei de« wehrlosen Mädchen«, bi« e« sich fügt — oder geht. Mittel uad Wege stehe» dem Machthaber genügend zur Verfügung, um die Widerspenstige -mürbe* zu machen. Al« Zeitlohner in stellt er sie an ein» Maschine, deren Wirkung gesundheit«schädlich ist, oder sie bekommt nicht zu bewältigende Aufgaben; leistet sie sie nicht, wird sie beim Chef verklagt oder entlassen, sobald die flaue Zeit naht. Im Äccord giebt er ihr Arbeit, welche niedrig im Satz steht, oder er schmälert empfindlich ihren Wochen verdienst, indem er sie täglich lange auf Arbeit warte» läßt; er weist ihr einen Platz in der Werkstube au, der notorisch zugig oder unerträglich heiß oder staubig ist rc." Solche Gefahren aber bestehen nichts für die Kinder de« Volke« allein. Auch di« Töchter de« Mittelstände« und der Beamtenschaft müssen oft in jugendlich« Jahren «ine ab hängige Stellung eianehmen, m der sie der Möglichkeit der Verführung ausgesetzt sind. Allerdings stehen die jungen Mädchen und insbesondere die Arbeiterinnen den Angriffe» auf ihre weibliche Ehre nicht mehr ganz schutzlos gegenüber. In Berlin übernimmt, falls die Arbeiterin einem Fachverein angrhört, dieser di, Rolle de« Ankläger«. Da« Verfahren ist nach Frau Gnauck-Kühne hierbei folgende«: „Die RechtSschutzcommission de« Fachvrrein« 1892 hab« zugenomme« die Verurtyetluug« »egen Verbrechen und Vergeb« gegen Staat, öffentliche Ordnung und Religion um 67 l3 Personen und 7195 Handlungen, gleich 10,1 brzw. 10 Procent, und weg« Verbrechen und Vergeh« gegen die Person um 14 17» Person« und 15 051 Handlung«, gleich 9 bezw. 8,7 Procent. Abgeuommen haben dagegen die Berurtheilungen weg« Verbrechen und Vergehen gegen da« Vermögen um 12795 Personen und 21 210 Handlungen, gleich 6,5 bezw. 7,4 Procent und wegen Verbrechen und Vergehen tm Amte um 15 Personen und 66 Handlungen, gleich 1 bezw. 1,4 Procent. Bon der Zu nahme der Berurtheilungen bei der erst« Gruppe und bei der Gesammtheit der Delikte entfällt eia erheblicher Theil auf die seit dem 1. April in Kraft stehende Strafvorschrift de« tz 146» der Gewerbeordnung (Zuwiderhandlungen geben die Bestimmungen der Sonntagsruhe). Die Zahl dieser Zuwiderhandlungen belief sich 1893 auf 5011, die der verurtheilten Personen auf 4864 gegen 1622 Zuwider handlungen und 1590 verurtheilter Personen i« Jahre 1892. Läßt man die Berurtheilungen wegen dieser Zuwider handlungen sür beide Jahre außer Ansatz, so erzieht sich bei der ersten Gruppe nur ein Mehr von 3439 verurtheilten Personen (5,3 Procent) und 3806 Handlungen (5,4 Procent), und bei der Gesammtheit der Delikte eine Zunahme der ver urtheilten Personen von nur 4802 (1,1 Procent) und sür die Handlungen sogar eine Abnahme um 2419 (0,5 Procent). Die Zahl der verurtheilten Personen hat sich gegen da- Vor jahr in 19 OberlandeSgerichtSbezirken vermehrt, wobei Colmar und Cassel obenan stehen, und vermindert in 9 Bezirken, am bedeutendste» in Posen, Stettin und Königsberg. Hinsichtlich der Criminalität zeigt sich, daß im Jahre 1893 auf je 100 000 ftrqfmüudige Personen der Civilbevölkerung 1210 wegen Verbrechen oder Vergehen gegen ReichSgrsetze rechtskräftig ver- urtheilt worden sind gegen 1199 im Jahre 1892 und 1087 Berurtheilte im Durchschnitt 1882/91. Von den Ober- laudeSgerichtSbezirken haben gegenüber dem Jahre 1892 17 eine Erhöhung der CriminalrtätSziffer aufzuweisrn; be sonder« groß ist diese Erhöhung in Zweibrücken. Ab nahmen sind dagege» zu verzeichnen iu 11 Bezirk«, wobei KLaigSbera, Pose» und Stettin obenan stehen. Im Ganzen zeigt di« Ordnung der Bezirke »ach der Crimiualitatßziff« gegen die Reihenfolge für da- Jahr 1892 nnr MÄlWWtzS Verschiebung«. Nach wie vor sind eS die östlichen — preußischen Bezirke Königsberg, Marienwerder, Pos«, BreSlau und Berlin, ferner die säm art lichen bayerischen Bezirke und Hamburg, die sich durch hohe Criminalität hervorheben, während in Rostock, Celle, Cassel, Oldenburg, Hamm, Köln, Frankfurt, Karlsruhe und Colmar, also vornehmlich in west- und süd deutschen Bezirk«, in Dresden die niedrigsten Zahlen sich find«. Läßt man, wie oben bei den absoluten Zahlen der Verurtheilten, auch für die Criminalitätöziffer die Ver- urtheilungen wegen Zuwiderhandlung gegen die Sonntags ruhe außer Betracht, so ergiebt sich für das Reich im Jahre 1893 nur die Zahl von 1196 Verurtheilten, 1892 von 1194 Verurtheilten aus je 100000 firafmündige Personen. Was den Anthril der einzeln« DelrctSgattungen betrifft, so sind gegen 1892 mehrfach größere Verschiebungen eingetreten. Insbesondere hat sich der Procentsatz der Berurtheilungen hört die Darstellung der Arbeiterin an u»d untersucht den Fall mit peinlicher Gewissenhaftigkeit. Es stellt sich dann meistens heraus, daß der angrklaate Chef oder Werkführrr nicht nur in diesem vereinzelten Falle seine Stellung gemiß- braucht hat; gewöhnlich öffnet eine Anklage ander« Klägerinnen den Mund. Der Fachverein entsendet dann einen Vermittler, welcher dem Schuldigen Vorhaltungen macht, ihn zum Ge- ständniß zu bringen und zu dem Versprechen zu bewegen sucht, Anstand und Sittlichkeit künftig nicht zu verletzen. Findet der Vermittler kein Gehör, so beruft der Fachverein eine öffentliche Versammlung, zu welcher die Arbeiterschaft der betreffenden Fabrik, sowie die BerufSgenofsen in Fabriken der gleichen Branche und auch der Beschuldigte selbst ein geladen «erden. Im Winter 1894—-95 Haven in einer einzigen Branche (Buchbinderei und verwandte Gewerbe) drei solcher Versammlungen in Berlin stattgrfunden. Ueber eine Fabrik ivurde die Sperre verhängt und die Fabrik ist infolge dessen eingegangen; die beiden anderen Betriebe wurden nicht gesperrt und bestehen weiter." Aber wie man sieht, ist die« Verfahren nicht unbedenklich und kann nur in den wenigsten Fällen Anwendung finden. E« ist nicht zu verglrichrn mit dem Schutz, den der Staat gewähren würde, wenn er die für Geistliche, Lehrer und Erzieher mit Rücksicht auf ihre minderjährigen Schüler und Zöglinge gegebene Strafdrohung auch auf Dienstherr«, Principale, Arbeitgeber und deren Stellvertreter er strecken wollte, sofern sie mit minderjährig«, zu ihnen in einem AdhängrgkeitSverhältniß stehenden weibliche» Per sonen — den» dieser Schutz ist der viel minder gefährdeten männlichen Jugend gewährt — unsittliche Handlungen vor nehmen. Diese Strafbestimmung würde den denkbar wirk samsten Schutz der weiblichen Ehre bieten, sie würde unseren sittlichen Anschauungen vollkommen entsprechen, sie würde da« Gefühl für den Werth der weiblichen Ehre bedeutend steigern, sie würde auf das Familienleben verheiratheter Arbeitgeber, Princivale und Dienstherren gedeihlich einwirkt». E« würde da« Uebel der Unsittlichkeit, da« bi« jetzt nur in seine» Folgeerscheinungen bekämpft wird, an der Quell« verstopfen Helf«. Bei dieser Wichtigkeit eine« staatlichen Schutze« der weiblich« Ehre ist e« dringend zu wünschen, daß die am 12. Februar d. I. im Reichstage vom StaatSsrrretacr vr. von Boetticher in Aussicht gestellte Vorschrift, welche wenigsten« die Ausbeutung der wirthschaftliche» Abhängigkeit weiblicher Arbeiter zu unsittlichen Zwecken durch die Arbeitgeber oder ihrer Stellvertreter unter Strafe stellt, nicht mehr lange auf sich warte» läßt. Es ist auch für einen Staat, der die Ver letzung« gegen da« Eigenthum mit den härtesten Straf« belegt, nicht gut angängig, wenn er den Schutz sittlicher Güter privat« Bereinigungen — in diesem Falle den socia- listischen Fachvereinen — ausschließlich überlaßt. ist. Da« Wasser dringt in die fein« Spalten und Spältch«, Löcher und Löcherch« und besitzt die Fähigkeit, den Kalkstein nach und nach aufzulös«. So nagen dir atmosphärischen Niederschläge seit Jahrtausenden an der Felsenwelt de- Karste«, da« Wasser folgt der Anziehungskraft der Erde und sickert tiefer und tiefer, bi- e« etwa auf unter dem Kalk liegende Gestein«, schichten stößt, die seiner auflösend« Wirkung besser widerstehn. Hier sammelt e« sich und nagt nun in dem weniger wider standsfähigen, aufliegenden KalkfrlS weiter und folgt dabei der StreichungSrichtung der festeren Schichten nach abwärt-. Aber dies« Schicht« verlaufen nicht gleichmäßig, sie haben mancherlei Verwerfungen erfahren, sie bilden Systeme von Falten, leite« daher die Richtung de« ringedrungen«, von ihnen gleichsam ausgefangenen Wasser«, zwingen e«, stellen weise Halt zu machen, und schreiben ihm so gewissermaßen Richtung und Umfang seiner minirenden Kräfte vor. Hier arbeitet e« nur tropfenweise, dort al- stattlicher Fluß, in beiden Fällen aber mit dem besten Erfolg. Durch zahllose größere und kleinere, weitere und enger« Verbindungsweg« mit der Oberwelt vermög« auch Orga nismen in jene Lief« zu dringen, die, wo nicht der Mensch sie besucht, in Jahrtausende langer Nacht befangen liegen. E« sind fremdartige Lebrn«bedingungen, an die sich Orga- ni«men hier anzupassen babrn; de« Lichtbedürfniffe« müsse» sie ssch entwöhnen, aber die Jahreszeiten rollen bedeutungslos an »ha« vorüber — da unten giebt e« keine» Sommer und Winter, keinen Lenz und Herbst, gleichmäßig spinn« sich die Lage ab, oder richtiger, verläuft ununterbrochen die Nacht. Aber die Schmiegsamkeit der Organismen ist fast un begrenzt, an alle Verhältnisse beinahe vermögen sie sich anzu passen, nur an solche Hitzegrade nicht, bei denen da« Eiweiß gerinnt oder verbrennt. Mephistopheles wußte, wa« er that, al« er sich die Klamm« al« sein Apparte« vorbehirlt. Die Anpassungen an d« Aufenthalt in ewiger Nacht gehen verhältnißmäßig rasch von Statten, wie w»r, an anderen Beispiele» erläutert, vald sehen werd«. Thier«, die mit jenen von anderen Thieren gefressen werden, und so zieht sich die Kette gliedweise dahin vom Spaltpilz bi« zum Wirbelthier. Massenhaft wird gewiß organischer Detritu« in winziger Form durch feine Zugänge in die Höhlen eingeschwemmt; viele Thiere suchen in größeren ihre Nacht- oder Winter quartiere, hier häuft sich ihr Unrath — besonder« der Fleder mäuse —, hier sterben viele, und ihre Leichen kommen den Höhlenbewohnern zu gute, zunächst wohl nur den den Ein gängen näher wohnenden, diese fallen lebend oder todt weiter höhleneinwärt« hausenden zum Opfer, und so geht eS weiter und weiter bi« in da« innerste Innere und bi« in die tiefste Tiefe. Ein Thierrayon übermittelt immer dem nächstfolgenden den ohne Weiteres assimilirbaren Stoff, den Pflanzen m den Höhle» srlbst drn auf sein« Genuß angewiesenen Lebewesen nicht zuzubereiten vermögen. Die in den Karsthöhlen auftretmden Pilzform« sind, ab gesehen von Spaltpilzen, die merkwürdigen Ryizomorpben; sie scheinen indffsen nicht häufig vorrukommen. Sie bilden Rasen, Netze und Schichten mannichfach verzweigter und unter sicb verbundener Fäden von der Dicke de- Zwirn- bis dünnen Bindfaden«, hab« eine äußere braune Rinvenschicht und einen inner« Weißen Kernstrang. E-find keine selbstständigen Pilz- aebilde, e« sind vielmehr die Mvcelien von Hutpilzen, d. b. vie ernährenden Theile de« Pilze«, die e« aber nicht zur Entwickelung eine« Hute- und damit zur Möglichkeit einer geschlechtlich« Vermehrung bringen. ES ist augenscheinlich, daß die ungünstigen LeoeuSbedingungeu in unterirdischen Raumen ein« hemmenden Einfluß au-üben. Derartige Rhizomorphen find in alten Bergwerken viel häufiger al« in natürlich« Höhlen, wohl hauptsächlich deshalb, weil i» jenen da« viel« Holzwerk »hre Ansiedlung und Ausbreitung fördert. Im Ganze» kann dies« wunderlichen Gebilden eine große Bedeutung bei der Ernährung der Grottenthiere nicht zugeschrieben werden. In de» gewaltigen Höhlen von Kentucky, in denen eia verhältnißmäßig rege« Thierleben herrscht, fehl« sie vollkommen. Wmn wir gleich wohl auch hier, wie in den Karsthöhlen, Pflanzenfresser unter der Hanna finden, so müssen wir annehmea, daß sich diese an «»geschwemmte vegetabilische Reste halten werden. Wenn wir ein« Ueverflcht über die Lhierwelt der Krainer Höblen geb« wollen, so könne« wir ste mit d« Infusorien beginnen, die in verschiedenen Arte» die Grottenwässer be wohnen und wahrscheinlich einer merkwürdigen Art de« Süß- wassrrschwamme« (LpougUIa «t/ginm, kein Pilz, sonder» ein Schwamm im Sinne der Naturforscher, also ei» Thier!) and verschiedenen kleinen KrrbSchra zur Nahrung dienen, di« mit ihrer Persönlichkeit wieder einen Süßwaffrrpolyven und den berühmten Olm, de» Wassersalamender der Hoyleobäche uad -fern de« Karste« füttern. Auch »in winzige«, »vr t «v hohe« Beispiel« «rläu , Wir können von einer Thier- unv von einer Pflanzen welt der Höhlen reden, wen» wir wenigsten« Pilze al« Pflanzen gelte» lassen wollen, den» chloropyyllfübrrnde Ge wächse vermög« hier natürlich, für immer dem Sonnenlicht entzogen, nicht zu gedeihen. Nur chlorophyllhaltige Pflanz« aber vermögen drn Stoff wechsel der Natur zu vermittel», denn ste sind e«, di« unter dem Einflüsse de« Sonnenlichte« anorganische Stoffe in organische überzusührrn vermögen. Wo ste fehlen, müsse» auf de» G«uß organischer Stoffe angewiesene Geschöpf«, Thier« nnd Pilze, auf andere Art er»ährt werd«, in de« Falle der Höhlenbewohner als» durch organisch«, irgendwie von auß« rindringend« Substanzen. Diese dienen vielleicht zunächst dra Pilzen zur Nahrung, »der auch nieder«, kleineren Etwas über die Thierwett -er Larsthöhlen. In der Morgenausgabe de« „Tageblattes" vom Montag, den 14. September, wurde ans di« Thierwelt der merkwürdigen Höhl« de« Karste« flüchtig hiugewiesen. Die Sache ist interessant genug, etwa« genauer erörtert zu werden, wozu ich mich für um so mehr berechtigt halte, al« ich die betreffenden Verhältnisse au« eigener Anschauung einiger maßen kenne. Ich habe meine Studi« wesentlich in der bekannten AdelSberaer Grotte und besonder« »och in der seltener besuchten Höhle von Lorgnal« (oder Kornial) unweit de« beirühmten k. k. österreichisch« Gestüt« von Lipizza in der Grafschaft Görz und GradiSca gemacht. Der Karst, lene« d« größten Theil Kram« einnehmende, wild zerrissene Hochplateau, besteht hauptsächlich au« einem poröse», der Krrideformation angehörige» Gestein, da« 95 Prpc. kohlensauer» Kalk enthält. Au de» «eisten Stell« ist aß von einem System größerer uad kleinerer Höhl« durch- zöge», di« sich stellenweise zu Tag« öffn«, stellenweise ein- gestillt find, so daß die Oberfläche de« Karst«« von zahl reichen trichterförmig« Erdfällen von verschiedenem Umfang«, den Dolin« oder Foiben, unterbrochen ist. Diese Erdfälle zeigen auf ihrem Boden und an ihr« Abhänge» «eist einen leidlichen Pflanzenwuch«, d«n au« ihn« konnten nach der im Alterthum von den Römern begonnen« nnd im Mittelalter von den Vevetiaaern vollendeten Entwaldung de« Karste« nicht wie von diesem die Dammerde durch Verwitterung und Abwaschung entfernt werden. Die Folg« jener unvernünftigen Entwaldung hat den, Karst seinen Charakter gegeben: «in fast ganz vegetations lose« yelsenlaud, auf dem dir Gesteiuschollrn m mannigfacher Richtung, entsprechend drn verschiedenen GtreichungSrichmngrn de« anstehenden Gestein«, sich anordnrn. Hier fleht da« Ang« große, gerade Fläche» de« grau« FelSboden«, dort steh« ri« Platten schräg aufgerichtet mrilmweit hintrreiaauder uad erinnern an di« vricheostein« jüdischer Begräbnißstättr». um so mehr, wen« man vielleicht wenigr Tags vorher auf der Reise zum Karst dm alte« Judenfriedhof in Prag besucht nnd va« Bild seiner melancholisch« Romantik in sich auf- genommen hat. Freilich, dir prächtig« Fliederbüsch«, die dort so üppig wuchern, wie vielleicht nirgend« sonst in der Welt, kehl« hier: dem karge« Boden entriugt sich em kümmerliche« Habichts kraut, ein« Veifußstaudr, steveuweis« ei» größer« Dikelfeld, im Herbst -«lebt von zahllosen Stieglitzschaaren. Ab und zu stößt man ans «ine kleine Bodenmulde, weniger trocken al« di« dürre Umgebung, aber erfüllt mit violettrothm Blum«, den lieblich wie feine Aepfel duftenden Blüthea de« Alpen veilchen«. Die Klüfte im Felsealabyrinth find dir Brutstätten zahl reicher wilder Tauben und Alpensegler, ab uad zu zeigt sich auf einem Grad, nach der Art der Rothschwänzchen Ver beugungen machend und mit dem Schwänze wippend, eine baum-raue Steiudrofsel oder eine schön blau überhauchte Blaumerle, die passe« soltäari», der einsame Spatz, der einzige Singvogel, den die Küstenitaliener allenfalls auch in ungrbratenem Zustande ein weaia zu würdig« wissen. Ei» gute« Auge entdeckt wohl auch ein Steiuhuhn, da« scheu und vor sichtig im Gestein umherschleicht, oder doch oben im dunklen Blau de« Himmel« einen Geier, ein Pünktchen nur, da langsam seine Kreise zieht. Auf d« meist sehr primitive» Wegen begegn« uu« die mit elenden Reisigwell« beladenen Wagen armer Tschitschen, die in schmutzigem und daher erst recht malerischem Gewände, an den Füßen wunderliche, selbst gefertigte Schuhe, Opanken, tragend, nebenhertrottrn, um ihre Waare für wenig Kreuzer in Triest an den Maun oder an di« Frau zu bringen. Kommen sie auf di« wohlaepflegte kaiserliche Straße, so treiben sie »hr Gespann großhörniger Ochsen rascher an, und dumpf tönt und dröhnt e- unter den rollend« Rädern au- der Tiefe herauf, au» dem Höhlen system, dem gewaltigen Resonanzboden de« Karste«. Hier ist fürwahr ein« wunderlich, Welt auf der Erde, wunderlich wie in Europa kaum ein« zweite, und die unter ihr im Boden befindliche ist noch wunderlicher, — großartig und unheimlich find beide, beide legen sich beengend auf da« M«sch«herz und bringen auch die redseligste Dame bald zum Schweig«. Wo die Natur so zu un« spricht, ist nicht der Ort zu fadem, banalem Geplauder. Di« Größenverhältnisse der Karsthöhlen sind überau« ver schieden: manche find nicht« al« meterlang« Spalten, in die man mit dem Arm langen, allenfalls mit dem Kopf hinein schau« kann, andere aber zieh« sich viel« Kilometer weit unter der Erd« hin, bilden stellenweise Säle, Dom- und Kuppel- aewölbe von hundert und mehr Mete« Höh«, «thalt« tiefe Abgründe, große Klüfte und mit Kähnen befahrbare Se«. G« giebt trockene, wasserlos« »ad feuchte, wasserreich, Höhlen, nnd di« letzter« find di« bei weitem interessanter«. I» ihn« entwickel» sich jene herrlich« Tropssteingrbildh jene Wunderwelt der Stalaktit« nnd Stalagmit«, und sie ent halten und biet« Bedingungen, unter denen ei« organisch« Leben sich zu «»Wickeln vermag. Bevor wir diese« Leben flüchtig betracht«, wolle» wir die Frage «ach der Entstehung«- vrsachr und Entstehun-Sweise jen« großartig« Hvhl«syst«m, kurz»« beantwort« versuch«. Da« von der Dammerde entblößte Gestein de« Karst« besteht, wie bemerkt, an« 95 Pro«, kohlrnsaurem Kalt, der der Verwitterung durch Feuchtigkeit in hohem Maß« ausgesetzt
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